Ethik des Anleitens -  - E-Book

Ethik des Anleitens E-Book

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Beschreibung

Eine Prozessbegleiterin, ein Organisationsberater, ein Unternehmer und ein Seminarleiter – vier kompetente Stimmen aus vier verschiedenen Arbeits- und Lebensfeldern. Die Beiträge von Jutta Hodapp, Adriaan Bekman, Erich Colsman und Ulrich Meier verfolgen das Ziel, die Sensibilität für eine zeit- und menschengemäße Führung innerhalb moderner Organisationen zu schaffen. Das angemessene Führen oder Anleiten von Mitarbeitern in Betrieben ist ein Thema, das zusehends an Bedeutung gewinnt. Modelle wie das kollegiale oder horizontale Führen haben das autoritäre Führen "von oben nach unten" längst abgelöst. Die Beiträge dieses Bandes widmen sich den wesentlichen Gesichtspunkten eines solchen modernen Führen. • Horizontale Führungsmodelle. • Christliche Motive im Miteinander. • Die Freiheit des Anderen nie aus dem Blick verlieren. • Einander führen heißt, einander ins Spiel bringen. • Wenn es dem Anderen gut geht, geht es auch mir gut. • Von geschlossenen zu offenen Gemeinschaften. • Jeder Mensch ist eine Führungspersönlichkeit. • Auf dem Weg zur Bewusstseinskultur. • Beispiele innovativer Leitungsstrukturen. • Initiieren von Veränderungen und Erneuerung.

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ETHIK DES

ANLEITENS

BEISPIELE ZEITGEMÄSSER UNTERNEHMENSKULTUR

Herausgegeben von Ulrich Meier

Mit Beiträgen vonAdriaan Bekman, Erich Colsman,Jutta Hodapp und Ulrich Meier

Urachhaus

INHALT

Einführung

Von einer Generation zur nächsten

Adriaan Bekman

Das Ich als Führungskraft der Seele

Geschichtlicher Wandel im Verständnis von Führung

Erich Colsman

Christliches Handeln in der Unternehmensführung, gibt es das?

Ein biografischer Rückblick

Jutta Hodapp

Führung an Waldorfschulen

Beispiele innovativer Leitungsstrukturen

Ulrich Meier

Der Freiheit des Anderen dienen

Elemente einer Ethik des Anleitens

Anhang

J.W. Goethe, »Die Natur«

Kurzbiografien

Impressum

EINFÜHRUNG

Von einer Generation zur nächsten …

Führungskultur der Erneuerung

Die vier Autoren dieses Buchs verbinden nicht nur enge freundschaftliche Arbeitskontakte, sondern zwei spezielle Felder, auf denen sie für unterschiedliche Organisationen und in verschiedenen Funktionen tätig waren und sind: Inhaltlich treffen sie sich in Fragen angemessener Führung von Organisationen und Mitarbeitern, die in Entwicklung begriffen sind. Verbunden sind Autoren wie Beiträge darüber hinaus aber auch durch eine innere Ausrichtung, die dem beherzten Engagement für Aus- und Fortbildung zugewandt ist.

Zu den vier Beiträgen dieses Buchs

Mit dem Hintergrund seiner Arbeit als Organisationsberater und Hochschullehrer schildert Adriaan Bekman, wie sich für die Entwicklungsarbeit in Teams eine traditionell vertikale Führungsstruktur in eine Kultur »auf Augenhöhe« umwandeln lässt. Das von ihm entwickelte Konzept der »Horizontalen Führung« bildet eine wesentliche Anregung für die drei anderen Autoren auf ihren Arbeitsfeldern, die alle auf ihre Art mit Erneuerung von und in Organisationen verbunden sind.

Als Rückblick auf seine Unternehmerbiografie berichtet Erich Colsman, wie sich seine Sehnsucht nach christlicher Unternehmenskultur über viele Jahre hinweg konkret in einem mittelständischen Familienunternehmen der Textilindustrie entwickelt und nachhaltig ausgewirkt hat. Dabei wendet sich die Blickrichtung zugunsten des Menschlichen um: von der Kapitalmehrung zum Kunden, von der Kostenbetrachtung zur Leistungsbetrachtung. Mit Hilfe eines die Hiearchie-Ebenen durchbrechenden Konferenzsystems und eines den Beitrag des Einzelnen erkennbar machenden Rechnungswesens wird deutlich und transparent, wie jeder Mitarbeitende zum Erfolg des Ganzen beiträgt.

