Falsche Jungs, echte Küsse - Emma Winter - E-Book

Falsche Jungs, echte Küsse E-Book

Emma Winter

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Beschreibung

Marie ist in den Sommerferien zu Besuch bei ihrer Cousine. Sie verstehen sich großartig. Auf einer Party hat Marie eine ungewöhnliche Begegnung mit einem Jungen, der sie ziemlich aus der Fassung bringt. Doch Marie hat vorerst genug von Angebern und Aufreißern. Leider kreuzen sich immer wieder ihre Wege und seine dunklen Augen schleichen sich in ihre Träume. Als das Schicksal entscheidet, dass Marie für längere Zeit in Leipzig bleiben wird, versucht sie verzweifelt sich gegen die aufkommenden Gefühle zu wehren. Ist er wirklich nur so ein typischer Weiberheld oder in Wahrheit doch ein ganz Anderer? Wäre da nicht dieses ständige Kribbeln im Bauch, sobald Niklas auftaucht...

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Falsche Jungs, echte Küsse

von Emma Winter

Text copyright © EmmaWinter2016

Cover design © EmmaWinter2016

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 1

Marie

Schnell husche ich in die Küche und entfliehe für einen kurzen Moment den vielen neuen Gesichtern. Ich öffne den Kühlschrank und summe die Melodie von Bruno Mars´ „Just the way you are“ mit, die gerade leise aus dem Wohnzimmer herüberdringt. Eigentlich ist das nicht meine Art, fremde Kühlschränke einfach so zu plündern. Aber Lu sagte zu uns, dass wir uns wie zu Hause fühlen sollen.

Ich finde es echt witzig, dass ihr älterer Bruder heute auch Freunde eingeladen hat. Aber in diesem großen Haus verläuft sich das. Als ich vorhin mit Henny gekommen bin, habe ich drei Jungs und zwei Mädchen in der Mitte des Wohnzimmers auf der großen Couch sitzen sehen. Ich habe mich geärgert, weil ich keinen Fotoapparat mehr habe. Es sah so gemütlich aus und ich hätte dieses Bild gerne eingefangen. Die drei Typen könnten nicht unterschiedlicher sein. Ich weiß nicht, wer von denen Lu´s Bruder ist. Auf jeden Fall sehen sie alle total niedlich aus. Vor allem der Eine mit den schwarzen Haaren. Der hat so eine ausgeflippte Frisur und ein Stirnband drum. Aber auch die anderen beiden wirken sympathisch, einer so rothaarig wie Pumukel und der andere strohblond. Wahrscheinlich ist der Blonde Lu´s Bruder, weil sie auch so helle Haare hat. Sie lachten ausgelassen und der Schwarzhaarige schaute gerade in meine Richtung.

Soll ich mir eine Cola oder lieber nur ein Wasser nehmen, überlege ich. Entschlossen greife ich mir schließlich doch eine Coke Zero und richte mich auf. In diesem Moment spüre ich einen warmen Atem genau in meinem Nacken und alle meine Sinne sind aufs Äußerste gespannt. Ein kribbelndes Gefühl macht sich auf meinem ganzen Körper breit und ich stoße ein kurzes Keuchen aus. Der Raum ist plötzlich wie elektrisiert, so etwas habe ich noch nie erlebt. Aus Reflex lasse ich die Coke los. Eine Hand schnellt hervor und verhindert so einen Aufprall der Flasche auf dem Boden.

„Hey, Kleine. Nicht erschrecken!“

Langsam drehe ich mich um und schaue in ein frech grinsendes Gesicht. Zwei dunkle Augen funkeln mich belustigt an. Die Hand an der Cola trägt ein schwarzes Bandana. Schwarzes T-Shirt mit Hemd, eine schwarze Kette, dessen Anhänger ich nicht sehen kann. Kurze strubbelige Haare, natürlich in Schwarz stiebeln in x-beliebige Richtungen. An der Stirn ebenfalls ein Bandana und im linken Ohr einen Stecker aus Silber mit einem undefinierbaren Zeichen. Das ist der Schwarzhaarige von der Couch.

