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Es heißt, Liebe mache blind. Der Autor widerspricht: Liebe macht sehend; sie erkennt die Einzigartigkeit des anderen. Falls Sie etwas mehr als nur Sex haben wollen, müssen Sie sich verständigen. Sie müssen reden und zuhören. Anfangs fällt es schwer. Dies Buch kann helfen, wenn Sie es lesen oder vorlesen. Die Paare in diesem Buch zeigen Ihnen, wie es geht. Sie säen und ernten, auch wenn es mal schlechte Ernten gibt. Der Erfolg krönt jene, die nicht aufgeben. Doch dann springt der zündende Funke über und -
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Seitenzahl: 330
Veröffentlichungsjahr: 2021
Eine Tasse Kaffee?
Eduard IV
Zuzug
Vom Ohrensessel zum Beichtstuhl
Ein schrecklich netter Unfall
Das lachende Opfer
Im Fluss der Ereignisse…
Die Verhandlungen waren sehr gut verlaufen. Wir hatten uns rasch geeinigt, ein paar Korrekturen vorgenommen, sodass beide Parteien zufrieden waren. Die Umsetzung unseres Vertrages konnte beginnen. Als ich angereist war, hatte ich mit langen, zähen Gesprächen gerechnet. Nun wurde ich mit reichlich freier Zeit belohnt. Ich ging ziellos durch die Stadt, sah mir hier und dort verschiedene Schaufenster an, ohne mich für etwas Bestimmtes zu interessieren. Schließlich setzte ich mich in ein Café am Rande eines Parks. Ich hätte in einer Zeitschrift blättern können, aber da ich mich ohnehin nicht konzentrieren konnte, blickte ich mich um und sah mir die Leute an. Mein Blick verfing sich länger als gewöhnlich bei einer jungen Frau, die am Fenster saß. Sie erwiderte meinen Blick und hielt ihm stand. Ich nippte am Kaffee. Wieder blickte ich zu ihr hinüber und wieder erwiderte sie standhaft meinen Blick. Ich traute mich nicht, irgendetwas zu unternehmen, geschweige denn, auf sie zuzugehen und anzusprechen. Stattdessen bestellte ich eine weitere Tasse Kaffee.
Die junge Frau am Fenster winkte die Kellnerin herbei und beglich ihre Rechnung. Sie stand auf, kam auf mich zu, ließ einen Zettel auf meinen Tisch fallen und verließ das Restaurant. Auf dem Zettel stand:
Wenn Sie Land und Leute besser kennen lernen wollen, dann kommen Sie zum Hotel „Schwarze Perle“, Zimmer 404!
Huch, was sollte ich tun? Meine Neugier lieferte sofort die Antwort:
„Heute ist dein Glückstag, du hast nichts zu verlieren!“
Na denn mal los! Ich winkte der Kellnerin, bezahlte meine Kaffees und fragte sie, wo denn dieses Hotel zur Schwarzen Perle sei. Sie deutete aus dem Fenster:
„Dort drüben, auf der anderen Straßenseite!“
Ich überquerte die Straße. Ein paar Stufen führten zum Eingang des Hotels. Ich fädelte mich durch eine Drehtür. An der Rezeption saß eine Dame in einer Art Uniform. Sie blickte auf und nickte. Ich sah mich suchend nach einem Fahrstuhl um. Sie deutete auf um die Ecke. Ich nickte dankend und fuhr in die vierte Etage. Lange schweigende Hotelgänge mit zahllosen Zimmertüren. Ich fand Zimmer 404 und klopfte sachte an. Eine weibliche Stimme antwortete deutlich ‚Herein‘. Die Tür ließ sich öffnen und ich stand in einem dunklen Vorraum. Rechts befand sich eine Tür nur angelehnt, wo ein Notlämpchen brannte. Es war das Badezimmer. Geradezu die Zimmertür war auch nur angelehnt; doch dahinter war es dunkel. Doch von dort erklang die Stimme ein weiteres Mal:
„Kommen Sie doch bitte in das Zimmer, aber schalten Sie bitte nicht das Licht an.“
Ich hängte meine Jacke an die Garderobe. Die Stimme erklang erneut:
„Haben Sie keine Angst, ich werde Sie führen! Folgen Sie meiner Stimme. Gehen Sie einfach Schritt für Schritt immer geradeaus. Ich sitze auf der Couch.“
Ich folgte ihren Anweisungen und berührte alsbald einen niedrigen Tisch vor mir. Ich ging um ihn herum. Plötzlich half mir eine Hand:
„Willkommen Fremder! Nehmen Sie doch bitte Platz. Fürchten Sie sich? Ich trage keine Waffen bei mir. Oder führen Sie Waffen mit sich?“
Ich verneinte und setzte mich; ich sog ihren Duft ein.
„Ich heiße Marina!“ sagte sie ganz leise.
„Mein Name ist Hans!“ antwortete ich.
„Kommen Sie näher, Hans! Ich sah Sie im Café. Ich kann Sie führen, wenn Sie das möchten? Und wenn Sie es möchten, können Sie mich näher kennen lernen und ich möchte gerne wissen, wer Sie sind!“ sagte sie sanft.
„Aber wäre es denn nicht einfacher, wenn wir bei Licht miteinander sprechen würden?“ schlug ich vor.
„Einfacher? Ich weiß nicht… Vielleicht wären Sie irritiert, unnötigerweise? Belassen wir es dabei, so wie es ist!“ entkräftete sie mein Argument. „Geben Sie mir Ihre Hand und lernen Sie, mich durch Ihre Hand zu betrachten.“
Marina tastete nach meiner Hand und führte sie zu ihrem Gesicht und küsste meine Fingerspitzen.
„Streichen Sie mir bitte mein Haar hinter das Ohr!“ flüsterte sie.
Ich tat es und berührte ihre Wange, Hals und Schultern. Sie waren unbedeckt, auch ihre Arme. Noch einmal ergriff sie meine Hand und führte sie zu ihrer Kehle:
„Gleiten Sie abwärts, aber langsam… jetzt Stopp! Was erwarten Sie?“
„Ihre…“
„Wie stellen Sie sich meine Brüste vor? Wie warm Ihre Hände sind! Sind sie so, wie Sie es erwartet haben? Wie gefällt Ihnen ihre Form? …ihre Größe? Ist es so nicht schöner im Dunklen, als sie nur anzusehen? Für mich ist es sehr schön!“ seufzte Marina.
