Erst die Hochzeit, dann die Liebe - Shira Anthony - E-Book
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Erst die Hochzeit, dann die Liebe E-Book

Shira Anthony

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Beschreibung

Als der mittellose Schriftsteller Chris Valentine bei einer seiner Lesungen den millionenschweren Firmenerben Jesse Donovan kennenlernt, ist er eigentlich eher an einem Buchvertrag interessiert. Nie hätte er erwartet, dass Jesse ihm innerhalb kürzester Zeit einen Heiratsantrag macht. Jesse kann sein Unternehmen nämlich nur behalten, wenn er heiratet, und so schlägt er Chris einen Deal vor: Wenn dieser ein Jahr lang in Jesses Landhaus wohnt und seinen Ehemann spielt, winkt ihm ein Scheck über eine Summe, die er sich nicht mal im Traum vorstellen kann. Was sich anfangs wie das perfekte Arrangement angehört hat, wird jedoch zunehmend zu einer unerwarteten Herausforderung, da Chris sich immer mehr zu Jesse hingezogen fühlt, der die Zuneigung allerdings nicht erwidert. Oder nicht erwidern kann? Band 2 der BELOVED-Romantikreihe. Buch ist in sich abgeschlossen.

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Seitenzahl: 307

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Deutsche Erstausgabe (ePub) Dezember 2016

Für die Originalausgabe:

© 2016 by Shira Anthony

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»First Comes Marriage«

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2016 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

beloved ist ein Imprint des Cursed Verlags

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

ISBN ePub: 978-3-95823-621-9

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Aus dem Englischen von Anne Sommerfeld

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem den Autor des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber seiner Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane des Autors und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

Klappentext:

Als der mittellose Schriftsteller Chris Valentine bei einer seiner Lesungen den millionenschweren Firmenerben Jesse Donovan kennenlernt, ist er eigentlich eher an einem Buchvertrag interessiert. Nie hätte er erwartet, dass Jesse ihm innerhalb kürzester Zeit einen Heiratsantrag macht. Jesse kann sein Unternehmen nämlich nur behalten, wenn er heiratet, und so schlägt er Chris einen Deal vor: Wenn dieser ein Jahr lang in Jesses Landhaus wohnt und seinen Ehemann spielt, winkt ihm ein Scheck über eine Summe, die er sich nicht mal im Traum vorstellen kann. Was sich anfangs wie das perfekte Arrangement angehört hat, wird jedoch zunehmend zu einer unerwarteten Herausforderung, da Chris sich immer mehr zu Jesse hingezogen fühlt, der die Zuneigung allerdings nicht erwidert. Oder nicht erwidern kann?

Für Martin Brodour.

Ich vermisse deine Güte, deinen Humor, dein Talent und deine Freundschaft jeden Tag. Dein Happy End nahm ein viel zu frühes Ende, aber als meine Inspiration wird es immer weiterleben.

Ich werde dich immer im Herzen tragen.

Danksagung

Danke, Poppy, dass du mich dazu ermutigt hast, über den

Tellerrand zu schauen und diese Geschichte zu schreiben.

Du hattest recht, Liebes, es war ein Riesenspaß!

Kapitel 1

Chris Valentine atmete tief ein, als die Menge seiner zweiten Lesung applaudierte. Alle Plätze waren besetzt und am Ende des Raumes stand etwa ein Dutzend Menschen, während er und die beiden mitwirkenden Autoren aus ihren Büchern vorlasen. Nun, da die Schar angefressener Schmetterlinge in seinem Bauch endlich den Geist aufgab, hörte er endlich auf, daran zu denken, wie die Lesung verlaufen war, und konzentrierte sich auf seinen immer stärker werdenden Hunger.

Chris hatte aufgehört zu zählen, wie oft er im Baker's Literary Café schon aus seiner Sci-Fi/Fantasy-Trilogie vorgelesen hatte, aber dieses Mal war er ein nervöses Wrack gewesen. Sein aktuelles Werk, Venturing Backward, war ganz anders als alles, was er bisher geschrieben hatte. Bis jetzt hatte er es noch nicht einmal seiner Mitbewohnerin Val gezeigt. Warum er, der Eingebung des Augenblicks folgend, eine kurze Passage daraus vorgelesen hatte, konnte er nicht erklären. Er war nie sonderlich risikobereit gewesen.

»Ihre Lesung war wunderbar.« Die Frau, die in der ersten Reihe gesessen hatte, streckte ihm die Hand entgegen. »Rhonda Wexler.« Ihre feuerroten Locken hüpften auf ihren Schultern, während sie ihn mit schwarz bemalten Lippen ansprach. Hinter ihr hatte sich eine kleine Gruppe von Fans gebildet, die geduldig darauf warteten, Chris zu begrüßen. Zwischen den bekannten Gesichtern, die sich jeden Dienstag zur Lesung einfanden, fielen ihm auch einige Unbekannte auf.

Lächelnd schüttelte er Rhondas Hand. Die Berührung half, die restliche Spannung aus seinem Körper zu lösen. »Es freut mich, Sie kennenzulernen, Rhonda.«

»Ich hab den ersten Band der Reihe gelesen, als Sie ihn kostenlos angeboten haben. Werden Sie den Rest selbst verlegen oder denken Sie daran, den Roman an einen der New Yorker Verlage zu verkaufen?«, fragte Rhonda, während sie ihm ihre Karte reichte und dabei von einem Fuß auf den anderen wippte.

»Ich habe ein paar Verlage angeschrieben«, antwortete er. »Aber bisher hatte ich noch kein Glück.« Das erste Buch hatte bei Amazon keinen schlechten Start hingelegt, aber außerhalb seiner wachsenden und treuen Fangemeinde hatte es kaum Beachtung gefunden. Von den Tantiemen konnte er kaum seine Miete bezahlen.

