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Beschreibung

Für die Umsetzung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) hat der Regierungsrat des Kantons Zürich in einem separaten Beschluss die prioritär umzusetzenden Massnahmen für den Kanton Zürich festgelegt. Der Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt, welche innerhalb der Präventionsabteilung bei der Kantonspolizei Zürich angesiedelt ist, obliegt die übergeordnete Koordination der direktionsübergreifenden Vorhaben (RRB 338/2021). Die Beiträge des Sammelbandes geben Einblicke in verschiedene Bereiche der Gewaltprävention, des Opferschutzes, der Strafverfolgung sowie der interdisziplinären Zusammenarbeit im Verbund des Bedrohungsmanagements.

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Fachtagung Bedrohungsmanagement - Umsetzung Istanbul-Konvention Copyright © by Christian Schwarzenegger und Reinhard Brunner is licensed under a Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International, except where otherwise noted.

© 2023 – CC BY-NC-ND (Werk), CC BY-SA (Text)

Herausgeber: Christian Schwarzenegger, Reinhard Brunner – Europa Institut an der Universität ZürichVerlag: EIZ Publishing (eizpublishing.ch)Produktion, Satz & Vertrieb:buchundnetz.comISBN:978-3-03805-612-6 (Print – Softcover)978-3-03805-613-3 (PDF)978-3-03805-614-0 (ePub)DOI: https://doi.org/10.36862/eiz-612Version: 1.00 – 20230914

Das Werk ist als gedrucktes Buch und als Open-Access-Publikation in verschiedenen digitalen Formaten verfügbar: https://eizpublishing.ch/publikationen/fachtagung-bedrohungsmanagement-​umsetzung-istanbul-konvention/.

1

Vorwort

Gewalt gegen Frauen und Häusliche Gewalt sind nicht tolerierbar. Der Regierungsrat des Kantons Zürich legte deshalb „Gewalt gegen Frauen“ als einen Schwerpunkt für die Legislaturperiode 2019 – 2022 fest (RRB 184/2019). Die Umsetzung der geforder­ten Massnahmen im Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Häuslicher Gewalt – die sogenannte Istanbul-Konvention – bildet wesentlicher Bestandteil der Zielsetzungen. In einem separaten Beschluss hat der Regierungsrat die prioritär umzusetzenden Massnahmen für den Kanton Zürich konkret bezeichnet. Die übergeordnete Koordination der direktionsübergreifenden Vorhaben obliegt der Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt (IST), welche innerhalb der Präventionsabteilung bei der Kantonspolizei Zürich angesiedelt ist (RRB 338/2021).

Die „Fachtagung Bedrohungsmanagement – Umsetzung der Istanbul-Konvention“ vom 3. November 2022 sollte einen Überblick zum aktuellen Stand der Umsetzungen und Stossrichtun­gen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Häuslicher Gewalt geben sowie der Vernetzung unter den Fachpersonen dienen.

Die Beiträge der Referentinnen und Referenten bilden den vorliegenden Sammelband.

Lic. iur. Regina Carstensen und lic. phil. Rahel Ott, Co-Fachverantwortliche der Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt bei der Kantonspolizei Zürich, beleuchten in ihrem Beitrag die direktionsübergreifende Organisation und Zusammenarbeit bei den (Teil)Projekten zur Umsetzung der Istanbul-Konvention im Kanton Zürich.

MLaw Nicole Fernandez, Rechtsanwältin, Fachverantwortliche Sexualdelikte der Kantonspolizei Bern, erläutert die Funktion des „Berner Modells bei sexueller Gewalt“ als professionelles Hilfsangebot für Frauen und Kinder, welches die schwierige Situation des Opfers sexueller Gewalt respektiert und erneute Traumatisierung zu verhindern sucht.

Hptm Gérald Pfeifer, Chef der Ermittlungsabteilung Gewaltkriminalität der Kantonspolizei Zürich, gibt Einblicke in die Fallbearbeitung bei Sexualdelikten im Kanton Zürich. Er beschreibt die Aufgabenteilung von Grund- und Spezialversorgung und erläutert wesentliche Aspekte der Beweisführung, Schutzrechte und interdisziplinären Zusammenarbeit.

