Fadenkreuz - Eva Rossmann - E-Book

Fadenkreuz E-Book

Eva Rossmann

4,5

Beschreibung

In der Textilindustrie zählt das gute Image. Das kann das Leben kosten. Das vietnamesische Restaurant in Wien heißt "Langes Leben". Doch dann wird die Besitzerin Hanh auf offener Straße erschossen. Boulevardzeitungen spekulieren über "Ausländerfehden" und Schutzgeld. Rechtsradikale sind über die Veränderung ihres ehemaligen Stammlokals wütend. Oder hat der Mord mit der jungen Näherin Vui zu tun, die nach Österreich geflohen ist, weil sie illegale Streiks organisiert und brisantes Material über ihre Textilfabrik gesammelt hat? "ALLES GUT!" steht auf den T-Shirts eines Markenkonzerns: Zwischen Wien, Hanoi und der ehemaligen Baumwollspinnerei in Leipzig erfahren die Journalistin Mira Valensky und ihre Freundin Vesna Krajner, dass dem nicht so ist.

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FADENKREUZ

Eva Rossmann, 1962 geboren, lebt im Weinviertel/Österreich.

Verfassungsjuristin, politische Journalistin, seit 1994 freie Autorin und Publizistin. Seit ihrem Krimi Ausgekocht auch Köchin in Buchingers Gasthaus „Zur Alten Schule“.

Drehbuchautorin, Moderatorin der ORF-Radio-Sendung „Café Sonntag“.

Zahlreiche Sachbücher.

Österreichischer Buchliebling 2009, Leo-Perutz-Preis 2014.

Bisher bei Folio erschienene Krimis:

Wahlkampf (1999/2006), Ausgejodelt (2000), Freudsche Verbrechen (2001),

Kaltes Fleisch (2002), Ausgekocht (2003), Karibik all inclusive (2004),

Wein & Tod (2005), Verschieden (2006), MillionenKochen (2007),

Russen kommen (2008), Leben lassen (2009), Evelyns Fall (2010),

Unterm Messer (2011), Unter Strom (2012), Männerfallen (2013),

ALLES ROT (2014), sowie Mira kocht (2007), das Kochbuch zur Krimiserie.

www.evarossmann.at

Eva Rossmann

FADENKREUZ

Ein Mira-Valensky-Krimi

 

 

 

Folio Verlag

Wien • Bozen

 

 

Lektorat: Joe Rabl

 

© Folio Verlag Wien • Bozen 2015

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dall’O & Freunde

Druckvorbereitung: Typoplus, Frangart

ISBN 978-3-85256-668-9

www.folioverlag.com

[  1.  ]

Ich bin allein. Die Wände sind grau. Muffige Kühle. Das ist in einem alten Wiener Keller ganz normal. Ich höre meinen Atem. Dann höre ich noch etwas. Ein Schaben. Ein Klopfen. Es ist nicht einmal zwei Wochen her, dass Hanh ermordet worden ist.

Ich blinzle nach oben. Eine Glühbirne. So eine, die den Fortschritt überlebt hat. Ihr Schein reicht nicht weit. Am Boden Kunststoffbelag mit Parkettmuster. Da und dort fehlt ein Stück. Ratten. Fressen die wirklich alles?

Ich hole so leise wie möglich Luft. Und öffne vorsichtig die Tür.

Messer. Es blitzt im Licht. Tote Körper. Weißbleich übereinander auf einem Tisch aus Stahl. Und eine schmale Gestalt, die sie zerteilt. Flügel, Keule, Brust. Mit flinken Schnitten. Ich habe hier nichts verloren, will die Tür wieder zuziehen. Sie knarrt und die Frau dreht sich abrupt zu mir um. Vor Schreck aufgerissene Mandelaugen, ein schmales Gesicht. Schwarze Haare, zu einem dicken Zopf geflochten. Das Messer noch immer in der rechten Hand.

„Oh, ich hab die Tür verwechselt. Gibt es heute Huhn?“, frage ich. Das ist Hanh. Die vor kurzem erschossen worden ist.

