Ewiglich ... Dornröschen? - Olga A. Krouk - E-Book

Ewiglich ... Dornröschen? E-Book

Olga A. Krouk

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Beschreibung

Wann hat dieser bescheuerte Prinz es nur geschafft, aus 'Was für ein aufgeblasener Vollidiot' ein 'Der hat was …' zu machen? Möge der Kelch an mir vorübergehen. Ich bin doch überhaupt kein Typ für diesen 'Der hat was …'-Unsinn! Ly – chaotisch, fast 16 und ungeküsst – ist stolze Gründerin einer Heavy-Metal-Band und so ganz und gar nicht zur Prinzessin geeignet. Bis sie sich im Körper einer Königstochter wiederfindet. Mit den schönsten Mädchen der Märchenwelt soll sie nun um das Herz des hiesigen Prinzen kämpfen. Damit hat Ly allerdings wenig am Hut. Von ihrer rockigen und rosarot-untauglichen Art bekommt nicht nur der Zeremonienmeister einen Blutsturz, damit haut sie auch den glorreichen Prinzen glatt von seinem edlen Gaul weg. Intrigen, Flüche (uralte und 'What the fuck') sowie zerronnene Wimperntusche stehen prompt an der Tagesordnung. Wird Ly den Weg zurück in ihren Körper finden, der allem Anschein nach in einen hundertjährigen Schlaf gefallen ist?

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Olga A. Krouk

Dornröschen auf ewig?

Kiss my Ass!

Impressum

1. Auflage Dezember 2014

Titelbild: Ingo Römlingwww.monozelle.de

©opyright by Olga A. Krouk und U-line

Satz: nimatypografik

ISBN: 978-3-944154-31-2

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder

eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher

Genehmigung des Verlags gestattet.

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U-line UG (haftungsbeschränkt)

Neudorf 6 | 64756 Mossautal

www.u-line-verlag.de

Inhalt

Dornröschen auf ewig?

Danksagung und Quellen

Mit Träumen beginnt die Realität.

Daniel Goeudevert, franz. Automanager

Dornröschen auf ewig?

hat the fuck!

Gerade eben war ich doch noch … blöderweise kann ich mich nicht wirklich daran erinnern, wo ich gerade eben noch gewesen sein könnte. Jetzt stecke ich in einem engen Korsagenkleid. So rosa, glitzernd und bauschig, dass jede Barbie-Prinzessin neben mir wie eine blutige Anfängerin aussehen würde. Direkt vor mir plustert sich eine alte Frau Marke Sumpfhexe-in-Ausbildung auf. Was konkret bedeutet: ein schrumpeliges Gesicht, schmale Augen, vermutlich unausgeschlafen, Bad-Hair-Day und eine verkniffene Miene, mit der sie alle anderen dafür verantwortlich machen will. Bestimmt kennen wir uns aus der Nachbarschaft, und gleich folgt eine Predigt über die Jugend heutzutage.

«Alsbald ist mein, was dir gehört», röchelt sie stattdessen, und ich muss zugeben, das habe ich jetzt nicht erwartet. Was will sie? «Alsbald ist alles, alles mein.»

Ja, ist gut, Omi. Schön flauschig bleiben.

Ihr Körper ist eine einzige aufgezogene Sprungfeder. Offensichtlich trainiert das hiesige Seniorenheim für die Football-Meisterschaft, und sie ist der Quarterback. Gleich wird sie einen Touchdown in meinem Gesicht landen.

Sicherheitshalber taumele ich einen Schritt zurück. «Tach …» Mehr kriege ich nicht zustande, weil mir immer noch unklar ist, wie man in diesem verdammten Kleid atmet.

Sie guckt mich an wie ein Hund, der gerade ein besonders großes Häufchen in der Fußgängerzone hinlegt. Offensichtlich passiert nichts. Zumindest nichts, was sie erwartet. Nicht einmal ein Häufchen.

Langsam verzieht sich ihr Morchel-Gesicht zu einer Grimasse. «Tot müsstest du hinfallen!», krächzt sie und greift nach etwas in meiner Hand.

Was auch immer es ist, ich reiße es erst einmal an mich. Blitzschnell packt sie mich am Handgelenk und dreht daran, bis der Schmerz meinen Arm hochjagt.

«Scheiße!»

Ein bisschen irre, die Alte!

