Karibik all inclusive - Eva Rossmann - E-Book

Karibik all inclusive E-Book

Eva Rossmann

4,5

Beschreibung

Palmen, Meer und karibische Nächte - Mira Valensky hofft auf Idylle und findet sich im Streit zwischen zwei Hotels um den Platz an der Sonne wieder. Das kleine Apartmenthaus "Golden Sand" wird nur noch "Golden Sad" genannt, denn statt aufs Meer blickt man nun auf die Rückfront der neuen Luxusherberge der "Pleasures"-Kette. Von Korruption ist schon lange die Rede, doch dann wird auch noch ein Mitarbeiter des "Pleasures" erschossen ... Auf der einen Seite: Ein kühler Schweizer Hotelmanager, die schöne Vizedirektorin und die Tochter eines Ministers sowie deren muskelbepackte Wachmannschaft. Auf der anderen Seite: Michel, französischer Spitzenkoch, und seine nicht mehr ganz junge, aber sehr temperamentvolle Frau Bata sowie amerikanische Studenten, die seit Monaten gegen die Ausrottung der Schildkröten in der Bucht protestieren, und vor allem die Gewinnerin eines fast seriösen Preisausschreibens, Vesna Krajner, Miras Putzfrau und Partnerin in vielen schwierigen Lebenslagen. Dazwischen: Die Bevölkerung der Karibikinsel St. Jacobs, ein liebenswerter ehemaliger Weltklasseathlet und Mira Valensky, die sogar selbst in Verdacht gerät.

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Seitenzahl: 354

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Karibik all inclusive

Lektorat: Franz Schuh

© FOLIO Verlag, Wien • Bozen 2004

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dall’O & Freunde

© Umschlagfoto: visual media gmbh/B. Kolhas

Druckvorbereitung: Graphic Line, Bozen

Druck: Dipdruck, Bruneck

ISBN 3-85256-2283-XeISBN 9783990370056

www.folioverlag.com

Gewidmet St. Kitts und allen, die auf dieser Insel leben

[ 1. ]

Ich starre auf schwarze Leinenhosen. Ich sollte Oskars Schrank ausräumen, den Inhalt in zwei Koffer packen und sie vor seine Wohnungstür stellen.

Computersignal. E-Mail. Schneller, als ich denken kann, bin ich am Schreibtisch. Enttäuschung, als ich die Absenderadresse lese: „Daphnes Sunshine“. Da will mir schon wieder jemand eine Penisverlängerung anbieten (danke, ich bin gerne eine Frau) oder man möchte mir dringend zu Investitionen in afrikanische Goldgruben raten (danke, ich hab kein überflüssiges Geld und so wird es, fürchte ich, bleiben).

Schon will ich die Botschaft ungelesen löschen, als ich im Betreff „Karibische Gruesse“ lese. Vesna ist in der Karibik. Sie hat tatsächlich ein Preisausschreiben gewonnen. Eigentlich wollten die Organisatoren sie ja zu zweit auf die Reise schicken, bloß: Der zweite Platz wäre nicht gratis gewesen, sondern hätte ungefähr so viel gekostet wie üblicherweise eine Karibikreise für zwei Personen. Aber Vesna hat sich durchgesetzt und durfte allein und tatsächlich gratis fliegen. Oskar hat mit einem bösen Anwaltsbrief nachgeholfen. Oskar: Ob er sich wieder meldet? Jedenfalls liegt es an ihm, sich zu rühren, ich werde es nicht tun, auch wenn meine Gedanken im Kreis rennen, ob ich will oder nicht, immer um einen Mittelpunkt: Oskar.

Ich öffne die Nachricht. Sie ist tatsächlich von Vesna, meiner Putzfrau und Freundin in vielen Lebenslagen. Ich wünschte, sie wäre da. Ihre Art, die Welt praktisch zu betrachten, könnte mir momentan besonders gut tun. Stattdessen sonnt sie sich auf einer kleinen Karibikinsel mit dem Namen St. Jacobs.

