Faithbreaker - Hannah Kaner - E-Book

Faithbreaker E-Book

Hannah Kaner

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Beschreibung

Das epische Finale der beliebten »Godkiller«-Trilogie Im Königreich Middren herrscht Krieg! Vom Norden her führt die Feuergöttin Hseth die Invasion. Die Rebellion um den Ritter Elogast hat keine andere Wahl, als sich mit dem Gottkönig zu verbünden. Auch die junge Inara ist auf der Suche nach neuen Verbündeten und alten Göttern, die ihnen beiseite stehen können. Die Godkillerin Kyssen hingegen hat nicht die Absicht, für den Gottkönig zu kämpfen. Doch um ihre Familie zu schützen, muss sie ihre Überzeugungen in Frage stellen. Wie weit werden die drei gehen, um den Krieg zu gewinnen?  Zu Band 1: "Düster, gewaltig und unglaublich fesselnd." – The Fantasy Hive "Kaners Debüt hat alles, was Fantasy Fans sich wünschen und noch mehr: Es ist voll von Blutbädern, Dämonen und Magie, während zeitgenössische Werte und Inklusion zelebriert werden." – Financial Times "Ein wundervolles, gewaltiges und explodierendes Debüt, welches im Kern eine klassische Quest mit einem ungleichen Trio trägt." – Daily Mail Band 1: Godkiller Band 2: Sunbringer Band 3: Faithbreaker

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Übersetzung aus dem Englischen von Wolfgang Thon

© Hannah Kaner 2025

Titel der englischen Originalausgabe:

»Faithbreaker«, HarperVoyager, London 2025

© der deutschsprachigen Ausgabe 2025:

Piper Verlag GmbH, Georgenstraße 4, 80799 München, www.piper.de

Für einen direkten Kontakt und Fragen zum Produkt wenden Sie sich bitte an: [email protected]

Redaktion: Wiebke Bach

Illustrationen: Tom Roberts

Karte: Tom Roberts

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Guter Punkt, München nach einem Entwurf von Sean Garrehy / HarperCollinsPublishers Ltd

Coverillustration: Tom Roberts

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

KARTE

PROLOG

KAPITEL 1

Kyssen

KAPITEL 2

Inara

KAPITEL 3

Elogast

KAPITEL 4

Skediceth

KAPITEL 5

Hestra

KAPITEL 6

Arren

KAPITEL 7

Kyssen

KAPITEL 8

Elogast

KAPITEL 9

Inara

KAPITEL 10

Elogast

KAPITEL 11

Kyssen

KAPITEL 12

Hestra

KAPITEL 13

Elogast

KAPITEL 14

Skediceth

KAPITEL 15

Inara

KAPITEL 16

Elogast

KAPITEL 17

Arren

KAPITEL 18

Elogast

KAPITEL 19

Kyssen

KAPITEL 20

Arren

KAPITEL 21

Inara

KAPITEL 22

Kyssen

KAPITEL 23

Elogast

KAPITEL 24

Skediceth

KAPITEL 25

Inara

KAPITEL 26

Kyssen

KAPITEL 27

Skediceth

KAPITEL 28

Kyssen

KAPITEL 29

Inara

KAPITEL 30

Kyssen

KAPITEL 31

Inara

KAPITEL 32

Kyssen

KAPITEL 33

Arren

KAPITEL 34

Elogast

KAPITEL 35

Skediceth

KAPITEL 36

Inara

KAPITEL 37

Elogast

KAPITEL 38

Kyssen

KAPITEL 39

Elogast

KAPITEL 40

Kyssen

KAPITEL 41

Elogast

KAPITEL 42

Arren

KAPITEL 43

Inara

KAPITEL 44

Kyssen

KAPITEL 45

Elogast

KAPITEL 46

Kyssen

KAPITEL 47

Arren

KAPITEL 48

Elogast

KAPITEL 49

Skediceth

KAPITEL 50

Kyssen

KAPITEL 51

Elogast

KAPITEL 52

Inara

KAPITEL 53

Skediceth

KAPITEL 54

Inara

KAPITEL 55

Kyssen

EPILOG

Inara

DANKSAGUNG

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Widmung

Für meine Brüder und meine Schwester.Meine leidenschaftlichsten Unterstützer und meine ältesten Freunde.

KARTE

PROLOG

Hestra, die Gottheit der Feuerstellen, spürte die Flammen von Hseths Ankunft. Fleisch, von weit mehr Substanz als ihres, Feuer, lodernder als ihre Flammen. Hseth war nicht länger eine Göttin, die Heidekraut verbrannte, damit die Herden grasen konnten, noch nur mehr eine Gottheit der Herde und Schmieden. Die Feuergottheit war für Blut, Eisen und Knochen wiedergeboren worden. Für den Krieg.

Während die Wochen vergingen, wuchs Hseths Macht, genährt von Wut und Angst, als die Talician über Berge und Wellen ausschwärmten, um Middren für sich zu erobern.

Hestra merkte trotz ihrer schwindenden Macht, wie die Herdstätten von Daesmünden bröckelten und einstürzten, während die Menschen versuchten, die Invasion vom Meer abzuwehren. Sie spürte, wie die Schamottsteine, in die einst ihre alten Symbole im Norden eingemeißelt worden waren, zerbrachen und erkalteten, als die Middreniten vor den flammenden Angriffen der Talician aus den Benniten flohen. Sie ließen ihre Häuser zurück, die wenigen Orte, an denen es noch Hestras Figurinen aus Zweigen und Moos gab, vergraben unter den Herdsteinen, als Gegenleistung für ihren Segen.

Nur wenige wussten überhaupt noch, dass der Mittelpunkt ihrer Häuser Schreine der Göttin des Herdfeuers verbargen.

Was dennoch nicht verhinderte, dass sie niederbrannten.

Aus den Schatten der Feuerstellen sah Hestra Rauchwolken über brennende Haine mit reifenden Früchten aufsteigen. Sie sah Brunnen, die vom Blut der Menschen geschwärzt waren, der Menschen, die zuvor aus ihnen getrunken hatten. Sie sah die beklagenswerten Menschen, die gefangen genommen wurden, sah mit an, wie ihr Vieh, ihre Kinder als Opfer zu Füßen einer Gottheit verschleppt wurden, die sich nicht mehr daran erinnerte, wie sich Liebe anfühlte, wenn sie aus freiem Willen geschenkt wurde. Nicht mit Klinge und Flamme erzwungen.

Hseths Feuerpriester brannten gerne fruchtbare Ländereien nieder, wenn sie sie dadurch schneller und kampflos einnehmen konnten. Es war ihnen gleichgültig, dass ihre eigenen Kämpfer an ihren Flammen erstickten, ihre Bäuche leer und ihre Kleider fadenscheinig waren. Es kümmerte sie nicht, dass Gottheiten niemals als Waffen benutzt werden sollten.

Hestra überlegte, ob sie zu Hseth gehen, von Herdgottheit zu Feuergöttin sprechen und die talicianische Göttin an die Versprechen erinnern sollte, die sie einst gegeben hatte. Sollte sie Hseth daran erinnern, dass sie einst weise gewesen war, dass sie gewusst hatte, wann man mit Flammen verbrennen und wann man das Feuer ersterben lassen musste.

Sie tat es nicht. Hseth würde sie nicht anhören. Sie lauschte nur auf die Stimmen ihrer Priester und die Schreie ihrer Opfer.

Es gab nur eine Person, die sich für Hestras Worte offen zeigen würde, aber ihm wusste sie nichts zu sagen.

»Willst du nicht mit mir reden, Herdgöttin?«, flüsterte Arren in den seltenen Momenten, in denen er allein war, nachdem er sich aus der Gefangenschaft der Rebellen freigehandelt hatte. Jetzt setzte er sein Banner ein, um Armeen zu ihrer Verteidigung um sich zu scharen. »Willst du schweigen, bis unser ganzes Volk zu Asche und Staub geworden ist?«

Unser Volk?

»Die Ländereien der Vittosk im Osten sind bereits überrannt, Hestra«, drängte Arren weiter. Die Erwähnung ihres Namens war wie ein Ruck an ihrem Herzen. Was sie mit eigenen Augen gesehen hatte, erfuhr er durch Briefe, Gesuche um Hilfe, Versprechungen von Soldaten, Gardisten, Vorräten. Sie spürte seine Stimme in ihren Zweigen, in ihrem Körper. Sie nahm seine Angst wahr, als wäre es ihre eigene. »Sie haben Blenraden eingenommen und ihre Pilger und die Stadtgardisten an den Zinnen aufgehängt, wie Totems, gehäutet mit Feuer.«

Hestra grub sich tiefer in sein Herz und wünschte, seine Worte könnten sie nicht erreichen. Die Getreuen verbrennen und Freude am Schmerz empfinden, das wollte sie ganz gewiss nicht. Hestra wünschte sich, dass sich die Menschen von ihren prunkvollen Städten und Glücksgöttern abwandten. Sie ersehnte, dass sie sich von ihren Münzen, ihrer Seide und ihren Gewürzen abkehrten und sich zu ihren Herden zurückwandten, zu ihr zurückkehrten. Dass sie aus Angst vor der Dunkelheit ihre Wärme suchten.

»Sie hat dich vergessen, mein Herz.«

Das wusste Hestra. Natürlich wusste sie es. Alle Versprechungen waren mit Hseths Tod gebrochen worden. Jetzt musste sie sich fragen, ob die andere Gottheit des Feuers sie überhaupt jemals ernst gemeint hatte.