Hanh starrt mich an. Dann lässt sie das Messer fallen, es klirrt auf den Betonboden. Sie sieht sich panisch um, macht einen Sprung auf mich zu, ich taumle, kann mich gerade noch an der Wand abstützen. Sie ist an mir vorbei, sie rennt, hin zum bunten Webteppich. Dort sind die Toiletten. Die Stufen nach oben. Ich hetze ihr nach. „Hanh!“, will ich schreien und stöhne bloß „Hhhhh“. Brauche alle Luft, um sie einzuholen. Sie ist schlank und klein und schnell wie der Wind. Mehr ein Schatten als eine reale Person. Sie fliegt den Gang entlang, reißt die Tür ins Freie auf. Asphalt, ein winziger Innenhof, Müllcontainer. Fauliger Geruch. Ich sehe gerade noch, dass sie sich zwischen den Behältern für Altpapier und Plastik durchzwängt. Ich muss die Container verschieben, um weiterzukommen. Ein Vieh, das davonhuscht. Katze? Marder? Ratte? Dann die Tür zum nächsten Haus. Was, wenn sie mir auflauert? Hanh? Sie ist einen Kopf kleiner als ich. Wiegt dreißig Kilo weniger. – Und sie ist eigentlich tot.

Wieder Stufen nach oben. Keine Spur von ihr, nur mein Atem. Ich renne Richtung Licht, wieder eine Tür. Und eine schmale Gasse. Geparkte Autos. Straßenlaterne. Keine Hanh. Nirgendwo. Ich lausche. Sehe mich um. Es ist kurz nach zehn am Abend. Es ist so menschenleer, als hätte man die Gehsteige hochgeklappt. Wohnhäuser, renovierungsbedürftige zweigeschoßige Handwerkshäuser aus der Biedermeierzeit. Eine unspektakuläre Gasse in der Nähe des Wiener Gürtels. Mir ist empfindlich kalt, es ist Mitte März und ich hab meine Jacke in dem kleinen vietnamesischen Restaurant gelassen. Sng Lâu – was so viel wie „Langes Leben“ bedeutet. Auch wenn die meisten es Song nennen und sich wundern, warum es „Lied“ heißt. Ich spähe zwischen die geparkten Autos, keine Hanh. Sie hat das Lokal gemeinsam mit ihrem Mann geführt. Und sie hat kein langes Leben gehabt – oder kann sie doch noch eines haben? Ich begreife es nicht. Ich bin hinunter auf die Toilette. Und ich bin eben ein wenig neugierig. Also bin ich den Kellergang entlang. Dann habe ich dieses Geräusch gehört. Sieht so aus, als wäre Hanh doch nicht tot. Ich bleibe stehen. Zuerst einmal sollte ich überlegen, wo ich bin. Wohl in einer Parallelgasse zum Lokal. Aber in welcher? Ich gehe weiter bis zur Kreuzung. Entscheide mich für die Straße, die zum Gürtel führt. Zwei ältere Männer und ein Hund. Soll ich sie fragen, ob sie eine Vietnamesin vorbeirennen gesehen haben? Aber wäre es so, hätte ich sie wohl gehört. Nicht einmal sie kann sich lautlos bewegen. Oder doch? Ein Schatten? Ein Trugbild? Ihr Geist? Ich hole tief Luft. Ich neige nicht besonders zu parapsychologischen Begegnungen. Wahrscheinlich, weil es so niemandem zu begegnen gibt. – Hanh ist auf dem Weg vom Lokal zu ihrer Wohnung erschossen worden. Vermutlich von einem fahrenden Motorrad aus abgeknallt. Die einen reden von einer Schutzgeldgeschichte. Die anderen von Ausländerfeinden. In den letzten Monaten haben es einige Idioten geschafft, die Stimmung besonders aufzuheizen. Allerdings richtet sich der Zorn eher gegen die türkische Community. Mitglieder einer Türkenbande haben Feuer in einer Kirche gelegt. Zwar war keiner älter als vierzehn und der Schaden beim Seitenaltar war nicht größer, als wenn ein paar Opferkerzen umgefallen wären, aber es hat gereicht, um die Boulevardpresse zu alarmieren. Und um auch in seriöseren Medien lange Diskussionen darüber zu führen, ob jetzt der Kampf des Islam gegen das Christentum Wien erreicht hat.