„Bist du mit deiner Musterung fertig?“

Seine Augen sehen mich immer noch belustigt an. Ich merke gerade, dass mein Mund offensteht und schließe ihn augenblicklich. Ich bin völlig perplex und meine Wangen fühlen sich hitzig an. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie ich gerade purpurrot anlaufe. Schnell senke ich meinen Blick und versuche mich an ihm vorbeizuschieben. Seine andere Hand streicht zart über meinen Arm und mir ist als hätte ich einen Stromschlag abbekommen. Abrupt sehe ich zu ihm auf, denn er ist mindestens einen Kopf größer als ich. Seine Augen scheinen noch dunkler geworden zu sein und der belustigte Ausdruck ist verschwunden. Er wirkt erstaunt.

„Hey Niklas, wo bleibst du?“, höre ich eine weibliche Stimme von der Küchentür. Eine große Blondine, auffällig geschminkt steckt in einem schwarzen Minikleid.

„Was willst du mit diesem Küken? Komm Ole erzählt gerade von eurer letzten Klettertour.“

Damit hakt sie sich bei Niklas ein und zieht in zur Tür. Dieser folgt erst, löst sich aber noch einmal und kommt zu mir zurück. Ich kann ihn nur anstarren.

„Hier deine Coke.“

Er macht die Flasche kurzer Hand am Tisch mit einem geübten Schlag auf und reicht sie mir. Stumm greife ich danach und sehe, wie er mir wieder belustigt zuzwinkert. Damit ist er verschwunden.

Ich weiß nicht wie lange ich noch so dastehe, aber plötzlich kommt Henny in die Küche und sagt:

„Da bist du ja. Wir haben dich schon vermisst. Ist irgendetwas passiert? Du guckst so komisch?“

Sie bleibt vor mir stehen und schaut mich kritisch an.

„Ist dir schlecht?“

Sie nimmt meine Hände und drückt sie. Ich muss mich wieder einkriegen. Da war nur ein ganz normaler Junge und ich bin erschrocken. Zaghaft lächele ich sie an.

„Es ist alles gut. Ich weiß auch nicht. Ich brauchte einen Moment für mich.“

„Gut. Gehen wir wieder zu den anderen? Thomas ist aufgetaucht. Ich möchte ihn dir vorstellen.“

Ich nicke und wir gehen gemeinsam in das Wohnzimmer zurück. Dies ist das Haus der besten Freundin meiner Cousine Henny. Sie heißt eigentlich Luise, also die Freundin meiner Cousine, aber alle nennen sie nur Lu. Das Haus ist wirklich riesig und ich bräuchte wahrscheinlich einen Plan, um mich nicht zu verlaufen. Im großen Wintergarten sitzen Lu und ihre engsten Freunde lustig beisammen.

Auf dem Weg zurück traue ich mich nicht, einen Blick Richtung Couch zu werfen, da ich diesem Niklas nicht noch einmal begegnen möchte. Ich bin also ein Küken laut dieser Blondine. Soll mir recht sein.

„Thomas, das ist Marie. Marie - Thomas.“

Henny schaut mich freudig an und ich reiche Thomas die Hand.

„Nett dich kennenzulernen. Henny lobt deine Zeichenkünste in den höchsten Tönen. Bei Gelegenheit würde ich gerne mal ein paar deiner Arbeiten bewundern.“

Thomas ist sichtlich verlegen. Er ist ziemlich groß, hat blonde Haare und ein schmal geschnittenes Gesicht. Um Mode scheint er sich nicht allzu sehr zu scheren. Er trägt einen schwarzen Hoodie und legere Jeans. Seine zurückhaltende Art gefällt mir. Er reibt sich den Nacken.

„Naja so toll sind die gar nicht. Mal sehen.“

Er schenkt mir ein kurzes Lächeln und setzt sich zu Lu. Meine Augen bleiben an diesem hübschen Gesicht hängen. Als Henny sie mir vorhin vorgestellt hat, habe ich an eine kleine Elfe gedacht. Ich war der Meinung ich bin klein und zierlich, aber Luise passt wahrscheinlich noch in Kindergrößen. Sie hat ein wahnsinnig offenes Lachen und man muss sie einfach gern haben. Ich habe mich jedenfalls gleich mit ihr verstanden und es ist glasklar, wieso Henny und Lu so gut befreundet sind.