War es so falsch gewesen, ihr zu helfen? Sie hatte nur eines tun, einen kleinen Kind-König retten müssen, der sein Leben auf einem Steinboden aushauchte. Sie hatte ihn durch Manipulation in ihre Gewalt bringen und ihn dann Hseth und ihrer Heimtücke ausliefern sollen. Sie hatten gehofft, in dem freien Raum Wurzeln schlagen zu können, aus dem Middrens Götter herausgerissen worden waren.

Es war auch gut gegangen, eine Zeit lang wenigstens. Hestra hatte durch die Bindung an Arren an Leben und Kraft gewonnen, war durchdrungen von Farbe. So viele Hoffnungen, Träume, so viele Versprechen hatte er ihr geschenkt.

Und nun standen sie alle am Abgrund ihres Untergangs.

Arrens Festung war geschliffen und erobert worden, sein Geliebter hatte ihm ein Schwert in den Leib gerammt, versucht, ihn zu töten, und er und Hestra waren beide von dem Halbgott, diesem Craier-Mädchen, fast zu Tode erstickt worden. Er war jetzt ein König ohne Reich. Verlorener Stolz und ein aussichtsloser Krieg.

Er hatte ihr keine Macht mehr zu bieten, und sie hatte ihm nichts zu sagen. Götter vermochten jahrhundertelang zu schweigen, und nur der erste Segen, den sie ihm gewährt hatte, den sie ihm schwarz in sein Fleisch gebrannt hatte, hielt sie noch zusammen.

Das Versprechen, ihn am Leben zu erhalten.

Konnte sie ihn verlassen? Sie hatte fast ihre ganze alte Kraft aufgebraucht, um Arrens Doppelgänger mit seinem Heer nach Lesscia zu führen, und dann den Rest, um ihn mit seinem ach so kostbaren Ritter, dem kleinen Gott der Notlüge und dem Halblingsmädchen, das sich mit ihnen an ihren Herd geschlichen hatte, wieder in die Festung zurückzubringen. Die Gebete an sie kamen jetzt so spärlich, so gering, ihr Wille war so schwach, dass sie fürchtete, ihre Gestalt, ihre Form, ihr wahres Ich zu verlieren, wenn sie den König verließ. Dass sie dann nichts mehr wäre als eine namenlose Macht, ein bösartiger Geist, ein Hauch im Wind.

Vielleicht sollte sie es einfach tun. Verschwinden. Was gab es sonst für sie? In dem Land eines treulosen Königs ohne Thron zu bleiben, bedrängt von Flammen, die sie nicht beherrschen konnte? Gefangen in der Brust eines Mannes, der die ganze Liebe, die Verehrung, all das nur für sich selbst beanspruchte?

Unser Volk.

»Lässt auch du mich hier allein«, fragte Arren, »wie all die anderen?«

Er sprach wie zu sich selbst und starrte aus seinem Fenster in den Sternenhimmel über der Stadt Sakre. Hatte er wirklich zu ihr gesprochen? Oder redete er mit Elogast in seinem Geist? Sie behielt ihre Gedanken für sich und spendete ihm weder Trost noch Schmerz. Er wollte Liebe, wie sie. Und Macht. Der Krieg hielt sie beide zwischen zwei Welten gefangen: Flamme und eine Zukunft, ein König und Chaos.

Gott und Mensch.

KAPITEL 1

Kyssen

Kyssen lag in der perfekten Mulde zwischen Elos Schulter und Brust, befriedigt und erschöpft. Die Kabine, die man ihr zugewiesen hatte, war kaum drei Schritte breit, und die kleine Koje nahm den größten Teil des Raumes ein.

Trotzdem zog sie diese Unterkunft einer Hängematte im Bauch des Schiffes vor, Wange an Wange mit der Besatzung, die den Eindruck machte, als würde sie ihr die Zähne aus dem Mund reißen und ihr die Kehle aufschlitzen – und das mit einem Lächeln. Trotz Inaras Beteuerungen traute Kyssen weder Lessa Craier noch ihren Rebellen. Ihre Hand schmerzte noch immer von der Flucht aus den Ketten der Lady durch einen Keller voller Schwarzfeuer.

Es war schön, eine abschließbare Tür zwischen ihr und ihnen zu haben. Und zugegeben, ein bisschen Privatsphäre konnte auch nicht schaden.

»Woher nimmst du nur all diese Energie?«, stöhnte sie, setzte sich auf und spritzte sich kaltes Wasser aus der Waschschüssel ins Gesicht. Elo stützte sich auf die Ellbogen und grinste sie an. Er sah provozierend selbstgefällig aus.

»Ich habe nicht gehört, dass du dich beschwert hättest«, konterte er.

»Ich habe auch nicht gesagt, dass ich mich beschwere.« Sie lehnte sich an die andere Seite der Pritsche und betrachtete ihren Freund und Liebhaber in dem schwachen Licht, das durch das Bullauge drang.

Elo hatte sich verändert. Er war härter, wilder geworden, als er bei ihrem Kennenlernen gewesen war. Die Brandnarbe auf seiner Brust, ein Andenken von Hseth, war gut verheilt und hatte sich zu einer gesprenkelten, rosafarbenen Hand entwickelt, die sich hell von der dunkelbraunen Haut seiner breiten Brust abhob. Sie fügte sich in das Geflecht von Narben aus älteren und jüngeren Kämpfen ein.

»Aber«, fügte sie hinzu, »ich weiß, wann ich als Zerstreuung benutzt werde.«

Elo legte den Kopf auf die Seite und grinste. Der Schatten von Bartstoppeln betonte die scharfe Linie seines Kiefers. »Ich verspreche dir, Kyssenna, du hattest meine volle Aufmerksamkeit«, sagte er.

Dieser Mistkerl. Niemand benutzte ihren vollen Namen. Nicht einmal Yatho oder Telle.

Er setzte sich etwas aufrechter hin, sein Lächeln wurde schwächer. »Natürlich brauche ich Zerstreuung«, räumte er dann ein. »Wir sind im Begriff, diesen Krieg zu verlieren.«

In Sakre fühlte es sich jedoch nicht an, als herrschte Krieg. Es war erst Wochen her, dass Kyssen den Putschversuch von Lessa Craier gestoppt hatte, und der König hielt sich immer noch in der Hauptstadt auf, sammelte Truppen der ansässigen Adligen, verstärkte die Verteidigung, organisierte Nachschub und Waffen. Der größte Teil dieses Krieges bestand aus der Langeweile des Wartens auf die Schlacht selbst.

Aber Kyssen wusste, dass der Kampf gegen Hseth nicht das Einzige war, was Elo beschäftigte. Seine eigene Rebellion war gescheitert, war von Anfang an verloren gewesen, und nun war er gezwungen, sich wieder mit dem König zu verbünden, den er zu töten versucht hatte und der sich seinerseits bemüht hatte, ihn zu töten.

»Du solltest mit uns nach Irisia kommen«, schlug Kyssen vor und runzelte die Stirn. »Scheiß auf den König. Scheiß auf all das hier. Schließ dich der Craier-Mission an und sprich für Middren, dort, im Land deiner Mutter.« Sie stupste ihn mit dem Fuß an. »Wie auch immer, zwischen Skedi, Inara, ihrer Mutter und den Göttern weiß ich nicht, wo ich stehe.« Sie hob ihren Beinstumpf und wackelte ihm damit zu. »Oder vielmehr hüpfe.«

Elo lachte und schloss die Augen. Kyssen zog ihr Bein zurück und rieb ihren Daumen über das abgetrennte Ende unter ihrem Knie. Am wohlsten fühlte sie sich nackt, vernarbt in all ihrer Pracht. Sie konnte nur selten den Luxus der Privatsphäre und Wärme genießen, den eine Schiffskabine ihr bot. Nachdem sie sich durch das raue talicianische Hochland geschleppt hatte, wollte sie das Beste daraus machen.

»Oder …«, fuhr sie fort. »Wenn du willst, dass ich bleibe, könnte ich kämpfen …«

Er öffnete die Augen wieder. »Nein«, sagte er. »Die letzte Nachricht, die ich von deinen Schwestern bekommen konnte, lautete, dass sie es nach Weild geschafft haben. Wenn es etwas Gutes auf der Welt gibt, werden sie das erste Schiff nach Irisia genommen haben.«

Kyssen blickte aus dem Bullauge auf die Hafenmauer, zwischen den Türmen hindurch auf das offene Meer, das hell und silbrig glänzte. Die Welt war groß, und ihre Schwestern konnten überall sein. »Es ist eine törichte Hoffnung«, erwiderte sie.

»Aber dennoch eine Hoffnung. Du hast mehr als genug für dieses Land gegeben.«

»Du etwa nicht?«

Er rieb sich die Stirn. Die Frühsommersonne brannte auf die Seite der Kabine, und die Hitze prickelte auf ihrer Haut, obwohl sich eine leichte Brise unter der Tür hindurchschlich. Es duftete nach dem irisianischen Eintopf, den Elo ihr in einer dünnen Keramikschüssel von einem der Stände am Hafen mitgebracht hatte. Seine Lieblingsspeise. »Ich kann nicht weggehen«, sagte er. »Und das werde ich auch nicht. Mein Platz ist hier. Nur ein Feigling verlässt das Chaos, das er selbst angerichtet hat.«

»Es ist nicht dein Chaos«, beharrte Kyssen. »Es ist das von Arren, es ist das der Götter, es ist das von Lessa Craier. Du hast nur versucht, die Dinge in Ordnung zu bringen.«

»Und versagt.« Elo lachte hohl. »Kläglich versagt. Ich hätte unser Land fast an den Rand eines Krieges getrieben. Ich hätte beinahe Inara verloren und deine Familie getötet.« Er berührte seinen Scheitel. Sein Haar war zu dichten Locken gewachsen, die fast lang genug waren, um sie zu einem Zopf flechten zu können. »Ich hätte dich fast umgebracht, Kyssen.«

»Na ja, ich habe mit meinem Anflug von Arroganz wohl ebenfalls dazu beigetragen, nicht wahr?«, warf sie ein.