«Gib die Spindel zurück», schnauft sie und stößt mich gegen eine Wand. Die Natursteine bohren sich unangenehm hart in meinen Rücken, doch ich klammere mich nur noch fester an das verdammte Ding.

«Gib sie mir!»

Ihre Züge verändern sich, direkt vor meinen Augen. Die schrumpelige Haut glättet sich, durch das graue, verfilzte Haar schimmern dunkle Strähnen wie aus der besten Shampoo-Werbung. Jetzt sieht sie aus wie eine Mischung aus Grusel­kabinett und Botox-Unfall.

«Gib sie zurück!», zischt sie mir ins Gesicht. Ihr warmer, feuchter Atem streicht meine Wange. Instinktiv rümpfe ich die Nase, doch er haucht mich mit einer kaum wahrnehmbaren Note Rosenduft an, als hätte sie mit Parfüm gegurgelt. Folge dem Duft der Rose … Für einen Augenblick schließe ich die Lider. Ein König und eine Königin,rauscht es durch meinen Kopf, kriegten gar keine Kinder, und hätten so gern eins gehabt … so gern eins gehabt … eins gehabt …

Ich spüre, wie die Spindel mir aus der Hand fällt. Nein! Das Ding kullert von uns weg. Sofort lässt die Alte mich los und schnellt hinterher. Ich will ihr zuvorkommen, stolpere jedoch über mein Kleid und lege mich voll auf die Maske. Wie Jennifer Lawrence, nur dass ich dafür keinen ‹Oscar› bekomme.

Die Frau ergreift die Spindel und hält sie siegreich hoch. Tooooooor. Gleich legt sie einen Klose-Salto hin, jede Wette.

Scheiß drauf. Ich weiß gar nicht, warum ich so verbissen bin. Was will ich nur mit dem Ding? Gehört offensichtlich ihr, denn bis vorhin wusste ich nicht einmal, wie eine Spindel aussieht.

Durch die Petticoat-Schichten des Kleides kämpfe ich mich an die Oberfläche. Erst jetzt merke ich, dass mein Zeigefinger blutet, als hätte ich mal wieder versucht, meinem Paps bei der Sushi-Zubereitung zu helfen. Der beste Zeitpunkt also, um aufzuwachen.

Nur wache ich nicht auf.

Flink lässt die Frau die Spindel in der Hand kreiseln. Mit den Fingern der linken zwirbelt sie in der Luft und murmelt etwas vor sich hin. Hört sich nach Latein an. Wie ich es oft büffeln muss: amicus, amici, amico, amicum – hat die morgen einen Test oder so? Irgendwie wird das Ganze immer bescheuerter, je länger ich darüber nachdenke. Ich muss schleunigst aus dem Korsett raus. So eingeschnürt kann ich einfach nicht klar denken.

Und was um alles in der Welt macht die Alte da?

Wie aus dem Nichts wickelt sich das hauchdünne, goldene Garn, das ihre Finger erzwirbeln, um die Spindel. Mir fällt fast die Kinnlade runter, während ich da in meinem Petticoat-Kleid hocke. Das Schauspiel ist so schööööööön, dass mir glatt die ‹ö›s ausgehen. Immer schneller springt und dreht sich das Ding in den langen, manikürten Fingern, immer heftiger stammelt die Frau ihre Litanei, die mir langsam eine Gänsehaut beschert. Das nenn ich mal ein Zauberstück. Kann man die Alte auch für private Partys buchen?

Die kühle Luft der Kammer wird nach und nach von Schaben und Kratzen, hölzernem Knacken und Blätterrascheln erfüllt. Die Geräusche scheinen die Steinwände zu durchdringen und von allen Seiten auf mich zuzukriechen. Der Atem der Frau rasselt. Ihr seidenes Haar wird struppig, die Finger, in denen die Spindel tanzt, sehen knochig und ausgedörrt aus wie die einer Mumie. Es ist kaum noch eine menschliche Hand. Wie unter einer Last beugt sich die Frau gen Boden, als würde ihr ein Buckel wachsen. Je schneller sich die Spindel dreht, desto mehr scheint es sie zu schwächen – was auch immer sie da treibt.

Rascheln und Knacken wachsen zu einem Getöse, als würden um mich herum die Gezeiten wüten. Durch das kleine Fenster über meinem Kopf drängen sich Dornenranken herein und sperren das Sonnenlicht aus.

