Es gibt (k)ein Zuspät - Michael Stahl - E-Book

Es gibt (k)ein Zuspät E-Book

Michael Stahl

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Beschreibung

Womit füllen wir unsere Zeit? Was machen wir mit unserer Zeit? Zu spät – Es gibt so vieles, das wir nicht rückgängig machen oder nachholen können. Was macht das mit uns, und was machen wir damit? Wie können wir trotzdem Frieden finden? Noch nicht zu spät – Wie viel Zeit habe ich noch, um etwas zu erledigen, das mir wichtig ist? Kann ich Versöhnung und Vergebung erlangen, bevor ich die Chance dafür verpasst habe? Rechtzeitig – meine Beziehung zu Gott und den Menschen in Ordnung bringen, Heilung im Herzen erlangen, das ist möglich. Durch viele berührende Lebenszeugnisse ermutigt uns Michael Stahl, rechtzeitig die Chancen zu ergreifen, die wirklich wichtigen Dinge zu tun. Aber er zeigt auch auf, dass es selbst nach einem Zuspät noch Hoffnung gibt, im eigenen Herzen zur Ruhe zu kommen. Seine Erlebnisse und Erfahrungen helfen uns, unsere kostbare Zeit zu nutzen und sie mit Gutem und mit Liebe zu füllen.

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Michael Stahl

Es gibt (k)ein Zuspät

Von der Notwendigkeit,unsere Zeit mit Liebe zu füllen

GloryWorld-Medien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Auflage 2022

© 2022 Michael Stahl

© 2022 GloryWorld-Medien, Xanten, Germany, www.gloryworld.de

Alle Rechte vorbehalten

Bibelzitate sind, falls nicht anders gekennzeichnet, der Lutherbibel, Revidierte Fassung von 2017, entnommen.Weitere Bibelübersetzungen:

ELB: Elberfelder Bibel, Revidierte Fassung von 2006GNB: Gute Nachricht Bibel, 2002HFA: Hoffnung für alle, Basel und Gießen, 1983NeÜ: Neue evangelistische Übersetzung © 2013 Karl-Heinz VanheidenNLB: „Neues Leben. Die Bibelübersetzung“, Holzgerlingen, 2002SLT: Schlachter 2000

Lektorat: Klaudia WagnerSatz: Manfred MayerUmschlaggestaltung: Rainer Zilly, www.kreativ-agentur-zilly.deUmschlagfoto: pixabay.com/Skitterphoto

ISBN (epub): 978-3-95578-707-3

ISBN (Druck): 978-3-95578-607-6

 

Inhalt

Vorwort

1 Die 43. Minute

2 Mein kleines Leben

3 Verloren und gewonnen

4 Verpasste Umarmung

5 Späte Versöhnung

6 Spätes Gift

7 Fußpflege

8 Die vorgezogene Trauerrede

9 Der Notruf

10 Der Pokal

11 Freddys Gebet

12 Das Glöcklein

13 Der Beckenrand

14 Miggis (Box)Kampf

15 Himmlische Umarmung

16 Schrei nach Liebe

17 Nutze die Zeit

18 Träume und Erfolg

19 Es gibt ein Zuspät

20 Feierlichkeiten

21 Zweifel

22 Pünktlichkeit

23 Kommunikation

24 Hör mal

25 Der Postbote

Nachwort

Zum Autor

 

 

Vorwort

Nachdenklich, fast verträumt, sitze ich vor meinem PC und kämpfe mit meinen Gedanken: Wie beginne ich dieses Buch?

Es ist Mitte April 2022. Bereits zwei Jahre Pandemie liegen hinter uns. Von morgens bis abends werden wir mit Zahlen, Prognosen und einer Menge Horrorszenarien von allen Seiten „bombardiert“. Ich wähle bewusst dieses Wort, denn was verursacht diese Fülle an Zahlen und Bildern in unseren Köpfen und Seelen, bei unseren Kindern und Senioren – Menschen, die sowieso schon unter diversen Ängsten leiden – und bei uns selbst? Mitten in alledem beginnt der Krieg in der Ukraine. Haben wir uns doch schon irgendwie an so viele Kriegsmeldungen gewöhnt; Syrien, Afghanistan, Jemen, um nur ein paar zu nennen. Doch auf einmal wird der Krieg eher greifbar für uns, weil er auf unserem eigenen Kontinent stattfindet. Macht es diesen Krieg deshalb schlimmer bzw. die anderen durch die größere Distanz weniger schlimm? Man hört von Friedensgebeten. Geistliche, Politiker und viele andere rufen zum Frieden auf. Sie fordern und erhoffen sich Frieden! Doch wie sieht es da in unserer kleinen Welt um uns herum aus? In Psalm 34,15 fordert uns Gott auf: „Suche Frieden und jage ihm nach.“