„Liebe Mira Valensky,

ich sitze in Internetcafé und schicke Gruesse. Hier ist es sonnig und warm, das Meer ist Traum. Aber nicht lange reden: Vor unsere Apartmenthotel ist Luxushotel, das uns Blick aufs Meer nimmt. Großer Streit. Jetzt ist Mick, Wache von Luxushotel, erschossen. Und wer von meinem Hotel ist beschuldigt. Mein Englisch ist leider ‚bad‘, aber ich werde mich kuemmern. Der junge Oeko war es nicht, ist Amerikaner und protestiert mit Freunden gegen Luxushotel. Was sehr schoen ist. Hotel meine ich, aber Mafia. Melde mich wieder,

herzliche Gruesse auch an Gismo und Oskar

Vesna Krajner.“

Ich klicke auf „Antworten“, vielleicht erwische ich Vesna noch im Internetcafé. Woher kann sie überhaupt mit Computern umgehen?

„Liebe Vesna,

geniesse die Sonne und das Meer und lass dich in nichts hineintheatern, du kennst weder die Sprache noch die Mentalitaet. HALTE DICH BITTE HERAUS. Ich brauch dich noch, oder willst du, dass ich im Dreck ersticke? Ausserdem gibt es sicher auch auf St. Jacobs Polizei. Seit wann kannst du mailen? Gismo gruesst zurueck, erhole dich gut und lass wieder von dir hoeren, hier hat es drei Grad und es will nicht Fruehling werden, ciao

Mira.“

Vesna neigt dazu, ihre Nase in fremde Angelegenheiten zu stecken. Es gibt Menschen, die behaupten, ich wäre da ähnlich. Aber sich einen Karibikurlaub durch den Streit zwischen zwei Hotels vermiesen zu lassen – sicher nicht. Gismo drückt ihren Kopf an mein Knie, solche Zärtlichkeitsanfälle hat meine Schildpattkatze vor allem, wenn sie hungrig ist. Oder spürt sie tatsächlich, dass es mir nicht besonders gut geht? Der flammend orangerote Streifen auf ihrer Brust leuchtet, sie sieht mich mit kreisrund aufgerissenen Augen an. Ich streichle sie und seufze. Mit ihr bin ich deutlich länger zusammen als mit Oskar. Als ich es mit Oskar war, verbessere ich mich.

Wieder ein Mail.

„Erstens kann ich nicht ganzen Tag in Sonne liegen und zweitens habe ich Erfahrung mit so Dingen. Leider kannst du nicht mit mir sein, Mira Valensky. Menschen sind ueberall gleich, im Prinzip. Weiss ich von Bosnien und Wien. Sonst sperren sie Bata und Michel das Hotel, ist zwar mehr Bruchbude, aber ihres. Werde nur etwas nachsehen. Warum gruesst Oskar nicht zurueck? Mailen haben mir meine Zwillinge gelernt und ausserdem ist Oeko mit, nicht Verdaechtiger, anderer, der hilft. Amerikanische Aktivisten. Jetzt gehe ich mit ihm auf Polizei.

Herzliche Gruesse

Vesna Krajner.“

Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kann sie niemand aufhalten. Ich hätte kein Problem, nur in der Sonne zu liegen, zu schwimmen und zu lesen. Vor Jahren war ich zwei Wochen auf Antigua. Aber momentan lässt meine Kasse solche Sprünge nicht zu. Oskar wollte mit mir in die Karibik fliegen. Stattdessen hockt er jetzt schon Monate bei seinem großen Wirtschaftsprozess in Frankfurt und turtelt mit einer deutschen Kollegin. Ich hätte besser auf ihn aufpassen müssen. Wie? Ich hätte, wie er es wollte, mit ihm nach Frankfurt gehen sollen. Höhere Hausfrau spielen? Ist nichts für mich. Und da war die Sache mit dem „Apfelbaum“, dem Restaurant, in das ich mich verliebt hatte. Eine andere Art von Liebe, wenn auch gleichermaßen zeitaufwändig. Inzwischen ist alles anders dort. Meine Freundin Billy hat in Daniels Lokal gewechselt, gemeinsam sind sie hinter dem dritten Stern her. Kein Platz für eine Amateurin. Manninger ist mitsamt seiner amerikanischen Frau aus New York in den „Apfelbaum“ zurückgekehrt. Ich mag ihn, aber es ist nicht mehr so wie mit Billy. Vielleicht gehe ich heute zu Billy und Daniel ins „Offen“ essen. Vor 23 Uhr werde ich allerdings wohl keinen Platz bekommen, gut für sie.