Nachdem sich meine Hände an Form und Größe satt getastet hatten, erhob sie sich langsam, drehte sich um und kniete nun auf dem Sofa. Ich strich über ihren Rücken und all ihre bemerkenswerten Rundungen. Kein einziges Textil behinderte meine angeregte Neugier. Ausgiebig erkundete ich ihr üppiges, weibliches Hinterteil, sodass sich unter meinen Fingern deutlich eine Gänsehaut bildete. Wir beide atmeten tiefer und zumindest mein Herz schlug wilder. Sie ließ mich lange gewähren. Ihre Stimme klang belegt, fasst rau, als sie mich fragte:
„Wollen Sie sich nicht Gewissheit verschaffen, ob ich tatsächlich weiblich bin?“
Ich erschrak, denn einerseits wollte ich das und andererseits verboten es meine ach so hinderlichen guten Manieren. Die Tapferkeit des Mannes wurde heftig strapaziert; doch andere Indikatoren ermutigten. Sie positionierte sich etwas, damit das Prüfobjekt zugänglicher wurde. Sie empfand den Zugriff als sehr wohltuend und störte sich nicht an meiner Gründlichkeit. Fragte dann aber doch nach:
„Hans, finden Sie nicht, dass nunmehr der Zeitpunkt gekommen ist, sich auf die gleiche Weise zu kleiden, wie ich?“
„Ich glaube, Sie haben recht! Und wo Sie recht haben, haben Sie recht!“ brabbelte ich hilflos spaßig und albern vor mich hin. „Und wo kann ich mich umziehen?“
„Na, im Badezimmer! Genau dort können Sie auch noch einmal Überblick über sich gewinnen. Und Sie werden alles wiederfinden, wo Sie es abgelegt haben.“
„Gute Idee! Werde ich mir merken!“
Ich tastete mich durch das Dunkel ins Badezimmer, wo ich alles von mir entfernte, was ich während der nächsten Stunden nicht brauchte. Zurück am Tatort fand ich sie nicht mehr vor. Ich hörte nur ein leises Kichern aus einer anderen Richtung. Ich versuchte, ohne mir blaue Flecken einzuhandeln, dem Lockkichern zu folgen. Außerdem stand ich kurz vor dem Richtfest. Ich fand sie unter der Decke des nun gemeinsamen Bettes. Da gab‘s nur eins, rasch zu ihr zu schlüpfen. Warm wurde ich empfangen; alles was sich zu schlingen vermochte, schlang sich um mich. Ein langer Begrüßungskuss raubte mir fast den Atem.
„Habe ich’s nun endlich geschafft, den Erwählten in mein Bett zu bekommen. Haben Sie denn bestimmte Wünsche, die ich Ihnen erfüllen darf? Doch wie ich merke, ist meine Nachhilfe gar nicht notwendig!“
„Aber Marina, warum tun Sie das hier eigentlich?“
„Nun, das ist recht einfach zu verstehen! Ich bin kein veraltetes Modell und durchaus noch fahrtüchtig. Kein Wunder also, dass ich hin und wieder gerne einmal ausgefahren werden möchte. Und Sie haben sicher den kleinen Unterschied zwischen uns bemerkt; den sollten wir verwenden, um aufzutanken, Super versteht sich. Meine Karosserie haben Sie ja bereits kennengelernt, nun heißt es einsteigen und losfahren.“
„Halt, da muss ich einschreiten! Ich muss mich erst vom Zustand des Fahrgestells überzeugen.“
„Ich weiß nicht, was Sie sich darunter vorstellen, aber bitte bedienen Sie sich!“
Ich verschwand unter der Decke und meine Untersuchungen verursachten allerhand Erregung. Die erste Ausfahrt war demzufolge entsprechend temperamentvoll. Nach einem längeren Boxenstopp ging es weniger rasant aber gefühlvoller weiter. Ein kleiner Spaziergang über ihre hügelige Topografie ließ neue Begeisterung aufkommen. Wir entschlossen uns zu einer weiteren Runde. Erstaunlich, dass ich kaum ermüdete. Das musste an der guten Federung liegen. Die Fahrgeräusche waren jedoch nicht zu überhören. Als mir dann zum Schluss der Sprit ausging, musste sie mich nach Hause reiten. Doch alles blieb im Rahmen, kein Grund zum Grollen, eher ein Grund zu einem entrückten Nickerchen.
Sie schlummerte noch, oder tat zumindest so, als das, was von mir übrig geblieben war, aufstand und sich im Bad wieder ankleidete. Ich trat hinaus auf die Straße und ging direkt in das Café, um mich mithilfe einer Tasse heißen Kaffees wieder aufzurichten. Doch was sprang mir da direkt vom Fenster ins Auge? Die Dame kannte ich doch! Es war Marina. Sie winkte mich zu sich. Ungläubig sah ich sie an, als sie behauptete, sie würde schon zwei oder drei Stunden auf mich warten.
„Aber wir trafen uns doch in diesem Hotel dort drüben!“ sagte ich verdattert.
„Nein, das war ich nicht! Das war meine beste Freundin. Sie fühlt sich etwas von der Männerwelt vernachlässigt, weil sie, wie sie meint, weniger attraktiv aussähe. Ich helfe ihr da ab und zu, einen kräftigen und ausdauernden Mann zu finden, weil sie so sehr den Sex mit einem Fremden im Dunklen mag. Sie traut sich auch nicht so recht, direkt einen Mann ihrer Wahl anzusprechen, damit er ihr diesen Dienst erweist.“
In diesem Augenblick klingelte ihr Handy dazwischen. Ihre Freundin rief vom Hotel an und berichtete. Marina wandte sich an mich:
„Sie ist ganz begeistert, sie dankt dir und mir! Du seist großartig gewesen.“
Marina beendete das Gespräch:
„Sie wird mir später Einzelheiten erzählen! Ich hatte sie nie zuvor so schwärmerisch sprechen hören. Schön für sie, finden Sie nicht auch?“
Es entstand eine Pause. Marina schien nachzudenken; das Ergebnis ihres inneren Zwiegesprächs mit sich selbst erfuhr ich sogleich:
„Glauben Sie, dass Sie schon wieder in der Lage sind, nun mir zu Diensten zu sein? Dieses Gespräch eben hat mich unterleibsmäßig ziemlich aufgewühlt. Falls ja, dann sollten Sie mir ganz einfach folgen und mich begleiten!“
Wir verließen das Café gemeinsam. Marina ließ mich allerdings nicht so rasch wieder aus dem Bett entkommen, wie es mir ihre Freundin gestattete.
