Eva langt zu - Liza Cody - E-Book

Eva langt zu E-Book

Liza Cody

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Beschreibung

Band 3 der Eva-Wylie-Trilogie: »Der Mensch muss schließlich überleben. Und wo ich herkomme, ist Überleben ein anständiger Beruf. Ich bin groß und stark. Ich muss essen. Ich habe drei Hunde, die sind auch groß und stark, die wollen auch fressen. Wer soll uns durchfüttern? Sie vielleicht?« Kämpferin Eva Wylie ist am Ende. Für den Catchring gesperrt, noch aus dem miesesten Job gefeuert, notorisch betrunken und ohne Zahnbürste: Sie scheint endgültig alle Chancen verspielt zu haben, da fällt ihr unverhofft fette Beute in die Hände. Jackpot?

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Liza Cody

Eva langt zu

Die Eva-Wylie-Trilogie Band3

Aus dem Englischen von Regina Rawlinson

Ariadne Kriminalroman 1205

Argument Verlag

Mein Dank geht an:

Angus, Felicity, Bryan, Mike Lewin,

Peter Lovesey, Charlotte Nassim,

Kate Nowlan und Sara Paretsky.

Inhalt

Cover

Titel

Danksagung

1

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Impressum

1

Saukomisch. Zum Totlachen. Ich sitze mit einer Thermosflasche Tee in einem Lieferwagen und bewache einen Parkplatz. Ich – die größte noch lebende Autoausborgerin aller Zeiten. Bei den ganzen schnieken Bonzenspielzeugen ist nicht eins dabei, das ich mir nicht unter den Nagel reißen könnte. Bevor Sie »Eva ist ein Genie« sagen könnten, hätte ich die Kiste offen, knicksknacks, und wäre damit abgedüst, wrumm-wrumm.

Aber was mache ich? Ich bewache die Teile! Ich nuckel an meinem Tee und sage: »Tschüs, du fetter, reicher Saftsack. Flieg schön nach Amerika, scheffel noch ein paar Millionen. Ist mir doch egal. Flieg nur mit deiner Alten und den lieben Kinderlein nach Disneyland, schmeiß ruhig deine sauer verdiente Kohle für die verzogenen Hosenscheißer zum Fenster raus. Das kümmert mich einen feuchten Dreck. Und mach dir keine Sorgen. Die gute Eva sorgt schon dafür, dass deinem Mercedes keiner was tut, bis du wiederkommst, mit Sonnenbrand auf der Nase und Schnapstüten in der Hand.«

Der Parkplatz, den ich bewache, ist nämlich privat, für die Typen mit Drittwagen, goldenen Kreditkarten und Platinuhren, denen keiner an den Karren fahren kann. Sie kriegen einen Rundumservice, alles im Preis inbegriffen. Die brauchen nicht am Flughafen zu parken und mit dem Pöbel in den Bus zu steigen. Das haben die nicht nötig. Die werden von London aus ganz nobel zu einer First-Class-Lounge am Terminal ihrer Wahl kutschiert. Und auf der ganzen Strecke werden sie von vorne bis hinten bedient. Bitte sehr, Sir. Jawohl, Sir.

Nein danke, Sir. Dafür ist Eva Wylie nicht auf Gottes schöner Welt, dass sie irgendwelchen reichen Ärschen in den Hintern kriecht. Dafür ist sie normalerweise nicht zu haben, nur wenn sie eine Pechsträhne hat. Wer Pech hat, muss kriechen. Wer nicht kriecht, kriegt keinen Kies. Ohne Kies, kein Glück. Ein Teufelskreis aus Stacheldraht. Damit die, die nichts haben, schön kuschen und zu denen, die alles haben, immer schön »Sir« sagen.

Aber Sie brauchen gar nicht zu lachen. Der Mensch muss schließlich überleben. Und wo ich herkomme, ist Überleben ein anständiger Beruf. Ich bin groß und stark. Ich muss essen. Ich habe drei Hunde, die sind auch groß und stark, die wollen auch fressen. Wer soll uns durchfüttern? Sie vielleicht? Dass ich nicht lache. Das letzte Mal, als ich umsonst was zu essen gekriegt habe, war ich im Knast, und so viel ist mir ein geschenktes Essen auch wieder nicht wert, das können Sie mir glauben.

Kein schöner Gedanke.

Also hörte ich auf zu denken und sagte: »Komm mit, Milo, wir gehen uns die Beine vertreten.« Und ich machte die Tür des Lieferwagens auf.

Milo ist mein dritter Hund, mein Jüngster. Ich habe ihn mit der Flasche aufgezogen. Ich weiß, Eigenlob stinkt, aber ich muss trotzdem sagen, dass er sich zu einem richtigen Untier entwickelt hat. Ein Kopf wie ein Stier und Füße wie ein Kamel. Dabei ist er noch nicht mal ganz ausgewachsen.

Er kam aus seinem unruhigen Schlaf hoch und machte: »Hörf?«

»Klappe«, sagte ich und legte ihm die Hand auf die Schnauze. Ich bringe ihm nämlich bei, nur Laut zu geben, wenn es darauf ankommt. Man kann keinen Wachhund gebrauchen, der ohne guten Grund loskläfft. Außerdem war er noch gar nicht richtig im Stimmbruch. Manchmal ist es echt zum Schießen, wenn er »Hip-hörf« macht und dann selber ganz verdattert aus der Wäsche guckt. Aber ich darf nicht lachen. Wenn ich lache, meint er, ich wäre ein Weichei. Was ich nicht bin. Ich bin der Boss. Das darf er nicht vergessen.

»Platz!«, sagte ich und ging ein paar Schritte weg. Ich richte ihn zurzeit auch aufs Sitzenbleiben ab. Er soll nicht wie ein Schoßhündchen hinter mir herlaufen. Ein Wachhund ist kein Schmusetier, was Milo aber noch nicht ganz kapiert hat.

Ich versteckte mich zwischen Audis, BMWs, Rovers und anderen blankgewienerten Autos, wo ich ihn zwar noch sehen konnte, aber er mich nicht.

»Ramses!«, rief ich. »Lineker!«

Milo machte sich ganz lang, als ob er angeleint wäre. Aber er kam nicht. Ich war richtig happy. Er soll nur auf seinen eigenen Namen hören. Aber ich hatte meine beiden anderen Hunde gerufen. Und die konnten nicht kommen, weil sie nicht da waren. Sie waren zu Hause und bewachten den Schrottplatz, wo wir wohnen.

Ich war sehr zufrieden, weil Milo nicht nur seinen Namen gelernt hatte, sondern auch wusste, wie die beiden anderen Hunde hießen.

Ich ging noch ein Stück weiter, dann rief ich: »Milo!«

»Hörf-hip!«, tönte er. Blödes Hundebaby. Er kam in großen Sätzen auf mich zugesprungen und prallte voll gegen meine Oberschenkel.

»Klappe«, sagte ich. »Platz.«

»Hörf?«, sagte er. Aber er setzte sich hin und grinste von einem Ohr zum anderen, als ob er gerade einen tollen Witz erzählt hätte.

»Klappe, du Waschlappen«, sagte ich. Ich gab ihm trotzdem einen halben Hundekuchen, weil er seine Sache gut gemacht hatte, auch wenn er zu gesprächig war.

Ich nahm ihn links neben mich bei Fuß. Wir gingen die Luxusschlitten ab und sahen nach, ob auch noch alle Radkappen, Telefone und Kassettenrecorder da waren.

