Estonia – Eine Nachfahrt - Rolf Stolz - E-Book

Estonia – Eine Nachfahrt E-Book

Rolf Stolz

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Beschreibung

Geheimdienste und russische Mafia verdächtigen den durch Estland reisenden Schriftsteller Thomas Färber, dass er den mysteriösen Untergang der Ostseefähre »Estonia« aufklären will. Als Färber, der lediglich private Abenteuer und Anregungen suchte, spurlos verschwindet, bringt seine Frau ihren Geliebten Tobias Kruch dazu, ihm nachzureisen. Auch er gerät mitten hinein…

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Ähnliche


 

 

 

Rolf Stolz

 

 

Estonia

 

 

Eine Nachfahrt

 

 

Roman 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © Bärenklau Exklusiv mit einem Foto von Rolf Stolz, 2023 

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Estonia 

Eine Nachfahrt 

Vorher 

Kapitel eins 

Kapitel zwei 

Kapitel drei 

Kapitel vier 

Kapitel fünf 

Kapitel sechs 

Kapitel sieben 

Kapitel acht 

Kapitel neun 

Kapitel zehn 

Kapitel elf 

Nachbemerkung 

Rolf Stolz 

Weitere Werke des Autors 

 

Das Buch

 

 

 

Geheimdienste und russische Mafia verdächtigen den durch Estland reisenden Schriftsteller Thomas Färber, dass er den mysteriösen Untergang der Ostseefähre »Estonia« aufklären will. Als Färber, der lediglich private Abenteuer und Anregungen suchte, spurlos verschwindet, bringt seine Frau ihren Geliebten Tobias Kruch dazu, ihm nachzureisen. Auch er gerät mitten hinein …

 

 

***

NESCIMUS VITAM,

VIAM, VIM.

 

Wir kennen das Leben nicht, unsere Strecke nicht, und die Kraft, die hinter allem auf uns wartet, kennen wir noch weniger.

 

 

Für dich – die ferne, die nahe

 

Dieser Roman enthält keinerlei Tatsachen. Er ist eine erfundene fiebrige Fantasie einer märchenhaften Welt.

 

R. S.

 

Estonia

 

Eine Nachfahrt

 

 

Vorher

 

 

Warum der eher in eine zweite oder dritte Reihe gehörende Schriftsteller Thomas Färber diese Reise begann, aus deutschen Landen in das kleine Estonia im Osten Europas, im Aufeinanderprallen der Unvereinbarkeiten ähnlich zerrissen wie der Reisende selbst, ließ sich nicht klären. Immerhin hatte er eine uralte Beziehung in dieses Gebiet, aus dem seine Großeltern und seine Mutter stammten. »Ich bin ein baltischer Baron ohne Adelstitel«, pflegte er über sich zu sagen.

Eine Reise, die anders endete als alle seine anderen und die eigentlich nicht als Reise endete, sondern am Schluss kam er da an, wo er nicht hinwollte und wo es erst einmal nicht weiterging, nicht wie gehabt. Jedenfalls ließ sich wieder einmal nicht so genau sagen, warum er diese Reise begann. Vieles sprach dafür, dass er fortging, um ein neues Leben zu beginnen, aber das hatte er nicht proklamiert und propagiert. Er hatte auf Seite eins seines neuesten Buches nicht bekanntgemacht »Ich habe ein Geheimnis und hier wird es offenbart«. In seinem Zielland hätte ihm das ohnehin keiner geglaubt. Aber an die reine Absichtslosigkeit eines Weltenbummlers und Visastempelsammlers glaubte dort niemand.

Es war so, war halt so wie so oft, und er konnte diesmal noch einmal einen seiner Auszüge, wieder einmal eine seiner Fahrten gut beginnen, eigentlich ohne Ballast draußen herum, nur mit dem im Kopf wie immer, die alte Seuche, dass er so misstraurig war. Das kannte er schon von sich, und die allermeisten, die ihn kannten, kannten das von ihm. Manche seiner Bekannten ahnten immerhin, dass er sich seine Gedanken machte über die Frau da zu Hause und dass er sich sicher war, sie macht was, er sieht es geradezu, dass sie es laufen lässt, wie es läuft, bis es raus- und reinläuft. Und doch sagt er sich, das ist nur meine Misstraurigkeit, da ist nichts, ich mache aus der Luft viel Wind und schreie in mir, schreie mich heiser und alle lachen sich schief und krank. Das ist wie der Gangster, der WIND heißt. Er kommt von Moskau nach Petersburg und sie holen ihn sich gleich am Flughafen, haben ihn im Sack noch vor seinem Hotel, noch ehe er ausgepackt hat und sich im Schließfach seine großformatige Knarre abgeholt hat, die der Chef ihm dort deponiert hat, damit er nicht ganz allein ist in Piter, noch ehe die vom Hotel sich bei seiner Deckfirma beschweren können, dass er nicht an Bord gekommen ist, und das Büro weiß dann, wohin die Kugel rollt.