»M-Mr. Valentine?«, fragte jemand hinter ihm. Chris drehte sich um und reichte dem Neuankömmling die Hand. »Jesse Donovan.«

Nach einer kurzen Musterung fragte Chris sich, ob Jesse zur Lesung eines anderen Autors gekommen oder versehentlich in das falsche Café gestolpert war. Mit seinen rotbraunen Haaren, dem leichten Bartschatten auf den Wangen und seiner Körpergröße wirkte er in diesem Meer aus Goth und Steampunk vollkommen fehl am Platz. Er trug ein frisch gebügeltes Hemd, dazu ein Jackett und ein Paar Jeans, das ihm wie angegossen passte. Die strahlend blauen Augen, die ihn hinter der dunkelrot gerahmten Brille musterten, beschleunigten Chris' Puls.

»Freut mich, Jesse.«

Chris war von dem Unbehagen, das kurz in Jesses Augen aufblitzte, überrascht, doch es verschwand, als Jesse ihm mit festem Druck die Hand schüttelte. »Sie haben heute Abend geglänzt«, sagte Jesse, während er die Brille von der Nase nahm und in seine Jackentasche steckte. »Mir hat besonders Ihr neuer Roman gefallen.«

»Da sind Sie vielleicht der Einzige«, witzelte Chris. Er hatte nicht erwartet, dass sein neuer Roman unter seinen Lesern auf Begeisterung stoßen würde, weshalb er von dem höflichen Applaus nicht enttäuscht gewesen war. Magischer Realismus mochte im Literaturbetrieb beliebt sein, aber es war nicht der Stoff, der Fantasy-Leser begeisterte.

»Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe Ihre Valhron Chronicles, aber das neue Werk…«, erwiderte Jesse begeistert und schenkte Chris ein warmes Lächeln. »… ist etwas Einzigartiges. Ich kann kaum erwarten, es zu lesen, wenn es fertig ist.«

Es war offensichtlich, dass Jesse seine Romane wirklich gelesen hatte, und das machte Chris nur noch neugieriger. »Danke.«

Jesse zögerte einen Augenblick, bevor er sagte: »Ich würde gern helfen, Ihre Arbeit den richtigen Leuten in die Hände zu geben.« Er reichte Chris seine Visitenkarte. »Rufen Sie mich an. Wir können uns auf einen Kaffee treffen, oder was immer Ihnen recht ist.«

»Danke.« Jesse war also der Agent, der den Gerüchten zufolge der Lesung beiwohnen würde. Chris würde sein Angebot auf jeden Fall annehmen, selbst wenn er dabei nur in Erfahrung bringen sollte, wie er Zugang zur New Yorker Verlagsszene bekommen konnte.

Zwei Frauen in viktorianischen Alltagskleidern schoben sich vehement durch die Menge und stießen direkt mit Jesse zusammen. Chris packte seinen Arm gerade noch rechtzeitig, um einen Sturz zu verhindern, und der schwache Duft von Bergamotte und Zitrone von Jesses Parfüm stieg ihm in die Nase, als Jesse Halt suchend nach seiner Schulter griff. Ihre Blicke trafen sich und in Jesses Augen blitzte so etwas wie Überraschung auf. Unterschwellig wünschte Chris sich, dass Jesse kein Agent war und die Einladung zum Kaffee nicht dazu gedacht war, etwas Geschäftliches zu besprechen.

»Entschuuuldigung«, sagte eine der Frauen kichernd.

»Kein Problem«, erwiderte Jesse. Hastig richtete er sich auf und nahm seine Hand von Chris' Schulter.

»Carmine hat sich so darauf gefreut, Sie kennenzulernen«, plapperte die andere Frau drauflos. »Sie hat ein bisschen zu sehr gedrängelt.« Vollkommen sprachlos starrte Carmine Chris an.

»Dann überlasse ich Sie mal Ihren Verehrerinnen«, sagte Jesse. Ein Grinsen umspielte seine Mundwinkel. »Rufen Sie mich an, wenn Sie Zeit haben.« Dann verschwand er in der Menge, ehe Chris sich bei ihm bedanken konnte.

***

Zwei muskulöse Arme umschlangen Chris in einer festen Umarmung, kaum, dass er durch die Wohnungstür getreten war. »Du hast es gerockt!«, rief Terry, während er Chris so fest an seine Brust drückte, dass Chris sich dagegenstemmen musste, um Luft holen zu können.

»Terry, Alter. Du weißt, dass ich dich liebe, aber…«

»Val hat es auch gefallen«, sagte Terry und entließ Chris aus seinem Schraubstockgriff. Er lächelte seine Verlobte an, die gerade mehrere Pizzen auf dem Küchentisch verteilte.

Val schenkte Chris durch ihre langen Strähnen hindurch ein Lächeln und nickte. »Es war wunderbar, Chris. Ich hab schon befürchtet, dass ich Terry festketten muss«, sagte sie mit einem Laut, der irgendwo zwischen einem Schnauben und einem Kichern lag. »Er war so aufgeregt, als du an der Stelle mit dem verschwundenen Magier warst, dass ich Angst hatte, er würde gleich durchdrehen.«

»Ich hätte nie erwähnen sollen, dass du meine Inspiration für ihn warst.« Mit gespieltem Ekel schüttelte Chris den Kopf. »Du bist schon eingebildet genug.«

»Du musst es als das akzeptieren, was es ist«, antwortete Terry breit grinsend. »Die Bestätigung meiner unermesslichen Großartigkeit als Mitbewohner.«

»Mehrzahl, bitte«, korrigierte Val.

»Die besten Mitbewohner aller Zeiten«, stimmte Chris zu. »Vor allem, da ihr mich bis jetzt noch nicht rausgeworfen habt.«

»Gerüchten zufolge soll heute Abend ein superheißer Agent da gewesen sein.« Val schnappte sich ein Stück Peperonipizza.

»Stimmt.« Chris zog Jesses Visitenkarte aus seiner Tasche und wedelte damit herum.

»Das war Mr. Groß, Rotbraun und Attraktiv?«, fragte Val, während sie ihm die Karte aus der Hand riss. »Dieser hinreißende Mann, mit dem du dich unterhalten hast, bevor dich die Steampunkschwestern nicht mehr in Ruhe lassen wollten?«

»Jap. Er hat gesagt, dass er Kontakt mit jemand…«

»Halt, halt. Der Kerl ist kein Agent«, sagte Val. In ihren geweiteten Augen spiegelte sich Erkenntnis, als sie sich die Karte genauer ansah.