Er lachte wieder. Wenigstens konnte sie ihn zum Lachen bringen. Sein Lächeln war warm, aber kurz, und er schwang seine muskulösen Beine über die Seite der schmalen Koje. Es gefiel ihr, dass er sich in ihrer Nähe wohlfühlte, in seiner eigenen Haut. Aufrichtigkeit. Sie waren ehrlich zueinander. Das zwischen ihnen war keine Liebesgeschichte, keine Romanze. Es war Vertrauen, bedingungsloses Vertrauen. Begehren, ohne Besitzdenken. Sie empfand plötzlich den Drang, ihn wieder zu küssen.

»Meine Zeit ist vom Scheitern geprägt«, sagte er. »Ich kann das entweder akzeptieren und meine Fehler korrigieren oder bei dem Versuch sterben.«

»Oder du könntest diesem Land den Rücken kehren, einem Land, das dir nichts anderes gegeben hat als Narben.«

Er sah sie an, und an der Falte neben seiner Lippe, dem trotzig vorgeschobenen Kiefer, erkannte sie, dass er es nicht tun würde. Er konnte es nicht. Er hatte Middren und Arren zu viel von sich geschenkt, um das alles zurückzulassen.

»Glaubst du, dass du zurückkommen wirst?«, fragte er, statt zu antworten.

Kyssen strich sich die Haare aus den Augen und lehnte sich mit dem Rücken an die Kabinenwand. »Ich weiß es nicht«, gab sie ehrlich zu. »Außer dir wartet hier nicht viel auf mich. Und ich mag zwar deine Aufmerksamkeit haben, Bäcker-Ritter«, sie sah ihn von oben bis unten an, »und den Rest von dir auch. Aber … ich weiß, dass dein Herz für jemand anderen schlägt.«

Elo zuckte zusammen. Dann stand er auf und schnappte sich sein Hemd von dem ordentlichen Stapel seiner Kleidung. Dieser verdorbene Mann hatte sie fein säuberlich zusammengefaltet, als sie sich entkleideten. »Ich gehe wohl besser«, sagte er und zog das Hemd über seinen Kopf und die Narbe auf seiner Brust. »Bevor das Schiff noch mit mir an Bord in See sticht.«

Scheiße! Sie hatte ihre Worte nicht gerade geschickt gewählt. Es war sein Herz, sein Leben, das Hseth und der König ihm im Tausch gegen Macht hatten nehmen wollen.

Arren. Der Kern von Elos Schmerz und der Grund für seine miese Laune. Sein Verräter und das Zentrum seiner Seele.

»Er hat dir gesagt, dass er dich liebt«, drängte Kyssen, »nicht wahr?«

»Er hat mich manipuliert«, erwiderte Elo, beugte sich vor, um nach seiner Hose zu greifen, und gewährte Kyssen einen höchst appetitlichen Blick. »Während ich versuchte, ihn zu töten.«

»Und es gelingt ihm, weil …« Weil Elos Leben mit dem von Arren verflochten war, verworren, verknotet, und das auf schmerzhafte Weise. Es zu ignorieren, half kein bisschen dabei, es zu lösen.

»Wir haben uns noch nie geküsst, Kyssen.«

»Wenn die Liebe nur aus Küssen bestünde, hätten alle weniger Probleme.«

»Ich hasse ihn. Alles, was er getan hat. Alles, wofür er steht.«

»Liebe und Schmerz sind gar nicht so verschieden«, dozierte Kyssen. »Warum sollten die Götter sonst Blut und Tod als Opfergaben verlangen?«

Elo seufzte und schnürte seine Hose. »Er ist kein guter Mensch.«

»Nein.« Kyssen griff nach ihrem eigenen zerknitterten Hemd und zog es an. Diese gestohlenen Momente konnten nicht lange andauern, nicht wenn sie beide in dieser Stadt auf dem schmalen Grat zwischen Verhaftung und Nützlichkeit wandelten. Doch vielleicht hätten sie länger angedauert, wenn sie ihre Zunge besser im Zaum halten könnte. »Aber wenn du in seiner Armee kämpfen willst, musst du deine Probleme irgendwie lösen.«

Ihr Ritter ignorierte sie und setzte sich auf das Bett, um seine Stiefel anzuziehen.

»Du könntest ihn ficken«, sagte sie fröhlich. »Bei uns beiden hat das funktioniert.«

Gegen seinen Willen lachte Elo schnaubend, einen Stiefel am Fuß, den anderen noch auf dem Boden. Kyssen grinste ihn an und beugte sich vor, um ihre neue Prothese von den Planken aufzuheben. Elo hatte geholfen, sich in Sakre zurechtzufinden, und eine neue Prothese aus den Mitteln bezahlt, die er in einem der zu einer Bank umfunktionierten Tempel der Stadt aufbewahrt hatte.

»Kommst du damit zurecht?«, fragte er, als er bemerkte, wie sie die Halteriemen zurechtrückte. Es war eine gute Handarbeit, mit rotem Leder als Polster für die Kniescheibe und einem hölzernen Bein. Aber die Prothese war bei Weitem nicht so effektiv wie die, welche Yatho für sie angefertigt hatte. Der Fuß war bereits vom Gebrauch abgeplatzt und ramponiert, und das Bein war nicht individuell für sie angefertigt worden. Deshalb fühlte sie sich damit etwas unsicher, als hinkte ihr Bein dem Rest von ihr einen Hauch hinterher. Dennoch war es eine Verbesserung gegenüber dem verdrehten Schrott, den ihre Abenteuer aus ihrem alten Bein gemacht hatten.

»Es ist, als würdest du ein Schwert verlieren, das für deine Hand gemacht ist, und dich stattdessen mit einem Streitkolben begnügen müssen«, erwiderte Kyssen. Ein Streitkolben, der einem in die Hand biss. Der quälende Druck ihres rechten Schienbeins und ihrer Wade wurden schlimmer, wenn ihr künstliches Bein sich nicht genug wie ihr eigener Körper anfühlte. »Aber es ist brauchbar. Die Handwerker sind in den Jahren seit dem Götterkrieg besser geworden. Du hättest den Mist sehen sollen, mit dem ich als Kind vorliebnehmen musste.«

Elo legte seine warme Hand auf ihre Schulter, und sie schmiegte sich einen Moment hinein. Dann holte er tief Luft.

»Wenn du noch einmal sagst, dass es dir leidtut, haue ich dir eine rein!«, kam sie ihm zuvor, zurrte den letzten Riemen fest und schüttelte seine Hand ab. »Ich habe mich freiwillig entschieden, gegen die Göttin des Feuers zu kämpfen. Und sie zu besiegen. Und ich würde es wieder tun.«

Elo nickte, reichte ihr die Hose und nahm dann seinen eigenen Wappenrock. Er war wattiert, von einem leuchtenden Blau, mit kräuselnden Wellen aus Gold gestreift. Er schnallte ihn mit seinem Gürtel fest, an dem ein neues Schwert hing. Sein altes hatte er in Lesscia verloren, und diese neue Klinge hatte einen schlichten Griff, der nicht mehr an den Löwenkopf erinnerte, den er geopfert hatte.

»Nur …« Sie zog ihren Schuh über ihre Prothese. Der Rechte war angepasst und die Schnürung etwas gelöst worden, damit er leicht darübergleiten konnte. »Sie hat Briddite in ihrem Herzen. Ich weiß nicht, ob die Tricks einer Veiga ihr diesmal schaden können.«

»Du glaubst, die Berichte sind wahr?« Elo kniete sich unaufgefordert hin, um ihr beim Binden der Schnürsenkel zu helfen. »Dass die Talician Hseth beschwören können, um sie als Waffe in diesem Krieg einzusetzen?«

Kyssen seufzte und zog ihren Brustgurt von seinem Haken an der Wand. Sie hatte sich ein paar Wurfmesser besorgt, eines aus Briddite, und dazu ein Entermesser mit einer Briddite-Schneide. Ihrer Meinung nach war das längst nicht genug von dem Erz, aber sie musste sich damit begnügen. Sakre stand größtenteils immer noch loyal zu Arren, und die meisten ihrer Bridhid-Vorräte waren zu nutzlosen Talismanen eingeschmolzen worden, die die Menschen trugen, um böse Götter und Geister abzuwehren.

»Ich habe noch nie eine solche Macht wie ihre bei einer Gottheit erlebt«, sagte sie schließlich. Natürlich erschienen Götter manchmal in ihren Schreinen, wenn sie gerufen wurden, aber längst nicht immer. Sollten sie tatsächlich Hseth nach Gutdünken herbeirufen können, war die Göttin entweder sehr naiv oder sehr gierig. Oder beides. »Ihre Priester regieren das Land und befehligen die Armee. Sie setzen Angst und Schmerz als Waffen ein, also bezweifle ich nicht, dass sie auch die Gottheit benutzen können. Ich habe die Schreine gesehen, die sie errichtet haben; wenn sie sie bei ihren Armeen mitführen, können sie ihre Göttin überall herbeirufen.«

»Ihre Fußsoldaten müssen erschöpft sein«, murmelte Elo. »Talicia hat seit fast fünfzig Jahren keinen Landkrieg mehr geführt. Nur wenige von ihnen werden dafür ausgebildet sein, und du sagtest, die Hälfte von ihnen seien Knechte, Fischer, Jünglinge. Warum sollten sie sich das antun?«

»Angst und Macht bringen Menschen dazu, dumme Dinge zu tun«, erwiderte Kyssen. »Verrückte Dinge.« Sie hatte Elo, Lessa und dem König alles berichtet, was sie in Talicia gesehen hatte: die Verbrennung von Kindern, von Menschen, den Fanatismus und den Terror.

