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Liebe verändert Menschen, gar den Verlauf eines ganzen Lebens, oder eines ganzen Planeten, wenn wir es nur zulassen. Sie drängt sich nicht auf; aber sie ist unvermeidbar. Die Liebe und der Tod kommen gern als ungeladene Gäste! sagt ein indisches Sprichwort. Liebe ist anarchisch. Sie hält sich an keine Regeln. Liebe verstößt gegen Gesetze! Liebe verstößt gegen Konventionen! Liebe gleicht einer Krankheit, deren Symptome allerdings euphorisch stimmen. Außenstehende beobachten seltsame Verhaltensweisen: innere Abwesenheit, verklärtes Dauerlächeln, beseelter Blick, abnorme Vitalität, unangebrachte Fröhlichkeit, mitunter unerwartet verzücktes Hüpfen. Dennoch verlangt niemand nach Heilung; es gibt auch kein Heilmittel. Liebe ist ansteckend! Für eine Schutzimpfung ist nicht vorgesorgt. Stellen Sie sich die Folgen einer Pandemie vor! Liebe ist kein scheues Reh, das sich beim geringsten Missklang aus dem Staube macht. Liebe ist ein Kunstwerk, an dem man sich ein Leben lang erfreuen kann, beachtet man ihre Gesetze. Liebe kann man lernen. Lassen Sie sich einstimmen, zögern Sie nicht länger; Sie haben noch gar keine Ahnung, was alles in Ihnen steckt und nur darauf wartet, geweckt zu werden. Ein Blick ins Buch, ein Blick ins Leben, wird Ihrer Liebe Auftrieb geben! Sorry, das Buch enthält keine Pornographie!
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Seitenzahl: 336
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Das Grauen in der Vorstadt
Je später der Abend…
Jonas
Die Schule zur Liebe.
Bruno - der Maler
Ausgesetzt
Das Geheimnis der Heilerin
Im Allgemeinen gelten die sauberen, adretten Vorstadtsiedlungen in Deutschland als Hort des Friedens, der Beschaulichkeit, des Gleichmaß‘. Böse Zungen lästern allerdings, dort sei die Konzentration an Spießigkeit, Borniertheit und Einfalt am höchsten; da wohnen halt die, die das „Traumschiff“ und einen „Stadldödel“ als anspruchsvolle Unterhaltung, und sogar als Bildungsquelle bezeichnen. Unbestritten bleibt, dass die Herren jener Wohngebiete, das Blech ihrer Prestigekarosse weit erotischer empfinden, als die Haut eines gerupften Hühnchens oder die ihrer Ehefrau.
Das ist aber nicht immer so – und man sollte sich hüten, voreilig zu verallgemeinern! Vielleicht bringt diese kleine Geschichte über männliche Tapferkeit und Jagdeifer etwas mehr Realität in die verhärteten Vorverurteilungen.
In einem Reihenhaus wohnten zwei Familien, eigentlich nur Vater und Mutter und Vater und Mutter. Kinder waren beiden Parteien keine Quelle der Freude. Deswegen waren sie auch in dieses Doppelhaus gezogen. Die eine Hälfte glich der anderen Hälfte – spiegelbildlich eben. Obwohl sie gewissermaßen nun Wand an Wand lebten, überwanden sie nicht die Schwelle zur Freundschaft. Sie siezten sich, waren einander behilflich, stimmten sogar ihren Urlaub miteinander ab, so dass das Haus nie unbewacht blieb in diesen unsicheren Zeiten. Sie koordinierten vieles, luden aber nie einander ein. Vielleicht war das das Geheimnis für viele, viele Jahre Frieden zwischen den beiden so unterschiedlichen Parteien.
Nun sie waren verschieden, die beiden Paare, wie sie nicht verschiedener sein konnten. Die Webers waren ein vitales, freudvolles Paar mit vielen Interessen, besonders aneinander. Bei ihnen ging‘s um Lust und Liebe und Tollerei. Zum Glück waren die Wände zwischen beiden Wohneinheiten gut isoliert. Es waren auch weniger die Paarungsgeräusche, als vielmehr das freche Grinsen auf beiden Gesichtern, wenn sie morgens aus dem Hause traten, dass so manchen irritierte. Man sah höflich über Vermutetes hinweg. Schließlich war niemand gestört. Bisher nicht!
Die Holzers gehörten zu einer anderen Kategorie. Da röhrte unübersehbar ein mächtiger Hirsch von der Wohnzimmerwand. Weiße Deckchen überall erzählten von Perfektion und Akkuratesse bis ins Detail. Das Auto des Herrn Holzer glänzte deutlich tiefengepflegter als das des Herrn Weber. Die Holzers schritten immer Samstagabend nach 23:00 Uhr zur Begleichung der ehelichen Pflichten, damit er rechtzeitig während der Sportschau wieder zu Kräften kam. Da war auf dem Kirchgang am Sonntagmorgen bei beiden kein freches Grinsen erkennbar. Sie schritten Arm-in-Arm und bußfertig.
Dieses friedlich-tolerante Leben und Lebenlassen am Stadtrand erhielt eines Tages einen Dämpfer. Es ist nicht schwer vorstellbar, wer der Störenfried sein konnte; es waren natürlich die Webers. Nicht vorsätzlich, aber ein bisschen doch! Vielleicht eine durchgebrannte Sicherung, die zu schwach ausgelegt war, konnte der Grund sein. Die Wahrheit kam nie an den Tag, weil Frau Annabel Weber sehr rasch eine plausible Erklärung aus dem Ärmel schüttelte und der Plaudertasche von nebenan vorlegte. Um die flinke Verbreitung zu sichern, nahm sie der Nachbarin auch noch das Schweigegelübde ab.
Sie, liebe Leser, erhalten als einzige, einen Einblick in den tatsächlichen Ablauf der Ereignisse. Behalten Sie aber bitte Ihre Kenntnisse für sich. Schließlich nutzen Sie keinem, wenn die Wahrheit ans Licht käme. Schlimmstenfalls könnte man sogar Sie als Unruhestifter bezeichnen und der Aufschneiderei bezichtigen. Wollen Sie das?
