Nachdenkliche Geschichten - Stewart McCole - E-Book

Nachdenkliche Geschichten E-Book

Stewart McCole

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Beschreibung

Eine kleine Sammlung nachdenklicher Kurzgeschichten, die der Autor zwischen 2017 und 2020 verfasst hat. Kleine Erzählungen über das Leben, die Liebe und den Tod. 

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Stewart McCole

Nachdenkliche Geschichten

Sammlung kurzer Erzählungen

Für all die Menschen, die mich schon seit Jahren unterstützen.BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Die letzte Reise

Draußen wehte der Wind, der durch die undichten Fenster des alten Hauses zog und so gespenstische Geräusche verlauten ließ. Annie saß in ihrem Bett und zappelte ungeduldig mit den Füßen. Wie sie es hasste zu warten. Besonders da sie fühlte, nicht mehr viel Zeit und Leben in ihrem müden Körper zu haben. Wie der Baum, der Draußen langsam all seine Blätter verlor. Nur im Gegensatz zu ihm würde sie keinen Frühling mehr sehen. Auch wenn alle ihr das Gegenteil erzählten. Wieso konnten sie es nicht einfach annehmen? Wieso rechnen sie ihr es nicht zu, mit diesem Gedanken leben zu können? Macht es so einen Unterschied, ob sie diese letzten Wochen und Monate glücklich ist oder nicht?

“Hallo mein Mäuschen!”

Annie drehte sich erschrocken um. Ihr Vater stand an der Türschwelle und lächelte ihr liebevoll zu. Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte er sich wohl damit abgefunden, seine Tochter eines Tages zu verlieren. Zumindest nahm sie dies in einem mitgelauschten Gespräch in der Küche wahr. Er hatte die Erkenntnis und Einsicht, die ihrer Mutter bislang fehlte. Und vielleicht auch bis zum Schluss fehlen würde.

“Hi, Dad!”

Sie versuchte positiv zu wirken, was jedoch stets misslang. Ihre Stimme klang stets traurig, egal was sie zu sagen vermochte. Es kam aus ihrem Inneren und ließ sich nicht so einfach abschalten.

“Ich...besser gesagt Mom und ich haben mit Dr. Hobart gesprochen. Wegen der Reise, du weißt schon. Er sagt es würde dir sicher gut tun. Die Seeluft und all das. Zudem die Abwechslung. Australien!”

Annie lächelte müde. Zum ersten mal seit langer Zeit blühte ihr Herz auf. Sie wollte ihr schönsten Strahlen zeigen, doch sie schaffte es nicht. Hatte sie es etwa verlernt?

“Was ist? Freust du dich nicht Schätzchen?”

Annie nickte und streckte ihre Arme nach ihrem Vater aus, der ihr entgegenkam und sie an sich drückte.

“Oh doch, und wie! Ich liebe euch!”

Auch wenn er sich die größte Mühe gab hörte sie ihren Vater dennoch leise schluchzen. Sie wollte ihm etwas Tröstendes sagen, schluckte es jedoch hinunter. Er lächelte seine Tochter mit trauriger Miene an, ehe er das Zimmer wieder verließ.

“Übermorgen fahren wir, ja? Fang doch schon mal an zu packen. Mama und ich bereden noch etwas!”

Annie nickte. Sie ahnte, was es unten zu besprechen gab. Ihre Mutter war von Anfang an gegen diese Reise gewesen, auch wenn sie dies niemals zugegeben hätte. Sie hielt es für eine Zumutung, ein so krankes und schwaches Mädchen wie Annie von London bis nach Australien zu schleppen, mehrere Wochen auf einem Passagierdampfer. Doch es war ihr sehnlichster Wunsch, schon seit Jahren. Seit der Zweiten Klasse der Mädchenschule, als ihre Klassenlehrerin Mrs. Cook über Australien und Neuseeland erzählte. Sie war als junge Frau dort mehrmals im Urlaub, zwischen den beiden Weltkriegen. Sie zeigte Fotos der Landschaft und der dort lebenden Tiere. Annie war sofort von dieser Schönheit angetan, wollte diese Gegend seither ebenfalls bereisen. Ihre Eltern waren gewiss nicht unvermögend. Sie betrieben ein kleines Modegeschäft nahe des Stadtzentrums. Und bauten sich über die Jahre hinweg einen guten Ruf in den höheren Kreisen Londons auf. Die Schneiderei der Flemings, hohe Qualität zu selbstbewussten Preisen. Trotz dieser finanziellen Unabhängigheit hielten Annies Eltern die Reisepläne ihrer Tochter stets für ein Hirngespinst. Wenn sie verreisten dann nach Frankreich oder Italien, wenige Male auch in die Vereinigten Staaten. Mit der guten alten Queen Mary, die in diesem Jahr ihre letzte Fahrt absolvieren würde.

Erst als der Krebs kam gab es Einsicht für Annies letzten großen Wunsch. Zumindest bei ihrem Vater. Er versprach ihr zu reisen, wenn der Familienarzt Dr. Hobart sein Okay geben würde. Nun war es soweit. Annie nahm all ihre Kraft zusammen und packte in Windeseile. Sie würde die nächsten beiden Nächte bis zur Abreise in Southampton unter Garantie kein Auge zu bekommen. Doch das war ihr egal.

Gerade als Annie ihren Koffer mit den ersten Klamotten gefüllt hatte hielt sie inne. Die lautstarke Stimme ihrer Mutter war noch durch die geschlossene Türe aus der Küche zu hören. Neugierig schlich sie sich in den Flur und lauschte der Diskussion.

“Henry, mir gefällt das nicht! Es ist einfach unvernünftig, siehst du es denn nicht ein? Sie ist zu schwach und braucht die Ruhe!”