Chris warf Terry einen fragenden Blick zu, der jedoch nur mit den Schultern zuckte. »Was?«, fragte Chris mit gerunzelter Stirn, als er von seiner Pizza abbiss.

»Dieser Jesse Donovan ist der Geschäftsführer von Windview Enterprises«, sagte Val, als müsste der Name irgendeine Form der Erkenntnis in ihm hervorrufen.

»Nie von ihm gehört.«

»Ernsthaft? Er war letztes Jahr auf dem Cover der New York View. Du weißt schon, die alljährliche Ausgabe Die Begehrtesten Junggesellen? Sie war an allen Zeitungsständen.«

Chris brach in lautes Gelächter aus. »Weißt du, nur, weil ich schwul bin, kralle ich mir noch lange nicht jedes Schundblatt mit einem gut aussehenden Mann auf dem Cover.«

Val errötete. »Ich hab nicht… Ich meine… es ist nicht, weil –«

Schnaubend gab Terry Chris ein High-Five. »Er ist schwul, Val. Das heißt nicht, dass er seine Wand mit Bildern von heißen Typen tapezieren will.« Er grinste Val an und fügte hinzu: »Außerdem solltest du wissen, Val, dass ich mich an ein Chris-Pine-Poster erinnern kann, das du im College über deinem Bett…«

»Halt die Klappe.« Val schubste Terry, der zur Seite fiel, auf der Couch landete und lachte, bis er husten musste.

»Gib's zu«, sagte Terry keuchend. »Der Kerl ist genau dein Typ.«

Terry hatte nicht ganz unrecht. Jesse entsprach exakt dem Typ Mann, mit dem Chris gern ausging: groß und athletisch, selbstbewusst, aber nicht arrogant. Nicht, dass Chris an mehr als einem One-Night-Stand interessiert wäre. Im Land mochten zwar gerade alle der Heiratswut verfallen sein, aber er hatte ganz sicher kein Interesse an einem weißen Lattenzaun und einer Horde Kinder.

»Und total hetero«, warf Val ein und schüttelte den Kopf. »Er war gerade auf allen Klatschseiten. Hatte irgendwas mit so einer Erbin. Freunde an meiner Schule haben Wetten über ihn laufen. Sie sagen, dass er sie heiraten wird.« Val schnaubte. »Ich hab hundert Dollar gewettet, dass er Single bleibt.«

Als Terry mit den Augen rollte, bedachte Val ihn mit einem weiteren bösen Blick.

»Was macht Windview Enterprises eigentlich?«, fragte Chris neugieriger, als er zugeben wollte. Es interessierte ihn nicht, womit Jesse Donovan Berühmtheit erlangt hatte, aber er wollte die Gelegenheit nutzen, mehr über ihn zu erfahren.

»Jachten«, antwortete Val. »Richtig große. Du weißt schon, die, auf denen Filmstars in ihren winzigen Bikinis rumspringen?«

Na klar.

»Und Hotels«, fuhr Val fort. »Spitzenresorts in der Karibik, so was eben. Oh, und sie besitzen eine Handelsgruppe, die Öltanker baut.«

»Woher weißt du das alles?«, fragte Chris.

»Aus dem People Magazin.« Während Val rot anlief, bedachte Terry sie mit einem fragenden Blick. »Na ja, irgendwas muss ich ja lesen, wenn ich mit der U-Bahn fahre.«

»Nicht gerade typische Kost für eine angehende Doktorin in Literatur des 19. Jahrhunderts«, sagte Chris.

»Wirst du ihn anrufen?«, fragte Terry gähnend.

»Warum nicht? Selbst wenn er kein Agent ist, kann er mich vielleicht einem vorstellen.« Chris nahm Val die Karte wieder ab und ließ sie zwischen seinen Fingern kreisen. Erst jetzt fiel ihm die handgeschriebene Nummer und die darunter gesetzte Notiz auf der Rückseite auf: Privates Handy.

»Willst du noch ein Stück?«, fragte Val.

Chris schüttelte den Kopf. »Ich bin erledigt. Und ich soll morgen die Nachmittagsschicht übernehmen.« Er sammelte die Teller ein und ging in Richtung Küche.

»Du wirst mir hinterher alles erzählen, richtig?«, fragte Val, als sie ihm mit dem Abwasch half.

»Na klar«, sagte Chris lachend. »Wahrscheinlich ist er ein Arsch.«

»Noch besser«, antwortete sie grinsend. »Ich werde dich dran erinnern.«

Kapitel 2

Drei Tage später trafen sich Chris und Jesse zum Mittagessen in einem winzigen vegetarischen Restaurant im East Village. Es war wärmer geworden, nachdem sich der Winter mit einem letzten Hauch verabschiedet hatte, und an den Bäumen ließen sich bereits die ersten Anzeichen des Frühlings erkennen. Die Straßen Manhattans waren voller Menschen, die sich die ersten warmen Sonnenstrahlen nicht entgehen lassen wollten, und der Hauch von Autoabgasen mischte sich mit dem vielversprechenden Duft der Frühblüher.

Chris entdeckte Jesse an einem Tisch außerhalb des Restaurants. In einem maßgeschneiderten Anzug, der die Formen seines athletischen Körpers betonte, wirkte Jesse durch und durch wie ein Geschäftsmann. Wie bei ihrem ersten Treffen trug er eine Brille, die er abnahm und auf den Tisch legte, als er aufstand, um Chris zu begrüßen.

»Danke, dass Sie sich mit mir treffen.« Chris schüttelte Jesses Hand. Der winzige Metalltisch klapperte, als Chris sich setzte, und sein Knie stieß gegen Jesses.

»Meine Schuld.« Jesse lächelte und erneut konnte Chris eine Andeutung von Unbehagen in seiner Miene erkennen. »Ich hoffe, es stört Sie nicht, draußen zu essen. Es ist ein bisschen eng, aber heute ist so ein wunderschöner Tag.«

»Mir macht es ganz sicher nichts aus.« Als sich Jesses Knie gegen sein eigenes drückte, begrüßte Chris diese Form der Ablenkung.