Ein großer dunkler Wagen biegt um die Ecke. Ich drücke mich an die Hausmauer. Ich höre, dass drinnen Musik läuft. Schwere hämmernde Bässe. Er fährt vorbei. Ich gehe rasch, renne beinahe. Ruhig bleiben. Hausecke. – Und die Gasse, die ich kenne. Nicht weit von Vesnas Büro entfernt. „Sauber – Reinigungsarbeiten aller Art“. Keine noble Gegend, aber eine ruhige. Arbeiter, Migrantinnen, Pensionisten, immer mehr junge Leute, die erschwingliche Wohnungen brauchen. Vesnas Haus soll seit Jahren abgerissen werden. Aber Spekulanten, Erben und Stadtverwaltung streiten. Meine Freundin ist gerne hier. Auch weil es da weniger Schwellenangst gibt, was ihren kleinen Nebenberuf angeht. Auf dem Schreibtisch ihres gutgehenden Reinigungsunternehmens steht nämlich noch ein anderes Telefon. Seine Nummer kann man wählen, wenn man mehr wissen will. Über verschwundene Freunde, den Lebenswandel der Freundin des einzigen Söhnchens, den Verbleib von Stereoanlage, Fernseher oder Laptop. Meine Freundin liebt das Abenteuer. Während ich eigentlich eher für ein ruhiges Leben bin. Und trotzdem stehe ich jetzt da und überlege, ob ich soeben eine Tote gesehen habe. Beziehungsweise, ob die angeblich Tote gar nicht tot ist. Aber eine Schusswunde kann man schlecht vortäuschen. Ganz abgesehen davon, dass Hanh sicher verwahrt in der Gerichtsmedizin liegt. Oder schon begraben ist. – Wie begraben die Vietnamesen eigentlich ihre Toten?

Vom Gürtel her entfernter Straßenlärm. Was weiß ich schon von den Besitzern des Sng Lâu? Dass er hervorragend Deutsch spricht und sie es auch ganz gut kann. Dass sie bis vor ein paar Monaten in Deutschland waren. Dass sie ausgezeichnet kochen. Warum zerlegt Hanh im Keller Hühner? Weil sie nicht gesehen werden möchte. Die Gänsehaut auf meinen Armen kann nur von der Kälte hier draußen kommen. Dort ist die Eingangstür. Hell. Freundlich. Vietnamesische Schriftzeichen, darunter unsere Buchstaben. Und eine Reihe Fähnchen, auf denen „Langes Leben“ steht. Ich stoße die Tür auf, bin vom Stimmengewirr, von der plötzlichen Wärme irritiert. Alles normal. Das Lokal ist voll, plaudernde, zufrieden aussehende Gäste. Sui, die serviert. Sie heißt eigentlich Susi und studiert technische Mathematik. Vesna starrt mich fragend an.

„Dachte schon, du bist in Klo gefallen.“

Oskar sagt etwas von „Montezumas Rache“.

„Ist ja keine lateinamerikanische Küche“, murmle ich zerstreut.

„Die frische Frühlingsrolle mit Mango und Erdnüssen war großartig“, bestätigt Vesna.

„Mir haben die gebackenen Frühlingsrollen mit Huhn und Ingwer fast noch besser geschmeckt“, ergänzt Oskar.

„Und erst der grüne Papayasalat mit Rindfleisch“, setzt Vesna fort. „Du sollst auch einmal vietnamesisch kochen.“

„Das Schwein in Kokosmilch mariniert war derart zart und dazu die feine Chilischärfe“, macht Oskar weiter und sieht mich aufmerksam an. „Was ist los mit dir? Seit wann redest du nicht mehr übers Essen? Ist dir schlecht? Das kommt sicher nicht von dem, was wir hier bekommen haben.“

Ich versuche ein Lächeln und sehe mich nach Tien um. Hanhs Mann. Ein liebenswürdiger, höflicher Vietnamese. Der womöglich ein ziemlich finsteres Geheimnis hat. Dann erzähle ich.

Am Ende meines Berichts schüttelt Vesna den Kopf. „Schauen doch viele sehr ähnlich aus, die Vietnamesen“, meint sie. „Du hast zu viel Fantasie.“

Oskar sagt nichts, aber ich sehe ihm an, dass er meiner Freundin recht gibt.

„Das ist ein dummes Klischee. Wir sehen nur oft nicht genau hin. Es war Hanh“, beharre ich.

