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Die Fortsetzung der süchtig machenden Fantasyserie über ein außergewöhnliches Talent! **Harte Prüfungen für die Akademie der Magiebegabten** Bis vor Kurzem hat die Vorbereitung auf den prächtigen Gabenball noch die ganze Akademie in freudige Erwartung versetzt. Nun kehrt das dabei entstandene Fiasko alles in eine Lawine aus Angst und Schrecken um. Zum ersten Mal in ihrem Leben muss Ria ihr Talent gegen eine echte Gefahr einsetzen und dabei alles anwenden, was ihr jemals beigebracht wurde. Doch es ist die unerwartete Hilfe an ihrer Seite, die ihr die notwendige Kraft gibt. Und bald auch ihr Herz höher schlagen lässt... Lia Kathrina führt uns in eine Welt voller übernatürlicher Fähigkeiten, magischer Herausforderungen, ernstzunehmender Rivalen und großer Gefühle. //Beide Bände der magischen Dilogie: -- Essenz der Magie 1. Die Leerenbegabte -- Essenz der Magie 2. Die Feuerprüfung// Diese Reihe ist abgeschlossen.
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Seitenzahl: 314
Lia Kathrina
Essenz der Magie 2: Die Feuerprüfung
**Harte Prüfungen für die Akademie der Magiebegabten** Bis vor kurzem hat die Vorbereitung auf den prächtigen Gabenball noch die ganze Akademie in freudige Erwartung versetzt. Nun kehrt das dabei entstandene Fiasko alles in eine Lawine aus Angst und Schrecken um. Zum ersten Mal in ihrem Leben muss Ria ihr Talent gegen eine echte Gefahr einsetzen und dabei alles anwenden, was ihr jemals beigebracht wurde. Doch es ist die unerwartete Hilfe an ihrer Seite, die ihr die notwendige Kraft gibt. Und bald auch ihr Herz höher schlagen lässt …
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© David Milan
Lia Kathrina lebt mit ihren zwei Katzen und unzähligen Büchern und Manga in der lauten, vielfältigen und unfreundlichen Stadt Berlin – und möchte niemals weg. Sie arbeitet als freiberufliche Pressereferentin und im Office einer Berliner Firma. Nebenbei betreibt sie einen YouTube-Kanal über Bücher. Von klein auf dachte sie sich mit ihrer kleinen Schwester Geschichten aus und beschloss 2017, endlich ihren Traum zu erfüllen und ein Buch zu schreiben.
Für Tally
Du sagst, du wärst mein größter Fan?
Irrtum! Ich bin deiner!
Das Beben verstärkte sich.
Noch vor einer Minute war ich in einem Odette Kostüm mit Sam über den Waldboden mitten in unserem Speisesaal gewirbelt. Jetzt konnte ich mich kaum auf den Beinen halten. Ich suchte den Raum hektisch nach Jara und John ab und endlich entdeckte ich sie, die beiden standen an der Bar und hielten sich an den Ästen fest. Layla und Chris standen ein paar Meter von uns entfernt.
»Layla! Heb uns hoch«, rief ich ihr laut zu. Sie fokussierte mich und Sam und wir hoben vom Boden ab.
Jetzt konnte ich meine Gabe besser einsetzen.
Mit geschlossenen Augen ließ ich sie frei. Ich spürte deutlich, dass sich fremde Begabte in unserer Akademie befanden und wenn ich mir die Stärke ihrer Lebensessenz vor Augen führte, hätte ich mein Kleid darauf verwettet, dass die Eindringlinge Gesegnete waren. Dieser Erdbegabte, den ich erspüren konnte, war der gleiche wie letztes Mal beim Angriff auf unsere Akademie, als ich im Archiv feststeckte.
»Gesegnete«, sagte ich. Sam rief es unseren Lehrern zu. Mr Riefer nickte nur. Er hatte es vor allen anderen bemerkt. Wie mächtig dieser Mann doch sein musste, dass er es gespürt hatte, bevor überhaupt ein Angriff begonnen hatte.
Was wollten die Gesegneten schon wieder hier? Was konnte so wichtig sein, dass sie erneut einbrachen? Was hatten sie letztes Mal übersehen?
Doch nicht etwa den Brief? Nein, dieser dämliche Brief konnte es nicht sein.
Langsam sanken wir wieder auf den Boden und ich befreite mich aus Sams Griff. Das war’s wohl mit Romantik und verwirrenden Gefühlen. Aus einem Instinkt heraus lief ich Richtung Ausgang, denn ich musste dem Archiv näherkommen, um meine These bestätigt zu sehen.
»Moment! Wo willst du hin? Bist du wahnsinnig?! Letztes Mal hast du dich noch versteckt und jetzt rennst du ihnen als Erstes entgegen? Was stimmt nicht mit dir?«, fauchte Sam und stellte sich mir in den Weg.
»Du sagtest doch, du willst mich nicht beschützen. Ich soll mich selbst verteidigen.«
»Betonung liegt hier auf VERTEIDIGEN und nicht angreifen.«
»Ich hatte aber einen begnadeten Lehrer.«
Ich tauchte unter seinem Arm hindurch und rannte los. Gabe sei Dank hatte ich noch keine Blasen an meinen Füßen, sodass ich schnell vorankam.
»Verdammt, Nate bringt mich um!«, hörte ich Sam noch sagen und dann Schritte hinter mir.
