Fading In Deep Waters - Julia Hausburg - E-Book

Fading In Deep Waters E-Book

Julia Hausburg

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Beschreibung

Die Winde auf hoher See enthüllen Geheimnisse, die besser verborgen geblieben wären …

Auf der Jacht Sapient Sailor bringt Vicky den Studierenden das Segeln bei und versucht ihrem Traum, Kapitänin zu werden, ein Stück näher zu kommen. Nachdem sie jahrelang gemobbt wurde, will sie endlich zu sich selbst finden. An Bord trifft sie auf den geheimnisvollen und überaus attraktiven Jakob. Mit Details über sein Leben geht er vorsichtig um, und er scheint unter enormem Druck zu stehen. Trotzdem übt er eine Anziehungskraft auf Vicky aus, die sie so bisher nicht kannte. Mit jeder Sekunde, die sie gemeinsam verbringen, wachsen ihre Gefühle füreinander. Doch als Jakobs wahre Identität ans Licht kommt, müssen sie sich entscheiden, ob sie trotz aller Hindernisse bereit sind, dem Sturm zu trotzen, der unweigerlich auf sie zukommt. Denn ihre Liebe ist verboten – aus mehr als einem Grund …
Spice-Level: 2 von 5

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Seitenzahl: 408

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Buch

Auf der Jacht Sapient Sailor bringt Vicky den Studierenden das Segeln bei und versucht ihrem Traum, Kapitänin zu werden, ein Stück näher zu kommen. Nachdem sie jahrelang gemobbt wurde, will sie endlich zu sich selbst finden. An Bord trifft sie auf den geheimnisvollen und wahnsinnig attraktiven Jakob. Mit Details über sein Leben geht er vorsichtig um, und er scheint unter enormem Druck zu stehen. Trotzdem übt er eine Anziehungskraft auf Vicky aus, die sie so bisher nicht kannte. Mit jeder Sekunde, die sie gemeinsam verbringen, wachsen ihre Gefühle füreinander. Doch als Jakobs wahre Identität ans Licht kommt, müssen sie sich entscheiden, ob sie trotz aller Hindernisse bereit sind, dem Sturm zu trotzen, der unweigerlich auf sie zukommt. Denn ihre Liebe ist verboten – aus mehr als einem Grund …

Die Autorin

Julia Hausburg wurde 1998 geboren und studierte Bildungswissenschaften, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Katzen in Bayern, liebt warmen Sommerregen und Schreibnachmittage im Café. Ihre »Dark Elite«-Reihe landete auf Anhieb auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Wenn die Autorin nicht gerade an ihrem nächsten Buch arbeitet, findet man sie mit einem spannenden Liebesroman in ihrer eigenen kleinen Bibliothek.

Lieferbare Titel

Dark Elite – Revenge

Dark Elite – Regrets

Dark Elite – Redemption

Fighting Through Deep Waters

Fleeing From Deep Waters

JULIA HAUSBURG

Fading

IN

Deep

WATERS

Roman

Band 3 der Deep Waters-Reihe

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

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Originalausgabe 11/2025

Copyright © 2025 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Redaktion: Michelle Stöger

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-32022-5V001

www.heyne.de

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet sich hier eine Triggerwarnung. Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch. Wir wünschen allen das bestmögliche Leseerlebnis.

Julia Hausburg und der Heyne Verlag

Kapitel 1

Rafael

Schon als Kind wusste ich, dass jemand versuchen könnte, mich zu ermorden.

Ich hatte die Gefahr immer abgetan. Egal, wohin ich ging, ich war stets von Bodyguards umgeben. Mir würde nichts passieren – davon war ich überzeugt.

Bis zu diesem Moment.

Als die Explosion hochgeht, werde ich von den Füßen gerissen und zurückgeschleudert. Staub und Trümmerteile fliegen mit mir durch die Luft. Ich pralle auf dem Boden auf, reiße die Arme schützend vors Gesicht. Flammender Schmerz schießt durch meine Wirbelsäule und lähmt mich. Ich sehe nichts mehr.

Panik frisst sich durch mich hindurch.

Das war’s. So fühlt es sich also an, zu sterben. Jeder Atemzug tut weh, scheint Löcher in meine Lunge zu reißen. Mein wild pochender Herzschlag dröhnt mir laut in den Ohren.

Ein Bild schiebt sich vor mein inneres Auge. Mein Vater, blass und zitternd in seinem Krankenbett. Wie er nach der Hand meiner Schwester greift, um …

Adriana!

Ein Adrenalinblitz jagt durch meinen Körper, bringt Leben zurück in meine Glieder. Ich dränge die Panik fort, darf mich von ihr nicht ausknocken lassen. Ich muss hier weg. Ich muss Adriana finden.

Jeder Millimeter meines Körpers schmerzt, und ich stütze ächzend die Arme am Boden auf, um mich hochzurappeln. Obwohl es sich anfühlt, als würde ich Feuer einatmen, zwinge ich mich, tief und gleichmäßig Luft zu holen.

Ich schwanke und taumle ein paar Schritte. Erst dann verpufft der Schleier auf meinen Ohren und das Chaos im Konferenzraum bricht mit voller Wucht über mich herein. Ich höre panische Schreie und Klagelaute. Rauch hängt in der Luft, zertrümmerte Stühle liegen im Raum verteilt, neben einem reglosen …

Scheiße, nein, ich kann das nicht sehen.

Ich wende mich hastig ab, suche weiter nach Adriana. Wo ist sie? Geht es ihr gut?

Kurz huscht mir der Gedanke durch den Kopf, dass sich all meine Wünsche und Träume erfüllen würden, sollte ihr etwas passiert sein. Ich hasse mich selbst dafür.

»Adriana?«, rufe ich, doch es kommt nur als heiseres Krächzen aus meiner trockenen Kehle. Ich huste, als ich einen Schwall grauen Rauch einatme.

Plötzlich schlingen sich zwei Arme um meinen Oberkörper, und ich schreie auf. Jemand schirmt mich ab, reißt mich mit sich. Erst das Attentat, jetzt ein Entführungsversuch? Panisch winde ich mich in dem festen Griff.

»Ruhig, Infant!«, ruft der Entführer. Ich erkenne seine Stimme und höre sofort auf, mich zu wehren. Es ist Ramon, mein Bodyguard.

Hastig zieht er mich durch den Raum, direkt auf den Notausgang zu.

»Wo ist Adriana?« Meine Stimme klingt brüchig, leise. Ich wiederhole die Frage, doch Ramon gibt mir keine Antwort.

Die Panik kehrt zurück und diesmal kann ich sie nicht vertreiben. Sie wütet mit beißenden Flammen in meinem Inneren. Immer wieder schreie ich Adrianas Namen, versuche mich aus Ramons Griff zu befreien.

Ich muss meine Schwester finden.

»Beruhigen Sie sich!«, herrscht er mich an.

Mir liegen unzählige wüste Beschimpfungen auf der Zunge, doch bevor ich auch nur eine davon aussprechen kann, schiebt er mich in einen schmalen Raum und lässt mich endlich los. Ich taumele nach vorne, pralle gegen einen Stuhl und klammere mich daran fest.

»Wo ist Adriana?«, brülle ich blind vor Angst und Wut.

»Ich bin hier«, erklingt ihre Stimme ein paar Meter vor mir.

Ein warmer Schauer rieselt durch mich hindurch, und ich reiße den Kopf hoch. Ich entdecke sie im hinteren Teil des Raumes, wo sie zusammengesunken auf einem Stuhl kauert. Sofort laufe ich zu ihr, ignoriere die anderen Personen um mich herum.

Ich falle vor ihr auf die Knie, suche sie eilig nach Verletzungen ab. Bis auf eine Schramme an der Schläfe und Dreck an den Wangen kann ich nichts entdecken. »Geht es dir gut?«

»Ja, mir ist nichts passiert.«

Erleichterung lässt mich all die schmerzenden Stellen meines Körpers mit einem Mal vergessen.

