Erziehungsstatus kompliziert - Matthias Jung - E-Book

Erziehungsstatus kompliziert E-Book

Matthias Jung

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Beschreibung

Das Kind ist noch in der Grundschule, aber hat plötzlich geradezu pubertäre Anwandlungen? Der kuschelige süße Fratz von gestern ist von heute auf morgen cool und abweisend – und das in der dritten Klasse? Tja, meine Damen und Herren, auch wenn wir Eltern es fast nicht glauben können: Die Pubertät geht schon in der Grundschule los! Diese gerne mal ignorierte Phase schimpft sich Vorpubertät. Sie ist nicht so offensichtlich und vor allem nicht so körperlich-hormonell wie die "normale" Pubertät – die Pickel, der Bartwuchs und das Muffen kommen (Gott sei Dank!) erst mit der "richtigen" Pubertät. Aber sie ist da, oh ja! Weniger Lego, dafür mehr Ego, wer hätte gedacht, dass man die Atemübungen aus dem Geburtsvorbereitungskurs 8 Jahre später noch einmal braucht? Aber keine Sorge: Matthias Jung kommt im vorpubertären Sturm der Gefühle den Erwachsenen und Eltern zu Hilfe. In seinem Buch schlägt eine Balance zwischen Liebe, Geborgenheit und Stabilität aber auch Freiheiten vor, um unsere Kinder auf dem Weg zu einem selbstbewussten (und dann so richtig pubertierenden) Jugendlichen zu unterstützen.

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Dieses Buch widme ich meinem Sohn Lenny

Inhalt

Starke Kinder von Rolf Zuckowski

Wer ist dieses Kind? Das verstörende Verhalten unserer Nachkommen

1 | Der Hormontsunami „Schau mich nicht in diesem Ton an!“

2 | Die Komplettsanierung des Kindes Körperliche und geistige Entwicklungen

3 | Die Schule – der Stimmungs(tinten)killer Schulformen, Lerntypen und die Abgründe des Elternabends

4 | Das Leben ist eine Outdoor-Veranstaltung! Freunde, Geschwister und Freizeit

5 | Digitale Welten „Der Letzte macht das WLAN aus“

6 | „Bitte recht unfreundlich!“ Entspannt durch den vorpubertären Alltag

Die letzte Seite … gehört den Kindern

Dank

Starke Kinder

von Rolf Zuckowski

Starke Mädchen

Haben nicht nur schöne Augen.

Starke Mädchen

Haben Fantasie und Mut.

Starke Mädchen

Wissen selbst, wozu sie taugen.

Starke Mädchen

Kennen ihre Chancen gut.

Starke Jungs,

Die können nicht nur Muskeln zeigen.

Starke Jungs,

Die zeigen Köpfchen und Gefühl.

Starke Jungs

Woll’n ihre Meinung nicht verschweigen.

Starke Jungs,

Die kommen lächelnd an ihr Ziel.

Starke Kinder halten felsenfest zusammen,

Pech und Schwefel, die sind gar nichts gegen sie.

Ihren Rücken lassen sie sich nicht verbiegen,

Starke Kinder, die zwingt keiner in die Knie.

Starke Kinder haben Kraft, um sich zu wehren,

Und sie sehn dir frei und ehrlich ins Gesicht.

Starke Kinder wollen nur die Wahrheit hören,

Und so leicht betrügt man starke Kinder nicht.

Starke Mädchen

Stehen fest auf ihren Beinen.

Starke Mädchen

Wollen alles ausprobieren.

Starke Mädchen

Sagen ehrlich, was sie meinen.

Starke Mädchen

Können siegen und verlieren.

Starke Jungs,

Die wollen alles selbst erleben.

Starke Jungs,

Die können auch mal Zweiter sein.

Starke Jungs

Sind stark genug, um nachzugeben.

Starke Jungs,

Die fallen auf Sprüche nicht herein.

Starke Kinder halten felsenfest zusammen!

Text: Rolf Zuckowski

© by MUSIK FÜR DICH Rolf Zuckowski OHG, Hamburg

Als Großvater sehe ich das Herauswachsen meiner Enkelkinder aus der Kindheit hinein in die Jugendphase mit anderen Augen als vor 40 Jahren mit einer pubertierenden Tochter und bald darauf mit zwei Söhnen. Meine Liedtexte scheinen aber ihre Gültigkeit nicht verloren zu haben. Insbesondere Starke Kinder wird heute noch als absolut zeitgemäß und mit den Mädchenstrophen sogar feministisch angenommen.

Das wachsende Selbstbewusstsein, die sprachliche Gewandtheit und das oft erstaunliche Wissen der Kinder dieser Altersgruppe stellt die Eltern und Pädagogen vor einige Herausforderungen. Der Grundhaltung der pubertierenden Opposition lässt sich nach meiner Erfahrung nur mit etwas Gelassenheit und Humor begegnen, was keinesfalls ein Auslachen der Kinder bedeuten darf, sondern eher einen humorvollen Blick in den Spiegel.

Vertrauen und Ideen sind gefragt. Ideen, aus denen Brücken für neue Gemeinsamkeiten entstehen und Spielräume für die individuellen Bedürfnisse beider Generationen.

Ich lernte Matthias Jung bei seinem humorvollen Vortrag kennen. Er kommt im vorpubertären Sturm den Eltern zu Hilfe, findet eine Balance zwischen Liebe, Geborgenheit und Stabilität. Er möchte aber auch Freiheiten geben, um unsere Kinder auf dem Weg zu einem selbstbewussten Jugendlichen zu unterstützen. Denn das macht sie wirklich zu „starken Kindern“.

Rolf Zuckowski

Wer ist dieses Kind?

Das verstörende Verhalten unserer Nachkommen

„Mein Zehnjähriger bringt mich an den Rand des Wahnsinns. Macht einfach keine Hausaufgaben. Hat auf nichts Bock. Hängt nur noch im Zimmer rum. Nichts außer Zocken im Kopf, und dann dreht er fast durch, wenn man ihm mal eine Pause verordnet.“

„Unser Sohn redet mit uns, als wären wir seine Kumpels, und meint, wir hätten ihm gar nix zu sagen, es wäre ja sein Leben. Wir streiten uns fast nur noch, und ich komme nicht mehr an ihn ran. Ich mache mir große Sorgen, wo das noch hinführt! Er ist doch erst zehn!“

„Es ging mit neun Jahren los. Meine Tochter ist nur am Zicken und Rumdiskutieren. Ich wusste gar nicht, dass man Augen so oft rollen kann! Und jetzt kommt der Körper hinterher: starker Wachstumsschub, schneller fettige Haare, unreine Haut, und die Brust wächst! Pubertät ist eine ständig fliegende Torte. Und jeder Erwachsene bekommt sie mal ab!“

Das ist nur ein winziger Ausschnitt dessen, was ich täglich von Eltern höre. Und das sind noch nicht die wirklich verzweifelten Kommentare. Es ist erschreckend. Und ich muss annehmen, du empfindest Ähnliches, sonst würdest du das hier nicht lesen. Ich muss dir etwas gestehen: Diese Sätze könnten auch von mir stammen. Das ging mir einfach zu schnell. Eben war es noch mein kleines süßes, wohlig duftendes Kind. Und jetzt?

„Wenn ich nicht wüsste, dass sie erst neun ist, dann würde ich denken, sie wäre schon in der Pubertät.“ Dieser Satz ist einer der häufigsten, den Eltern äußern. Und den ich hundertmal dachte. Weil es eben zu rasant ging. Irgendwie über Nacht. Vor ein paar Wochen war meine Tochter gefühlt noch beim Kinderschminken und wurde zu einer bezaubernden Version eines wild fauchenden Löwen oder ein herzerweichender kleiner Tiger. Jetzt ist sie auch gern Löwe und Tiger, aber gleichzeitig. Und sie will eine Tätowierung. Next Level! Das kann sie sich wiederum erst mal abschminken!

Daraufhin wird natürlich gemault, und die Brut findet, dass sie schlimme Eltern hat, und andere Eltern sind so toll und eigentlich und überhaupt … Meist braucht es aber nicht mal Verbote. Ein falsches Wort, ein falscher Satz, ein falscher Blick oder sogar ein falscher Atemzug, und die Laune ist dahin … Und ja, manchmal könnte man dann selbst platzen, lachen und heulen zugleich! Deswegen stellt sich die Frage: Zeigt dein Kind manchmal Verhaltensweisen oder redet so, als ob es schon in der Pubertät wäre? Du denkst, das kann doch noch gar nicht sein?