Natürlich hatte ich auch Angst, aber ich hatte es mir versprochen. Ich würde nicht mehr weglaufen und mich verstecken. Und wenn es damit begann, diesen Gesegneten entgegen zu rennen, um zu schauen, worauf sie es abgesehen hatten, dann war das eben so.
Das Beben hörte nicht auf, sondern wurde in Etappen mal stärker und mal wieder schwächer.
Bei der nächsten Erschütterung riss es mich fast von den Füßen, weil ich über mein Kleid stolperte. So ging das nicht, ich war nicht schnell genug. Ich zog meinen Rock bis zur Mitte meines Oberschenkels hoch.
»Woho! Also so sehr sehen wir dem Tod noch nicht ins Auge, wenn du dich mir gleich hier hingeben willst«, sagte Sam und hob abwehrend die Hände.
»Natürlich, weil ich mir in dieser Situation auch nichts Schöneres vorstellen kann, als dir mein erstes Mal zu schenken«, gab ich giftig zurück und griff nach meinem Messer. »Du bist noch Jungfrau? Sag doch sowas nicht. Diese Bilder bekomme ich nie wieder aus dem Kopf.«
»Gern geschehen.«
Einen Augenblick zögerte ich, doch vermutlich hatte ich keine Wahl, wenn ich die Wahrheit herausfinden wollte.
»Scheiße«, fluchte ich und schnitt mir das Kleid auf Kniehöhe ab. Die Federn flogen zu Boden.
Diese Aktion war schmerzhafter gewesen als der Anblick von Liv und Rean. Bei Gelegenheit sollte ich nochmal über meine Prioritäten nachdenken.
»Was ist passiert? Warum rennen wir wie die Verrückten denen auch noch entgegen anstatt weg?«, fragte Jara gehetzt, als sie zusammen mit John, Nate – wo kam der denn her? –, Chris und Layla zu uns aufschloss.
»Und warum rennt meine Lieblingsschwester ihrem Verderben auch noch in die Arme?«, setzte Chris hinzu. »Das sind Gesegnete, Ria! Wir hatten schon letztes Mal Probleme mit denen und wenigstens die Lehrer an unserer Seite. Ohne sie hätten wir das damals nicht geschafft, egal, was gewisse Kerle«, mein Bruder warf einen vernichtenden Blick zu Sam und Nate, »behauptet haben. Es war knapp.«
Ich ließ das einfach mal unkommentiert, weil auch Chris nicht gerade mit seiner Angeberei gegeizt hatte. Aber gut, nachdem er mir erzählt hatte, wie sehr es ihn verletzte, dass ich bei unserem Vater ständig im Mittelpunkt stand, konnte ich es auch verstehen. Außerdem hatte mir bisher niemand erzählt, wie knapp es tatsächlich gewesen war. Bei diesem Angriff hatten die Gesegneten noch dazu nicht alles gegeben, wie ich wusste.
Am liebsten wäre ich jetzt zurück in die Halle gelaufen und wenn ich mir Laylas verängstigten Gesichtsausdruck so ansah, dann war ich damit nicht allein.
»Wo bleiben die Lehrer?«, fragte ich.
Chris öffnete seine Jacke. Der Schweiß perlte ihm von der Stirn.
»Das Erdbeben hat den Eingang zur Halle verschüttet. Ich denke, sie sind erst einmal mit den Schülern beschäftigt und versuchen sich einen Weg heraus zu bahnen. Wir konnten auch gerade noch so raus.«
Okay, der Weg zurück war verbaut. Aber das kam mir gerade recht. Ich wollte doch keinen Rückzieher mehr machen.
»Das war ja klar! Die haben das genau geplant«, schnaubte Nate, »damit sind wir die Einzigen außerhalb des Saals und damit auch die Einzigen, die etwas gegen diese Heinis tun können!«
Er hatte recht, so ungern ich ihm auch zustimmte, aber in diesem Punkt gab es nichts zu diskutieren. Die gesamte Schülerschaft und das Lehrpersonal steckten im Saal fest.
Eine kurze Stille legte sich über uns.
»O nein, das schöne Kleid«, seufzte Jara und deutete auf mein eben gekürztes Kleidungsstück.
»Nichts ist für die Ewigkeit«, sagte Layla und versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen.
Sam sah uns drei Mädchen musternd an, dann atmete er kurz tief durch.
»Leute, wir werden erst einmal nur schauen, was sie machen. Wir werden uns in keinen Kampf stürzen, sondern bedacht vorgehen. Also keine Panik. Wir bekommen das hin. Ria?« Er wandte sich an mich, »wo müssen wir hin?«
Ich hatte immer noch die Vermutung, dass sie den Brief wollten, also blieb erst einmal nur eine Richtung übrig.
»Wir müssen zum Innenhof, zur Nordseite der Burg und das am besten schwebend.« Auffordernd nickte ich Layla zu. Sie griff nach Chris Hand und drückte sie, während sie sich konzentrierte.
Sie hob die Schwerkraft für uns auf und wir erhoben uns in die Luft. »Nehmt euch bei den Händen, dann kann ich den Luftstrom besser kontrollieren«, befahl sie.
»Können wir kurz festhalten, dass gerade die Unbegabteste der Schule die Entscheidungen für uns trifft«, beschwerte sich Nate und griff nach Jaras Hand.