Wie konnte sich Oskar nur in so eine dämliche Anwaltsziege verschauen? Sicher, sie ist schlank und irgendwie ganz hübsch. Okay, sie ist schlanker als ich und wohl auch hübscher, viel hab ich von ihr ja nicht gesehen, wahrscheinlich trägt sie diese teuren Kostüme, und karrieregeil ist sie auf alle Fälle. 34 und schon Teilhaberin einer Anwaltsfirma. Wer weiß, wie sie dazu gekommen ist.

Ich versuche mich einzubremsen, aber es geht eben doch tiefer als gedacht. Ich hätte mit ihm zusammenziehen sollen, als er es wollte, ihn heiraten. Dämlicher Freiheitsdrang. Jetzt bin ich unabhängig, und wie. Tolle Sache, Mira Valensky. Unabhängig, allein, einundvierzig. Ausgespielt.

Gismo kratzt mich, für ihre Verhältnisse vorsichtig, am Schienbein, ich zucke zusammen. Keine Tränen, die sieht ohnehin niemand. Hühnerkrägen für die Katze und für mich einen irischen Whiskey. Es ist erst drei am Nachmittag. Na und? Sieht mich ja keiner. Selbst in der Redaktion werde ich heute nicht gebraucht. Eigentlich sollte ich noch in Frankfurt sein … Was hat Vesna mit den amerikanischen Aktivisten, den Ökos gemeint? Sie kann nicht „bad“ Englisch, soviel ich weiß, kann sie gar nicht Englisch. Das Hotel, in dem sie wohnt, ist unter europäischer Führung – so steht es jedenfalls im Prospekt. Ein kleines Apartmenthotel, allein gelegen, davor ein Garten und vor dem der weitläufige Sandstrand. Irgendwo muss der Prospekt sein, ich krame auf meinem großen Mehrzwecktisch und finde ihn: „Golden Sand“, rechts eine Palme. Französische Küche, französischer Küchenchef und Besitzer. Er sieht freundlich und gutmütig aus, seine Frau wirkt wie in der Sonne eingedörrt: klein und dünn, aber sehr elegant in dem einfach geschnittenen weißen Kleid. Nichts zu sehen von einem zweiten Hotel. Vielleicht sollte ich … Vergiss es, Mira, du hast kein Geld. Genauer gesagt weniger als keines, das Konto ist im Minus. Nichts habe ich.

Durch das Küchenfenster sehe ich, wie die Regentropfen langsam in patzige Schneeflocken übergehen. Feuchtkaltes Wetter, jetzt schon die dritte Woche, dabei ist es Anfang März. Ich brauche Sonne und Wärme, um mich gut zu fühlen. Die Welt hat sich gegen mich verschworen.

Wieder das Computersignal, wieder hetze ich hin. Diesmal bieten sie mir eine Tablettenkur an, die mein bestes Stück länger, leistungsfähiger und überhaupt viel besser machen soll – ansonsten Geld zurück. Üblicherweise werfe ich so was gleich in den Papierkorb, aber heute antworte ich einem gewissen Jack Daniel. „Ich habe keinen Penis und will auch keinen, egal, mit welchen Dimensionen, mit freundlichen Grüßen.“ Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden gibt, der so was bestellt. Aber was ist bei Männern schon auszuschließen.

Noch einen Whiskey.