Vesna nimmt einen Schluck Mangosaft. „Hanh ist vor zehn Tagen erschossen worden. Ich habe euch schon erzählt, ich kenne einen, der hat es beinahe gesehen. Er ist auf die Straße. Da ist Hanh gelegen. Und er hat Motorrad gehört, fast wie Formel-1-Wagen, laut, stark.“

„Das ist in der Zeitung gestanden. Wahrscheinlich hat er es einfach gelesen“, widerspreche ich.

„Es soll um Schutzgelder gegangen sein. Die beiden sind noch nicht lange da, vielleicht wollten sie nicht zahlen“, überlegt Oskar.

„Schutzgelder? Ich weiß nicht. Vielleicht am Gürtel, in den Bars und Laufhäusern, aber bei einem kleinen Vietnamesen?“ Mir fällt etwas ein, das mir schon durch den Kopf gegangen ist, als ich den Tisch bestellt habe. „Es ist eigenartig, dass Tien das Lokal so bald nach dem Tod seiner Frau wieder aufgesperrt hat.“

„Also doch tot“, wirft Vesna zufrieden ein. „Du wirst wieder vernünftig. Und für Aufsperren gibt es viele Gründe. Wahrscheinlichster ist: Er muss von etwas leben. Sie haben investiert. Und wenn es rassistischer Mord war, dann ist das die beste Reaktion. Nicht unterkriegen lassen.“

„Vielleicht gehen die Vietnamesen anders mit dem Tod um“, überlegt Oskar. Mein Mann. An sich Wirtschaftsanwalt. Aber momentan offenbar Ethnologe. Ich will schon laut spotten, als ich Tien sehe. Man sollte ihn fragen. Aber was? Ob seine tote Frau im Keller Hühner zerteilt? An wen er Schutzgeld hätte zahlen sollen? Ob er von irgendwelchen Nazis bedroht worden ist?

Vesna winkt Tien her. Mir wird heiß. Sie wird wohl nicht wirklich … aber sie sieht Tien bloß an und meint: „Man weiß schon mehr über … die fürchterliche Sache?“

Der Vietnamese schlägt die Augen nieder. Dann schüttelt er den Kopf.

„Meine Freundin hat einen sehr guten Freund, er ist Gruppenleiter bei der Polizei. Für Todesfälle. Vielleicht er kann helfen.“ Vesna deutet auf mich.

Na super. Zuckerbrot wird sich freuen, wenn er Tien beraten soll. Und kann sein, dass er mich kaum als „gute Freundin“ bezeichnen würde. Zumindest nicht, wenn sich unsere Wege quasi beruflich kreuzen.

Tien schüttelt weiter den Kopf. Sagt lange nichts und dann: „Sie haben mich befragt. Es gibt kein Schutzgeld, ich habe das gesagt. Man hat die Türe beschmiert, als wir gekommen sind. Mit roter Farbe. Wir sollen wieder gehen. Es waren Ausländerfeinde. Sie haben auch Milo bedroht. Er wohnt in unserem Haus. Er ist aus Rumänien.“

„Sie haben das der Polizei erzählt?“, mische ich mich ein.

Tien nickt. Er sieht eigentlich aus wie immer. Vielleicht ein wenig ernster. – Aber wie anders sieht man schon aus, wenn plötzlich ein geliebter Mensch gestorben ist? Für immer verheult? Der Schmerz sitzt tiefer. Das wird bei Vietnamesen nicht anders sein.

Zwei Tische weiter winkt ein Gast. Tien murmelt eine Entschuldigung und eilt zu ihm. Ob alle hier wissen, was geschehen ist? Die Sache war natürlich in den Medien. Aber nicht sehr groß und nicht besonders ausführlich. Im „Blatt“, der auflagenstärksten, aber deswegen nicht eben besten Zeitung im Land, hat man davor gewarnt, dass „Ausländerfehden“ nun auch auf Österreich übergreifen könnten. Und dass man dagegen rechtzeitig etwas unternehmen müsse. Straffällige Ausländer sollten sofort abgeschoben werden. Daneben war ein Foto von Tien zu sehen, auf dem er ein Tablett mit Gläsern hält und lächelt. Die Bildunterschrift: „Dang Văn Tien in seinem neuen Lokal, ehemals Alpenstüberl“. Sie haben offenbar ein Werbefoto vom Lokal genommen. Wahrscheinlich von der Eröffnung. Das Alpenstüberl war laut Vesna derart heruntergekommen, dass selbst die schweren Alkoholiker aus den umliegenden Gassen lieber auf der Straße vor dem Lokal getrunken haben. Bier. Aus der Flasche. Weil die Gläser schmutzig waren.

