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Dies ist die Geschichte dreier Gringos, die in Patagonien Freiheit und Abenteuer suchten und fanden. Mit ihren Pferden zogen sie hinaus in die Wildnis, trafen auf atemberaubende Natur und faszinierende Menschen. Sie freundeten sich mit den Gauchos an, um schliesslich selbst welche zu werden. Sie reisten ohne Ziel, denn sie hatten die Karte im Nachtleben von Buenos Aires verloren. Doch zuerst mussten sie reiten lernen.
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Seitenzahl: 87
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Fahrende Ritter
Prolog
«Iiiihaaaaa!» Ich liess die Zügel locker und stiess mit den Fersen gegen die Flanken meines Pferdes. Fast augenblicklich waren wir in vollem Galopp. Ich musste mich festhalten, war aber sicher im Sattel. Unglaublich, die Kraft dieser Tiere!Andy und Jürg, meine beiden Gefährten, grinsten verschwörerisch und feuerten ihre Pferde nun ebenfalls an. Neben uns galoppierten unsere zwei Packpferde, die ausnahmsweise frei und ohne Gepäck liefen und sichtlich Spass hatten, uns ein Rennen zu liefern. Wir trieben die Pferde noch mehr an und so, als hätten wir gerade eine Postkutsche überfallen, schossen wir zusammen durch die Pampa von Patagonien.Die weite, trockene Ebene, umrandet von sanften Hügeln, bot uns den perfekten Spielplatz. Die Hufe von fünf Pferden donnerten einen Rhythmus auf den staubigen Boden, zu dem wir uns ganz natürlich bewegten. Wie in einem Tanz. Die Staubwolke, die wir hinterliessen, musste kilometerweit sichtbar sein.Endlich waren wir so weit. Endlich stimmte das Timing, der Rhythmus, einfach alles. Endlich hatten wir die Kontrolle über die Pferde. Oder vielmehr ihr Vertrauen, denn Pferde lenkt man nicht mit Zügeln, man führt sie im Geist, irgendwie. Es war ein erhabenes Gefühl und gleichzeitig ein Gefühl der Verbundenheit.Einen Moment lang jagten wir so übers Land, stachelten uns gegenseitig an und berauschten uns an der Geschwindigkeit und dem Tosen in unseren Ohren. Irgendwann konnten wir alle nicht mehr und die Pferde gingen in den Trab über. Wir liessen sie lange auslaufen und nur langsam beruhigte sich die aufgebrachte Meute. Als wir schliesslich zum Stehen kamen, brachen wir in lautes Gelächter aus. Wir stiegen von den Pferden und fielen uns in die Arme.Als unsere Blicke über die weite, wunderbar karge Landschaft schweifte und der patagonische Wind uns eindrücklich die Kraft der Natur spüren liess, ergriff uns pure Ehrfurcht. Hier und jetzt! Einer dieser intensiven, unvergesslichen Momente. Einer dieser Momente, in denen man sich seiner Existenz wieder bewusst wird. Mittendrin im Leben, mittendrin in einem Abenteuer.
18 Monate früher
Jürg und ich warteten im Wald vor den Felsen auf Andy, unseren Freund aus Neuseeland. Es war Samstag und wir wollten im Basler Jura klettern. Den mystischen Ort mit seinen aus dem Wald ragenden Kalksteinformationen kannten wir schon lange. Er diente uns oft schon als Spielplatz und Nachtlager. Wir sahen uns das erste Mal seit meinem sechsmonatigen Klettertrip durch Südostasien, Indien und Nepal. Es gab viel zu erzählen und so nahmen wir uns Zeit mit dem Sortieren der Karabiner und dem Einbinden ins Seil und schwelgten in Reiseerinnerungen.Jürg schwärmte von vergangenen Tagen, als er mit Freunden, Oski und Bührer, nach Argentinien reiste. Unten in Patagonien kauften sie Pferde und wagten eine Reise ins Unbekannte. Danach blieb Jürg gleich drei Jahre der Heimat fern. Anfangs lebte er in einem Hühnerstall