Doch. Kann es. Der Nachwuchs ist zwar nicht mittendrin, aber am Startpunkt. Und wir sind noch lange nicht am Ziel. Es ist wie bei der Formel 1. Die Reifen werden langsam warm gefahren, und dann geht’s los. Aber man selbst möchte am liebsten die schwarze Flagge schwenken und die Aufgabe signalisieren, das Kind aus dem Ferrari ziehen und mit ihm zurück nach Hause zu den Matchbox-Autos gehen. Man wünscht sich sehnlichst, es wäre Pubertät, aber keiner will hin.

Doch das hier ist das Warmfahren, das Qualifying. Und wie wir wissen, entscheidet das Qualifying über die Startposition. Es sagt also einiges darüber, wie das später läuft im Rennen. In der eigentlichen Pubertät. Ja, die eigentliche. Ich mache keine Scherze. Das hier ist die Pubertät vor der Pubertät. Am besten, du machst ab jetzt täglich Sport, damit du fit bleibst! Du wirst Stärke brauchen, glaub mir!

Man will doch auch gerade jetzt in dieser neuen Entwicklung nichts falsch machen. Und tatsächlich: Am Ende der Kindheit kann man noch so viel richtig machen. Deswegen jetzt die gute Nachricht zu Beginn dieses Buches: Noch hören unsere Kinder auf uns. Nicht immer. Selten. Ab und zu. Aber deutlich mehr als im weiteren Verlauf der Pubertät. So viel kann man mit Gewissheit sagen.

Alle Eltern sind verunsichert aufgrund der schnellen, neuen, sich stets verändernden Situation. Also: Erst mal atmen! Super-Tipp für eine Selbstverständlichkeit, aber, vertrau mir, das Atmen wird uns noch oft zugutekommen.

Beruhigend ist doch, dass die eigentliche Pubertät nicht von jetzt auf gleich komplett einsetzt – das gibt Eltern und Kindern Zeit, sich auf diese aufregende Phase mit vielen Veränderungen einzustellen. Deshalb kann es helfen, wachsam zu sein und schon die ersten Signale wahrzunehmen. Bei den meisten Kindern machen sich pubertäre Anzeichen zum ersten Mal gegen Ende der Grundschulzeit bemerkbar. Dann plötzlich, wie aus dem Nichts: Geschrei, Gezicke, Türenknallen und dicke Tränen. Die Eltern verstehen die Welt nicht mehr, und das Schlimmste an dieser Misere: Das Kind versteht sich selbst nicht mehr! Hormone nehmen überhand, und da reicht schon ein falsches Wort, um die Stimmung zu kippen. Dabei ist „der Zwerg“ oder „unsere kleine Prinzessin“ doch erst neun oder zehn. Wie soll das nur alles weitergehen?

Fakt ist: Die Vorpubertät ist das erste Anklopfen der hormonellen Veränderung, meist schon zwischen dem achten und zwölften Lebensjahr. Nein, das ist kein Druckfehler. Bei Kindern in der Vorpubertät ist eines sicher: Nichts ist mehr sicher! Die Veränderung flackert immer mehr auf. Und wann der nächste Streit kommt, lässt sich weder vorausschauen noch modellieren. Da ist die Ziehung der Lottozahlen vorhersehbarer.

Erst ist man ganz dicke, dann machen sie sich dünne und verschwinden im Zimmer. Eigentlich immer grundsätzlich mit Türengeknalle, Rumgeheule und herausgeschleuderten Adjektiven wie „fies“, „so gemein“, „scheiße“, „voll scheiße“, und dann der Satz: „Ihr seid die schlimmsten Eltern der Welt.“ Ommm. Vergeht alles wieder. Der Sohn meines Freundes Wulf wollte vor einiger Zeit sogar mal ausziehen. Wulf plagt heute noch ein schlechtes Gewissen, weil er sofort die Reisetaschen vom Dachboden geholt hat. Es ist auch für die Eltern zum Heulen: erst Lego, dann nur noch Ego. Nur noch Bildschirm auf dem Schirm. Es ist eine Zeit zwischen Kindheit und Jugend. Eine ätzende Mischung. Man will noch Kinderschminken, hat aber schon Pickel. Und am Ende stellt man fest: Der König der Löwen mit Akne sieht scheiße aus!

Ein paar Fakten: Das Alter zwischen acht und zwölf ist heutzutage eine wichtige Zeit. Sie ist in der Tat von entscheidender Bedeutung in Bezug darauf, in welche Richtung es in der Pubertät geht. Die letzte Phase, um erzieherisch für eine stabile und liebevolle Eltern-Kind-Bindung zu sorgen.

Es geht rund. Es geht ab. Es geht voll Richtung und auf die Zwölf.

Aber wie gesagt: Noch hören sie eher mal auf uns! Das sollten wir für alle Bereiche nutzen. Auch wenn man so ganz langsam genervte Zwischentöne wahrnimmt … überhöre die einfach. Unsere Kinder werden „Ichlinge“: Selbstbestimmung ist wichtig und wird nun oft eingefordert. Sie bewerten das Verhalten der Menschen um sich herum, aber ihres noch nicht. Empathie kommt langsam.

Dinge, die sie für ihre Eigenständigkeit in Anspruch nehmen, werden oft am Alter und an anderen Kindern festgemacht („Der darf aber auch …!“, „Warum muss ich …?“), aber das ist nicht anders als bei uns früher. Wir erinnern uns doch noch genau an solche Sätze aus unseren Mündern:

1.„Der Markus darf immer bis Mitternacht aufbleiben.“

2.„Alle dürfen ‚Der weiße Hai‘/‚Nightmare on Elm Street‘/‚Gesichter des Todes‘ anschauen, nur ich nicht!“

3.„Die anderen müssen nie Zähne putzen. Nie!“

4.„Die Eltern von Armin sagen, wenn er keine Hausaufgaben machen will, soll er es lassen. Echt, das sagen die.“

Genau, wir waren auch mal so alt beziehungsweise so jung. Aber wir sind ja nicht doof, haben von uns selbst gelernt und können heute bei solchen Sätzen kontern: „Wirklich, der Ben/Theo/Giselher darf das? Dann rufen wir doch mal seine Eltern an.“

„Äh, nein … äh …!“

Die Diskrepanz zwischen aktuellem Alter und den von den Kindern erwünschten Freiheiten ist oft groß, und die Besprechungen dazu verlangen viel Gleichmut.

„Papa, ich möchte eine Tätowierung. Einen Drachen.“

„Nein, du kannst noch keine Tätowierung haben.“

„Dann ein Eichhörnchen.“

„Eichhörnchen kann man nicht als Haustier halten. Das sind Tiere, die in der freien Natur leben und …“

„Meeeeensch, eine Eichhörnchen-Tätowierung.“

„Nein.“

„Und ein Meerschweinchen?“

„Es wird gar nichts tätowiert.“

„Neeeeee, als Haustier. Oh Maaaaann!“

Oder:

„Ich fänd es sooo cool, lila Haare zu haben.“

„Das kommt nicht infrage.“

„Warum?“

„Darum.“ Haben wir als Kinder auch immer gehasst, die Antwort.

„Aber lila Haare sind so cool.“

Nun stellt sich die Frage: Was ist eigentlich gegen lila Haare einzuwenden? Man ist ja nicht automatisch ein Punk, wenn man lila Haare hat, und schon mal gar nicht in dem Alter. Außerdem kann man lila Haare wieder umfärben. Trotzdem wollen wir nicht, dass unser Kind lila Haare hat, solange wir noch was zu sagen haben in diesem Haus! Lila Haare wären der Beweis dafür, dass wir die Brut nicht mehr im Griff haben!

„Die Haare werden nicht gefärbt!“

„Deine Haare sind doch auch anders als früher.“

„Die sind grau.“

„Ja, genau.“

„Aber meine sind von selbst grau geworden.“ Der Grund steht vor mir.

„Dann färb ich meine eben auch grau.“

„Nein.“

Das wäre ja noch schöner. Eine Achtjährige mit grauen Haaren. Gott steh mir bei!

„Dann kann ich wenigstens länger zocken.“

Was ist das denn für eine Logik?