„Ich weiß, wo Tien und Hanh wohnen“, sagt Vesna und trinkt den letzten Schluck Mangosaft. Oskar seufzt. „Ihr werdet jetzt wohl nicht dorthin wollen und nachsehen, ob Hanh lebt. Vesna, du hast selbst gesagt, dass Mira …“

Ich sehe meinen Mann empört an. „Dass Mira was? Spinnt?“

Vesna grinst. „Wollte Oskar sicher nicht sagen. Wollte sagen, dass Mira eine Vietnamesin mit anderer verwechselt hat.“

„Und wieso sollte sie im Keller Hühner zerlegen? Und panisch davonlaufen, wenn sie mich sieht?“

„Ist wahrscheinlich nicht legal da.“

Oskar nickt. Klingt plausibel. Aber trotzdem: Die Frau hat genau so ausgesehen wie Hanh.

[  2.  ]

Es läutet. An der Wohnungstür und nicht an der Gegensprechanlage. Oskar hat sich vor einer guten Viertelstunde Richtung Kanzlei aufgemacht. Er wird es also kaum sein, auch wenn er üblicherweise den Klingelknopf drückt, bevor er aufschließt. Weil man nicht einfach so reinplatzt, sagt er. Nicht einmal in die eigene Wohnung. Ich sollte eigentlich auch längst weg sein. Redaktionssitzung. Ich bin schon in der letzten Woche zu spät gekommen. Ich hetze durchs Vorzimmer, öffne die Tür. Auch das noch. Die Hausmeisterin. Typ Blockwart. Eine, die alles wissen muss und es dann Leuten weitererzählt, von denen sie sich etwas erhofft. Vernaderin. Tratsche. „Ich hab keine Zeit“, begrüße ich sie wenig freundlich. Meine Katze Gismo steht eng neben mir, den Schwanz hoch erhoben, der orangerote Streifen auf ihrer Brust leuchtet. Sie starrt die Hausmeisterin böse an.

„Es gibt eine Anzeige bei der Polizei. Es ist ein Blumentopf auf die Gasse gefallen. Beinahe wäre jemand erschlagen worden.“

„Der Topf war nicht von uns.“

„Sie sind die Einzige, die so viele Blumentöpfe auf der Terrasse hat. Sie hatten den Auftrag, sie sichern zu lassen.“

„Sie sind gesichert.“ Was heutzutage schon alles sicher zu sein hat.

„Ich werde das mit Doktor Kellerfreund selbst besprechen müssen.“

Wirkt, als wäre ich bestenfalls die Haushälterin des Herrn Doktors. „Ich werde es meinem Mann erzählen. Er wird Ihnen auch nichts anderes sagen. Von uns war der Topf nicht.“

„Ihr … Gefährte … wie immer man da sagt … Lebensabschnitts… dingsbums … weiß vielleicht nichts davon, dass Ihnen ein Topf hinuntergefallen ist.“

„Brauchen Sie meinen Trauschein, damit Sie mir glauben?“

„Nein. Ich brauche den Eigentümer der Wohnung. Und Sie heißen nicht Kellerfreund, nicht einmal Kellerfreund-Valenksy, das weiß ich zufällig genau.“

„Was Sie vielleicht nicht wissen: Man darf in Österreich den eigenen Namen behalten.“

Sie sieht mich zweifelnd an. Mist. Ich stehe hier und diskutiere mit unserem Hausspion über Namensrecht und Blumentöpfe, statt in die Redaktion zu starten.

„Ich muss nachsehen, ob die Töpfe ordnungsgemäß gesichert sind“, sagt die Frau resolut und versucht sich an mir vorbei in die Wohnung zu drängen.