Mit der langjährigen Erfahrung als Organisationsbegleiterin von Waldorfschulen stellt Jutta Hodapp dar, welche Methoden der Horizontalen Führung angemessen sind, um die Fragen und Probleme kollegialer Führung zu bearbeiten und zu lösen. Praxisnah werden vier Führungsqualitäten beschrieben: »Steuern, Coachen, Inspirieren, Eingreifen«. Die Stärkung eigener Initiative aller Beteiligten und das übergreifende Wahrnehmen und Gestalten von Prozessen seitens der Führungsverantwortlichen gehen dabei Hand in Hand.

Aus der Bildungsarbeit mit Erwachsenen, u.a. seit mehr als einem Jahrzehnt am Priesterseminar der Christengemeinschaft in Hamburg, gehen die Anregungen hervor, die ich im Schlussbeitrag unter dem Stichwort »Ethik des Anleitens« zusammengefasst habe. Immer mehr kommt es nach meiner Wahrnehmung im Bildungsbereich darauf an, wie Lernenden vielfältige eigene Erfahrungen ermöglicht werden. Dazu ist es notwendig, dass sie aus der Konsumentenrolle befreit werden und sich konsequent als Souverän ihrer eigenen Lernprozesse betätigen können.

Erneuerung als Kunst des Sterbens

Die größte Herausforderung in Entwicklungsprozessen für soziale Organismen liegt im aktiven Loslassen des Bestehenden und im erwartungsvollen Zulassen des Neuen. Dass darin zugleich die Kernkompetenz für heutige Führungskultur und Erwachsenenbildung liegt, möchte ich einleitend mit einigen Überlegungen aufzeigen, die ich an ein Zitat aus dem Fragment »Die Natur«* von Johann Wolfgang Goethe anschließe. Er schreibt ihr dort den wunderbaren Satz zu: »Leben ist ihre schönste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunstgriff, viel Leben zu haben«. Im sensiblen Feld des Übergangs von einer Generation zur nächsten geht es um nicht weniger als um Tod und Leben. Wird diese Schwelle angemessen und achtsam gestaltet, kann sich aus der Berührung der darin agierenden, einander grundsätzlich fremden Individuen ein Zugewinn an Leben entzünden, der die Möglichkeiten der Einzelnen weit übersteigt. Das entschiedene »Sterben« der Alten segnet dabei das beginnende »Leben« der Jüngeren.

Anders als persönliche Biografien der Einzelnen brauchen Organisationen für ihr Fortbestehen grundsätzlich eine Perspektive, die nicht an die Generationenschwelle gebunden ist. Würden Unternehmen, politische Einrichtungen oder Bildungsinstitute sich allein auf die Biografie ihrer Gründer oder ihrer zu einem bestimmten Zeitpunkt Zugehörigen beziehen, müssten sie mit deren Tod wieder aus der sozialen Wirklichkeit verschwinden. Gründung oder Übernahme der Verantwortung wären demnach eine Art Geburt, Scheitern im Sinne von Insolvenz oder Schließung entsprächen dem Tod der Organisation. Aus der Sicht derer, die als »Ältere« für die Führung verantwortlich sind, bedeutet diese Einsicht: Wenn es mir nicht gelingt, mein eigenes Altern und Sterben von dem der Organisation zu trennen, der ich diene, werde ich zu einem Hemmnis für das weitere Bestehen »meines« Betriebs. Darin liegt aber bereits der Ansatz zu einer Gesinnung, die sich von der langen und tragischen Tradition der Klagen über den Niedergang abhebt, der jeweils von den Älteren angestimmt und auf die Jüngeren gemünzt wird, durch die scheinbar zwangsläufig die Existenz der Organisation bedroht wird.

Dazu ein Erlebnis aus meiner eigenen Bildungsbiografie: Anfang der 1980er-Jahre stießen einige Mitstudierende und ich am Hamburger »Fröbelseminar« auf Widerstand bei den Dozierenden, als wir die in diesen Jahren publizierten Bücher von Alice Miller* im Unterrichtsgespräch thematisieren wollten. Zunächst wurde deutlich, dass sich nicht alle Lehrenden auch als Lernende verstanden, denn sie hatten von den unkonventionellen Gedanken der »neuen« Autorin noch nichts gehört oder waren bereits skeptisch gegenüber ihrem Werk eingestellt. Das kam vielleicht auch daher, dass mit den Themen »Misshandlung« und »Missbrauch« Fragen berührt wurden, die in der damaligen öffentlichen Diskussion noch kaum die Rolle spielten, die ihnen heute selbstverständlich zukommt. Immerhin waren einige Dozenten bereit, sich für das Neue zu interessieren und es nicht von vornherein abzuwehren. Ich erinnere noch gut, dass gerade an diesen Dozentinnen und Dozenten eine sonst nicht so stark wahrnehmbare Unsicherheit zu bemerken war, die mich positiv beeindruckt hat. Es war eine Berührung der Generationen, die zu beiden Seiten hin offen ist: In das Drama der Un- und Missverständnisse, das letztlich zur Negierung des Fremden führt, und in die Chance, sich am Andersartigen zu steigern, die einen geistigen Mehrwert schafft, den es ohne die Schwelle zwischen alt und neu nicht geben würde.