Ob man wirklich genau vor das idyllische Apartmenthotel ein anderes Hotel hingebaut hat? Vielleicht sollte ich Oskar ein Mail schicken, immerhin habe ich ihn ganz schön beschimpft und ihm befohlen, dass er mich in Ruhe lässt. Aber er müsste ja nicht tun, was ich will. Warum bin ich auch unangemeldet nach Frankfurt gefahren? Warum hat mich der Rezeptionist einfach so in sein Apartment gelassen? Okay, ich kannte den Code und seine Zimmernummer. Aber ein aufmerksamer Rezeptionist hätte gewusst, dass Oskar nicht allein war. Dann bin ich dagestanden: mit dem Zweitschlüssel und einem bunten Strauß Rosen in der Hand, voller Vorfreude. Sie trug Unterwäsche, lila Spitze, eher fliederfarben sogar, nicht mein Geschmack, jedenfalls eine eindeutige Sache. So bespricht man keine Akten. Gut, er ist hinter mir hergelaufen. Gut, er hat gesagt, dass das nur ein Ausrutscher gewesen sei und dass es eigentlich schon zu Ende wäre. Wer’s glaubt. Wäre es ihm ernst mit mir, würde er sich melden. Ich habe ihn für so verlässlich gehalten. Ein Fixpunkt in meinem Leben, groß und schwer, und wenn’s sein muss, auch was zum Anlehnen. Ich habe ihn unterschätzt. Oder überschätzt?

Ich könnte mich still besaufen. Aber wer hat etwas davon, wenn ich in die Klomuschel kotze? Manchmal hasse ich mich für die Fähigkeit, trotz allem weiterzumachen, nach vorne zu schauen. Aber im Überleben bin ich ganz schön gut. Ich fahre in die Redaktion. Irgendetwas wird es schon zu tun geben. Und später gehe ich zu Billy und Daniel. Und danach schlafe ich lange. Zuallererst aber drehe ich den Computer ab, am besten auch das Mobiltelefon. Er könnte ein SMS senden. Natürlich muss ich zuerst nachsehen, ob sich nicht irgendeine Nachricht still und heimlich in den Posteingang verkrochen hat. Aber da ist nichts. Gar nichts.

Den Regenschirm habe ich vergessen, ich lasse die Schneeregenflocken auf mein Gesicht klatschen, sie passen zu meiner Stimmung. Dicke Tränen vom Himmel – liebe Güte, Mira, jetzt werde nicht auch noch kitschig. Was dir passiert ist, kommt jeden Tag vor, das ist kein Rosamunde-Pilcher-Film mit sattgrünen Wiesen und dubiosen Leidenschaften, das ist Wien mit Matsch an den Straßenrändern und Autos, die einen von oben bis unten nass spritzen. Ich zeige einem BMW-Fahrer den Stinkefinger, steige fauchend in meinen kleinen Fiat und habe das Gefühl, dass es mir schon etwas besser geht.

Am Bürohochhaus prangt in riesigen Lettern das Motto: „Lesen Sie DAS!“ Etwas aufdringlich für meinen Geschmack, aber das passt zum Stil des „Magazins“. Es gibt Schlimmeres, als hier zu arbeiten. Zum Beispiel, in der Rechtsabteilung einer Versicherung zu versauern. Oder als Anwältin darauf zu warten, dass einen der große Wirtschaftsanwalt Oskar … Stopp, nicht schon wieder Oskar.

Zum Glück ist der Kollege, mit dem ich den Doppelschreibtisch teile, unterwegs. Ein paar Leute nicken mir zu, heute ist in unserer Wochenzeitung Redaktionsschluss, entsprechend konzentriert wird im Großraumbüro gearbeitet. Ich blättere die Post durch, keine interessanten Einladungen, ich gebe mein Passwort ein und warte, bis der Computer hochfährt. Höchste Zeit, dass wir schnellere Geräte bekommen. Der Ficus braucht dringend Wasser, das fällt sogar mir auf, dabei bin ich nicht gerade berühmt für meinen grünen Daumen.

„Warum bist du nicht in Frankfurt?“ Droch ist es gewohnt, präzise Fragen zu stellen. Er ist einer der wenigen ernst zu nehmenden Journalisten im „Magazin“ und leitet das politische Ressort. Seine Kommentare sind gefürchtet.