Joder Regli, Dipl. Sozialarbeiter FH, Bereichsleiter Fachsupport & Lernprogramme, Justiz­vollzug und Wiedereingliederung Kanton Zürich (JuWe), Bewährungs- und Vollzugsdienste (BVD) des Kantons Zürich, stellt das „Zürcher Lernprogramm Partnerschaft ohne Gewalt PoG®“ als wirksame und kostengünstige Intervention gegen Häusliche Gewalt vor.

Major Reinhard Brunner, Chef Präventionsabteilung der Kantonspolizei Zürich, und lic. iur. Claudia Wiederkehr, Leitende Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis, Kanton Zürich, erläutern als Co-Projektleitung den Stand der Arbeiten zur Umsetzung des regierungsrätlichen Schwerpunktes „Gewalt gegen Frauen“ und gewähren einen Ausblick in künftige Vorhaben und Entwicklungen.

Für das gute Gelingen der Tagung und der Veröffentlichung dieses Bandes möchten wir Tiziana Rigamonti für die professionelle Organisation und Durchführung der Veranstaltung sowie Sue Osterwalder, Petra Bitterli und Luca Lehman für die Unterstützung bei der Fertigstellung dieses Tagungsbandes herzlich danken.

Zürich, im August 2023 Christian Schwarzenegger/Reinhard Brunner

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Inhaltsübersicht

Umsetzung der Istanbul-Konvention im Kanton Zürich

Regina Carstensen, Rechtsanwältin, Co-Fachverantwortliche, Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt, Kantonspolizei ZürichRahel Ott, Co-Fachverantwortliche, Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt, Kantonspolizei Zürich

Das Berner Modell bei sexualisierter Gewalt

Nicole Fernandez, Rechtsanwältin, Fachverantwortliche Sexualdelikte, Kantonspolizei Bern

Schwere Sexualdelikte – Fallbearbeitung bei der Kantonspolizei Zürich

Hauptmann Gérald Pfeifer, Chef Ermittlungsabteilung Gewaltkriminalität, Kantonspolizei Zürich

Zürcher Lernprogramme – Partnerschaft ohne Gewalt PoG®: Eine wirksame und kostengünstige Intervention gegen häusliche Gewalt

Joder Regli, Dipl. Sozialarbeiter FH, Bereichsleiter Fachsupport & Lernprogramme, Justizvollzug und Wiedereingliederung Kanton Zürich (JuWe), Bewährungs- und Vollzugsdienste (BVD) des Kantons Zürich

Regierungsrätlicher Schwerpunkt „Gewalt gegen Frauen“

Claudia Wiederkehr, Leitende Staatsanwältin, Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis, Kanton Zürich Major Reinhard Brunner, Chef Präventionsabteilung, Kantonspolizei Zürich

Umsetzung der Istanbul-Konvention im Kanton Zürich

Regina Carstensen und Rahel Ott

Inhalt

AusgangslageSchwerpunktsetzung „Gewalt gegen Frauen“ für die Strafverfolgung im Kanton ZürichUmsetzungsbedarf im Kanton Zürich (RRB 338/2021)Übergeordnete Koordinationsstelle (Massnahme Ziffer 3.1)Aus- und WeiterbildungFachpersonen, welche mit Kindern arbeiten oder über Kinderbelange entscheiden (Massnahme Ziffer 3.5a)Schulsozialarbeitende (Massnahme Ziffer 3.6b)Gesundheitsfachpersonen (Massnahme Ziffer 3.7b)Mitarbeitende der Strafverfolgungsbehörden / Straf- und Zwangsmassnahmengerichte (Massnahme Ziffer 3.8b)Arbeit mit gewaltausübenden Menschen (Massnahmen Ziffer 3.2a und b)Zugang Opferhilfe bzw. Unterstützungsangebote (Massnahme Ziffer 3.3)Schutzunterkünfte (Massnahme Ziffer 3.4)Schutzunterkünfte für ErwachseneSchutzunterkünfte für Minderjährige und junge ErwachseneGewaltbetroffene Kinder (Massnahmen 3.5b, 3.5c und 3.5d)Bildung / Schulbereich (Massnahme Ziffer 3.6a)Unterstützung Opfer sexueller und Häuslicher Gewalt (Massnahmen Ziffer 3.7a und b)Strafverfolgung, Schutzmassnahmen und Prävention (Massnahme Ziffer 3.8a)Erhebung statistischer Daten (Massnahme Ziffer 3.9)FazitLiteraturverzeichnis