»Bist du auch okay?«, flüstert Adriana ängstlich.

Ich nicke und streiche ihr beruhigend durchs Haar, bevor ich aufstehe und mich umdrehe. Kalt mustere ich die Personen, die uns eigentlich schützen sollten.

Ein tiefes Grollen steigt in meiner Kehle auf. »Wie zur Hölle konnte das passieren?«

***

Stunden später wird ein Tatverdächtiger festgenommen, der zugibt, den Anschlag auf der Pressekonferenz anlässlich der Zukunft des Königshauses geplant zu haben. Unzählige Menschen wurden dabei verletzt. Und alles nur, weil wir nicht länger vor der Öffentlichkeit verbergen konnten, dass Vater krank ist. Dass er sich auf seine Genesung konzentrieren muss und bald die Krone an Adriana übergeben wird.

Die erste Frau jemals, die den katalanischen Thron besteigen wird.

Das plötzliche Ziehen in meinem Inneren lässt mich beinahe zusammenzucken. Schnell vertreibe ich es und konzentriere mich wieder auf die Konferenz. Wir können von Glück sprechen, dass niemand bei dem Anschlag umgekommen ist. Seit Vaters Zustand publik wurde, herrschen politische Spannungen in Katalonien, und dass es die Explosion überhaupt gab, ist ein ernst zu nehmendes Problem.

Jetzt sitzen Adriana und ich im Versammlungsraum des Palasts, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Mit uns am Tisch befinden sich Pere Roca, der Chef des königlichen Sicherheitsdiensts, unsere Bodyguards, einige Minister, Berater und Sekretäre sowie der Pressesprecher.

Niemals hätte ich gedacht, dass dieser Tag noch schlimmer werden könnte. Bis Pere verkündet, welche Konsequenzen der Anschlag für mich hat.

»Ich soll ein halbes Jahr auf einem Segelschiff verbringen?«, wiederhole ich fassungslos.

»Es ist zu gefährlich für Sie in Barcelona«, sagt Pere. »Wir müssen Sie aus der Schusslinie bringen. Vorerst dauerhaft. Auf dem Schiff sind Sie sicher. Sie werden eine neue Identität annehmen, und Ihr Aufenthaltsort unterliegt oberster Geheimhaltung, bis sich die Lage beruhigt hat.«

»Und Adriana?«

»Die Kronprinzessin wird hier gebraucht.«

Ein Stich fährt mir in die Brust. Meine Schwester ist wichtig, aber ich bin nicht mehr als eine repräsentative Spielfigur, die man nach Belieben versetzen kann. »Was ist mit meinem Studium?«

Der Abschluss in Sozial- und Militärwissenschaften bildet die Grundlage, um künftig diplomatische Missionen für mein Land zu übernehmen. Das ist alles, was mir noch bleibt.

»Durch das Auslandssemester können Sie Ihr Studium um eine praktische Ausbildung in Nautik erweitern. Die Kurse erfolgen auf Deutsch, was dank der Wurzeln Ihrer Mutter kein Problem für Sie darstellen dürfte. So spontan noch einen Platz für Sie zu arrangieren, war nicht leicht, das kann ich Ihnen versichern.«

Fast hätte ich geschnaubt. Niemand schlägt einer Königsfamilie einen Wunsch ab.

»Vermutlich waren Sie nicht das Hauptziel des Anschlags.« Peres Blick zuckt kurz zu Adriana, die kerzengerade neben mir sitzt. »Doch Ihr Schutz steht an oberster Stelle. Sehen Sie die Zeit auf See daher als Dienst an der Krone.« Er weiß, dass er mir damit jegliche Diskussionsgrundlage nimmt. »Der König hat die Entscheidung bereits abgesegnet.«

Ich knirsche mit den Zähnen und wünschte, mein Vater wäre hier und würde es mir ins Gesicht sagen. Wir haben keine enge Beziehung zueinander, da er sich auf Adriana fokussiert hat und ich als Zweiter in der Erbfolge zu großen Teilen von einer Nanny aufgezogen wurde. Trotzdem schafft er es mit seinen plausiblen Argumenten jedes Mal, mich zu besänftigen. Ich sollte ihn später besuchen. Obwohl …

Mir bleibt noch eine letzte Option, die Katastrophe zu verhindern. Hilfesuchend wende ich mich an Adriana. »Willst du gar nichts dazu sagen?«

Wenn sie sich dagegen ausspricht und mich an ihrer Seite behalten möchte, lässt sich Vater umstimmen. Adriana ist sein Goldmädchen.

Sie sieht mich ein paar Sekunden schweigend an, bevor sie kaum merklich den Kopf schüttelt. »Ich will, dass du in Sicherheit bist, Rafael.«

Meine Schultern sacken herab. »Das kann nicht dein Ernst sein.«

»Pack deine Sachen«, weist sie mich in diesem Tonfall an, den ich verabscheue. Sie ist nur zwei Jahre älter als ich, aber wann immer sie so mit mir spricht, erkenne ich nicht länger meine Schwester in ihr, sondern die zukünftige Königin. »Ich werde dir morgen früh jemanden schicken, der deine Haare färbt. Möchtest du dir für die neue Identität selbst einen Namen auswählen? Vorzugsweise einen deutschen.«

Ich balle die Hand auf dem Konferenztisch zur Faust. »Das ist doch alles Irrsinn!«

Adrianas Blick ist entschlossen, ihre Schultern sind gestrafft, das Kinn gereckt. Die Entscheidung ist längst gefallen. Für sechs Monate werde ich auf ein verdammtes Schiff verbannt. Egal, was ich jetzt sage.

Heftig blinzele ich, aber ich wache nicht auf, bleibe in diesem Albtraum gefangen.

Kapitel 2

RafaelJakob

Die Masten der Sapient Sailor ragen wie Lanzen in den blauen Sommerhimmel. Ich habe schon viele verschiedene Schiffe im Hafen von Barcelona gesehen, doch dieses hier ist besonders. Weltweit gibt es nur wenige Segelschiffe, die mehr als drei Masten haben. Ein umgebautes Kreuzfahrtschiff, das Auslandssemester ermöglicht, ist ein einzigartiges Konzept.

Ich sollte Vorfreude in mir spüren, stattdessen empfinde ich nur Groll, als ich das Schiff betrachte. Am liebsten würde ich umkehren, aber das wäre zwecklos. Der Privatjet meiner Familie hat längst wieder aus Los Angeles abgehoben. Außerdem war die Botschaft meiner Schwester und der königlichen Berater deutlich.

Das hier ist die Aufgabe, die mir zugeteilt wurde. Untertauchen, keine Probleme machen, die Nautikausbildung absolvieren.

»Bereit, Infant?«, fragt Ramon leise.

»Du weißt, dass du mich hier so nicht mehr nennen darfst.«

Er schmunzelt. »Ein letztes Mal, bevor du die Gangway betrittst.«

Bevor ich mich in mein Exil begebe, meint er wohl.

Auf dem Pier ist es ruhig, die Studierenden reisen erst ab mittags an, das hat Pere mit der Universitätsleitung abgesprochen. Was meine frühere Ankunft bringen soll, wenn ich danach sowieso sechs Monate lang von den Studierenden umgeben sein werde, erschließt sich mir nicht. Aber ich habe gelernt, manches nicht zu hinterfragen. Nicht in meiner Position.

Ich straffe die Schultern und stolziere auf die Gangway. Zumindest bis ein scharfes Räuspern mich innehalten lässt.

Ich drehe mich zu Ramon um. »Was?«

»Hast du nicht etwas vergessen?« Auf seinen Lippen liegt noch immer dieses Grinsen. Er deutet auf die Koffer um ihn herum. »Ein einfacher Student trägt sein Gepäck selbst.«

Am liebsten hätte ich ihm eine Ansage gemacht, doch ich schlucke sie runter. Er hat recht. Dinge, die für mich sonst selbstverständlich waren, ändern sich nun.