Es war an einem Sonntagmorgen im letzten Frühling. Die Sonne zögerte noch und schien diffus unentschlossen durch eine zähe Hochnebeldecke. Es war kühl. Die Weber hatten ihr spätes Frühstück noch im Bademantel beendet. Rüdiger trug das benutzte Geschirr in die Küche und räumte es in die Spülmaschine. Schließlich beseitigte er die letzten Spuren ihrer Mahlzeit. Annabel sang fröhlich unter der Dusche. Er hörte seine Frau gerne singen; sie hatte eine schöne Stimme und konnte sogar das mit den Koloraturen. Er erinnerte sich nicht, wie‘s dazu kam, aber plötzlich saß ihm der Schalk im Nacken. Er ging nach oben, wo Annabel duschte und raubte alle Handtücher und Kleidungsstücke, die sie sich zurechtgelegt hatte und wartete. Das Wasser wurde abgestellt und eine nasse Hand tastete nach dem Handtuch. Es war nicht dort, wo erwartet. Annabel trat aus der Dusche, sah ihren Mann und freute sich. Es war nichts Ungewöhnliches, wenn er ihr hin und wieder beim Duschen zusah. Sie deutete das als einen Beweis für ihr gesundes, vitales Eheleben. Doch diesmal schoss er Fotos von seiner unbekleideten Frau. Sie schrie lauthals auf und versuchte, ihre Blöße zu bedecken. Man kennt das ja von Psycho. Aber dazu reichten ihre beiden zarten Hände nicht aus. Daher drehte sie sich um. Aber nun lichtete Rüdiger gnadenlos ihre hübsche Kehrseite ab. Flink flog ihre Hand unter den Rücken und versuchte zu verbergen, was nicht zu verbergen war. Sie schrie und zappelte. Das gefiel ihm. Sie rannte aus dem Bad, die Treppe hinunter. Er folgte ihr. Sie schrie, als hätte er einen Dolch gegen sie erhoben. In der Küche riss sie einem unschuldigen Salatkopf ein Blatt von der Seite und versuchte, es Eva gleichzutun. Ein Feigenblatt stand allerdings nicht zur Verfügung. Der frivole Rüdiger hörte nicht auf, den Auslöser zu bedienen.
„Rüdiger lass das!“ befahl sie. Doch der sonst so gehorsame Ehemann dachte nicht daran. „Soll ich erst böse werden?“
Das war ihm offenbar egal. Sie schrie lauter um Hilfe und rannte die Treppe wieder hinauf ins Schlafzimmer. Sie versteckte sich hinter dem Vorhang der Terrassentür. Das gefiel Rüdiger. Die matte Sonne projizierte den Schatten einer zappelnden nackten Frau auf den hellen Naturfaservorhang. Das sah noch aufregender aus, als das flüchtende Original.
Klick, klick, klick, klick, der Auslöser kam nicht zur Ruhe. Doch da tat’s einen Klick in Annabel. Selbstbewusst trat sie hinter dem Vorhang hervor. Sie würdigte ihrem Mann keines Blickes, öffnete den Schrank und schlüpfte in zwei Pumps, legte sich auf das Bett und räkelte sich behaglich. Rüdiger blieb der Atem stehen, vergaß sogar kurz zu klicken. Annabel mahnte:
„Na, wo bleibt der Klick?“
Sie nahm immer reizvollere Posen ein, gefiel sich in der Rolle. Sie wechselte zu sanft-naiver Frivolität, alsdann zu provokanteren Darbietungen. Rüdiger musste sich zusammenreißen, damit seine Aufnahmen nicht verwackelten. Annabel wurde immer dreister und brachte ihn deutlich sichtbar in Bedrängnis. Jetzt bot sie sich ihm in eindeutiger Weise an. Da gab es nichts miss zu verstehen. Annabel war sichtlich aufgeheizt.
„Das gefällt mir, diese Rolle als Pornostar!“ hauchte sie verrucht. „Ist es nicht langsam an der Zeit, mein lieber Rüdi, die Hüllen fallen zulassen und deine Stute zu beruhigen, damit sie dir nicht durchgeht!“
Rüdiger drückte noch ein letztes Mal auf den Auslöser und ließ den Bademantel fallen. Gierig griff die Aufgewühlte nach dem, der ihre Pein besänftigen sollte:
„Kein Vorspiel bitte, ich bin schon genug weichgespült und durchgequirlt!“
Von nun an wurde die wilde Jagd auf anderer Ebene fortgesetzt – aber nicht minder geräuschlos. Als dann am frühen Nachmittag Rüdiger seine Beruhigte behutsam zudeckte, damit sich die vor Schweiß Glänzende nicht verkühle, legte auch er sein Haupt in die weichen Kissen, um zu regenerieren.
„Rüdi, ich ahnte ja gar nicht, was so alles in dir drinsteckt!“ wehte ein mattes Lob aus der nächsten Nachbarschaft.
Als sie beide erwachten, begann es bereits zu dämmern. Sie war bester Dinge und mit einem gesunden Übermaß an Tatendrang gefüllt. Sanft biss sie ihrem Gefährten in das Ohrläppchen, damit auch er sich ihrem Erwachen anschließe. Er war allerdings weniger ansprechbar als sie, als seine Liebste ihn auf Schäden hin untersuchte. Doch auch er kam wieder rasch zu sich, als er begriff, dass sein Weib sich an ihm zu schaffen machte. Sanft schritt er ein. Sie zeigte Verständnis.
Annabel war von Natur aus neugierig. Daher schlug sie vor, doch einmal die Ausbeute an Fotos auf dem Computer anzusehen. Sie standen auf und legten bequeme Hauskleidung an.
Mit offenem Mund und teilweise mit ernstem Entsetzen sah sie der Darstellerin bei ihren Eskapaden zu:
„Meine Güte, das soll ich gewesen sein? So kenn‘ ich mich ja gar nicht!“
Er nickte zustimmend.
„Rüdiger, es hat mir gefallen, für dich zu posieren!“ schnurrte sie. „Ist das schlimm? Was denkst du von mir?“
„Auf alle Fälle nichts Schlechtes!“ lachte der Gemahl. „Ich denke, in einer lebendigen Ehe sollte so etwas möglich sein. Ich war nur überrascht, was so alles in dir steckt. Du warst großartig!“
„Findest du? Ich war auch überrascht zu erleben, was in dir steckt nach so vielen Ehejahren!“ lachte sie. „Aber versprich‘ mir bitte eins, Rüdiger, sorge dafür, dass keinem anderen diese Fotos in die Hände fallen. Vielleicht ergänzen wir diese Serie eines Tages mit einer Serie von dir?“
Rüdiger legte sanft seine Hand auf Annabells Knie. Sie schob sie beherzt deutlich nach oben. Beide lächelten.
„Sag‘ mal Rüdi, was da heute geschah, war das deine Revanche für Vorgestern?“ fragte sie.