Ausgangslage

Das am 1. April 2018 für die Schweiz in Kraft getretene Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention)[1] ist das erste verpflichtende juristische Instrument zum Schutz von Frauen und Mädchen gegen jede Form der Gewalt, namentlich auch Häuslicher Gewalt. Die Konvention präzisiert die Verpflichtungen des Staates Häusliche Gewalt zu bekämpfen und Opfer adäquat zu schützen. Gewalt gegen Frauen und Häusliche Gewalt darf in keiner Form toleriert werden. Die Konvention ermutigt die Vertragsstaaten explizit, das Übereinkommen auf alle Opfer Häuslicher Gewalt anzuwenden, d.h. auch auf Knaben und Männer. Bund und Kantone sind verpflichtet die bislang getroffenen Massnahmen im Bereich Prävention (prevention), Gewalt-/Opferschutz (protection) und Strafverfolgung (prosecution) konsequent weiterzuverfolgen, Handlungsbedarf zu identifizieren und Massnahmen unter Einbezug der zuständigen Stellen und der Zivilgesellschaft (integrated policies) umzusetzen.

Schwerpunktsetzung „Gewalt gegen Frauen“ für die Strafverfolgung im Kanton Zürich

Der Kanton Zürich unternimmt grosse Anstrengungen um Gewalttaten zu verhindern, Opfer wirkungsvoll zu schützen und Straftaten konsequent zu ahnden. Mit Beschluss vom 27. Februar 2019 legte der Regierungsrat unter anderem „Gewalt gegen Frauen“ als Schwerpunktthema in der Strafverfolgung für die Legislaturperiode 2019 – 2022 fest.[2] Daraus folgte die Verpflichtung, die in der Istanbul-Konvention geforderten Massnahmen auf ihren Umsetzungsbedarf hin zu überprüfen und umzusetzen.

Die Justiz- und Sicherheitsdirektion erteilten der Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt (IST) am 22. Juli 2019 den Auftrag eine Situationsanalyse vorzunehmen. Unter Einbezug einer fachstellen- und direktionsübergreifenden Arbeitsgruppe wurde der Umsetzungsbedarf der Istanbul-Konvention in verschiedenen Themenbereichen, wie bspw. „Arbeit mit gewaltausübenden Menschen“ oder „gewaltbetroffene Kinder“, eruiert.

Gestützt darauf wurden in einem Schlussbericht[3] zahlreiche Empfehlungen zur Behebung der erkannten Lücken abgegeben.

Umsetzungsbedarf im Kanton Zürich (RRB 338/2021)[4]

Unter Beizug der fachstellen- und direktionsübergreifenden Arbeitsgruppe stellt die IST in ihrem Schlussbericht fest, dass der Kanton Zürich die im Zusammenhang mit der Umsetzung der Istanbul-Konvention geforderten kantonalen Massnahmen in vielen Bereichen bereits sehr gut und nur in wenigen im Rahmen der Mindestanforderungen erfüllt. Dennoch wurde übergeordnet festgehalten, dass sich in allen Bereichen Optimierungspotential findet.

Gestützt auf die Empfehlungen im Schlussbericht hat der Regierungsrat in seiner Sitzung vom 31. März 2021 sechzehn konkrete Massnahmen beschlossen. Die betroffenen Direktionen werden beauftragt, die Massnahmen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu führen und zeitnah umzusetzen. In einer der Massnahmen wird die IST als übergeordnete Koordinationsstelle für die Umsetzung der Istanbul-Konvention im Kanton Zürich bezeichnet (RRB 338/2021).