Mit verkniffenem Gesicht gehe ich zurück, packe meine Koffer und zerre sie die Gangway hinauf. Unter mir schwappt das dreckige Hafenwasser gegen den Schiffsrumpf und den Pier. Müll schwimmt darin und ein fauler Gestank steigt auf. Wird Zeit, dass wir auf den Pazifik hinauskommen.

Oben empfängt uns eine Frau mit hellbraunen Haaren und Brille. »Willkommen«, begrüßt sie uns. »Sie sind aber früh dran.«

Nur der Dekan weiß von meiner wahren Identität. Ich überlege, was ich sagen soll, aber Ramon ist schneller: »Wir haben eine Sondergenehmigung von Professor Waldmann.«

»Ah, ich erinnere mich. Schön, dass Sie da sind. Wie sind Ihre Namen?«

»Jakob Nowak und Ramon Lopez«, antworte ich. Ramons Rolle wird ebenfalls geheim bleiben. Er wird mich als Student in die Vorlesungen begleiten. Seinen Namen behält er, denn seine Sprachkenntnisse sind zwar gut, aber reichen nicht aus, um ihn glaubwürdig als Deutschen auszugeben. Für ihn ist es eine Fremdsprache, die er erst während der Ausbildung zum Bodyguard gelernt hat. Daher hat sein Lebenslauf das Upgrade »Austauschstudent aus Katalonien« bekommen. Natürlich an der Uni Kiel, damit sich niemand wundert, woher wir uns schon so gut kennen. Pere hat wirklich alles durchdacht. Trotzdem hätte ich am liebsten widersprochen. Denn Ramon ist achtundzwanzig. Mit seinem dunklen Buzzcut, dem dichten Bart und den kantigen Gesichtszügen sieht er definitiv älter aus als der durchschnittliche Bachelor-Student.

Die Frau kramt in einer Kiste mit Umschlägen, bis sie zwei hervorzieht und uns überreicht. »Hier drinnen befinden sich Ihre Bordkarten, die gleichzeitig Ihre Kabinenschlüssel und ein Zahlungsmittel sind. Sie haben Kabine 412, ein Deck unter uns auf Backbordseite.«

»Vielen Dank«, sage ich.

»Abendessen gibt es um achtzehn Uhr, danach ist der Icebreaker-Abend. Sie sind so früh hier, Sie möchten sich bestimmt etwas umsehen. Auf dem Oberdeck wird später eine Menge los sein, bis elf Uhr sollten Sie eine Runde ohne Trubel drehen können.«

Erneut bedanke ich mich bei ihr, bevor ich mich zum Treppenhaus wende. Ich habe nicht vor, einen Erkundungsspaziergang zu unternehmen. Oder zu diesem Icebreaker-Abend zu gehen. Ich will einfach nur meine Aufgabe erfüllen und dann nach Hause zurückkehren.

Die Teakholzbretter sind glatt und knarzen ab und an unter meinen Schritten. Ramon folgt mir schweigend bis zum Treppenhaus und von dort in den Fahrstuhl. Ruckelnd setzt er sich in Bewegung und spuckt uns ein Stockwerk tiefer aus.

Umständlich hieve ich meine Koffer hinaus auf den Gang. Er ist mit blauem Teppichboden ausgelegt, kleine weiße Knoten sind darauf gedruckt. Die Wände sind bis auf Oberschenkelhöhe mit braunen Holzvertäfelungen verziert und darüber weiß gestrichen. Rechts gehen Türen ab, links gibt es einen glänzenden Handlauf, an den ich prompt mit meinem größten Koffer anecke.

Wenn ich daran gedacht hätte, dass ich mein Gepäck von nun an selbst tragen muss, hätte ich weniger eingepackt. Zum Glück ist es bis zur Kabine nicht weit.

Etwas neugierig bin ich jetzt doch, als ich die Tür mit der Bordkarte öffne. Die Kabine ist geräumiger, als ich es mir vorgestellt habe. An der Außenwand sind zwei Einzelbetten mit Nachtschrank und Lämpchen platziert, jeweils unter einem Bullauge. Sie lassen sich mit goldenen Stoffvorhängen abdunkeln, obwohl ich lieber ohne schlafe, um morgens von den ersten Sonnenstrahlen geweckt zu werden. Vermutlich wird Ramon dagegen sein Veto einlegen.

An der linken Kabinenwand hängt ein Flachbildfernseher und daneben steht ein Schreibtisch. Gegenüber lädt ein anthrazitfarbenes Sofa zum Verweilen ein. Es besitzt dasselbe knotenförmige Muster wie der Teppichboden im Flur.

Außerdem gibt es einen Tisch mit zwei Stühlen, einen Minikühlschrank und eine Schrankwand, um Kleidung und Schuhe zu verstauen.

Ich mag die edle Atmosphäre des Raums, die sich auch im Marmor des Badezimmers widerspiegelt. Alles wirkt hochwertig und neu.

»Zufrieden?«, fragt Ramon, nachdem ich von meiner Erkundungstour aus dem Bad komme.

»Ja, ich denke, hier lässt es sich die nächsten Monate aushalten.«

Mein Blick streift den Spiegel, der neben der Badezimmertür hängt, und ich zucke zusammen. Das Blond meiner Haare ist ungewohnt, genauso wie das glatt rasierte Kinn. Selbst meine Augen sind durch farbige Kontaktlinsen verändert.

Ich sehe nicht mehr aus wie ich selbst. Kein bisschen.

Ein flaues Gefühl steigt in meinem Magen auf.

»Alles okay?«, fragt Ramon sofort.

Schnell vertreibe ich das beklemmende Gefühl und nicke. »Ja, klar, alles bestens.«

Mein Handy vibriert. Froh über die Ablenkung ziehe ich es aus der Hosentasche und werfe einen Blick auf das Display.

Merrit:

Hey, Rafael. Ich habe vom Anschlag gehört. Geht es dir gut?

Am liebsten hätte ich geschnaubt. Sie interessiert sich doch sonst auch nicht für mein Leben oder dafür, wie es mir geht. Ich überlege, ihre Nachricht zu ignorieren, entscheide mich dann aber dagegen. Mein Pflicht- und Höflichkeitsgefühl siegt mal wieder. Schließlich werde ich noch so einige Jahre mit Merrit, der Prinzessin von Dänemark, verbringen müssen.

Rafael:

Keine Sorge, mir fehlt nichts. Zwei Gäste und jemand von der Security wurden ins Krankenhaus eingeliefert, aber zum Glück wurde niemand ernsthaft verletzt.

Ich stecke das Handy weg, entscheide mich für das rechte Bett und beginne mit Auspacken.

***

»Du solltest heute Abend zum Icebreaker gehen«, sagt Ramon ein paar Stunden später.

Ich stöhne auf. Er hört einfach nicht auf, mich mit diesem Thema zu nerven. »Ich habe es schon mehrmals gesagt. Ich bin hier, um mich in meinem Studium weiterzubilden, nicht um auf Partys zu gehen.«

»Du solltest dich wie ein normaler Student verhalten, Ra… Jakob.«

»Mich normal verhalten? Während mein Vater krank ist und Adriana in Gefahr?«, frage ich aufgebracht.

Ramon sieht mich durchdringend an, bleibt aber vollkommen gelassen. Manchmal nervt es, dass ihn nichts aus der Ruhe bringen kann.