»Ich bin ebenfalls die Einzige, die die Essenzen der Typen erfühlen kann, also Klappe jetzt«, fauchte ich zurück.
»Wohin genau, Ria?«, fragte Layla. Sie gehörte vielleicht nicht zu den Begabtesten ihres Jahrgangs, aber sie benutzte ihre Gabe fast rund um die Uhr. Es überraschte mich nicht, dass es ihr leicht fiel uns sieben in der Luft zu halten.
»Richtung Archiv.«
Das Erdbeben hinterließ Spuren an unserer alten Burg. Sie griffen unser Zuhause an. Eine heiße Wut pulsierte durch meine Adern.
»STOPP!«, befahl Nate und Layla bremste den Luftstrom augenblicklich. Unsanft fielen wir den Meter zurück auf den Boden und ich verlor nochmal eine Ladung Federn. So viel Arbeit für die Katz.
»Was denn?« Jara feuerte einen ihrer bösen Blicke auf meinen Stiefbruder ab.
Keine zwei Schritte vor uns bröckelte die Decke.
John handelte geistesgegenwärtig. Mit seiner Erdbegabung hielt er die Brocken oben zusammen, damit das Stockwerk nicht einstürzte. »Jara, zusammenschweißen.«
»Du bist witzig, wie denn? Ich bin kein Riese.« Sie schaute zur Decke empor.
»Okay, Layla, Jara und John bleiben hier und sorgen dafür, dass die Decke nicht einstürzt. Der Schaden wäre immens. Chris, Sam, Ria und ich laufen zum Archiv«, sagte Nate und deutete Richtung Treppe.
»Yeah! Drei Feuerbegabte und ich, das kann ja witzig werden«, jubelte ich lustlos.
»Nicht meckern, komm schon, Hohlbirne.«
»Hat dir dein Feuer die wenigen funktionierenden Gehirnzellen weggebrutzelt? Ich werde sicher nicht die enge Treppe benutzen, wenn hier alles bebt!«
»Wenigsten ist bei mir nicht nur Vakuum dort oben vorhanden.« Nate tippte sich gegen den Kopf.
»Leute! Für eure endlose Geschwisterliebe ist keine Zeit. Aber ich muss Ria recht geben, ich wäre auch gegen die Treppe«, schaltete sich Sam ein und nicht nur ich schaute ihn fassungslos an.
»Ist er auf meiner Seite?«, fragte ich sicherheitshalber nochmal an Jara gewandt nach. Sie verdrehte die Augen.
»Okay, mein Vorschlag, wir springen mithilfe von Layla aus dem Fenster, dann sind wir schneller unten«, schlug Chris vor und begab sich schon zum Fenster.
»So machen wir es!« Ich öffnete einen Fensterflügel und stieg auf den Sims. »Ich verlass mich auf dich, Layla.« Mehr konnte ich nicht mehr sagen, denn das Beben störte meinen Gleichgewichtssinn massiv. Mein Fuß fand keinen Halt mehr und ich stürzte in die Tiefe.
Der Wind sauste mir um die Ohren, zerzauste meine Haare und einen Augenblick dachte ich, man würde mich vom Innenhof kratzen müssen. Was für eine niederschmetternde Bilanz in meinem Leben wäre das bloß gewesen? Doch kurz vor dem Aufprall erfasste mich ein Luftstrom und setzte mich sanft auf dem Boden im Innenhof ab. Er lag komplett verlassen da und mit dem Mond und den Sternen hätte man bestimmt einen schönen Spaziergang machen können. Wenn wenigstens dieses Beben aufhören würde!
»Romantisch, oder? Später Lust auf einen Spaziergang?«, fragte Sam, der neben mir ankam.
»Wenn wir dann noch leben, würde ich lieber in mein Bett und diese Schuhe loswerden.«
»Wie forsch du sein kannst.«
»ALLEIN!«
»Schade«, seufzte Sam und hielt mich am Arm fest.
»Jetzt hört mit eurem widerlichen Geflirte auf! Ria, such nach den Gesegneten!«, sagte Nate und schlug zusammen mit Chris ein wenig härter auf als Sam und ich zuvor.
»Ich bin nicht dein Hund!« Ich hielt mich an Chris’ Schulter fest, um einen besseren Stand zu haben, und konzentrierte mich.
Heute Abend fiel es mir viel leichter als in den letzten Wochen. Ich spürte deutlich drei Essenzen aufflammen. Der eine befand sich im Archiv. Ein Luftbegabter.
Die anderen zwei – ein Erdbegabter und ein Wasserbegabter – standen noch vor der Akademie und verursachten das Beben.
»Wir müssen uns aufteilen. Ein Luftbegabter ist im Archiv und die anderen zwei vor den Toren. Es sind ein Erd- und ein Wasserbegabter.«
»Gut, Nate und Chris, ihr geht vor das Tor«, befahl Sam.
Chris starrte ihn entgeistert an. »Okay, du hattest heute eine Verabredung mit meiner kleinen Schwester, aber warum sollte ich dich mit ihr jetzt allein lassen? Und, viel schlimmer, warum sollte ich mit DEM zusammen kämpfen?!«
»Boah, diese Familie macht mich fertig«, sagte Sam und massierte sich die Schläfe, »ganz einfach. Ich kämpfe seit Wochen mit Ria zusammen. Wir sind ein eingespieltes Team.«
Nate packte Chris am Kragen und zog ihn fort. »Das passt mir auch nicht, Hupfdohle, aber Sam hat recht und jetzt komm.«
Sam drehte sich auf dem Absatz um und lief Richtung Archiv.