Übergeordnete Koordinationsstelle (Massnahme Ziffer 3.1)

Die Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt (IST) wird als übergeordnete Koordinationsstelle für die Umsetzung der Istanbul-Konvention im Kanton Zürich bezeichnet und deren Sichtbarkeit verbessert.

Die Istanbul-Konvention verfolgt einen umfassenden Handlungsansatz. Die Sicherstellung einer koordinierten Umsetzung ist deshalb von zentraler Bedeutung. Auf Bundesebene wird das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) als offizielle Koordinationsstelle bezeichnet. Auf Ebene der Kantone wird die Schweizerische Konferenz gegen Häusliche Gewalt (SKHG)[5] von der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) und der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) mit der Koordination beauftragt. Sinnvoll ist deshalb auch auf Stufe Kanton eine Gesamtkoordinationsstelle für die Umsetzung der Massnahmen zu bezeichnen. Die IST hat bereits gestützt auf den Aufgabenkatalog in §17 des Zürcher Gewaltschutzgesetzes (GSG) die Koordination der Behörden und Beratungsstellen, welche sich mit Häuslicher Gewalt und Stalking befassen, zu gewährleisten.[6] Gleichzeitig ist die IST aufgrund ihrer Mitgliedschaft und Vorstandstätigkeit bei der SKHG auf nationaler, kantonaler und interkantonaler Ebene mit der Umsetzung der Istanbul-Konvention befasst. Für die Übernahme der Aufgaben innerhalb des Kantons wird die IST deshalb als übergeordnete Koordinationsstelle für die Umsetzung der Istanbul-Konvention bezeichnet.

Aus- und Weiterbildung

Der Kanton Zürich setzt im Massnahmenkatalog einen Schwerpunkt bei der Aus- und Weiterbildung von Fachpersonen. Das Bewusstsein der Fachkräfte für die verschiedenen Formen von Gewalt gegen Frauen und Häuslicher Gewalt soll geschärft werden. Fachpersonen sollen den traumatisierenden Charakter nach Gewalterfahrung erkennen können. Auch das Wissen um Geschlechterrollen und Geschlechterstereotypen, welche Gewalt gegen Frauen begünstigen, soll vertieft werden. Geschult werden Fachpersonen aus verschiedenen Berufs- und Tätigkeitsfeldern.

Fachpersonen, welche mit Kindern arbeiten oder über Kinderbelange entscheiden (Massnahme Ziffer 3.5a)

Es werden Aus- und Fortbildungen zu den Themen «häusliche Gewalt», «Geschlechterrollen» und Geschlechterstereotypen» für Fachpersonen, die mit Kindern arbeiten oder über Kinderbelange entscheiden, gefördert.

Die verheerenden Auswirkungen von Häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche sind bekannt. Nicht nur das direkte Erleben von Gewalt, auch das Miterleben von elterlicher Paargewalt belastet die kindliche Entwicklung. In Fällen von elterlicher Paargewalt ist von einer Kindswohlgefährdung auszugehen, die ein angemessenes und zeitnahes Handeln erfordert. Damit der Einbezug von Kindern und Jugendlichen in sie betreffende Angelegenheiten systematisch erfolgt, sind die Aus- und Weiterbildungen bei der Polizei, der Sozialen Arbeit, aber auch bei Entscheidungsträgerinnen und –trägern wie der KESB und den Gerichten zu intensivieren. Als konkretes Umsetzungsbeispiel ist der obligatorische Weiterbildungstag 2022 für KESB-(Ersatz-)Mitglieder zu erwähnen. Dabei standen die Wissensvermittlung durch die spezialisierten Opferberatungsstellen und das mannebüro züri sowie der interdisziplinäre Austausch im Vordergrund.