Was wird das denn, wenn es fertig ist? Ein Angriff der Killer­pflanzen?

Ich schlucke, aber mein Mund gibt keine Spucke her. Jetzt ganz ruhig bleiben. Kein Grund zum Ausflippen. Eigentlich kann es nur ein Albtraum sein. Merkwürdig, dass ich noch nicht aufgewacht bin.

Die Ranken seilen sich an der Wand ab, sie kringeln sich auf dem Boden und schlagen nach mir wie Peitschenhiebe. Eine hat sich im Rock verhakt und schlitzt den Saum auf. Rasch ziehe ich die Beine ein, doch eine andere erwischt mich an der Wade.

«Aua!»

Wie das brennt.

Ich glaube, ich habe Angst. Das Ganze ist so irre, dass ich mir dessen nicht einmal sicher bin. Aber ja, ich denke, ich sollte langsam Angst haben, denn die Pflanzen verschlingen die Wände, versperren den Weg zur Tür und lassen immer mehr Triebe nach mir ausschlagen. Neben mir entdecke ich ein Spinnrad. Ich springe auf die Beine und stoße es den Pflanzen entgegen. Mühelos brechen die Ranken es auf, Splitter und Stäbe schnellen in alle Richtungen, und mir wird schmerzlich bewusst, was gleich mit mir passieren sollte. Ich hebe ein Teil des Spinnrads auf und schlage damit nach den Trieben. Ein paar kann ich abwehren. Aber es sind zu viele, und sie kommen von überall her auf mich zu.

Ein heiseres Lachen hebt sich aus dem Rascheln und Schaben. «Jämmerlich umkommen sollst du in der Hecke. Dich totstechen an den Dornen!»

Die hat ja einen Knall, echt.

Die Ranken greifen nach mir, zerfetzen meinen Rock. Sie kratzen meine Haut auf und versuchen, mich zu umschlingen und zu Fall zu bringen. ‹Au, das brennt› ist noch mein geringstes Problem, denn die Dornen haben offenbar vor, mir die Pulsadern aufzuschlitzen. Noch einmal schlage ich nach den Zweigen, aber ich kann sie nicht aufhalten. Eine der ­Ranken schlingt sich um meine Knöchel. Aus purer Verzweiflung werfe ich meine Waffe nach der Frau und erwische ihre Hand. Die Spindel springt weg. Der goldene Faden reißt, und die Ranken fallen in sich zusammen.

Cool, blitzt der Gedanke durch meinen Kopf. Hättest du dabei bloß was gesagt. Ein herzhaftes ‹Fahr zur Hölle!› wäre echt lustig gewesen.

Nur ist mir grad so gar nicht nach lachen. Ich stürze auf die Spindel zu und schaffe es tatsächlich, sie zu packen. Immerhin haben die Dornen mir kleidtechnisch etwas Beinfreiheit verschafft. Schon spüre ich die knochigen Finger der Hexe, die sich in meinen Oberarm krallen. «Meins!», kreischt sie. Ich fahre herum, greife nach den Lumpen, in die sie gehüllt ist, und ramme ihr das spitze Ende der Spindel in die Schulter.

Sie japst, reißt sich los und dreht sich von mir weg. Die Spindel bleibt in meiner Hand. Der Stoff ratscht auseinander und entblößt ihren Rücken. Ist das etwa ein Arschgeweih? Heiliger Strohsack!

Eine Hand auf die Wunde gepresst, bahnt sie sich den Weg nach draußen, duckt sich durch die kleine Tür, die aus dem Stübchen führt, und verschwindet.

Meine Hände zittern. Eigentlich mein ganzer Körper. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten und lasse mich erschöpft zu Boden gleiten.

Autsch.

Keine gute Idee, sich mitten im Dornengestrüpp hinzusetzen. Aber egal. Im Moment ist mir alles egal, auch die Dornen im Arsch. Ich brauche eine Pause.

Time out.

ch weiß genau, dass ich nicht verrückt bin. Ich. Bin. Nicht. Verrückt.

Ich habe bloß keine Ahnung, was gerade vor sich geht. Und versuche manisch, die Spindel in meiner Hand kreiseln zu lassen. Bei der Hexe hing das Ding in der Luft, als wäre es lebendig: flink, frech und doch so gefügig unter ihren Fingern. Meinen fällt es andauernd herunter. Da hilft auch kein ‹Amicus, amici, amico, amicum›-Mantra oder was auch immer die Alte gemurmelt hat. Kein goldenes Garn weit und breit. Also bin ich vielleicht doch ziemlich verrückt, wenn ich in allem Ernst darauf warte. Frustriert pfeffere ich das Ding in die Ecke.