„Kommt nicht infrage.“

„Ich finde dich richtig … richtig …“

„Ja, schon klar. Und bevor du deine nächste Frage stellst: Nein, du kannst dir keine anderen Eltern aussuchen. Ich kann dich ja auch nicht umtauschen. Da müssen wir jetzt durch.“

Zum Glück gibt es auch gute Neuigkeiten: Grundsätzlich liegt der Fokus nicht mehr auf der Familie/den Eltern, sondern auf anderen Kindern. Das ist das Wichtigste überhaupt: die Freunde. Denn: „Friends will be friends …!“

Eine Mutter schrieb neulich:

„Die erste Phase der Pubertät kommt eher schubweise. Es gibt Zeiten, da funktioniert es gut, und alles ist entspannt, die Kinder vernünftig. Dann wieder ist alles ein kleiner Kampf, und die Grundstimmung scheint aus dem Nichts heraus schlechter zu sein. Vor allem in so einer Phase, wo ich gerade grundlos gut gelaunt bin!“

Ja, das ist die neue Situation: Kinder in der Vorpubertät stehen mit einem Bein noch in der Kindheit und haben das andere schon fast auf den Boden des Teenageralters gestellt. Sie sind noch nicht jugendlich, aber keine Kinder mehr. Sie sind mal übellaunig, mal wollen sie den ganzen Tag lang kuscheln. Sie sind sozusagen wie kleine Raptoren, diese Biester aus ‚Jurassic Park‘. Unberechenbar! Sie sind neugierig auf das Neue, das sie zugleich aber unsicher und ängstlich macht. Vertrautes genießen sie noch, aber der Reiz nach Erkundung der Welt wird auch immer attraktiver. Die Kinder sind daher sehr labil in ihrem Verhalten, wirken manchmal in sich gekehrt und verträumt, aber auch – gerade die Jungs – oft voller Energie und Tatendrang. Dieses Hin-und-her-gerissen-Sein zeigt sich auch im Verhältnis zum anderen Geschlecht: Hier gibt es schon erstes Interesse, aber eher aus der Distanz. Bei den Klassenfotos stehen die Mädchen und Jungs eher getrennt, und auch so haben sie im Schulalltag eher wenig miteinander zu tun. Man sitzt im Unterricht am liebsten neben Vertretern des eigenen Geschlechts. Andererseits wird aus sicherer Entfernung schon heimlich diskutiert, welcher Junge besonders „süß“ ist, welches Mädchen „zickig“ oder „cool“.

„Mein Sohn wollte immer mich, seine geliebte Mutter, heiraten. Jetzt findet er Sarah cool! Ich glaub, ich bestell das Aufgebot ab!“

„Als wir auf einem Konzert bei Justin Bieber waren, wollte meine Tochter einen Teddybären auf die Bühne schmeißen. Das war ein wenig so, als wolle sie ihre Kindheit wegwerfen. Am Ende sollte aber ich den Teddy auf die Bühne schleudern, weil ich weiter werfen könnte. Habe ich gemacht. Dann gab es großes Gekreische. Ich hatte eine Mutter zwei Meter vor mir getroffen.“

Es ist eine Gewissheit, mit der wir lernen müssen umzugehen: Die Kindheit nähert sich dem Ende. Es gab immer mal wieder solche Abschnitte in der Entwicklung unseres Kindes, in denen ein weiteres kleines Kapitel endete. So wie damals in Mannheim, als wir den Schnuller an den Schnullerbaum gehängt haben, weil meine kleine Tochter keinen Schnuller mehr wollte. Da musste meine Freundin weinen, obwohl sie den Schnuller immer verteufelt hatte. Jetzt ist eben wieder so ein Abschnitt. Und es heißt erneut Abschied nehmen.

Wenn unsere Kinder ungefähr acht Jahre alt sind, wird alles anders. Und es wird auch bei jedem einzelnen Kind anders. Deshalb steckt die Lösung auch immer innerhalb der jeweiligen Familie. Aber, ob wir es wollen oder nicht: Jetzt wird die Startflagge geschwenkt.

Wir hoffen auf einen baldigen Boxenstopp. Aber erst mal wissen wir nur: Die Trotzphase war offenbar nicht alles, was die Brut an Herausforderungen zu bieten hat. Die Kids sind nach dieser schon anstrengenden Phase einen Schritt zurückgegangen. Und wir konnten kurz durchatmen. Jetzt wissen wir: Sie haben nur Anlauf genommen. Die Pubertät beginnt. JUHU! Spätestens jetzt sollte man immer auf ausreichende Weinvorräte achten.

▶Was machen wir? Wichtig ist: Das Gespräch! Reden hilft immer. Ich erkläre meinem Sohn dann, dass ich es nachempfinden kann, wie es ihm geht und was er fühlt. (Ja, ich war auch mal in der Pubertät. Wer hätte das gedacht?) Mein Verständnis ist da, aber es gilt trotzdem, sich anderen gegenüber respektvoll und fair zu verhalten. Respekt ist mir sehr wichtig. Da reagiert er oft mit Verständnis und verspricht Besserung. Das gute Verhältnis, diese Besserung, hält aber nicht sehr lange. Es ist wie mit Pommes. Erst schmecken sie total gut, sie sind noch schön warm, aber es lässt dann sehr schnell nach. Wir Eltern versuchen die Beziehung und die Pommes nie richtig abkühlen zu lassen. Bleiben am Ball. So bin ich: Der Vater – die Beziehungsfritteuse! Mit viel Ketchup und Mayo bitte!

Ein Vater erzählte mir:„Unsere Tochter checkt gerade ständig ab, ob wir sie auch wirklich lieben. Für sie ist diese Phase eine sehr unsichere, und sie braucht die Bestätigung, dass wir trotz all der Schwierigkeiten immer zu ihr stehen, egal was kommt! Auch wenn sie sagt: ‚Ihr interessiert euch nicht für mich, keiner versteht mich …!‘ Sie prüft nur, ob sie auf uns zählen kann. Bei unserem ‚Sonnenschein‘ ist die hormonelle Finsternis eingekehrt. Aber es gibt gute Momente. Bei allen. Genießt sie, feiert sie. Wendet euren Blick immer Richtung Sonne. Es ist euer Kind. Es wird erwachsen, und ihr seid live dabei. Pubertät ist eine echte Herausforderung für alle und definitiv nichts für Feiglinge!“

▶Eure Kinder nehmen die Welt jetzt mehr von außen wahr, und da plagen sie oft auch Verlustängste. Ob die Eltern beispielsweise nach einem verlängerten Wochenende zurückkommen? Sie fühlen sich dann nicht sicher und fragen sich, ob sie auf uns zählen können. Der Beginn der Pubertät bringt große körperliche und seelische Veränderungen mit sich. Was sie jetzt, oft unbewusst, einfordern, ist Sicherheit, Stabilität und Geborgenheit. Mein Sohn will noch ab und an auf seiner Matratze neben unserem Bett im Schlafzimmer schlafen. Da spricht für eine gewisse Zeit nichts dagegen. Er sucht in diesem Sturm der Veränderungen nach Halt. Den geben wir ihm gerne. Und das zeigen wir ihm auch.

Zwischen Jungs und Mädchen sind schon Unterschiede zu erkennen, obwohl es erst mal nur ein vertauschter Buchstabe ist:

Mädels zicken, Jungs zocken.

Mädchen kommen uns anstrengender und zickiger vor, sie diskutieren ständig und wollen oft ganz viel erzählen. Oft in Momenten, wo es so gar nicht passt. Zum Beispiel an der Kasse im Supermarkt:

„Nee, ich weiß nicht, was Julia gemacht hat? Aber lass uns doch erst mal bezahlen, ja!?“

„Sie hat es erst Biene erzählt und dann Polly und dann auch noch Tine, dabei hatten wir abgemacht, das ist ja wohl auch voll klar, dass man das nicht erzählt, und Emma hat sie’s auch erzählt! Und …“

„Wirklich? Nee! Aber, du, schau mal, die Kassiererin wartet! Ich bezahle kurz und hör dir dann wieder zu, okay?“

„Und dann, und dann war ich so megawütend. Weißt du!? MEGAWÜTEND. Und du weißt ja, wie ich sein kann, wenn.“

„Äh, was? Ja. Ach so! Ja, das weiß ich! Du, jetzt lass uns mal kurz ...“

„Die ist echt manchmal so was von daneben.“

„Aha, ja. So, ich muss mich jetzt mal hier konzentrieren.“

Die Kassiererin: „Oje. Und was hast du dann gemacht?“

Ich gebe auf.