Schulsozialarbeitende (Massnahme Ziffer 3.6b)

Schulsozialarbeitenden wird in ihrer Ausbildung das notwendige Wissen zu häuslicher Gewalt, Geschlechterrollen und Geschlechterstereotypen vermittelt. Sie werden darin geschult, Anzeichen von häuslicher Gewalt bei Schülerinnen und Schülern zu erkennen, und sie werden befähigt, wie bei entsprechenden Anzeichen vorzugehen ist (Melderechte und -pflichten). Innerhalb der Schulen nehmen sie die Rolle einer Fachstelle wahr und sensibilisieren Lehrpersonen und weitere Mitarbeitende im schulischen Umfeld für die Thematik.

Lehr- und Betreuungspersonen bzw. Schulsozialarbeitende werden in ihrer Aus- und Weiterbildung zu den Themen „Gender und Gleichstellung“, „sexualisierte Gewalt“ sowie „Häusliche Gewalt“ geschult. Dies geschieht vor allem im Rahmen von Wahlmodulen. Damit diese Berufsgruppen und insbesondere die Schulsozialarbeitenden, welche in diesem Kontext eine Schlüsselstellung einnehmen, ihre wichtige präventive Rolle wahrnehmen können, sind Bildungsangebote zur Sensibilisierung und Wissensvermittlung auszubauen. Im Besonderen sollen sie geschult werden, Anzeichen von Häuslicher Gewalt zu erkennen und richtig vorgehen zu können. Dazu gehört das Wissen, den Schülerinnen und Schülern bei Verdacht oder bei Gewissheit, dass Häusliche Gewalt vorliegt, geeignete Hilfe zukommen zu lassen.

Gesundheitsfachpersonen (Massnahme Ziffer 3.7b)

Es werden auf Gesundheitsfachpersonen ausgerichtete Informationsmaterialien für den Umgang mit Opfern von sexueller und häuslicher Gewalt erarbeitet und deren Inhalt im Rahmen von regelmässigen Informations- und Weiterbildungsveranstaltungen vermittelt.

Der Umgang mit Opfern von sexueller und Häuslicher Gewalt stellt für die involvierten Fachpersonen im Gesundheitsbereich eine grosse Herausforderung dar. In den Grundausbildungen wird der Thematik nur rudimentär Rechnung getragen. Fachspezifische Informations- und Weiterbildungsveranstaltungen sind deshalb umso wichtiger und müssen weiter gefördert werden (z.B. CAS Forensic Nursing[7]). Im Rahmen einer fach- und direktionsübergreifenden Arbeitsgruppe wird die Umsetzung dieser Massnahme bearbeitet.

Mitarbeitende der Strafverfolgungsbehörden / Straf- und Zwangsmassnahmengerichte (Massnahme Ziffer 3.8b)

Es werden Weiterbildungsveranstaltungen für Mitarbeitende der Strafverfolgungsbehörden im Umgang mit Opfern gefördert und diese auch Richterinnen und Richtern der Straf- und Zwangsmassnahmengerichte zugänglich gemacht.

Polizei und Staatsanwaltschaften müssen für die Themen „Gewalt gegen Frauen“ und „Häusliche Gewalt“ sensibilisiert sein. Dazu gehört auch der korrekte Umgang mit Gewaltopfern. Das gilt auch für Richterinnen und Richter der Straf- und Zwangsmassnahmengerichte. In einer für das Jahr 2024 geplanten Weiterbildung für Staatsanwaltschaft und Gerichte wird vertiefteres Wissen zum Phänomen „Häusliche Gewalt“ vermittelt werden. Fragen wie: Gibt es das typische Opfer? Gibt es den typischen Gewalttäter? werden beantwortet. Mit den Antworten sollen falsche Annahmen oder typische Klischees ausgeräumt werden. Das Verständnis für die Besonderheiten bei Fällen mit Häuslicher Gewalt wird gefördert und der Umgang mit Opfern geschult. Neben der Vermittlung von Fachwissen wird gleichzeitig der interdisziplinäre Austausch gefördert.

Arbeit mit gewaltausübenden Menschen (Massnahmen Ziffer 3.2a und b)

Das Lernprogramm Partnerschaft ohne Gewalt (PoG®) wird in verschiedenen, den Bedürfnissen in der Praxis entsprechenden Fremdsprachen angeboten.