Ich formte einen Trichter mit meinen Händen und rief ihnen hinterher: »Ein Wasserbegabter und ein Erdbegabter.« Dann schloss ich zu Sam auf.
»Das ist eine bescheidene Kombination als Gegner für zwei Feuerbegabte«, sagte Sam und rannte zwischen den Torbögen hindurch.
»Ach, die beiden prahlen doch immer damit, wie gut sie sind.«
Geschwind und dennoch im Bestreben leise zu sein, stiegen wir die Treppen hinab. Wir kamen vor dem Archiv zum Stehen und Sam entflammte seine Hände.
»Aber vorsichtig. Verbrenn da drin nicht gleich alles«, zischte ich und drückte die Klinke herunter.
Im Inneren suchte eine Gestalt im grünen Mantel eifrig nach etwas. Dabei schmiss sie mit Blättern und Dokumenten nur so um sich. Sie stand vor der Kommode, aus der ich vor ein paar Wochen den Brief an mich genommen hatte.
Manchmal traf ich doch ganz schlaue Entscheidungen.
»Nicht bewegen, dann lassen wir dich leben!«, rief Sam und hielt seine Feuerkünste auf die Gestalt gerichtet.
Es handelte sich wohl um einen Mann, denn erstens war er groß und kräftig und zweitens hatte ich noch kein weibliches Mitglied unter den Gesegneten gesehen. Er trug eine Maske unter der Kapuze, damit man ihn nicht erkannte. Bis auf den Mund verdeckte sie alles. Er sagte nichts, sondern griff sofort an. Sam parierte die ersten Angriffe mit seinen Feuerhänden.
Luftbegabte waren im Kampf verdammt tückisch. Man sah nie, wie sie angriffen. Bisher hatte ich nur ein paar Stunden mit Mr Riefer absolviert, in denen er mich mit Luftstößen angegriffen hatte.
Jetzt musste ich das Wenige, das ich hatte, abrufen. Auch die Luftangriffe verfügten über eine Essenz. Ich konnte meine Fähigkeiten gegenüber Luftbegabten verstärken, wenn ich ihre Methode anwandte. Ich rief mir Mr Trevors Unterricht wieder vor Augen.
Luftbegabte machten ihren Kopf frei und entledigten sich jeglicher Sorgen.
Genau das, was ich jetzt am Allerwenigsten konnte. Wir steckten mitten in einem Angriff, unsere Akademie bebte, ein paar Schüler hatten sich mit hoher Wahrscheinlichkeit verletzt und das Schlimmste von allem: Rean hatte mit Liv ein Date. Und ja! Meine Prioritäten stimmten so!
Also den Kopf freibekommen. Ich ließ die Gedanken vorbeiziehen, aber stattdessen erfasste mich die Wut über Rean.
Da! Ich spürte deutlich, wo die Luftangriffe entstanden.
Diese Konzentration musste ich beibehalten. Der Gesegnete startete einen hinterhältigen Angriff auf Sam. Sobald der Luftstoß gesetzt war, erfühlte ich seine Essenz und saugte sie auf. Das klappte sogar! Was war denn heute los, dass ich über mich hinauswuchs? Steckte doch eine Heldin in mir?
Ich konnte mir ein breites Grinsen nicht verkneifen.
»Nicht übermütig werden!«, befahl Sam und ich konzentrierte mich wieder auf das Geschehen.
Ich traute mich jedoch nicht einen Gegenangriff zu starten. Diese Situation lud nicht gerade dazu ein, experimentierfreudig zu werden, denn ich hätte Sam mit einem unkontrollierten Luftangriff treffen können.
Daher legte ich den Fokus darauf, immer mehr Luftangriffe aufzusaugen. Sam setzte sein Feuer so geschickt ein, dass er dem Mann vor ihm immer wieder mit seinen Feuerkugeln zusetzte. Die Schweißperlen standen ihm deutlich auf der Stirn, da er versuchte nicht gleich den gesamten Raum in einem Feuermeer zu verbrennen. Aber so wurde das nichts. Die Gesegneten waren ausgebildete Kämpfer. Ich spürte deutlich, wie die Luftessenzen sich in meinem Inneren sammelten. Es drückte so unangenehm in meiner Brust, dass ich wusste, ich musste die Kraft entweichen lassen oder sie tat es irgendwann von selbst.
Sam war dem Mann hier drinnen aufgrund seiner Vorsicht deutlich unterlegen, aber wenn er freie Bahn hätte und nicht mehr auf das Archiv achten müsste …
Der Fremde stieg in die Lüfte und griff Sam von der Zimmerdecke aus an. Mit seiner Luftessenz erzeugte er Luftdruck und schlug Sam mehrmals aus sicherer Entfernung ins Gesicht oder in den Bauch.
Halt noch einen Moment durch!
In einem günstigen unbeobachteten Augenblick huschte ich hinter die beiden.
Die Tür zur Treppe, welche auf den Innenhof führte, stand immer noch sperrangelweit offen.