»Deine Familie bekommt das zu Hause hin. Die Sicherheitsvorkehrungen sind erhöht worden, niemand kommt mehr an Adriana heran. Du solltest dir keine Sorgen machen, sondern versuchen, das Semester zu genießen. Eine Chance wie diese bekommst du nie wieder. Mal einen Sommer die Sau rauszulassen, undercover zu sein. Wenn du zurück zu Hause bist, wirst du dein Studium beenden und deine Position im Dienst der Krone antreten. Und das war’s. Aber jetzt kannst du dich neu erfinden, Spaß haben, was erleben. Schmeiß diese Chance nicht weg.«

Ich denke darüber nach, was er gesagt hat. Ich wollte immer nur für mein Land da sein. Der Krone dienen. Auf dieses Ziel habe ich mein ganzes Leben ausgerichtet, seit ich als kleiner Junge begriff, was mein Vater mir verwehrt hat. Nach Adrianas Geburt änderte er die Verfassung, sodass zum ersten Mal nicht automatisch der männliche Nachkomme der zukünftige König ist, sondern auch eine erstgeborene Frau Thronerbin werden kann. Jahrhundertelang wäre ich der Kronprinz gewesen – doch dieses Recht wurde mir genommen, ohne, dass ich mich überhaupt hätte beweisen können. Sofort spüre ich, wie sich Unmut in mir regt. Um jeden Preis will ich zeigen, was in mir steckt und dass ich mehr kann, als nur einen Platz in der zweiten Reihe einzunehmen. Doch was, wenn Ramon recht hat? Jetzt habe ich die einmalige Chance, sechs Monate lang jemand anderes als der Infant von Katalonien zu sein, wenn ich das möchte. Ich könnte eigene Entscheidungen treffen, ohne jedes Mal abzuwägen, ob es das Beste für das Königshaus wäre oder ob ich meinem Vater damit beweisen könnte, dass er die Verfassung nicht hätte ändern sollen.

»Ich überleg’s mir, aber auf den Icebreaker habe ich trotzdem keine Lust.«

Ramon zuckt mit den Schultern. »Na gut, dann bleiben wir hier. Willst du einen Film schauen?«

Ich runzele die Stirn. »Mit meinem Bodyguard?«

Er stählt die Brust und grinst. »Mit deinem besten Freund und Mitbewohner.«

Ich schnaube. »Dir gefällt das hier alles viel zu gut.«

Ramon wird ernst. »Ich liebe meinen Job und die nächsten sechs Monate ist er verbunden mit Sonne, weißen Sandstränden und tropischen Früchten. Ganz ehrlich, was will man mehr?«

Ich seufze ergeben. »Lass uns einen Film schauen. Aber ich wähle aus.«

Ramon lacht auf. »Das Herumkommandieren wirst du dir schnell abgewöhnen müssen. Besser, wir fangen direkt damit an, indem ich aussuche.«

»Ich hätte dich feuern lassen sollen, bevor wir zusammen in einer Kabine eingepfercht wurden.«

»Red dir das nur weiter ein, aber mir kannst du nichts vormachen. Insgeheim magst du mich.« Er zwinkert mir zu, wirft sich aufs Sofa und schaltet den Flachbildfernseher an der Wand ein.

Er entscheidet sich für einen Actionfilm, und ich setze mich neben ihn. Kurz darauf dröhnen Schüsse und Kampflärm durch den Raum. Unwillkürlich spanne ich mich an und als eine Granate hochgeht, zucke ich heftig zusammen. Was ist nur los mit mir? So kenne ich mich sonst gar nicht.

Aber das war vor dem Anschlag.

Sofort hallen die Schreie wieder in meinen Ohren, die Panik liegt greifbar in der Luft, und ich rieche den Rauch. Mein Puls rast und ich blinzele gegen die Erinnerungen an.

Es ist nur ein Film, beruhige ich mich selbst und frage mich gleichzeitig, worauf ich mich hier eingelassen habe.

Kapitel 3

Vicky

In wenigen Stunden legt die Sapient Sailor ab. Ich kann es kaum erwarten, endlich ganz von Wellen umgeben zu sein. Sie strahlen eine Ruhe aus, von der ich schon als Kind nie genug bekommen konnte. Eine hektische Großstadt wie Los Angeles hingegen ist nichts für mich. Um mich so richtig wohl zu fühlen, brauche ich die Weite des Meeres, das Glitzern der Sonne auf den Wellenkämmen und die Freiheit des endlosen Himmels.

Schon immer war das alles, was ich wollte. Alles, was nötig war, um glücklich zu sein.

Genau wie bei ihm.

Meine Kehle schnürt sich zusammen, wie jedes Mal, wenn ich an Großvater denke. Gleichzeitig ist da eine intensive Wärme in mir, die von Dankbarkeit und Liebe für diesen großartigen Mann zeugt.

Er hat mir die Leidenschaft zum Meer vererbt, meine Begeisterung für Schiffe angefacht und mir alles über das Segeln beigebracht.

Ohne ihn wäre ich nicht hier, hätte niemals den Job als Segellehrerin an Bord ergattert. Ehrlich gesagt, will ich mir gar nicht ausmalen, wo ich ohne meinen Großvater, der mich in früher Kindheit bei sich aufgenommen hat, überhaupt gelandet wäre.

Ein Klirren im angrenzenden Badezimmer reißt mich aus meinen Gedanken. Es folgt ein Fluch, und kurz darauf späht meine Mitbewohnerin Paula aus der Badezimmertür.

»Vicky, es tut mir schrecklich leid, aber …« Sie ringt die Hände, sucht nach Worten. »Oh Mann, komm bitte her und schau selbst.«

Ich rolle mich aus dem Bett und dehne die Nackenmuskeln. Vielleicht hätte ich doch das ergonomische Kissen einpacken sollen. Aber ich wollte mich nicht direkt als Granny im Herzen outen. Jetzt werde ich dafür mit Verspannungen bestraft.

»Bitte kill mich nicht«, sagt Paula, als ich an ihr vorbei ins Bad schaue. Ein blumiger Duft strömt mir entgegen, der von der Pfütze am Boden stammt. Dazwischen liegen lilafarbene Scherben, die einst ein Parfümflakon waren.

»War es sehr teuer?«, fragt Paula, während ich schweigend auf den Marmorfußboden starre. »Oder was Besonderes? Es tut mir so leid! Wir kennen uns erst seit gestern und schon starte ich unser Zusammenleben mit einem Missgeschick.«

»Es ist nicht schlimm«, beruhige ich sie. »Ein ganz normales Parfüm aus der Drogerie, mach dir keine Gedanken.«

Sie atmet erleichtert auf. »Dann hole ich mal Putzzeug.«

Paula eilt aus der Kabine, und mein Blick huscht zurück zum zerbrochenen Flakon. Ich habe sie angelogen. Das Parfüm habe ich in einem Workshop selbst kreiert. Großvater hatte ihn mir geschenkt, damit ich mal aus der Segelschule rauskomme, in die ich mich nach dem Abitur verschanzt habe. Leider habe ich bei dem Kurs genau die Mitschülerin wieder getroffen, die ich lieber für immer vergessen hätte. Vielleicht ist es also gut, dass der Flakon jetzt kaputt ist. Auch wenn ich Paula in erster Linie beruhigt habe, weil ich nicht möchte, dass sie sich schlecht fühlt. Wir teilen uns erst seit gestern diese Kabine, und ich mag sie, wir haben uns auf Anhieb gut miteinander verstanden.

Im Badezimmerspiegel bemerke ich, dass der Ärmel meines Schlafanzugoberteils hochgerutscht ist und meinen linken Unterarm entblößt. Die hellen Flecken breiten sich mit einem Muster auf der Haut aus, in dem ich nie einen Sinn erkennen konnte.

An der Tür rumpelt es, und ich ziehe schnell den Ärmel runter. Gerade rechtzeitig, denn schon rauscht Paula mit einem Eimer samt Lappen und Kehrblech herein.

»Ich mach das«, sagt Paula, als ich ihr den Lappen abnehmen will, und schiebt entschlossen meinen Arm fort. Sie geht in die Hocke, und ich schaue stumm dabei zu, wie sie die Überreste einer Erinnerung fortfegt, von der ich erst jetzt kapiere, dass sie genau mit diesen Scherben am Boden in mein Herz gestochen hat. Irgendwie ist es fast erleichternd, das lila Glas im Eimer verschwinden zu sehen.