Er sah sie fragend an: „Was war denn vorgestern?“
„Vorgestern war Freitag und wie jeden Freitag hatten wir schönen Auftaktsex fürs Wochenende. Wie du weißt, mag ich es so richtig gern erst beim zweiten Mal. Dann bist du ruhiger, entspannter und ausdauernder. Wir haben darüber x-mal gesprochen. Doch vorgestern gehorchte dir dein Freund nicht mehr so, wie du es gewohnt warst. Du wurdest ärgerlich, wütend, wolltest erzwingen. Ich fand diese Situation nicht im Geringsten tragisch und ich musste über deine Überreaktion herzhaft lachen. Du hast dich noch mehr geärgert. Ich habe nicht über Klein-Rüdiger gelacht, sondern über deine Ungeduld, deinen Ärger. Ich versuchte, dich zu beruhigen. Das hast du wohl missverstanden. Ich sprach zu unserem Freund und streichelte ihn etwas, und schwubs war er wieder da. Ich lachte wieder, weil er mir besser gehorchte als dir. Da sagtest du: ‚Na, warte!‘
Also, lieber Rüdi, ganz im Ernst, ich find‘ das großartig, wie die Natur das System ‚Mann‘ ausgestattet hat. Ich bin sicher, ihr wärt unerträglich, wenn ihr nur einen Befehl brüllen müsstet und der Kleine steht stramm, wie als wenn man einen Regenschirm aufspannt. Ich mag diese kleine Beimengung von Ungewissheit, die euch auf ein gesundes Maß an Bescheidenheit zurechtstutzt.“
„Und wenn sich diese kleine Beimengung auswächst?“ wandte Rüdiger bekümmert ein.
„Dann gibt’s da noch immer die geschickte Annabel, die alles wieder flink repariert. Ich wäre von Herzen froh, wenn nur mir auf Dauer dieses Privileg zugestanden würde!“
Die beiden verbrachten einen zauberhaften Abend und eine zärtlich verspielte Nacht – so ganz nach Annabels Vorstellung. Damit könnte diese Geschichte ihr Happyend gefunden haben. Aber dem war nicht so, weil die Nachbarin Frauke Holzer nämlich unerklärbare Geräusche vernommen hatte.
So war es eben kein Zufall, als sich die beiden Frauen am nächsten Morgen rein zufällig beim Verlassen des Hauses begegneten.
„Ach, ich bin ja so froh, dass ich Sie unbeschadet antreffe!“ heuchelte Frauke. „Ich wollte gestern schon Beistand herbeirufen, aber mein Herrmann riet mir davon ab. Es hörte sich an, als wären Sie in größter Gefahr? Ihr Mann hat Ihnen sicher beigestanden?“
Blitzschnell entwarf Annabel ein Scenario, das die Neugier ihrer Nachbarin befriedigen musste.
„Oh ja, da haben Sie Recht! Es war schrecklich! Ich hatte gerade geduscht und griff nach dem Handtuch, als ich hörte, dass da etwas zu Boden fiel, also mehr klatschte. Was ich sah, erschreckte mich zu Tode; es bewegte sich und versteckte sich hinter der Toilette. Es war eine riesige Spinne mit langen haarigen Beinen. Bei dem Gedanken, sie hatte sich im Handtuch versteckt und mich anspringen können, wusste mein Herz nicht, ob es einfach stehen bleiben oder mir aus den Hals springen sollte. Ich schrie, so laut ich nur konnte. Es war keine der heimischen Spinnenarten. Ich vermute, sie stammt aus einer Bananenlieferung des Supermarkts da vorne an der Ecke. Von der feucht-warmen Luft der Dusche fühlte sie sich angezogen und hat sich offenbar wohlgefühlt und sich darin versteckt. Rüdiger, mein Mann, eilte natürlich sofort herbei. Die Spinne floh vor ihm und rannte auf mich zu. Ich schrie und zappelte. Das Vieh rannte ins Schlafzimmer. Rüdiger warf mit dem Handtuch nach ihr. Sie sprang geschickt davon und versteckte sich. Mit einem Besen trieben wir sie die Treppe hinunter. Immer wieder versuchte sie, sich zu verstecken. Wir überlegten; wir konnten sie ja nicht erschlagen; Sie verstehen, der Dreck, der Ekel… da hatte mein Mann eine tolle Idee; er bot ihr ein Versteck in Form einer großen, braunen Papiertüte an. Prompt tappte sie in die Falle. Mit dem Besen verschlossen wir die Tüte und falteten sie zu. Es war ein grässliches Geräusch, wie sie heftig darin herumkrabbelte. Mein Mann trug sie in den Garten und warf das Ungeheuer über Nachbars Zaun!“
Entsetzt rief Frauke:
„Doch nicht etwa über unseren Zaun?“
„Nein, natürlich nicht! Über den dahinten, da, wo die feindseligen Grantmanns wohnen!“ beruhigte sie Annabel. „Durch die kühle Luft wurde die Spinne auch immer träger…“
„Aber sie lebt ja noch und könnte sich nach einem neuen, warmen Versteck umsehen und kommt zurück und diesmal zu uns, weil sie bei Ihnen so schlechte Erfahrung gemacht hat.“ gruselte sich Frauke.
„Ach, so intelligent sind Spinnen nicht!“ versuchte Annabel, ihre Nachbarin zu beruhigen.
„Aber danach, nach dieser Hatz, da hörten wir ganz andere Töne, mein Herrmann und ich…“ bohrte Frauke neugierig weiter, obwohl sie deren Ursache durchaus kannte.
„Ach ja!“ murmelte Annabel versonnen. „Da geschah etwas sehr Seltsames mit mir. Nach all den inneren Turbulenzen und den Spannungen brach in mir etwas Elementares auf. Es war so mächtig, dass ich nicht wiederstehen konnte. Ich hatte das Verlangen, mich meinem Retter hinzugeben, mich mit ihm zu paaren. Ich sah meinen Rüdiger als unerschrockenen Helden, der bereit war, sein Leben für sein schwaches Weib hinzugeben. Er war mein Drachentöter, der das Ungeheuer bezwang, um mich zu erretten!“
Wohlige Schauder liefen über Fraukes Rücken. Gerne hätte sie gleiches erlebt.
Erbarmungslos fuhr Annabel fort:
„Er sollte mich begatten! Sein Samen sollte in meinem Schoß heranreifen und aufgehen, damit auch ich einen Helden gebären konnte, damit das Geschlecht der Mutigen, der Tapferen weiterbestehe zum Wohle unseres Stammes… ich ermutigte meinen Helden, bis zu seiner Erschöpfung. Es war ein kosmisches Ereignis!“
Frauke erzitterte angesichts dieser machtvollen Sprache. Was Worte so alles bewirken konnten…:
„Das Ungeheuer ist aber noch nicht besiegt! Es kann wiederkehren und über mich herfallen. Ich glaube nicht, dass mein Herrmann zu solchen Heldentaten fähig wäre. Könnte ich da nicht Ihren mutigen Lebensretter um Beistand bitten?“
Die letzten Worte waren nur stotternd über Fraukes Lippen gekommen. Oder war das gar kein Stottern, eher Erregung?
Annabel antwortete mit Bedacht:
„Nun, ich werde mit meinem Mann sprechen. Er ist stets hilfsbereit, wie Sie wissen. Sie sollten allerdings bedenken, wenn er nach Ihrem Hilfeschrei in Ihre Dusche eilt, könnte er zum Problem werden, weniger die Spinne!“
„Ach, dieses Risiko nähme ich gerne in Kauf! Hauptsache ist, ich kann mich sicher fühlen!“ sagte Frauke Holzer. „Wir könnten ja diesen Notfall mal üben, wenn mein Herrmann im Stadium ist.“
„…im Stadion ist!“ korrigierte Annabel.