Die Arbeit mit gewaltausübenden resp. gefährdenden Personen spielt eine zentrale Rolle bei der Erzielung eines besseren Opferschutzes. Im Kanton Zürich bestehen für alle Altersgruppen und Geschlechter grundsätzlich ausreichend Behandlungsangebote mit dem Ziel der (Rückfall-)Prävention Häuslicher Gewalt. Je nach Bedarf stehen Beratungen[8], Therapien, Elternbildungsprogramme[9] oder das für Häusliche Gewalt entwickelte Lernprogramm „Partnerschaft ohne Gewalt“ (PoG®)[10] der Bewährungs- und Vollzugsdienste (BVD) zur Verfügung. Letzteres basiert auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Grundsätzen und richtet sich an Personen, welche innerhalb einer Partnerschaft Gewalt ausgeübt oder angedroht haben. Während 16 Sitzungen im Gruppensetting[11] und in drei Nachgesprächen (Einzelsitzungen) lernen die Teilnehmenden ihr Verhalten zu reflektieren, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien zu entwickeln.

Das Lernprogramm „PoG®“ wurde evaluiert und dessen rückfallpräventive Wirkung belegt.[12] Zurzeit steht dieses jedoch nur deutschsprachigen Personen offen. Forschungsergebnisse zeigen aber, dass Personen mit Migrationshintergrund statistisch signifikant häufiger von Risikofaktoren für Häusliche Gewalt betroffen sind als Personen ohne Migrationshintergrund.[13] Es ist deshalb wichtig, das Lernprogramm „PoG®“ auch in verschiedenen, den Bedürfnissen in der Praxis entsprechenden Fremdsprachen anzubieten. Dazu wird aktuell ein Pilotprojekt angestrebt. Zudem bieten die BVD seit Herbst 2022 eine kostengünstige Weiterbildung[14] zum Lernprogramm „PoG®“ für interessierte Sozialarbeitende oder Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten an, welche dieses Programm anbieten möchten. Des Weiteren haben die BVD mit der Entwicklung einer Lernprogramm-begleitenden App begonnen. Geplant ist, dass diese App in einem zweiten Schritt nicht nur auf Deutsch, sondern in mehreren Fremdsprachen funktioniert.

Die Staatsanwaltschaft kann eine beschuldigte Person via Strafbefehl dem Lernprogramm „PoG®“ oder einem anderen rückfallpräventiven Angebot zuweisen. Wenn eine geschädigte Person Desinteresse an der Weiterführung der Strafuntersuchung gemäss Art. 55a StGB erklärt, hat die Staatsanwaltschaft resp. das Gericht seit Juli 2021 die Option, die beschuldigte Person für die Zeit der Verfahrenssistierung zum Besuch eines Lernprogramms gegen Gewalt zu verpflichten (Art. 55a Abs. 2 StGB). Der Besuch eines rückfallpräventiven Angebots kann ausserdem anstelle von Haft im Rahmen einer Ersatzmassnahme angeordnet werden (Art. 237 StPO). Die Weisungen der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich für das Vorverfahren verlangen gar, dass die beschuldigte Person im Rahmen der Hafteinvernahme zwingend zu befragen sei, ob etwas gegen eine Teilnahme am Lernprogramm „Partnerschaft ohne Gewalt“ spricht.[15] Zudem sei „in jedem Zeitpunkt einer Haftentlassung zu prüfen, ob die beschuldigte Person im Rahmen von Ersatzmassnahmen zur Teilnahme am Lernprogramm PoG® verpflichtet werden“ könne.[16] Im Rahmen von KESB-Verfahren, Eheschutz-, Scheidungs- oder Trennungsverfahren steht die Möglichkeit, Zuweisungen in gewaltpräventive Angebote zu machen, ebenfalls offen. Ausgeschlossen sind jedoch das Lernprogramm „PoG®“ und die Gefährderinnen-Beratung der BVD. Als Alternative steht hier bspw. die „Interkulturelle Gewaltberatung für Männer mit Migrationshintergrund“[17]