Ich drehe mich zu ihm um. „Weil ich Sehnsucht nach der Redaktion hatte.“

„Was ist los? Wenn du erlaubst: Du hast schon besser ausgesehen.“

„Danke.“

„Wir gehen in mein Büro.“

Droch bewegt sich im Rollstuhl geschickt zwischen Schreibtischen, Sesseln, Grünpflanzen, Papierkörben, Taschen und Zeitungen. Ich stolpere hinter ihm her. Er ist ein Freund. Ein guter Freund sogar, fast wäre er einmal noch mehr geworden. Aber das ist Jahre her. Es ist nicht daran gescheitert, dass er seit einem sagenumwobenen Einsatz als Kriegsberichterstatter in Vietnam querschnittgelähmt ist. Es ist auch nicht daran gescheitert, dass er sechzehn Jahre älter ist als ich, selbst am Umstand, dass er verheiratet ist, hat es nicht gelegen. Woran dann? Wir sind zu verschieden. Ich nenne ihn bisweilen einen konservativ-reaktionären zynischen Macho, und er weiß, was er von einer zu halten hat, die ausgerechnet im Ressort Lifestyle arbeitet. Wir mögen uns. Punkt. Zudem sieht er verdammt gut aus, wie ein Schauspieler aus der Zeit, in der sich Gesichter noch nicht während einer Saison abgenutzt haben. So irgendwas zwischen Paul Newman und Richard Gere.

Er schließt die Türe, zieht den Besuchersessel näher zu sich und deutet darauf. Brav setze ich mich nieder.

„Also?“

Ich will nichts erzählen. Droch war immer etwas eifersüchtig auf Oskar. Ich könnte es nicht ertragen, wenn er auch nur einen Hauch von Triumph angesichts meiner Misere zeigte. Oder wenn er über Oskar schimpfen würde. Das darf nur ich. „Oskar hatte zu viel zu tun“, sage ich nach einer viel zu langen Pause.

„Red schon, ich muss meinen Leitartikel fertig schreiben.“

Ich beginne wie ein kleines Mädchen, das sich das Knie angeschlagen hat, alles, was mir wehtut, herauszusprudeln. Ich sollte lernen, meine Emotionen zu beherrschen. Melodramatisch, auch wenn ich versuche, über die fliederfarbene Unterwäsche zu lästern. Von St. Jacobs, dem Golden Sand und Vesna erzähle ich auch. Und von Oskars Kasten. Zum Schluss entkommen mir gar noch ein paar Tränen. Droch markiert zwar gerne den Zyniker, aber er hält es nicht aus, wenn jemand weint.

„Ich weine nur aus Wut, weil ich so blöd gewesen bin“, krächze ich.

Droch sieht mich nicht an. „Wir gehen heute Abend essen. Wenn du willst, sogar in den Nobelschuppen deiner Freunde. Okay?“

Ich nicke und krame nach einem Taschentuch. Ausgerechnet in dieser Hose habe ich keines. Dafür finde ich den Zettel mit dem Code zu Oskars Zimmer.

„Oder …“ Er zögert und reibt sich nachdenklich die Nase. „Wo, hast du gesagt, ist Vesna? St. Jacobs?“

Ich nicke.

„Oder mir fällt noch etwas Besseres ein. Zahlt sich nicht aus, wegen irgendeines Mannes so am Sand zu sein.“

Ich versuche zu grinsen. „Das sagst ausgerechnet du, du alter Macho?“

„Eben, ich weiß, wovon ich rede.“

Ich stehe auf und küsse ihn auf die Wange. Liebesbeweise sind bei Droch so eine Sache.

„Ich muss schreiben. Bis später.“

Ich wische mir mit dem Ärmel meines Sweatshirts über die Augen, hoffentlich sind sie nicht rot. Aber zum Glück haben meine Kollegen im Großraumbüro zu viel zu tun, um sich für mich zu interessieren.

Ich rufe am Computer die neuesten Meldungen der Nachrichtenagentur auf, nichts, was mich interessieren könnte. Die Regierung behauptet wieder einmal, „einen großen Wurf“ getan zu haben. Womit wirft sie? Und wen oder was trifft sie? Ich sehe auf die Uhr, erst eine halbe Stunde vergangen, es dauert sicher noch, bis Droch fertig ist. Ob ich das Mobiltelefon wieder einschalten sollte? Nein. Mach dich nicht verrückt. Ich überfliege die Beiträge unseres Ressorts für das nächste Heft, wieder zwanzig Minuten totgeschlagen. Meine Reportage über die Gewinnerin des Starmania-Finales habe ich schon vor vier Tagen abgeliefert. Neunzehn und plötzlich ein Popstar. Ich wünsche ihr alles Gute. Und keine Anwälte, die …

Mein Telefon läutet. Ich soll zum Chefredakteur kommen. Woher weiß der überhaupt, dass ich da bin?