„Richtig! …im Stadion ist!“ pflichtete Frauke bei.
„Hm!“ machte Annabel nur. Sie hatte das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.
Der Samstag kam und mit ihm ein heiß erwartetes Fußballereignis im Stadion der großen Nachbarstadt. Hermann wurde schon früh von zwei gleichgesinnten Kameraden abgeholt. Alle drei waren kostümiert, so dass man sie leicht einer der Fangruppen zuordnen konnte. Die Begrüßung der drei verlief schon übertrieben herzlich, so dass man glauben konnte, man habe sich nach langer Kriegsgefangenschaft letztendlich wiedergefunden. Frauke Holzer hatte verstanden, es würde sehr lange dauern, bis ihr Herr Gemahl wieder erscheinen würde und wenn, in welchem Zustand. Sie war sich sicher, das übliche Samstagabendritual würde gewiss ersatzlos gestrichen. Denn entweder würde ihr Mann mit seinen Kameraden ausgiebig einen Sieg feiern oder noch ausgiebiger eine Niederlage ertränken. Die Konsequenzen wären die gleichen.
Der Tag versprach sonnig und warm zu werden. Der Herr Nachbar war im Garten mit dem Zurechtschneiden von Gebüsch beschäftigt. Sie öffnete das Fenster ihres Badezimmers. Die Rahmenbedingungen stimmten für ihr Vorhaben. Sie entkleidete sich und betrat die Dusche. Ihr Gesang mischte sich in das Rauschen des Wassers.… Rüdiger hörte es bis hinunter zum Garten. Frauke duschte ausgiebig, trocknete sich hernach ab, überprüfte und korrigierte winziges Unerwünschtes, sprühte reichlich kostbares Parfum über sich und legte ein dezentes Make-up auf. Sie knurrte vor Unwiderstehlichkeit, räusperte sich und stieß dann zwei gellende Hilfeschreie aus. Sie fuhren Rüdiger durch Mark und Bein. Er ließ sein Handwerkszeug fallen und rannte durch sein Haus auf die Straße dann zu den Nachbarn. Merkwürdig, die Haustür war nur leicht angelehnt. Ein weiterer Schrei gellte von oben. Er hastete hinauf. Er kannte sich aus wegen der Spiegelbildlichkeit. Die Tür zur Dusche stand weit offen. Frauke hatte eine Hand auf den Mund gepresst und die Augen weit aufgerissen. Rüdiger versuchte zu erfassen, was vorgefallen ist. Warum hing das Handtuch an dem Halter an der Wand und bedeckte nicht Fraukes Blöße? Auch der Bademantel hing ungenutzt am Haken. Nun ja, in der Dusche hält man sich für gewöhnlich nackt auf. Warum war Frau Holzer nicht nass? Sie half beim Erfassen ihres Problems nach und deutete auf die Ecke. Dort lag das pure Grauen in Form einer mächtigen Spinne mit langen, haarigen Beinen und aufgerichteten Augen. Sie verharrte regungslos, wohl in der Hoffnung, auf diese Weise nicht bemerkt zu werden. Rüdiger stampfte auf; Frauke erschrak und tat einen Schritt auf ihn zu, umschlang ihn. Das Ungeheuer rührte sich nicht. Rüdiger löste sich behutsam aus Fraukes Umklammerung und schlich auf das Biest zu. Frauke wimmerte. Er beugte sich mutig über das Tier. Frauke wimmerte heftiger; wenn das Ungeheuer ihm nun ins Gesicht springt… Annabel hatte ja berichtet, wie diese Wesen springen können. Rüdiger kniete nieder, sah dem Grauen direkt in die Augen. Es war wie erstarrt. Frauke reichte ihm das Handtuch. Rüdiger lehnte ab.
„Nehmen Sie es, um sich zu verhüllen!“ raunte er ihr zu.
Frauke ignorierte diesen Rat. Da packte Rüdiger blitzschnell zu. Wieder schrie sie auf. Die Beine des widerwärtigen Geschöpfes zappelten, aber sie waren ohne Leben. Das Ungeheuer war aus Silikon und diente ausschließlich dazu, andere zu erschrecken. Wollte Frauke Holzer ihn erschrecken? Wortlos steckte er das zappelnde Plagiat in seine Hosentasche. Erleichtert sprang nun Frauke ihrerseits ihn an und schlang wild ihre Arme um seinen Hals. Ihr erhitzter Atem hauchte ihn an wie der eines fauchenden Drachens:
„Oh du, mein tapferer Ritter. Du hast mir das Leben gerettet. Fast wäre ich vor Angst gestorben. Zum Glück hatte das Tier genauso viel Angst, sonst hätte es mich angesprungen und mein Herz wäre stehen geblieben.“
Sein Einwand, es wäre ja nur Silikon gewesen, wurde geflissentlich überhört.
„Wie kann ich Euch nur danken, mein tapferer Gebieter? Lasst mich Eure willige Sklavin sein, deren Blut kocht angesichts Eures Mutes. Nehmt mich mit aller Kraft, so wie Ihr diese Bedrohung von mir genommen habt. Füllt meine Schwäche mit Eurer männlichen Kraft. Labt Euch an meinen Früchten, die ich Euch freimütig darbiete.“
Rüdiger war über die Wahl der Sprache überrascht. Was hatte dieses Pathos, diese Dramatik zu bedeuten? Frauke drängte sich und insbesondere ihren Unterleib kraftvoll gegen seinen. Sie überprüfte ihre Wahrnehmung.
„Oh, was darf ich spüren? Welch starke Auswölbung, welch deutliche Erregung…“ schnurrte sie.
Rüdiger griff in die Hosentasche und zog die grässliche Spinne hervor. Er hielt sie ihr mit ihren wabbelnden Beinen unter die Nase. Angewidert wandte sie sich ab.
„Habt Ihr sie mit Euren bloßen Händen erwürgt?“ fragte sie in einer Mischung aus Ekel und Bewunderung.
Rüdiger hatte genug; er ließ das Silikonwesen fallen, schob Frauke Holzer entschlossen beiseite und verließ die Bühne. Im Augenblick konnte er sich noch keinen Reim über den Gang der Ereignisse machen und schon gar nicht über den Sinn dieser Inszenierung. Aber er wird sich Klarheit schaffen. Frauke allerding hatte die feste Gewissheit, dass sie etwas falsch gemacht hat. Bittere Tränen der Enttäuschung rannen ihr die Wangen herunter. Wie hatte man sie nur so missverstehen können?
Sie wird sich etwas Neues ausdenken!