Immer wieder vernehmen wir in den Medien, dass sich Delegierte aus der Ukraine und aus Russland zu Friedensverhandlungen treffen. Wie sieht es mit unseren eigenen Friedensverhandlungen aus? Streben wir Frieden in unseren Familien an, in der Verwandtschaft, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft, in den Schulen, Universitäten und Vereinen, im Internet usw.? Wie oft ist es so, dass wir uns im Recht fühlen und vom anderen erwarten, dass er den ersten Schritt tut. In sozialen Netzwerken und Talkshows bekriegt man sich wegen des Kriegs. Ach ja, wir wissen ja, dass bei jedem Streit meistens die anderen schuldig sind. Doch es sind ja nicht die anderen, die dieses Buch gerade lesen, sondern du. Ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn wir im Kleinen den Frieden suchen, dies wie ein Virus ist – ein Virus der Liebe, der andere ansteckt.

Im Text eines wunderschönen Kirchenliedes heißt es: „Ins Wasser fällt ein Stein, ganz heimlich, still und leise; und ist er noch so klein, er zieht doch weite Kreise. Wo Gottes große Liebe in einen Menschen fällt, da wirkt sie fort in Tat und Wort hinaus in unsre Welt.“

Daran glaube ich, weil ich es immer wieder erlebe: Liebe ist die größte Kraft in unserem Universum. Liebe liebt das Schöne aus einem Menschen hervor.

Dieses Buch möchte dich ermutigen, die Dinge, die zu tun sind, mit Gottes Hilfe in die Tat umzusetzen. Apropos „du“: Bei meinen Besuchen in den Gefängnissen, an den Sterbebetten, bei den Drogensüchtigen und Obdachlosen sind wir stets beim freundschaftlichen Du, und deshalb wähle ich diese Anredeform auch in diesem Buch und hoffe, dass das okay für dich ist.

Es geht um Frieden – Frieden mit sich selbst, mit den Mitmenschen und mit Gott. Es geht in diesem Buch nicht um irgendwelche schlauen Thesen, sondern um Lebensgeschichten: Entscheidungen, die zu treffen, Wege, die zu gehen und Worte, die zu sagen sind. Es geht darum, dass es ein Zuspät gibt – und dass es für manche Dinge nie zu spät ist.

Es muss wohl 2015 gewesen sein, als nach einem meiner Vorträge zum Thema Versöhnung ein Mann am Ausgang bitterlich weinte. Ich hatte nur noch Augen für ihn und ging zu ihm hin. Kaum war ich bei ihm angelangt, flüsterte er mit zittriger Stimme: „Ach hätte ich deinen Vortrag doch schon eher gehört, dann bräuchte ich jetzt nur noch eine einzige Minute. Dann wüsste ich, was ich nun zu sagen hätte. Doch leider ist mein Papa vor wenigen Tagen gestorben.“

Es gibt ein Zuspät! Dieser Mann musste es bitter erfahren, und ich selbst leider auch zu oft in meinem Leben. Konzentrieren wir uns also darauf, wo wir diese eine Minute heute noch sinnvoll leben und nützen können …

Heute ist ein guter Tag, diesem Frieden nachzujagen, diese eine Minute mit den richtigen Worten zu füllen. Denn wer morgen erst nach Frieden sucht, lebt heute noch im Krieg.

Heute ist ein guter Tag, um zu loben, Liebe auszusprechen, um Verzeihung zu bitten und Vergebung zu gewähren. Zu wem könntest du heute gehen, wen könntest du heute noch anrufen, um nur eine Minute diesem Menschen zu widmen?

Frieden ist das Ziel, wonach sich jedes Menschenherz im Grunde sehnt. Ein Friede, der alle Vernunft übersteigt. Ein Friede, den diese Welt nicht geben kann.