auf einer Estancia, lernte spanisch und schlug sich die kommenden Jahre durch, auf diesem rauen Kontinent.Nun zog es ihn wieder nach Patagonien, zu den Gauchos, zu den Pferden, zur Freiheit. Er fragte mich, ob ich dabei wäre. Ich sagte zu und kurz darauf tauchte Andy auf. «How’s it going?» «How’s it going? Jürg und ich gehen runter nach Patagonien, reisen mit Pferden, leben als Gauchos und so, bist du dabei?» – «Ja klar!», war seine Antwort – wie immer!Hier standen wir nun und in der Luft hing ein schemenhafter, verwegener Plan. Selbst Jürg schien etwas überrumpelt. Doch als er in unsere Gesichter blickte, erkannte er Entschlossenheit. Schliesslich kannte er uns gut genug. Zahlreiche Felswände hatten wir zusammen durchklettert, Gipfel erklommen, uns an Kletterseilen von Brücken geworfen, waren zusammen gereist, hatten Abenteuer gesucht und gefunden und wurden zusammen aus Bars geschmissen.Jürg lernte ich beim Militär kennen. Auch da wurden wir aus Bars geschmissen. Als wir uns das erste Mal sahen, vergingen keine fünf Minuten und er hatte bei mir Spielschulden. Aber das ist eine andere Geschichte. Wir waren jung und hatten eine gute Zeit. Wenn wir nicht kifften oder jammten, lehrte er mich Bergsteigen.Andy traf ich Jahre später nach einer Bouldersession mit Freunden. Andy studierte mit ihnen und kochte für uns Pasta an diesem Abend. Wir kamen ins Gespräch und eine Woche später stand er mit breitem Grinsen und neuen Kletterschuhen vor meiner Haustüre. «Bro, can you teach me this shit?» Das waren seine Worte. Also gingen wir klettern. Eine Woche später stand er wieder vor meiner Haustüre, mit Rucksack. «Bro, can I stay for the weekend?» Von da an wohnte er auf meiner Couch. Wir hatten eine gute Zeit. Wenn wir nicht auf Partys waren, brachte ich ihm das Bergsteigen bei.Wir drei kletterten später auch zusammen und sind über die Jahre ein gutes Team geworden in den Bergen. Gerade beim Bergsteigen lernt man sich zu vertrauen, schliesslich hat man das Leben seiner Seilpartner buchstäblich in der Hand. Allein schon deswegen waren wir prädestiniert für solch eine Patagonien-Expedition. Immerhin wussten Andy und ich ungefähr, wo Patagonien liegt. Dass wir nicht reiten konnten, verdrängten wir noch.Uns allen war bewusst, dass so ein Trip etwas Planung und Vorbereitungszeit in Anspruch nehmen würde. Es gab einen Haufen Dinge zu erledigen. Es gab Jobs und Wohnungen zu künden. Irgendwie mussten wir das Ganze auch noch unseren Freundinnen klarmachen, was ein gutes Timing und etwas Fingerspitzengefühl erfordern würde. Etwas Cash würden wir wohl auch noch brauchen. Immerhin war ich gerade zurück von einer grossen Reise und so war bei mir grad Schmalhans Küchenmeister. Bei Andy sah es nicht besser aus. Er war frisch verheiratet, hatte sein Designstudium fertig und gerade in Neuseeland ein Jahr auf dem Bau geackert, um dann in die Schweiz auswandern zu können. Genau genommen war er bereits auf einer Reise. Und Jürg hätte damals in Patagonien seine Pferde wohl besser verkauft als gegessen. So jedenfalls sagt es die Legende. Wie dem auch sei, wir brauchten Kohle. Also einigten wir uns auf realistische anderthalb Jahre Vorbereitungszeit. Eine homöopathisch dosierte Galgenfrist. Darauf nahmen wir einen Schluck Whisky aus Jürgs Flachmann, der wie von Geisterhand zur Stelle war. Damit war die Sache besiegelt und jedem von uns war klar, dass er seinen Kopf nicht mehr aus dieser Schlinge ziehen konnte. Anderthalb Jahre später zog sie sich zu, als wir auszogen, um Gauchos zu werden.