»Ich weiß nicht, wie wir das aufhalten können«, gab sie zu. »Selbst wenn die Craier Hilfe von Irisia bekommen würden, selbst wenn du sie im Norden aufhalten könntest …«

»Ich lasse mir schon etwas einfallen«, sagte Elo.

Oh, er nervte sie! Er war so übertrieben gelassen.

Jemand rüttelte an der Tür, und der kurze Moment der Ruhe war vorbei.

»Was?«, bellte Kyssen.

»Die Flut kommt«, antwortete eine vertraute Stimme. »Ich dachte nur, dass Elo vielleicht nicht ans Ufer schwimmen möchte, falls wir Segel setzen und ablegen.«

Kyssen griff nach ihrem Stab und schob die Tür auf. Davor stand Inara im warmen, hellen Sonnenlicht und sah gewollt unschuldig drein. Ihr kurz geschnittenes Haar stand ihr gut. Es wuchs zu einem Dickicht von Locken um ihren Hals und ihre Ohren heran. Ihr dreizehnter Geburtstag war mit der Wärme des Frühlings vergangen, und sie war in den gefühlt wenigen Wochen, seit Kyssen ihr zum ersten Mal begegnet war, auch deutlich gewachsen.

»Woher wusstest du, dass ich hier bin?«, erkundigte sich Elo. Er griff nach den Keramikschalen, die er von dem Essensverkäufer mitgebracht hatte, und steckte sie in seinen Beutel, nachdem er sie mit Brot ausgewischt hatte. Er würde sie im Austausch gegen ein Kupferstück zurückgeben.

»Man hat dich in den frühen Morgenstunden an Bord schleichen sehen«, sagte Inara. »Wie einen Dieb in der Nacht.«

Elo knirschte mit den Zähnen, doch als er in die Helligkeit und den Lärm des Schiffsdecks hinaustrat, war es schwer vorstellbar, dass er ein Dieb war oder um ein paar Münzen bettelte. Seine Haut glühte, als wäre er von der Sonne geboren worden, und in seinem feinen Gewand sah er eher aus wie ein Fürst als ein fahrender Ritter oder gar der Bäcker, als den er sich bei ihrer ersten Begegnung bezeichnet hatte.

Auch Inara war fein herausgeputzt. Sie hatte auf das Craier-Grün verzichtet und trug stattdessen ein steifes ockerfarbenes Unterhemd mit flauschigen Leggins aus Wolle und darüber eine lange rote Tunika, die an den Schultern mit Tröpfchen aus gestoßenem Glas übersät war. Einen Moment lang kam sich Kyssen in ihrem zerknitterten Hemd und der geflickten Hose ziemlich deplatziert vor. Sie war eine ausländische Waise, ein Straßenkind und eine Söldnerin, nicht dazu bestimmt, Seite an Seite mit Rittern, Adligen und Königen zu stehen.

Andererseits hatte es sie noch nie gekümmert, wo ihr Platz war.

»Ich wette, diese kleine Gottheit hat uns verpfiffen.« Kyssen blickte hoch. Und richtig, Skediceth, der Gott der Notlügen, saß auf dem höchsten der drei Hauptmasten von Lessa Craiers Schiff und nahm mit ausgebreiteten Flügeln in der Seeluft ein Sonnenbad. Seit den Kämpfen in Lesscia hatte er sich weitgehend erholt, aber er war kleiner und ruhiger geblieben, als sie es von ihm gewohnt war. Wenn er nicht gerade auf Inaras Schulter hockte, hielt er sich oft dort oben im Krähennest auf, als stummer Wächter vor Möchtegern-Attentätern, die sich vielleicht an den Craiers auf ihrem Schiff, der Silberpfeil, rächen wollten.

Kyssen musste zugeben, dass es sich um ein wunderschönes Schiff handelte. Das erhöhte Vordeck war bis zum Bug mit einer vergoldeten Reling versehen, die in fließenden, gewundenen Formen geschnitzt war. Dort befand sich Kyssens Kabine Seite an Seite mit der von Tarin, Lessas Kommandantin ihrer Wache und Mitrebellin. Das Achterdeck, wo Lessa und Inara ihre Kajüte hatten, befand sich auf der anderen Seite des gut geschrubbten Hauptdecks, auf dem sich zurzeit weder Fässer noch Vieh fanden. Dafür war jetzt dort die Mannschaft damit beschäftigt, die Segel zu hissen.

Außerdem waren dort ebenfalls, zwischen der senkrechten Vertäfelung und den Türen, drei kleine Nischen mit Schreinen in das Holz eingelassen. Vor dem Götterkrieg hatte jedes middrenitische Schiff solche Schreine für die Götter gehabt, die sie auf den Meeren beschützen sollten. Jetzt jedoch schienen diese Altäre aus einem anderen Zeitalter zu stammen.

Einer war unverkennbar Yusef geweiht, dem Gott des Sicheren Hafens. Inaras Vater. Das für ihn geschnitzte Totem war eine breitschultrige, bärtige Statue, behängt mit einer Kette aus roten Glasperlen. Wie in den meisten seiner Schreine, die Kyssen vor seinem Tod gesehen hatte, trug er auch hier die Wanderroben der östlichen Stämme, die Restish Jahrhunderte zuvor besiedelt hatten, und dazu einen Gürtel, der aus einem Segeltau geflochten zu sein schien.

Die anderen Gottheiten waren ihr nicht so vertraut: Einer trug eine Muschel mit Stacheln und eine Krone aus vergoldeten Kaurischnecken, der andere das geflügelte Totem einer Möwe, das aus hellem, glattem Stein gehauen war. Der Schrein war wahrscheinlich der eines Windgottes, und Kyssen widerstand dem Drang, in seinen Opferbecher zu spucken. Sie hatte in letzter Zeit eine gewisse Aversion gegen Windgötter entwickelt.

»Alles ist verladen«, stellte Inara fest und zog Kyssens Aufmerksamkeit auf sich. »Abgesehen von Tausendbein.«

Kyssen warf einen Blick über die Reling auf die Pier. Dort stand ihr Pferd und fraß zufrieden Heu aus einem Futtersack. Mit dem Schweif verscheuchte es die Fliegen, die um es herumsummten, ohne das lärmende Treiben des Hafens zu beachten. Tausendbein stand immer noch in den provisorischen Ställen, direkt unter den Flaschenzügen, mit denen sie die Tiere an Bord hievten. Sie hatte den Stauern befohlen zu warten, weil sie nicht wollte, dass Tausendbein die Nacht an Bord in der engen Dunkelheit unter Deck verbringen musste.

Kyssen seufzte. Was sie jetzt tat, würde ihr wehtun.

»Elo, ich habe ein Geschenk für dich«, sagte sie und bewegte sich vorsichtig mithilfe ihres Stabes seitlich die Laufplanke hinunter. Besser, sich wie eine Krabbe zu fühlen, als zu stürzen und sich das Genick zu brechen.

»Was meinst du damit?« Elo folgte ihr. Im Haupthafen von Sakre, nördlich der Silberpfeil, wimmelte es nur so von Menschen – Händler, Stauer, Läufer und Mannschaftsmitglieder –, aber das Schiff der Craiers lag an einer privilegierten Position an der Pier der Adligen, isoliert und in einem Becken der Stille, abgesehen von den klagenden Schreien der Möwen. Neben dem Gestank von Lauge und Blut in den Straßen der Heiler war dies einer der wenigen verbliebenen Hinweise darauf, dass diese Stadt in der Schwebe hing, unentschieden im Kampf zwischen König und Rebellen. Jedenfalls so lange, bis Lady Craier begriff, dass die Vernichtung Arrens die Spaltung ihres Landes in viele Fraktionen bedeuteten würde, die sich gegenseitig bekämpften, statt ihr in den Krieg zu folgen.

Als Kyssen auf die Steine der Pier trat, wieherte Tausendbein leise und kam ihr entgegen, um sie zu begrüßen. Kyssen streckte eine Hand nach seiner warmen, kräftigen Nase aus und strich über die weiße Blesse, die sie markierte. Seine Pfeil- und Stachelwunden waren gut verheilt, hatten aber blasse Narben in seinen Flanken hinterlassen.

»Soll ich den Kapitän rufen, damit er ihn an Bord hieven lässt?«, fragte Inara, die ebenfalls auf seine Narben blickte.

»Nein«, sagte Kyssen. »Er kommt nicht mit.«

»Er kommt nicht mit?«

Inara kletterte auf den Zaun seines Geheges, um ihn ebenfalls zu streicheln, aber er stampfte mit den Hufen und wandte seinen Schädel Elo zu, ohne das Mädchen zu beachten. Ihre Mundwinkel zuckten nach unten, aber sie unterdrückte ihre Enttäuschung, als Elo den Hals von Tausendbein streichelte.

Der Ritter kapierte endlich, was Kyssen meinte. »Du kannst ihn nicht zurücklassen«, sagte er. »Ich habe mir große Mühe gegeben, ihn für dich hierher zu holen.«

»Ich weiß«, erwiderte Kyssen barsch. »Aber ich habe es dir schon gesagt: Ich schulde ihm etwas Besseres als einen langsamen Tod in einem Käfig.«

»Aber er liebt dich«, wandte Inara ein. Sie verkniff sich, hinzuzufügen: Auch wenn er mir nicht verziehen hat, dass ich ihn mitten in einen Aufruhr hineingeritten habe. Kyssen tätschelte tröstend ihren Arm.