Unser Chefredakteur ist etwas jünger und etwas kleiner als ich. Und er verwechselt natürliche Autorität mit dem Unsinn, den sie ihm in Managementseminaren eingetrichtert haben. Aber unsere Auflage steigt ständig, und so lange wird er wohl auf seinem Posten bleiben.

„Mira Valensky“, sagt er überrascht, so, als ob nicht er mich hergebeten hätte. „Sie sehen gut aus.“

Ein Zeichen mehr für seine Sensibilität. Ich warte ab und sage nichts. Vielleicht will er mich feuern. Dazu braucht es bei einer ständigen freien Mitarbeiterin nicht viel. Es würde zum heutigen Tag passen. Und zum gestrigen. Ich überlege, was ich in der letzten Zeit angestellt habe. Okay, die Story über die Hochzeit von Claudia, der Schnulzenkönigin, war schon etwas böse. Oder vielleicht hat sich der neue TV-Koch beschwert, weil ich recherchiert habe, dass er bei der Lehrabschlussprüfung durchgefallen ist.

„Ich hab Ihnen einmal einen Bonus versprochen“, beginnt der Chefredakteur feierlich.

Oh ja, Geld könnte ich brauchen.

„Jetzt ist es so weit. Momentan ist ohnehin nicht viel los. Zwei Wochen Pleasures – ein Hotel in der Karibik. Der Pleasures-Konzern übernimmt die Übernachtungskosten, vorausgesetzt, Sie liefern eine nette Reportage. Aber wirklich nett. Und der Flug ist ein Gegengeschäft, die Fluglinie hat bei uns eine Menge Inserate geschaltet. Die Zeit ist natürlich unbezahlt und die Reportage ist quasi Ihre Gegenleistung. Na, ist das was?“

Meine Gedanken spielen mit mir Abfangen. Vesna in der Karibik und ich jetzt plötzlich auch, aber die Karibik ist groß. Pleasures klingt herrlich, aber mein Konto ist im Minus, kann ich mir drei Wochen ohne Einkommen leisten? Dumme Frage, natürlich nicht. Und so ein Karibikaufenthalt kostet nebenher auch noch einiges. Kühle Drinks an der Strandbar und so. Großartig. Ich strahle. „Auf welcher Insel?“

„St. Jacobs.“

Ich werde misstrauisch. So viel Zufall gibt es nicht. „Warum?“

„Droch hat gemeint, sie bräuchten Abwechslung.“

Wenn er dem Chefredakteur von meinen privaten Problemen erzählt hat, bringe ich ihn um.

„Er hat mit der Reiseredaktion geredet und die haben ohnehin im neu eröffneten Pleasures noch eine Einladung offen. Wie es ihm gelungen ist, gleich zwei Wochen herauszuschlagen …“

„Eine Journalisten-Gruppenreise?“ Das heißt, mit betrunkenen, schwitzenden Kollegen in einem überklimatisierten Bus zu angeblichen Sehenswürdigkeiten gekarrt zu werden. Danke.

„Sie allein. Einfach Urlaub machen und darüber schreiben. Wenn sie noch länger zögern, dann fahre ich selbst.“

„Okay!“ Ich schreie es fast. Vesna wird staunen. Ich drehe mich noch einmal um. „Danke.“

Als ich die Tür zu Drochs Zimmer aufmache, sagt er: „Das Ticket liegt am Flughafenschalter, Last Minute. Du fliegst morgen um sechs Uhr dreißig nach Amsterdam, von dort nach St. Maarten und von dort weiter nach St. Jacobs.“

„Woher hast du gewusst, dass ich zusage?“

„Du bist doch nicht ganz verrückt.“

„Danke für das ‚nicht ganz‘.“

„Gern geschehen.“

„Und für den Rest auch.“

„Selbstschutz, damit du mir nicht die Bude unter Wasser setzt, das kann ich nicht brauchen.“

„Du solltest mitkommen.“

„Ist mir viel zu heiß.“

Verrückt. Morgen soll ich in die Karibik. Weg vom Regenwetter und weg von trüben Gedanken.