Henny plappert gerade pausenlos auf mich ein, aber ich kann mich nicht konzentrieren, weil ich mich von meiner unheimlichen Begegnung in der Küche noch nicht erholt habe.

„Spielen wir eine Runde Billard? Der Tisch ist gerade frei geworden“, fragt Michael. Ich schaue Henny erst jetzt wieder an und sie verstummt neben mir. Alle stehen plötzlich auf und bewegen sich in den entgegengesetzten Teil des großen Wohnzimmers. Ich schließe mich langsam der Gruppe an und hoffe, dass ich dabei nicht über unfreiwillige Bekannte stolpere. Allein der Gedanke bringt meinen Herzschlag zum Rasen. Ich kann bereits verschiedene Stimmen aus der Mitte des Raumes hören. Sie unterhalten sich angeregt. Ich erkenne die Tonlage der Blondine und senke augenblicklich meinen Kopf. Die Berührung einer Hand unterbricht meinen Weg und ich blicke erschrocken auf.

„Geht es dir wirklich gut? Du bist auf einmal so still.“

Henny hat mich direkt vor der Couch zum Stillstand gebracht und ich würde am liebsten im Erdboden versinken. Knallrot nicke ich und will Henny vorwärts schieben, da höre ich diese Stimme und schließe die Augen.

„Henny Süße, willst du uns deine neue Freundin nicht vorstellen. Ich meine wir sind uns schon vorhin in der Küche begegnet, aber sie hat mir leider ihren Namen nicht verraten.“

Henny blickt mich forschend an und ich schüttele unmerklich meinen Kopf.

„Tja Niklas Süßer“, sie betont jedes einzelne Wort, „da wirst du sie schon selber fragen müssen. Dir als Supercasanova dürfte das doch sicher nicht schwerfallen, hm?“

Ich werfe einen vorsichtigen Blick in seine Richtung und sehe ihn vergnügt schmunzeln. Als er meinen Blick sieht, wackelt er mit den Augenbrauen. Nahezu vor ihm flüchtend gehe ich zügig zum Billardtisch und Henny folgt mir stumm. Als wir dort sind, zieht sie mich schnell in eine Ecke.

„Was hat er gemacht? Bist du deshalb so durch den Wind? Ich sage dir nur eins. Nimm dich vor Niklas in Acht. Kein Rockzipfel ist vor ihm sicher. Klar er sieht super aus und ist auch echt lustig, aber er hält nichts von Freundschaften die länger dauern als eine Woche!“

Na prima, das hat mir gerade noch gefehlt.

„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich war nur so überrumpelt. Er stand auf einmal vor mir und ich konnte kaum atmen. Ich weiß auch nicht. Aber danke für deine Warnung. Glaube mir, von Liebesbeziehungen habe ich im Moment genug. Die Kerle können mir alle gestohlen bleiben.“

Henny schmunzelt mich an.

„Na auf diese Geschichte bin ich gespannt, aber jetzt lass uns Billard spielen.“

Wir sind zu fünft. Zwei Mannschaften zu bilden ohne sechsten Mann ist einfach zu blöd. Deshalb fragt Lu in die andere Runde:

„Wir brauchen einen sechsten Mitspieler, hat wer Lust?“

„Eine meiner leichtesten Übungen“, sagt Niklas sofort und erhebt sich rasch.

„Ach komm schon Niklas, was willst du denn bei diesen Küken. Wir haben doch hier unsere eigene Runde“, mault die Blondine.

„Was willst du immer mit Küken, Julie? Du bist gerade ein Jahr älter, macht dich das zu einer Henne oder was?“

Ich kann nicht anders, aber ich muss lachen. Auch die anderen kichern über diese Bemerkung, allerdings muss ich feststellen, dass Niklas mich genau beobachtet.

„Ph, geh doch dieses blöde Spiel spielen. Ich bin dann mal weg!“

Sie macht eine dramatische Pause und hofft wahrscheinlich, dass Niklas es sich anders überlegt. Leider hat sie sich da verrechnet und Julie zieht wütend ab. Oh je, wenn ich mir damit nicht gleich eine Feindin gemacht habe!

Kaum habe ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, steht mein größeres Problem bereits neben mir. Mein Pulsschlag schnellt in die Höhe und ich versuche krampfhaft diese Nervosität unter Kontrolle zu bekommen. Niklas hat sich genau neben mich gestellt.