»Manchmal muss man die Liebe loslassen«, sagte sie. »Er ist ein Pferd für das Gelände, er kennt dieses Land. Ich kann ihn nicht wochenlang in einen stinkenden Schiffsrumpf ohne Licht und Luft sperren. Das würde ihm das Herz brechen.«

Sie konnte sich Tausendbein nicht ohne die grünen Plätze vorstellen, die Bäume und Berge, die Straßen, über die er sie immer wieder getragen hatte, ohne Kastanienblätter und Farnkraut. Sie hatte ihn, als er kaum ein Jahr alt war, einer Frau abgekauft, die zu großzügig mit der Peitsche umging und zu geizig mit der Weide war. Es hatte lange gedauert, bis er sich mit ihr angefreundet hatte, aber dann gehörte er zur Familie.

Elo schüttelte den Kopf, als Tausendbein sein Maul an seiner Schulter rieb. »Wir beide schulden ihm etwas Besseres als einen langen Weg in den Krieg.«

»Dann nimm ihn eben nicht mit in die Schlacht. Er ist loyal und trittsicher. Und …« Sie schnalzte missbilligend, als ihr eigenes verdammtes Pferd seine Schnauze in Elos Hände drückte. »Der Bastard scheint dich zu mögen.«

»Du hast mir einmal gesagt, ich sollte mich von ihm fernhalten«, sagte Elo und liebkoste nun Tausendbeins Blesse.

»Tja, wenn ich Euch schon nicht meine Arme anbieten kann, Bäcker-Ritter, so kann ich Euch wenigstens meine Beine anbieten.« Sie zwinkerte ihm zu, und Inara prustete. »Es gibt Packpferde in der Armee, er kann dein Packpferd sein. Und ein Freund. Ein Freund, dem du vertrauen kannst.«

Elo lächelte so strahlend, dass seine Augen funkelten, dann drehte er sich um und packte ihre Schultern. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

»Sag einfach, dass du auf ihn aufpassen wirst«, antwortete Kyssen und griff nach seinem Nacken. Es war eine Geste irgendwo zwischen dem Griff einer Kriegerin und der Umarmung einer Geliebten.

»Ich verspreche es.«

Tausendbein schnaubte, verärgert darüber, dass er ignoriert wurde, dann ging er behutsam und vorsichtig zu Inara, legte seine Nase an ihre Schulter und schnupperte an den Juwelen dort. Er wich nicht aus, als sie langsam eine Hand auf seine Mähne legte, und ließ sich von ihr halten.

Kyssen atmete aus. Sie wünschte, sie könnte Elo in ihren Armen halten, die ganze Welt allein durch ihren Willen zusammenhalten. Sie hatte Angst, dass er verschwinden würde, wenn sie ihn gehen ließ, sich in den Krieg stürzte, und als Held starb, obwohl sie wollte, dass er lebte, dass er weiterlebte.

»Ich hoffe, wir sehen uns wieder, Bäcker«, sagte sie, statt all das auszusprechen, was sie fühlte. Aber er wusste es. Natürlich wusste er es.

»Das werden wir«, versprach Inara und beugte sich vor. Sie schlang ihre Arme um die beiden. »Wir kehren mit Schiffen und Waffen zurück, aus Irisia. Vielleicht auch mit ihren Göttern.«

Flügel schwirrten, und als wäre er durch das Wort »Götter« herbeigerufen worden, landete Skedi auf dem Zaun neben Tausendbein. Er hatte die Größe eines kleinen Eichhörnchens angenommen, und seine Flügel waren hell und gefleckt wie die einer Eule. An seinem Geweih baumelten einige merkwürdige Gegenstände: einer der Perlmuttknöpfe von Inaras Jacke, ein Stück lockiges Haar, das fest darum gewickelt war, und ein grünes Perlenarmband von einem der Archivare, die Inara und Telle geholfen hatten, mit all den Schriften aus der Cloche zu entkommen. Außerdem hatte er einen Fleck auf der Stirn, bei dem es sich um Schmutz … oder um Blut handeln konnte.

»Menschen berühren sich gerne, nicht wahr?«, sagte er, und seine Schnurrhaare zuckten.

»Was willst du, kleiner Gott?« Kyssen trat von den anderen zurück, als Skedi den Kopf auf die Seite legte. Sie verglich das mit einem Lächeln.

»Inaras Mutter kommt«, sagte er. Er straffte seine Flügel und bewegte ängstlich seine Pfoten. »Und der König ebenfalls.«

KAPITEL 2

Inara

Kaum hatte Skedi gesprochen, machte sich Unbehagen in Inaras Brust breit. Das warme Gefühl, mit dem sie Elo und Kyssen umarmt hatte, verflog, wurde verdrängt von einem harten, verdrehten Gefühl. Mutter. König. Verbündete. Feinde.

Warum kam der König hierher? Er und ihre Mutter hatten einen befristeten Waffenstillstand geschlossen – seine Fähigkeit, Middren gegen die Bedrohung durch Hseth zu vereinen, gegen die Gewissheit, dass Lessa ihn einmal fast gestürzt hatte und es wieder tun könnte, wenn er versagte. Inara hatte diesen Pakt gehasst, aber im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte sie Hseth so gesehen, wie sie einst gewesen war, groß und furchterregend. Sie hatte am Horizont die Feuer des ersten Angriffs auf Daesmünden gesehen. Sie hatte gesehen, wie die Armee in Lesscia vor Zuversicht in Arren förmlich glühte, voller Vertrauen in seine Macht.

Aber Inara wollte ihn nicht hier haben. Nicht auf dem Schiff ihrer Mutter, selbst wenn sie sich kaum dazu durchringen konnte, mit der Frau zu sprechen, die sie belogen, sie verleugnet hatte. Die sie verloren und nicht mehr wiedergefunden hatte.

Jetzt wusste Inara nicht mehr, wo sie hingehörte. Sie steckte in den Gewändern der Erbin eines großen Hauses, und der Stoff wog schwer auf ihren Schultern. Ihr geschorenes Haar jedoch fühlte sich leicht auf ihrem Kopf an, und sie vermisste seltsamerweise den säuerlichen Geruch ihres Wachswollmantels, das Gefühl eines Bogens in ihren Händen und das Feuer in ihrem Bauch. War sie Erbin einer Lady? War sie Kind oder Rebellin? Gott oder Mensch?

Inara blickte zurück zum Schiff, zum Schrein von Yusef.

Restish, die Heimat ihres Vaters, die Quelle seiner großen Schreine, hatte Talicia mit Schiffen und Waffen versorgt. Sie waren Feinde Middrens – und die Wiege ihres Erbes.

Ich sehe die Unschärfe in deinen Farben, Inara, kommunizierte Skedi unhörbar durch die Verbindung in Gedankensprache zwischen ihr und ihm, die niemand sonst belauschen konnte. Sie blinzelte und drehte sich um, um ihn anzusehen, sein vertrautes Gesicht, die langen Ohren und die weisen, vogelähnlichen Augen. Sein Geweih sah in letzter Zeit heller aus: Er war wieder mehr er selbst.

Warum kommt der König?

Ich weiß es nicht.

Ich wünsche mir, sein Gesicht nie wieder sehen zu müssen.

Mach das doch einfach zu einem Gebet, hm? Sein Tonfall schlug ins Humorvolle um. Ich könnte bestimmt eine gute Lüge erfinden.

Inara lachte.

»Was ist so lustig?« Elo zupfte seine Jacke zurecht. Bei der Erwähnung des Königs hatten sich seine Farben in ein kräftiges Gemisch aus Blau- und Goldtönen, Silber- und Rottönen verwandelt. Der Sturm in seinem Herzen schwächte sich ab, wenn er mit Kyssen zusammen war, verschwand aber niemals gänzlich. Der Keim war immer noch da, selbst wenn Elo sich unbeschwert fühlte. Sie wechselten einen Blick, ein gegenseitiges Verstehen, und lockerten ihre Klingen in den Scheiden, trotz des Waffenstillstands.

Inara hatte sich ausgemalt, dass Kyssen und Elo zusammen weglaufen könnten. Vielleicht würde sie mit ihnen fliehen und sich wieder für den Rest ihres Lebens verstecken, backen, jagen und kämpfen. Aber er passte nicht, dieser Traum. Nicht jetzt. Vielleicht auch niemals.

»Skedi hat etwas zu mir gesagt«, erklärte Inara.

»Will Skedi das auch mit uns anderen teilen?«, erkundigte sich Kyssen trocken. Der Hasengott schlug mit den Flügeln.

»Skedi teilt nichts mit der Veiga, wenn sie nicht etwas Nettes zu erwidern hat«, gab er keck zurück.

»Du kleiner …!«

Das Klappern von Hufen auf Pflastersteinen ließ Kyssen verstummen, und Skedi flatterte auf Inaras Schulter. Seine Anwesenheit war längst bekannt, hier am Hafen, unter der Mannschaft des Schiffs, aber er hielt sich trotzdem immer an sie.

Ein Pferd donnerte aus einer der engen Gassen, die vom Stadtzentrum zum Hafen führten. Seine Hufe schlugen Funken auf den Steinen. Im Sattel saß die Kommandantin der Leibwache, Tarin. Ihr kurzes dunkles Haar bildete einen auffälligen Kontrast zu ihrem grünen Wappenrock.