Angeblich ist der Parkplatz nämlich diebstahlsicher, aber so sicher, wie die Besitzer behaupten, ist er noch lange nicht. Weil in der letzten Zeit ein paar von den teuren Wagen aufgebrochen worden waren, mussten Milo und ich die Nacht im Lieferwagen verbringen. So leicht findet sich keiner, der für diesen Aufpasserjob besser taugt als ich. Was ich über Autodiebstahl nicht weiß, passt in das Nasenloch eines Flohs. Das können Sie mir ruhig glauben.

Es war kalt, und es war dunkel. London schnarchte – wie immer. Das Licht aus meiner Taschenlampe tanzte vor uns her, und Milo sah mit seinem dampfenden Atem wie ein Drache aus.

Nur Milo und ich mussten arbeiten und uns im Freien die Nacht um die Ohren schlagen. Ich und Milo. Milo und ich. Alle anderen hatten sich ins Warme verkrochen, lagen eingemummelt in ihren verschwitzten Betten, schnarchten und furzten gemütlich vor sich hin. Sie brauchten sich keine Sorgen zu machen, denn sie hatten ja die gute alte Eva, die ihren Familienferrari bewachte.

Lachen Sie ruhig, das stört mich nicht. Aber vor einem Jahr hätten Sie nicht gelacht, dafür hätten Sie viel zu viel Respekt vor mir gehabt. Weil ich vor einem Jahr noch die Londoner Killerqueen war. Eine berühmte Catcherin. Ich bin in ganz Südengland aufgetreten. Ich war der kommende Star. Die Londoner Killerqueen, die größte, stärkste, härteste Catcherin in der ganzen Szene.

Und dann das Ende. Man hat mich abgesägt. Aber das ist eine andere Geschichte, und ich will nicht mehr daran denken.

Nur so viel will ich Ihnen verraten: Es war nicht meine Schuld. Es war die Schuld der anderen Ärsche, aber ich musste dafür bezahlen. Immer dasselbe Lied.

Wenn ich vor einem Jahr in eine Halle marschiert kam, hat das Publikum meinen Namen gerufen: »Eva, Eva, Killerqueen, Killerqueen!« Die Leute kreischten und brüllten. Sie buhten und zischten und tobten. Man konnte mich nicht ignorieren. Das konnte keiner, kein Mensch. Weil ich jemand war. Weil mein Name auf dem Plakat stand. Ich hatte Geld in der Tasche und mein Bild im Programmheft.

Aber das war voriges Jahr. Jetzt bin ich ein Niemand. Jetzt stapfe ich mit den Händen in den Ärmeln im kalten Mondlicht auf einem Parkplatz herum, und der Einzige, der sich darum kümmert, ob ich tot oder lebendig bin, ist Milo.

Braucht man sich da noch zu wundern, dass die Feindin die Situation eiskalt ausgenutzt hatte? Es gibt solche Leute. Sie warten, bis du am Boden liegst, und dann trampeln sie mit ihren genagelten Stiefeln auf dir rum. Sie sagen: »Hast du diese Woche schon etwas vor, Eva?« Wenn sie ganz genau wissen, dass du höchstens zu Hause sitzen und Däumchen drehen kannst, weil keiner mehr was mit dir zu tun haben will.

Auf genau die Tour war mir die Feindin gekommen. Sie sagte: »Wenn du keine anderen Pläne hast, hätte ich einen Auftrag für dich.«

Andere Pläne, dass ich nicht lache! Als ob sie nicht wüsste, dass ich nichts vorhabe. Als ob ich einfach sagen könnte: »Verpiss dich, Frettchengesicht. Such dir einen anderen Idioten.« Was ich ihr am liebsten antworten würde.

Meinen Sie etwa, ich hätte Lust, die ganze Nacht Rovers und Rolls-Royce zu bewachen? Sie sind wohl unterbelichtet. Ich? Die Londoner Killerqueen? Die ehemalige Londoner Killerqueen. Ich doch nicht. Nein, ich habe was Besseres verdient.

Mir ist nichts in den Schoß gefallen. Ich habe selber was aus mir gemacht. Und ich musste schwer genug dafür ackern.

Aber jetzt bin ich wieder da, wo ich mal angefangen habe. Ganz unten. Und die Feindin nützt das aus. Sie lässt mich bei den Bonzenautos Kindermädchen spielen und meint auch noch, ich müsste ihr dafür dankbar sein. Irrtum, Gnädigste!

»Lass die Finger vom Bier«, sagt sie. Was geht sie das überhaupt an, ob ich was trinke? »Bleib wach«, sagt sie. Mach dies, mach das. Immer nur Befehle.

Falls Sie es noch nicht wissen, die Feindin, das ist die allwissende Anna Lee von der Agentur Lee-Schiller Security. Sie ist eine Bullentante, eine echte Landplage. Aber sie hat Kohle und ich nicht. Deshalb kann sie bestimmen, wo es langgeht. Sie kriecht in ihr warmes Bettchen, während ich in der Eiseskälte die Drecksarbeit für sie erledigen muss. Alles eine Frage der Moneten. Wer Geld hat, kann sich ins Fäustchen lachen. Wer keines hat, muss springen.

Wer welches hat, kann sagen: »Es würde dir mal wieder guttun, Eva. Du hast überhaupt keine Kondition mehr.«

Und ich darf ihr bloß in Gedanken antworten: »Hast du was gesagt? Oder nur an einem Backstein geknabbert? Ich will nichts davon hören.« Aber ich muss so tun, als ob sie was Vernünftiges von sich gibt, weil sie die Kohle hat und ich nicht.

Es ist eine dunkle, kalte Nacht auf diesem Parkplatz für Managerspielzeug. Genauso dunkel und kalt wie in meinem Herzen.

»Hörf?«, sagte Milo. Ich haute ihm eine runter, dass ihm die Tränen kamen.

»Hip!«, sagte er, als ob ich der gemeinste Mensch der Welt wäre. Was ich nicht bin.

Auf der Welt laufen noch viel gemeinere Typen rum als ich. Mindestens sechs Zillionen.

»Du glaubst, ich bin fies?«, sagte ich zu Milo. »Ich meine es nur gut mit dir. Wenn ich dich so viel reden lasse, wie du willst, wird nie ein guter Wachhund aus dir. Dann bist du arbeitslos und hast keinen, der dich füttert und aufpasst, dass Ramses und Lineker dir nicht in den Schwanz beißen.«

Milo blinzelte die Tränen weg und trottete weiter.

»Willst du wissen, wer wirklich ein Fiesling ist?«, fragte ich. »Ich kann dir einen zeigen. Ich zeige dir Mr.Deeds.«

Milo erinnert sich nicht mehr daran, weil er damals noch zu klein war, aber Mr.Deeds, Mr.Drecksack Deeds, war derjenige, der mir mein Leben kaputtgemacht hat. Mr.Deeds von Deeds Promotions hat zu mir gesagt: »Du bist draußen. Du bist gesperrt. Komm mir nie wieder unter die Augen mit deiner hässlichen Visage. Nie wieder. Du bist erledigt. Du steigst nie mehr für mich in den Ring.«

Ja, das hat er gesagt. Zu mir! Nachdem ich ihm eine volle Halle beschert hatte. Obwohl das Publikum außer Rand und Band gewesen war. Die Leute hatten geschrien und getobt und wollten ein Autogramm von mir.

»Ich verspreche dir, das war dein letzter Kampf«, sagte er.

Das Versprechen hat er gehalten.

Ich stehe auf der schwarzen Liste. Ich bin seitdem nicht mehr aufgetreten.

Wenn Sie einen Fiesling suchen, nehmen Sie Mr.Drecksack Deeds. Den können Sie umsonst haben. Er hat mir einen Tritt in den Hintern gegeben und mir die Tür vor der Nase zugeknallt. Jetzt kann ich nicht mehr rein in die Welt, die ich mir selber aufgebaut habe. Ich kann nicht mehr zurück ins Scheinwerferlicht und in den kochenden Ring. Kein Applaus mehr für mich, kein Aah und Uuh. Kein Keuchen und Ächzen, kein dumpfes Klatschen, wenn meine Gegnerin auf die Matte knallt. Kein Ringrichter, der zählt: Eins, zwei, drei.