Zurück zu der eingangs erwähnten Herausforderung: Wie kann es gelingen, dass im Zusammenhang mit dem Fortbestehen einer Organisation das bewusst gestaltete »Sterben« einer jeden Generation zugunsten des »Lebens« der nächsten Generationen im Sinne des Goetheschen Kunstgriffs gelingen kann?

Fehlerfreude, Scheitern und Investitionen

Eingefahrene Denkwege, seelische Stereotypen und diffuse Ängste vor Verlusten sind bekannte Strukturprobleme, die lebendige Entwicklungen in Organisationen verhindern. Gerade das ängstliche Bemühen um den Erhalt dessen, was erreicht worden ist, führt dabei in den Stillstand und letztlich zum befürchteten Untergang. Noch einmal sei hier aus dem Fragment »Die Natur« zitiert:

»Sie schafft ewig neue Gestalten; was da ist, war noch nie, was war, kommt nicht wieder (…) Fürs Bleiben hat sie keinen Begriff, und ihren Fluch hat sie ans Stillestehen gehängt.«

Wie für das einzelne Individuum, so kann auch für Organisationen das scheinbar widersprüchliche Wort Christi verstanden werden: »Wer seine Seele am Leben zu erhalten sucht, wird sie verlieren; wer sie aber verliert, wird sie zum Leben zeugen« (Lk 17,33). Man kann es auch anders ausdrücken: Wer seine Unsterblichkeit über seine Nachfolger inszenieren will, indem er versucht, ihnen seine Werte, Ziele, Methoden und Inhalte aufzudrücken, wird Schaden anrichten, der womöglich bleibend ist – wer dagegen seine Endlichkeit respektiert und sich dementsprechend selbst aus der gestaltenden Verantwortung zurückzieht, wird wahrscheinlich eher erleben, dass die Jüngeren auf unerwartete Weise Zukunftsfähiges entwickeln können.

Aber nicht erst mit dem Eintritt in ein bestimmtes Lebensalter oder nach einer festlegbaren Zahl von Berufsjahren lassen sich die entsprechenden inneren Bewegungen durch Umlegen des berühmten Schalters bewerkstelligen, sondern bei jedem Projekt, in jeder Entwicklungsphase der Organisation und mit jedem Übergang innerhalb der eigenen Biografie können die Elemente des Loslassens und Zulassens erprobt werden, als deren Integral das berufsbiografische »Sterben« gelten kann. Sie können darüber hinaus als Organisationskultur auch unabhängig vom Wechsel der Generationen innerhalb von Einrichtungen und Unternehmen gepflegt werden.

Beginnen wir mit den Fehlern und Störungen. Für einen reibungslosen Ablauf sind sie zunächst unerwünscht, aber für lebendige Prozesse sind sie nicht nur unvermeidbar, sondern oft auch hilfreich – vorausgesetzt, man versteht sich darauf, sie für Verbesserungen fruchtbar zu machen. Fehlervermeidung und die Suche nach Sicherheit sind trügerische Strategien, deren negative Folgen wir nur ungern zugeben: Da sie strukturell nicht auf positive Entwicklung, sondern auf Verhinderung angelegt sind, führen sie zur Verlangsamung von Prozessen – im schlimmsten Fall zu deren Stillstand. Fehler zu bemerken, sich dafür zu engagieren, ihre Folgen zugunsten des Fortschritts zu beeinflussen und darauf zu achten, welche verborgenen Botschaften sie enthalten, lässt ihre andere Seite aktiv werden: Sie können als Wegzeichen zum Besseren fruchtbar gemacht werden. Das soziale Klima, das unter der Angst vor Störungen abkühlt, gewinnt in einem gemeinsamen Engagement zum Wandel im Anschluss an Fehler genau die Wärme, die Zusammenarbeit fördert. Wer keine Sorge haben muss, dass Fehler lediglich die Suche nach Schuldigen auslösen, kann unbeschwerter tätig werden. Wer anderen dabei helfen kann, Fehler zu wenden, erfährt zusätzliche soziale Sinngebung in seiner Arbeit. Auf diese Weise lässt sich das Wort »Fehlerfreude« unmittelbar im Alltag bewahrheiten.