Immer häufiger schaltete Rolf abends sein Fernsehgerät aus. Er fragte sich auch, warum er es überhaupt immer wieder nach dem Abendessen anstellte. Da wurde doch nichts gesendet, was ihn an seinem Feierabend bereicherte. Er hatte dieses Gerät einmal gekauft, aber andere benutzten es, die Werbeindustrie und unsere Politiker, damit sie uns möglichst rasch und effizient mit ihren unzureichenden Leistungen und Unwahrheiten überschütten können. Dafür musste er auch noch Gebühren zahlen, ob er das nun wollte oder nicht.
Rolf war kein verdrießlicher Mensch. Ganz im Gegenteil! Er wollte nur seine Freizeit ganz bewusst mit den Dingen verbringen, die ihm gut taten. Dazu gehörte beispielsweise ein Konzert. Er hatte viel Geld für den nahezu perfekten Klang seiner Stereoanlage investiert. Selbst bei Zimmerlautstärke unterschlug sie keine der Feinheiten im Klangmuster eines Konzerts. Heute entschied er sich für die sinfonische Dichtung „Ein Heldenleben“ von Richard Strauß. Dazu trank er ein Glas Rotwein, was in einem Konzertsaal nicht möglich wäre. Außerdem konnte er die Beine hochlegen und sich vollkommen entspannen.
Da klingelte es doch tatsächlich an seiner Tür. Er sah auf die Uhr; es war spät aber noch nicht zu spät. Er spähte durch den Türspion. In der Eingangsbeleuchtung stand eine elegant gekleidete Frau. Sie trug einen Pelzmantel und eine kleine silberne Handtasche. Sollte er öffnen? War sie ein Köder? Lauerte im Dunkel vielleicht ein Kerl, der hervorspringen wird, sobald er geöffnet hatte und ein Fuß in die Tür stellen? Er legte die Sicherheitskette ein und öffnete einen Spalt:
„Ja, bitte?”
„Guten Abend, Herr Haller. Ich bitte Sie, meine späte Störung zu entschuldigen. Ich sah noch Licht. Ich habe eine Autopanne. Vorne an der Ecke blieb plötzlich nach einigem Stottern mein Auto stehen. Ich möchte Sie um Hilfe bitten und fragen, ob ich bei Ihnen telefonieren kann. Ich besitze kein Handy. Der Pannendienst wird mir gewiss behilflich sein!“
Rolf zögerte noch etwas. Dann kam er zu dem Schluss, dass diese Dame ihn wohl kaum ausrauben wird. Er bat sie herein. Sie blickte um sich.
„Das Telefon?”
„Es steht dort auf der Anrichte. Sie können es mit ins Wohnzimmer nehmen. Ich hatte es nur schon zum Aufladen abgelegt, da ich keine Anrufe mehr erwarte!“ sagte Rolf höflich.
Sie lief etwas unsicher aber elegant in ihren hochhackigen Schuhen. Vielleicht war sie gerade aus dem Theater gekommen? Sie legte ihr Handtäschchen auf die Anrichte.
„Ach gnädige Frau, darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?“ fragte Rolf höflich.
„Aber ja, gerne! Sie sind sehr freundlich. Übrigens mein Name ist Eva Marek.” lächelte sie und öffnete ein paar Häkchen ihres Mantels.
Er stand hinter ihr, bereit den Mantel entgegenzunehmen. Sie streifte ihn ab. Doch als er ihr behilflich war, war er wie vom Donner gerührt. Sie stand plötzlich splitternackt vor ihm. Sie sah in den Spiegel und zupfte korrigierend an ihrer Frisur. Etwas unsicher schritt sie zum Telefon. In seiner Hilflosigkeit, geeignete Worte zu finden, fragte Rolf:
„Können Sie denn in diesen Schuhen Auto fahren?“
„Nein, natürlich nicht! Im Auto stehen ein Paar flache Schuhe bereit. Aber Schuhe mit hohen Absätzen kleiden mich besser, finden Sie nicht?“
„Ähm ja, allerdings…!”
Meine Güte was für ein hübsches Hinterteil sie hat!
„Fürchten Sie, dass meine Schuhe Ihren Fußbodenbelag beschädigen? Ich kann sie gerne ausziehen.“ fragte sie unschuldig.
„Nein, seien Sie unbesorgt! Entscheiden Sie, wie es für Sie richtig ist!”
Sie wählte eine Nummer und stellte sich vor:
„Mein Fahrzeug blieb soeben nach einigem Stottern stehen.“
Sie drehte sich zu Rolf:
„Wie heißen die beiden Straßen, die sich hier kreuzen?“
Rolf nannte sie ihr und sie gab die Information weiter. Ja, eine gelbe Warnleuchte hätte öfter mal aufgeblinkt, aber sie konnte sie nicht zuordnen. Abschließend nannte sie das Fabrikat ihres Wagens. Sie bedankte sich und legte auf.
„In etwa 45 Minuten wird ein Techniker kommen. In den späten Abendstunden dauert es etwas länger. Helfen Sie mir bitte wieder in den Mantel? Ich werde bei meinem Fahrzeug warten!“
„Aber ich bitte Sie, Frau Marek. Warten Sie hier. Es ist kalt draußen und wir hören bestimmt, wenn der Servicewagen eintrifft!“ sagte er höflich, obwohl er noch immer äußerst irritiert war.
„Das ist sehr freundlich von Ihnen, Herr Haller? Aber ich möchte auf keinen Fall stören oder Umstände machen!“
„Das tun Sie nicht! Nehmen Sie einfach im Wohnzimmer Platz, ich bringe Ihnen ein Glas. Sie trinken doch gewiss ein Glas Rotwein mit mir?“ sagte er und war entzückt von ihren reizvoll geschwungenen Hüften. Er konnte doch diese Augenweide nicht einfach davon ziehen lassen. Er schenkte ein und konnte nicht verhindern, dass seine Hand zitterte.
„Sie sind nervös, Herr Haller!“ sagte Eva Marek. „Bin ich etwa der Grund für Ihre Nervosität?“
„Na hören Sie mal, Eva – ich darf Sie doch so nennen - Sie betreten meine Wohnung und sitzen splitternackt in meinem Sessel…“
„Fürchten Sie etwa um Ihren Sessel? Ich passe schon auf mit dem Rotwein. Bestehen Sie darauf, dass Sie meine Kleidung nicht wahrnehmen? In der Geschichte von Des Kaisers neue Kleider wird auch solch ein Ereignis geschildert. Ein kleines Mädchen hatte als einzige den Herrscher nackt gesehen.“
„Eva, das ist ein Märchen! Sie sitzen aber leibhaftig vor mir!” antwortete er heftig.