Ich hoffe, ich habe deine Neugierde geweckt. Schau dir deine wahren Sehnsüchte an und lerne den kennen und lieben, der sie in dein Herz gelegt hat. ER selbst ist der Weg und das Ziel.

Erkenne, wofür es noch nicht zu spät ist, und nutze die Zeit. Egal, welche Wege du gehst und auf welche Weise du es tust, du bist nie allein. Du bist geliebt!

Herzlichst

Michael

 

 

1 – Die 43. Minute

Oh, ich liebe Fußball! Jedem Ball muss ich hinterherjagen. Als kleiner Junge wuchs ich nahe an der bayrischen Grenze auf, zehn Kilometer von Nördlingen entfernt. Aus dieser Stadt stammte der „Bomber der Nation“, Gerd Müller. So oft hörte ich als kleiner Knirps seinen Namen. Samstag für Samstag verbrachten wir abends die Zeit vor dem mittelalterlichen TV-Gerät und schaute Fußball. Alle waren von Gerd Müller begeistert. Einer aus unserer Ecke hatte es zu Weltruhm gebracht. Er war irgendwie greifbar, nahe, seine Mutter wohnte noch dort. Manchmal liefen wir an seinem Elternhaus vorbei und hofften, die Mutter des „Bombers“ zu sehen. Für den FC Bayern schoss er ein Tor nach dem anderen. Damals (jetzt müssen einige von euch stark sein) entwickelte sich meine Sympathie für den FC Bayern München, und daran hat sich die letzten (fast) 50 Jahre, nichts geändert ☺.

Bis heute schau ich mir viele Fußballspiele im Fernsehen an und freue mich besonders auf Welt- und Europameisterschaften. So auch am 12. Juni 2021 beim EM-Spiel Dänemark gegen Finnland. Ich machte es mir vor meinem Fernseher gemütlich und verfolgte aufmerksam die Partie. Es gab einen Einwurf, den ein Spieler der dänischen Mannschaft ausführte und seinem 29-jährigen Mitspieler Christian Eriksen entgegenwarf. Doch irgendwie kam dieser zu Fall. Wurde er gefoult oder war er einfach nur gestolpert? Auf die Schnelle konnte ich es selbst nicht erkennen.

Binnen Sekunden dachte keiner mehr an Fußball. Allen Spielern und allen Zuschauern wurde klar, dass etwas Dramatisches passiert war. Christian Eriksen war ohne Bewusstsein. Der Schiedsrichter Anthony Taylor unterbrach das Spiel und das Unfassbare nahm seinen Lauf. Christian Erikson wurde auf dem Platz reanimiert. Seine Mitspieler bildeten einen Kreis um ihn, um so einen Sichtschutz zu erzeugen. Die meisten weinten. Die Betreuer kämpften um Christians Leben. Der Reporter rang nach Worten. Lähmendes Entsetzen im Stadion und vor den Bildschirmen in der ganzen Welt.

Während ich diese Zeilen tippe, erwachen die Bilder und Emotionen von damals wieder in mir. Ich fing an zu beten. Auch sein Trainer Kaspar Hjulmand kniete am Spielfeldrand, hatte seine Hände gefaltet und betete. In den sozialen Netzwerken überschlugen sich die Ereignisse. „Pray for Christian Eriksen“ wird millionenfach gepostet. Betende Hände, wohin man schaute. Waren dies die letzten Momente des Lebens von Christian Eriksen? Welche Pläne hatte er wohl noch? Was hätte man ihm gerne noch einmal gesagt? War es zu spät? Zu spät für tröstende Worte? Zu spät für ein Lob? Zu spät für ein „Ich liebe dich“, ein „Ich bin stolz auf dich“, ein „Bitte verzeih mir“, ein „Schön, dass es dich gibt“?

Was für ein berührendes Bild: Der betende Trainer, Tausende, die im Stadion beteten. Das Schweigen, die Tränen, die vielen stummen Gebete, die Blicke gen Himmel; was für bewegende Momente, die mit Worten kaum zu beschreiben sind.

Doch von wem erwarteten sie Beistand?