Die, die ihn sich aufgeladen haben, hängen ihn postwendend in den Rauch, bis er alles ausgespuckt hat, was die aus Moskau in Petersburg vorhatten und sich jetzt erst einmal von der Backe schmieren können.

Die Petersburger wollen klar haben, wie man ihre Anteilnahme an allen guten Sachen schmälern und ihnen das Gehäuse vom Kopf wegknallen will, und die Moskauer haben umgekehrt dieselben kleinen Fragen in Richtung Rest der Welt. In Petersburg brauchen sie keinen Wind, und sie brauchen nur einen Tag, bis Wind ihnen gesagt hat, was er weiß, und das ist reichlich, und er gibt reichlich, gibt es ihnen in kurzem keuchendem Stöhnen und dabei holen sie ihn sich von hinten, obwohl er ihnen zehnmal versichert hat, dass er die Seuche hat, aber sie sagen wir haben extra zwei drübergezogen und die halten alles bombenfest weg und sie nehmen ihn sich vor bis es ihm die Gedärme zerreißt und das Blut läuft und dann lachen sie zufrieden und sagen so ist es gut, so wird es immer besser.

Als alles heraus und aus die Maus ist, da ist der große Vater gnädig und gibt einem Adlatus einen Wink, dass der ihn abschnallt von der Papageienschaukel und es ans Ende bringt. Ohne das würde keiner eine Kugel verschwenden an solch einen, der schon vorher tot war, schon als er losgeschickt wurde Richtung Ofenrost. Ihn noch einmal schnell unter die Füße zu nehmen hätte auch gereicht und wäre mehr Sport gewesen. Was übrig ist, bleibt weg auf Dauer, gegangen mit dem Wind, und als der schwarze Vater mit dem weißen Vater spricht, wissen beide, was Sache und gebacken ist und keiner kann eine Leiche brauchen, von einem, der weg ist und sowieso Wind hieß. Wer heißt schon so, doch nur so einer und der ist weg und keiner weiß mehr, dass er da war und dann eine Fliege gemacht hat vom Acker und unter den Acker und ab.

Kapitel eins

 

»Wir stehen in Gottes Hand, alle«, sagte der Mann, mehr zu sich selbst als zu seinem Gegenüber, einem breitschultrigen Fett- und Trauerkloß mit krummem Rücken und tröstlichen Segelohren.

Dem schien es zu reichen, dazusitzen, zuzuhören oder auch wegzuhören, nicht antworten zu können und nicht antworten zu müssen und alles wegzuschweigen, alles zu Brei zu schweigen. »Wir …«, setzte der Mann, der Thomas Färber hieß, noch einmal an, brach dann ab, schluckte und würgte, um dann aber nicht mehr zu sagen als: »Wir alle.«

Mit geschlossenen Augen und auch noch, als er die Augen wieder öffnete, sah er sich selbst: Eine kleingeknetete Tonfigur, von seinem bisschen Leben gebrannt und doch splitterig, die in einer ihr endlos groß erscheinenden Handfläche herumstolpert und im Kreis von links nach rechts und von rechts nach links rollt und torkelt und ihr Werk abzuleisten glaubt an der äußersten Front. Und dann hebt der Meister seine Hand, vielleicht nur so, vielleicht nur, weil er irrtümlich glaubt, einer der anderen Unsterblichen kommt ihm des Weges entgegen – Chidher der Wanderer, rosig-pickelig, oder der endlich in Rente geschickte eisgraue Fährbetreiber Charon. Und entweder will der Meister die kalte pure Form des Grußes nicht verweigern oder aber es ist ihm einfach zu lästig geworden, die offene Hand hochzuhalten und von Zeit zu Zeit hinabzusehen, und er schüttelt sie aus, ohne den mindesten Gedanken daran, dass da ein Männlein Menschlein sich bemerkbar machen will und sich in Erinnerung bringen will und erst hundert Jahre später denkt Gott kurz an den, der dort womöglich war und, wenn er dort war, hinabgestürzt ist in ein schnelles Nichts.