„Vielleicht spielt Ihre Fantasie Ihnen einen Streich? Sehen Sie mich doch einmal genau an! Vielleicht bin ich nur eine Halluzination? Wir sind alle nackt unter unserer Kleidung; Sie etwa nicht? Behaupte ich etwa, Sie seien nackt? Obwohl das womöglich ganz reizvoll wäre! Von Männern wird des Öfteren behauptet, dass sie Frauen mit ihren Blicken ausziehen. Mich würde das nicht stören; ich empfehle nur, Ihre Fähigkeit für sich zu behalten!” kicherte sie. Sie nahm einen Schluck Wein und fuhr fort:
„Ich gebe ja zu, dass ich etwas ungewöhnlich gekleidet bin. Bemerken Sie nicht diese duftende Wolke meines kostbaren Parfums, die mich einhüllt? Dieses Parfum war fast so teuer wie ein Abendkleid!“
„In der Tat, Sie verbreiten einen magischen Duft, dem man leicht erliegt! Es ist schon erstaunlich, was Modedesigner sich so alles einfallen lassen. Abendkleider gelten meist als sehr gewagt! Ich behaupte ja auch nicht, dass mir Ihr Outfit nicht gefällt. Ich finde Sie bezaubernd! Es steht mir gar nicht zu, Sie zu kritisieren!“
„Das beruhigt mich! Schließlich möchte ich keine Umstände machen. Aber meine Kleidung bietet doch auch Ihnen Vorteile. Sie sehen, dass ich keine Waffen bei mir trage, kein Pfefferspray, kein Elektroschocker… Sie können also ganz sicher sein, dass ich keine feindseligen oder unredlichen Absichten hege. Oder möchten Sie mich eingehender untersuchen?“
„Nein, Eva! Ich vertraue Ihnen. Aber wie steht es mit den Waffen der Frau?” meinte Rolf kokett.
„Ich bin da anderer Ansicht. Die Waffen der Frauen, die ich am Leibe trage, sind doch weitaus harmloser, als die Waffe des Mannes. Da werden Sie wohl kaum widersprechen? Die Folgen bedrohen den gesamten Planeten!“
„Ist das nicht etwas übertrieben?“
„Überbevölkerung und all die Konsequenzen, das halten Sie für übertrieben? Es ist schon erstaunlich, wie Tatsachen verdreht werden und Frauen dafür verantwortlich gemacht werden, was nachweislich die Männer verursachen! Wir haben seit Jahrtausenden gelernt, damit zu leben!“
„Entschuldigen Sie mich bitte, Eva, so habe ich die Dinge bisher noch nicht gesehen. Die Waffen einer Frau sind aus der Sicht des Mannes entwaffnend!“
„Sehen Sie, Mann muss nur seine Sichtweise etwas ändern und schon erhält Mann eine ganz andere Perspektive!“ erteilte Eva Nachhilfe und schlug gekonnt ihre Beine übereinander.
„Sie sind sehr anregend… Ihre Argumente haben etwas für sich und sind nicht von der Hand zu weisen.“ gestand Rolf.
„Ich hoffe nicht nur anregend! Ich hatte vor, aufsehenerregend zu sein. Als ich mich heute Abend ankleidete, war ich mit meiner Wahl sehr zufrieden und ich dankte dem Schöpfer, dass er mich so wunderbar ausgestattet hat. Bedauerlicherweise befinden sich keine Bewunderer meiner natürlichen Gaben in meinem Haushalt. Sie, Rolf, vermitteln mir den Eindruck, dass ich mit der Beurteilung meiner selbst nicht alleine dastehe. Sie behaupten, ich sei nackt. Aber wäre das nicht eine Ungeheuerlichkeit, wenn das so wäre? Oder was ist Ihre Meinung?”
„Nun ja, das ist in der Tat ungewöhnlich; aber ich kann nicht behaupten, dass mir dies unangenehm wäre!“ stotterte er.
„Sie sind also nicht geschockt? Stellen Sie sich vor, ich könnte eine Prostituierte sein! Ich bin hier, um Ihnen meinen Körper und diverse Serviceleistungen anzubieten, für die Sie selbstverständlich bezahlen müssten…“
Rolf kam ins Grübeln: „Und, sind Sie eine?“
„Natürlich nicht, was denken Sie denn, mein Körper ist unbezahlbar!“ warf sie leidenschaftlich ein.
Er beschloss, seine Rolle als Überraschungsopfer aufzugeben und den Spieß umzudrehen.
„Verehrte Eva, mich würde brennend interessieren, wie Sie sich fühlen. Immerhin sitzen Sie in einem ungewöhnlichen Outfit bei einem fremden Mann in der Wohnung. Befürchten Sie nicht, in eine unangenehme Situation zu geraten? Immerhin bin ich auch nur ein Mann!“
„Zu Beginn hatte ich schon etwas Angst, dass Sie meine Notsituation ausnutzen könnten. Doch wissen Sie, es gibt zwei Arten von Männern, eine Sorte die man fürchten muss und die andere Sorte, bei denen Frauen Schutz und Hilfe finden. Sie sind der Beschützertyp; das habe ich sehr rasch erkannt. Das tat mir gut; daher erlaubte ich Ihnen auch, mir aus dem Mantel zu helfen. Ich war mir ganz sicher, Sie würden ihn mir nicht entwenden!“
Sie nippte an ihrem Rotwein.
„Sie entschuldigen mich, ich benötige mein Handtäschchen. Es liegt auf der Kommode!“
Eva erhob sich mit einem zauberhaften Hüftschwung und holte das benötigte. Er berauschte sich an ihrem trippelnden Schritt und dem Anblick ihrer Beine, von unten bis oben. Sie entnahm ihrem Täschchen einen Spiegel und überprüfte ihr Makeup.
„Wissen Sie, es gibt viele hübsche Frauen. Die Industrie unterstützt sie in ihrem Wunsch, die Schönste im ganzen Land zu sein. Frau muss sich da schon etwas einfallen lassen! Viele täuschen auch Üppigkeit vor, was ich allerdings unfair finde!“ erklärte sie.
„Warum treten so viele Frauen in diesen unerbittlichen Konkurrenzkampf?“ fragte Rolf.
„Nicht, wie Sie vielleicht erwarten, um dem Manne zu gefallen, ihn sich einzufangen. Nein, es geht darum, die andere zu übertreffen, ihren Neid in Bewunderung zu verwandeln: …wer ist die Schönste im ganzen Land!“
„Sie sind in der Welt der Märchen sehr bewandert?“
„Sie meinen wegen Des Kaisers neue Kleider und Schneewittchen? Märchen enthalten geheime Botschaften auch versteckte Hinweise zur Sexualität wie bei Dornröschen und Hänsel und Gretel. Bedenken Sie die verkorkste und allseits präsente Diktatur der Moral der Kirche jener Zeit! Aber Unterdrücktes findet immer ein Ventil“
„Nein, hierüber habe ich nie nachgedacht!“ gestand er.