»Wasser?«, fragte Jesse, während er die Brille wieder aufsetzte. Der dunkelrote Rahmen ließ seine Augen noch blauer erscheinen, als Chris sie in Erinnerung hatte.

»Danke.«

Jesse füllte ihre Gläser, hielt jedoch kurz inne, um Chris anzusehen und erneut zu lächeln. Chris fragte sich, ob er in der Lage wäre, sich an seinen eigenen Namen zu erinnern, wenn Jesse ihm ein weiteres dieser umwerfenden Lächeln zuwerfen würde. Viel zu charmant. Und viel zu verwirrend.

»Ich bin wirklich froh, dass Sie gekommen sind. Ich nehme an, dass Sie wahrscheinlich mehr als genug Angebote von Fans bekommen, die Ihnen ihre Kontakte in der Branche vorstellen möchten.«

»Weniger, als Sie annehmen.« Chris schüttelte den Kopf. »Ganz zu schweigen von denen, die mich auf einen Kaffee eingeladen haben und dann im Steampunk-Cosplay und mit Gasmaske erschienen sind.«

»Ernsthaft?«

»Einige meiner Fans mögen es, sich als Charaktere aus meinen Büchern zu verkleiden«, erklärte Chris.

»Das müsste dann Theopole Cavalli sein, richtig?«

Chris starrte Jesse mit großen Augen an. »Sie haben die Valhron Chronicles wirklich gelesen.«

»Haben Sie gedacht, ich hätte das erfunden?«, fragte Jesse lachend und entspannte sich merklich. »Ich erzähle Ihnen jetzt ein dunkles Geheimnis über mich.« Er beugte sich über den Tisch. »Ich bin ein echter Geek. Als ich auf der Highschool war, bin ich zu einer Sci-Fi-Convention gefahren und mein Großvater hätte mich beinahe enterbt.«

»Er war wohl kein Fan, hm?«

»Er konnte nicht verstehen, warum ich mir seinen braunen Samtblazer und eine Seidenkrawatte ausgeborgt habe.«

»Doctor Who? Tom Baker. Der vierte Doktor.«

»Und da dachte ich, ich wäre der Geek«, sagte Jesse.

»Gleich und gleich gesellt sich gern. Obwohl du es wirklich gut versteckt hast.«

»So ist es einfacher.« Jesse zuckte mit den Schultern. »Mein Großvater hat meine Sucht ausgelöst, ohne es überhaupt zu wissen. Er hat mir eine Erstausgabe von 20.000 Meilen unter dem Meer geschenkt.«

»Du sammelst Bücher?«

»Mein Großvater hat sie mir von seinen Reisen mitgebracht. Die Erstausgabe von Verne? Französisch.«

»Ich habe selbst eine kleine Sammlung«, gestand Chris. »Wahrscheinlich ist sie aber nicht mit deiner zu vergleichen. Ich würde sie liebend gern sehen.«

»Jederzeit.« Er beugte sich erneut über den Tisch, sodass ihre Knie aneinanderstießen, und flüsterte verschwörerisch: »Ich habe eine original Trek-Sammlung, von der der alte Mann nichts wusste.«

Lachend versuchte Chris, sich Jesse als den vierten Doktor vorzustellen, anstatt sich auf den liebenswerten, kindlichen Ausdruck auf seinem Gesicht zu konzentrieren. »Bist du Vegetarier?«, fragte er, nachdem sie bestellt hatten.

»Nein, aber ich esse alles. Als Kind bin ich viel gereist. Je exotischer das Essen ist, umso besser.«

»Ich bin noch nicht weit herumgekommen«, gab Chris zu. »Aber in New York zu leben, hat meinen kulinarischen Horizont sehr erweitert. Meine Mitbewohner und ich gehen einmal im Monat essen. Val nennt es unsere langsame Reise um die Welt. Vor ein paar Monaten haben wir Europa abgeschlossen und arbeiten uns jetzt nach Osten.«

»Val ist dein Partner?« Jesse schob sich die Brille höher auf die Nase. Chris war nicht überrascht, dass Jesse von seiner Homosexualität wusste – das taten die meisten seiner Leser –, aber wenn er nicht gewusst hätte, dass Jesse hetero war, hätte er behauptet, er würde die Lage sondieren. Das hättest du wohl gern!

»Val ist eine Frau und mit meinem besten Freund Terry verlobt. Er und ich waren auf dem College Mitbewohner. Wir drei teilen uns eine Wohnung im Village.«

»Tut mir leid«, sagte Jesse, während er ihnen erneut Wasser einschenkte. »Ich wollte nicht neugierig sein.«

»Das ist kein Geheimnis. Val und Terry sind vielleicht anderer Meinung, aber ich bin ein besserer Hausbesetzer.« Er war mit dem Traum, Werbetexte zu schreiben, während er seine Fantasy-Trilogie beendete, von Boston nach Manhattan gezogen. Stattdessen arbeitete er als Barista in der Nähe ihrer Wohnung und die provisorische Schlafstelle auf Vals und Terrys Ausziehcouch hatte sich nach zwei Jahren als dauerhaft entpuppt.

»Es ist sicher hart, sich seinen Lebensunterhalt als Schriftsteller zu verdienen.«

»Ich habe es besser als viele andere«, sagte Chris. »Ich lebe in New York City, kann meine Miete bezahlen und habe trotzdem noch Zeit zum Schreiben.« Nicht so viel, wie er gerne hätte, aber andererseits kannte er Menschen, die zwei Jobs annehmen mussten, um über die Runden zu kommen.

»Womit bezahlst du deine Rechnungen?«

Chris wunderte sich, warum Jesse sich dafür interessierte, aber es machte ihm nichts aus, darauf zu antworten. »Ich bin Barista im The Drip, nur ein paar Blocks von hier.«

»Ich hab davon gehört. Das Anti-Starbucks.«

»Was soll ich sagen? Ich bin ein Rebell«, scherzte Chris.