»Wann bist du gestern Abend eigentlich zurückgekommen?«, frage ich, nachdem Paula fertig ist. »Ich habe dich überhaupt nicht gehört.«

Meine Mitbewohnerin arbeitet als Barkeeperin auf dem Schiff. Gestern fand ein Icebreaker-Abend für die Studierenden statt, bei dem sie an der Bar Getränke ausgeschenkt hat.

»Kein Wunder, du hast geschlafen wie ein Stein«, erwidert sie grinsend. »Es war ungefähr zwei Uhr.«

Meine Augen weiten sich. »Das ist keine fünf Stunden her, du musst total müde sein. Warum bist du schon auf den Beinen?«

»Ich will das Ablegen nicht verpassen. Aber ja, ich bin echt fertig, wahrscheinlich habe ich deshalb dein Parfüm von der Ablage gestoßen.« Wie aufs Stichwort gähnt sie. »Hast du eigentlich mal in den Spiegel gesehen?«

»Warum?« Erschrocken huscht mein Blick zu meinem Oberteil. Ist irgendwas verrutscht? Hat Paula etwas gesehen? Wird sie mich begaffen, so wie meine Mitschüler früher?

»Du hast dir gestern einen ordentlichen Sonnenbrand geholt.«

Erleichtert atme ich aus und trete näher an den Spiegel heran. Ohne Kontaktlinsen sehe ich nicht allzu gut, aber jetzt erkenne ich das Rot auf meiner Nasenspitze und den Wangen ebenfalls. Wahrscheinlich habe ich mir den Sonnenbrand gestern bei der Einschiffung der Studierenden eingefangen, bei der ich für das Kontrollieren der Impfpässe verantwortlich war. Alle Passagiere mussten vor der Anreise Pflichtimpfungen absolvieren. Es war so heiß, dass ich mich wie ein Grillhähnchen gefühlt habe.

»Ich habe meine Sonnencreme zu Hause vergessen.«

»Nimm ruhig was von meiner.« Paula kramt in ihrer Kosmetiktasche und zieht eine Tube heraus. »Wie musst du heute arbeiten?«

»Beim Ablegen soll den Studierenden demonstriert werden, was sie in meinen Segelschichten in den nächsten Monaten lernen werden. Anschließend geht’s dann in die Vorlesung.«

»Ich habe das noch immer nicht verstanden. Du bist als Segellehrerin tätig, aber gleichzeitig Nautikstudentin?«

»Nicht ganz. Ich darf als Gegenleistung für meinen Unterricht an allen Nautikvorlesungen und Ausflügen teilnehmen. Mein Studium beginne ich aber erst ab nächstem Herbst.« Und komme damit meinem Traum, Kapitänin zu werden, einen großen Schritt näher.

»Okay, und warum?«

Ich habe diese Frage befürchtet und wie immer zieht sich mein Magen bei diesem Thema unangenehm zusammen. Ich schiebe die Erinnerungen an meine Dummheit in der Vergangenheit beiseite und mahne mich zur Ruhe. Vor meiner Anreise habe ich mir extra eine perfekte Halbwahrheit zurechtgelegt. »Mit dem Auslandssemester sammele ich eine zusätzliche Qualifikation für meine Bewerbung und zwei Wartesemester.«

»Klingt spannend.«

Erleichtert, dass die Erklärung funktioniert, nicke ich und zwinge mich zu einem Lächeln. Niemand muss wissen, warum ich die Zeit bis zum Studium wirklich überbrücke. Es ist fast fünf Jahre her. Lange muss ich das Geheimnis nicht mehr mit mir herumtragen. Nach fünf Jahren wird mein größter Fehler gelöscht werden. Dann kann ich die Vergangenheit vergessen, mich endlich an meiner Wunsch-Uni bewerben und den Grundstein für meinen Weg als Kapitänin legen. So, wie ich es mir oft mit Großvater erträumt habe.

Ein echtes Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus, als ich mich selbst als Kind vor mir sehe, wie ich am Bug von Großvaters Segelschiffen stehe − mit seiner alten Kapitänsmütze auf dem Kopf.

Er hat nie von mir erwartet, in seine Fußstapfen zu treten, und doch ist es passiert. Mein Traum gehört uns beiden.

Kapitel 4

RafaelJakob

Bei der Begrüßung und Einführung im Theater, dem großen Saal am Heck des Nautikdecks, höre ich nur mit halbem Ohr zu. Anschließend werden die Studierenden für das Ablegen auf das Horizontdeck gebeten. Ramon und ich kommen im Gedränge nur langsam voran.

Ich kann mich an keinen Moment erinnern, in dem ich je zuvor so dicht von so vielen Personen umgeben war. Im engen Treppenhaus ist kein Ausweichen möglich. Ein flaues Gefühl breitet sich in meinem Magen aus, zusammen mit Erinnerungen an den Anschlag. Der Lärm, die Hitze, die Ausweglosigkeit.

Eine Schlinge legt sich um meinen Hals, zieht sich fest zu, und ich keuche auf. Ramon bemerkt die physische Veränderung sofort und drückt sich schützend an meine Seite.

Auf dem Horizontdeck verstreuen sich die Studierenden zum Glück ein bisschen. An der Reling herrscht weiterhin Gewusel, jeder sucht nach einem guten Platz.

»Alles okay?«, fragt Ramon.

Ich überlege, den Flashback einfach runterzuschlucken, entscheide mich dann aber doch dagegen. Ramon ist seit drei Jahren mein Bodyguard und ist dadurch neben Adriana der Mensch, der mir am nächsten steht. Freunde habe ich nicht viele. Die Prinzen anderer Länder sind lose Kontakte, mit denen ich lediglich auf Veranstaltungen spreche. Von den Kommilitonen in Barcelona hingegen halte ich mich meist fern. Ich besuche die Kurse, die ich brauche und verschwinde dann wieder, gehe kein Risiko ein. Bleibt nur Ramon, der mich gezwungenermaßen in meinen besten und schlimmsten Momenten begleitet hat.

»Der Anschlag sitzt mir doch tiefer in den Knochen, als ich dachte.«

»Ehrlich gesagt habe ich das schon vermutet und darauf gewartet, dass du es ansprichst«, erwidert Ramon auf Deutsch, und ich bemerke, dass ich unbewusst ins Katalanische gewechselt bin. Mist, darauf muss ich wirklich achten! »Du hast nach diesem Tag kein Wort darüber verloren, sondern einfach weitergemacht.«

Ich zucke mit den Schultern. »Ich stand seitdem ziemlich unter Strom, es war kaum Zeit, um innezuhalten und nachzudenken.«

»Das war auch kein Vorwurf. Nur ein Angebot, dass ich da bin, wenn du reden willst. Schließlich sind wir beste Freunde.« Er zwinkert mir zu, bevor er in Richtung Bug deutet. »Da vorne sieht es leerer …«

Ich werde angerempelt, taumle ein paar Schritte zur Seite. Sofort ist Ramon da, umfängt mich mit den Armen, um mich abzuschirmen. Mein Herzschlag beschleunigt sich, bis ich den Studenten sehe, der entschuldigend die Hände hebt.

»Sorry, Mann, war keine Absicht, ich wurde selbst geschubst.« Er runzelt die Stirn, als er Ramons Kampfhaltung und grimmige Miene sieht. Möglichst unauffällig stoße ich Ramons muskulöse Arme fort.

»Kein Problem, hab mich nur erschrocken«, sage ich zu dem Studenten, der irritiert dreinblickend abzieht.

