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Stewart McCole

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Beschreibung

16. April 2014: Auf der Fahrt zur Ferieninsel Jejudo kentert die südkoreanische Fähre "Sewol" und sinkt wenig später. An Bord befinden sich mehr als 300 Schüler der Danwon High School aus Ansan. Ein Großteil von ihnen wird dieses durch menschliches Versagen und Fahrlässigkeit ausgelöste Unglück nicht überleben.   Diese Kurzgeschichte erzählt aus Sicht der fiktiven Schülerin Soo-mi und ihren Freundinnen von diesem in Vergessenheit geratenen Unglück. 

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Stewart McCole

Fahrt ohne Rückkehr

Der Untergang der Sewol

Mit Dank an meine wundervolle Freundin Sung Hwa Ju, die mit ihrer Hilfe und Inspiration einen wichtigen Anteil an dieser Geschichte hat.BookRix GmbH & Co. KG81371 München

1

An der Anlegestelle herrschte Lärm. Eine Mischung aus unzähligen Unterhaltungen, Gelächter, dem am Schiff und im Hafen arbeitenden Menschen. Schüler liefen eifrig wie Ameisen umher, dazwischen andere Reisende. Urlauber, aber auch Lastwagenfahrer, die mit ihren LKWs und geladener Ware zur Insel Jejudo übersetzen. Vielleicht ja sogar Geschäftsleute auf einer Dienstreise. Und eben über 300 Schüler der Danwon High School aus Ansan auf Abschlussfahrt, die den Großteil der Passagiere darstellten. Jejudo, eine beliebte Ferieninsel. Ein Ort zum Entspannen, dem hektischen Alltag zu entfliehen. Denn dieser Alltag ist in Südkorea besonders hart, besonders lang. Zumindest wohl, wenn man ihn mit anderen Ländern vergleichen will. Natürlich ist so eine Reise für jeden Schüler etwas Besonderes. Nicht nur, weil man gemeinsam mit seinen Freunden eine Schiffsreise zu einer Insel unternimmt. Die Fahrt markierte zugleich den Abschluss der Schulzeit, den baldigen Start ins "echte" Leben. Viele würden wohl studieren, ins Ausland gehen. Andere lieber direkt arbeiten, wenn sie sich von einem Studium nichts erhofften oder schlicht nicht gut genug waren. Doch noch war hierfür Zeit. Sie alle standen schließlich noch am Beginn ihres Lebens. Und der Ausflug sollte eine Auszeit vor den anstehenden Strapazen sein.

»Hast du auch alles dabei?«

Soo-mi hob ihren Kopf und blickte in die etwas nervös wirkenden Augen ihrer besten Freundin.

»Was soll ich denn vergessen haben?«, hakte sie lächelnd nach. Yunai zuckte mit den Schultern.

»Irgendetwas, du vergisst immer was! Wie in der Schule! Und dann leihst du wieder alles von mir aus!«

Soo-mi lachte über fast schon eingeschnappt wirkende Freundin. Sie hatte sie gern, auch wenn sie für ihr Alter manchmal noch arg kindisch war. Yunai war eine der Kleinsten in der Klasse, ein bisschen pummelig und mit einem "Pfannkuchengesicht", wie ein Klassenkamerad einst lästernd bemerkte. Aber liebenswert und dermaßen treu, dass Lästermäuler sie fast schon als Schoßhündchen bezeichnen konnten. Trotz aller kleiner Macken, man musste sie einfach gernhaben. Soo-mi wiederum galt als Schwarm vieler Jungs in der Klasse, machte sich aber nie viel aus solchen Dingen. Manch einer wertete dies wohl als Arroganz, dabei war es mehr ihre Unsicherheit. Sie war im Grunde ein schüchternes Mädchen, trotz ihrer vielen Kontakte. Und sie hatte die schlechte Angewohnheit, an sich selbst ständig Makel zu entdecken, die im Grunde gar keine waren. Yunai erdete sie, munterte sie auf und zeigte ihr den Weg. Sie und ihr großes Ziel. Sobald das alles hier vorbei war, wollte sie studieren, in den USA leben. Zumindest eine Weile. Aber erst galt es, diesen Ausflug zu genießen. Auch wenn Soo-mi nicht ganz wohl war. Sie fuhr erst einmal in ihrem Leben mit einem Schiff, auch eine Fähre. Da wurde ihr schlecht. Allerdings war das auch schon etliche Jahre her.