Letztendlich hat dieser Laberflash an der Kasse dann etwas gedauert. Zumindest wurde der Einkauf teurer, denn einige Produkte waren nicht mehr im Angebot oder aus dem Sortiment genommen worden. Und der Herbst war plötzlich da.

Jungs wirken dagegen oft wie ihre Zimmertüren: verschlossen. Außerdem sind Jungs anfälliger dafür, beim Medienkonsum kein Ende zu finden. Es ist viel schwieriger, an sie heranzukommen. Sie verschließen sich und reden weit weniger als die Mädchen. Die sind da mehr geraderaus und emotionaler. Die Stresshormone werden bei Mädchen auch, nebenbei bemerkt, deutlich häufiger ausgeschüttet als bei Jungs. Also: Mädchen sind im Allgemeinen stärker von der Vorpubertät betroffen.

▶Während Jungs vor allem einen extrem hohen Bewegungsdrang entwickeln und sich beim Zocken zurückziehen, zeigt sich die Vorpubertät bei Mädchen durch Stimmungsschwankungen.

Allerdings wie immer: individuell komplett verschieden!

Nur warum gehen unsere Kids vermehrt auf Konfrontationskurs mit uns? Woher kommt das, und warum ist das so überraschend sinnvoll?

Unsere Kinder lernen sich selbst in dieser vorpubertären Phase besser kennen. Und vor allem nehmen sie das Außen mehr wahr. Sie vergleichen sich mit ihren Freunden und dies auch etwas präziser als vorher. Bisher nahmen sie in der Bewertung von anderen Menschen Körpermerkmale wahr. Mein Sohn sagte: „Das ist der Jonas, der ist in der 3b, und der ist richtig schnell!“ Jetzt kommen die Charaktermerkmale dazu. Glücklicherweise. Sonst würde es im Erwachsenenalter auch in vielen Situationen schwierig werden:

„Dr. Schneider, Sie haben nachher ein Meeting mit dem Executive Producer, Professor Bauer-Schilling! Und denken Sie dran: Der ist richtig schnell!“

Unsere Kinder lernen sich kennen, indem sie sich mit anderen vergleichen.

„Die Alma ist eine Angeberin.“

„Der Jonas war total unfair.“

„Die Lina hat dies und das gesagt.“

So finden sie heraus, wer zu ihnen passt, welche Standpunkte sie vertreten und was ihnen wichtig ist. Da geht es um geistige Entwicklung („Versteh ich das jetzt?“) und auch um soziale Kompetenzen in einer Gruppe („Bin ich eher Anführer oder Mitläufer?“). Dazu die emotionale Frage: „Bin ich eher mutig oder ängstlich?“

Unsere Kinder verändern sich. Auch vom Charakter her. Die Kinder können in der Vorpubertät sehr schüchtern sein und im weiteren Verlauf sehr lebhaft oder sogar aggressiv werden. Alles ist möglich. Eben individuell komplett verschieden. Habe ich ja erst 36-mal geschrieben.

Es gibt die Gemütlichen und die Harmoniebedürftigen, die „Bestimmer“ und die Klassenclowns, die Strebsamen und die Leistungsbewussten, und schließlich die Ernsthaften und die in sich Gekehrten. Eine Mischung wie in unserem Deutschen Bundestag.

Ich war sehr harmoniebedürftig, wollte aber auch schon in der Schule meine Pointen gegenüber den Lehrern setzen. Da habe ich mich neben den Klassenclown gesetzt und immer meine Sprüche leise vor mich hin geflüstert. Er hat sie oft laut wiederholt, bekam die Lacher der Mitschüler, Ärger vom Lehrer und ich einen Gag, der funktioniert hatte. Damit konnte ich erst mal gut leben. Das hat meinen Berufsweg geprägt.

Unsere Kinder betrachten sich immer mehr in Bezug zu anderen. Im Vergleich mit den Freunden, aber auch bei uns Eltern, was dann zu den bekannten Diskussionen führt. In diesen geht es aber eigentlich darum, ihre Standpunkte und die der Eltern abzuchecken und zu vergleichen. Das bietet Orientierung und Reibung. Das Statusdenken entwickelt sich. Mein Papa hat das und das. Ich habe so und so viel Geld.

Mein Sohn betonte letztens:

„Papa! Ich will eine Villa!“

„Ich kann dir das Barbie-Dream-House deiner kleinen Schwester empfehlen!“

„Ich will eine richtige Villa!“

„Ich habe hier noch Schokoladeneis!“

„Okay, dann nehme ich eine Kugel!“

Hui, das war knapp.

Ich darf dann immerhin im hinteren Kellerteil der Villa wohnen, wie mir mein Sohn in dem Zusammenhang gönnerhaft mitteilte. Ich würde sagen, da hat man doch in der Erziehung nicht so viel falsch gemacht. In die oberen Stockwerke darf ich aber nur nach Absprache, ansonsten will er seine Ruhe vor mir.

Unsere Kinder lernen von Erwachsenen in Diskussionen und können ihre Haltung überprüfen. Deshalb auch mehr Ego.

Denn Ego ist der Teil von dir, der dir deine Identität gibt. Der sagt, wie du, andere und die Welt sind. Basierend auf Erfahrungen, die Kinder nun zum ersten Mal sammeln.

Wichtig ist immer: Unsere Kinder lieben uns weiterhin. Sie stört nur oft unsere Macht, die wir haben, um ihre manchmal doch sehr schwer nachvollziehbaren Pläne zu durchkreuzen. Und das bekommen wir dann zu hören. Die Beziehung zu den Erwachsenen ändert sich. Die Eltern werden auf einmal hinterfragt. Sie sind nicht mehr die Superhelden. From hero to zero. Ist eben so. Der amerikanische Traum umgekehrt. Vom Superstar zum Tellerwäscher (oder Spülmaschinen-Einräumer).

Die Helden sind jetzt andere – beispielweise bei meinem Sohn Ronaldo die ‚YouTube‘-Stars, deren Namen ich nicht aussprechen kann. Die Helden meiner Freundin waren die Backstreet Boys und Take That. Ich fand Die Gummibärenbande toll. Fast jeder kennt den Song: „Gummibären … hüpfen hier und dort und überall …!“

Wer singt wohl gerade mit? Sehr schön. Der darf weiterlesen. Ich habe es sehr gerne geschaut. Ich habe im Garten Saft aus Früchten gemacht und bin dann mit einem Liter Gummibärensaft intus jubelnd durch die Beete gehüpft.

Würde ich das heute machen, gäbe mein Sohn mich zur Adoption frei.

Ab dem achten Lebensjahr werden auch Lehrer genau beobachtet. Mehr mit Intuition als mit Verstand. Der ist blöd. Der ist vor allem unfair. (Na ja, er gibt ja auch Noten …)

Wichtig ist hier: Lehrer mit klarer Haltung sind im Vorteil. Schwache Lehrer sind nicht gut. Die Kinder wollen wissen, woran sie sind. Sie brauchen verlässliche Orientierung.

Man selbst wird deshalb natürlich auch permanent observiert. Im Auto habe ich neuerdings immer einen kostenlosen Fahrlehrer dabei.

„Papa, hier fährt man 30, nicht 32!“

Eins weiß ich: Mein nächstes Blitzerfoto wird ein äußerst genervtes Gesicht zeigen.

Weiterhin ist es manchmal nervig, dass sie natürlich überall ihre Nase reinstecken und mitreden müssen. Egal wobei, unsere Kinder entwickeln eine eigene Meinung. Das müssen wir selbstverständlich gut finden, aber man stößt oft an seine Grenzen:

•Sie kontrollieren im Greta-Thunberg-Stil stirnrunzelnd und auf Konfrontation gebürstet die Mülltrennung.

•Sie erklären einem beim Einkaufen, dass man nur Bio kaufen soll, wegen der Massentierhaltung und überhaupt wegen allem. Beim Eierkauf erzählen sie einem, dass männliche Küken lebend geschreddert werden.

•Sie nehmen einem die Freude an einem guten Rotwein, denn Alkohol ist Gift, und wenn Alkohol angeblich kein Gift ist, dann können sie ihn ja wohl auch trinken.

•Sie kritisieren unsere Meinung mit Totschlag-Argumenten wie „Das hat der Herr Schwalm gesagt, und der muss es ja wissen, der ist Lehrer.“

Ist das nicht wunderschön?