Diese Welt gibt es noch. Irgendwo. Aber ich darf nicht mehr rein. Ich habe sie verloren. Und ohne diese Welt bin ich verloren. Wie soll ich reich und berühmt werden, wenn ich nicht mehr die Londoner Killerqueen sein darf? Können Sie mir das vielleicht verraten?

Milo drückte mir die Schnauze in die Hand, und ich erlaubte es ihm. Er hat ja nur mich. Er war eine mutterlose nackte Krabbe, noch keine Woche alt, als ich ihn fand. Ich habe ihn mir unter den Pullover gesteckt, um ihn zu wärmen, und ihn mit nach Hause genommen. Seitdem bin ich Mum und Dad für ihn. Ich habe ihn mit teurer Welpennahrung gefüttert und ihn so oft vor Ramses und Lineker beschützt, dass ich es nicht mehr zählen kann. Und warum? Weil ich ein weiches Herz habe. Darum. Es kann noch ewig dauern, bis er sich sein Futter selber verdienen kann, und bis dahin frisst er mir die Haare vom Kopf und kostet mich Zeit und Nerven. Ich kann ihm nur raten, sich zum besten Wachhund aller Zeiten zu mausern. Wenn nicht, ziehe ich ihm das Fell über die Ohren und mache mir aus seinem nutzlosen Pelz eine Weste.

»Hast du gehört?«, sagte ich. »Eine Weste. Also streng dich ein bisschen an.«

»Hip?«, sagte er. Aber weil er es leise sagte, ließ ich es ihm noch mal durchgehen. Wie schon gesagt, ich habe ein weiches Herz. Mein Hund redet zu viel, aber ich beklage mich nicht.

Ich muss Ihnen was erzählen. Letzte Woche war ich in einem Parkhaus für ganz normale arme Leute. Was ich da zu suchen hatte, braucht Sie nicht zu kümmern. Es war jedenfalls schon spät, und es war kalt, und ich hatte keine Lust, zu Fuß nach Hause zu gehen. Plötzlich stand jedenfalls mutterseelenallein ein kleiner roter Vauxhall Astra vor mir. Sicher hatte der Besitzer ein Taxi genommen, weil er zu viel getrunken hatte. Und wer sich einen Rausch und ein Taxi leisten konnte, würde es mir sicher nicht krummnehmen, wenn ich ein Stück mit seinem Wagen spazieren fuhr. Also habe ich mir den Astra geborgt.

Meistens borge ich mir die Karren wirklich nur aus. Sie können Ihre Stereoanlage behalten, ich will Ihren Mantel, Ihren Schirm, Ihre Tasche oder Ihren Aktenkoffer nicht haben. Ich bin keine Diebin. Und ich mache auch nichts kaputt – nur wenn es nicht anders geht. Wenn ich den Wagen hinterher irgendwo stehen lasse, ist er sauberer als vorher. Ein geborgtes Auto muss man gründlich putzen.

Zuerst war alles wie immer. Ich hatte den Astra ruck, zuck geknackt und gestartet, ohne die Lenkung zu ruinieren. Der Besitzer hatte wohl noch nie was von einer Wegfahrsperre gehört. Aber dann passierte es. Es steckte noch eine Kassette im Recorder, als ich den Motor anließ. Und wissen Sie, was mir da aus den Boxen entgegenknallte? Wobei sich mir die Nackenhaare sträubten? Es war meine Musik. Mein Lied. Satisfaction.

Das ist mein Song. Ehrlich.

Zumindest ist es meine Musik gewesen, als ich noch im Ring stand. Nein, eigentlich schon vorher, vor meinem Auftritt. Sie dröhnte mir nicht nur in den Ohren, ich hatte sie in den Fußsohlen, in der Magengrube. Ba-ba ba-ba-baa da bad’n bad’n. Genau so. Dann bin ich knurrend und brüllend in die Halle gestürmt, wie ein wildes Tier. Und das Publikum hat sich nach mir umgedreht und zurückgebrüllt.

Sie gehört mir, diese Musik.

Jedenfalls hat sie mir mal gehört.

Aber wissen Sie, was das Komische ist? Ich hatte das Lied bis dahin nie gehört. Ich kannte bloß die Stelle mit dem Ba-ba baba-baa da bad’n, bad’n, weil die Tonleute sie so lange gespielt haben, bis ich im Ring war. Den Text haben sie weggelassen. Ich dachte nie, dass ich den noch mal irgendwann zu hören kriege. Ich stehe nämlich nur auf Heavy Metal, alles andere ist für mich keine Musik. Mr.Deeds hat mir das Stück ausgesucht, und er ist ein alter Knacker, der keinen Geschmack hat. Die falsche Generation eben.

Sie müssen sich das mal vorstellen. Ich friere mir in einem Parkhaus den Arsch ab und will nichts wie nach Hause, als plötzlich mein Ba-ba ba-ba-baa da bad’n bad’n aus den Boxen kommt. Das war vielleicht ein Schreck. Ich war total geplättet. Es war wie ein Zeichen. Ein Zeichen aus der Hölle.

Eigentlich hätte ich sofort abschalten müssen, weil man nicht mit einer Million Mega-Dezibel durch die Gegend fahren will, wenn man in einem geborgten Astra sitzt. So was mache ich nicht. Sie vielleicht? Höchstens, wenn Sie unterbelichtet sind. Trotzdem habe ich es nicht ausgedreht. Ich konnte den richtigen Knopf nicht schnell genug finden. Und als ich ihn dann doch noch gefunden hatte, wollte ich die Musik einfach nicht mehr ausmachen. Und wissen Sie, warum? Weil mir plötzlich klar wurde, dass es in dem Lied gar nicht um »Satisfaction« geht, was ja wohl so viel wie Befriedigung heißt, sondern um Frust.

Das war mal wieder ein Beweis dafür, was für ein Blindgänger Mr.Drecksack Deeds ist. Sucht mir ein Lied aus, das Satisfaction heißt und nur von Frust handelt. Voll von Wut und Verbitterung. Genau wie ich. Also hörte ich es mir erst mal zu Ende an.

Als ich den Wagen später abgestellt habe, habe ich die Kassette mitgenommen. Womöglich war ja noch ein Zeichen aus der Hölle für mich drauf.

Und ich habe tatsächlich noch eines gefunden. Echt wahr. Das Lied heißt Jumpin’ Jack Flash, und darin geht es nur um mich. Nur dass ich nicht der Jack bin. Ich bin Eva.

Jack und Eva haben beide einen Drachen als Mutter. Wir sind beide verprügelt worden. Wir sind kaputt und am Ende.

Aber wir kommen schon wieder auf die Beine.

Eva rappelt sich auf jeden Fall wieder hoch. Was geht mich der Jack an? Immerhin jammert und weint er nicht. Er schreit und tobt, aber er lässt sich nicht unterkriegen. Genau wie ich.

»Hörf«, sagte Milo.

»Klappe«, sagte ich.

»Eva«, sagte Anna Lee.

»Scheiße«, sagte ich. »Was soll denn das, dass Sie sich so ranschleichen?«

»Wieso schleichen?«, sagte sie. »Ich habe das Tor aufgemacht und bin ganz normal hereingekommen. Du hast mich nur nicht gehört. Milo hat mich gehört. Aber du nicht.«

Milo ist ein echter Schleimi. Er küsste ihr die Hand und wedelte wie blöde mit dem Schwanz.