„In welchem Team bist du?“, fragt er an mich gewandt.

„Sie spielt bei mir“, ruft Thomas eifrig dazwischen. Erleichtert gehe ich an seine Seite, kann aber das belustigte Lachen von Niklas hören.

„Niki, du spielst mit Lu und Michael“, ruft Henny.

Niki? Ist das sein Kosename? Mein Mund verzieht sich zu einem Grinsen. Das ist echt süß.

Das Spiel geht los. Das Blöde daran ist nur, dass ich Billard erst zweimal gespielt habe. Somit ist alles Glückssache und ich hoffe, dass die anderen mir nachher nicht böse sind, wenn wir verlieren. Als Niklas mit seinem ersten Stoß dran ist, fixiert er die Kugel. Doch bevor er den Queue schwingt, gleitet sein Blick zu mir und wir sehen uns für einen kurzen Moment in die Augen. Sein Mund verzieht sich zu einem Grinsen und dabei lässt er den Queue nach vorne schnellen. Die Kugel rollt, trifft perfekt und versenkt eine andere. Punkt für ihn. Ich muss schlucken.

Als ich an der Reihe bin, stelle ich mich natürlich besonders unbeholfen an. Thomas gibt mir Tipps von der Bande aus, aber ich weiß nicht so recht wie ich diese umsetzen soll. Plötzlich beugt sich jemand von hinten über mich und hält mit mir gemeinsam den Queue fest. Er legt meine Hände an die richtigen Positionen und schiebt den Queue durch die Finger meiner linken Hand. Mein Herz bleibt fast stehen und ich vergesse für einen Augenblick zu atmen. Was tut er da?

„Du musst die linke Hand schön lockerlassen, genau so. Mit der rechten Hand führst du den Queue in Richtung Ball. Fixiere die weiße Kugel und wenn du dir sicher bist, stößt du zu.“

Sein warmer Atem streift über mein rechtes Ohr. Er riecht nach Bier. Mein Magen zieht sich zusammen und mein ganzer Körper scheint in einen Schwebezustand überzugehen. Mit leicht geöffnetem Mund drehe ich meinen Kopf in seine Richtung. Für den Bruchteil einer Sekunde liegt er genau über mir und ich spüre seinen Körper. Hitze bricht aus all meinen Poren. Seine Augen sind scheinbar rabenschwarz und ernst.

Mit einem Ruck lässt er mich los, räuspert er sich und tritt nach hinten.

„Tja, das ist das ganze große Geheimnis.“

Irgendwie schaffe ich es meinen Blick von ihm loszureißen und ich konzentriere mich so gut es geht auf dieses blöde Spiel. Die Kugel rollt und verfehlt natürlich die avisierte Kugel.

„Naja vielleicht beim nächsten Mal“, sagt Thomas aufmunternd. Ich nicke ihm dankend zu und stelle mich neben Henny. Die sieht mir direkt in die Augen und ich könnte schwören, sie weiß wie aufgewühlt ich gerade bin.

„Ich geh mal auf Toilette“, flüstere ich ihr zu.

Damit drehe ich mich um und gehe eine Etage nach oben. Als ich die Badezimmertür hinter mir schließe, lehne ich mich dagegen, schließe die Augen und atme hörbar aus. Was ist nur mit mir los? Abrupt öffne ich die Augen wieder, gehe zum Waschtisch und schaue mich im Spiegel an. Sieht man meine Erregung? Mein Blut rast durch meinen Körper als hätte ich einen Zehntausend Meterlauf hinter mir. Ich schüttele mit dem Kopf. Noch nie hat ein Junge solche Ausstrahlung auf mich gehabt. Gerade hat mein Freund mit mir Schluss gemacht. Er wollte mehr und ich war noch nicht soweit. Wieso reagiere ich auf diesen Niklas so extrem? Ich sehe mich an, meine braunen Augen, meine schmalen Wangenknochen, meine dunkelbraunen Haare, alles nichts Besonderes. Ich weiß, andere sagen ich hätte besonders große Augen. Wie ein Reh. Ich glaube, im Moment kann jeder sehen, was mit mir los ist.