Buenos Aires
Wir checkten mit fünf Taschen und gefühlten 500 Kilo Übergewicht in einem Guest House in Buenos Aires ein. Hier in der Stadt wollten wir Material kaufen. Wir brauchten Sättel, Zügel, Lederriemen, Decken, Sinchas, Stiefel, Hüte und all das Zeug, das wir unten in Patagonien vielleicht nicht finden würden, weil es die Leute dort selber brauchen und es generell wenig Einkaufsmöglichkeiten gibt.Andy und Jürg hatten zu Hause grossartige Vorarbeit geleistet. Sie hatten Werkzeug, Blachen, Säcke, Seile und Zelt besorgt. Jürg hatte sogar zur Nähmaschine gegriffen und robuste Taschen für Wasser und noch wichtiger – für Wein – gefertigt. Ich für meinen Teil konnte mich dessen nicht rühmen und mir war klar, dass ich das auf unserer Reise irgendwie wettmachen musste. Ich würde wohl mehr Holz hacken und kochen müssen, und so kam es dann auch.Als wir alles quer durch und um Buenos Aires zusammengekramt hatten, was allein schon ein Abenteuer war, organisierten wir den Materialtransport per Spedition und unsere Flüge nach El Calafate, Patagonien. So weit, so gut. Einziger Wermutstropfen: Wir hatten die Karte verloren, die Andy und Jürg in nächtelangen Google Maps Sessions aus Satellitenbildern zusammengestellt hatten. Im Nachtleben von Buenos Aires verjubelt. Keiner konnte sich erinnern, wie und wo sie uns abhandengekommen war oder wie wir den Heimweg gefunden hatten. Wir wissen bis heute nicht warum, aber bestimmt war es Jürgs Schuld. Doch dieser beschwichtigte. «Es ist sowieso besser, ohne Karte zu reisen, denn so ist das Abenteuer umso grösser. Da wir kein Ziel mehr haben, können wir dieses nicht verfehlen und solange die Anden links von uns sind, reiten wir nach Norden.» Dies schien auch Andy und mir logisch und somit war die Sache gegessen.
El Calafate
Schon im Landeanflug auf El Calafate konnten wir sehen, wie schwach besiedelt und rau das Land hier ist. Wir sahen riesige Gletscher und Eisberge in den Seen. Auch den berühmten patagonischen Wind bekamen wir jetzt schon zu spüren.Nie werde ich das Gefühl vergessen, als wir endlich in Patagonien standen. Ich finde es immer faszinierend, ein neues Land zu betreten und bewusst zu erleben, wie es auf mich wirkt. Im Laufe der Jahre und nach zahlreichen Reisen bin ich darauf etwas sensibilisiert. So jedenfalls bilde ich mir das ein. Nirgends sonst auf der Welt habe ich diese Energie verspürt. Da war von Anfang an etwas Starkes, Warnendes, aber zugleich Faszinierendes zwischen Himmel und Erde, was unmöglich mit Worten zu beschreiben ist. Aber es war da und wir sollten es noch intensiver zu spüren bekommen. Die Landschaft schien hart und karg, ja fast schon unwirtlich, dennoch schön zugleich. Der Geruch der Pampa, dieses grelle trockene Licht. Es war kalt und es windete ununterbrochen.Wieder checkten wir mit dem ganzen Gepäck in ein Guest House ein. Von hier aus wollten wir den Rest besorgen. Wir brauchten lediglich noch zwei Packsättel, Geschirr, etwas Proviant und – fünf Pferde. Leider gibt es diese hier unten nicht im Supermarkt zu kaufen, falls es überhaupt einen gibt.Zwei Wochen suchten wir, mieteten uns ein Auto und fuhren zu den umliegenden Estancias, argentinischen Viehzuchtbetrieben. Wir erkundigten uns in Geschäften, klingelten an Haustüren oder fragten wildfremde Leute auf offener Strasse. Doch ausser wagen Informationen, die dann immer wieder im Sand verliefen, bekamen wir nichts zusammen. Anscheinend gab es Pferde, doch niemand schien sie entbehren zu können. Das Ganze gipfelte in einem Besuch bei einem alten Gaucho, der weit draussen in einem verlassenen Sternenobservatorium lebte. Andy und Jürg konnten nach einem eingegangenen Tipp auf der Ladefläche einer alten Camionetta mit in die Pampa rausfahren, nur um sich davon zu überzeugen, dass es auch da keine Pferde für uns gab. Der alte Indio, der schon eine ganze Weile alleine dort draussen hauste, schien nicht mehr ganz bei Verstand zu sein. Er redete wirres Zeug und die Einheimischen beschlossen, ihn besser mitzunehmen. Der Indio willigte ein, wollte aber unbedingt noch Fleisch mitnehmen. Auf dem Weg zurück nach El Calafate fanden sich Andy und Jürg desillusioniert wieder auf der Ladefläche der alten Camionetta – mit einem verrückt gewordenen Indio und einem halben Kuhbein.