Um mich herum verdorrt die Hecke. Braune Flecken überziehen die Blätter, die sich zusammenrollen und abfallen, die Triebe werden holzig und brüchig. Es raschelt und knistert, bis die vertrockneten Ranken gänzlich zu Staub zerfallen sind. Jetzt sieht es aus wie bei mir unter dem Bett, wohin noch kein Staubsauger je vorgedrungen ist. In meiner Nase kribbelt es. Eins ist klar: Es bringt nichts, hier weiter zu hocken und herumzu…niesen. Langsam muss ich damit beginnen, herauszufinden, in was für einen Mist ich geraten bin.

Mühsam rappele ich mich auf die Beine, hole die Spindel und schiebe mich und die Überreste meines Kleides durch die schmale Tür. Vor einer engen, dunklen Wendeltreppe bleibe ich stehen. Na, das kann ja heiter werden. Es ist genau die Art von Treppe, auf der ich es auch in Ballerinas schaffe, herunterzupoltern und mir sämtliche Knochen zu brechen. Ganz zu schweigen von einem Versuch auf diesen Absätzen, bei denen ich glatt Höhenangst kriegen könnte. Liebend gern würde ich die Schuhe aus dem nächsten Fenster werfen, aber bei dem Riemchen-Flechtwerk, das ich um meine Knöchel entdecke, muss man mich daraus vermutlich herausschneiden. Es ist wie der chronische Kabelsalat in meinen Schubladen: Egal, an welchem Ende man zieht, es wird nur noch verworrener.

Stufe um Stufe taste ich mich hinunter. Im Schneckentempo erreiche ich das Ende, und das sogar ohne Komplikationen – Murphys Gesetze scheinen langsam nachzugeben, aber ich bin ja bekannt dafür, sie regelmäßig aus der Puste zu bringen. Nach einem alles entscheidenden Kampf mit einer weiteren schmalen Tür poltere ich schließlich in einen weiträumigen Gang mit Bogenfenstern aus Buntglas zu meiner Linken und einer beeindruckenden Kolonnade zu meiner Rechten. Eine Notiz an mich selbst: Wofür auch immer hochhackige Schuhe erschaffen worden sind, als Fortbewegungsmittel sind sie absolut ungeeignet. In meinen könnte ich nicht einmal sitzen. Höchstens in einem Sarg liegen, dann wäre es mir egal, wie sehr die Riemchen drücken und an der Haut scheuern.

Zwischen den Säulen erkenne ich einen schneeweißen Gartenbrunnen mit einem fröhlich pinkelnden Amor, der aus zwei Metern Höhe zielsicher seine Schüssel trifft. Ich hoffe, er hat nichts dagegen, wenn ich in seinem Planschbecken meine Kratzer auswasche. Gefragt habe ich ihn nicht, als ich zu ihm in den Brunnen steige. Das Wasser kühlt angenehm meine Füße. Am liebsten würde ich gar nicht fortgehen. Ich bin von blühenden Sträuchern und fröhlich herumschwirrenden Bienchen umsäumt, die aussehen, als würden sie für ihr ausgelassenes Summen gut bezahlt. Die Rosenbüsche beäuge ich zwar durchaus skeptisch, aber sie machen nicht gerade den Eindruck, es auf einen erneuten Wrestlingkampf mit mir anzulegen. Dafür scheint der schwüle Blumenduft mich zu erdrücken, aber wem würde von so viel Bilderbuch-Idylle nicht schlecht werden? Ich muss mich an Amor anlehnen. Ein paar Wasserspritzer ins Gesicht würden es gleich richten, denke ich und mag mich gar nicht bewegen. Folge dem Duft der Rose … Ich habe das Gefühl, dieses Flüstern … bereits im Atem der Hexe gehört zu haben. Ein König und eine Königin kriegten gar keine Kinder, und hätten so gern eins gehabt …,hüllen mich die Stimmen des Wassers, der Bienchen und der in der Brise raschelnden Blätter ein. Ist es eigentlich normal, dass die so redselig sind? Einmal saß die Königin im Bade … da kroch ein Krebs aus dem Wasser ans Land und sprach: Dein Wunsch wird bald erfüllt werden …

Dein Wunsch wird bald erfüllt werden.