Eduard war schon mit jungen Jahren König geworden. Sein Vater starb an einer seltsamen Krankheit als Eduard vierzehn Jahre alt war. Es war Tradition des Landes, dass der älteste Sohn den Thron bestieg. Seine Mutter übernahm bis zu seinem achtzehnten Geburtstag die Regierungsgeschäfte, schickte ihren Sohn während dieser Zeit zu den weisesten Männern des Landes, um ihn heranzubilden. Ein ganzes Jahr lang schickte sie ihn aber auch zu der weisesten Frau des Landes, die alles wusste, was ein junger Mann wissen sollte, um mit seiner Frau ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Viele Eltern dieses Landes schickten ihre Kinder zu dieser Frau. Die Warteliste war lang, sodass viele ihre Kinder, ob Junge oder Mädchen, unmittelbar nach ihrer Geburt schon angemeldet wurden. Aus Dankbarkeit zu ihrem König hatte sie Eduard IV. außerhalb der Reihenfolge aufgenommen hatte.
An seinem achtzehnten Geburtstag bestieg Eduard IV den Thron des kleinen Landes mit dem seltsamen Namen Florenia. Es sollte nicht verwechselt werden mit dem sagenhaften Shangri La der Mythen. Florenia des Eduard IV war durchaus sehr diesseitig und in vielerlei Hinsicht vorbildhaft. Sowohl seine Mutter als auch seine beiden Brüder verneigten sich vor ihm. Auch sie erkannten ihn als ihren König an. Ein Bruder seines verstorbenen Vaters, sein Onkel stand ihm hin und wieder beratend zur Seite. Der junge Eduard war wie sein Vater beliebt beim Volke. Er scheute sich nicht, sich unerkannt unter die Bürger zu mischen, um deren Meinung zu erfahren. Er war auch ihr oberster Richter des Landes und fällte meist Urteile, die keine Sieger oder Verlierer hinterließen. Er wuchs in einem gesegneten Lande auf und mit einem allseitigen Wohlwollen, das ihn allerdings nicht träge werden ließ, sondern ihn unermüdlich anspornte, seinem Volke zu dienen.
Seine Mutter sah mit Besorgnis, dass ich eine große Zahl der weiblichen Dienerschaft oder deren weiblichen Angehörigen, sich ihm anbot und auf jedwede nur erdenkliche Art versuchte, in den Besitz des königlichen Erbguts zu gelangen. Eduard war nicht interessiert. War er generell nicht an einer Frau interessiert? Eine diesbezügliche Mitteilung der Weisen Frau hatte die Königin nie erhalten. Sie vertraute ihr. Vielleicht war nur noch nicht die richtige dabei, tröstete sich die Königinmutter. Wenn sie ihren Sohn daraufhin ansprach, zuckte er nur mit den Schultern. Dennoch machte sich Mama Sorgen.
Am letzten Samstag des ersten Monats eines jeden Jahres fand das traditionelle Defilee des diplomatischen Korps in der Residenz des Königs in Phila, der Hauptstadt, statt. Nur etwa zwei Dutzend Botschaften hatten sich in Florenia akkreditiert. Vielen schien das kleine Land zu bedeutungslos, um dort eine eigene diplomatische Vertretung zu errichten. So vertraten einige der tatsächlich ansässigen Botschafter oft mehrere Länder. Die Zahl der Botschafter war also überschaubar wie das kleine Land Florenia. Sie erschienen alle mit ihren schick gekleideten Gattinnen. Bislang hatte die Königinmutter den Empfang zelebriert. In diesem Jahr war es zum ersten Mal der junge König Eduard IV. Sein Onkel stand hinter ihm und nannte ihm den Namen des Botschafters und welches Land beziehungsweise welche Länder er vertrat. Das war keine schwierige Sache. Allerdings als der Botschafter von Kathun mit seiner Gattin vortrat, ereignete sich ein kleiner Zwischenfall. Als die Gattin des Botschafters dem König ihre Hand reichte, einen Hofknicks andeutete, bat sie mit deutlicher Stimme, bei der Tafel neben dem König Platz nehmen zu dürfen. Der König erwiderte ganz unkompliziert:
„Dann tun Sie es doch einfach!“
Die Sitzordnung war festgelegt. Rechts neben dem König saßen seine beiden Brüder und links seine Mutter. Als die Mutter ihren Platz von einer jungen hübschen Dame besetzt vorfand, lächelte sie und setzte sich neben den Botschafter von Kathun. Von dort konnte sie ihren Sohn auch gut beobachten. Als alle ihren Platz eingenommen hatten, sah Eduard seine Nachbarin neugierig an:
„Nun, was drängte Sie an meine Seite?“
„Entschuldigen Sie bitte meine Direktheit, Majestät! Mein Name ist Victoria und ich bin die Tochter des Botschafters von Kathun!“
„Nicht seine Gattin?“
„Nein, nicht seine Gattin. Meine Mutter ist krank, vermutlich Heimweh; sie ist in unser Kathun zurückgereist.“
Eduard wollte mehr wissen:
„Warum Victoria? Das klingt sehr britisch!“
„Wir waren einst britische Kolonie. Die Oberschicht unserer kleinen Inselwelt gibt sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit gerne britisch. Ich hätte lieber einen unserer bunten, melodiösen Vornamen bekommen. Leider sind sie nur schwer auszusprechen.