„Darf ich Ihnen noch etwas Wein nachgießen?“ Sie erhob sich und trat sehr nah an ihn. Der Duft ihrer Parfumwolke betörte ihn unwiderstehlich. Sie entkorkte die Flasche und beugte sich über sein Glas. Er hatte nur Blicke für ihren prächtigen so nah vor ihm schwingenden Busen. Mit ruhiger Hand schenkte sie den Wein ein.
„Sie sind schön, nicht wahr?” sagte Eva warm.
„Oh ja, sie sind wunderschön…! schwärmte er.
„…und auf so natürliche Weise fest! Mir gefällt, wie Sie sie bewundern. Fassen Sie sie ruhig an; Ihre Hände verlangt es danach, ich spüre das! Nur zu!“
Schüchtern umfasste er die beiden Zwillinge. Sie reagierten deutlich, wichen aber nicht scheu zurück.
„Sehen Sie, wie zutraulich sie sind! Ich setze mich nur ungern wieder auf meinen Sessel. Mich wundert allerdings, warum der Servicetechniker noch nicht erschienen ist; er müsste längst hier sein!“
Rolf erhob sich. Er sagte:
„Ich werde noch einmal anrufen!”
Er drückte die Wahlwiederholung. Es meldete sich die Auskunft.
„Sie haben die Auskunft angerufen!“ sagte er zu Eva.
„Natürlich habe ich die Auskunft angerufen. Ich weiß doch die Nummer des Automobilclubs nicht auswendig. Sie haben mich dann weiterverbunden!“
Rolf versuchte es direkt beim Automobilclub. Sie werden erst morgen früh ab acht Uhr erreichbar sein.
„Sie sagten, es wäre eine gelbe Warnleuchte…?
„Ja, und sie leuchtete nicht immer, meist wenn ich in eine Kurve fuhr!“
„Es wird die Tankleuchte sein. Ihr Tank ist wahrscheinlich leer oder es ist zu viel Luft in der Benzinleitung!“
„Das ist bedauerlich. Da habe ich Ihnen ganz umsonst Ihre kostbare Zeit gestohlen!“ klagte Eva.
„Das haben Sie nicht!“ warf Rolf vehement ein. „Dies ist doch ein interessanter Abend! Gönnen Sie mir Ihre Gesellschaft!“
„Sie sind charmant. Ich schätze Ihre Gesellschaft ebenfalls. Ich fühle mich unter Ihren kritischen aber wohlwollenden Blicken wohl. Lassen Sie uns weiter plaudern. Mein Lieblingsthema bin übrigens ich!“
Sie besah sich ihre Fingernägel und lachte:
„Da bin ich nur mit Parfum und Nagellack bekleidet, und schon verbringe ich einen amüsanten Abend mit einem charmanten und dennoch klugen Herrn. Erstaunlich, nicht?“
„Es ist schwer in Worte zu fassen… es ist ihr Charisma, ihre Originalität…“
„Lieber Herr Haller, reden Sie doch nicht so! Reden Sie über das, was Sie wirklich bewegt! Wir sind unter uns und ich trage auch kein Aufzeichnungsgerät bei mir. Von Vorsicht Kamera bin ich auch nicht! Sie sehen mich unentwegt an; was stört Sie?”
„Es stört mich überhaupt nichts…“
„Auch mein Aufzug nicht mehr?“
„Nein! Ich weiß nur nicht, ob ich wache oder träume! Sie sind wunderschön…“!
Eva erhob sich, ging langsam auf ihn zu und setzte sich auf seinen Schoß:
„Spüren Sie mein Gewicht?“
Rolf nickte.
Eva küsste seine Wange und fuhr ihm durchs Haar.
„Spürten Sie meinen Kuss?“
„Oh ja!“ nickte er eifrig.
„Wollen wir das Sie nicht in ein Du eintauschen?“
Wieder nickte er. Sie nahm sein Gesicht und küsste heftig seine Lippen; danach flüsterte sie:
„Rolf ich bin’s, Eva, und ich bin ganz real!“ Sie küsste ihn ein weiteres Mal.
„Was hat das alles zu bedeuten?“ Rolf war ratlos.
„Darf ich hier sitzen bleiben, dann erzähl‘ ich‘s dir!“
Natürlich wollte er, dass sie sich nicht von der Stelle bewegt.
Sie streichelte ihm übers Haar:
„Du weißt vielleicht, dass viele Mädchen ohne Unterwäsche das Haus verlassen. Sie finden das sexy und aufregend. Mir hat das nicht genügt. In mir wuchsen Fantasien, so wie du sie heute erlebt hast. Ich fand es prickelnd, mit anzusehen, was in dir vorging, als du mir aus dem Mantel geholfen hast. Sicher, es war mit einer Gefahr verbunden, von dir missverstanden zu werden. Doch das konnte ich rasch ausschließen. Ich habe noch ganz andere Fantasien, zum Beispiel mich verkehrswidrig zu verhalten, damit ich in eine Verkehrskontrolle gerate und mit aufs Revier genommen werde. Oder ich geh‘ als Single in ein vornehmes Restaurant, ein Kellner hilft mir aus dem Mantel… Was werde ich in Gang setzen? Wird man galant über meinen Fauxpas hinwegsehen? Würdest du mich in meinem Aufzug in ein Restaurant begleiten?“
Rolf überhörte diese direkte Frage:
„Du kannst dich in Teufels Küche bringen! Sicher, wenn du nackt bist, kann man dich nicht ausrauben, aber misshandeln, verschleppen, zur Prostitution zwingen, als sex-süchtig behandeln. Es ist ein Spiel mit dem Feuer!“
„Das weiß ich, deshalb habe ich ja erst einmal mit dir gezündelt!“ gab sie zu. „Deshalb werde ich dich als Begleiter wählen, wenn ich nackt in einem Restaurant sitzen möchte. Wir werden ganz natürlich plaudern, denn du kennst mich schon und bist somit nicht geschockt.“
„Willst du nicht herausfinden, warum du solche Fantasien hast?“
„Du meinst einen Psychiater aufsuchen?“
„Zum Beispiel!“
„Ich weiß doch Bescheid: Im Mangel wuchern Fantasien! Ich bin eine einfache Bankangestellte, in einem Alltag ohne Sensationen. Übrigens arbeite ich bei deiner Bank aber nicht am Schalter. Ich habe mal Kopien für dich gemacht, auch neulich, als deine Frau ein eigenes Konto beantragte, unter einer anderen Adresse und mit neuem Nachnamen… Ich mochte dich, ich fand dich anziehend!“
Wieder küsste sie ihn:
„Du weißt nicht wohin mit deinen Händen? Folge deinem Impuls!“
Rolf legte sie auf ihre Hüften.
„Gefallen dir meine Hüften?“
„Ja sehr, sie sind sehr weiblich!“
„Du meinst ausladend, zu breit!“
„Nein, ganz und gar nicht! Weiblich, üppig, wie dein…“
„Sprich ruhig weiter! Es sagt mir ja sonst keiner!”