»Was sollte das?«, raune ich Ramon wütend zu. »Verhalte dich unauffällig!«

»Sorry, das war Instinkt.«

Ich schüttele nur mit dem Kopf und setze mich in Bewegung. »Du warst eine Glucke, total peinlich. Der Kerl denkt jetzt bestimmt, du bist mein übereifersüchtiger Freund.«

Ramon folgt mir über das Deck, bis wir am Bug eine freie Stelle an der Reling finden. »Entschuldigung, Infa… Verdammt, das ist gar nicht so leicht.«

Frag mich mal. Nichts hiervon ist leicht. Die andere Sprache, die ich zwar seit meiner Kindheit gelernt habe, aber die dennoch ungewohnt ist. Das neue Aussehen, der neue Name, die neue Umgebung.

Ich spreche nichts davon laut aus. Stattdessen versuche ich, mich auf das Treiben im Hafen zu konzentrieren. Kleinere Boote fahren an uns vorbei und Lastenkräne verladen an den Docks rumpelnd Container. Im Hintergrund spannt sich die Hängebrücke, über die wir gestern vom Flughafen hergefahren sind.

Ein Knistern erfüllt das Deck, dann folgt ein »Dong«, und eine Stimme dröhnt aus den Lautsprechern. »Hier spricht Ihr Kapitän. Es ist Punkt neun Uhr, wir sind vom Hafen losgemacht und starten jetzt unsere beiden Hilfsmotoren, um präzise aus dem Hafenbereich zu manövrieren.«

Ein Vibrieren geht durch das Schiff, das Wasser am Rumpf gerät in Wallung und bildet weißen Schaum. Langsam fährt die Sapient Sailor aus dem Hafen, stößt dabei mit dem Typhon einen langen Ton aus. Er ist wie eine Warnung, dass es jetzt wirklich losgeht, dass es kein Zurück mehr gibt. Der Unmut, den ich seit der Entscheidung vor zwei Tagen spüre, flammt in mir auf, und ich balle die Hand zur Faust. Ich konzentriere mich auf das endlose Blau des Meeres, auf die Ruhe und Kraft, die in den Wellen liegt und spüre, wie sie die Flamme etwas lindern. Wie sie damit Platz für ein vorfreudiges Prickeln machen. In den nächsten Wochen bin ich komplett vom Meer umgeben, in das ich mich schon seit meiner Kindheit verliebt habe. Was werde ich in der Zeit auf See erleben?

Hinter der Hafenmauer empfängt uns der offene Pazifik. Die Sonne lässt die Wellen glitzern, die kraftvoll gegen den Bug schlagen. Der Wind frischt auf, ich schmecke Salz darin und atme tief ein.

»Meine Crew wird Ihnen jetzt zeigen, wie die Segel manuell geöffnet werden. Das ist eine der Aufgaben, die Sie ab morgen lernen und zu Ausbildungszwecken ausführen werden. Aber keine Sorge, Sie werden alles in Ruhe beigebracht bekommen und am Anfang durch die Crew unterstützt werden«, dröhnt erneut die Stimme des Kapitäns aus den Lautsprechern, und ich drehe mich zu den Masten um.

Sofort bleibt mein Blick an einer blonden Frau hängen, die am Fockmast vorbei über das Deck läuft. Ihre hellblonden Haare sind zu einem hohen Zopf gebunden, der Wind spielt damit und ein Bild blitzt vor meinem inneren Auge auf.

Gavina.

»Wie bitte?«, fragt Ramon, und erst da merke ich, dass ich das katalanische Wort gemurmelt habe. Kopfschüttelnd winke ich ab, bin zu fasziniert von der Bewegung ihrer Haare, den hübschen Gesichtszügen und der Entschlossenheit in ihrem Gang. Im nächsten Moment geht sie an der Brücke vorbei und verschwindet aus meinem Blickfeld.

Wenig später ist der Hafen von LA am Horizont kaum mehr als ein dunkler Strich. Wir haben den ersten Ansturm abgewartet und setzen uns jetzt, da sich das Deck geleert hat, in Richtung Vorlesungsraum in Bewegung.

Die gleichmäßig angeordneten Zweiertische bieten Platz für fünfzig Studierende. Vorne steht ein Pult für Professor Waldmann, dahinter hängt ein digitales Whiteboard. Ein großes Fenster zeigt aufs Meer hinaus, an den Wänden hängen Seekarten.

Vor der Karte neben der Tür stehen drei Studenten. Zwei von ihnen wirken mit den Shorts und den Tanktops wie auf dem Weg zum Strand. Sie diskutieren über die verzeichneten Meeresströmungen.

»In der ersten Reihe ist noch ein Tisch frei«, sagt Ramon und deutet auf die Plätze.

Wir drücken uns an einer Studentin mit Sommersprossen vorbei, die mit einem Studenten im Karohemd mutmaßt, welche praktische Ausbildung wir während des Semesters erhalten könnten.

Ich lasse mich auf den rechten Stuhl fallen und hole einen Laptop aus dem Rucksack. Vorstellungsrunden und Gelächter dringen an meine Ohren. Die Aufregung und Vorfreude meiner Kommilitonen ist deutlich spürbar. Ob sie auch auf mich überspringen wird?

In meinem Innern scheint ein Kampf zu toben. Die Sorge um Adriana und der Wunsch, nach Hause zu fliegen, ringen mit meiner Begeisterung für das Meer und die Schifffahrt. Beide Seiten sind ausgeglichen, keine gewinnt die Oberhand. Ich unterdrücke ein Seufzen.

Ein Mann betritt den Raum, den ich aus dem Theater als Professor Waldmann wiedererkenne, unseren Dekan. Er trägt einen Pullunder, der dieselbe kastanienbraune Farbe wie sein Haar hat. »Hallo zusammen, bitte setzen Sie sich. Wir sind fast vollzählig.« Schwungvoll hebt er seine lederne Aktentasche auf das Lehrerpult und öffnet die Schnallen. Er holt ein Tablet und einen Stapel Papiere heraus, bevor er mit gerunzelter Stirn zur Tür blickt. »Wo bleibt denn unsere Nachzüglerin?«

Hastige Schritte erklingen auf dem Gang, und alle Köpfe drehen sich in die Richtung, um zu schauen, wer da zu spät kommt.

Zuerst registriere ich die blonden Haare, dann die großen blauen Augen und vollen Lippen. Mein Herz macht einen Satz.

Sie ist es. Gavina.

Professor Waldmann nickt ihr lächelnd zu. »Ah, Vicky, da sind Sie ja.«

»Entschuldigen Sie die Verspätung, auf dem Deck gab es einen kleinen Zwischenfall.«

»Kein Problem. Schließen Sie bitte die Tür, dann können wir anfangen.«

Sie kommt seiner Aufforderung nach, bevor sie sich zu uns umdreht. Ihr Blick bleibt an mir hängen, und erneut macht mein Herz einen Satz. Bis ich bemerke, dass sie gar nicht mich ansieht, sondern den einzigen freien Platz im Raum, direkt am Nachbartisch.

Mit diesem entschlossenen Gang, den ich auch schon auf dem Horizontdeck an ihr beobachtet habe, läuft sie darauf zu, ignoriert die Blicke unserer Kommilitonen. Sie setzt sich direkt neben mich, wir sind nur durch den schmalen Gang getrennt.

»Das ist Vicky«, stellt Professor Waldmann sie vor. »Sie ist die Segellehrerin auf dem Schiff, wird aber auch in unseren Kursen anwesend sein.«

Sie holt ihren Laptop hervor, während Professor Waldmann uns anweist, die schiffsinterne App SailUp runterzuladen, in der all unsere Kurse und Arbeitsschichten festgehalten sind. Als wäre es noch nicht schlimm genug, hier zu sein, werde ich in den nächsten Monaten Reinschiff- und Kombüsendienste absolvieren müssen. Beides ist Neuland für mich.

Plötzlich dreht Vicky den Kopf zu mir und erwischt mich auf frischer Tat beim Starren. In ihren Augen ist eine Tiefe, die mich förmlich einsaugt. Sie sind blau wie das Meer in Barcelona an einem ruhigen Tag.