»Eva«, sagte sie. »Du hast während der Arbeit getrunken.«

»Quatsch«, sagte ich. »Das zählt doch nicht als Trinken. Das hilft gegen die Kälte.« Wenn man mit einer Dose Bier in der Hand erwischt wird, kann man schließlich kaum behaupten, es wäre Kaffee.

»Ich bringe dich nach Hause«, sagte Anna Lee, die Feindin.

»Sie bringen mich nirgendwohin.«

»Nach Hause«, sagte sie.

»Auf der Stelle«, sagte sie.

»Beweg dich«, sagte sie.

Im nächsten Moment hatte sie Milo und mich in ihren weißen Peugeot verfrachtet und raste die Jamaica Road runter. Unterwegs sagte sie: »Es tut mir leid.«

»Was?«

»Das war das Ende der Fahnenstange. Du hast gerade deine letzte Chance verspielt.«

»Ich habe gar nichts verspielt«, sagte ich. »Halten Sie an.«

»Warum?«

»Anhalten!«

Ich wäre fast in die Gosse geflogen, so eilig hatte ich es, aus dem Wagen zu kommen. Diese verkniffene, eingebildete Zicke sollte nicht sehen, wie mir schlecht wurde.

Ich sprang um die nächste Ecke und reiherte einem Jaguar auf die Motorhaube.

Aber ich ging nicht wieder zurück. Ich hatte die Schnauze voll von der Feindin. Sie wollte mich rausschmeißen? Da hatte sie sich geschnitten. Von mir aus konnte sie sich ihren miesen Job in die Haare schmieren. Bevor ich für sie noch einen Finger krumm machte, legte ich eher meinen Kopf unter die S-Bahn.

Ich hätte ihr lieber in den Peugeot reihern sollen. Oder in den Nacken. Oder in ihre Handtasche.

2

Milo musste bei der Feindin bleiben. Schließlich war er ja auch nicht von selber mitgekommen. »Nutzlose Töle.«

Wozu war er überhaupt gut? Zum Arbeiten war er noch zu jung und unerfahren, aber dafür konnte er fressen wie ein Pferd.

»Sie kann dich behalten«, sagte ich. »Ich wollte dich sowieso nie haben.«

Ich ging weiter. Mir war alles egal. ALLES EGAL. ALLES.

Aber der Bürgersteig schwankte, und die Mauern blähten sich wie eine Fahne im Wind. Und plötzlich wusste ich den Weg nach Hause nicht mehr. Lachen Sie ruhig, aber so was kann vorkommen. Auch wenn man stocknüchtern ist. Man geht die Straße entlang, macht sich seine Gedanken oder auch nicht, biegt um eine Ecke zu viel oder zu wenig, und schon ist es passiert – man hat sich verlaufen.

Ich hatte mich verirrt.

Ich war auf einer Straße, die ich nicht kannte. Sie sah aus wie jede andere. Sie war gut beleuchtet, aber die Laternen waren verschwommen und schaukelten im Wind. Bloß war es nicht windig. Gerade als mir wieder schlecht werden wollte, entdeckte ich auf der anderen Straßenseite eine Tankstelle, die noch offen war. Vielleicht gab es da Bier für meinen armen Magen.

Ich ging langsam rüber. Obwohl es vier Uhr morgens war, rasten mit einem Affenzahn irgendwelche Irren vorbei. Kein Aas hielt sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Es war eine ziemlich gefährliche Straße, wenn man ein paar Schluck getrunken hatte und sich nicht gut fühlte.

Ein knallroter Carlton zischte an mir vorbei, als ob es mich gar nicht gäbe, und bog genau vor mir in die Tankstelle ein. Er rauschte so nah an mir vorbei, dass er mir fast die Jacke ausgezogen hätte.

»Arschloch!«, schrie ich. Aber keiner hörte mich. Keiner kümmerte sich um mich. Ich hätte genauso gut einen Laternenmast anschreien können.

»Arschloch«, sagte ich noch einmal und sprang auf den Bürgersteig.

»Das zahle ich dir heim«, sagte ich und hüpfte über die Kette, die um das Tankstellengelände gezogen war.

Ich wollte dem Carlton-Fahrer die Meinung geigen. Ich wollte ihn unter den Armen packen, hochheben und sagen: »He, du Eiterbacke, pass auf, wo du hinfährst.« Aber bis ich mich wieder hochgerappelt und der Kette, die mir ein Bein gestellt hatte, einen Tritt verpasst hatte, war der Fahrer längst ausgestiegen und ins Kassenhäuschen gegangen. Die Tür des Carlton stand offen, der Motor lief. Es war genauso gut wie eine Einladung: »Bitte sehr, Eva. Ein schönes rotes Auto, das nur darauf wartet, dich nach Hause zu bringen.«

Also sagte ich: »Schönen Dank. Hiermit nehme ich die Eiterbacke zurück.« Ich sprang rein und legte den ersten Gang ein.

In dem Moment steckte der Fahrer den Kopf aus der Tür und brüllte was. Ich konnte ihn nicht genau verstehen, weil ich gerade voll aufs Gas gestiegen war und mit aufheulendem Motor losdüste. Was als Nächstes passierte, war sehr merkwürdig. Als ich an dem Mann vorbeikam, klappte die Beifahrertür zu. Dabei hatte ich gar keinen Beifahrer bemerkt. Und dann kam ein anderer Typ, den ich vorher noch nicht gesehen hatte, aus dem Kassenhäuschen und zeigte mit einem Stock auf mich.

Ich dachte mir noch: »Wieso zeigt der Schwanz mit einem Stock auf mich?« Ich hatte kaum zu Ende gedacht, da zersplitterten auch schon auf der Beifahrerseite sämtliche Scheiben. Schepper-klirr. Alles war voll Glas. Ich war so verdattert, dass ich um ein Haar eine Zapfsäule gerammt hätte.

Ich war in null Komma nichts von null auf hundert, schnitt einen Lastwagen und bog auf die Straße ein. Ich schwitzte und fluchte, aber es dauerte fast eine halbe Meile, bis mir langsam dämmerte, wieso die Scheiben zersprungen waren.

Der Schwanz hatte gar nicht mit einem Stock auf mich gezeigt. Er hatte eine abgesägte Schrotflinte in der Hand gehabt. Die Fenster waren nicht einfach zersplittert. Der Schwanz hatte sie zerschossen.

Ist das zu fassen? Der Mistfink hatte auf mich geschossen. Auf mich. Nur weil ich mir einen Carlton ausgeborgt hatte. Wer macht denn so was?

Wenn er nicht wollte, dass sich einer seine Karre auslieh, warum hatte er dann nicht einfach den Schlüssel abgezogen, wie jeder andere vernünftige Mensch?

Scheiße. Er hätte mich umbringen können. Stellen Sie sich das mal vor. Ehemalige Catcherin erschossen. Was für eine Schlagzeile.

Plötzlich war ich so was von geschockt, dass ich nicht mehr weiterfahren konnte. Ich hielt an.

Mit ein bisschen Pech hätte ich nur noch einen blutigen Stumpf gehabt, wo früher mein Kopf gesessen hatte. Denken Sie mal daran, wenn Sie das nächste Mal in der Nase bohren oder sich Sorgen machen, dass Ihnen die Haare ausgehen.

Mir war zwar immer noch schlecht, aber dafür war ich schlagartig nüchtern geworden. Die kalte Luft, die durch die kaputten Fenster kam, pfiff mir durch das eine Ohr rein und durch das andere wieder raus. Das ließ sich nicht ändern, aber ich drehte die Heizung trotzdem bis zum Anschlag auf, damit ich wenigstens warme Zehen hatte.