Jesses Telefon klingelte. Chris erwartete, dass Jesse den Anruf annehmen würde, stattdessen schickte er ihn direkt auf die Mailbox und schaltete sein Handy lautlos. »Tut mir leid.« Er schob das Handy zurück in seine Hosentasche. »Keine weiteren Unterbrechungen.«

»Kein Problem. Ich bin sicher, du bist ein viel beschäftigter Mann.«

Jesse zuckte mit den Schultern. »So beschäftigt, wie ich sein möchte. Und jetzt möchte ich lieber mein Mittagessen genießen.«

Die Kellnerin brachte ihre Bestellungen. Nachdem sie wieder verschwunden war, biss Chris in das Barbecue-Tempeh-Sandwich, das Jesse ihm empfohlen hatte.

»Und? Was sagst du?«

Chris schluckte den Bissen herunter und sah Jesse überrascht an. »Es ist wirklich gut.«

»Wenn man erst mal drüber hinweggekommen ist, dass es aus fermentierten Sojabohnen besteht?«

»Das hat mich wirklich beschäftigt«, gestand Chris. »Aber es ist köstlich.«

Jesse strahlte übers ganze Gesicht, ehe er sich über den Tisch beugte und mit der Serviette Chris' Kinn abtupfte. Die Überraschung musste Chris deutlich ins Gesicht geschrieben stehen, denn Jesse errötete und beeilte sich zu sagen: »Barbecuesoße.«

Soviel zu der Theorie, dass der Kerl ein Arsch war. Er war eine hinreißende Mischung aus tollpatschigem Geek und Wall-Street-Geschäftsmann.

Während des Essens unterhielten sie sich angeregt und erst, als sie einen Kaffee bestellten, brachte Jesse endlich Chris' Romane in die Unterhaltung ein. »So sehr ich deine Gesellschaft auch genieße, ich möchte dir wirklich bei der Veröffentlichung helfen. Ich kann es nicht erwarten, die Valhron Chronicles zu Ende zu lesen und mehr von deinem neuesten Projekt zu sehen.«

»Danke. Ich wollte noch damit warten, die letzten beiden Bücher der Trilogie selbst herauszubringen, aber ich habe bisher niemanden gefunden, der die Rechte für die Serie kaufen möchte.« Er erwähnte nicht, dass die Verkäufe des ersten Buches gerade so ausreichten, um sich das monatliche Essen mit seinen Mitbewohnern leisten zu können.

»Ich habe eine Freundin, die in einem New Yorker Verlag arbeitet. Bethany ist nicht in der Abteilung, die dein Genre veröffentlicht, aber sie würde deine Arbeit gern jemandem zukommen lassen, der es tut. Ich dachte, dass dein neuer Roman wunderbar in deren Moderne Literatur-Sparte passen würde.«

»Falls ich genug Zeit finde, um den Roman fertig zu schreiben«, sagte Chris seufzend. »Bei dem jetzigen Tempo werde ich nächstes Jahr vielleicht bei der Hälfte angekommen sein.«

»Dann werde ich euch beide miteinander bekannt machen, wenn der Roman fertig ist«, erwiderte Jesse. »Mein Angebot hat kein Ablaufdatum.«

»Danke. Ich fühle mich geschmeichelt. Und ich werde dein Angebot definitiv annehmen, wenn ich soweit bin.« Hoffentlich bin ich bis dahin nicht alt und grau. Er wollte Jesse wiedersehen.

Kapitel 3

Chris warf einen Blick auf die Uhr über der Tür des Coffeeshops: fünf Uhr nachmittags. An den meisten Sonntagen hatte er eine Acht-Stunden-Schicht, aber heute hatte sich einer seiner Barista-Kollegen krankgemeldet und Chris hatte widerwillig zugestimmt, bis halb sechs zu bleiben. Zwölf Stunden war er nun schon auf den Beinen und sein Rücken begann zu schmerzen.

Soviel dazu, diese Woche zehntausend Wörter zu schreiben. Den ganzen Monat ging es nun schon so. Ende März bedeutete, dass Spring Break war und die Touristen anlockte, sodass noch mehr Menschen die Stadt bevölkerten. Es bedeutete auch, dass die Mitarbeiter des The Drip mehr Zeit brauchten, um Coffee Shakes und Frappés vorzubereiten. Zwar verdienten sie sich mit dem Trinkgeld ordentlich was dazu, kamen während der Spitzenzeiten mit den Bestellungen aber kaum hinterher. Und natürlich bedeutete die zusätzliche Arbeit, dass Chris weniger Zeit zum Schreiben hatte.

Schlimmer noch, er hatte gestern, an seinem einzigen freien Tag, sechs Stunden an der Philip J. Abinanti-Schule in der Bronx verbracht, wo er als Mitglied eines Programmes für kreatives Schreiben Schüler unterrichtete, die auf der Kippe standen. Er hatte die junge gemeinnützige Organisation Getting It Write entdeckt, als er nach New York gezogen war. Um andere Schriftsteller der Stadt kennenzulernen, war er der Stiftung beigetreten, und sie war ihm schnell ans Herz gewachsen. Leider war der lausige Zuschuss, den sie von einem großen Firmensponsor erhalten hatten, beinahe aufgebraucht und obwohl sie ein halbes Dutzend Förderanträge eingereicht hatten, konnten sie nicht einmal genug Spenden zusammenkratzen, um das Projekt über den Dezember hinaus weiterlaufen zu lassen.

»Großer Latte mit doppeltem Espresso«, sagte der nächste Kunde und riss Chris damit aus seinen Gedanken.

»Natürlich. Möchten Sie eines unserer Aromen probieren…« Chris hielt überrascht inne, als er das bekannte Gesicht vor sich wahrnahm. »Jesse?«

Jesse lachte leise und seine blauen Augen funkelten erfreut. »Ist das ein neues Aroma?«, fragte er mit einem warmen Lächeln.