Soo-mi drehte sich um. Ihr Klassenlehrer rief seine Schüler zu sich. Sie lächelte Yunai zu, nahm ihr Gepäck und lief zu der sich bildenden Gruppe. Es war bereits Abend, die Fähre würde über Nacht fahren. Das Schiff lag wie ein Riese neben ihnen am Kai. Komplett in Weiß gestrichen, den Namen am Bug in großen Lettern in koreanischer und lateinischer Schrift stehend: "Sewol". Also "Jenseits der Welt", so oder zumindest so ähnlich kann er übersetzt werden. Jenseits der Welt mochte die Fähre zwar nicht sein, aber dennoch hatte sie bereits einiges erlebt. Zwanzig Jahre alt, was zuerst viel klingen mag. Aber selbst das doppelte Alter ist bei solchen Schiffen nicht ungewöhnlich. Auch in Europa. Nicht umsonst stammen so viele griechische Fähren ursprünglich aus Japan, ehe sie nach ihrer Ausmusterung einen neuen Betreiber im Mittelmeer fanden. Und auch die "Sewol" war einst japanisch. 1994 nahm sie als "Ferry Naminoue" den Dienst auf, 2012 ging sie dann an den Nachbarstaat Südkorea. Um seitdem zur beliebten Urlaubsinsel zu pendeln. Zusammen mit etlichen anderen Schiffen, die auf der gleichen Route fahren.

»Wir werden gleich an Bord gehen. Bitte bleibt beieinander und verhaltet euch leise!«, ergriff der Lehrer das Wort. Er wirkte ein wenig mürrisch, was wohl am Stress eines solchen Ausflugs lag. Das Auge auf eine ganze Klasse zu haben kann durchaus anstrengend sein, erst recht auf einer Schiffsreise. Und er war nicht der Einzige. Ein Großteil der Passagiere auf dieser Fahrt würden schließlich die Schüler der Danwon High School ausmachen. Gleich mehrere Klassen, ein großes Spektakel. Selbst der stellvertretende Schulleiter war mit dabei, zusammen mit insgesamt 15 Lehrern.

»Vielleicht sind wir ja in einer Kabine!«, rief Se-hun den Mädchen zu, während seine Freunde albern lachten. Einige der Mädchen lachten ebenfalls, während Da-hee ihre Zunge herausstreckte.

»Quatsch nicht! Wir haben getrennte Kabinen! Und bei dir wäre es sowieso am besten, die Türe abzuschließen!«

»Wir könnten ihn auch in ein Rettungsboot setzen und das dann hinten am Schiff anbinden!«, fügte ihre Begleiterin Su-ji kichernd hinzu. Da-hee war eine ebenfalls sehr hübsche, sportliche und vor allem selbstbewusste Schülerin, die stets eine Gruppe von Mädchen um sich scharrte und ziemlich zielgerichtet war, was die Schule und ihre Karriere betraf. Vermutlich wegen ihres Vaters, der einen guten Posten in einer Bank hatte. Se-hun wiederum war ein Großmaul, wenngleich auch sehr sportlich. Er wollte stets cool wirken, lächelte selten. Weil er der Ansicht war, dadurch böser zu wirken. Dabei wirkte er in Wahrheit so bedrohlich wie ein Goldhamster. Und hatte vermutlich ein weitaus größeres Herz, als er vorgab.

Das Boarding lief geordnet ab, der Lehrer ging vor und klärte die Formalitäten, dann ging es auch schon los. Zuerst in den Eingangsbereich des Schiffes mit der Rezeption, dann von dort aus zu den Kabinen. Jungen und Mädchen zwar im selben Bereich der Fähre, aber trotzdem weit genug auseinander. Man wollte schließlich keine nächtlichen Partys.