Ich fuhr weiter. Immer schön langsam. Ich musste die Kiste möglichst schnell loswerden. Die fehlenden Scheiben wären sogar einem gehirnamputierten Bullen aufgefallen, und er hätte mich angehalten. Ich sah in den Rückspiegel. Keine Polizei. Noch nicht. Es war eine hässliche Nacht, aber sie konnte schnell noch hässlicher werden. Dazu brauchte man bloß einen neugierigen Polypen. Ein neugieriger Polyp würde mich schneller einbuchten, als Sie ausspucken können. Alkohol im Blut, ein geklauter Carlton, keine Versicherung, kein Führerschein. Die Bullen hätten freie Wahl, wofür sie mich hochnehmen wollten.

Ich musste unbedingt von der Hauptstraße runter und zusehen, dass ich nach Hause kam. Falls ich überhaupt hinfand.

Ich bog in eine Nebenstraße ein.

Und dann fing ich an zu grübeln. Was wollte der Scheißer morgens um vier mit einer Knarre in einem Kassenhäuschen? Für einen Tank voll Sprit und eine Tüte Chips braucht man schließlich keine abgesägte Schrotflinte. Beim Tanken lässt man auch nicht den Motor laufen. Oder die Türen offen.

Man stellt einen Wagen nur dann mit laufendem Motor und offenen Türen ab, wenn man einen ziemlich flotten Abgang geplant hat.

Ich stieg voll auf die Bremse. Es war schlimmer, als ich gedacht hatte. Der Carlton war heiß, und ich hatte zwei gelackmeierte Tankstellenräuber im Genick. Von denen mindestens einer bewaffnet war.

Ich saß da wie angenagelt. In meinem Kopf drehte sich alles. Irgendwann kam ich auf die Idee, den Wagen ein bisschen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Soll ich Ihnen sagen, was ich fand? O Mann! Das glauben Sie nie. Nie im Leben. So was hätte ich mir noch nicht mal nach einem Sechserpack Bier zusammenträumen können.

Ich fand eine Sporttasche von Puma. O Mann! Die beiden Cowboys hatten wirklich eine erfolgreiche Nacht hinter sich. Das kann man wohl sagen.

Die Pumatasche war bis zum Reißverschluss voll. Mit Geld. Nur Geld. Viel, viel Geld. Mehr als ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Tausende und Abertausende. Hunderttausende. Abertausende von Hunderttausenden. Squillionen von Zillionen.

Ich starrte es an. Ich stierte es an.

Ich steckte die Nase in die Tasche und schnüffelte daran. Es roch süßer als Schokoladeneis.

Ich streichelte es. Es war weicher als das Bauchfell einer Katze.

Ich säuselte ihm was vor, und es antwortete. Es sagte: »Nimm mich. Ich bin dein. Ich gehöre dir, Baby.«

Was will der Mensch da machen? Was hätten Sie an meiner Stelle gemacht? Und sagen Sie bloß nicht, Sie hätten es anders gemacht als ich. Das können Sie sich sparen. Weil ich es Ihnen sowieso nicht abkaufen würde.

Ich brauchte nicht lange zu überlegen. Was gab es auch schon groß zu überlegen? Ich war gerade meinen Job losgeworden. Ich hatte eine Pechsträhne. Hätte ich die Zillionen einfach für den nächstbesten Schwachkopf liegen lassen sollen, der das Geld nicht halb so dringend brauchte wie ich? Sollte ich es etwa in der Kälte zurücklassen, bis es zu jemand anderem sagte: »Nimm mich, ich bin dein«?

Wenn Sie das glauben, kennen Sie mich aber schlecht.

3

Meine beiden großen Hunde, Ramses und Lineker, haben eine eigene Holzhütte und einen Zwinger. Tagsüber, wenn auf dem Schrottplatz gearbeitet wird, wenn die Pressen, Sägen und Kräne kreischen und klappern, liege ich in meinem Wohnwagen und schlafe. Ramses und Lineker verkriechen sich in ihre Hütte und pennen auch. Aber wenn einer von den Arbeitern zu nah an den Zwinger kommt, wacht Ramses auf und springt wie ein Wahnsinniger zum Zaun, sträubt das Fell, fletscht die Zähne und gibt mir Bescheid.

»Ro-ro-ro«, macht er, wie eine Bassgitarre. Dann wacht Lineker auf und macht: »Yak-yak.« Dann wacht Milo auf und kläfft: »Hip-hörf.« Und dann wache ich auf.

Ich habe also ein todsicheres Frühwarnsystem, damit sich an meine Hunde und mich keiner ranschleichen kann.

Wenn die Arbeiter Feierabend gemacht haben und die Maschinen ausgeschaltet sind, dürfen Ramses und Lineker frei auf dem Gelände rumlaufen. Mir tut jeder leid, der auf die Idee kommt, über das Tor zu klettern oder sich durch ein Loch im Zaun auf unseren Schrottplatz zu wagen. Hunde verteidigen ihr Revier. Genau wie ich. Nur immer schön hereinspaziert, wenn Sie wollen, dass Ihnen einer an die Kehle springt. Sagen Sie bloß, Sie trauen sich nicht?

Ich brauchte bloß zwei Nägel und einen Hammer, mehr nicht. Ich nagelte die Pumatasche an die Wand des Hundeschuppens. Ich hängte sie ziemlich hoch, damit Lineker sie nicht für Kauübungen missbrauchen konnte.

Meine Zähne klapperten – rat-a-tat-tat. Mir war so, als wäre ich immer noch angesäuselt. Ich konnte nicht mehr geradeaus gehen.

Ich war reich. Ich war stinkreich.

Das hatte ich mir immer gewünscht.

Ich weinte wie ein Kleinkind.

Lachen Sie ruhig. Aber ich setzte mich auf die Schlafmatte der Hunde und heulte erst mal eine Runde.

Jede einzelne niegelnagelneue Banknote in der Pumatasche gehörte mir. Nur mir, sonst keinem.

Wenn Sie nie am Hungertuch genagt haben, wenn es Ihnen nie wirklich dreckig gegangen ist, wenn Sie nie richtig knapp bei Kasse gewesen sind, können Sie das nicht verstehen. Also lassen Sie mich in Ruhe, und gehen Sie Fischfutter lutschen.

Es war schon fast Morgen, auf dem Schrottplatz würde es bald lebendig werden. Ich ging ins Bett, aber ich fand keinen Schlaf. Mein Kopf war fast so voll wie die Pumatasche. Ich zählte die Mäuse.

Doch zuletzt wurde alles vom Rhythmus der Schrottpresse überdeckt. Badamm, badamm, machte sie. Genauso wie in Satisfaction. Als ich schließlich einschlief, dröhnte mir der Schädel von dem Badamm, badamm.

Als ich aufwachte, hatte sich das Dröhnen zu echten Kopfschmerzen von der übelsten Sorte ausgewachsen. Aber es machte mir nichts aus, weil ich dachte: »Jetzt kann ich alles wieder auf die Reihe kriegen. Ich kaufe mir mein eigenes Fitnessstudio und sehe zu, dass ich wieder in Form komme.«

Es wäre nicht dasselbe wie Sams Fitnessstudio, wo ich früher trainiert habe und wo Mr.Deeds mich rausgeschmissen hat. Es würde viel besser sein. Ich hätte einen Privattrainer und eine Sauna ganz für mich alleine. Ich würde mir das Gift aus dem Körper schwitzen und das Übergewicht. Bis ich wieder schlank und hart war. Fies und zäh. Dann würde ich am Drücker sein. O ja, ich würde es allen zeigen. Glauben Sie mir ruhig. Eine fiese, miese Kampfmaschine.

Ich ging auf den Markt in der Mandala Street, um zu frühstücken. Es war drei Uhr nachmittags, der Tag war kalt und grau. Aber ich hatte einen Packen Zwanzigpfundscheine in der Tasche, die mich wärmten. Ich kaufte mir ein paar Hamburger und eine Tüte Pommes in John’s Burger Bar.