Du musst dich beruhigen und diesem Kerl aus dem Weg gehen, sage ich ernst zu meinem Spiegelbild. Dann drehe ich den Wasserhahn auf und lasse eine Weile kaltes Wasser über meine Handgelenke laufen. Nach ein paar Minuten fühle ich mich besser und gestärkt, um zu den anderen zurückzugehen. Als ich die Tür jedoch öffne, steht Niklas genau vor mir und meine guten Vorsätze schwinden im Nu. Wir sehen uns an und meine Erregung kehrt sofort zurück. Schnell versuche ich mich an ihm vorbeizuschieben, da stützt er einen Arm gegen die Wand, so dass ich nicht weitergehen kann.

„Was willst du?“, frage ich wütend. Langsam reicht mir seine aufdringliche Art.

„Nur deinen Namen, schöne Maid.“

Er strahlt mich an und kommt mir noch ein Stückchen näher. Dabei nimmt er eine Haarsträhne zwischen seine Finger und rollt sie langsam auf.

„Wenn ich ihn dir sage, lässt du mich dann in Ruhe und verschwindest?“

„Oh so sauer, Küken?“

Als ich ihn weiter nur anstarre, nickt er langsam.

„Marie – ich heiße Marie.“

Er neigt sein Gesicht zu mir, so dass ich denke, dass er mich jeden Moment küssen wird. Ich versinke in seinen nahezu schwarzen Augen und mein verräterischer Körper will doch tatsächlich nichts anderes, als sich an ihn schmiegen. Doch da dreht er seinen Kopf und berührt beim Sprechen mit seinen Lippen mein Ohr.

„Das ist ein sehr schöner Name, Marie.“

Er flüstert es so leise, dass ich es kaum hören kann. Umso mehr verwirrt es mich. Von dieser ganzen Situation und seinen Berührungen überfordert, schlüpfe ich unter seinem Arm hindurch und flüchte hinunter ins Wohnzimmer. Ich gehe nicht zu den anderen zurück, sondern schnappe meine Jacke und schließe die Haustür hinter mir. Wo bin ich hier nur hingeraten? Völlig durcheinander schicke ich Henny eine Nachricht, damit sie sich keine Sorgen macht. Ihr Haus ist nicht weit und fünf Minuten später sitze ich auf meinem provisorischen Bett und lasse mich rücklings darauf fallen. Die Augen an die Decke geheftet, rekapituliere ich die Atmosphäre von vorhin und ein weiterer Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Gibt es das wirklich? Die kleinste Berührung und alles explodiert? Ich fühle mich wie auf Droge, auch wenn ich davon keine Ahnung habe. Ich bin 16 Jahre alt und habe scheinbar von gar nichts eine Ahnung.

Kapitel 2

Marie

Heute ist Sonntag und Henny und ich schlafen lange aus. Ihre Eltern, also meine Tante und mein Onkel sind über das Wochenende bei Freunden, sodass wir die Musik laut aufdrehen, als wir endlich aufstehen. Gerade singen wir gemeinsam „Titanium“ von David Guetta und strahlen dabei wie Honigkuchenpferde. Der gestrige Abend ist für mich abgehakt und ich hoffe ich werde diesen Typen in den nächsten vier Wochen nicht wiedersehen. Herzklopfen hatte ich für ein ganzes Jahr lang genug.

Als das Lied zu Ende ist, dreht Henny die Musik leiser und setzt sich zu mir auf den Boden. Sie schubst mich mit der Schulter leicht an und schmunzelt.

„Wie findest du meine Freunde?“

„Alle recht nett, besonders Lu ist sehr aufgeschlossen und lustig. Sie versprüht eine unheimliche Energie. Ich kann verstehen, dass ihr so gute Freunde seid. Außerdem ist sie unglaublich hübsch.“

Henny guckt mich etwas komisch an, da muss ich grinsen.

„Oh meine liebe Cousine, du bist auch unglaublich hübsch. Nur sie ist so hellblond, das sieht man nicht so oft und wenn, dann nur aus der Tube.“

Henny lächelt verlegen, weil ich sie durchschaut habe. Aber sie ist wirklich ein sehr hübsches Mädchen. Mit ihren mittelblonden Haaren und ihren blaugrauen Augen wird sie sicherlich noch vielen Jungs den Kopf verdrehen. Da braucht sie sich keine Sorgen machen. Ich hingegen fühle mich eher wie normaler Durchschnitt. Alles ist braun, Haare, Augen. Ich seufze.