 

Den Dicken nannten seine Kumpane den BOMBER. Er liebte es, aus dem Hemd heraus zu sein, die Hosenträger unten baumelnd, die Linke parallel zum Hosenbund vor dem Bauch, beide Fäuste geballt, den Kopf leicht nach vorn, wie zum Rammstoß. Seine Klasse hatte er nie gewechselt. Ein Mandat hatte er nie erhalten, aber dafür bekam er zwei Jahre nach seiner kurzen Bekanntschaft mit Thomas Färber eine Quittung dafür ausgestellt, dass er in ganz anderen Affären die Nerven verloren hatte und bei der Polizei ausgesagt hatte.

Die hatten ihm sogar angeboten, ihm eine neue Existenz zu verschaffen – anderer Name, anderer Wohnort, Tätigkeit als Hausmeister in einem Altenheim – aber der Törf gierte wieder einmal nach dem vollen Teller, nach dem vollen Glück. Es sollte unbedingt seine alte Freundin mitkommen ins neue Leben. Das konnte nur schiefgehen. Und wenn einer unbedingt Witwenmacher in eigener Angelegenheit werden will, dann helfen ihm weder Training noch Muskeln. Am Ende wusste keiner, ob sie es war, die von sich aus ihn an die großen Macher verriet und verkaufte, oder ob sie erst weichgeklopft werden musste und sich dann entschied, dass besser eine durchkommt, als dass zwei hopsgehen, oder ob es einfach an ihr vorbeilief und sie nicht gebraucht wurde zum Einfädeln des Abservierens. Vielleicht hatte ihn einer aus dem Club zufällig gesehen, vielleicht hatten sie ihn auf anderen Wegen geortet, jedenfalls war zwischen drei und fünf Uhr morgens der Tod eingetreten und er unters Vorderrad gekommen. Er lag verdreht und tot auf einer Dorfstraße, überrollt von einem Lastwagen. Der Fahrer ist geflohen, wie üblich in solchen Fällen.

»Sieht aus wie jeder Unfall. Diese verdammten Raser!«, äußerte der Polizeichef. Aber es sah eben nur so aus.

 

Du könntest jubeln, dass einer abmacht und sich absetzt Richtung Nirgendwo. Aber Tobias Kruchs Interesse an dem Auftrag Gabrieles an ihn, nach Estonia zu reisen und dort herauszufinden, was aus ihrem Mann geworden war, dem zuletzt am siebten Dezember vorigen Jahres gesehenen und seitdem spurlos verschwundenen Schriftsteller Thomas Färber, war ein relativ beschränktes.

War es ein Auftrag oder mehr die Bitte einer Frau, mit der er eine längere und sorgsam abgeschottete Treff- und Schlafbeziehung unterhielt? Eine Bitte, die er rundheraus oder mit vagen verzögernden Ausreden hätte abweisen können, aber dann hätte er auch die Folgeschäden postwendend am Hals gehabt: Kein Körperkontakt mehr oder aber ruckzuck der Druck: Lebst du mit mir oder nicht, heiratest du mich oder nicht. 

Dadurch, dass er sich die Sache aufhalste, sie sich an den Hals zog und den Hals kannst du dir auch dabei brechen mein Gutster, war er erst einmal aus dem Schneider. Er hielt sich Gabriele warm, er hatte sie weiter in petto und an der Strippe, aber sie kam fürs Erste nicht komplett an ihn heran. Er gewann Zeit und das sinnigerweise dadurch, dass er mehr oder weniger auf ihre Idee hin und zugleich mehr oder weniger auf seine eigene Kappe sich aufmachte, um ihren Mann zu suchen.