Ich sog die nächste Essenz in meinen Körper. Das war eine zu viel, denn es schmerzte in meinem Inneren.
Jetzt oder ich würde platzen – und diesen Dreck wollte vermutlich keiner beseitigen.
Ich versuchte die Kraft zu bündeln, aber ohne einen leeren Kopf würde mir das nur schwer gelingen.
Also einfach drauf los.
»Sam!«, rief ich noch als Warnung, auch wenn ich damit das Überraschungsmoment versaute.
Ich ließ die Essenzen der Luft entweichen und entfachte damit einen starken Luftstoß, der die beiden Kontrahenten und unzählige Unterlagen nach draußen auf den Innenhof schleuderte. Sogar die verdammte Treppe flogen Sam und der Gesegnete nach oben, das musste schmerzhaft gewesen sein. Ups, das hatte gesessen.
Da hatte ich meine Kraft eindeutig unterschätzt.
Aber die Papiere waren ja schon vorher durcheinander gewesen, also machte das jetzt nicht so den Unterschied.
Urplötzlich stoppte das Beben und ich atmete erleichtert auf. Nate und Chris schienen erfolgreich gewesen zu sein.
Bevor ich aus dem Archiv rannte, ging ich schnell zur Kommode zurück. Tatsächlich, er hatte genau in der Schublade gesucht, in der ich den Bericht gefunden hatte. Deswegen wollte ihn Vater haben, aber ohne Übersetzung würde ich den Brief nicht rausrücken. Schnell schloss ich die Schubladen der Kommode und huschte zum Innenhof.
Sam richtete sich wieder auf und wischte sich mit seinem weißen Ärmel über den Mund. Dem Gesegneten war die Kapuze vom Kopf gerutscht und sein rabenschwarzes kurzes Haar kam zum Vorschein. Seine Maske lag neben ihm auf dem Boden und gab einen Blick auf sein markantes Gesicht frei, welches bereits von Narben gezeichnet war. Wie hart mussten diese Gesegneten trainieren, dass sich drei Narben in seinem Gesicht befanden? Eine quer über seiner Stirn, eine am Kinn und die letzte über der linken Wange. Aus hasserfüllten Augen starrte er uns an und ich war einen Moment unfähig mich zu rühren. Sein Blick fesselte mich.
Sam schob die Ärmel seines Prinzengewandes nach oben. »Jetzt geht es erst richtig los.« Sein sonst so wohliges Lagerfeuer im Inneren wuchs zu einem Feuersturm heran.
»Sam! Bitte nicht die Akademie abfackeln!«, rief ich ihm zu. Er stand mit dem Rücken zu mir und erzeugte eine riesige Feuerwand, die nach und nach den Gesegneten umschloss. Dieser erschuf sich eine Luftblase, wie ich sie schon bei Madame Taranta gesehen hatte.
»Die Luftblase wird deinem Feuer standhalten«, sagte ich neben ihm.
»Wie kommst du denn darauf?«
»Die Gesegneten sind stark«
Er warf mir einen vernichtenden Blick zu, während er seinen Feuerkreis noch enger um den Gesegneten schloss.
»Aber ich glaube an dich. Zusammen packen wir das«, setzte ich widerwillig hinterher. Sams Blick änderte sich augenblicklich von verärgert zu erstaunt. Durchaus verständlich, ich machte ihm nie Komplimente. Aber ich wusste, wie stark er war, ich kämpfte jeden Tag gegen ihn. Wir würden es schaffen, daran bestand kein Zweifel. Ich vertraute ihm.
»Ich kann sie zum Platzen bringen. Ich habe das schon einmal bei der Wahrsagerin geschafft«, rief ich ihm zu.
»Genau, ich lass dich jetzt einfach durch mein Feuer marschieren und du absorbierst seine Hülle. Super Plan.« Sam verdrehte die Augen.
Ich grinste ihn an. »Finde ich auch und los.« Bevor er mich aufhalten konnte, rannte ich zur Feuerwand.
»Das war Ironie!«, brüllte mir Sam hinterher.
Ich warf einen auffordernden Blick zurück. Seine Schultern sanken nach unten, als ihm ein tiefer Seufzer entwich.
Er erschuf eine Lücke in seiner Feuerwand, die ihn bestimmt jede Menge Anstrengung kosten musste.
Aber das hier war die einzige Möglichkeit. Der Typ gehörte zu den Gesegneten und verfügte damit über ein ungeheures Talent. Im Moment schöpfte er seine Essenz voll aus, um der Feuerwand standzuhalten, aber er konnte seine Blase sicher länger halten als Sam seine Feuerwand.
Geschickt schlüpfte ich durch die Lücke. Ich kannte sein Feuer mittlerweile sehr gut, es machte mir keine Angst mehr.
»Wag es ja nicht!«, knurrte der Typ und verstärkte seine Gabe noch einmal, als er mich näherkommen sah.
»Es kann ja sprechen!«, grinste ich, auch wenn ich mich absolut nicht selbstsicher fühlte. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es damals geschafft hatte, die Luftblase zu zerstören.
Ich legte eine Hand an die Blase und suchte nach der Essenz. Noch einmal konzentrieren und einen Blick zurück zu Sam werfen. Dieser nickte mir aufmunternd zu. Ich atmete tief ein und griff mit meiner Gabe nach der Essenz, dann zog ich sie in meinen Körper und die Blase platzte.