Aber nicht nur Eltern, Lehrer und Geschwister werden sehr genau beäugt. Flüchtige Bekanntschaften sind ebenfalls sehr wichtig. Von ihren Beobachtungen bei diesen bin ich aber tatsächlich großer Fan. Denn dabei lernen sie richtig viel. Und wir dürfen es mitkriegen. Nimm deine Kinder gerne mal mit zu Bekannten oder auch zu Arbeitskollegen. Wenn sie Lust haben, solltest du das jetzt noch unbedingt ausnutzen. Bei uns ist das bei der Familienfeier in der Eifel so:

Dort kommen sehr viele Menschen unterschiedlicher Generationen mit sehr unterschiedlichen Charakteren zusammen. Bis auf den Handyempfang ein Paradies für meinen Sohn. Hier kann er erproben, bei wem er mehr auf Distanz bleiben sollte oder wer einfach gut zu ihm passt und er sich hier schnell der Person nähern und eher öffnen kann. Bei wem passt die Chemie besonders gut? Bei wem weniger? Und hat diese Person das WLAN-Passwort? Gibt’s keines? Stimmt! „E“ auf dem Handy steht für Eifel.

Vertrauenspersonen finden und kennenlernen. So werden sie später im Erwachsenleben auch mit Fremden umgehen. Sie haben dann in den Kindheitstagen schon viel „Bauchgefühl“ gesammelt und können Fremde intuitiv besser einschätzen.

▶Für beide Geschlechter gilt also: Auch wenn die körperlichen Anzeichen noch nicht zu sehen sind, erkennt man den Beginn der Pubertät am veränderten Verhalten.

Einerseits möchten die meisten Kinder sich jetzt noch ein wenig heile Welt erhalten. Andererseits stellen sie bisherige Regeln energisch infrage und proben den Widerstand gegen die Eltern. Dieser bezieht sich momentan aber eher noch auf Alltagsinhalte, nicht auf Ideale. Ihr Wertesystem stimmt – anders als bei Pubertierenden – mit demjenigen der Eltern meist noch überein: Rauchen und Drogen sind doof, was die Eltern ablehnen, lehnen sie auch ab. Noch. Meistens. Na gut, manchmal.

Aber was genau ist denn jetzt mit dem Kind in der Vorpubertät los?

Diese Veränderungen heißen nicht, dass wir da alles falsch gemacht haben. Das ist eine normale Entwicklung. Gleichzeitig heißt es auch nicht: Wenn wir „noch“ ein „braves“ Kind haben, haben wir alles richtig gemacht. Prinzipiell ist es aber so, dass unsere Kinder sich nur ausprobieren und „normal“ entwickeln wollen. Diese Erprobungsphase kommt allerdings nur, wenn sie sich wohlfühlen. Also hat man tatsächlich alles richtig gemacht, wenn sie sich wie beschrieben verhalten. Offenbar sind sie mit einer stabilen und liebevollen Eltern-Kind-Bindung aufgewachsen. Dann probieren sie sich gerne aus und lernen ihre Umwelt und die Welt überhaupt kennen. Ab sofort rennen unsere Kinder gegen unsere Grenzen an. Wir als Eltern geben Halt und setzen diese Grenzen. Das kann auch völlig pragmatisch aussehen. Unser Sohn durfte allein nach draußen gehen – auf einen nahen Platz. Aber er sollte auf diesem Platz bleiben. Wenn er den Platz verlassen wollte, um zum Beispiel seinen Freund zu besuchen, dann musste er Bescheid geben und nach Erlaubnis fragen.

Es ist eine Zeit, in der sie viele neue Fragen stellen und viel infrage stellen. Frühpubertäre Kinder stellen ab sofort nicht nur Weihnachtsmann, Osterhase und Zahnfee infrage, sondern auch sich, die Eltern, die Welt und sogar Märchenfiguren.

Mein Sohn war sich plötzlich sicher: „Rapunzel gibt es nicht, kein Mensch hat so lange Haare!“ Na, der Sohnemann hat die Kelly Family nicht gekannt.

Und meine Corona-geprägte Tochter fügte hinzu: „Warum war die Rapunzel so lange in Quarantäne?“

Wir sollten lernen, unseren Kindern eher auf einer etwas höheren Ebene zu begegnen. Neue Freiheiten werden ausgehandelt, wir geben Sicherheit ohne Überforderung und Einengung. Wir gehen immer mehr auf Augenhöhe.

Sie sollen für das Verantwortung übernehmen, für das sie jetzt Verantwortung übernehmen können. Das ist allerdings schnell wieder zu viel. Turnbeutel wird vergessen, Hausaufgaben manchmal auch. Turnbeutel mit Hausaufgaben drin. Auch möglich. Ach, es gibt so viele schöne Beispiele. Bitten, die man den Kindern zuruft und die immer gleich beantwortet werden.

1.„Bring die Brotdose in die Küche.“

2.„Spül die Trinkflasche aus.“

3.„Jetzt nimm endlich die zehn Euro für die Klassenkasse mit.“

4.„Bring den Teller mit den Pizzaresten aus dem Zimmer und schmeiß die weg.“

5.„Jetzt! Ich sagte: JETZT!“

„Gleich.“ Die Antwort ist immer gleich. Gleich reicht’s.

Vergesslichkeit ist in der Tat auch normal und kann passieren. Gerade vor dem Hintergrund der Bauarbeiten im Gehirn. Dazu kommen wir später. Jetzt sind die entscheidenden Fragen, die sie im Kopf haben: Wie weit kann ich gehen? Wie weit lasst ihr mich gehen? Und gibt es da überhaupt WLAN?

Regeln sind nervig, liebe Brut. Aber doch ein gutes Gefühl, wenn jemand da ist, der sich darum kümmert, dass ich die Regeln einhalte und dem ich wichtig bin, oder? Und für uns ist wichtig zu wissen: Das Überschreiten der Grenzen ist eine ganz zentrale Übung der Willenskraft und der Eigenverantwortlichkeit. Sie lehren Selbstwirksamkeit.

Ich mache mit meinem Sohn Armdrücken. Klar lasse ich ihn am Anfang gewinnen. Doch hin und wieder lasse ich ihn meine Kraft spüren. Und das will er auch. Das gibt Sicherheit. Was aber auch sicher ist, ist sein Statement: „Du hast geschummelt, Papa! Das war unfair!“ Und dann wird er es mit zwei Händen probieren und ich mit der schwachen Hand. Er probiert aus, wie er doch noch gewinnen kann. Großartig! Zufrieden und gütig lächelnd lasse ich mir meinen Finger wieder einrenken.

Ab sofort geht es ihnen um Fairness. Um eine faire Behandlung. Alles, was man gesagt hat, wird auf die Goldwaage gelegt. Und vor allem: Sie sind wahre Künstler, Papa und Mama gegeneinander auszuspielen.

Kind: „Papa hat gesagt, ich darf noch mal spielen!“

Mama (genervt): „Was hat Papa?“

Papa (in Habachtstellung, bereit zur Flucht, um ehelichen Auseinandersetzungen zu entgehen): „Ich habe gesagt: eventuell!“

Kind (lauernd): „Du hast gesagt, wenn es dann nicht zu spät ist!“

Papa: „Es ist 21 Uhr!“

Kind: „Das ist nicht zu spät. Mama!!! Papa hat es erlaubt!“

Als Vater tut man gut daran, sich vorher mit seiner Partnerin konkret abzustimmen. Wenn der Sohn zocken will, und man hat etwas anderes gesagt als die Partnerin, und die kommt auf einmal hinzu, dann ist klar: Man hat auf einmal zwei Probleme.

Jedes kleine Wort schaut sich euer großes Kind genau an, es wird auf Fairness überprüft, und man bekommt es in der Diskussion um die Ohren gehauen. Ich drücke mich mittlerweile schon aus wie ein Politiker. Sehr oberflächlich. Oder nutze Fußballer-Phrasen! Was soll man machen.

„Ob du zocken darfst? Ich kümmere mich darum. Darüber werden wir reden müssen. Das ist Aufgabe von uns Eltern, hier eine tragfähige Lösung zu finden. Ich komme gerne etwas genauer auf deine Frage zurück, aber lass mich erst mal Folgendes sagen: Auf zur Mama!“

Natürlich drücken wir uns nicht ganz so unklar und oberflächlich aus. Wir wissen ja, worum es geht: Authentisch und lebendig bleiben! Standfest sein und Grenzen sichern! Zusammen mit dem Partner.