Wieder schießen mir Erinnerungen durch den Kopf. All die Stunden, die ich in meiner Kindheit am Meer verbracht habe. In denen ich glücklich war und die für mich Freiheit bedeutet haben. Wenn ich die Wellen beobachtete, war ich kein Infant, spürte keine Verantwortung auf meinen Schultern oder Groll über die Verfassungsänderung in der Vergangenheit in mir. Ich habe einfach im Moment gelebt.

Manchmal wünschte ich mir, so davonfliegen zu können wie eine Möwe. Elegant glitten sie mit dem Wind über das Wasser.

Ich hatte das vergessen. Dass ich früher einmal vor der Bürde meiner Geburt fliehen wollte. Es ist schon lange her und irgendwann hatte ich es akzeptiert.

Aber diese Frau, Vicky, hat mich wieder daran erinnert. Weil ich in dem Windspiel ihrer Haare eine Möwe gesehen habe. Genauso wie in ihrer Entschlossenheit und den durchdringenden Augen. Es passt, dass sie Segellehrerin ist.

Kaum merklich schüttelt Vicky den Kopf und unterbricht den Blickkontakt. Ramon stupst mich an, und erst da erwache ich aus meiner Trance. Sie so anzustarren, ist doch gruselig! Was ist nur los mit mir?

Und das alles wegen einer alten Erinnerung …

Professor Waldmann räuspert sich. »Ich möchte den heutigen Vormittag nutzen, um Ihnen alle wichtigen Infos zum Semester sowie die Möglichkeit zu geben, Ihre Fragen loszuwerden. Ich habe hohe Erwartungen an Sie, denn unter unzähligen Bewerbungen haben Sie die Chance bekommen, am ersten Auslandssemester dieser Art teilzunehmen.«

Kurz durchzuckt mich ein schlechtes Gewissen, weil Ramon und ich zwei Studierenden, die wirklich gerne am Semester teilnehmen wollten, die Plätze weggenommen haben.

»Vorhin haben Sie bereits gehört, dass ich nicht nur der Dekan für Nautik, sondern auch der Leiter des Wettbewerbs bin. Wir haben ihn ins Leben gerufen, um einen kleinen Anreiz für Sie zu schaffen. In den nächsten fünf Monaten haben Sie verschiedene Möglichkeiten, Punkte zu sammeln. Zum Beispiel gibt es Punkte für alle sorgfältig erfüllten Pflichtaufgaben und für besondere universitäre Leistungen. An Silvester, einen Monat, bevor unser Auslandssemester endet, werden wir den Gewinnerstudiengang küren. Dieser erhält an unserem Zielort Neuseeland einen studiengangbezogenen Ausflug, bei dem unser Träger keine Kosten und Mühen scheuen wird sowie einen mehrseitigen Artikel mit Fotostrecke in einem renommierten Magazin, den Sie für Ihre Zukunft als Zusatzqualifikation nutzen können. Dieser Artikel wird nach der Gewinnerverkündung im letzten Monat des Auslandssemesters vorbereitet. Das Magazin wünscht sich einen einzelnen Studiengang für die Zusammenarbeit, deshalb haben wir uns der Fairness halber das Punktesystem einfallen lassen. Wir hoffen, es spornt Sie an, Ihre Aufgaben pflichtbewusst zu erfüllen und besondere Leistung im Rahmen Ihres Studiums zu erbringen. Zudem stärkt es bestenfalls den Zusammenhalt der einzelnen Studiengänge.« Er macht eine bedeutungsschwere Pause. »Ich erwarte, dass wir gewinnen. Strengen Sie sich an, erfüllen Sie die Aufgaben gewissenhaft und nutzen Sie die Chance, die das Auslandssemester Ihnen bietet. Gibt es Fragen zum Wettbewerb?«

Eine Studentin mit roter Lockenmähne meldet sich und fragt etwas zu den Halbgruppen, in die wir für die Arbeitsschichten eingeteilt sind. Ich bemerke, dass Ramon sie ein bisschen zu aufmerksam mustert, und ramme ihm unauffällig meinen Ellbogen in die Rippen.

Anschließend gibt uns Professor Waldmann Einblicke in die Themen, mit denen wir uns während des Semesters beschäftigen werden. Ich versuche angestrengt, gedanklich nicht abzuschweifen, sondern mich auf seine Worte zu konzentrieren. Er weiß, wer ich bin und ich will nicht negativ auffallen.

Doch in mein Inneres hat sich seit Vickys Auftauchen dieses Kribbeln geschlichen. Es ist schwach, verlangt nach mehr, verlangt nach der Freiheit, die ich mir damals am Meer gewünscht habe. Wann immer sich mein Blick mit Vickys kreuzt, wallt es auf, ist für einen kurzen Moment befriedigt.

Ich versuche, das Gefühl zu ignorieren, ermahne mich, nicht wieder zu ihr zu schauen. Doch da ist eine leise Vorahnung in mir, die mir einredet, dass ich machtlos bin. Ich hatte vergessen, wie es ist, von Freiheit zu kosten, aber jetzt hatte ich einen winzigen Vorgeschmack. Was, wenn kurze Momente bald nicht mehr ausreichen werden?

***

»Was ist los mit dir?«, fragt mich Ramon, während wir in der Mittagspause zum Speisesaal laufen. »Du hast ständig diese Segellehrerin angestarrt.«

»Sie hat mich an etwas erinnert.«

»Was Gutes?«

Zuhause. Glück. Meer. Freiheit. Ich beiße die Zähne aufeinander, um die Worte in meinem Innern zu halten, und nicke nur. Es ist irrational, all das ausgerechnet mit einer Fremden zu verknüpfen – und das muss ich mir nicht auch noch von meinem Bodyguard vorhalten lassen.

»Wo möchtest du sitzen?«, fragt er, nachdem wir uns eine Portion Bratkartoffeln geholt haben.

Ich halte nach einem freien Tisch Ausschau. Doch alle auf dem Deck der Nautiker sind bereits besetzt. Mist. Ich werde wohl nicht verhindern können, mich irgendwo dazusetzen zu müssen. Daher wähle ich den nächstliegenden Tisch. Tobias und Maximilian erkenne ich aus der Einführung wieder. Zeitgleich mit Ramon und mir lässt sich auch noch eine blonde Studentin nieder, deren Gesicht mir nicht bekannt vorkommt.

»Hi, Theresa«, grüßt Tobias sie. »Wie lief es bei euch Meeresbiologen?«

»Unsere Professorin hat einen Dachschaden.« Sie seufzt theatralisch. »Sie hat uns eine Schnitzeljagd machen lassen und davor ein Kuscheltier aus ihrer Tasche gezogen wie ein Zauberer einen Hasen aus einem Hut. Ja, so habe ich auch geschaut. Ein verdammter Plüsch-Oktopus, der jetzt auf der Tafelkante sitzt.«

Die Studenten lachen und fragen Theresa über den Oktopus aus.

Auf meinem Handy geht eine Push-Benachrichtigung mit der Ankündigung ein, dass in einer halben Stunde eine Pressekonferenz von Adriana stattfindet. Die erste nach dem Anschlag. Mein Herz überspringt einen Schlag.

Ich klinke mich aus dem Gespräch aus und starre aus dem Fenster neben unserem Tisch, das aufs Meer hinausgeht. Unruhig rutsche ich auf dem Stuhl herum, die Bratkartoffeln schmecken auf einmal fad. 

Adriana läuft gerade bestimmt im Backstagebereich auf und ab und probt ein letztes Mal ihren Text. Sie wird dabei ständig an ihrem Kostüm zupfen, obwohl es tadellos sitzt, und fahrig über ihre Stirn wischen, bis die Maske sie final abpudert.