»Sollte es sein.« Während Chris die Bestellung in sein Tablet eingab, versuchte er zu ignorieren, wie gut Jesse in seinem Maßanzug aussah und wie sehr er ihn seit ihrem gemeinsamen Essen letzte Woche vermisst hatte. »Was bringt dich ins Village?«, fragte er. »Ich dachte, deine Büros sind in Midtown.«

»Sind sie auch. Ich hab dich gesucht.«

»Ich hatte noch keine Zeit, Bethany anzurufen«, sagte Chris. »Hier war der Teufel los und…«

»Ich bin nicht deshalb gekommen«, erwiderte Jesse. »Ich wollte mit dir über ein Geschäftsangebot sprechen.« Er reichte Chris einen Zehn-Dollar-Schein.

»Geschäft?«

»Wann ist deine Schicht zu Ende?«

Erneut warf Chris einen Blick auf die Uhr. »In etwa zwanzig Minuten.«

»Trinkst du danach mit mir einen Kaffee?«

Sally stellte einen großen Becher auf den Tresen. »Ich… klar.« Chris reichte Jesse das Wechselgeld und anschließend den Becher.

»Perfekt. Ich warte auf dich.«

Chris beobachtete, wie sich Jesse an einen der Tische setzte und gedankenverloren auf seinem Handy herumtippte. Vielleicht bildete er es sich nur ein, aber Jesse schien ihn zu beobachten.

»Chris?«, sagte Sally.

»Hm?«

»Ich schaff das hier schon bis Karl kommt. Warum stempelst du dich nicht aus und leistest deinem Freund Gesellschaft?«

»Er ist nicht mein…«, begann Chris zu widersprechen.

»Na ja, er sollte es aber sein.« Sally war bereits dabei, die nächste Bestellung einzugeben. »Geh schon. Beweg dich, bevor ihn dir jemand vor der Nase wegschnappt«, sagte sie, als Chris zögerte.

Er schüttelte den Kopf. Darüber zu diskutieren, würde nichts bringen. Sollte sie doch denken, was sie wollte. Er lochte seine Zeitkarte, zog sich die Schürze über den Kopf und stopfte sie in seinen Rucksack, ehe er hinter dem Tresen hervortrat.

Zur Abendzeit war im Coffeeshop nicht viel los, sodass die Tische in der Nähe nicht besetzt waren. »Ich freue mich, dich zu sehen, Jesse«, sagte er und war sich nicht sicher, ob er ihm die Hand geben sollte.

Jesse schien davon unbeeindruckt zu sein. Er nahm Chris' Hand und klopfte ihm auf den Rücken, als wären sie alte Freunde. »Kann ich dir was bestellen?« Er deutete auf den freien Stuhl und sie setzten sich.

»Nachdem ich den ganzen Tag Kaffee gemacht habe«, antwortete Chris, »tendiere ich eher zu den harten Sachen.«

»Wenn du möchtest, können wir auch irgendwo was trinken gehen«, sagte Jesse schnell.

»Nein, wirklich. Alles gut.«

»Okay.« Jesse lehnte sich in seinen Stuhl und sah hinunter auf seine Tasse. Wenn er sonst nur ein wenig unbehaglich gewirkt hatte, schien er heute geradezu angespannt zu sein.

»Also«, sagte Chris in die sich ausbreitende Stille hinein. »Was gibt's?«

»Ich… ich hab ein Geschäftsangebot für dich.« Ein kurzes Zögern. Kein wirkliches Stottern, aber Jesse sah auf jeden Fall nervös aus.

»Geschäft? Denkst du daran, einen Verlag für deine Sammlung zu kaufen?«, scherzte Chris.

Lachend schob sich Jesse die Brille mit dem Zeigefinger höher auf die Nase. »N-nein. Aber du wirst das vielleicht für noch verrückter halten.«

»Versuch's ruhig.«

»Ich muss heiraten«, sagte Jesse, als würde dieser Satz alles erklären.

»Schön für dich. Ich hoffe, dass ihr beide glücklich werdet.« Chris verdrängte das Bild von Jesse und einer der Frauen aus den Klatschblättern aus seiner Vorstellung. Er hoffte, dass Jesse ihn nicht bitten würde, ihre Ehegelübde zu verfassen.

»Entschuldige«, sagte Jesse sichtbar frustriert. »Ich weiß, das ist ein merkwürdiges Thema. Ich formulier es anders.« Er atmete hörbar tief ein, ehe er sagte: »Ich… ich will, dass du mich heiratest.«

Chris war sicher, sich verhört zu haben. »Du… was?«

»Ich will dich heiraten.« Dieses Mal zögerte er nicht und Jesses Augen funkelten mit leidenschaftlicher Entschlossenheit. Als hätte er von Geek auf Geschäftsmann geschaltet.

»Der war gut!« Lachend schüttelte Chris den Kopf. »Als Nächstes erzählst du mir noch, dass ich für den Pulitzer-Preis nominiert bin.«

Jesse erbleichte, anstatt, wie Chris es erwartet hatte, nur gutmütig zu lachen. »Das war kein Scherz.« Er legte seine Brille auf den Tisch und beugte sich vor, sodass Chris den Eindruck bekam, unwissentlich in ein Geschäftstreffen geplatzt zu sein, das Jesse gerade abhielt.

Chris schluckte schwer. »Jesse, ich hab keine Ahnung, was du mir sagen willst. Wir kennen uns sage und schreibe zwei Wochen, du bist hetero und sagst mir jetzt, dass du mich heiraten willst. Ich meine… hast du den Verstand verloren?«

»Das hab ich verdient.« Jesse presste seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Und vielleicht bin ich verrückt, aber ich mache keine Witze.«

»Okay. Warum verrätst du mir nicht, was hier los ist?«

»Es ist… kompliziert.« Jesse hob das Kinn und setzte sich gerade hin, als würde er nicht wollen, dass sein selbstbewusstes Ich die Flucht ergriff und aus dem Coffeeshop stürmte. Verdammt, dieser Mann war selbst dann noch sexy, wenn er vollkommen verloren aussah.