Die Kinder fangen an, in der Welt zu erforschen, weshalb die Dinge so sind, wie sie sind. Nun mit dem Blick auf das Außen. Diese neue Sicht hat komische Züge: peinlicher Pulli des Lehrers, merkwürdige Frisur der Lehrerin. Es folgt: das Albern und Kichern von Mädchen. Es wird nun gegoogelt und gegiggelt.

In den ersten Jahren der Pubertät wird das Bewusstsein geweckt, dass sie als Person existieren, als eine einmalige, einzigartige, eigene Person, die ihr ganz persönliches Leben lebt. Man lernt sich kennen. Sein eigenes Ich. Ein Date mit sich selbst. Und man muss irgendwie zusammenkommen. ‚Nix Festes‘ gilt hier nicht. Aber man hat Eltern, die helfen und Orientierung geben. Und Superhelden wie YouTuber oder Bands, Sänger und Sängerinnen, die einen mal aus der Realität rausholen.

Die erste Phase der Pubertät bedeutet: Sie wollen sich ausprobieren, orientieren sich aber noch an ihren Eltern. „Schau, was ich Tolles kann! Schau, ich kann freihändig Fahrrad fahren! Schau, es passiert gar nichts! AAAAAAH!“

Auch Provozieren ist noch sehr auf die Eltern gerichtet. In dem Alter braucht man Beweise, dass man groß ist. Die suchen sie. Mein Sohn ist mit einem Freund mit dem Fahrrad über die Rhein-Brücke gefahren. Ein wahnsinniges Gefühl für ihn. Die Grenzen setzen weiterhin wir.

Zum ersten Mal am Bier genippt. Danach fühlen sie sich unschlagbar. (Die Menge wird dann Jahre später sukzessive erhöht, bis sie sich morgens wünschen, dass sie für immer nur genippt hätten.)

Pubertät flackert nun öfter mal auf. Wir sollten die Momente nutzen – vor allem abends –, an denen wir noch gut an sie rankommen.

Es gibt keinen Weg zurück. Ich kenne keinen, der nach der 5. Klasse noch mal in die Krabbelgruppe wollte! (Später höchstens, nachdem zu viel Bier genippt wurde.) Obwohl: Es gibt immer Ausnahmen, wie ich vor Kurzem lesen musste:

„Mein Sohn wünscht sich manchmal den Kindergarten zurück. Er meint, es liegt am Essen. Das wäre dort viel besser als in der Schule – auch als zu Hause! Ich denke aber, dass das Problem, mal abgesehen von meinen schlechten Kochkünsten, tiefer liegt. Er bemerkt, dass das ‚Großwerden‘ anstrengend ist, und dann wünscht er sich manchmal zwischendurch das ‚Wieder-klein-Werden‘.“

Und es gibt natürlich noch eine Ausnahme: Diese ‚Kinder‘, die ewig bei ihren Eltern leben. Aus der Nachbarschaft gibt es Rainer, der war vierzig Jahre alt, und dann ist es tatsächlich endlich passiert. Seine Eltern sind ausgezogen!

„Ich find es schön, wenn Kinder noch Kinder sind, und es erschreckt mich eher, wenn Elfjährige sich schon schminken. Meine spielt auch noch gern mit Schleich – die anderen Mädchen in ihrer Klasse finden das kindisch und interessieren sich eher für Kosmetik. Sollen sie doch. Ich finde es schön, dass sie so eine Weile länger Kind ist. Der Ernst des Lebens kommt schnell und lange genug!“

Die Übergangsphase zwischen Kindheit und Jugend beziehungsweise Erwachsensein spiegelt sich besonders gut in vielen Kinderzimmern wider: Häufig sind hier Kuscheltiere neben Postern von Stars beheimatet.

„Meine zehnjährige Tochter sagte, sie schaue sich bei YouTube Pferdevideos an. Dann dachte ich direkt an Bibi und Tina!, die sie immer guckt. Aber es waren Viktoria und Sarina. Die erklären TikTok-Videos und reden über Bubble Tea! Das machen Bibi und Tina eher selten. Diese Zeit ist wirklich eine Mischung zwischen Kindsein und Jugendzeit!“

▶In der Entwicklungspsychologie ist ab dem achten Lebensjahr von der Latenzzeit die Rede. In diesem Zeitraum erwacht die Sexualität allmählich.

Im Rahmen der Waldorfpädagogik ist vom sogenannten Rubikon die Rede. Rubikon ist ein italienischer Grenzfluss, der einst von Cäsar überschritten wurde, was damals ein politischer Skandal war, und mit Sicherheit hätte Obelix gesagt: „Die spinnen, die Römer!“ Es werden nun „Grenzen“ ausgetestet und überschritten. Wie Cäsar es tat. Ob der beim römischen Festmahl statt eines Bratens einen Caesar Salad gegessen und damit auch gegen kulinarische Regeln verstoßen hat, ist nicht bekannt. Cäsar vollzog aber am Rubikon einen folgenschweren Schritt: Entgegen dem Senatsbefehl löste er seine Legionen nicht auf und betrat, indem er den Grenzfluss überschritt, römischen Boden. Damit wandte sich Cäsar militärisch gegen das Land seiner Väter – er marschierte mit seinen Legionen Richtung Rom. Das hatten zuvor nur Asterix und Obelix gewagt.

Um mit all diesen Grenzübertritten zurechtzukommen, habe ich mir schon oft den Zaubertrank von Miraculix gemixt, der mir Kräfte verleihen sollte. Ich hatte ja schon Erfahrung mit dem Gummibärensaft. Übrigens: Aus entwicklungspsychologischer Sicht gibt es so etwas wie eine Vorpubertät überhaupt nicht. Korrekter wäre der Beginn der Pubertät. Es ist dennoch eine Zwischenphase. Und die braucht besonderes Augenmerk. Deshalb nennen wir sie der Einfachheit halber trotzdem Vorpubertät.

▶Ich wiederhole es gern: Noch hören eure Kinder auf euch!

Bitte nehmt euch die Zeit, um mit ihnen darüber zu sprechen, was eure Werte sind. Denn auch wenn sie viele Dinge des Alltags mittlerweile infrage stellen, bleiben die Werte der Eltern relevant, und hier hören sie genau hin. Findet heraus, was für euch Bedeutung hat, kommuniziert es, und ihr erfahrt, was euren Kindern zu bestimmten Themen wichtig ist. Macht das in einem ruhigen Moment. Der ist bei uns meistens … nie! Doch! Vor dem Ins-Bett-Gehen kann man oft gut und gelassen über alles reden. In meiner Zeit als Kabarettist habe ich gelernt, dass es ideal ist, den Abend mit dem besten Gag zu beenden, da die Zuschauer dann mit einem maximal positiven Gefühl nach Hause gehen. Macht das bei euren Kindern auch so. Lasst sie mit einem guten Gefühl einschlafen. Vorher kann man über den Alltag, aber auch über Ziele, Wünsche, Träume und über Unsicherheiten und Ängste reden. Aber dann, wie gesagt, mit einem optimistischen Gedanken das Licht ausmachen. Schule eher außen vor lassen. Denn über Schule wird auch so schon genug geredet!

Doch bevor unsere Kinder anfangen, alles infrage zu stellen, ahmen sie uns und ihr Umfeld nach. Alles, was wir tun, schauen sie sich ab. Egal ob es die Hausarbeit ist, das Kochen, das Saubermachen, was wir anziehen, was wir sagen, wie wir uns anderen Menschen gegenüber verhalten, was wir tun. Selbst meine kleine Tochter schaut sich genau an, was ihr Bruder macht, und leider hört sie auch, was er sagt. Zum Beispiel während er Fortnite spielt. Bei einem Restaurantbesuch fragt die Bedienung dann, ob die Fischstäbchen geschmeckt haben, und unsere kleine Tochter meint ganz freundlich: „Ja, die waren sehr episch!“

Das Handeln von Autoritäten wird von ihr noch nicht kritisiert.

Doch das ändert sich: Das kleine Kind ist noch ganz wohlig verbunden mit seiner Umwelt. Wie in einer sympathischen Symbiose ahmt es seine Umgebung nach, ohne in irgendeiner Weise über sie zu reflektieren. Die menschlichen Beziehungen sind für das kleine Kind wie ein großer Klumpen, wie ein weicher Berg Wäsche, in den es sich gerne fallen lässt. Doch wenn die Pubertät beginnt, wird der Berg auseinandergenommen, und es wird nach den einzelnen Kleidungsstücken, nach den einzelnen Menschen sortiert und diese auch notfalls infrage gestellt. („Nein, diese Bluse passt gar nicht mehr zu mir!“)

Es gehört zur gesunden Entwicklung des Kindes, dass sich im Erleben das Ich und die Welt voneinander trennen. Das Kind empfindet mehr oder weniger unbewusst: Ich bin ein Eigenes, ich bin ein Einzelnes, und damit bin ich ein Getrenntes. Und ich bin etwas Einzigartiges. Das Seelenleben stellt sich auf eine neue Basis.