Sie kam mit hämmernden Hufen neben ihnen zum Stehen. Ihr Gesicht war gerötet. Inara hatte in ihrer ganzen Kindheit niemals erlebt, dass Tarin ihre Ruhe verloren hätte. Als kleines Kind war sie sehr eifersüchtig auf sie gewesen. Tarin, der treueste Schatten ihrer Mutter, ihre engste Beraterin, eine Cousine aus einem kleineren Adelshaus in den Craier-Ländern.

Ihre Eifersucht war mit der Zeit verflogen. Die Kommandantin der Leibwache brachte ihr kleine Geschenke von ihren Reisen mit, und wenn ihre Mutter in ihrem Arbeitszimmer Besprechungen abhielt, pflückte sie Inara Aprikosen von den hohen, schaukelnden Ästen, die sie nicht erreichen konnte. Sie ließ sie sogar bei sich und Tethis sitzen, der ebenso stoischen Verwalterin des Anwesens, während sie Brennnesselblätter für Tee pflückten und sich gegenseitig Geschichten aus ihren Leben als voneinander getrennte Mutter und Tochter erzählten. Inara hatte davon geträumt, dass sie und Lessa sich eines Tages ebenso nahe sein würden.

Doch Tethis war in der Nacht gestorben, in der Tarin und Lessa das Gut verlassen hatten. Sie waren gewarnt worden, dass der König von ihrer Rebellion wusste, hätten aber nie geglaubt, dass er ihr Heim angreifen würde. Sie waren auf halbem Weg nach Sakre gewesen, als die Nachricht sie erreichte, und waren zu Ruinen und Asche zurückgekehrt. Zu diesem Zeitpunkt war Inara schon lange fort gewesen.

Doch diese Tarin, die jetzt abstieg, war nicht die ruhige und besonnene Leibwächterin, die Inara in Erinnerung hatte. »Veiga, mach dich nützlich und geh zurück an Bord!«, befahl sie. »Du wirst als Lady Craiers Leibwächterin dienen.«

Kyssen spie die Worte förmlich heraus. »Ich werde was?«

»Du auch, Ser Elogast!« Tarin ignorierte sie einfach. Falls sie überrascht war, ihn hier zu sehen, zeigte sie es weder in ihrer Miene noch in ihren Farben. Vielleicht spielte es auch keine Rolle. »Wir könnten dein Schwert brauchen.«

»Hör zu, wann habe ich dir erlaubt, mir Befehle zu erteilen?«, fragte Kyssen.

Tarin kniff die Augen zusammen und strich eine verirrte dunkle Strähne aus ihrem Gesicht. »Entweder du beschützt die Craiers«, erwiderte sie, »oder du verlässt das Schiff. Deine Entscheidung.«

Kyssen fuhr mit der Zunge über ihren Goldzahn, blickte Inara an und schnaufte. »Also gut.«

Inara versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken. Kyssen war einmal vollkommen aufgebracht gewesen, weil sie so hatte tun müssen, als wäre sie ihr Leibwächter. Aber Tarin konnte sehr gebieterisch sein, wenn sie wollte, und sie riss alles mit sich. Sogar, wie es schien, die widerspenstige Godkillerin.

»Gut«, fuhr Tarin fort. »Der König hat beschlossen, mit Lady Craier zum Schiff zu marschieren, um Einigkeit zu demonstrieren, aber die Menge, die sich an den Straßen versammelt hat, macht eher einen rebellischen Eindruck. Ich weiß nicht, ob sie umkehren werden.« Sie wandte sich an Inara. »Ina, bleib außer Sichtweite.«

Bevor sie protestieren konnte, ertönte eine Stimme von oben.

»Alle kampfbereit an Deck, Tarin?«, fragte Aleda, Erster Maat und Gemahlin des Kapitäns. Tarin schüttelte den Kopf.

»Ich hoffe nicht. Die Besatzung soll einfach unter Deck gehen. Wir sollten sie lieber nicht daran erinnern, wer das Schwarzfeuer eingeschmuggelt hat, das die Palastmauern gesprengt hat.«

Aleda grinste, kletterte dann zurück an Deck und begann, Befehle zu blaffen. Tarin sah wieder zu Inara. »Also, Ina. Ich sage es dir nicht noch einmal.«

»Sie muss sich nicht vor ihm verstecken«, widersprach Elo düster.

»Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt.«

»Mich auch nicht«, gab Inara zurück. Abgesehen von ihrer Eifersucht auf die Kommandantin hatte Tarin tatsächlich kein Recht, ihr zu befehlen, was sie zu tun hatte. Sie hatte dieses Recht verwirkt, als sie Lessa geholfen hatte, sie jahrelang zu belügen. Als sie das Anwesen verlassen und es hatte niederbrennen lassen.

»Wenn ich die Craiers beschützen soll, dann beschütze ich vor allem Inara«, ergriff Kyssen das Wort. »Sie hat schon genug ihrer Lebenszeit damit verbracht, sich vor der Welt zu verstecken.« Wärme stieg in einem Schwall in Inara auf. Kyssen und Elo waren beide auf ihrer Seite. »Geh und hol deinen Bogen, Liln.«

Inara machte auf dem Absatz kehrt und stürmte die Laufplanke hinauf. Skedi flog von ihrer Schulter auf die von Elo, bevor Tarin auch nur ein weiteres Wort sagen konnte.

Als sie über das Deck zu ihrer Kabine rannte, ließen sich die Crewmitglieder gerade von den Masten herab und verschwanden unter Deck, wie es ihnen befohlen worden war. Sie wirkten jedoch unbekümmert, scherzten miteinander und glänzten von Schweiß in der Sommerhitze. Inara gefiel es nicht, dass sie weggeschickt wurden. Sie wollte eine Armee im Rücken haben. Sie wollte, dass der König sie sah, furchtlos.

Sie schnappte sich ihren gestohlenen Bogen und ihre Pfeile und lief wieder hinaus. Selbst der Kapitän, Lertes, stand gelassen da, Aledas Arm auf den Schultern, während Kyssen, Elo und Tarin mit den Händen auf den Knäufen ihrer Schwerter zurück an Deck gekommen waren. Lertes grinste, als der Erste Maat sich zu ihm beugte und sein Ohr unter den grau melierten Zöpfen küsste, die er im westlichen Stil trug: drei Zöpfe, dick geflochten und mit flaschengrünen Bändern in der Farbe seiner Augen durchwirkt. Aledas Handgelenk schmückte ein farblich passendes Tuch als Eheband. Ihr Lächeln war wie das von Kyssen, durchbrochen von Gold.

Im Gegensatz zu Kyssen jedoch verbargen die beiden ihre Emotionen nicht: Ihre Farben waren leuchtend, knallig und wechselhaft – bernsteinfarben, grau, amethystfarben, indigoblau, und sie wirbelten zwischen ihnen, als wären sie eine einzige Person.

Zumindest Elo und Kyssen schienen auf alles vorbereitet zu sein. Kyssen, weil sie immer ausstrahlte, bereit zum Kampf zu sein. Elo dagegen war angespannt, und hielt den Blick auf den Hafen gerichtet.

Inara, sagte Skedi in ihren Gedanken, schau zur Stadt.

Inara riss ihren Blick vom Schiff los und schaute stattdessen zu den sakreanischen Hügeln. Die gewundenen Kopfsteinpflasterstraßen verschwanden zwischen den Zollhäusern, den Geschäften, den Waagehallen, der Hafenwache und den Möwen, die über der Markthalle kreisten. Die Farben waren kakofonisch, schrill, wechselten ständig, leuchteten hell und wirkten überwältigend.

Aber weiter dahinter, in Sakre, schimmerten zwischen den Wänden blaue und goldene Farbtöne. Die Farben des Königs. Viele. Und sie wurden zahlreicher. Auch die Geräusche der Stadt veränderten sich mit dem Nahen der Farben, gellende Stimmen erhoben sich in einem gemeinsamen Rhythmus. Inara hatte eine solche Welle von Emotionen einst in Lesscia erlebt, bevor sie in Gewalt umschlug. Ihr Herz hämmerte schneller in ihrer Brust und pulsierte schmerzhaft in ihrer Kehle.

»Ruhig«, sagte Elo, der vielleicht den Ansturm ihres Schreckens spürte oder ihn ebenfalls empfand. Der goldene Schimmer in seinen Farben war durch seine Angst stärker geworden.

»Sieht aus wie gewöhnliches Volk«, meinte Aleda. »Sollen sie doch singen und tanzen.«

»Ich habe genug Rebellionen erlebt, die mit einem Marsch begannen«, murmelte Kyssen.

»Ich habe schon viele Märsche für den Frieden gesehen«, entgegnete Lertes verächtlich.

»Dann solltest du besser darum beten«, warf Elo ein. Er flüsterte Skedi etwas zu, und der flog zum Krähennest hinauf, um ihnen einen besseren Überblick zu verschaffen. Inara spürte das Ziehen ihres Bandes an ihrem Herzen. Es war wieder straff. Einst hatten sie sich über eine halbe Stadt hinweg trennen können. Jetzt konnte er kaum einen Hauptmast erklimmen.

»Ina, lass deine Pfeile im Köcher«, sagte Kyssen. »Manche Leute brauchen nicht viel Vorwand, um einen Kampf anzufangen.« Wie viele Glaubenskrawalle hatten sie und Elo in Blenraden wohl miterlebt? Inara nickte, hielt aber den Bogen griffbereit in der Hand und beobachtete die Farben, die sich langsam über die Hügel ausbreiteten.

Da kommt eine Vorhut, sagte Skedi in Inaras Gedanken. Vier Reiter, und darunter ist deine Mutter. Inara gab dies an die anderen weiter, um ihnen zu ersparen, dass sich die Gedankenstimme der Gottheit in ihre Köpfe bohrte. Dahinter kommt der König mit zehn Schildwachen, aber ihnen folgen über hundert.