DEIN WUNSCH WIRD BALD ERFÜLLT WERDEN!

Mein Gott, ja! Hab’s schon kapiert! Nur habe ich gar keinen Wunsch.

Okay, einen.

Wacken 2015.

Aber der pinkelnde Amor wird davon keine Ahnung haben. Boah, ist mir schlecht. Vielleicht sollte ich mich kurz ausruhen … das würde mir bestimmt guttun …

«Eure Hoheit!», ruft es mit einem Mal irgendwo in der Nähe und haut mich glatt von meinen Absätzen. Mit anderen Worten: Ich rutsche aus, platsche direkt ins Wasser und stoße mir auch noch den Kopf an der Brüstung. Zu allem Überfluss pinkelt Amor mir direkt auf den Scheitel, und der Rest – der setzt meiner schwer definierbaren Lage endgültig ein Krönchen auf: «Prinzessin! Wo seid Ihr nur gewesen? Ihr kommt zu spät, die Kutsche wartet schon!» Wie ein Geschoss beim Völkerball eilt über den Rasen ein Mädchen auf mich zu, und ihrer Wucht nach zu urteilen, hab ich schon verloren. Sie trägt nicht bloß ein bodenlanges Leinenkleid und eine Haube, unter der die eine oder andere blonde Locke keck hervorlugt, sie lebt ihr Outfit in vollen Zügen aus. «Eure Hoheit, kommt, kommt schnell! Ach du meine Güte. Was ist denn mit Euch passiert?»

«Ich bade», murre ich durch die zusammengebissenen Zähne und wische meine pitschepatschenassen, am Gesicht klebenden Haarsträhnen beiseite. «Hüpf doch gleich mit rein.»

Kaum zu glauben – sie klettert tatsächlich über den Rand. «Ojemine, ojemine», klagt sie und versucht, mich auf die Beine zu ziehen. Erst als ich wieder aufrecht stehe und sie direkt ansehe, trifft es mich wie der Blitz.

«Pia!», kreische ich auf, und jetzt ist sie es, die sich vor lauter Schreck mitten ins Becken setzt. Ich kann mich nicht mehr halten, hüpfe herum, ziehe sie hoch, drücke sie an mich. «Pia! Pinchen! Gott sei Dank, du bist hier! Ist das zu fassen?»

In dieser Aufmachung ist sie kaum zu ertragen. Was hat sie nur mit sich angestellt? Ich kenne sie bloß schwarz-aschgrau-violett gefärbt mit gruftigen Smokey Eyes, ohne die sie nicht vor die Tür geht. Von einem Lippen-Piercing habe ich ihr erst kürzlich abgeraten, aber angesichts dieses Häubchens und der Engelslöckchen hätte ich sie es bloß machen lassen sollen!

Durchgeknuddelt, gebe ich sie endlich frei.

Sie macht einen Knicks. «Nelli ist mein Name, Eure Hoheit. Der dicken Martha die Stieftochter bin ich.»

«Bullshit.»

Eines Hells-Angels-Rockers Tochter bist du, zumindest erzählst du das jedem, der dumm fragt. Davon, dass du in Wirklichkeit das Sorgenkind des Jugendamtes bist, weiß nur ich.

Sie läuft rot an und macht noch einen Knicks. «Verzeihung, Prinzessin?»

Nein. Irgendetwas stimmt hier nicht. Pinchen wird nie rot. Ich meine: Hallo? Einmal sind wir mit dem Schulbus nach Hause gefahren, da steht sie gerade auf, als der Bus eine Vollbremsung macht. Sie landet voll mit dem Gesicht zwischen den Beinen ihres heimlichen Schwarms, der zufällig direkt gegenüber sitzt. Und was? Nix. Sie steigt aus – voll cool – und meint so: Na, da sind wir einander doch endlich nähergekommen. Ich hab mich bloß im Gang langgestreckt und konnte in dem Moment nur denken: Hoffentlich stirbst du und hörst nicht weiter dieses Gegacker. Dabei habe ich nicht einmal ­irgendeinen Knalli als Schwarm.