»Bist du zu Geld gekommen?«, fragte John, als er einen von meinen Zwanzigern einsackte.

»Was geht das dich an?«, sagte ich. Wieso müssen die Leute ihren Rüssel dauernd in anderer Leute Angelegenheiten stecken? Wieso müssen sie immer ihren Senf dazugeben?

»Bloß, weil ich dich schon länger nicht mehr gesehen habe«, sagte er. »Die Mädels meinten, deine Geschäfte liefen flau.«

»Die Zeiten ändern sich«, sagte ich. »Und den Torten kannst du ausrichten, sie sollen ihre Nasen woanders reinstecken.«

»Ist doch immer wieder angenehm, mit dir Geschäfte zu machen, Eva«, sagte er. So ein Furzgesicht.

Ich konnte mein Geld auch woanders hinbringen. Genau. Von nun an würde ich im Café Royal essen, wo sie richtige Porzellanteller hatten und sogar Tischdecken. Keine Styroporbecher und Fettfinger mehr für Eva Wylie, die Zeiten waren vorbei. Tschüs, Furzgesicht. Mich siehst du hier nicht wieder.

Die Hamburger erinnerten mich an Milo. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, saß er gemütlich bei der Feindin im Auto. Er hatte mich verraten und war mit ihr weggefahren. Aber nach den Hamburgern war ich bereit, ihm zu vergeben. Wenn die Feindin sich einbildete, sie könnte sich meinen Hund unter den Nagel reißen, den ich als kleines Würmchen gefunden und mit der Flasche großgezogen hatte, war sie auf dem Holzweg.

Außerdem schuldete sie mir noch Geld. Auch wenn ich jetzt selber Millionen und Abermillionen hatte, sie schuldete mir was. Ich schlage mir doch nicht umsonst die ganze Nacht um die Ohren und friere mir auf einem Parkplatz den Arsch ab. Ich bin doch nicht blöd. Also stattete ich ihr einen Besuch ab. Von außen sieht ihre Firma so aus wie eine Zahnarztpraxis. Die Tür ist cremefarben angestrichen, und es hängt ein Schild daran, auf dem »Lee-Schiller Security« steht. Wenn man reinkommt, wird man von einer Sekretärinnenschnepfe empfangen. Es gibt einen Warteraum mit einem Sofa und zwei bequemen Sesseln.

Als ich reinging, sagte die alte Schnepfe: »Guten Tag – ach, du bist es, Eva. Wolltest du Milo abholen?«

Das ist das Blöde an diesen alten Sekretärinnenschnepfen, dass sie einen dauernd ausfragen wollen.

»Wo ist sie?«, fragte ich.

»Anna?«, sagte sie. »Sie ist bei Mr.Schiller. Aber du darfst jetzt nicht rein. Sie haben eine Besprechung.«

Ich gab ihrer Schreibtischplatte einen kleinen Klaps, um die Schnepfe daran zu erinnern, dass ich nicht irgendwer war. Sie zuckte zusammen und sagte: »Musst du denn immer irgendwo draufschlagen, Eva?«

»Müssen Sie Ihren Rüssel immer in meine Angelegenheiten stecken?«, sagte ich und marschierte an ihr vorbei.

»Bitte«, sagte sie. »Sie arbeiten.«

Eigentlich war ich gar nicht richtig böse. Ich war zu reich, um böse zu sein. Geld beruhigt die Nerven. Ist Ihnen das auch schon mal aufgefallen? Geld heilt fast alles. Ich hätte sie anraunzen können, wie ich es sonst auch immer mache, aber ich sagte bloß »Schnauze«, in einem richtig lieben Ton, nur zur Erinnerung. Geld ist gut fürs Gemüt.

Ich marschierte in das Büro der Feindin, wo sie und Mr.Schiller nebeneinandersaßen, Tee tranken und Akten studierten.

»Tag, Eva«, sagte Mr.Schiller. Er ist ziemlich in Ordnung, aber schon an der Art, wie er seine Tasse hält, sieht man ihm an, dass er früher auch ein Bulle war.

»Ach, du Schande«, sagte die Feindin.

»Hip-hörf«, sagte Milo.

»Klappe«, sagte ich. »Komm her, du gehörst mir.« Er saß vor den Füßen der Feindin und tat so, als ob er ihr gehörte. So was geht mir echt gegen den Strich, wenn sich irgendwer an meine Hunde ranwanzt. Bei Ramses hätte die Feindin nicht die kleinste Chance gehabt. Ramses hätte ihr den Fuß abgerissen.

Milo rührte sich nicht vom Fleck, der Verräter.

Plötzlich wurde ich zu einer Faust auf zwei Beinen. »Ich will meinen Hund zurück!«

»Du kannst ihn haben. Er gehört dir«, sagte die Feindin. »Aber wenn du dir einbildest, du könntest einfach hier reinspazieren und mich anbrüllen, kannst du gleich wieder rausspazieren.«

»Das hätten Sie wohl gerne«, sagte ich. »Sie schulden mir noch Geld.« Damit hatte ich sie am Wickel. Dagegen konnte sie nichts sagen.

»Ich bezahl dich schon. Hab ich das etwa schon mal vergessen?«

»Jetzt brüllen Sie selber rum«, sagte ich. Ich war total happy.

»Und warum auch nicht?«, brüllte sie. »Du redest einen solchen Mist, das hält man ja im Kopf nicht aus.«

»Bitte!«, sagte Mr.Schiller. »Beruhigt euch.« Er bezahlte mich bar aus der eigenen Tasche. Woran man sehen kann, was für ein Mensch er ist. Aber die Feindin machte ein Gesicht, als ob sie einen Zahn gezogen kriegte. Woran man sehen kann, was für eine Kuh sie ist. Bei dem Anblick wären mir fast meine Kopfschmerzen vergangen.

»Soll das etwa Geld sein?«, sagte ich. »Das nenne ich Ausbeutung.«

»Und was du dir gestern Abend geleistet hast, nennst du wohl Arbeit, was?«, fragte sie. »Ich nenne das Saufen und Schnarchen am Arbeitsplatz.«

»Das können Sie nennen, wie Sie wollen«, sagte ich. »Mehr Leistung hatten Sie für die paar Kröten jedenfalls nicht verdient.« Ich drehte auf dem Absatz um und schritt hinaus.

Leider hatte ich Milo vergessen. Was meinem Abgang ein bisschen die Wirkung nahm. Ich musste noch mal zurück und ihn am Schlafittchen packen und hinter mir her zerren.

»Komm zu dir«, sagte die Feindin. »Lass dich erst wieder hier blicken, wenn du mit dir ins Reine gekommen bist.«

»Da können Sie lange warten.«

Was bildete sie sich eigentlich ein, mir gute Ratschläge zu geben? Mir! Wo ich mehr Kohlen im Keller hatte, als sie jemals zu Gesicht kriegen würde, und wenn sie drei Leben hätte. Das Geld hing an der Wand im Hundeschuppen. Ich war wieder wer. Die Feindin konnte mir nichts mehr anhaben. Sie würde mich nie wieder nachts auf einen Parkplatz abkommandieren. Nie wieder. Sie würde mir nie mehr die Zeit stehlen. Nie wieder würde sie mir die kostbaren Stunden, Minuten und Sekunden aus dem kleinen Säckchen Zeit klauen, das mein Leben war, und sie auf den Müll werfen. Ticktack. Für sie war es vielleicht nur tickender, tackender Müll, aber für mich waren es große Stücke meines Lebens. Jetzt, wo ich Kohle habe, mache ich mit meiner Zeit, was ich will, und nicht, was sie will.