»Du Miststück!« Ich wich erschrocken zwei Schritte zurück und sofort zog sich zwischen mir und dem Mann eine zweite Feuerwand hoch.
Jara und John schwebten auf den Innenhof. Jara standen die Schweißperlen auf der Stirn, während sie noch die Hände erhoben hielt, um die Feuerwand aufrecht zu erhalten. Sie hatte mich gerade aus der Reichweite des Typen gebracht.
Sam bewegte seine Wände noch näher heran.
»Stopp, ich schließe ihn ein!« John erzeugte ein Gefängnis aus dem Steinboden und die Feuerbegabten ließen ihre Wände fallen.
»Wie viel Essenz hat er noch?«, fragte mich Sam. Ich konzentrierte mich, doch die Essenz des Gesegneten glich mit ihrer Trägheit der eines Erdbegabten.
»Der ist mit seinen Kräften am Ende. Vielleicht sollten wir ihn außer Gefecht setzen«, sagte ich.
»Bitte, tu dir keinen Zwang an, ich bin fertig für heute.« Sam setzte sich auf eine Bank und streckte sich aus. Der Kampf hatte ihm wohl mehr abverlangt, als er zugeben wollte.
»Schon gut, ich halte ihn fest, die Lehrer müssten auch gleich kommen«, sagte John.
Ich ging langsam auf Sam zu und setzte mich neben ihn.
»Laufen Verabredungen mit dir immer so ab?«, fragte ich ihn beiläufig, doch schaute ich ihn nicht an.
Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
»Nicht immer. Meistens bekomme ich noch einen heißen Kuss und das Versprechen für ein zweites Date«, sagte er leise.
»Also war es doch ein Date«, scherzte ich und schaute ein wenig traurig auf mein kaputtes Kleid. Ich hatte so viel Arbeit und Mühe reingesteckt. Aber es war leider viel zu unpraktisch mit einem langen Kleid zu kämpfen.
»Ja, das könnte man so nennen.«
»RIA?!« Rean kam die Treppen herunter geeilt und hinter ihm sah ich einen großen Teil der Schüler sowie die Lehrer auf uns zu kommen. Diese wandten sich sofort an John und seinen Gefangenen.
»Ich sollte mich wohl mal Rean stellen und ihn fragen, was das sollte«, sagte ich und stand wieder auf. Ich wollte wissen, was bitte seine Intention für diese dumme Aktion mit Liv gewesen war. Ich beugte mich noch einmal zu Sam herunter und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
»Danke für den schönen Abend. Ich hatte echt viel Spaß.«
Sprachlos schaute mich Sam an, was mich zum Lachen brachte.
»134 zu 4. Punkt für mich.«
Ich ließ Sam allein und ging zu Rean, der, kaum dass er mich sah, auf mich zu rannte und mich in seine Arme schloss.
»Ria, ich war ganz krank vor Sorge. Warum rennst du denn direkt in die Gefahrenzone? Du bist noch nicht so weit.«
Er drückte so fest zu, dass ich nur noch schwer Luft bekam. »Rean, lass mich atmen«, sagte ich und er lockerte seinen Griff.
»Mach dir nicht so viele Sorgen, ist doch alles gut gegangen. Wir haben einen Gesegneten und alles, was leiden musste, war mein Kleid.«
Er hielt mich an den Schultern und drückte mich von sich, damit er mich betrachten konnte.
»Dann bin ich aber erleichtert! Wir waren in der Halle eingeschlossen. Jemand hatte die Decke über dem Ausgang zum Einsturz gebracht und kontinuierlich mit einer Erdbegabung verstärkt. Durch das Beben konnten wir uns alle nicht besonders gut darauf konzentrieren die Steine endlich wegzuschaffen. Und unsere Lehrer waren auch keine Hilfe, die hatten zuvor ganz schön gebechert.«
Ich hörte ihm zu und nickte. Vermutlich hatten sie es erst geschafft, als Nate und Chris die beiden Gesegneten verscheucht hatten.
»Aber wo du jetzt schon einmal wieder mit mir redest – was sollte das mit Liv? Du versetzt mich, um mit ihr zum Ball zu gehen?«, fragte ich und führte ihn von der Gruppe weg, um in Ruhe mit ihm sprechen zu können.
Er fasste sich in den Nacken, wie immer, wenn ihm etwas unangenehm war.
»Ach weißt du … Liv hatte mich vorgestern auf dem Innenhof abgefangen. Sie weinte fürchterlich und du weißt, ich kann mit Tränen nicht umgehen.«
Das konnte so gut wie kein Mann, aber Rean mit seinem analytischen Denken noch viel weniger.
»Sie meinte, es würde ihr so viel bedeuten mit mir zum Ball zu gehen und du hättest ihr schon gesagt, dass du lieber mit einer richtigen Verabredung dort erscheinen würdest als mit mir, nur als Freunde.«
Wow, bei so viel Verlogenheit konnte ich einfach nur den Kopf schütteln. Diese … mir fiel einfach kein nettes Wort für sie ein.