Chris lachte leise. »Das dachte ich mir, immerhin habe ich total den Anschluss verloren.«

Jesse sammelte sich und zeigte erneut, was Chris mittlerweile als sein Wall-Street-Selbstvertrauen bezeichnete. »Ich muss heiraten, damit ich mein Erbe nicht verliere«, erklärte er.

»Okay.«

»Meine Eltern sind gestorben, als ich noch sehr klein war. Mein Großvater hat mich aufgezogen.« Während er mit dem Bügel seiner Brille spielte, zeichnete sich ein wehmütiges Lächeln auf seinen Lippen ab. »Ich hatte keine düstere Kindheit oder so was… aber der alte Mann war ziemlich traditionell. Er hat mir alles über das Geschäft beigebracht und nachdem ich meinen Abschluss hatte, habe ich für ihn gearbeitet, bis ich bereit war, die Firma zu übernehmen. Als er vor etwa einem Jahr gestorben ist, hat er mir alles hinterlassen. Mit einem Vorbehalt. Ich muss innerhalb eines Jahres nach seinem Tod heiraten, ansonsten übernimmt meine Stiefgroßmutter die Kontrolle über die Firma.«

»Klingt sehr viktorianisch«, sagte Chris.

»Glaubst du?« Jesse rieb sich über die Lippen. »Am siebzehnten April ist das Jahr rum.«

»Das ist in wenigen Wochen.« Die ganze Sache war Irrsinn, wie etwas aus einem altmodischen Liebesroman.

»Ja.«

»Hör zu, ich versteh das alles. Ist nicht wirklich einundzwanzigstes Jahrhundert. Aber warum fragst du nicht deine Freundin?«

»Sie ist nicht meine…« Jesse schüttelte den Kopf. »Ernsthaft, Chris, ich bin nicht der, für den du mich hältst.«

»Du meinst diese Junggeselle des Jahres-Sache?«

Jesse sah aus wie ein kleiner Junge, den man mit der Hand in der Keksdose erwischt hatte. »Ich könnte genauso gut die Schärpe und Krone tragen.«

»Tröstet es dich, wenn ich sage, dass ich nur davon weiß, weil die Verlobte meines Mitbewohners es erzählt hat?« Chris hoffte, dass man ihm nicht anmerkte, wie gern er jetzt lachen würde.

»Denke schon. Zumindest heißt es, dass du keine Klatschmagazine liest.«

»Val hat außerdem eine Erbin erwähnt«, sagte Chris.

»Moira?« Jesse runzelte die Stirn. »Du meinst, warum ich nicht sie heirate?«

»Eine berechtigte Frage, findest du nicht?«

»Sie sind ein zäher Kunde, Mr. Valentine.« Jesse sah hinunter auf seine Tasse, ehe er sie an die Lippen hob und einen Schluck trank. »Ich werde sie nicht fragen. Das kann ich ihr nicht antun.«

»Aber mir schon?«

»Ich… Gott, nein!« Beim Anblick des Entsetzens in Jesses Augen wünschte sich Chris, er wäre ihm gegenüber nicht so hart gewesen. »Es wäre eine rein geschäftliche Beziehung. Mit Moira… na ja, sie würde nicht so darüber denken.«

»Ich sehe den geschäftlichen Teil dieser Vereinbarung noch nicht. Heirat ist… na ja, es geht dabei nicht ums Geschäft.« Chris erwähnte nicht, dass er, Homo-Ehe hin oder her, an der Institution generell nicht interessiert war, nachdem er gesehen hatte, wie die Ehe seiner Eltern zusammengebrochen war, als er noch die Grundschule besuchte.

»Diese Ehe wird rein geschäftlich sein. Dem Testament nach muss ich mindestens ein Jahr verheiratet sein«, sagte Jesse. »Ich biete dir eine Art Partnerschaft an. Rein platonisch, natürlich. Heirate mich und ich werde dich dafür bezahlen.«

»Mich bezahlen?«

»Warum nicht? Klingt eine halbe Million Dollar für dich angemessen?«

Chris starrte Jesse, der nicht einmal mit der Wimper zuckte, mit offenem Mund an. Val hatte erwähnt, dass das Donovan-Imperium milliardenschwer war, aber dennoch… »Eine halbe Million? Nein, ich meine…«

»Dann eine Million.«

»Scheiße. Nein. Das ist nicht, was ich… Hör zu, es geht nicht ums Geld.« Nicht, dass er das Geld nicht gebrauchen konnte, aber diese Unterhaltung hatte ihn so überwältigt, dass er nicht mehr klar denken konnte. »Es ist nur… Außerdem«, fügte er hinzu, verlor jedoch den Faden. »Ich bin sicher, dass dein Großvater nicht an einen Mann gedacht hat, als er wollte, dass du heiratest.«

Jesses angespannter Gesichtsausdruck löste sich ein wenig. »Nein«, stimmte er zu. »Ich bin sicher, das hat er nicht. Aber im Testament steht nichts, was mich davon abhalten könnte, einen Mann zu heiraten.«

Nichts im Testament, außer der Tatsache, dass du nicht schwul bist.

»Hör zu, Jesse«, sagte Chris und hoffte, dass er nicht zu schroff war, doch er wusste, dass er ehrlich sein musste. »Du bist ein netter Kerl. Gut aussehend und du hast wahrscheinlich mehr Geld, als das Bruttosozialprodukt eines kleinen Landes beträgt. Und ja, ich könnte ein bisschen von diesem Geld gebrauchen. Aber ich bin wirklich nicht interessiert. Ich bin sicher, dass du jemand anderen findest, der dir hilft.«

Als Jesse nickte, glaubte Chris, Enttäuschung in seinen Augen zu sehen. »Ich verstehe. Ich dachte mir schon, dass du mich abweisen würdest.«

»Es tut mir leid.« Warum tat es ihm leid, Nein gesagt zu haben? Jeder normale Mensch hätte Nein gesagt.

»Muss es nicht.« Jesses Gesicht hellte sich auf. »Ich weiß deine Ehrlichkeit zu schätzen.«

»Ich sollte jetzt gehen«, sagte Chris. »Ich habe eine Verabredung mit meinem Laptop.« Er stand auf und warf sich den Rucksack über die rechte Schulter.