Annies Vater atmete tief durch.

“Es ist ihr größter Wunsch. Und ihr letzter, das weißt du! Willst du ihn ihr nicht erfüllen bevor sie uns verlassen muss? Noch hat sie die Kraft dazu!”

Ihre Mutter schluchzte, ehe sie mit weinerlicher Stimme antwortete.

“Was ist wenn sie nicht zurückkehrt? Wenn ihr etwas passiert? Sie ist das Einzige was ich noch habe! Das Einzige was zählt!”

Henry Fleming hüllte sich in Schweigen. Annie konnte sich seinen Gesichtsausdruck in diesem Moment gut vorstellen. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit unterbrach er das leise Wimmern seiner Gattin.

“Wir reisen! Etwas anderes kommt nicht in Frage! Begleite deine Tochter oder lasse es, aber wenn du uns alleine fahren lässt würde sie dir das niemals verzeihen. Und ich dir auch nicht!”

Annie hielt sich die Tränen zurück, ehe sie wieder in ihr Zimmer ging und die Türe verschloss. Sie wollte nicht über solche Dinge nachdenken, nicht ihren Kopf mit noch mehr Müll füllen. Sie wollte diese Zeit genießen solange sie konnte. Wo es doch sonst nichts in ihrem Leben gab. Sie war zu müde dafür, zu schwach. Und ihr war schwindelig. Sie warf noch einen Blick auf ihr Gepäck, ehe sie sich ins Bett fallen ließ und dort einschlief.

-

“Wach auf Engelchen, wir sind da! Das Schiff wartet nicht auf uns!”

Annie öffnete quälend langsam ihre müden Augen. Sie muss irgendwann während der Autofahrt eingenickt sein. Kein Wunder, es war noch sehr früh und in letzter Zeit fand Annie nur wenig Schlaf. Sie blinzelte Lichtscheu aus dem Seitenfenster, von wo aus sie die Aufbauten der Ruahine erblickte. Ein sechzehn Jahre alter Dampfer, der regelmäßig von England nach Australien und Neuseeland verkehrte. Sie erwiderte das Lächeln ihres glücklich wirkenden Vaters und umarmte ihn vom Rücksitz aus. Selbst ihre Mutter schien wieder etwas besserer Laune zu sein. Henry Fleming stieg aus dem Wagen, half anschließend erst seiner Frau und dann Annie, ehe er das Gepäck aus dem Kofferraum holte und das Fahrzeug verschloss. Sein Bruder George würde ihn nach Feierabend von hier abholen und während der Dauer der Reise bei sich in die große Garage stellen. Den Zweitschlüssel bekam er bereits vorherige Woche.

Das Einchecken verlief ohne Probleme. Das Gepäck wurde von einem Träger abgenommen, ehe die Familie über eine Gangway das Schiff betrat. Im Eingangsbereich warteten bereits mehrere Stewarts sowie Offiziere, die die Gäste begrüßten.

“Dürfte ich Sie auf ihre Kabine geleiten? Ihr Name bitte?”

Annie drehte sich zu einem bubenhaften Pagen um, der mit seinem pickeligen Gesicht und der Uniform nicht ganz ernstzunehmend wirkte.

“Fleming. F. L. E. M. I. N. G. Wir hatten eine Doppelkabine mit benachbarter Einzelkabine gebucht!”

Der Page schlug die Hacken zusammen, als wäre er in einer Millitärschule anstatt an Bord eines Passagierschiffes. Eiligen Schrittes führte er Familie Fleming den schmalen, langen Korridor entlang. Vor den beiden Kabinentüren stand bereits das Gepäck bereit, das über den Laderaum ins Schiff gebracht wurde. Der junge Mann öffnete beide Kabinentüren und überreichte anschließend Annies Vater die Schlüssel, welcher einen der beiden gleich an seine Tochter Annie weiterreichte.

“Ich hoffe die Kabinen sind zu Ihrer Zufriedenheit. Wenn Sie eine Frage oder Wünsche haben stehen meine Kollegen und ich Ihnen stets zur Verfügung!”

Mr. Fleming nickte zufrieden, während seine Blicke durch die großzügig ausgestattete Kabine schweiften. Nach einer Weile starrte er jedoch den Pagen an, der noch immer erwartungsvoll am Türrahmen stand.

“Ist irgendetwas?...Achso, natürlich!”

Ein bisschen genervt zückte Mr. Fleming die Brieftasche und überreichte dem jungen Mann zwei Pfund Trinkgeld. Dieser schlug erneut die Hacken zusammen.

“Ich danke Ihnen, Sir!”

Annies Vater schloss die Türe, ehe seine Tochter ihm und den Hals fiel.

“Danke! Du ahnst nicht wie glücklich ich im Moment bin!”

Henry Fleming erwiderte ihre Umarmung, während seine Blicke besorgt zu Annies Mutter gingen.

“Ich auch, Engelchen. Ich auch. Nur wäre mir eine Kabine mit einer Durchgangstüre lieber gewesen. Wenn etwas mit dir ist haben wir ja gar keinen Schlüssel!”

Annie sah ihren Vater enttäuscht an, während ihre Mutter zustimmend nickte.

“Was soll passieren? Nichts! Erinnere mich nicht ständig an meine Probleme. Nicht hier! In Ordnung? Ich will nur glücklich sein. Wenn ich noch weiß, was dieses Gefühl sein soll...”

Mr. Fleming schluckte. Er war sensibler geworden seit seine Tochter erkrankte.

“Verstehen wir doch, Liebes. Es ist nur so, Vater und ich machen uns eben Sorgen. Du bist alles was wir haben, das weißt du doch!”