„Und was hält Sie in unserem Land?“
„Nun, mein Vater natürlich! Ich bin begeistert von Eurem Land, Majestät, und von all den Errungenschaften, die ich hier vorgefunden habe. Ein solch kleines Land und all diese großartige Lebensqualität; das muss man erst mal nachmachen!“
„Vielleicht ist es einfacher, ein kleines Land zu regieren, wo man fast schon das Wohl des Einzelnen im Auge haben kann und auf Wünsche kleiner Gruppierungen eingehen kann. Außerdem ist in unserer Verfassung niedergeschrieben, dass der König dafür zu sorgen hat, dass ein jeder in seinem Volk glücklich ist. Meines Wissens findet sich dieser Zusatz in keiner anderen Verfassung dieser Welt. Dennoch verlassen einige unser Land, weil sie unzufrieden sind. Wir halten niemanden auf. Oft studieren unsere jungen Leute im Ausland, fassen dort Fuß, verlieben sich unter Umständen und kehren nicht zurück. Andererseits möchten sehr viele Menschen in unserem Lande wohnen. Es existiert eine lange Warteliste, denn wir wollen keine Überfremdung und wir erwarten, dass Zuwanderer sich unseren Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen anpassen. Auch wollen wir die Zahl unserer Bevölkerung innerhalb enger Grenzen konstant halten. Andernfalls wird das Gleichgewicht zu unseren natürlichen Ressourcen durch zu viele Menschen gestört.“
Das Essen wurde serviert und unterbrach das Gespräch. Man wünschte sich allseits in unterschiedlichsten Sprachen ‚Guten Appetit‘. Eduard war seiner Tischnachbarn gegenüber sehr zuvorkommend. Er achtete darauf, dass ihr Wasser oder Wein nachgeschenkt wurde. Seine Mutter bemerkte es und registrierte es mit innerer Zufriedenheit. Immer wieder bei jeder besseren Gelegenheit stellte Victoria weitere Fragen. Der König schien nicht müde zu werden, ihre Fragen ausführlich zu beantworten. Er fügte witzige Wortspielereien in seine Antworten, sodass Victoria herzhaft lachen musste. All das entging der Königinmutter nicht. Als das Empfangsdinner ausklang, fasste Victoria noch einmal all ihren Mut zusammen und fragte, denn eine solche Gelegenheit wird sich ihr nie wieder bieten:
„Majestät, darf ich eine letzte Bitte äußern?“
„Aber gewiss doch! Sie waren mir eine angenehme Gesprächspartnerin.“
„Ich würde Sie gerne einmal begleiten, wenn Sie durch das Land reisen, um mit dem einfachen Volk zu reden!“ fragte sie mit charmanter Scheu.
Der Könige lachte:
„Sie wollen uns wohl in Ihrem Land kopieren? Natürlich wenn sie Herrscherin sind. Aber ich habe nichts dagegen, wenn sie mich begleiten. Ich kenne meine nächsten Termine noch nicht, aber sobald ich sie weiß, lasse ich Ihnen eine Nachricht zukommen. Einverstanden?“
Victoria deutete noch einmal einen eleganten Hofknicks an und bedankte sich mit eifrig roten Backen.
Schon bald ließ der König sie von seiner nächsten Unternehmung wissen. Er freute sich auf ihre Begleitung. Sie freute sich, dass der König Wort gehalten hatte und deutete dies als seine Wertschätzung. Darauf war sie stolz. Sie fuhren in die Berge, wo ein Staudamm erweitert werden sollte. Es war geplant, weitere Druckfallrohre einzuziehen, um die Stromerzeugung zu steigern. Einer der jüngeren Brüder leitete das Projekt. Victoria hatte ihn flüchtig während des Banketts kennengelernt.
Auf der Heimfahrt erklärte Eduard ihr die geologischen Besonderheiten dieser Region. Ein Fluss, der tief im Labyrinth des hohen Gebirges entsprang, teilte sich in zwei Arme, die das gesamte kleine Land Florenia umschlossen. Die beiden Arme des Flusses waren zugleich die Landesgrenzen. Mehrere Stauseen im Gebirge regulierten die Wassermassen, die im Frühjahr bedrohlich anschwollen und Überschwemmungen verursachten. Mehrere Kraftwerke versorgten das Land mit einem Überschuss an elektrischer Energie. Zudem führten die beiden Flussarme reichlich wertvolle Mineralien mit sich, die im Mündungsdelta die Landwirtschaft mit reichlich Dünger versorgten. Florenia war im wahrsten Sinne des Wortes ein gesegnetes Land.
Victoria war sehr angetan von dem, was sie zu sehen bekam. Sie fragte häufig nach, und bat dennoch um Vergebung für ihre vermeintliche Aufdringlichkeit. Eduard lächelte, sie fragte warum, bekam aber keine Antwort. Sie wurde unsicher und zog sich auf vertraute Positionen zurück, was man als diplomatische Kontakte bezeichnen konnte. Ihm erging es nicht anders, ihm gefiel ihre Nähe, konnte aber nicht so recht mit ihrem natürlichen Charme umgehen. Sie tasteten einander ab wie zwei Blinde.
Immer seltener war der König in der Öffentlichkeit ohne sie anzutreffen. In Gegenwart dritter nahm sich Victoria dezent geschickt zurück. Königinmutter versuchte sich Klarheit zu verschaffen, indem sie sondierende Fragen stellte, die aber stets unbefriedigend beantwortet wurden. Ein großes Rätselraten setzte ein. Nur der Zufall konnte Klarheit schaffen.
Während einer längeren Fahrt übers Land kam Victoria rein zufällig auf die weise alte Frau zu sprechen, deren Rat so viele im Lande einholten. Er gestand ihr, dass er selbst über einen längeren Zeitraum von ihr unterwiesen wurde. Viktoria bohrte nach, Eduard meinte, es seien nur sehr persönliche Belange gewesen. Sein Vater und später nach dessen Tod hätte seine Mutter darauf bestanden, dass er von den weisesten Männern des Landes unterrichtet werde. Näheres wollte er nicht preisgeben. Nach einer längeren Pause fragte sie:
„Hätte auch ich als Ausländerin eine Chance, sie aufzusuchen?“
„Natürlich! Sie ist für jeden da; allerdings sie ist sehr gefragt und die Wartezeit ist ziemlich lang!“ antwortete er. „Wenn Sie es wünschen, würde ich sie bitten, Sie vorzuziehen. Ich verehre sie und sie mag mich und die Art, wie ich dieses Land lenke.“
Victoria strahlte:
„Das würden Sie für mich tun?“
„Gewiss doch! Inzwischen sind Sie ja schon die Person, die mir am nächsten steht!“
Victoria strahlte, innerlich.