Die Hornsignale wurden lauter, als sie näher kamen, und dann sah Inara ihre Mutter auf dem Rücken eines Schlachtrosses, auf dem sie winzig gewirkt hätte, wenn sie weniger Kraft in ihrem Rückgrat gehabt hätte. Tarin entspannte sich vor Erleichterung.

»Tragen ihre Leibwachen etwa die Farben des Hauses Graiis?«, erkundigte sich Lertes. Er hatte recht – keiner der Ritter um Lessa trug ihre Farben. Sie hielten sich knapp vor der Menschenmenge, die in ihrem Kielwasser anschwoll, und als sie das Schiff erblickten, spornten sie ihre Tiere an, lösten sich von der Menschenmasse und vergrößerten den Abstand zwischen ihnen, während sie bergab galoppierten. Inara krampfte ihre Hand um ihren Bogen.

»Sie hat ihre eigenen Gardisten nach Osten geschickt«, sagte Tarin. »Mit denen der Vittosk.«

»Die Ländereien des Hauses Vittosk sind längst untergegangen«, sagte Elo stirnrunzelnd.

»Das Haus nimmt Niederlagen nicht auf die leichte Schulter. Und Lady Craier schützt ihre Verbündeten.«

»Wie gut wird sie uns beschützen können?«, murmelte Aleda und blickte auf die Menge. Endlich begriffen sie, in welcher Gefahr sie schwebten. Lertes hatte seine Hand jetzt ebenfalls leicht auf seinen Schwertknauf gelegt. »Sollen wir die Mannschaft an Deck rufen?«

»Das ist kein Angriff«, sagte Elo. »Es ist eine Zurschaustellung seiner Macht. Er will beweisen, dass er sie immer noch besitzt. Dass die Leute noch an ihn glauben. Er will, dass ihr das begreift, bevor ihr nach Irisia segelt.«

Lertes beäugte ihn. »Seid Ihr in diesen Tagen ein Rebell oder ein Ritter, Ser Elogast?«

Elo antwortete nicht. Vielleicht wusste er es ja selbst nicht mehr.

»Er hat nicht ganz unrecht«, erklärte Tarin missmutig. »Manche Leute scheinen ihn immer noch zu lieben, ganz gleich, was er getan hat.«

»Manche Menschen sind eben dumm«, sagte Aleda. »Wir sollten sie alle zusammen in diesen verbrannten und gottlosen Ländern verrotten lassen.«

Das lenkte Inara von ihrer Beobachtung des bunten Treibens der lebhaften, aufgewühlten Menge ab.

»Diese ›verbrannten und gottlosen Länder‹ sind unsere Heimat!«, erwiderte sie hitzig. »Sie sind die Heimat von Lady Craier.« Sie betonte den Titel und Namen ihrer Mutter nachdrücklich, damit sie sich daran erinnerten, wessen Schiff dies hier war: Es gehörte ihrer Mutter, nicht ihnen. »Sie hat bereits alles aufgegeben, selbst ihre Rebellion, um dafür zu kämpfen.« Warum verteidigte sie ihre Mutter?

»Die Herrin, die deine Mutter einst gewesen ist, hätte dem König den Kopf abgeschlagen und sich danach den Konsequenzen gestellt«, gab Aleda zurück. »Ich habe nie erlebt, dass sie sich mit einem Feind verbündet hätte, den sie bereits fast unterworfen hatte.«

»Vielleicht hat sie gelernt, dass die Führung eines Landes komplizierter ist als die eines Schiffes«, warf Kyssen ein. Lertes sah sie finster an und schloss die Faust um seinen Schwertgriff, doch dann räusperte sich Tarin.

»Es ist schon komisch«, sagte sie, ohne den Blick vom Hafen abzuwenden, wo die Leute ihre Arbeit unterbrochen hatten, um sich nach dem Lärm umzusehen. Einige liefen bereits los, um sich dem Zug anzuschließen. »Ich habe noch nie erlebt, dass diese Frau eine meuternde Zunge nachsichtiger behandelt hätte als eine meuternde Klinge.«

Aleda erbleichte, und Lertes nahm seine Hand vom Griff, als hätte er sich daran verbrannt. »Ich wollte nicht …!«

»Ich weiß«, fuhr Tarin fort, »ihr sprecht aus Sorge um die Lady. Aber ob sie sich nun entscheidet, für Middren zu kämpfen, mit ihm unterzugehen oder es aufzugeben, ihr habt akzeptiert, dass die Silberpfeil ihrem Befehl unterstellt blieb, auch als sie sie in eure Hände gab.«

Aleda unterdrückte ihren Ärger und nickte.

»Entschuldige«, sagte Lertes. »Es war nicht böse gemeint.«

»Und sie wird Middren nicht im Stich lassen«, drängte Inara, in der Hoffnung, dass sie ihr zustimmten. Elo und Kyssen wechselten einen kurzen Blick, der Inara sagte, dass selbst sie sich dessen nicht sicher waren. Diese Leute sprachen von einer Mutter, die Inara nicht kannte, nie gekannt hatte. Die sie belogen, sie im Stich gelassen hatte. Konnte sie ihr überhaupt vertrauen?

»Natürlich wird sie das nicht!« Tarin legte Inara beruhigend eine Hand auf den Rücken. Einen Moment lang erinnerte sich Inara an die Tage in der Küche, an den Brennnesseltee. Dachte an das Kind zurück, das sie einmal gewesen war, an all die Freundlichkeiten von Tarin und daran, dass sie ihre eigene Mutter verloren hatte. »Wir werden Verbündete in Irisia finden und diesen Krieg gewinnen«, fuhr Tarin fort. »Und dann, Inara, werden wir nach Hause gehen und alles neu aufbauen.«

Sie klang zuversichtlich, aber ihre Farben waren unsichere Schattierungen von Lavendel und Violett.

Inara …, meldete sich Skedi in ihrem Kopf.

Sag mir nicht, dass es eine Notlüge ist, fiel sie ihm ins Wort. Lass es mich glauben. Sie wollte an ihrem erschütterten Glauben an ihre Mutter, an ihrer jugendlichen Liebe zu Tarin festhalten, bloß noch ein klein wenig länger.

Lessa erreichte das Schiff und stieg ab. Sie wartete nicht darauf, dass ihre bewaffnete Eskorte sich aus den Sätteln schwang, sondern ließ ihr Schlachtross bei den Ställen stehen, wo es gehorsam wartete, und schritt zum unteren Ende der Laufplanke. Dort hielt sie an und blickte zum Schiff hinauf. Ihr Mund verzog sich zu einem schwachen Lächeln. Es verflog, als sie Inara, Elo und Kyssen an der Reling stehen sah.

»Darf ich an Bord kommen, Kapitän Lertes?«, rief sie nach oben.

Inara warf einen Seitenblick zu Lertes. Warum sollte ihre Mutter um Erlaubnis bitten? Unser Schiff, hatte er gesagt. Lessa versuchte offensichtlich, ihn bei Laune zu halten.

»Die Silberpfeil gehört Euch, Lady Craier«, erwiderte Lertes aufrichtig. »Dreizehn Jahre lang haben wir sie gut gehütet. Jetzt segelt unsere Barke wieder unter Eurem Kommando.«

Dreizehn Jahre, seit sie das Schiff abgegeben hatte. Inara war dreizehn Jahre alt.

Lessa nickte und betrat die Planke, wobei sie noch einmal einen wachsamen Blick zurück auf die Stadt warf. Inara sah jetzt den silbernen Glanz der Rüstungen inmitten des Pöbels, den Brokat der Pferde und Flecken blauen Stoffs. Die Hornsignale kamen immer näher, untermalt vom Klatschen und Stampfen von Füßen. Sie spürte es in ihren Knochen.

»Ich danke dir, Kapitän«, sagte die Lady. Sie würdigte Inara keines weiteren Blickes, sondern verbeugte sich respektvoll vor Lertes. Die Vorderseite ihrer grünen Baumwolljacke war mit gestickten Vögeln aus dem Wappen der Craiers übersät: dem Tiflet, einem mythischen, beinlosen Vogel, der immer auf der Suche war.

Und wie ein Tiflet drehte sie sich zu Elo um, der in die Richtung des Königs blickte, dessen Farben sich in Wellen und Strudeln von Rot und Blau bewegten. »Löwe von Lesscia«, sagte sie. »Bist du hier, um mir Treue zu schwören und uns nach Irisia zu folgen?«

Elos Farben flackerten, ein Schimmer von Sehnsucht leuchtete über ihnen auf wie ein Licht durch Buntglas. Irisia, wo seine eigene Mutter noch lebte. Aber er lächelte bedauernd und schüttelte den Kopf. »Ich bin hier, um mich zu verabschieden, Mylady«, sagte er. »Kyssen ist eine fähige Kämpferin und kann Euch mit ihrer Weisheit gut dienen.« Kyssen sah aus, als wollte sie ihn treten.

»Die Godkillerin«, erwiderte Lessa kalt, »hat nur auf Inaras besonderen Wunsch hin überhaupt die Passage über die Handelssee erhalten.«

Und dann endlich fand sich Inara im Fokus der dunklen Augen ihrer Mutter wieder, als sich der Blick der Lady auf sie richtete. Inara wusste nicht, was sie sich erhofft hatte. Vielleicht den Respekt, den sie Lertes entgegengebracht hatte, oder die Herzlichkeit, die sie Tarin zeigte. Selbst die Wertschätzung, die sie Elo entgegenbrachte, wäre besser gewesen als die Distanz, mit der sie ihre eigene Tochter betrachtete. Inara starrte kalt zurück.

Sie kommen.