Keiner wird irgendwelche Horoskope um Rat und Hilfe gefragt haben. Konnte etwa das Universum mit seiner „universellen Energie“ hier helfen? Würden die tiefen persönlichen Schreie von einem unpersönlichen „Es“ gehört und erhört werden? Was halfen die gedrückten Daumen? Ich werde diese Fragen in diesem Büchlein wohl noch öfter stellen – weil ich mir sicher bin, dass wir alle tief in unserem Herzen genau um Gott wissen: dass er das DU, das Gegenüber ist, wonach unser Herz sich sehnt.

Das Leben von Christian Eriksen wurde an diesem Tag gerettet. Was wird von dieser 43. Minute im Spiel Dänemark gegen Finnland in Erinnerung bleiben? Das Bewusstsein, wie zerbrechlich, wie endlich unser Leben ist. Von einer Sekunde auf die andere ist unser Leben nicht mehr, wie es einmal war.

Die Welt erlebte an diesem Tag, dass Menschen spontan, ja, reflexartig wissen, wen sie in absoluter Not und in letzter Konsequenz anflehen und um Hilfe bitten – GOTT!

Wäre Christian Erikson an diesem 12. Juni 2021 gestorben, so hätte er vor Gott gestanden, dessen bin ich mir sicher. Vor dem, den Millionen an diesem Tag um Hilfe anflehten. Hatte er Frieden mit seinem Schöpfer? Und wie ist es bei dir? Hast du selbst Frieden mit IHM? Was ist, wenn deine 43. Minute anbricht?

 

Christian Eriksens Leben geht weiter. Er spielt wieder Fußball. Dieses dramatische Ereignis ist nun ein Teil der Geschichte. Hat es Menschen zum Nachdenken gebracht? Hat dieses Ereignis Menschen zum Umdenken animiert? Zum Nachdenken, dass es vielleicht sogar eines Tages ein Zuspät gibt?

Ein Zuspät für viele wunderbare Dinge, Worte, Gesten???

Ein Zuspät für Frieden mit uns selbst und unseren Mitmenschen und sogar ein Zuspät, um Frieden mit Gott zu haben? Jeder Mensch mag hierzu sein eigenes Herz prüfen.

Lehre uns zu bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden (Psalm 90,12).

Mögen wir alle klüger werden und unsere Lehren aus dieser 43. Minute ziehen.

 

2 – Mein kleines Leben

Es ist Karfreitag. Eine wunderschöne Melodie erfüllt mein kleines, bescheidenes Büro. Gedanken kreisen, mein Herz ist berührt von den vielen Ereignissen der letzten Zeit. Meine Gedanken schweifen umher, und so sehe ich Momente meines ganzen Lebens vor mir.

Mein kleines Leben, eine Geschichte von Zweifeln, Versagen, Ängsten, Schuld und vielen verpassten Chancen. Oft höre ich Menschen sagen, dass man etwas nachholen kann. Leidvoll musste ich für mich persönlich feststellen: Nichts, aber auch gar nichts lässt sich nachholen. Was vorbei ist, ist vorbei. Die Erkenntnisse daraus geben uns die Gelegenheit, unsere Zukunft anders zu gestalten.

Nicht alle werden meine Geschichte kennen, deshalb hier eine kleine Rundreise durch mein Leben:

 

Geboren wurde ich an einem Sonntag, den 6. September 1970. Mein Papa war Alkoholiker und arbeitete Zeit meines Lebens nichts. Sätze wie „Du bist nichts“, „Du kannst nichts“ oder „Aus dir wird nichts“ hörte ich immer und immer wieder. Sie prägten meine Seele im Innersten und haben selbst heute noch nicht alle Kraft verloren. Doch kann ich mit Sicherheit und Freude sagen, dass Gottes Liebe an meinem Herzen arbeitet und es Stück für Stück heilt – es gesundliebt.

Aufgewachsen bin ich in unbeschreiblicher Armut. Meine geliebte Mama opferte sich für uns auf. Was sie angeht, schämte ich mich nie. Es wurde viel geschrien bei uns, weshalb ich heute wohl so sehr die Ruhe genieße. Meine Oma, die 1984 starb, erzog mich im Glauben an Jesus, ebenso wie meine geliebte Tante und Taufpatin Elfriede, die im September 2021 mit 88 Jahren zu Jesus in die Ewigkeit ging.