Ich stelle mich ihr in den Weg. „Keine Zeit. Ein anderes Mal. Vielleicht wenn mein Mann da ist.“

„Sie wollen doch nicht, dass stattdessen die Polizei kommt?“

„Ist mir sogar deutlich lieber.“ Mein Mobiltelefon läutet. Vielleicht jemand aus der Redaktion. Allerdings: Was sollten die vor der Redaktionskonferenz … außer, es ist etwas passiert … Ich habe das Telefon schon auf meine Tasche gelegt, damit ich es in der Morgenhektik nicht vergesse. Ich nehme es in die Hand und dann passiert dreierlei:

Es hört zu läuten auf.

Die Hausmeisterin betritt das Vorzimmer.

Gismo stürzt sich auf sie. Eine Furie mit gesträubtem Fell, ausgefahrenen Krallen, fauchend, doppelt so groß wie üblich, eine pelzige Kampfmaschine. Gismo schlägt ihre Krallen in eine pralle Wade. Die Hausmeisterin schreit auf.

„Gismo!“, rufe ich anstandshalber.

Die Frau taumelt zurück, versucht Gismo abzuschütteln, aber keine Chance. Erst als sie es auf den Gang hinaus geschafft hat, lässt meine Katze von ihr ab, kommt mit immer noch gesträubtem Fell zu mir, schmiegt sich an mich.

Die Hausmeisterin starrt auf ihre zerrissene Strumpfhose, den blutigen Kratzer. „Das werden Sie bereuen!“, zischt sie. Als hätte ich Gismo auf sie gehetzt.

„Sie mag es nicht, wenn Fremde ungefragt in die Wohnung kommen“, sage ich so ruhig wie möglich und schließe die Tür. Gismo drückt ihren dicken Kopf an mein Bein. Sie wartet darauf, gelobt zu werden. Das sollte ich natürlich nicht tun. Aber Oskar ist ja nicht da. Ich streichle meine alte Katze und ihr Fell legt sich wieder so, wie es sein sollte. Wenn man von den verfilzten Stellen absieht, gegen die sich seit einiger Zeit nichts machen lässt. Eine Alterserscheinung, sagt unsere Tierärztin. Und eine Alterserscheinung ist es wohl auch, dass Gismo seit einigen Monaten ziemlich unleidlich reagiert, wenn Leute unsere Wohnung betreten. Immerhin: Mit achtzehn noch einen Drachen in die Flucht zu schlagen … Ist vielleicht nicht ganz fein, war aber extrem nützlich. Und schreit nach einem Beutel mit besonders gutem Futter für die ältere Katze. Wer weiß, was da drin ist. Vielleicht putscht sie das Zeug auf. Egal. Sie stelzt neben mir her, ein wenig steif, aber wen nehmen solche Auseinandersetzungen nicht mit. Und das Ragout mit Lamm und allem Möglichen ist in Windeseile verspeist.

Du liebe Güte. Die Redaktionskonferenz. Ich komme wieder zu spät. Aber vielleicht kann ich ja von Gismos Heldinnentat erzählen. Und eine Geschichte über Katzen in reiferen Jahren vorschlagen. Wäre einmal etwas anderes. Während ich nach meiner schwarzen Jacke suche – hatte ich sie nicht über den Schreibtischsessel gehängt? –, verzieht sich Gismo auf ihren Lieblingsplatz in der Ecke des Sofas.

Die Redaktionskonferenz läuft mit der üblichen Routine ab. Die Ressortleiter machen Vorschläge, man diskutiert über die Titelgeschichte. Ich erinnere an die geplante Story über Elektroautos und ernte ein Stöhnen vom Chronikchef, aber der ist schon aus Prinzip gegen alles, was ich vorschlage. Und ein Stöhnen vom Sportchef. Für den ist nichts interessant, das nicht mindestens fünfhundert PS hat, laut ist und stinkt. Als sie in der Formel 1 leisere Motoren eingeführt haben, war er tagelang unansprechbar. Droch sitzt da, als wäre er nicht von dieser Welt. In sich ruhend, ein Buddha im Rollstuhl, dem Nirwana nahe. Er könnte mich ruhig unterstützen. Immerhin ist er mein Lieblingskollege. Mehr noch. Er ist ein echter Freund. – Wenn er nicht gerade den Entrückten mimt. Oder mich zur Weißglut treibt, indem er derart verstaubte Positionen vertritt, dass man nur annehmen kann, er macht es, um mich zu reizen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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