„Üppig wie dein Hinterteil, fest und griffig!“
„Woher willst du das wissen? Du hast ja noch nicht einmal hineingekniffen!“
„Das tut man auch nicht!“
„Das solltest du aber, ich will die Wahrheit wissen!“
Rolf griff zu und erzeugte ein begeistertes ‚Au‘!
„Was waren deine Pläne für den Rest des Abends?” wollte sie wissen.
„Nun, ich hätte geduscht und wäre zu Bett gegangen!“
„Lass dich davon nicht abbringen! Darf ich dir beim Duschen zusehen?“
„Das kannst du tun. Ich werde auf der Couch schlafen!“
„Das wirst du auf gar keinen Fall tun! Ich dulde keine Umstände! Du hast mit mir deinen Rotwein geteilt, teile mit mir dein Bett genauso einfach und unkompliziert. Du hast nichts zu befürchten!“ sagte Eva in aller Klarheit.
Sie lehnte in der Tür und betrachtete ihn beim Duschen. Sie reichte ihm das Handtuch:
„Schön zu wissen, dass du ein großer Junge bist! Dass ich ein Mädchen bin, hast du ja schon festgestellt! Darf ich auch in deinem Bett mit deiner Gastfreundschaft rechnen?“
Galant hob er die Bettdecke und ließ sie hineinschlüpfen. Sie strahlte:
„Solch einen schönen Abend hatte ich seit langem nicht mehr…und nun endet er noch richtig großartig!“
Sie schmiegte sich behaglich an ihn und ließ ihn so richtig ihre Weiblichkeit spüren:
„Du nimmst mir nicht übel, dass ich so viele Turbulenzen in deinen Feierabend gebracht habe?“
„In der Rückschau überhaupt nicht, aber in der Situation war ich ziemlich in Aufruhr! Ich wusste nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte.“ gestand er.
„Es war doch ganz einfach! Mein Tank ist leer und ich suchte deine Hilfe!“
„Ich denke, der Tank deines Autos ist leer?“
Eva lachte:
„Der natürlich auch! Aber da es nun mal nicht gelang, den Tank meines Autos zu füllen, schlage ich vor, wenigstens mich aufzutanken! Darf ich dir somit nun meinerseits dir meine Gastfreundschaft anbieten? “
„Ja das ist eine gute Idee. Damit wäre der ganze Aufwand wenigstens gerechtfertigt. Nur, du weißt, es gibt zwei Versionen zu tanken: Selbstbedienung oder mit Service.“
Eva lachte:
„Mit Service natürlich!”
„Da ist noch ein Problem: du hast kein Bargeld bei dir und ich vermute auch keine Kreditkarte?“
„Da hast du Recht! Geht es ausnahmsweise nicht auch einmal auf Pump?“
„Das geht natürlich! Dann muss ich deine Personalien aufnehmen und du musst recht bald wiederkommen und deine Schuld begleichen!“
„Das wäre mir sehr recht!“
„Gut! Also was wünscht die Dame!“
„Bitte volltanken und bitte Super!”
Das Tanken nahm eine längere Zeit in Anspruch. Als die Dame am Morgen das Haus verließ, brachte sie Rolf zu ihrem Wagen. Sie küssten sich, sie zog die flachen Schuhe an, betätigte die Zündung und fuhr davon.
Am Abend erschien sie, um ihre Schulden zu begleichen und erwartete eine größere Inspektion.
Er fragte, was sie denn darunter verstünde. Nun, so meinte sie, das sei doch ganz einfach, eine gründliche Durchsuchung und Überprüfung, ob bei ihr eine Schraube locker ist.
Ihr ganzes Leben waren Karin und Eva unzertrennliche Freundinnen. Sie hatten sich im Kindergarten kennengelernt. Wie das damals genau geschah, das variiert in ihrer Erinnerung. Ihre Freundschaft hielt an, als sie die Schule besuchten. Ihre Bindung festigte sich sogar noch. Als Eva drohte, wegen ihrer eklatanten Defizite in Mathematik und Physik sitzen zu bleiben, sagte Karin:
„Wenn du sitzen bleibst, dann bleibe ich auch sitzen! Ich will mit niemand anderen auf einer Schulbank sitzen!“
„Auf keinen Fall!“ protestierte Eva. „Hilf mir lieber hier heraus!“
Sie schafften es beide, auch künftig niemals sitzen zu bleiben. Auch die Ferien verbrachten sie stets gemeinsam. Als sie noch klein waren, reisten sie abwechselnd einmal zusammen mit diesen oder jenen Eltern. Das entlastete dann immer wieder das andere Elternpaar. Sie wussten stets, ihre Tochter war gut aufgehoben. Überhaupt, beide Eltern respektierten diese innige Freundschaft; sie hatten wohl auch keine andre Wahl. Wer weiß, was sich die beiden hätten einfallen lassen, um ihren Willen durchzusetzen.
Dabei waren die beiden recht unterschiedlicher Natur. Karin war ruhig, besonnen, beständig, auch etwas ängstlich, zurückgenommen aber keineswegs verschlossen, schon gar nicht gegenüber ihrer Freundin. Eva dagegen sprudelte, flatterte gern unentschlossen umher; sie war unternehmungslustig, schloss rasch Kontakte, die ihr nutzten; sie war leichtsinnig, ignorierte Gefahren, hatte aber immer wieder Glück, unbeschadet davonzukommen. Beide respektierten ihre unterschiedlichen Charakterstrukturen, ahnten wohl, wie sehr sie einander ergänzten.
Auch ihre Berufsausbildung begannen sie gemeinsam. Eva wählte das Bankwesen trotz ihrer Aversion gegenüber der Mathematik. Aber es gab immer klügere Computer, die ihre Ignoranz im Rechnen kompensierten. Das Fach Versicherungsmathematik bereitete ihr allerdings schier unüberwindbare Schwierigkeiten. Da musste sie bei der Abschlussprüfung mit ihrer vorzüglichen Weiblichkeit unkonventionelle Wege beschreiten. Zum Glück bestand die Prüfungskommission ausschließlich aus Männern. Die Kommission war sich einig darüber, dass Eva am Schalter einer Bank als Kundenmagnet sehr geeignet war. So war auch Evas Hauptargument für ihre Berufswahl, dass Frau am Schalter stets gut gekleidet sein musste, und somit hervorragend zur Geltung kam.
Karin war fasziniert von den Weißen-Kittel-Berufen. Medizin, Forschung, Labor waren ihre Geheimkombination. Sie wurde medizinisch-technische Assistentin. Ihre Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit bei ihrer Arbeit trugen ihr schon bald Ansehen und Beliebtheit seitens der Vorgesetzten ein. Ein Expansionswunsch begann virulent zu keimen, vielleicht reicht es ja eines Tages zu einem Medizinstudium.