Von nun an besuchte sie sehr eifrig die alte weise Frau mit dem jung geblieben Herzen. Victoria hing förmlich an ihren Lippen und sog jedes ihrer Worte begierig auf. Sie wurde schweigsamer, überdachte ihr Leben. Worin bestand der Sinn ihres Lebens? Die alte Frau bat, mit niemandem über ihre Sitzungen zu sprechen, nicht weil diese geheim seien, sondern weil dadurch deren Gehalt verwässert und verwischt wird. Einzig und allein die Auswirkungen auf ihre Persönlichkeit waren von Bedeutung. Sie begann Dinge zu denken, die ihr bisher unbekannt waren. Sie lernte sich umfassender kennen. Sie empfand diesen Prozess wie eine Art Wiedergeburt und kehrte zurück zu den Quellen, zu ihren Quellen. Sie löste sich von den strengen Traditionen ihres Heimatlandes. Eduard bemerkte ihre Verwandlung. Doch auch gegenüber ihm schwieg sie. Eduard verstand sie, denn ihm erging es seinerzeit ebenso. Alsbald setzte langsam aber deutlich eine Neuorientierung ein. In dem Maße, wie alte Glaubenssätze erloschen, entstanden neue. Ein neues Gefühlsmuster verfestigte sich. Ihr neues Selbstbewusstsein löschte nicht das, was sich bewährt hatte. Ihr Respekt gegenüber anderen wuchs; mehr denn je vermochte sie aufmerksam zuzuhören, ohne dabei ihr Selbst hintanzustellen. Sie war eine Gleiche unter Gleichen. Sie spürte genau, wo sie Führung übernehmen sollte und wann sie sich zurücknehmen musste. Eine ganze Reihe an Geboten, die ihr als Frau auferlegt wurden, verblasste. Ihr neues Selbstbewusstsein als Frau war nicht kämpferisch oder gar aggressiv; ihre neue Weiblichkeit wurde allseits geschätzt. Man nahm sie ernst. Auch und gerade Eduard IV nahm ihre Veränderungen mit Freuden wahr.
Einmal, als er ihr bei einem Ausflug behilflich war, ein gefährliches Hindernis zu überwinden, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und hauchte einen Dank, ließ ihn aber nicht wieder frei. Er spürte ihren Atem in seinem Gesicht. Ihre Arme zogen sein Gesicht näher und näher. Ihr erster Kuss war unausweichlich und er dauerte ziemlich lange, gewissermaßen um all die bisher nicht geküssten Küsse nachzuholen. Als sie ihn dann doch beendeten sagte sie:
„Das musste einfach mal gesagt werden!“
Er stimmte zu:
„Das war seit langem überfällig!“
„Für gewöhnlich eröffnet der Mann auf diese Weise den Reigen!“ belehrte sie.
„Bei uns nicht! Bei uns wählt sich die Frau ihr Opfer und gibt im Kuss zu verstehen, ob sie es ernst meint oder nur spielen will. Ist man sich einig, dann wird was draus!“ belehrte er zurück.
Auf dem Rückweg gab es zahlreiche Unterbrechungen, weil sie ihr neues Frauenrecht ausprobieren und festigen wollte. Er hielt ihr stand. Das war ermutigend.
Königin Mutter bemerkte den Wandel bei ihrem Sohn. Sie meinte schlicht:
„Meine Güte, das hat gedauert! Ich glaube fast schon, ich würde es nicht mehr erleben!“
König Eduard IV erwiderte:
„Wenn sie um meine Hand anhält, hoffe ich, dass du sie ihr nicht verweigerst!“
„Ich hoffe, dass sie das bald tut! Ich nehme an, die ihr werdet zuvor darüber sprechen. Mein Einverständnis habt ihr. Dann hört endlich deine gelegentliche Nascherei bei der jüngeren weiblichen Dienerschaft auf.“ sagte die Königin in erziehungsberechtigtem Ton.
„Kamen Klagen?“ fragte ihr Sohn.
„Das nicht, aber es wurde getuschelt! Die Mädels sind ganz wild darauf, als deine Bademädchen eingeteilt zu werden!“
„Schließlich hast du diese Sitte eingeführt!“ erinnerte er seine Mutter.
Königinmutter murmelte etwas Unverständliches und beendete das Gespräch.
Die Qualität der Ausflüge des Königs mit Victoria änderte sich grundlegend. Sie sah sich plötzlich eingebunden in die Sitten und Gebräuche ihres Gastlandes. Die theoretische Stoffsammlung war vorüber. Sie fragte, um sich Gewissheit zu verschaffen:
„Wieweit gilt denn das Gebot der weiblichen Initiative?“
„Das gilt allumfassend für alle weiblichen Belange, insbesondere dann, wenn sie im weitesten Sinne Konsequenzen für die Frau haben könnten.“ erklärte er sachlich.
„Wie soll ich das jetzt verstehen?“ fragte sie nach.
„Ganz einfach! Den Kinderwunsch entscheidet eine Frau einzig und allein selbst, unabhängig von ihrem Partner. Auch über die Art der Beziehung zu einem Mann entscheidet sie.“ erklärte Eduard.
„Das heißt, eine Frau kann einen Mann wie ein Spielzeug benutzen?“
„Ja sicher! Das wird sie aber nicht, ihr Respekt verbietet das. Das Spiel muss aber beiden Seiten bekannt sein und beide müssen zugestimmt haben. Wenn sich aus irgendeinem Grunde, die Spielregeln ändern, muss das neu vereinbart werden.“
„Das klingt gut! Eine Frau kann zahlreiche Erfahrungen sammeln und sich letztendlich für den entscheiden, mit dem sie dauerhaft zusammenleben will. Ich nehme an, in eurem Land gibt es weniger Scheidungen?“
„Das ist richtig! Bei der Partnersuche spielen zahllose unbewusste Entscheidungen eine Rolle, sodass es schwerfällt, sich schon nach wenigen Versuchen Klarheit zu verschaffen. Wir wollten in unserem Land den ganzen Komplex der partnerschaftlichen Beziehungen entkrampfen. Das heißt nicht, dass nicht auch bei uns hin und wieder Tränen fließen.“
„Ich gestehe, dass mir diese Spielregeln gefallen; Ich gebe zu, durchaus nachahmenswert! Aber auch in gewisser Weise für mich ein Kulturschock. Denn auf vielen polynesischen Inseln erwarten die Frauen, dass sich der Mann sie sich einfach nimmt. Sein Temperament, das Maß seine Begierde überzeugt die Frau von ihrer Verführungskraft. Auch auf unseren Inseln von Kathun ist dies teilweise noch Brauch. Wenn ich mich entscheiden müsste…“
„Ja, wie würdest du dich entscheiden?“ fragte er spontan.
Sie zögerte:
„Ich glaube, ich würde eurem System den Vorzug geben…“
„Das ist gut so! Würdest du deine kathunischen Erwartungen auf unsere Verhaltensnormen anwenden, würdest du wohl unbeachtet bleiben.“ erklärte er ihr.
„Gut zu wissen!“ murmelte sie mehr für sich.
Die Tage zogen ins Land und nichts geschah, obwohl das Kusskonto ständig wuchs und sogar drohte überzuquellen.