»Es ist alles deine Schuld«, sagte ich zu Milo. War es auch. Wenn er nicht bei der Feindin geblieben wäre, hätte ich ihn nicht abholen müssen. Wenn er zusammen mit mir aus dem Büro gegangen wäre, hätte ich nicht noch mal umkehren müssen. Dann wäre mir der letzte schlaue Spruch der Feindin erspart geblieben: »Wenn du für jede Pleite, die du dir leistest, Geld kriegen würdest, wärst du eine reiche Frau, Eva. Aber so …«

Mehr wollte ich nicht hören. So was braucht sich keiner sagen zu lassen. Ich jedenfalls nicht.

4

Was nützt es einem, so viel Geld zu haben, dass es einem zu den Ohren wieder rauskommt, wenn man nicht damit angeben kann? Deshalb ging ich meine Ma besuchen.

Vor meiner Ma kann jeder rumprotzen, weil sie nicht einmal einen eigenen Pisspott besitzt. Im Vergleich zu ihr macht jeder eine gute Figur – vor allem, wenn sie mal wieder an der Flasche hängt. Was praktisch dauernd der Fall ist.

Aber sie ist meine Ma, und ich bin nun mal ein Familienmensch. Sie ist da anders. Sie hat ungefähr so viel Muttergefühl im Leib wie Geld auf dem Konto – null. Das ist auch der Grund, warum ich nicht besonders gut auf sie zu sprechen bin.

Wussten Sie, dass ich eine ältere Schwester habe, die ich nicht mehr gesehen habe, seit ich elf war? Ja, Sie haben ganz richtig gehört. Die meisten Leute denken, dass ich ganz allein auf der Welt bin und keine Familie habe. Woran man mal wieder sieht, wie sehr der Mensch sich irren kann. Ich habe eine Schwester Sie heißt Simone. Ein schöner Name, genauso schön wie meine Schwester, als ich sie das letzte Mal gesehen habe. Aber das ist, wie gesagt, schon ewig her. Da war ich noch ein Kleinkind.

Warum ich sie so lange nicht mehr gesehen habe? Gute Frage. Eine gute Frage mit einer schlechten Antwort. Wegen meiner Ma – unserer Ma. Da haben Sie die schlechte Antwort. Meine Ma ist so eine schlechte Ma, dass sie die Familie nie länger als ein paar Wochen zusammenhalten konnte. Sie hat nie einen Pfifferling für ihre Kinder gegeben. Also wurden wir ihr weggenommen. Ob ihr das was ausgemacht hat? Ach was! Aus den Augen, aus dem Sinn – das ist das Motto meiner Ma. Es war ihr doch egal, dass wir zu acht in einem Raum schlafen mussten. Es war ihr egal, dass wir mit dem Lederriemen geschlagen wurden, dass das Essen die reinste Katzenkotze war, dass es in den Heimen im Winter so kalt war, dass man seinen Atem sehen konnte. Das hat meine Ma einen Scheißdreck gekümmert. Hauptsache, sie konnte an der Flasche nuckeln und irgendwelchen Mackern ein paar Mäuse aus den Rippen leiern.

Aber jetzt hatte ich mehr als nur ein paar müde Mäuse in der Tasche. Ich hatte Geld wie Heu.

Ma glaubt, ich sei ein Versager. Sie denkt, es wird nie was aus mir werden, weil ich nicht aussehe wie eine Schaufensterpuppe. Meinen Sie vielleicht, sie wäre stolz auf mich gewesen, als ich noch die Londoner Killerqueen war? Fehlanzeige. Es war ihr peinlich. So ist meine Ma. Ich trainiere hart, ich gewinne meine Kämpfe, ich gebe dem Publikum, was es sehen will. Und meine Ma schämt sich. Sie hat sich nie einen Kampf von mir angesehen. Nicht einen einzigen.

»Ach, nein«, sagt sie. »Ich guck mir gerne die Kerle an, wenn sie gut gebaut sind. Aber auf deinen Anblick kann ich verzichten, Eva. Bei deiner Figur solltest du dich lieber verstecken.«

So was baut auf, was? Ich denke lieber nicht daran. Wenn ich auch nur einen Gedanken darauf verschwenden würde, wäre das mein sicheres Ende. Ich würde auf der Stelle tot umfallen.

Ich blieb stehen. Milo lief mir hinten rein.

Ich sagte: »Wieso muss ich jetzt an diesen Scheiß denken, Milo?«

»Hip?«, sagte Milo.

»Ich bin im Kommen«, sagte ich. »Es geht bergauf. Ich scheine auf meine alten Tage tatsächlich eine Glückssträhne erwischt zu haben. Und die schlachte ich jetzt aus. Das kannst du mir glauben.«

Damit marschierte ich in eine Annahmestelle und gab einen Lottoschein ab. Ich bezahlte mit einem nagelneuen Zwanziger. Ich weiß, was Sie denken. Sie denken, ich spinne. Ich habe Squillionen, wozu brauche ich noch mehr? Wissen Sie was? Ich spinne nicht. Klar, ich habe Squillionen. Aber kluge Leute wie ich behalten ihre Squillionen. Sie lassen die Squillionen für sich arbeiten. Genau das machte ich auch. Weil mir gerade das Glück an den Stiefeln klebte, würde ich todsicher im Lotto gewinnen. Dann wäre das Geld für den Lottoschein nicht zum Fenster rausgeworfen. Weil ich mir damit noch mehr Geld gekauft hätte. Kapiert? Meinen Sie immer noch, ich spinne?

Sie denken: Diese Eva, die hat noch nie Kohle gehabt, die hat keine Ahnung, was sie damit machen soll, die schmeißt mit den Moneten um sich, bis sie alles verbraten hat. Woran man sieht, wie dumm Sie sind. Das Geld gehört mir, und ich behalte es. Glauben Sie bloß nicht, Sie würden es in die Finger kriegen. Ich und meine drei Hunde geben Ihnen den guten Rat, es in den Wind zu schießen. Was meins ist, ist meins. Was Ihres ist, ist Ihres, und wenn Sie nichts haben, ist das Ihr eigenes Pech. Ich gebe Ihnen genauso viel ab, wie ich von Ihnen gekriegt habe, als ich selber noch nichts hatte. Raten Sie mal, wie viel das wohl ist. Zeigen Sie doch mal, wie clever Sie sind.

Mittlerweile war ich vor dem Hochhaus angekommen, wo meine Ma wohnt. Ich hatte ein dermaßen flottes Tempo angeschlagen, dass Milo japsend hinter mir her hechelte.

Den Fahrstuhl ließ ich gleich links liegen. Der ist sowieso fast immer kaputt. Ich schleppte mich zu Fuß bis in den fünften Stock hoch, durch das senkrechte Pissoir, genannt Treppenhaus. In dem Kasten hausen nur Wandalen. Wenn sie eine Treppe sehen, fällt ihnen nichts Besseres ein, als in die Ecken zu pissen. Keine Ahnung, was das soll. Wenn ich eine Treppe sehe, gehe ich rauf – oder runter. So einfach ist das.

Im dritten Stock blieb Milo stehen und sah mich bettelnd an. Die Augen quollen ihm fast aus dem Kopf.

Ich sagte: »Du brauchst gar nicht so zu gucken. Ich nehm dich nicht auf den Arm.«

»Hörf«, sagte Milo todtraurig. Er ist noch jung. Seine Muskeln sind schlaff. Aber er ist zu groß, um sich die Toilettentreppe rauftragen zu lassen. Und er ist so dumm, dass er eine Verschnaufpause einlegt, wo die Luft so verpestet ist, dass man sich mit jedem Atemzug vergiften kann.