«Pia?», stammele ich dennoch unsicher. Es sind ihre Augen, grün mit Zimtsternen um die Pupillen, und natürlich auch ihre Grübchen, auf die sie bei ihrem Plan ‹Wie kriege ich ihn rum – trotz Justin Bieber auf seiner Playlist› ganz besonders setzt. Nur die Narbe über der rechten Augenbraue fehlt. Das Mal hat Pinchen bekommen, als wir drei Blocks lang einem Typen nachgejagt sind, der Wahnsinns-Plateau-Nieten-Stiefel trug, um zu fragen, wo er die coolen Treter herhatte. Pinchen hat dabei eine Laterne mit der Stirn erwischt. Und eine Bank mit einem Schienbein, aber das blieb ohne Folgen.

Das Mädchen macht schon wieder einen Knicks. «Nelli ist mein Name, Eure Hoheit. Ich bin Euch und den anderen ­Hoheiten, die da heute angereist sind, zugeteilt worden.»

Halleluja, es gibt auch noch andere Hoheiten. Neben den mordsmäßigen Hecken, geheimnisvollen Spindeln und Hexen mit Arschgeweih. In was für einem verqueren Fantasy-Verschnitt stecke ich eigentlich?

«Kommt», redet mein Nicht-Pinchen weiter, «die Kutsche wartet doch schon. Wir müssen uns beeilen. Oh, Ihr seid ja verletzt! Und das Kleid, das arme Kleid!»

Ich sehe an mir herunter.

Okay, ich bin zwar keine Expertin, aber ich würde sagen: Das Kleid ist im Eimer. Oder sollte auf direktem Wege dorthinwandern. Wobei es dieses Tüllungetüm auch vor der Begegnung mit der Hecke hätte machen sollen. Außerdem blutet mein Zeigefinger noch immer und schmiert den Stoff ein. Yes.

«Kommt, kommt», stammelt das Mädchen völlig aufgelöst. «Vielleicht kann die Näherin es noch richten, das schöne Kleid. Den Finger müssen wir verbinden. Und etwas mit diesen furchtbaren Kratzern tun! Und Euren Haaren!»

Sie blinzelt mich an, und so würde mein Pinchen nie und nimmer mit den Wimpern klimpern, nicht einmal, wenn ihr Schwarm sich direkt im Anflug befinden würde.

«Ich glaube, ich spinne.» Zur Sicherheit befühle ich meine Stirn. Kein Fieber, keine erkennbaren Beulen. Okay, die eine von Amor, aber die kam erst nach all dem Irrsinn.

Langsam weiß ich nicht mehr weiter.

Als ich zuletzt auch nur annähernd so durch den Wind war – Paps hatte zum ersten Mal seine Freundin nach Hause gebracht und damit unser besinnliches Beisammensein für immer zerstört –, habe ich Symphony of Destruction von Megadeth rauf und runter gehört. Bloß sagt mir etwas, dass ich meinen iPod hier nicht so schnell finden würde.

Nelli-Pinchen schaut völlig verstört auf meine Hände. «Aber warum, um Gottes willen, wolltet Ihr denn ausgerechnet jetzt spinnen, Prinzessin?» So, wie dieses Mädchen gerade aussieht, könnte ihr eine Runde Symphony of Destruction auch guttun.

Ich halte noch immer die Spindel fest. Mein Finger blutet. Muss das alles irgendeinen Sinn ergeben? Ich habe das Gefühl, es muss. Aber mir fällt absolut nichts dazu ein, als hätte ich wieder einmal vergessen, wo ich meine Hausaufgaben notiert habe. Oder mich ausgesperrt. Natürlich, nachdem ich von den Nachbarn schon den Ersatzschlüssel bekommen habe.

«Beeilt Euch, Eure Hoheit! Wir haben keine Zeit, überhaupt keine Zeit.»

Vermutlich hilft es wenig, wenn ich einen Kreischanfall bekomme.

«Eure Hoheit! Bitte!»

Ist gut, ist gut, ich steige ja schon aus dem Becken. Immerhin komme ich ins Trockene, beruhige ich mich. Die seltsamen Stimmen, die ich vorhin in meinem Kopf gehört habe, klammere ich erst einmal aus. Solange sie nicht widersprechen. Und den Vorfall in der Kammer gleich mit dazu, in einer ruhigeren Minute werde ich alles neu ordnen müssen. Wobei es schon seltsam ist, mich und ‹Ordnung› in einen Satz zu bringen.