Unser großes Kind betrachtet seine Mitmenschen nun losgelöst von sich. Es existiert nun allein. Es hinterfragt und zweifelt an bisher selbstverständlichen Dingen und konfrontiert uns Eltern sehr fordernd damit. Auch unser Seelenleben stellt sich damit auf eine neue Basis.

Die verstärkte Einwohnung seiner Ich-Kräfte und das erneut gewachsene Selbstbewusstsein des Kindes vergrößern den Abstand zu der umgebenden Welt. Sie wird kritischer wahrgenommen, nichts wird mehr selbstverständlich akzeptiert. Wenn ich über das Lego meiner kleinen Tochter stolpere, dann lacht sie. Und jeder weiß: Diese ‚Einser-Legos‘ schmerzen wirklich sehr, wenn man barfuß darüber läuft und sie sich einem in den Fuß bohren. Mein Sohn lacht nicht mehr: „Oh Mann, Papa. Wie doof kann man sein?“

Die Autoritäten, also die Eltern, werden nicht von ihrem Thron gestoßen, aber sie werden mit anderen Augen gesehen. Und spätestens in der eigentlichen Pubertät ist klar: „Lang chille der König!“ (Oder die Queen.)

Neben der Hormonausschüttung haben wir nun also gelernt, dass sie sich selbst als Eigenes wahrnehmen und die Welt, ihre Mitmenschen und alles andere plötzlich extrem genau betrachten und dann herausfinden, dass ihre engsten Vertrauten auch Ecken und Kanten haben.

Wir hatten die Verlustängste bereits beschrieben. Bitte daran denken: Sie sehen uns Eltern nun getrennt von sich und machen sich Sorgen: „Ich hoffe, dass euch nichts passiert! Was ist, wenn ihr sterbt!“

Bitte diese Sorgen ernst nehmen und Zeit für ein einfühlsames Gespräch planen. Es kommen immer mehr seelische Ängste dazu, und es tauchen essenzielle Fragen auf: „Mögen mich meine Eltern? Mag mich überhaupt jemand?“ Das Kind fühlt sich einsam und unverstanden. Es braucht Bestätigung und Zuwendung von den nahestehenden Menschen. Und verzweifelt auch manchmal mit den Worten: „Was seid ihr denn für Eltern?“, oder sogar: „Ich will andere Eltern!“

Fazit: Unsere Kinder können jetzt ihr eigenes Ich von der Welt trennen. Viele Pädagogen beschrieben diese Art als Hummerkomplex, indem die Kinder ihren alten Panzer der Kindheit abwerfen und noch relativ schutzlos auf das warten, was auf sie zukommt. Wir sind in der Zeit natürlich für sie da. Und stellen den alten Panzer bei eBay Kleinanzeigen rein.

Alltäglich gesprochen, nehmen wir in der Pubertät quasi im Urlaub das Handtuch von unserer Liege am Pool. Diese Liege steht nun schutzlos den anderen deutschen Touristen gegenüber. Und die können ganz schön nervig sein! Das ist nicht ohne, denn: „Liegen haben kurze Beine!“ (Das ging doch so ähnlich, oder?)

Unsere Kinder sind jetzt ein bisschen wie die unbedeckten Liegen: Sie stehen nun schutzlos der Welt gegenüber, die sie durchaus irritiert und überfordert. Sie hinterfragen die Welt, sie hinterfragen uns Eltern. Sie besitzen die Fähigkeit zur inneren Distanz. Dazu noch Hormone. Das wird anstrengend. Das wird wohl doch schon Pubertät sein.

Das Abenteuer hat begonnen.

„Meine Tochter interessierte sich plötzlich für Politik, für den Klimawandel, für viel Neues. Sie reflektiert und bildet sich ihre eigene Meinung, fern von der unseren! Es wird auf einmal sehr viel mehr diskutiert zu Hause. Sie möchte auch täglich die (Kinder-)Nachrichten anschauen und Zeitung lesen. Als ich letztens meinte, dass drei Kugeln Eis genug seien, meinte sie, dass man hier jetzt mal über Kinderrechte sprechen müsste!“

Das Mitgefühl für andere Menschen und für Tiere prägt sich in dieser Zeit stark aus. Der Egoismus, den Kinder oft haben, dass sie alles zuerst haben wollen, von allem am meisten, sich stark auf sich selbst konzentrieren und mit Frustration nicht umgehen können, vergeht in dieser Zeit!

▶Seid immer authentisch, ehrlich und bleibt echt! Seid keine Fake-Eltern! Wenn ihr mal geschrien habt, dann ist das so. Seid lebendige Eltern, keine perfekten Eltern. Ihr dürft Dinge falsch machen und macht damit so viel richtig. Seid manchmal hart zu euren Kindern, aber seid fair.

Gerade jetzt spielen sie gern „Verhaltenspolizei“ und achten sehr auf Unfairness und prangern dies auch an. Deshalb: Macht klare Aussagen.

Aufgrund der seelischen und körperlichen Veränderungen, diesen neuen Gefühlen und ständigen Hormonschüben, kann unser großes Kind gerne mal wieder zum kleinen Kind werden. Es sucht Sicherheit und Halt im Sturm der momentanen Gefühle. Seid hier sensibel und gegebenenfalls etwas nachsichtiger.

Die Kinder denken in dem Alter viel über Tod, Verlust und Unfälle nach. Gerade in der Nacht tauchen Ängste auf. Das sichere Gefühl der Kindheit vergeht langsam, und das macht ihnen Sorgen. Bitte seid immer für ein Gespräch bereit, hört zu und nehmt sie ernst.

Diese Diskussionen gewinnen an Intensität, Emotion und Lautstärke. Oft ist das mit dem Kind aus der Trotzphase nicht mehr zu vergleichen. Diese Phase hat uns schon Nerven gekostet, aber nun kann es gut sein, dass wir uns die Trotzphasen zurückwünschen, denn unsere Kinder flippen in Diskussionen gern mal total aus, und wir dann auch. Vielleicht werdet auch ihr als Erwachsene schneller mal laut. Das kann passieren. Wie gesagt: menschlich.

Erklärt euren Kindern später den Grund für eure Überreaktion, aber habt keine Schuldgefühle. Auch Eltern sind Menschen. Gebt Fehler zu.

Es kommt bei Kindern sehr gut an, wenn sie mitbekommen, dass ihre Eltern nicht perfekt sind. Das entlastet sie und heißt einfach, dass sie es auch nicht sein müssen.

Bleibt humorvoll, seid aufgeschlossen für zähe Verhandlungen, seid auch mal Teamplayer, tragt Verantwortung für eure Kinder und gebt ihnen durch eine klare Haltung Orientierung, dass sie sich selbstbestimmt entwickeln können. Wenige, aber klare Regeln.

Und: Nehmt euer Kind ernst, aber nehmt euch selbst nicht zu wichtig. Humor zeigt, dass wir wissen, dass das Leben nicht immer geradlinig läuft.

Als meine kleine Tochter letztens ins „große Bett“ wollte, haben wir gesagt: „Dann gehen wir in dein kleines Prinzessinnen-Bett!“ Und haben es tatsächlich auch gemacht. Nach ein paar Minuten kam die Tochter dazu, aber wir waren eingeschlafen. Noch Tage und zwei Bandscheibenvorfälle später konnten wir sehr darüber schmunzeln.

Gemeinsam lachen. Auch mal provokant. Das tut allen irre gut.

Macht aber klare Witze. Zynische Bemerkungen begreifen Kinder in diesem Alter noch nicht, und sie fühlen sich meist dabei herabgewürdigt. Übertreibungen mögen sie wiederum sehr gerne – und wenn man eine bestehende Rolle anders interpretiert. Wenn die Oma sagen würde: „Alta, Digga, ich bin so lost!“

Mein Sohn und ich beobachten auch gerne skurrile Leute, und ich spiele sie dann immer nach und mache vor, was sie sagen. Einmal sind uns solche Nachgeahmten sogar hinterhergerannt und haben uns zur Rede gestellt. Da bekam der Begriff Running Gag eine ganz neue Bedeutung. Aber ich habe die Situation selbstverständlich souverän geklärt und war vor meinem Sohn der Hirsch!