Bis auf Weiteres konnte er sich so allen Versuchen Gabrieles, dieser Witwe in spe, entziehen, aus der sporadischen sporenverteilenden Beziehung eine feste Bindung zu machen: festgebacken mit Strick um den Hals. Außerdem reizte ihn dieser Vorstoß in ein Neuland, in ein unbekanntes Terrain. Da hast du dich oft genug über diese krumme Figur geärgert, von der deine Freundin sagt, sie hat seit Jahren nichts mehr mit ihm, allenfalls plapperatonisch und wer’s glaubt wird selig werden und wer an allem zweifelt hat irgendwann einmal doch recht und freut sich dann, dass er noch nie die Bohne geglaubt hat. Allerdings ahnte er nichts von den anonymen Briefen, die Gabriele jede Woche ein- bis zweimal erhielt, immer nur mit dem einen Satz THOMAS FÄRBER HAT NEUE FRAU NICHT FORSCHEN NACH SONST TOT. Dass ihr Thomas eine Neue hatte, konnte sie nicht recht glauben, aber mit einer Vermisstenmeldung zur Polente gehen wollte sie, wenn es sich eben vermeiden ließ, auch nicht. Und dass das Wissen um die Briefe ihren Tobias motivieren würde, war nicht zu erwarten.

 

Acht Wochen vor seiner großen Reise hätte Thomas Färber dem Tobias Kruch beinahe das Visägelchen poliert, nur weil der dumm und dreist vor der Haustür stand mit einem Strauß hellroter Rosenresli-Röschen für die allerliebste Gabriele und nicht im Mindesten ahnte, dass die lange geplante Lesungsreise des heiligen Thomas sich um eine Woche verschoben hatte. Gaby hatte es nicht auf die Reihe gekriegt, ihn rechtzeitig zu warnen, oder wollte es vielleicht auch gar nicht, wollte es auf das Schaulaufen ankommen lassen, damit die beiden Herren das für sich und für sie klären und sie sieht, wer am Ende die bessere Faust hat, als Sieger vom Platz geht und zum Schluss verdammt nochmal übrigbleibt.

Jedenfalls, der Herr Autor reißt die Tür auf, einen Kopf größer als der Herr Ingenieur, noch dazu durchtrainiert von der Muskelbude. Der draußen kriegt fast den Affen und den Herzklabaster, und alles wäre aus, wenn der drinnen nicht ziemlich langsam schalten würde und wenn das clevere Kerlchen vor der Tür nicht in letzter Sekunde einen Dreh gefunden hätte und treuherzig fragt, ob hier nicht Familie Schiffke wohnt, wo doch unübersehbar das Monogramm »T. F.« auf dem roten getöpferten Namensschild prangt. Der Hausherr ist zu baff, glaubt erst einmal die Story, sagt, dass er den Namen noch nicht gehört hat und dass die ganz wo anders wohnen müssen, in dieser Straße jedenfalls nicht, das sind ja nur zwanzig Häuser, da kennt man sich, und dann Ade und zu die Tür.

Der Abgebürstete atmet zweimal kräftig durch und macht sich weg durch die Mitte. In Ermangelung einer anderen im Moment verfügbaren Frau, einer anderen Abladestelle, brachte er seinem lieben Mütterle die Rosen.

Kaum ist er wieder zuhause an Deck, da ruft ihn schon der Dichter höchstpersönlich an, hat es aus seiner Liebsten herausgeprügelt oder mit Küssili herausgelockt, dass ihr dieser komische Mensch seit Wochen auf den Fersen ist und ihr an die Wäsche will und sie will natürlich nicht und hat noch nie und denkt gar nicht daran, nur hat sie es bisher nicht geschafft, ihn abzuschütteln und war selbstredend kurz davor, ihren Mann und Beschützer um Hilfe zu bitten. Ganz sicher hätte sie es in den nächsten Tagen getan, obwohl sie eigentlich den Ärger und Stress heraushalten wollte aus ihrer Beziehung. Der Schreiberling droht dem Konkurrenten, dass er ihn zu Schaschlik macht, dass ihm der Bratenspieß am Hintern hineingerammt wird, bis er an der Futterluke wieder herauskommt. Der unschuldige arme Tobias schnuffelte herum, dass er die Dame gar nicht kenne und gar nicht wisse, wie Herr Färber auf so eine Idee komme, aber er wolle keinen Ärger haben und werde alles machen, was man von ihm wolle: »Wird gemacht, können Sie mit rechnen.«