Eines Tages wirkte Victoria äußerst nervös. Eduard bemerkte ihre Zerfahrenheit, eilte ihr aber nicht zu Hilfe. Während einer Rast in einem kleinen Restaurant im Mündungsdelta des großen Flusses ergriff sie seine Hand und die Initiative:
„Ich bewege mich jetzt auf unsicherem Terrain. Ich werde jetzt etwas tun, was ich noch nie getan habe. Ich habe Angst, Fehler zu machen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, etwas gegen die Angst zu tun, sie zu überwinden oder davonzulaufen. Ich habe mich für die erste Variante entschlossen, selbst wenn ich einen Fehler mache und alles vermassele. Ich nehme also all meinen Mut zusammen. Zumindest solltest du es wissen!“
„Du kannst keinen Fehler machen!“ beruhigte er sie.
Dennoch schlug sie die Augen nieder als sie begann:
„Glaubst du, deine Küsse gehen so spurlos an mir vorüber? Sie wirbeln mich kräftig auf und ich fühle und wünsche mir Dinge, die ich zuvor nur vom Hörensagen kannte. Ich kann kaum noch mein Beben unterdrücken. Meine Knie werden weich, nur meine Arme, um deinen Hals geschlungen, bewahren mich vor dem Niedersinken. In mir wachsen Wünsche, Begehren, Verlangen, welche auch nach dem Ende unseres Kusses nicht verschwinden. Ich fürchte diese unbändige Macht, und ich begrüße diese Macht mit großer Freude. In mir geht es drunter und drüber. Ich bin nicht mehr Herr beziehungsweise besser Frau meiner Stimmungen.“
Sie schwieg und sah unentwegt zu Boden. Eduard zog sie in seine Arme und raunte in ihr Ohr:
„Glaubst du, mir geht es um einen Deut anders?“
Sie sah ihn an:
„Und warum sagst du nichts?“
„Du musstest den ersten Schritt tun! Ich wollte dich nicht bedrängen…“
„Mir fällt ein riesiger Felsbrocken vom Herzen! Aber was soll denn nun geschehen?“
„Ich werde mit meiner Mutter sprechen?“
„Du musst deine Mutter fragen? Ist das etwa auch ein Brauch deines Landes?" sie klang entsetzt.
Eduard lachte:
„Nein, das ist es nicht! Aber meiner Mutter unterstehen die Bademädchen. Sie teilt sie ein, wer mich im Badehaus aufsuchen und mir dienen darf. Ich werde meiner Mutter sagen, sie soll keines der Mädchen einteilen und stattdessen dich zulassen, weil ich es so will! Außerdem hat sie wirksame Methoden, um gegen das Getuschel vorzugehen!“
„Ich wusste gar nicht, dass dich Bademädchen bedienen. Ist da nicht die Versuchung groß?“
Eduard lachte und schüttelte den Kopf:
„Mutter denkt, wenn sie ein Tuch oder Schleier um die Hüfte tragen, sei ich geschützt!“
„Wahrhaftig, eine fürsorgliche Mutter!“ lachte jetzt auch Victoria aus vollem Herzen. „Ich werde jedenfalls keinen Schleier um die Hüften tragen!“
„Das will ich aber auch schwer hoffen!“ kommentierte Eduard ihre Absicht.
„Und du hast keine Angst, deswegen nicht mehr geschützt zu sein?“ fragte sie mit ernster Miene.
„Dieses Risiko werde ich wohl eingehen müssen!“ antwortete er mit ebenfalls tapferer Miene.
Königinmutter musste nicht lange überzeugt werden. Rasch gab sie ihre Anweisungen und ertrug tapfer das Gemaule der bereits ausgewählten Mädchen. Sie sah die beiden an und sagte:
„Meine Güte, wie schmutzig ihr beiden seid. Dann mal rasch ins Badehaus.“ riet sie den beiden verständnisvoll.
Wortlos eilten sie davon. Das Badehaus wurde von einer heißen, unterirdischen Quelle gespeist, das Wasser roch etwas nach Schwefel. Eine schwere Last fiel von ihren Schultern. Sie küssten sich. Von nun an hatten sie keine Eile mehr. Victoria sah sich um, denn sie war hier noch nie Die Wände waren mit altertümlichen Mosaiken geschmückt. Sie zeigten verschiedene Bademotive. Auf einem steinernen Tisch standen verschiedene Schalen mit aromatischen Ölen, die durch Kerzen erwärmt wurden. Neben einem Lager zur Ruhe und Erholung standen zwei Kandelaber mit brennenden Kerzen. Am Beckenrand standen verschiedenfarbigen Violen mit Badesalzen, Badezusätzen und Reinigungsessenzen. selbst eine frisch bezogene Massagebank war vorhanden.
„Wie kann ich dir behilflich sein?“ fragte der König.
Victoria sah ihn entgeistert an:
„Vermutlich wollen wir ein Bad nehmen, und ein Bademädchen will ich nicht sein. Ich erwarte, dass du Hand anlegst!“
„Siehst du, das habe ich noch nie getan. Die Bademädchen haben halbnackt das Bad betreten oder warteten bereits auf mich. Sie haben mich ausgezogen!“
„Ich wünsche mir, dass du mich ausziehst – ganz! Ich werde dir helfen. Beginne bei meiner Bluse!“
Eduard begann, sie langsam aufzuknöpfen. Ihm zitterten etwas die Hände. Sachte nahm er die Bluse von ihrer Schulter. Sie führte seine Hand zum Reißverschluss des Rocks auf ihrer Rückseite. Er löste auch die beiden Häkchen, war sich unsicher, ob er den Rock nach oben über den Kopf oder nach unten ziehen sollte. Sie deutete nach unten und stützte sich auf seiner Schulter ab, als sie aus dem Rock heraustrat.
„Zieh‘ mir bitte auch gleich die Schuhe und die Strümpfe aus.“ Sie stützte sich dabei auf seine Schulter.
„Darf ich dir auch deine schicke Unterwäsche entwenden?“ fragte er mutig.
„Nein, noch nicht! Jetzt bist du dran und bei mir ist es genauso, du bist auch der erste Mann, den ich ausziehe.“
Sie stellte sich dennoch etwas geschickter an. Sie ließ ihm nur das letzte Kleidungsstück, legte ihre gemeinsamen Sachen auf eine Bank. Sie küssten sich befreiter.