„Ist schon gut. Ich weiß, dass Lu etwas exotisch aussieht. Da kann man eben nicht mithalten. Trotzdem ist sie nicht eingebildet und ganz natürlich, gerade deshalb verstehen wir uns so gut. Was hältst du von den anderen?“, fragt sie weiter.

„Naja, Thomas ist ein bisschen schüchtern, aber scheint soweit auch okay. Mit Michael habe ich kaum ein Wort gewechselt, was erwartest du von einem Abend.“

Henny nickt und sieht mich abschätzend an.

„Wieso bis du nach deinem Toilettengang wirklich abgehauen?“

Ach wieso kann sie den gestrigen Abend nicht ruhen lassen?

„Müssen wir unbedingt darüber reden? Warum erzählst du mir nicht lieber von diesem Ronny? Ich habe da so ein paar Dinge aufgeschnappt“, sage ich grinsend.

„Nein, nein, so leicht kommst du mir nicht davon. Hattest du keine Lust mehr oder lag es an diesem aufdringlichen Kerl?“

Ich sehe sie an.

„Also schön. Letzteres. Er hat mir vor dem Klo aufgelauert und nach meinem Namen gefragt. Ich schätze ich bin dieser Person nicht gewachsen. Es war mir auf einmal alles zu viel.“

Henny schaut mich weiter an, sagt aber nichts. Nun bin ich doch wieder bei diesem Thema und sie hat durch ihr Schweigen meine Neugier geweckt.

„Kennst du den Typen gut?“, frage ich sie deshalb.

Henny wackelt lustig mit ihrem Kopf, aber am Ende schüttelt sie ihn.

„Nein eigentlich alles nur hören sagen. Er ist eine Klasse über mir und alle Mädchen schwärmen für ihn. Er ist nun mal ein echter Hingucker. Die paar Dinge, die ich über ihn weiß und die auf jeden Fall stimmen sind: er fährt Motorrad, seine Eltern leben getrennt und er geht in die Theatergruppe. Das erstaunt dich sicher, was? Ach ja, er gibt auch Nachhilfe in Mathe. Da scheint er echt gut zu sein. Du kannst dir sicher vorstellen, wie schlecht die meisten Mädchen in Mathe sind und Nachhilfe brauchen.“

Bei diesen Worten brechen wir beide gleichzeitig in Gelächter aus und kriegen uns gar nicht wieder ein. Schließlich lege ich mich rücklings auf den Boden und starre vor mich hin.

„Ich kann dir gar nicht sagen, wie das gestern war. So etwas habe ich überhaupt noch nie erlebt. Ich stand völlig neben mir.“

Ich drehe meinen Kopf zu Henny und fange an zu kichern.

„Er denkt wahrscheinlich wirklich, dass ich noch ein Küken bin, so wie ich mich gestern benommen habe. Aber mir soll es recht sein. Ich brauche absolut keine Lovestory.“

„Da sind wir genau beim richtigen Thema“, witzelt Henny.

„Du sagtest etwas von gerade beendeter Beziehung. Erzähl mir alles und lass nichts aus!“

Henny legt sich auf den Bauch und stützt ihren Kopf in beide Hände. Dabei grinst sie von einem Ohr zum anderen.

„Muss das sein? Eigentlich will ich diesen Lebensabschnitt aus meinem Gedächtnis streichen.“

Ich sehe sie bittend an, doch ihr Grinsen weicht nicht. Oh je!

„Keine Chance! Raus mit der Wahrheit oder ich muss dich leider kitzeln und ich weiß, wie du das hasst!“

„Nein, nein, bloß nicht. Ich erzähle alles, aber bitte nicht kitzeln.“

Ich hasse das wirklich wie die Pest, keine Ahnung warum ich überall so empfindlich bin. Mein Vater hatte es einmal übertrieben und hörte nicht auf, obwohl ich mehrfach darum gebettelt hatte. Auf jeden Fall knallte bei mir irgendeine Sicherung durch und ich schlug wild um mich. Dabei habe ich ihm die Brille von der Nase getreten und sie war kaputt. Zudem hatte er einen riesigen blauen Fleck im Gesicht und zwar für ganze vierzehn Tage. Seitdem reagiere ich bei jeder Kitzelattacke über und kann Henny nur empfehlen ihre Finger bei sich zu behalten.