Nach unzähligen Korridoren und Treppen, die ich erklimmen muss, ohne einen Salto von den Stufen zu drehen, gelangen wir in eine Stube, in der Edward mit den Scherenhänden gewütet hat. Wo ist er bloß gewesen, als ich vorhin Gartenarbeiten verrichten musste? Alles klar, Plüschtiere massakriert – wenn ich die Stoffreste richtig interpretiere. Dafür genießt ein kleines, entspanntes Kissen zu meiner Rechten eine Runde Akupunktur. Das muss wohl die Nähstube sein.

Eine füllige Frau rollt auf mich zu, bevor ich mich genauer umsehen kann. Die Katastrophe bemerkt sie schon von Weitem. «Gertrud-Jolene-Carmen, Gertrud-Jolene-Carmen», klagt sie, streichelt den Tüll, zupft die Stofffalten zurecht, und ich brauche mindestens fünf Minuten, um zu verinnerlichen, dass mein Kleid einen Namen trägt. Ich frage mich, wie der halb fertige Kaftan am Fenster heißt. Und tippe auf Uwe-Justin-Marcel.

Die Frau kniet sich vor mir nieder. Zwischen ihren Lippen klemmen unzählige Stecknadeln, und ich werde unangenehm an meinen Versuch erinnert, heimlich Hellraiser mitzugucken. Allerdings war der Albtraum danach nichts im Vergleich zu dem Albtraum, in dem ich gerade stecke. Gertrud-Jolene-Carmen scheint es allerdings besser zu gehen, nur glaube ich, dass es kein Zufall ist, wie oft die Näherin meinen Hintern mit dem Nadelkissen verwechselt. Währenddessen bindet Nelli gewaltige Schichten um meinen Zeigefinger, da immer wieder Blut an die Oberfläche sickert, bis er aussieht wie ein Bowling-Pin, und schmiert mir den Puder über die Kratzer – hoffentlich ist sie nicht nebenberuflich die hiesige Krankenschwester. Neben der Schneiderin und Nelli schwirren noch mindestens fünf andere Mädchen herum – keine Ahnung, woher die auf einmal kommen. Sie tupfen mich halbwegs trocken, zerren an meinem Haar, was hier offensichtlich als Kämmen verstanden wird, und stülpen mir schließlich eine Perücke über, bei der ich das Gefühl habe, ein Zirkuszelt auf dem Kopf zu tragen. Bei dem ganzen Gewusel kann ich keinen klaren Gedanken fassen. Außer: Ich bin ein Star, holt mich hier raus! Oder ich fress Kakerlaken, ehrlich.

«Au!» Ich rücke zur Seite, als eine besonders zornige Nadel in mich pikt und den Dornenangriff wie eine Streicheleinheit aussehen lässt. Das Kleid ratscht. Nein, mit Gertrud-Jolene-Carmen werde ich nicht mehr per Du sein. Auch mit der Näherin nicht. Die hat nämlich einen halben Herzinfarkt, der mit einem Tobsuchtsanfall einhergeht. In ihrer Hand hält sie ein großes Stück vom Tüll, das bei meinem ‹Au› abgerissen wurde. Ich glaube eine nicht jugendfreie Version von ‹So kann ich nicht arbeiten› zu vernehmen, bevor sie wie von Sinnen davonbraust. Den Tüll schwingt sie einer Fahne gleich über dem Kopf. Statt ihrer kommen im Gleichschritt zwölf Kerle in smaragd-goldenen Livreen herein, verbeugen sich vor mir und lösen bei den Mädchen ein albernes Gekichere, Herumgedruckse und Wimper-Geklimper aus. Gütiger, steht ihr wirklich auf Typen in Strumpfhosen? Nehmt wenigstens den Supermään.

Nelli stammelt etwas von der Kutsche, dass sie vom Zeremonienmeister Ärger bekommen wird, und ist den Tränen nahe. Bevor sie losheult, klemme ich die Spindel unter der Achsel fest, reiße Dutzende von Tüllschichten ab, bis der Rock sich angenehm lichtet, greife zu einer Schere und verschaffe mir noch mehr Beinfreiheit. ‹Ach› und ‹Och› begleiten meinen Anflug an Kreativität, bis irgendein Spielverderber mich in einen bodenlangen Umhang hüllt. Okay, die ‹Ach›s und ‹Och›s deuteten nicht gerade darauf hin, dass ich mit meiner Kreation auf dem Cover von VOGUE lande.