„Es steckt eine gewisse Symbolik im Entkleiden. Zunächst hast du meine Oberbekleidung geraubt aber meine Unterwäsche respektvoll belassen. Ich tat das Gleiche; du beherrschst die geheime Kunst des Entkleidens intuitiv. Das imponiert mir; ich werde jetzt meinen BH und meinen Slip ablegen, und das tue ich mit besonderem Vergnügen. Ich möchte, dass du es mir gleich tust, damit wir einander ebenbürtig sind.“
Sie taten es und er fand großen Gefallen an ihr und sie fand großes Gefallen an ihm. Er griff nach ihren beiden Händen und zog sie zu sich, fest an sich. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und küssten sich ausgiebig. Ihre Körper drängten sich aneinander. Er führte sie Stufen hinunter ins Badebecken. Das Wasser war sehr warm, sodass sie nur langsam, Stufe für Stufe, hinunter schreiten konnten. Der Beckenboden verlief etwas schräg, und sie suchten sich eine passende Tiefe, wo sie sich niederlassen konnten. Sie schmusten und planschten miteinander. Victoria wählte ein Flakon mit einer Waschlotion. Sie wuschen einander sehr gründlich. Sie hatten beide keine Probleme, ersten engeren Körperkontakt zuzulassen. Ihre Hände hatten überall Zutritt. Sie übertrieben es sogar und hatten ihre Freude dabei. Nachdem Reinigungsbad duschten sie gemeinsam, um den leichten Schwefelgeruch loszuwerden. Sie trockneten einander gründlich ab. In Badetücher gehüllt, legten sie sich zur Ruhe nieder. Doch aus der Ruhe wurde nichts. Ihre Streicheln und Küssen entfachte erneut ihr Feuer, bis es hell aufloderte.
„Ist es das erste Mal für dich?“ fragte er.
Victoria schüttelte den Kopf:
„Nein, das ist es nicht! Es war nur nicht so, dass ich mich gerne daran erinnere. Wir kennen in unserem Land nicht das behutsame Heranführen der jungen Leute, Jungen und Mädchen nicht, so wie bei euch. Aber du bist jung… Ist es das erste Mal für dich?“
Eduard schüttelte den Kopf:
„Nein, es ist auch nicht das erste Mal für mich. Aber auch bei mir wurde das Erwartete nicht erfüllt. Sicher, wir werden behutsam angeleitet. Bei mir war es eine sehr hübsche, einfühlsame Frau. Sie war deutlich älter als ich und recht erfahren. Sie bemerkte, dass ich danach enttäuscht und traurig war. Sie lächelte und erklärte mir, dass wenn keine Liebe im Spiel ist, auch kein euphorisches Glücksgefühl erwächst. Das sei ganz natürlich und ein deutlicher Hinweis darauf, dass ich normal und gesund empfinde. Auf keinen Fall solle ich mich entmutigen lassen. Meine Mutter hatte schon für meinen Vater immer mal wieder Bademädchen organisiert. Ich verstand es später warum, sie wollte, dass die Mädchen ihn bereits vorglühen, damit er dann auf sie, meine Mutter, mächtigen Appetit kommt. Den Mädchen war es streng untersagt, sich ihm anzubieten. Sie versuchten es dennoch immer wieder, wurden dann aber konsequent aus der Dienerschaft entfernt. Mutter kontrollierte sogar, ob die Lendentücher fest und sicher saßen. Als mein Vater starb und ich ein gewisses Alter erreicht hatte, setzte sie diesen Brauch fort. Die Mädchen kicherten oft, wenn sie bemerkten, dass sie mich erregten.“
Victoria unterbrach ihn:
„Und hattest du nie den Wunsch, deine Erregung auszuleben?“
„Nicht so recht… ich genoss aber dieses Gefühl!“
Victoria sah ihm die Augen:
„Jetzt bist du auch erregt! Genießt du es jetzt auch?“
Eduard nickte: „Ja sehr!“
„Ich auch! Und ich wünsche mir so sehr, dass du jetzt mit mir, deine Erregung auslebst!“
Wir überlassen unser Paar ihrer ersten intensiven Begegnung sich selbst, der noch viele folgen sollten in. Vieles änderte sich. Ihre Virtuosität nahm im Laufe der Zeit zu, sodass alsbald eine höchst zufriedene Königinmutter dem Volk von Florenia die Vermählung ihres Sohnes mit der Tochter des Botschafters von Kathun bekannt gab. Die darauffolgenden ausgiebigen Feierlichkeiten musste das junge Brautpaar über sich ergehen lassen. Es gelang ihnen immer wieder, sich dem Trubel zu entziehen und sich einander zuzuwenden. Königinmutter hatte dafür Verständnis und war stets bereit, eine plausible Erklärung über die Abwesenheit des Königspaares verlauten zu lassen. Ohne Groll ahnte sie bereits, dass nunmehr ihr insgeheimer Einfluss auf ihren Sohn schwinden wird und damit auch ihr Einfluss auf die Geschicke des Landes. Victoria erriet ihre Gedanken und holte öfter den Rat ihrer Schwiegermutter ein. Dadurch erhielt sie ihr Wohlwollen.
Das reichhaltige, fast schon opulente Liebesleben des jung vermählten Ehepaares war der Höhepunkt eines jeden Tages. Nur selten wurde es suspendiert, beispielsweise wenn hohe Staatsbesuche anstanden und abendliche Arbeitsessen eingeplant waren. Dann war das junge Königspaar anwesend. Victoria hatte schon reichlich Erfahrung auf dem diplomatischen Parkett und betreute meist die Gattinnen der Staatsbesucher. Mit Charme und Fingerspitzengefühl überwand sie auch so manche dem Protokoll entgleitende Vorkommnisse.
Königin Mutter beobachtete mit großem Wohlwollen die Veränderungen an ihrem Sohn, seitdem er verheiratet war. Dass sie nun einen Sohn weniger hatte, auf den sie Einfluss hatte, störte sie nicht weiter. Eduard wirkte reifer, männlicher aber auch ausgeglichener und vor allem sehr viel glücklicher als je zuvor. Das deutlich sichtbare Liebesglück der beiden schien kein Ende nehmen zu wollen. So blieb es nicht aus, dass das gewisse Virus auf sie übersprang und auch sie infizierte. Gewiss, sie war schon etwas reifer, aber ihr Alter hatte ihrem attraktiven Aussehen nichts anhaben können. Sie war seit etlichen Jahre Witwe und das wollte sie ändern. Das Virus war äußerst virulent und bekam ihr gut. Sie zog sich mehr und mehr aus den Alltagsgeschäften als noch Herrschende zurück, verließ jetzt sehr viel öfter ihre Residenz und reiste übers Land. Sie war beliebt beim Volk und fand überall freundliche Aufnahme.