Na ja, vier oder fünf Wochen lang hat er Gabriele nicht gesehen, dann hat er vorsichtig angerufen, das erste Mal ist Männe dran und Tobi muss mit verdrehter Stimme seine Solonummer geben, Mustafa den Mäusezüchter: »Ist sich Kilitschi hier, du rufen Scheffe, ich wille lasse mache meine Auto.« Und dann: »Hier nix Killischi, hier Färber, du falsch.« Und die Replik: »O Schuldigen, danke danke, iste gut.« Beim zweiten Mal ist Gabriele am Apparat, aber ihr Alter muss in der Nähe sein, denn, als du gerade losgeturtelt hast »Ich bin es, Schätzchen, es ist so schön, dich wieder zu hören«, sagt sie nur »Hallo, hallo, wer ist denn da?« und hängt dann ein. Aber aller krummen Dinge sind drei und beim dritten Anlauf klappt es auch und alles geht wieder seinen geregelten Gang, sogar noch ein bissele unkomplizierter, weil der Herr Gatte sein Bahnwächterhäuschen-Stipendium bekommen hat und von wegen der Präsenzpflicht muss er für ein paar Hunderter in Otternburg am Hammeldeich die Stellung halten, kommt nur alle zwei Wochen am Wochenende heim.

 

Der Schreiber war zurück vom Deich – ohne spirituelle oder tiefer gelagerte Erlebnisse, missmutig und unzufrieden mit sich selbst, aber dann doch wieder im Auftrieb, als er seinen Koffer für die Estonia-Tour packte, für den Aufbruch ins Morgenrot. Er bekam es nur am Rande mit, dass selbst an dem Tag, als er abends abreiste, seine Gabriele sich am Vormittag einige Freistunden herausgeboxt hatte. Kaum war sie im Kruchschen Appartement erschienen, machte sie kurz hinter der Tür ein dummes Scherzchen: »Herr Färber hat mich heute noch nicht unten herum eingefärbt. Können Exzellenz mir aushelfen?« Aber Tobi war nicht recht in Fahrt, nicht auf der Höhe an diesem Datum, an dem sich der Konkurrenz-Champion verabschiedete.

 

In der Nacht vor seiner Reise zu Estoniens grünen Ebenen und plattgeschliffenen Hügelchen, von der er nicht zurückkommt, jedenfalls bislang nicht, hatte Thomas Färber einige Anläufe gemacht, nur fehlte dieses Mal der rechte Schwung – diese Erwärmung der Echsenpanzerhaut in der Sonne, die eine Wärme von innen vortäuschte, obwohl dort nur eine gleichmütige laue diffuse Na-ja-wenn-dann-meinetwegen-Stimmung anzutreffen war. Er war sich sicher, dass nur er selbst diese Temperaturdifferenz bemerkte, während die anderen offenkundig glaubten, was sie sahen und was ihnen eingeblasen wurde. Das kleine grüne Männchen, der Maschinist der niemals nix kaputt geht, der immer innen in dem Ührchen die Zeiger stellt und aus dem Radiogehäuse seine tödlich dummen Sprüche absondert, das war er, das war er als Kopf und Gehirn, als Selbst-Dirigent. Er konnte kalt sein, kalt wie der weiße Schaum auf dem Laken, kalt wie der Schweiß, der nach den Umarmungen neben ihm und unter ihm trocknete. Er spürte sie nicht einmal, diese feuchte Kühle, spürte nicht den nassen Dunst, der vom Fluss her durch das halb offene Fenster kam, spürte nur noch den nahen Schlaf und dann auch den nicht mehr.

Aber wenn keine Sonne da ist, dann ist es nichts damit, das aufrechte Säugetier zu spielen, dann versagt das Tarnfell der Eidechse, dann wird sie gepackt von den Menschenwesen und an ihrem Schwanz nach unten gehalten, Köpfchen in den Dreck. Wie es immer sein schlimmster Fehler gewesen war, für alles eine Erklärung zu haben und immer nach Erklärungen zu suchen, so fand er jetzt zwei Zentimeter vor seiner Nasenspitze, drei Zentimeter neben seinem Arsch (und daran geht es dir eben nicht vorbei, leider nicht) eine Begründung, die alles klarzurrte und ihn freisprach von jeder eigenen Schuld.

---ENDE DER LESEPROBE---