Ansonsten dürfen auch Eltern mal schlechte Tage haben. Eine ehrliche Aussage wie „Ich weiß gerade bei Thema X nicht mehr weiter. Ich habe alles versucht. Vielleicht hast du eine Idee?“ ist ebenfalls in Ordnung. So begegnen wir unseren Kindern auf Augenhöhe. Unsere Kinder spüren auf diese Weise, dass sie mit eingebunden werden. Sie fühlen sich wichtig, und durch das gemeinsame Finden einer Lösung sind sie auch öfter bereit, diese zu akzeptieren. Zwar nur für ungefähr zwei Stunden, aber hey – zwei Stunden! Das sind zweimal sechzig Minuten. Das ist schon eine Hausnummer.

Die hohe Kunst in der Pubertät ist, eine Balance zu finden. Wenn unser Kind zu sehr genervt ist, dann sind wir bei einem Thema vielleicht zu nah dran und kontrollieren zu viel. Hier möglichst neu aushandeln, neue Freiheiten geben und sich selbst mal rarmachen. Und sich etwas Gutes tun. Auf der anderen Seite weiter im Gespräch bleiben, da es auch nichts Blöderes für einen Teenager gibt, als wenn er das Gefühl hat, dass sich Mama und Papa nicht mehr so richtig um ihn kümmern wollen.

Und immer im Bewusstsein halten: Kinder müssen uns nicht zufriedenstellen. Das müssen wir schon selbst machen. Ein Kind muss auch nicht funktionieren. Das ist nicht seine Aufgabe. Wir müssen, und das wird in der Pubertät durch den Zeitgewinn immer machbarer, uns selbst zufriedenstellen. Das ist unsere Aufgabe.

Mach was für dich: Finde deine Pubertäts-Life-Balance!

Halte die Schlachtfelder begrenzt. Stell dir Fragen:

Was sind meine Werte?

Was ist mir wichtig?

Ist es wirklich die Schmutzwäsche auf dem Boden?

Schau in die Vergangenheit:

Was war bei deinen Eltern gut? Was nicht? Was willst du anders machen? Was möchtest du übernehmen?

Vergleicht euch aber nicht dauernd mit euren Eltern. Und denkt prinzipiell eher an das Positive.

Gerade in der momentanen Zeit ist es wichtig, auch mal rigide, also unnachgiebig, zu sein. Die Tochter hat keine Lust auf Klavierunterricht. Das kann passieren. Kinder brauchen da immer wieder einen, der sie motiviert: „Der Lehrer nimmt sich Zeit für dich. Der freut sich. Du hast dich da angemeldet. Wenn die fünf gebuchten Stunden um sind, können wir ja noch mal darüber reden!“

Es gibt nicht wenige Eltern, die im gehobenen Alter immer noch dankbar sind, dass ihre eigenen Eltern sie immer wieder zu ihren Hobbys motiviert haben. Sie sind heute froh, dass die Eltern damals darauf beharrt haben, dass man dranbleibt. Gerade in der Vorpubertät kommt man in guten Momenten oft noch an sie ran und kann sie überzeugen. Das sollte man nutzen. In der eigentlichen Pubertät werden Hobbys und Leidenschaften ausprobiert und schnell wieder ausgetauscht. Die Hobbys aus der vorpubertären Zeit bleiben oft ein Leben lang aktuell.

Natürlich gilt das nicht, wenn unser Kind eine große Abneigung oder sogar Ängste gegenüber dem Hobby entwickelt. Aber das entgeht einem auch nicht.

Wirklich hart bleiben sollten, nein, müssen wir bei gesundheitlichen Fragen, ein gern genommenes Beispiel ist hier die Zahnspange.

Eine Freundin hat mir erzählt, dass ihr 32-jähriger Sohn sich kürzlich bei ihr bedankt hat: „Mama, das war sooo richtig, dass du mich gezwungen hast, eine feste Spange anbringen zu lassen. Ich freu mich heute sehr, wenn jemand sagt: Ach, Philipp, du hast aber schöne Zähne!“ Hier gilt es, sich durchzusetzen, notfalls mit Verboten. Wer weiß, wie teuer so eine Zahnspangenzeit ist, weiß, wovon ich spreche! Und ich garantiere, dass alle, wirklich alle, letztendlich mit dem Ergebnis zufrieden sein werden.

Ansonsten gilt: Habt Spaß daran, euer Kind kennenzulernen. Denn es wird sich jetzt in der Vorpubertät mehr und mehr verändern. Es wird erwachsen. Spannend. Fordernd, aber auch sehr interessant.

Seid aufmerksam. Behandelt es gerade in intensiven Gesprächen und Diskussionen eher gleichberechtigt und vielleicht sogar wie einen Freund. Wie würde ich jetzt mit einem Freund sprechen? Würde ich da auch so sehr von oben herab kommunizieren oder es lieber auf Augenhöhe probieren? Setzt euch zu eurem Kind.

Dazu gehört auch, das Handy nicht zu oft in die Hand zu nehmen, wenn euer Kind mit euch spricht. Das würde man bei einem Freund auch nicht so oft machen. Nun gut, sollte man zumindest nicht …

Ganz klar: Am Ende entscheidet ihr. Denn ihr tragt die Verantwortung.

Habt echtes Interesse, nehmt euch Zeit, es gibt nicht nur statistisch gesehen einen Grund, zu glauben und zu vertrauen, dass es am Ende gut wird. Dass er oder sie ein großartiger Erwachsener wird, den wir später in seiner Bude besuchen und der sagen wird: „Mama, Papa … aber mal schön vor der Tür die Schuhe ausziehen!“ Und wenn er gekocht hat und wir sagen: „Du weißt doch, ich mag kein …“ – „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!“

Das hat dann nicht mehr viel mit Rebellion zu tun. Das war bei meinem Sohn auch so. Vor Kurzem haben wir zu viel Toastbrot eingekauft, und er meinte ernsthaft: „Papa, da können wir eins einfrieren!“ Und meine Frau meinte: „Er wird erwachsen!“ Ich konterte entsetzt: „Nein, er wird ein Spießer!“

Unterm Strich: Alles wird groß.

Kinder lieben ihre Eltern, ihr könnt nichts falsch machen. Gebt eurem Kind das Gefühl, dass es später mit jedem Problem zu euch kommen kann. Fehler können passieren. Es ist wichtig, dass wir damit umgehen können und es unseren Kindern vorleben.

Euer Liebesbedürfnis können Kinder im beginnenden Abnabelungsprozess nicht mehr befriedigen. Die Kids kommen nicht mehr so oft zum Knuddeln. Genießt es umso mehr, wenn sie es denn mal tun! Auch hilft Sekundenkleber.

Also: Lenkt eure Aufmerksamkeit auf euch selbst. Was kann ich machen, dass es mir gut geht? Was kann ich als Frau, als Mann machen? Achte auf deine eigenen Bedürfnisse.

Eure Werte sind oft sehr wertvoll für unser Kind – und gerade in der vorpubertären Phase noch zentral. Ansonsten werden diese nach und nach immer mehr infrage gestellt. Und sie werden dagegen sein. Das müssen sie, um sie mit ihren Idealen, ihrem Denken und ihren Erfahrungen abzugleichen. Sie behalten unsere Werte aber bei sich. Und finden sie oft erst Jahre später wieder und bewerten sie dann als positiv.

Bedenkt: Unsere Kinder beobachten uns genau. Sie scannen uns.

Wie agieren wir als Erwachsene miteinander? Welche Einstellung haben wir dabei? Wie reden wir über die Nachbarn, über die Schwiegermutter und über das Finanzamt! Ihr eigenes Verhalten können sie oft noch nicht so gut bewerten und beurteilen. Zunächst orientiert man sich an Gut und Böse: Gallier und Römer, Batman und Joker und alle und der Wendler. Sie lernen zum ersten Mal die sozialen Regeln und moralische Werte.

Sie verstoßen hin und wieder gegen alle Regeln. Sie bauen Mist, aber zum Mistbauen gehört eine Idee, eine Initiative, Mut und eigenständiges Handeln. Sie wissen ja noch nicht, was ‚zu weit gehen‘ heißt und was hinnehmbar ist. Das finden sie heraus. Sie probieren aus. Sie schauen, was möglich ist. Und wir geben ihnen das Feedback, was nicht möglich ist.