Die Unterkünfte waren Mehrbettkabinen, Zweite Klasse. Recht schlicht, ähnlich wie bei einer Jugendherberge. Konstruktionsbedingt nicht viel Platz für jeden. Die Kabinen Erster Klasse waren größer, schicker. Teilweise sogar Privatkabinen, wie auf einem Kreuzfahrtschiff. Aber es ginge auch schlimmer, die günstigsten Unterkünfte auf manchen Fähren waren in Schlafsälen. Aufrollbare Matratzen auf dem Boden, zusammen mit teils dutzenden Leuten. Nichts für Soo-mi, die am liebsten ihre Ruhe haben wollte. Für diese eine Nacht würde es gehen, schließlich konnte sie mitbestimmen, mit wem sie die Großraumkabine teilt. Und so das "Schlimmste" vermeiden. Neben ihrer besten Freundin waren es unter anderem zwei Geschwister, die meistens nur miteinander mauschelten und wegen jeder Kleinigkeit albern kicherten. Recht zurückgezogen, aber immer freundlich und symphatisch. Hauptsache niemand, der Ärger machte. Herumzickte oder fies war. Aber insgesamt war Soo-mi glücklich an ihrer Schule, mit ihren Mitschülern. Es gab eigentlich niemanden, den sie wirklich hasste. Um so zu urteilen, kannte sie die meisten Jugendlichen gar nicht gut genug. Eigentlich nur Yunai, die schon seit Jahren an ihrer Seite war. Manch einer, der auf den ersten Blick seltsam wirkte, mochte in Wirklichkeit vielleicht unglaublich nett sein. So wie sie selber. Jedenfalls wurden all jene Mädchen ihre Bettnachbarn in dieser Großkabine. Normalerweise hasste Soo-mi so etwas, aber in diesem Fall würde sie wohl mit allen klarkommen.

»Das ist SEHR wenig Platz!", nörgelte Seo-young, eine der beiden Schwestern, mit fiepsiger Stimme.

»Ist nur für eine Nacht!«, warf die etwas ältere Ye-Seo leicht genervt dazwischen, während sie schon eines der Betten mit ihrem Gepäck belegte und damit klarmachte, welches der Geschwister eher das Sagen hatte.

»Willst du oben oder unten schlafen?«, fragte Soo-mi ihre Freundin sichtlich amüsiert von den beiden Mädchen, die zwar keine Zwillinge waren, sich aber trotzdem absolut ähnlich sahen.

»Darf ... ich unten schlafen?«, fragte Yunai fast schon eingeschüchtert. Soo-mi verdrehte die Augen, warf einen kurzen Blick zu ihren kurzzeitigen Mitbewohnern und nahm ihre Freundin zur Seite.

»Du musst nicht immer fragen oder mich etwas um Erlaubnis bitten. Tu’s einfach mal! Hey, die Anderen denken teilweise doch sowieso schon, dass ich dich unterdrücken würde oder sowas in der Art!«

Yunai hielt kurz inne, ehe sie in Gelächter ausbrach.

»So? Das denken die?«

»Allerdings. Und du lachst noch drüber wie eine alte Gans!«, antwortete Soo-mi nicht ganz ernst gemeint.

»Und was genau sagen die?«, hakte Yunai kichernd nach.

»Na ja!« Soo-mi erklomm die Leiter und setzte sich auf das obere Bett. »Sie sagen, du hättest ANGST vor mir! Und dass du mein Schoßhündchen wärst!«

Die Geschwister lachten. Yunai lief rot an.

»Schoßhündchen kannte ich schon, aber Angst? Ich habe keine Angst vor ihr!«

Yunais Ansprache an die beiden Mädchen brachte diese noch mehr zum Lachen. Nachdem sie zuerst verdutzt zu ihnen starrte, begann sie schließlich ebenfalls zu kichern.

»Du bist doof!«, rief Yunai ihrer Freundin amüsiert entgegen.

»Und wenn ihr diese ganze Fahrt so anstrengend seid, brauche ich nach diesem Ausflug erst recht Urlaub!«, erwiderte Soo-mi augenzwinkernd, während sie ihre Sachen auspackte. Durch das kleine Fenster war die beleuchtete Hafenanlage zu sehen, daneben das Meer, das unendlich scheinende Nichts. Bald würde es 21 Uhr werden. Und die "Sewol" aus dem Hafen von Incheon auslaufen. Höchste Zeit, war sie schließlich bereits zu spät im Zeitplan. Schon um halb sieben hätten sie nach Jejudo aufbrechen sollen. Der Beginn einer schönen Reise. So war es gedacht ...