Doch auf einem noblen, fortschrittlichen Landgut am Rande des Gebirges schlug dann unerwartet und nicht minder eindrucksvoll der Blitz ein. Der Herr und Besitzer dieses landwirtschaftlichen Anwesens war vollkommen aus dem Häuschen und erfreut über den hohen Besuch. Natürlich bot er seine uneingeschränkte Gastfreundschaft an. Allerdings, erklärte er zu seinem Bedauern, er sei nicht mehr in der Lage, seinem hohen Gast höchstpersönlich durch seine blühenden Landschaften zu führen. Er gebot seinem ältesten Sohn, sein bestes Pferd vor den leichten zweirädrigen Wagen zu spannen, und die Königin zu begleiten, um ihr seinen ganzen Stolz, sein wohl bestelltes Anwesen, zu zeigen. Paul, sein Sohn, freute sich über die Ehre, die ihm zuteilwurde. Er war ein großer, jungenhafter, schlanker Mann mit einem dichten blonden Haarschopf. Galant war er der Herrscherin behilflich, das etwas wacklige Gefährt zu besteigen. Munter trabte das Pferdchen los entlang wogender Felder, kleinen Bewässerungsteichen, Schatten spenden Baumgruppen, schier endlosen Weinhängen und zahllosen Obstbäumen. In der Nähe L-förmig angeordneter Bienenkörbe ließ Paul das Pferd anhalten. Das Gesumme der fleißigen Insekten war bis zu ihnen hinüber zu hören. Er wolle nur kurz nach dem Rechten sehen, erklärte Paul. Die Königin wollte ihn begleiten; ihr war von dem Geschaukle etwas schwindlig und sie wollte sich die Füße vertreten. Paul warnte sie vor den Bienen; sie könne sich eventuell falsch verhalten, versuchen die Bienen zu verscheuchen und sie dadurch gegen sich aufbringen. Bienenstiche seien sehr schmerzhaft. So blieb sie zurück. Paul schlüpfte aus seinem Hemd. Verdutzt sah sie ihn an:
„Aber die Bienen… Ist das nicht gefährlich?“
Paul lachte fröhlich:
„Wenn sie in mein Hemd fallen, geraten sie in Panik, weil sie nicht fliehen können und stechen. Mit bloßem Oberkörper signalisiere ich meine Friedfertigkeit und alle verhalten sich bloß neugierig!“
Als er dann so langsam und mutig den hunderten brausenden Bienen entgegenschritt, da geschah etwas Urplötzliches mit ihr. Ganz unvermittelt stürmten in wildem Fluge die Schmetterlinge in ihrem Bauch, die sich so lange ruhig verhalten hatten und jetzt gänzlich unerwartet ihren Winterschlaf beendeten. Ihre Blicke glitten über seinen leicht gebräunten Oberkörper, sein dichtes, blondes Haar und die eng sitzende Hose. Sie biss sich fast schmerzhaft auf die Unterlippe und atmete tief durch. Eine Welle des Glücks durchflutet ihren ganzen Körper. Paul wehrte keine einzige Biene ab. Mit sicherer Hand löste er einige Waben aus den Stöcken und untersuchte sie. Jede seiner Bewegungen tat er langsam, ohne Hast, wie nach einer einstudierten Choreografie. Das verlieh der Szene etwas Sakrales. Königin Eleonore saß ganz fasziniert erstarrt. Paul kehrte zurück; noch umschwärmten ihn ein paar Bienen, ließen dann aber von ihm ab. Er tätschelte seinem Pferdchen zärtlich den Hals. Es schnaubte freundlich zurück. Er zog sich sein Hemd wieder über. Mit einem freundlichen Holla setzten sie ihre Fahrt fort. Eleonore sog tief seinen Geruch ein.
„Ihr Vater hat mir angeboten, für ein paar Tage Ihr Gast zu sein. Hätten Sie etwas dagegen?“ sondierte sie.
„Nein, ganz und gar nicht! Warum sollte ich? Sie sind gewiss ein freundlicher, angenehmer Gast, mit dem man sich angeregt unterhalten kann. Ich jedenfalls freue mich! Wissen Sie, ich komme nur selten mit gebildeten Leuten in Kontakt. Die Landarbeiter sind einfache Leute, die nur während der Saison anwesend sind. Sie verstehen etwas von ihrem Handwerk, aber sie sind nicht belesen. Mit Ihnen zu reden, wird gewiss unterhaltsamer sein.“
„Das will ich doch hoffen! Aber da ist noch was anderes; ich möchte sie auch bitten, mir Gesellschaft in meinem Bett zu leisten. Allerdings sollten sie nur zustimmen, wenn auch sie das möchten!“
Paul wandte sich ihr zu; das Pferdchen kannte ohnehin seinen Weg und trabte munter weiter. Er lachte sie freundlich an:
„Das ehrt mich! Ich schwärme für reifere Damen mit Erfahrung, die aufrichtig und direkt sind. Ich bin weniger erfahren in der Liebe, vielleicht für Sie sogar enttäuschend. Ganz unerfahren bin ich nicht. Ich freue mich riesig, dass Sie mir die Ehre erweisen!“
Paul sah sie strahlend an. Sie lächelte charmant und vielsagend, bevor sie antworteten:
„Ich freue mich, dass ich in einem Land lebe, wo ich ganz unverstellt und unmissverständlich einem jungen Mann sagen kann, dass ich ihn begehre. Es kam ganz plötzlich über mich und ich fühlte, was ich für längst beendet hielt. Das macht mich sehr glücklich; es fühlt sich an, als sei ich einem Jungbrunnen entstiegen.“
Sie legte ihren Arm um seine Schulter. Paul musste die Zügel in der Hand behalten, sonst hätte er sie umarmt. Doch als er ihr bei der Ankunft auf dem Gutshof beim Aussteigen half, da fiel sie ihm um den Hals und sie küssten sich herzhaft. Eleonore konnte keinen Bissen herunter schlucken, obwohl die Mahlzeit zwar einfach aber hervorragend schmeckte. Sie war zu sehr aufgeregt. Sie sagte zu ihrem Gastgeber, dass sie müde sei und früh zu Bett gehen wolle. Der alte Herr lächelte still in sich hinein.
Paul erschien pünktlich, duftend und frisch geduscht. Er war etwas nervös und unsicher angesichts seiner Aufgabe: er der Unerfahrene und sie die ältere Erfahrene mit gewiss hohen Ansprüchen. Eleonore, die Königin, begriff sofort und schritt ein. Sie übernahm die Führung und leitete ihn in die richtigen Bahnen. Sie fanden zueinander und verbrachten