Ein Stuhl quietscht über den Boden und reißt mich aus meinen Gedanken. »Ich muss los«, verabschiedet sich Theresa. »Wir haben heute Nachmittag Teamarbeit. Bis dann.«

Sobald sie weg ist, lacht Tobias auf. »Die Meeresbiologen haben ein Maskottchen? Das Ding scheint deren Professorin ziemlich wichtig zu sein.«

»Stellt euch mal vor, das verschwindet.« Maximilian grinst. »Die Professorin flippt locker aus.«

»Wetten, die Meeresbiologen verlieren dann Punkte?«, fragt Tobias.

»Ganz sicher. Wenn sie uns im Wettbewerb gefährlich werden sollten, wisst ihr Bescheid.« Maximilian wackelt vielsagend mit den Brauen.

Ich überlege, ob ich einwerfen sollte, wie kindisch ihr Verhalten ist, doch ich beiße mir auf die Zunge. Ich habe keine Lust, mich bereits am ersten Tag unbeliebt zu machen und außerdem ist es mir auch irgendwie egal. Sollen sie machen.

»Kommst du später mit in die Bibliothek, Jakob?«, fragt Tobias.

Erst, als Stille am Tisch herrscht, wird mir klar, dass er mich meint. Der neue Name ist noch immer ungewohnt. »Ich habe ziemlich mit dem Jetlag zu kämpfen«, erwidere ich. Professor Waldmann hat uns den Nachmittag freigegeben, damit wir uns auf dem Schiff umsehen und einen Text über das Lesen von Seekarten durcharbeiten können, den wir diese Woche für die Vorlesungen brauchen. »Beim nächsten Mal.«

»Und du, Ramon?«

»Ich schließe mich Jakob an.«

Im Gegensatz zu mir, der durch das frühe Deutschlernen nur einen schwachen Akzent hat, hört man Ramon deutlich an, dass es für ihn eine Fremdsprache ist. Aber bisher hat ihn niemand darauf angesprochen. Vielleicht, weil er ohnehin wenig sagt und Professor Waldmann ihn im Unterricht nicht einbeziehen wird. Während ich mich heute Nachmittag also durch den Text quälen werde, wird Ramon sicher eins von seinen Handygames zocken. Oder Fitnessübungen in unserer Kabine machen, so wie gestern.

»Alles klar, dann sehen wir uns morgen.«

Die beiden stehen auf und bringen ihre Tabletts zur Rückgabe. Ich atme auf, erleichtert darüber, mit Ramon allein zu sein.

»Du musst sozialer werden«, sagt er prompt.

Ich unterdrücke ein Stöhnen. »Ich muss gar nichts.«

»Igele dich nicht ein, so wie du es in Barcelona an der Uni machst. Hier weiß niemand, wer du bist. Das ist deine Chance.«

Aber was, wenn ich die gar nicht will? Wenn ich ein Einzelgänger bleiben und mein eigenes Ding machen will?

Aus irgendeinem Grund muss ich plötzlich an Vicky denken.

Ich verbanne sie hastig aus meinem Kopf. »Bist du dann so weit? Ich will zurück auf der Kabine sein, bevor Adrianas Pressekonferenz beginnt.«

Ich darf sie nicht verpassen, muss bei Adriana sein, selbst wenn es nur über einen Bildschirm ist. Denn bei der letzten Konferenz hatte man es auf ihr Leben abgesehen.

Kapitel 5

Vicky

Die Schiffe in der Segelschule, in der ich aufgewachsen bin, wirken im Vergleich zur Sapient Sailor wie Nussschalen. Ich blicke an den fünf Masten hinauf, der höchste, der Großmast, ragt 63 Meter in den Himmel. Noch sind die Segel gebläht, die der unteren Rah werden aber in ein paar Minuten für meinen ersten Kurs eingeholt werden.

Mein Herz schlägt bei dem Gedanken schneller, gleich die Nautikstudierenden zu unterrichten. Ausgerechnet mit meinem eigenen Studiengang geht es los.

Die Strahlen der Morgensonne drängen sich an den Segeln vorbei, sind aber noch zu schwach, um zu wärmen. Eine Windböe fegt über das Deck hinweg, lässt die cremefarbenen Segel flattern, und ich ziehe den Kragen meiner Jacke hoch.

Bis die Studierenden die Grundlagen draufhaben, wird mich Tim von der Crew unterstützen. Ich habe den stillen, aber kompetent wirkenden Mann Ende dreißig bereits am Anreisetag kennengelernt.

Eine Möwe segelt kreischend am Krähennest vorbei, das sich auf der Spitze des Fockmasts befindet. Wie wohl der Ausblick von dort oben ist? Sie legt die Flügel an und stürzt sich in die Wellen, vielleicht ist es eine der Letzten, die ich für lange Zeit sehen werde. Je weiter wir von Land entfernt sind, desto seltener verirren sich Vögel so weit aufs Meer hinaus. Die Möwe taucht wieder auf, im Schnabel trägt sie einen kleinen Fisch. Ihr Gefieder flattert sacht im Wind, sie wirkt elegant und …

»Guten Morgen«, reißt mich eine tiefe Stimme aus der Beobachtung.

Ich drehe mich um und spüre einen Hüpfer in der Brust. Es ist der Student, der in der Vorlesung am Tisch neben mir sitzt. Seine blonden Locken wehen ihm in die Stirn, in seinen Augen liegt eine Tiefe, von der ich gestern schon befürchtete, eingesogen werden zu können. Vielleicht sogar darin zu ertrinken, wenn ich mich nicht vorsehe.

Ich würde gerne fragen, warum er mich so angestarrt hat. Warum er es jetzt wieder tut. Doch bevor ich mich überwinden kann, räuspert sich der Mann neben ihm. Er ist groß und breit gebaut, mit dichtem Bart und einer dunklen Aura, die ihn wie ein Schatten zu umgeben scheint.

»Guten Morgen«, erwidere ich schnell und ringe mich zu einem Lächeln durch. »Ihr seid die Ersten.«

»Das liegt daran, dass Jakob den Kurs kaum erwarten konnte.« Der Mann mit der dunklen Ausstrahlung klopft dem Blonden auf die Schulter, woraufhin dieser ihn wütend anfunkelt.

»Segelst du gerne?«, frage ich. »Oder bist du gespannt darauf, es zu lernen?«

Jakob führt mithilfe von Blicken eine stumme Konversation mit seinem Mitbewohner, bevor er sich mir zuwendet. »Ich kann segeln. Aber bisher immer nur kleinere Schiffe.«

»Du wirst sehen, es ist etwas ganz anderes. Besonderer als bei Einmastern.« Wie automatisch verbreitert sich mein Lächeln, weil ich an die Törns auf Großseglern denken muss, die ich mit meinem Großvater in den Schulferien unternommen habe. Während meine Mitschüler in die Sonne flogen, bestiegen wir in Bremerhaven die Alex 2 und packten den ganzen Sommer beim Segeln mit an. »Ich suche Freiwillige für die Arbeiten auf der Rah. Falls du Lust hast, sag gerne Bescheid.«

»Oh, klar, da brauche ich nicht lange zu überlegen.«

»Nein, wir haben Höhenangst«, zischt sein Mitbewohner ihm zu.

»Schwachsinn«, zischt Jakob zurück, bevor er mir ein halb verzweifeltes Lächeln schenkt. »Hör nicht auf Ramon, ich habe keine Höhenangst.«

»Schwindelfrei sein ist Voraussetzung. Aber ich erkläre gleich alles genauer, wenn der Rest da ist.«

Langsam hat sich eine kleine Gruppe auf dem Deck gebildet. Die meisten wirken noch etwas verschlafen und außer ein paar müde gemurmelten Begrüßungsfloskeln führt niemand ein Gespräch.

Das sind ja tolle Voraussetzungen.

Ein paar Gesichter erkenne ich von gestern wieder. Meine Sitznachbarin Franziska ist dabei, die neben einer Studentin mit rotem Haar steht.