Das emotionale Drama des Scheiterns möchte jeder Mensch verständlicherweise vermeiden. In den letzten Jahren zeigt sich jedoch in vielen gesellschaftlichen Bereichen, wie wertvoll das Durchleben des Scheiterns für günstige Entwicklungen sein kann. Aber auch die Wendung des Scheiterns in das unerwartete Glück des Gelingens hat seine Voraussetzungen. Auf der Empfindungsebene zeigt sich vielleicht am deutlichsten, welche Qualitäten im Loslassen und Zulassen liegen: Der Anfang des Gelingens ist schon gegenwärtig, wenn ich das Desaster annehmen kann und in der Folge das Festhalten an unfruchtbaren oder zerstörerischen Strategien aufgeben kann. Erst wenn ich das Kapitel: »Es könnte ja doch noch irgendwie klappen« aus eigener Kraft schließe, lässt sich das neue Kapitel: »Dann versuche ich es halt anders« beginnen.

Dass es auch dabei weniger darauf ankommt, was ich mit Willen herbeiführe, sondern darauf, wie ich das Neue annehmen kann, meint das Wort »Zulassen«. Das Stigma des Gescheiterten verhindert den Umschwung, der sich im Aufnehmen des vorher noch nicht Wahrnehmbaren als Geschenk zeigt. Solche Dramen des Scheiterns und Öffnens sind hoch individuell – und meinen doch niemals das kleine Ego, in das wir zurückgeworfen werden, wenn wir den Austausch mit anderen Menschen und »der Welt« vermeiden, auf den sich Loslassen und Zulassen beziehen. Auch davon spricht Goethes kleiner Text über die Natur:

»Wir leben mitten in ihr und sind ihr fremde. Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht. Wir wirken beständig auf sie und haben doch keine Gewalt über sie. Sie scheint alles auf Individualität angelegt zu haben und macht sich nichts aus den Individuen«.

Die unternehmerische Grundgebärde des Investierens trägt bereits den Charakter der Umkehr, der auch die Fehlerkultur und die Bereitschaft zum Scheitern auszeichnet. Wenn es dabei nämlich nicht um eine auf Absicherung und/oder Ausbeutung beruhende Strategie aus dem Ego geht, bedeutet Investition die Öffnung auf eine grundsätzlich nicht vorwegnehmbare Zukunft. Wie ich für die Fehlerfreude frei werden und im Scheitern liebesfähig werden sollte, so kann ich nur in oder für etwas investieren, wenn ich Vertrauen fassen kann. Es ist der berühmte Rucksack, den ich über den Zaun werfe, bevor ich selbst die Grenze zur Zukunft übersteige. Darin liegt das Urbild der Erneuerung: Ich nehme etwas von dem Vorhandenen; dann lasse ich es los, indem ich das Risiko eingehe, alles zu verlieren; neben dem Risiko lasse ich aber auch zu, dass etwas Neues entsteht, mit dem ich mich als Investor schließlich verbinden kann. Eine Organisation, die nur auf die Verwaltung dessen setzt, was schon vorhanden ist, verpasst ihre eigene Zukunft, wenn sie den Mut zum Risiko des Investierens scheut. Sie muss sich dann im biblischen Gleichnis vom Knecht wiedererkennen, der das von seinem Herrn empfangene Talent vergraben hat, statt damit zu arbeiten: »Zuletzt kam auch der, der ein Talent bekommen hatte. ›Herr‹, sagte er, ›ich wusste, dass du ein harter Mann bist. Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast. Deshalb hatte ich Angst und vergrub dein Talent in der Erde. Hier hast du zurück, was dir gehört.‹ Da gab ihm sein Herr zur Antwort: ›Du böser und fauler Mensch! Du hast also gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe. Da hättest du mein Geld doch wenigstens zur Bank bringen können; dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückbekommen.‹ ›Nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! Denn jedem, der hat, wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat. Doch diesen unnützen Diener werft in die Finsternis hinaus, dorthin, wo es nichts gibt als lautes Jammern und angstvolles Zittern und Beben‹« (Mt 25,24–30).