In der Schule wurde ich über Jahre hinweg gehänselt, ja, nicht selten zutiefst gedemütigt. In meiner Verzweiflung ließ ich meinen Druck und Frust wiederum an Schwächeren aus.

Ich war so ungefähr 11 Jahre alt, als ich ein anderes Kind auslachte. Später erfuhr ich, dass dieses Kind todkrank gewesen war. Es tat mir unendlich leid. Ich hätte es gerne ungeschehen gemacht, doch dafür war es zu spät. Unsere bösen Taten und verletzenden Worte sind wie Kugeln, die wir aus einer Pistole abfeuern. Haben wir einmal den Abzug betätigt, können wir die Kugel nicht wieder einfangen. So verletzten unsere gemeinen Worte und Taten immer und immer wieder und hinterlassen eine Spur von Wunden – Wunden, die vielleicht äußerlich nicht sichtbar, aber doch da sind.

 

In den letzten Jahren ging ich zu einigen Personen, denen ich weh getan hatte und bat sie um Vergebung. Bei jedem Gang hatte ich schwere Beine, einen Druck in der Magengegend und nicht selten einen Kloß im Hals. Doch es war mir wichtig, diese Wege zu gehen, bevor es eines Tages zu spät sein würde.

Gestohlen habe ich auch, und das nicht wenig. Süßigkeiten, Feuerzeuge, Schulmaterial, Zigaretten; sogar meine eigene Mama habe ich bestohlen. Während ich meine Diebestaten aufzähle, kämpfe ich mit den Tränen. Da ist eine Tat, die mich noch bis heute sehr plagt: Meiner geliebten Oma klaute ich Anfang der 80er-Jahre einen Zehn-Mark-Schein. Bereits wenige Minuten nach meiner Tat plagte mich mein schlechtes Gewissen. Obwohl ich weiß, dass Gott mir vergeben hat, schäme ich mich bis heute. Ich habe es nie jemandem erzählt. Meine Familie wird diese Zeilen lesen … Ja, ich war nicht nur ein gewöhnlicher kleiner Ladendieb, sondern ich habe sogar meine Liebsten bestohlen, meine Mutter und meine Oma. Meine Mama bat ich um Vergebung, bei meiner Oma ist es zu spät.

Die Jahre vergingen; ich wurde größer und meine Traurigkeit auch. Oft spielte ich mit dem Gedanken, mir das Leben zu nehmen.

Eines Tages war ich mit meinen Eltern und Verwandten zu einem Sonntagsspaziergang unterwegs. Wir wanderten auf einen kleinen Berg, als ich plötzlich einen alten Autoreifen entdeckte. Meine Neugierde war geweckt.

Was würde wohl passieren, wenn ich diesen Reifen den Hügel hinunterkullern lassen würde? Ich überlegte nicht lange. Am Fuße dieses Hügels war eine Landstraße, aber soweit dachte ich nicht. Fröhlich stellte ich den Reifen auf und ließ ihn Richtung Tal rollen. Kaum hatte ich den Reifen losgelassen, als das Geschrei der „Alten“ mich aus meiner Begeisterung riss. „Um Gottes Willen, was machst du da? Da unten ist doch eine Straße …“, riefen sie entsetzt. Leider konnte ich den Reifen nicht mehr einfangen, denn er war ziemlich schnell unterwegs. Würde ich nun durch meine Aktion einen Unfall verursachen? Würde es Verletzte oder gar Tote geben?

Panik machte sich in mir breit. Ach hätte ich das doch nie getan! Wären wir doch lieber einen anderen Weg gegangen! Nun war es zu spät, ich konnte diese Tat nicht mehr rückgängig machen. Wieder einmal versagt, wie so oft, dachte ich mir.

Bange Momente … ich wartete auf einen Knall. Würde ich wieder mal schuldig? Schuld vielleicht, dass Menschen sich verletzten oder gar sterben würden? Meine Seele war in Aufruhr!