«Wo ist sie, wo ist mein Mädchen?», höre ich gleichzeitig eine aufgeregte Stimme, und in die Stube stürmt mein Paps. «Oh Gott sei Dank, wir dachten schon, dir wäre etwas zugestoßen!» Ach echt, Paps? Dann sieht er mich etwas aufmerksamer an, und sein Ausruf verwandelt sich in ein ‹Oh mein Gott, was ist dir bloß zugestoßen?›. Na, geht doch. Die Freude, ihn zu ­sehen, macht in mir allerdings jäh eine Bruchlandung, als ich ihn genauer betrachte. Was hat er da nur an? Macht er neuerdings einen auf Glööckler POMPÖÖS?

«Mein Mädchen, meine liebste Tochter, was ist nur passiert?», stammelt er.

«Nichts», murmele ich und versuche, ihn im Augenwinkel zu behalten, während er Kreise um mich zieht. «Hab bei einem Casting mitgemacht. Hat sich als Ab durch die Hecke2 herausgestellt.»

Er bleibt abrupt stehen und blinzelt. Okay, mit den Wimpern klimpern können hier anscheinend alle.

Hinter ihm kommt eine Frau herein, die offensichtlich von einem Auftritt bei einer Cosplay-Convention abgehalten worden ist. Das pinke Schleifenkunstwerk, das nur schwer als Hut identifizierbar ist, harmoniert auf eine fast erschreckende Art mit ihrem Rokoko-Kleid in Schwarz-Rosa. Ich weiß nicht, ob hier ein Emo-Girl eine Madame de Pompadour mimen möchte oder Madame de Pompadour ein Emo-Girl. Paps ergreift ihre Hand. «Deiner Mamá und mir wurde zugetragen, dass du an die frische Luft gehen wolltest und danach unauffindbar warst. Geht es dir gut, mein Kind? Sprich, was ist denn passiert?»

Jemand wollte mich töten. Nein … hat er gerade Mamá gesagt?

Mir wird schwindelig. Ganz ohne Bienchen, Rosenduft und pinkelnden Amor. Mamá! Nein, das kann nicht sein, ich muss mich setzen, und einer der Livreejungs schiebt flink einen ­Hocker unter meinen Hintern, bevor ich auf den Boden plumpsen muss. Wow, super Reaktionszeiten. Zockt er heimlich Mortal Kombat?

«Mama …» Mir fehlt die Luft.

Doch als sie sich neben mir niederlässt, wird mir schlagartig bewusst, dass es nicht Mum ist. Ich erkenne die Frau von der einen oder anderen Fotografie, die mein Paps meist unkommentiert beiseitezulegen pflegt.

«Tante Sandy?» Ich kriege immer noch keine Luft. Dieses Mal allerdings, weil ich glaube, mich tritt ein Pferd. Nachdem es sich vor einer Apotheke ausgekotzt hat.

Tantchen klopft mir sanft auf die Wangen. «Ach Raphael, wir hätten es nie von ihr verlangen dürfen. Sie ist doch erst fünfzehn. Sieh sie dir an. Sie ist völlig durcheinander!»

Allerdings.

Aber hauptsächlich, weil mein Vater nicht Raphael heißt.

«Ach was!» Königlich scheucht er alle aus der Stube. Als die Tür ins Schloss fällt, finde ich mich Angesicht zu Angesicht mit einem Mann wieder, der wie mein Vater aussieht und doch ein Fremder ist, und einer Frau, die sich für meine Mutter hält. Was mich besonders hart trifft. Weil Mama vor vielen Jahren gestorben ist.

«Meine geliebte Tochter», er schreitet auf mich zu und legt seine großen Hände auf meine Schultern, «heute ist ein großer Tag für dich und ein Hoffnungsschimmer für uns alle. Ich weiß, wie aufgeregt du bist und was dir noch alles bevorsteht, ehe du deine Träume wahr werden lassen kannst. Ich weiß, was für ein Druck auf diesen zarten Schultern lastet. Und was die Nieder­lage für unser kleines Königreich bedeuten würde.»

Fest umklammere ich die Spindel unter dem Umhang.

Was auch immer hier vor sich geht, flehe ich, lass es endlich vorbei sein. Wenn ich verrückt bin, dann muss es doch Pillen dagegen geben. Doch dieses Mantra hilft genauso wenig wie ‹amicus, amici, amico, amicum›.