Sie zuckte zusammen, als Skedis Stimme in ihrem Kopf ertönte. Die Parade des Königs war vollständig in den Hafen eingeritten. Die Menschenmenge war noch größer geworden und scharte sich um die Phalanx von zehn Rossen im blauen und goldenen Pferdeharnisch. Zwei Reiter hatten Trommeln, und zwei trugen, wie Tarin bereits angedeutet hatte, die Farben anderer Häuser: Haus Crolle und Haus Elemni. Den Rest bildeten Schildwachen von Arrens gepanzerter Garde. Sie hielten Hellebarden mit dicken Schäften in den Händen.

In der Mitte ritt König Arren selbst. Sein Kopf war unbedeckt bis auf einen Kranz aus Sonnenstrahlen und Geweih. Er sah verletzlich aus und jung. Diesmal war es nicht der Doppelgänger eines Feiglings, geschaffen aus Zweigen und Flammen. Stattdessen trug er einen Panzer mit einem tiefen V-Ausschnitt, der bis zum Bauchnabel reichte und sein offenes Hemd und den dunklen, flackernden Schlund in seiner Brust und sein Herz freilegte. Der Panzer selbst war in Rot- und Orangetönen bemalt. Flammen und Feuer. Was wollte er damit bezwecken? Erst beanspruchte er die Sonne für sich und nun auch noch die Flammen? War es als Herausforderung an Hseth gemeint?

Inaras Blut kochte, und es kribbelte sie in den Fingern, nach einem Pfeil zu greifen. Er hatte den Tod von Göttern, ihrer Mutter und die Vernichtung ihres Heims angeordnet, und jetzt ritt er auf sie zu, als wäre er die reinste Unschuld.

Die Menge folgte den Pferden wie eine Flut aus brodelndem Wasser, die sich brausend über die Straßen ergoss und vom Haupthafen heranbrandete.

»Sunbringer, Sunbringer!«, riefen die Menschen.

Es war seltsam, so viel Bewunderung zu sehen, leuchtendes Blau und Gold als Zeichen der Liebe zu ihrem Monarchen, während sie um die Aufmerksamkeit ihres Königs buhlen.

Aber es mischten sich auch noch andere darunter, grüne und silberne Farbtöne, die sich durch das Blau und Gold woben, und noch mehr: Ängste, in grellem Rot und Gelb. Skedi flog vom Mast herunter und landete behutsam auf Inaras Schulter. Glaube erzeugt Eifer, flüsterte er in ihrem Geist. Oder Wut.

Als die Menge hinter dem Aufgebot des Königs herstürmte, schubsten und stießen sich die Menschen gegenseitig. Einige versuchten, nahe genug an Arren heranzukommen, um ihn mit Blumen zu bewerfen oder ihn sprechen zu hören.

»Sunbringer! Rette uns vor der Feuergottheit!«

»Rette uns vor Talicia!«

Kyssen brummte. »Was soll dieser aufgeblasene Blödsinn, Elo?«

»Ist diese Zurschaustellung von Einigkeit nicht das, was du wolltest, Veiga?«, fragte Lessa.

»Gib mir nicht die Schuld für dein Durcheinander, Hochwohlgeborene.«

Der König näherte sich dem Schiff, und die Graiis-Gardisten sahen zu Lessa. Sie fragten sich, ob sie ihn aufhalten sollten, aber sie schüttelte nur leicht den Kopf. Arren schwang sich mit einer geschmeidigen Bewegung aus dem Sattel, die den geübten Reiter verriet, und schritt dann die Laufplanke hinauf. Seine Leibwache blieb auf der Pier zurück, aber Elemni und Crolle begleiteten ihn auf das Schiff. Lady Crolle war eine hagere blonde Frau, deren Augen Scharfsinn verrieten. Sie trug keine Rüstung, sondern eine Tunika mit geteilten Schößen und eine weite Hose, die es ihr ermöglicht hatte, rittlings auf dem Pferd zu sitzen. Elemni war eine massige, breitschultrige Frau mit gelocktem, goldbraunem Haar, das ihr in Kaskaden über die Schultern fiel.

Arren zwischen ihnen begutachtete mit seinen flinken blauen Augen Kyssen, Lessa, Inara und Skedi. So viele seiner Feinde. Sein Blick blieb an Elo hängen, und seine Farben flackerten bernsteinfarben, scharf und schmerzhaft.

»Lady Craier!«, schrie jemand aus der Menge. »Helft uns!«

»Verräterin des Königs!«, schrie ein anderer.

»Nehmt uns mit!«

»Piratenabschaum!«

»Rettet Middren!«

Ein paar Früchte und ein Klumpen Schlamm flogen auf sie zu, landeten aber klatschend an der Bordwand.

»Abschaum!«, knurrte Lertes, verstummte aber, als Lessa ihm einen scharfen Blick zuwarf.

Arren riss seinen Blick von Elo los und lächelte friedfertig, aber seine Farben schillerten wechselhaft: mal hell, mal düster, mal sicher, mal ängstlich. Zu viele Emotionen auf einmal. Unwahrheiten und Wahrheiten, Schrecken und Hoffnungen. Ein Mann im Zwiespalt. Die Flamme in seiner Brust war kleiner, als Inara sie von ihrer letzten Begegnung in Erinnerung hatte, aber dennoch hatte sie das deutliche Gefühl, dass die Gottheit, die ihn am Leben erhielt, sie beobachtete.

Hestra, grüßte sie die Göttin mit ihrer Gedankenstimme.

Nach einem Moment antwortete Hestra ihr auf dieselbe Weise. Ich spreche nicht mit dir, Halbling, sagte sie. Halb Göttin, halb Sterbliche. Halb Idiotin.

Du hast viel zu sagen für eine Gottheit, die nicht spricht.

Das Feuer in der Brust des Königs flammte vor Verärgerung auf, und Arrens Blick zuckte zu Inara. Er starrte sie an, und seine Mundwinkel bogen sich kurz nach unten. Sie erwiderte den Blick. Kyssen schob sich unauffällig ein wenig vor sie, und der König riss sich zusammen und ließ sein Lächeln wieder erstrahlen.

»Ich bin gekommen, um Eure Reise zu segnen, Mylady«, verkündete er laut und charmant und wandte sich dann an die Menge, während er weitersprach. »Und um Euch für Eure wichtige Unternehmung zu danken.« Er verbeugte sich.

Lügner, flüsterte Skedi überflüssigerweise, denn dass der König log, war Inara längst klar. Das Gejohle der Menge sank jedoch zu einem respektvollen Murmeln herab, als sie ihm aufmerksam lauschten. Er manipulierte sie sehr geschickt.

»Unsere bisherigen Bitten verhallten in Schweigen«, fuhr Arren fort. »Ich hoffe nur, dass eine Demonstration unserer Einigkeit Irisia davon überzeugen wird, sich mit uns gegen die verräterischen Talician zu verbünden.«

Lessa sank ausdruckslos auf ein Knie. Tarin, Aleda und Lertes folgten ihrem Beispiel, dann auch Elogast. Kyssen jedoch blieb vor Inara stehen, und keine der beiden kniete.

»Ich danke Euch, König Arren«, sagte Lessa. »Es ist ein langer Weg hinunter zum Hafen. Wie schön, dass Ihr Euch zu uns gesellt, während wir uns in Eurem Namen verabschieden.« Ihre Antwort war zwar sehr höflich, triefte aber nur so vor Vorwürfen und kaum kaschiertem Hass. Arren klappte der Kiefer herunter. »Aber bitte«, fuhr sie mit sanfter Stimme fort, die wie Eis knisterte, auf das die Frühlingssonne fiel. »Bewacht unser Land gut, bis ich zurückkehre.«

Arren nickte, offenbar befriedigt. Die Menge schien den Atem anzuhalten, und Inara entspannte sich ein wenig. Vielleicht würde doch alles gut werden. Vielleicht konnten sie die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Rebellen und der König tatsächlich zusammenarbeiteten.

»Ich bringe Euch das hier.« Arren nickte Crolle zu. Sie trat vor und hielt ein kleines Kästchen in der Hand. Schmallippig vor Missbilligung öffnete sie es vor Lessa und enthüllte einen Siegelring mit einem roten Stein, der mit den Symbolen von Hirsch und Sonne versehen war, Arrens Insignien.

»Das, Lady Craier, ist das Unterpfand für Eure Zusammenarbeit mit dem König«, verkündete Crolle, »und für sein Vertrauen in Euch.«

Das Haus Crolle gehörte zu den Königstreuen Häusern, die sich geweigert hatten, sich mit der Rebellion zu verbünden, und stattdessen Arrens Königtum erhalten wollten. Tiamh, Yether, Movenna, Elemni, sie alle waren mächtig genug, um Lessa abzulehnen und sich gegen sie zu verbünden.

»Der Stein ist neu«, sagte Arren, »aber der Ring gehörte meiner Mutter und meiner Schwester.« Für einen Moment veränderten sich seine Farben erneut, wurden trüb und dunkel. Lessas Schultern wurden weicher, nur ein wenig, aber Inara runzelte die Stirn. Dass er wegen des Verlusts seiner Mutter, seiner Schwester Schmerz empfand, hatte er verdient. Das war nichts im Vergleich zu dem Brennen einer Hand auf Elos Brust, gegen den Schmerz der Götter, die ihre Anhänger verloren hatten, gegen die Menschen auf dem Anwesen der Craiers, ihrer Leute, die in seinem Auftrag ermordet worden waren. Einen Atemzug lang stellte sich Inara vor, was wohl passieren würde, wenn Lessa ihr Schwert zog und ihn durchbohrte. Wie viel würde sich dadurch wirklich ändern?