»Natürlich.« Jesse erhob sich ebenfalls und warf seinen Becher in den nahe stehenden Mülleimer. »Ich hoffe, dass du jetzt keine Vorbehalte hast, mich wiederzusehen. Ich habe unser Essen letzte Woche genossen und möchte gern mehr von deinem Roman hören.«

Noch eine Überraschung. Chris hatte angenommen, dass dies ebenfalls das Ende einer, wie er hoffte, guten Freundschaft bedeuten würde. »Habe ich nicht«, versicherte er. »Ruf mich an, wenn du alles geregelt hast.«

»Werde ich.«

Chris war sich hundertprozentig sicher, nie wieder von Jesse Donovan zu hören.

Kapitel 4

»Er hat… was?« Val starrte Chris mit offenem Mund an.

»Er hat mich gebeten, ihn zu heiraten.«

Terry, der bis eben wild auf die Tastatur seines Laptops eingehämmert hatte, hob geschockt den Blick. »Du verarschst mich.«

»Nein«, sagte Chris.

»Tja, das erklärt die Rosen, oder?« Aus dem Augenwinkel sah Terry auf den Esszimmertisch, auf dem eine riesige Vase mit den langstieligsten Rosen stand, die Chris je gesehen hatte. Der Strauß hatte an der Tür auf ihn gewartet, als er vom Einkaufen zurückgekommen war. Auf der Karte stand Bitte denk darüber nach – J.

»Ihr habt euch erst kennengelernt«, sagte Val.

»Es war ein geschäftlicher Antrag. Er muss heiraten, um die Bedingungen des Testaments seines Großvaters zu erfüllen. Er hat mir eine Million Dollar angeboten, wenn ich für ein Jahr seinen Ehemann spiele. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht interessiert bin.«

»Eine Million Dollar? Und du hast ihn abgewiesen?«, schrie Terry beinahe.

»Komm schon, Terry«, sagte Val. »Natürlich hat Chris abgelehnt. Wir reden hier davon, jemanden zu heiraten.«

»Und?« Terry hob eine Augenbraue. »Es ist ja nicht so, als würde er nach Sex oder so was fragen.«

Val verdrehte die Augen. »Du fändest es also in Ordnung, wenn er mich fragen und das gleiche Angebot machen würde?«

»Nein«, erwiderte Terry prompt. »Natürlich nicht.«

»Was zu beweisen war.« Val schnaubte, zog die Beine unter sich und nahm sich eine Handvoll Chips aus der Schüssel auf dem Couchtisch.

»Aber denk doch nur mal daran, was du alles mit dem Geld machen könntest«, fuhr Terry unverdrossen fort. »Außerdem würde es seinem Konto mit Sicherheit nicht schaden. Seine Firma ist Milliarden wert.«

Val klopfte Chris auf die Schulter. »Bitte ignoriere meinen dämlichen Verlobten.« Sie warf Terry einen bösen Blick zu. »Ich finde, du hast das Richtige getan. Sein Ego muss so groß wie Long Island sein, wenn er glaubt, dass du auf dieses Angebot eingehst.«

»Er scheint ein netter Kerl zu sein, Val«, erwiderte Chris. »Und ich glaube, dass er ernsthaft in der Klemme steckt.«

»Eine Klemme, aus der du nicht verpflichtet bist, ihn zu befreien«, sagte sie ungehalten. »Wer glaubt er denn, wer er ist, dass du interessiert sein könntest? Also wirklich.«

Chris zuckte mit den Schultern. Seit er Jesses Angebot abgelehnt hatte, fühlte er sich schlecht. Außerdem könnte er das Geld brauchen, um seinen Aushilfsjob zu kündigen und Vollzeit als Schriftsteller zu arbeiten, ganz zu schweigen davon, dass er an Getting It Write spenden könnte, damit sie nicht untergingen. Vielleicht hatte er einen Fehler gemacht, als er Jesse zurückwies.

Hör auf. Er hatte in seinem Leben schon genug über heterosexuelle Männer fantasiert. Noch einmal würde er sich das nicht antun.

»Das ergibt keinen Sinn«, fuhr Val fort, als niemand sie zu einer weiteren Diskussion herausforderte. »Ein Mann wie er, der an jedem Finger zehn Frauen hat… Warum will er dich heiraten?«

»Hört sich an, als wäre ich eine wirklich gute Partie.«

Val runzelte die Stirn. »Du weißt, was ich meine, Chris. Er hat mehr Geld als Gott, er sieht gut aus und er hat einen Harem voller Frauen, die ihn wollen.«

»Ich würde es nicht als Harem bezeichnen. Hört sich mehr nach nur einer Frau an.« Warum hatte er das Bedürfnis, Jesse zu verteidigen?

»Also will sie ihn nicht heiraten?«, fragte Terry.

»Er will sie nicht heiraten«, antwortete Chris. »Es wäre rein geschäftlich. Das ist alles. Wenn er sie heiratet, würde sie mehr erwarten als das. Er will ihr das nicht antun.«

Val brummte leise. »Wie ritterlich. Und was ist mit den tausend anderen Frauen da draußen, die ihn für diese Summe heiraten würden?«

Chris wusste, dass sie nicht ganz unrecht hatte. Er hatte nicht nachgefragt, da er nicht in Erwägung gezogen hatte, Jesses Angebot anzunehmen.

»Wenn er ein netter Kerl ist, was hast du dann zu verlieren?« Dem Ausdruck auf Terrys Gesicht nach zu urteilen, stellte er sich gerade vor, was er mit einer Million Dollar alles anstellen könnte.

»Lass gut sein, Terry«, warnte Chris.

»Du könntest einer ganzen Menge Kinder helfen, den nächsten amerikanischen Bestseller zu schreiben, wenn du so viel Geld hättest«, beharrte Terry.

»Ich weiß, dass du nicht glaubst, Kindern kreatives Schreiben beizubringen, wäre es wert«, sagte Chris. »Versuch also nicht, mich mit diesem Argument überzeugen zu wollen.«