»Ich fasse zusammen, Liv hat dich vollgeheult und dir gesagt, ich hätte mich ihr, ausgerechnet ihr, anvertraut. Und deswegen versetzt du mich und gehst mit ihr hin. Wow, dafür, dass du sonst immer so schlau bist, war das eine verdammt bescheuerte Aktion von dir. Ich hatte nur Glück, dass Sam noch keine Verabredung hatte, sonst hätte ich mutterseelenallein dort aufkreuzen müssen. Und dir ist nicht mal die Idee gekommen, dass Liv vielleicht auch lügen könnte? Warum sollte ich ausgerechnet IHR so etwas sagen?!«
Je mehr ich redete, desto mehr Wut füllte meinen Bauch.
Rean stand da wie vom Donner gerührt. Wie ein stummer Fisch klappte er den Mund auf und wieder zu. Wie passend zu seinem dummen Erik-Kostüm.
»Geh einfach zu deiner Ariel. Ich muss mich erst einmal beruhigen«, sagte ich und wandte mich ab.
Unter lautem Jubel kamen Nate und Chris vom Haupttor zurück. Der körperliche Zustand der beiden ließ zu wünschen übrig, aber ihnen schien nichts Gröberes zugestoßen zu sein.
Ich hatte keine Lust mehr auf diese Party, die sowieso gelaufen war. Traurig schaute ich auf mein in Fetzen an mir hängendes Kleid herunter.
Bevor ich zurück ins Zimmer ging, brauchte ich ein paar Minuten für mich, weshalb ich den Weg in den Hinterhof nahm.
Erst auf der Wiese vor dem Brunnen kam ich zum Stehen und zog meine Pumps aus. Ich seufzte. Eine Wohltat für meine geschundenen Füße, dass ich sie endlich aus ihrem Gefängnis befreit hatte. So schnell würde ich keine hohen Schuhe mehr tragen. Ich spürte das weiche, kühle Gras zwischen meinen Zehen. Ich fror nicht ein bisschen, obwohl die Temperaturen im Oktober schon deutlich kühler waren. »Jetzt ist es eh schon egal«, seufzte ich und legte mich auf den Rücken, um die Sterne zu betrachten.
Wir hatten einen Gesegneten festnehmen können, er würde uns schon erzählen, was genau sie hier wollten und warum sie uns angegriffen hatten.
Niemand würde auf die Idee kommen, dass ich den Brief besaß. Jetzt drängte die Zeit nur noch mehr, ich musste herausfinden, was genau darin stand.
Vielleicht konnte ich meinen Vater überzeugen, dass es für ausgezeichnete Presse sorgen würde, wenn die Akademie den Hohen Rat besuchte. Dort lagen in der riesigen Bibliothek bestimmt genügend Bücher mit Hinweisen zum Entschlüsseln herum.
Ich starrte zum Himmel hinauf.
»Na, Odette, wolltest du doch nicht ohne mich ins Bett?«
Ich lächelte unwillkürlich, als sich Sams brauner Haarschopf in mein Blickfeld schob.
»Natürlich nicht. Und wie sieht es bei dir aus? Warten nicht ein paar Betthäschen auf dich?«, fragte ich und schaute zu ihm empor.
»Die können auch noch länger auf mich warten.«
Er streckte mir seine Hand entgegen, um mich auf die Beine zu ziehen.
»Wir konnten unseren Tanz gar nicht zu Ende bringen. Also, Ria, erweist du mir die Ehre?«
»Ohne Musik?«
Sam hielt sein Handy und weiße Kopfhörer hoch. Ich nickte und er reichte mir einen In-Ear-Hörer.
»Was – ein James Arthur-Fan? Ich bin absolut beeindruckt. In dir steckt ja doch ein weicher Kern.«
Er streckte mir sehr erwachsen die Zunge raus und zog mich mit einem Ruck an sich. Langsam führte er meine Hände hinter seinem Nacken zusammen. Ohne meine Schuhe überragte er mich um einen halben Kopf.
»Du bist kitschig«, lachte ich. Doch wehrte ich mich nicht, als wir uns unter dem Sternenhimmel zu James Arthur hin und her wiegten.
»Manchmal braucht man ein bisschen Kitsch im Leben.«
»Fass das nicht an!«
Jara erstarrte in ihrer Bewegung und ihr verständnisloser Blick durchbohrte mich. Ich hatte gerade überprüft, ob der Brief noch in seinem Versteck lag, als ich bemerkte, was Jara gerade tun wollte. Ihre Hand schwebte immer noch knapp dreißig Zentimeter über meiner Kette. Betont lässig und langsam ging ich zu meinem Nachttisch, um meinen Schatz aus ihrer Reichweite zu bringen. Mittlerweile befanden Jara und ich uns wieder in unserem Zimmer. Draußen hörte ich noch Stimmen, ein paar Schüler wollten den Abend wohl noch nicht beenden. Doch Jara und ich hatten ihn abgehakt. Der Kampf steckte mir noch in den Knochen und ich war müde. Die Dusche hatte mir sehr gutgetan und mein Kleid lag zusammengeknüllt irgendwo in meinem Zimmer begraben.