Es gab an diesem Tag keinen Unfall. Doch meine Tat plagte mich wochenlang. Immer, wenn ich irgendwo die Polizei sah, dachte ich, sie würden mich holen und für meine Reifenaktion einsperren. Wochenlang wünschte ich mir, es ungeschehen machen zu können. Aber irgendwie war es total verlockend gewesen, den Reifen ins Tal zu befördern …

Auch schulisch befand ich mich auf einer Talfahrt. Ich besuchte von der 5. bis zur 7. Klasse die Realschule. Meine Umstände, die Quälerei durch die anderen und meine Faulheit führten dazu, dass ich die Schule verließ und in die Hauptschule wechselte.

Im Fußball und Kampfsport konnte ich mich austoben und bekam ein wenig Bestätigung. Von 1986–1989 machte ich eine Ausbildung als Verkäufer, zum Einzelhandelskaufmann hat es leider nicht mehr gereicht. In den Augen meines Vaters hatte ich wieder einmal versagt, wie so oft.

Nach einem Streit im Winter 1988 zog ich aus und verbrachte einige Wochen ohne Wohnung, schlief mal hier und mal da. Ich war obdachlos, hatte kein eigenes Zuhause. In dieser Zeit lernte ich meine erste Frau kennen. 1994 wurde ich Papa. Ein wunderbarer Sohn wurde uns – mir – geschenkt.

Ich mach es besser als mein Vater, das war mein Motto. Doch ich war ein Getriebener. Da mein Vater nichts arbeitete, schuftete ich selbst oft Tag und Nacht. Ich war kaum für meine Familie da. Die wirklich wichtigen Dinge habe ich mit meinem Sohn nicht gemacht. Seine Mama und ich trennten uns. Wieder mal versagt, wieder einmal verloren. Allerdings sah ich damals die Schuld oft oder ausschließlich bei den anderen.

Ich kniete mich mehr und mehr in den Kampfsport, denn mein Leben war ja ein Kampf. Da ich eine tiefe Unsicherheit in mir trug, suchte ich den Weg in den Sicherheitsdienst. Kampfsport, Security, kaputte Beziehungen und falsche Entscheidungen bestimmten mein Leben. Nach außen hart, aber innerlich ein zerbrochener Kerl auf der Suche nach Frieden und Anerkennung, nach Harmonie und Familie, nach Vergebung und – Erlösung.

Immer wieder dachte ich an Jesus, an den Erlöser, von dem mir Oma und Tante Elfriede erzählt hatten. Je mehr ich mich von ihm entfernte und es auf meine Weise versuchte, desto mehr fuhr ich mein Leben an die Wand.

Es war 2004, als ich wieder einmal am Ende einer gescheiterten Beziehung stand. Am selben Tag erklärte mir mein Steuerberater, ich müsse tausende Euro Steuern nachzahlen. Wie hypnotisiert verließ ich das Büro meines Steuerberaters und setzte mich hinter das Lenkrad meines schrottreifen Autos. Auch das Steuerrad meines Lebens hatte ich bis zu diesem Tag krampfhaft in meinen Händen gehalten. Auf Gottes Rat hatte ich kaum etwas gegeben. Mein schlechtes Gewissen und meine wahren, aber unerfüllten Sehnsüchte ignorierte ich, rannte bockig vor ihnen davon.

Erschöpft, traurig und zerbrochen legte ich meinen Kopf auf das Lenkrad, mitten auf dem Parkplatz des Steuerbüros. Wieder einmal war alles zu spät. Wieder einmal komplett versagt. Hatte mein Vater mit seinen Prognosen doch recht? In meinem Kopf hämmerten seine Worte: „Du bist nichts … du kannst nichts … aus dir wird nichts …“

Beziehungsunfähig, einsam, verschuldet und obdachlos – alles schien aussichtslos. Ich hatte das Leben verpasst, Menschen enttäuscht und verletzt. Für vieles war es einfach zu spät.

An diesem Tag betete ich mit dem Kopf auf dem Lenkrad meines alten Ford Mondeo: „Herr, hier hast du mein Leben! Ich bin am Ende! Schenke du mir einen Neuanfang!“

Mit 34 Jahren zog ich für einige Wochen wieder zu meiner Mama, so lange, bis ich eine kleine Wohnung fand. Im Jahr 2006 lernte ich meine heutige Frau kennen. Im Nachhinein kann ich es kaum verstehen, wie sie sich in so einen kaputten Typen wie mich verlieben konnte. Mein Leben bekam eine gewisse Stabilität, zumindest nach außen hin. Mein Sohn, mein Papa und viele andere Familienmitglieder waren mir allerdings fast fremd bzw. ich ihnen.