„Das Pleasures liegt übrigens direkt vor dem Apartmenthotel, in dem deine Vesna wohnt. Luxus. Fünf Sterne.“

„Dann war der Wächter, der ermordet worden ist, vom Pleasures?“

„Du sollst Urlaub machen. Tu das, was du Vesna geraten hat: Misch dich nicht ein.“

„Ich werde in der Sonne liegen und lesen und schwimmen und knackig braun werden. Recht so?“

„Sehr recht. Und wenn du zurückkommst, gehen wir aus. Ich werde eine Menge von dem überkandidelten Luxuszeug essen, das du so liebst, und du wirst erzählen.“

Er will mich von Oskar trennen. Daher weht der Wind. Und wenn schon. Außerdem: Sind wir nicht ohnehin schon getrennt? In St. Jacobs gibt es ein Internetcafé. Außerdem werde ich Oskar heute noch ein Mail schicken, dass ich verreise. In die Karibik. Ich brauche ihn nicht, um in die Karibik zu fahren. Und das Beste: Vesna ist auch dort. Wenn ich richtig rechne, fliegt sie erst drei Tage vor mir zurück.

Ich muss heim. Packen. Dann schau ich noch zu Billy, ich werde die Nacht durchmachen, ich könnte ohnehin nicht schlafen, und so schlafe ich im Flieger wenigstens gut. Gismo. Verdammt, was mache ich mit meiner Katze? Ich kann sie schlecht einpacken.

„Was murmelst du?“, fragt Droch.

Ich schaue irritiert auf. „Gismo. Meine Katze. Kannst du sie nehmen?“

„Geht nicht, meine Frau hat eine Katzenallergie.“

„Es gibt eine alte Dame in meinem Haus, hoffentlich ist sie da, eigentlich ist sie immer da, aber sie geht früh schlafen. Bei ihr war Gismo schon. Sie füttert Gismo mit Schokoladekeksen, aber was soll’s.“

„Na also, dann los, und schönen Urlaub und lass einmal etwas von dir hören.“ Droch sieht drein wie der Weihnachtsmann persönlich. Ist er ja beinahe auch. Und was für ein nettes Exemplar.

Zum zweiten Mal am heutigen Tag wird er von mir geküsst, diesmal deutlich inniger, dann renne ich davon. Am Computer noch schnell die Abwesenheitsnotiz aktualisieren und aktivieren. St. Jacobs – ich kann es einfach nicht glauben.

[ 2. ]

Ich bücke mich und klettere in den kleinen Flieger der Surf Air, achtzehn Plätze zur freien Wahl, Sitze, deren Rückenlehnen nur durch das Gewicht der Passagiere aufrecht gehalten werden. Ich zwänge mich zu einem freien Platz in der dritten Reihe durch, klappe die Lehne nach oben, schnalle mich an. Das soll fliegen? Ich sehe mich um, fünf Weiße, elf Schwarze, die Kinder mit eingerechnet, alle scheinen daran zu glauben. Warum auch nicht? Dieses Flugzeug hat wenigstens so etwas wie … eine menschliche Dimension, es wirkt, als könnten die beiden Piloten tatsächlich noch etwas unternehmen, wenn der Motor versagt. In diesen supertechnisierten und vollcomputerisierten Riesenjets fühle ich mich ausgeliefert.

Der Motor hat nicht versagt.

Karibischer Wind, warm und kräftig. Das T-Shirt klebt an mir, alles klebt. Ich halte die Nase in die Luft, schnuppere Sonne und Sand und Meer und etwas Kerosin. Eigentlich überwiegt der Kerosingeruch, aber wo wären wir ohne unsere Phantasie? Mit Zwischenaufenthalten fünfzehn Stunden Reise. Jetzt bin ich gelandet. Aus dem Reiseführer weiß ich, dass der Vulkankegel in der Inselmitte immerhin 1300 Meter hoch ist. St. Jacobs wird von den Einheimischen auch St. Jack genannt. Bevölkerung: zirka dreißigtausend. Das Rollfeld bäckt vor Hitze. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und mir kommt vor, als könnte ich hinter der Straße und einem Stück Wiese das Meer sehen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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