Mitarbeiter, Kunden und Lernende

Was die vier Beiträge dieses Buchs verbindet, ist das Ideal einer Führung von Menschen und Gemeinschaften, das sich auf die Liebe zum Individuum und das Vertrauen in das Potential von Zusammenarbeit gründet. Ob wir für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Führungsverantwortung übernehmen, uns für die Bedürfnisse unserer Kunden dienstbar machen oder Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen durch Bildung zu innerem Wachstum verhelfen wollen: Das horizontale Prinzip der Mitmenschlichkeit bildet die Sphäre, in der die Begegnung von Individuen nicht zur Spaltung in Mächtige und Ohnmächtige führt, sondern ein fruchtbares Feld schafft, in dem zugleich Erneuerung und Gemeinschaftlichkeit wächst.

Hamburg, August 2017 Ulrich Meier

Adriaan Bekman

DAS ICH ALS FÜHRUNGSKRAFT DER SEELE

Führung ist ein faszinierendes Thema voller Geheimnisse. Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen mit vielen interessanten Ansätzen zu diesem Thema. Und doch bleibt es meiner Meinung nach ein Geheimnis, ein Mysterium. In jahrelanger Forschung zu diesem Mysterium Führung, während derer ich viele Führungspersönlichkeiten über das Thema der eigenen Führung befragt habe, bekam ich selten oder nie eine Theorie oder ein Modell als Antwort. Vielmehr hatte jeder eine ganz persönliche Antwort auf diese Frage.

Auch bemerkte ich, dass die Konzepte zu Führung bekannter Autoren wie Covey, Quinn oder Kotter, aber auch unbekannter Autoren, ihre Theorie oder ihr Modell auf einem ganz persönlich gewählten Standpunkt aufbauten. Sie wählen eine Basis wie Macht und Vertrauen, oder Kommunikation zwischen Führungs-Geber und -Nehmer. Sie führen aus, dass Führung einen Mehrwert kreiert und Ergebnisse erzielen will, oder dass Führung Veränderungen und Innovationen initiieren und realisieren will, oder sprechen über den Unterschied zwischen Managen und Führen. Führung, so ist mein Fazit, basiert ausschließlich auf privaten Kapitalquellen und selbst gewonnenen Einsichten. Sie können nur sich selbst und Andere auf der Grundlage dessen führen, was Sie sich angeeignet haben. Und Sie können nur mit Hilfe eines selbst gewählten Standpunktes, im Zusammenhang mit ihrer eigenen Führungspraxis, ein Führungskonzept oder -modell beschreiben.

Allerdings fiel mir im Nachhinein auf, dass jede Form von Führung die Geschicke der Gemeinschaft verbindet und dass, wenn wir miteinander über Führung sprechen, unmittelbar wichtige Themen, mit denen die Menschen in ihrem Leben und ihrer Arbeitspraxis kämpfen, auf den Tisch gebracht werden. Eine weitere gemeinsame Essenz der Führung, die ich herausgefunden habe, besteht darin, wie eine Person eine andere Person begleiten kann, um zur eigenen Initiative zu gelangen und die Verantwortung für ihren eigenen Beitrag zum Ganzen zu übernehmen.

Im Wesentlichen streben alle Führungspersönlichkeiten mit gutem Willen danach, das Ich des Anderen in der Seele zu wecken und damit zu einer verantwortungsvollen Gemeinschaft von Menschen zu gelangen.

In diesem Beitrag will ich diese Frage: »Wie kann das Ich als Führungskraft in der Seele erscheinen?« erforschen.

Zusammen leben und arbeiten – unabhängig von unterschiedlicher Herkunft, Religion, Alter, Kultur

Auf dem Weg zur Weltgemeinschaft

Wir können im weltweiten Zusammenleben von Menschen einen Prozess der Veränderung wahrnehmen, der bereits über viele Jahrhunderte im Gang ist. Wo der Mensch in der Vergangenheit Teil einer natürlichen Gemeinschaft war und sich in dieser Gemeinschaft das ganze Leben abspielte, ist der Mensch heute Teil mehrerer unterschiedlicher Gemeinschaften.

Die menschliche Seele ist im Zusammenhang mit dieser Veränderung verwandelt worden von einer Gruppenseele in eine individuelle Seele. Dies hat eine tiefgreifende Wirkung auf die menschliche Seele. Einerseits kann man sagen, der Mensch ist dadurch mehr bei sich selbst angekommen, auf der anderen Seite hat allerdings auch die natürliche Beziehung zum anderen Mensch gelitten.