2007 sah ich eines Nachts meinen betrunkenen Vater durch unser Städtchen schwanken. Eine Stimme tief in mir flüsterte zu meinem Herzen: „Dein Papa hat nicht mehr viel Zeit. Mach Frieden, solange du es noch kannst und bevor es zu spät ist!“

Woher kam diese Botschaft? Ich kämpfte doch so hart mit mir selbst, wie konnte es da Frieden zwischen meinem Vater und mir geben? Zwischen mir und diesem Typen, dem ich aus dem Wege ging, vor dem ich mich nicht selten versteckte! Den ich verleugnete! Den ich Erzeuger anstatt Vater nannte!

Eines Nachts träumte ich, mein Papa sei gestorben. Am nächsten Morgen wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich ging den schwersten Weg meines Lebens. Nur 140 Meter von meiner Wohnung entfernt wohnte Papa in einer Kneipe, in Zimmer Nummer 5. Ich musste ihn erreichen, so schnell es ging, und ihm sagen, dass ich ihn liebe, bevor es zu spät war.

So stand ich an diesem Tag mit schweren Beinen in seiner Bude und flüsterte: „Papa, ich hab dich lieb!“ Mit 37 Jahren sprach ich ihm meine Liebe aus und bat ihn um Verzeihung für meine Schuld. Diese Worte veränderten nicht nur mein Leben, sondern seines gleich mit – sowie auch das Leben von vielen, die später diese Geschichte auf verschiedenen Wegen hörten.

Ich empfand pure Freiheit. Es war nicht zu spät gewesen, ich war noch rechtzeitig bei ihm. Zweieinhalb Jahre hatten wir noch miteinander. In dieser Zeit erzählte er mir von seinem Leben. Je mehr ich von ihm erfuhr, desto mehr verstand ich ihn (Verstehen bedeutet allerdings nicht Rechtfertigung oder jemanden aus seiner Verantwortung zu entlassen).

Sein Vater, mein Opa, hatte auch ihn verprügelt. Lob und Wertschätzung hatte es nicht gegeben. Opa war im Krieg gewesen und in russischer Kriegsgefangenschaft. Über Gefühle sprechen oder sie zeigen, das war ihm nicht möglich gewesen. So ist es immer und immer wieder in dieser Welt: Einer gibt dem anderen die Lieblosigkeit weiter, bis zu dem Tag, an dem es einmal zu spät ist – oder bis zu dem Tag, an dem dieser Teufelskreis durch Vergebung, Annahme und Liebe unterbrochen wird.

Als ich damals zu meinem Papa ging, erwartete ich nichts, denn wer etwas erwartet, wird enttäuscht. Ich ging, um ihm meine Liebe auszudrücken und ihn um Verzeihung zu bitten, bevor es zu spät sein würde. Das hätte ich mir vielleicht selbst nie verziehen.

Nie wieder sagte ich, er solle mit dem Saufen aufhören. Ich liebte ihn einfach. Wir verbrachten Zeit miteinander und redeten viel. Eines Tages hörte er mit dem Trinken auf. Er fand für viele Menschen versöhnliche Worte. Wo Bitterkeit gewesen war, entstand Freude. Wo einst Böses war, nahm Liebe den Platz ein. So bat er mich eines Tages darum, mit ihm zu beten. Unfassbar, was Liebe mit einem Menschen machen kann. Trotz alledem brauchten wir fast zwei Jahre, bis wir uns zum ersten Mal in den Armen lagen. Zu groß waren unsere Verletzungen. In Gedanken hielten wir einander – ich ihn und er mich. Ein Stück vom Himmel … angenommen und gehalten …!

Mein Papa durfte noch die Geburt meiner Tochter 2009 erleben. Als er einen Tag später ins Krankenhaus kam, um seine Enkelin zu sehen, gab ich ihm das kleine wunderbare Glück in seine Arme. Als er sie hielt, weinte er. Ein Jahr später ging er im völligen Frieden zu Jesus. Kurz bevor er ging, sprach ich ihm noch einmal meine Liebe zu und küsste ihn auf seine Wange.