»Los, weiter«, sagte ich. Endlich kamen wir auf den offenen Außenkorridor raus, wo einem der Wind die Ohren abreißt. Es war ein Tag für unangenehme Überraschungen. Meine Ma steckte mitten im Umzug. Sie wollte sich verkrümeln, ohne mir etwas davon zu sagen. Mir, ihrer eigenen Tochter. Sehen Sie? Sehen Sie, was für eine Ma ich habe? Wenn man mit einem Backstein schmust und Ma zu ihm sagt, hat man mehr davon.

»Wo willst du denn hin?«, sagte ich, als ich wieder bei Puste war.

»Hier, halte mal«, sagte meine Ma und drückte mir eine Kiste mit Klamotten und Geschirr in den Arm. »Du musst die Treppe nehmen. Der Lift ist voll. Da ist mein Bett drin.«

Sie verschwand in der Wohnung, und ich stand blöd da, mit ihrem Krempel im Arm. Als sie wieder rauskam, brachte sie noch eine Ladung bunten Plunder mit.

»Los, beeil dich«, sagte sie. »Ich muss das in den Wagen packen. Der Mieteintreiber kann jeden Augenblick hier sein.«

»Wohin gehst du?«, fragte ich. »Wieso weiß ich nichts davon, dass du umziehst?«

»Steh dir nicht die Beine in den Bauch«, schrie sie. »Wir müssen uns ranhalten. Der Mieteintreiber kommt gleich.«

»Du wolltest die Fliege machen«, sagte ich. »Ohne mir Bescheid zu geben.«

»Von mir aus bleib doch da stehen und schrei dir die Lunge aus dem Hals. Zu mehr taugst du ja sowieso nicht. Ich verschwinde jedenfalls. Der Mieteintreiber kommt, der will mich vor Gericht zerren.«

»Dir ist wirklich alles egal, was?«, sagte ich. »Wie sollen Simone und ich uns je wiederfinden, wenn du dich einfach aus dem Staub machst, ohne uns was zu sagen? Wie soll man eine Familie sein, wenn einen die eigene Mutter einfach im Stich lässt? Kannst du mir das mal verraten?«

»Halte endlich die Klappe«, schrie sie. »Der Mieteintreiber kommt.«

»Du wolltest mir nichts davon sagen. Wenn ich das nächste Mal vorbeigekommen wäre, wärst du einfach nicht mehr da gewesen, du kotzgrüne Schabracke.«

»Das war auch längst fällig«, sagte sie. »Ich habe die Schnauze gestrichen voll davon, dass du mir wegen Simone Löcher in den Bauch fragst. Wieso kriegst du das nicht in deinen dicken Schädel? Simone will nichts von dir wissen.«

Was sagen Sie dazu? Ist das etwa die feine mütterliche Art? Davon kann man Zahnfleischbluten kriegen.

»Scheiße!«, sagte Ma. »Siehst du, was du angerichtet hast? Jetzt ist er da.«

Als ich mich umdrehte, sah ich einen großen Kerl, ganz blau im Gesicht vom Treppensteigen, der über der Brüstung hing und japsend nach Luft schnappte. Er hatte einen Baseballschläger in der Hand.

Er kam zu uns rübergewankt und sagte: »Wollten Sie uns verlassen?«

»Wieso?«, sagte Ma. »Ich habe nur ein bisschen aufgeräumt.«

Ma und aufräumen! Das würde ihr nicht mal ein Kleinkind abnehmen, das noch an den Weihnachtsmann glaubt. Der Mieteintreiber kaufte es ihr auch nicht ab. Er sagte: »Ich will mein Geld, Mrs.Smith.«

Mrs.Smith! Noch so eine Schote.

»Gut«, sagte Ma mit den Nuttenfetzen auf dem Arm. »Gehen Sie doch schon mal rein und setzen Sie sich. Sie sehen ganz erschöpft aus. Ich bin gleich bei Ihnen und mache uns eine schöne Tasse Tee.«

Und worauf sollte er sich setzen? Ihre Couch hatte sie bestimmt schon längst auf den Wagen geladen. Mut hat sie, meine Ma, das muss man ihr lassen. Aber der Mann ließ sich nicht beeindrucken. Er zeigte ihr seinen Baseballschläger und sagte: »Ich will nur das Geld, Mrs.Smith. Und zwar dalli.«

»Hörf!«, sagte Milo. Er sträubte das Fell. Obwohl er nach Hundejahren noch ein Kind war, erkannte er schon, wenn die Lage brenzlig wurde. Genau wie ich.

»Die Miete!«, brüllte der Mann. Er schlug sich mit dem Baseballschläger in die offene Hand. Klatsch! Wenn er Ma das Ding über die blond gefärbte Matte gezogen hätte, wäre sie eine Etage tiefer wieder zu sich gekommen. Ich grinste. Das hätte sie verdient.

Ma sagte: »Sie wollten mir doch bis nächste Woche Zeit geben. Ich habe das Geld noch nicht ganz zusammen. Bis nächste Woche, haben Sie gesagt.«

»Bis heute, habe ich gesagt.«

»Nächste Woche!«

»Jetzt!«, schrie er. »Diesmal kriegst du mich nicht rum. Wenn du wenigstens eine billige Nummer wärst. Aber ich habe mal einen Blick in die Bücher geworfen. Du bist vier Monate mit der Miete im Rückstand. Vier Monate! Du wirst mir zu teuer.«

Jetzt wissen Sie, womit eine Frau, die keine Kohle hat, die Miete bezahlt.

Mir wurde schlecht.

Ich sagte: »He, Klötenkopf.«

»Was ist?« Er zeigte mit dem Baseballschläger in meine Richtung.

»Du hast gehört, was sie gesagt hat. Sie hat das Geld nicht. Komm morgen wieder.«

»Ich komme nicht morgen wieder«, sagte er. »Weil ich heute erst gar nicht weggehe. Nicht, bevor ich mein Geld habe.«

Er holte nach mir aus. Ich duckte mich weg. Er schlug nach Ma. Sie war zu lahm. Er traf ihre Flossen. Kleider und Unterwäsche flogen im hohen Bogen über die Brüstung. Sie segelten wie schreckliches Konfetti im Wind.

»Wuu-huu-huu«, machte Ma und lutschte an ihren Knöcheln.

»Hörf«, machte Milo, ging auf den Mann los und schnappte nach seinen Klunkern.

Ich ließ die Kiste mit dem Krempel fallen und ging in die Hocke.

Der Mann briet Milo eins über. Ich sprang ihn an. Er briet mir eins über. Ich ging zu Boden. So einfach war das.

»Wau-wau-wau!«, heulte Milo.

»Wuu-huu-huu!«, heulte Ma.

Wie die Waschweiber.

Ich gab keinen Ton von mir. Mir fiel fast der Arm ab, und meine Zähne taten weh, weil ich sie so fest zusammengebissen hatte.

»Ich will mein Geld!«, sagte der Mann. Ich hätte mich auf ihn stürzen können. Ich hätte ihn erledigen können. Wenn ich mich nicht in Mas Strapsen verheddert hätte. Niemand schlägt ungestraft meinen Hund. Keiner. Aber was sollte ich machen? Ich lag platt wie eine Flunder auf der Erde, mein Arm war taub, meine Ma und Milo heulten mir die Ohren voll. Und der beknackte Mieteintreiber hatte sich dick und fett vor mir aufgepflanzt und klatschte sich mit dem Baseballschläger in die Hand. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Es hätte nie passieren dürfen. Ich sagte: »Du willst deine Kohle, hm?«

»Was soll ich denn sonst wollen?«, sagte er. »Tangounterricht vielleicht?«

»Kannst du das nicht ein bisschen höflicher sagen?«, fragte ich. »Wo bleibt zum Beispiel das kleine Wörtchen bitte?«