»Seit wann ist dir etwas so wichtig, dass sogar ich es nicht anfassen darf?«
Sie nahm ihre ausgestreckte Hand zurück und sah mich mit gerunzelter Stirn an. Ich wusste, dass es albern war, aber niemand anders sollte die Kette berühren. Auch nicht, wenn es Jara war. Tief in mir spürte ich einfach, dass nur ich sie anfassen sollte. Vielleicht würden sonst die Erinnerungen an meine Mum ausgelöscht werden. Dieses Schmuckstück hatte ich zu Beginn des Schuljahres als meine Fessel angesehen. Aber seit ich nicht mehr in Monis Gesicht schauen konnte, erinnerte mich nichts anderes mehr an meine Mum. Die Kette war mein kleiner Schatz. Zuhause hatte Vater nach dem Tod seiner Frau all ihre Fotos verbrannt.
»Die Kette gehörte doch meiner Mum«, erklärte ich schlicht und ließ den Rest unausgesprochen in der Luft hängen. Jara und ich sprachen nicht so oft über die Dinge, die uns bewegten. Es war wie eine stille Übereinkunft. Selten redeten wir über unsere Familien. Vorsichtig band ich mir die Kette wieder um. Anschließend versteckte ich sie unter meinem Schlafshirt.
»Hast du dich mit ihr nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit gestritten?«, fragte Jara argwöhnisch.
»Na und? Nur weil der jeweils andere dich immer auf die Palme bringt, heißt das noch lange nicht, dass keine Liebe im Spiel ist.«
Immer wenn ich die Kette umhatte, fühlte ich mich angeleint wie ein Hund an seine Hütte, aber auch gestärkt und beschützt. Als wäre irgendwo jemand, der an mich glaubte und wusste, dass ich stark war.
»Hm, das heißt, zwischen dir und Sam ist auch Liebe im Spiel?«
Mein Blick zuckte sofort zu ihr zurück.
»Wie kommst du denn jetzt darauf?!«, rief ich erstaunt aus. Jara ließ sich rücklings auf mein Bett fallen und hüllte sich in bedächtiges Schweigen.
»Jara«, sprach ich sie ungeduldig an.
»Sam bringt dich doch auch mit seiner bloßen Anwesenheit auf 180.«
»Und weiter?!«, fuhr ich sie sauer an, während sie lachend mit dem Finger auf mich zeigte.
»Allein sein Name macht dich wütend, herrlich.«
Gereizt knirschte ich mit den Zähnen.
»Das stimmt nicht, außerdem weißt du doch ganz genau, dass ich in Rean verliebt bin.« Ich schnappte mir ein Kissen und warf es grinsend nach ihr. »Und bring mich nicht dazu solche kitschigen Sachen zu sagen!«, fuhr ich fort.
Jara fing das Kissen lachend auf und legte es glattgestrichen auf mein Bett.
»Aber überleg doch mal, du hast gerade gesagt, du hast deine Mutter sehr geliebt und sie hat dich ständig sauer gemacht. Sam schafft das auch, sogar mit Leichtigkeit.«
»Vielleicht haben sie diese Tatsache gemein, aber schon einmal daran gedacht, dass ich meine Mum TROTZ dieser Eigenschaft geliebt habe und Sam GERADE deshalb nicht lieben kann? Außerdem schaffst du das auch und dich liebe ich auch nicht.«
Schon hatte ich das Kissen selbst im Gesicht.
»Und wie du das tust!«, lachte Jara und bewaffnete sich schon mit dem nächsten.
Diese hinterhältige Aktion konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich schnappte mir auch ein Kissen und wehrte mich.
***
Ein hitziges Gefecht später lagen wir in unseren Betten, das Licht bereits ausgeknipst.
Es war keine merkwürdige Stille zwischen uns, denn die gab es nie. Es war ein einvernehmliches Schweigen.
Wenn wir nicht allein waren, ließ sich Jara keine Gelegenheit nehmen viel zu reden. Aber wenn wir nur zu zweit waren, schwiegen wir manchmal einfach nur. Ich nähte dann an meinen Klamotten und Jara entzündete eine ihrer stinkenden Duftkerzen und surfte mit ihrem Handy im Internet. Besonders gern füllte sie ihren elektronischen Warenkorb mit weiteren Angriffen auf meinen Geruchssinn, auch wenn sie dazu Duftkerzen sagte.
Doch jetzt lagen wir einfach nur so da. Ich dachte daran, was Jara über meine Mum gesagt hatte.
In all den Jahren, in denen wir uns kannten, hatte sie das Thema Mutter nie freiwillig angesprochen. Sie sagte immer nur, dass ihre Mutter eines Tages beschlossen hatte, ohne sie und ihren Vater leben zu wollen.
»Denkst du manchmal an deine Mum?«, fragte ich in die Dunkelheit.
Ich hörte es rascheln, als hätte sich Jara im Bett herumgedreht und würde nun in meine Richtung schauen.
Ein paar Augenblicke verstrichen und ich rechnete schon nicht mehr mit einer Antwort, als sie plötzlich seufzte.
»Oft. Manchmal täglich, manchmal einen Monat lang gar nicht. Das kommt immer drauf an.«
»Worauf?«, traute ich mich zu fragen. Jara war schon jahrelang meine beste Freundin, aber mit ihrer verletzlichen Seite hielt sie sich immer zurück.
»Ob ich glücklich bin.«
Ich verstummte wieder in der Hoffnung, sie würde von sich aus weitersprechen. Es brachte nie etwas, Jara zu bedrängen. Das hatte ich in all den Jahren gelernt.
Plötzlich lachte sie leise auf. »Keine Sorge, ich bin meistens glücklich, vor allem wenn du bei mir bist.«