Ich sehe sie drohend an und halte den Zeigefinger hoch.

„Wehe dir!“

Henny grinst zufrieden und ich richte meinen Blick wieder an die Decke und denke ein paar Monate zurück. Ich räuspere mich, was war ich doch für eine blöde Kuh.

„Es ist etwa vier Monate her, da habe ich auf einer Party Lasse kennengelernt. Er war auch in einem Austauschjahr und ich hatte noch nie einen Freund. Kein Junge hatte sich je für mich interessiert und ich dachte immer ich wäre absolut langweilig. Klar hatte ich auch dort viele Freunde, aber eben nicht irgendeine Liebesgeschichte. Susan hatte mindestens schon drei Lovestorys hinter sich und ich dachte schon, mich will keiner. “

„Du spinnst ja total, du und langweilig?“, unterbricht mich Henny.

„Egal, ich dachte es eben. Naja auf dieser Party waren auf jeden Fall viele neue Gesichter. Ich war mit Susan dort, du kennst sie ja. Immer aufgedreht und völlig crazy. Sie macht sich nie eine Birne, was die anderen von ihr halten oder den nächsten Tag getuschelt wird. Wir haben jedenfalls viel getanzt und irgendwann waren wir auch etwas angetrunken. Ich gebe zu, so ausgelassen habe ich mich noch nie gezeigt und war über mich selbst überrascht. Das ist wohl irgendwie aufgefallen, denn zwei Jungs, unter anderem Lasse, haben sich den ganzen Abend an uns gehängt und wir haben bis spät in die Nacht gefeiert. Lasse ist einer dieser Typen, denen alle Mädchen hinterher schmachten. Aber ganz anderes als Niklas. Blond, groß, durchtrainiert und stahlblaue Augen. In diese Augen habe ich mich gleich verliebt. Ich fühlte mich großartig, weil Lasse mich auserkoren hatte. Von da an unternahmen wir viel gemeinsam. Wir gingen ins Kino, waren baden und Eis essen. Alles was man als Pärchen ebenso macht. Jede freie Minute war ich bei ihm und fühlte mich wie im siebten Himmel.“

Ich merke, wie sich eine Träne aus meinen Augen löst und streiche sie unwirsch mit meinem Handrücken weg. Henny nimmt meine Hand und wir liegen so dicht nebeneinander.

„Nach etwa zwei Wochen haben wir uns zum ersten Mal geküsst. Es war großartig. Vielleicht nicht ganz, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Aber Lasse küsste mich, hallo? Das alleine war so toll, dass ich alle anderen Hinweise und Gefühle ignorierte. Ich merkte schon damals, dass er immer nach anderen Mädchen schaute, auch wenn ich dabei war. Aber solange er meine Hand hielt, war mir das so ziemlich egal. Schließlich war er einer der beliebtesten Typen der ganzen Schule. Nach etwa vier Wochen fing er an mehr zu wollen. Er war schlecht drauf und sein Verhalten wurde irgendwie anders, liebloser. Nun ja, aber er war Lasse, der Superhero. Völlig verliebt und vernebelt ließ ich Dinge geschehen, die ich eigentlich nicht wollte. Nur den ganz großen Schritt, den ging ich nicht. Er wurde immer ungeduldiger und schimpfte mich eine frigide Kuh.“

Wieder kullern mir die Tränen aus den Augen.

„Du musst nicht weiterreden, ich kann mir den Rest schon denken. So ein Arsch!“

Aber irgendwie tut es mir gut, mir alles von der Seele zu reden und Henny ist ein guter Zuhörer.

„Dann etwa noch eine Woche später, wir waren allein bei mir zu Hause, wollte er, dass ich mich ausziehe und dass wir es tun. Ich sagte ihm, dass ich noch nicht so weit wäre. Da ist er völlig ausgerastet und hat Schluss gemacht. Ich war fix und fertig und habe nur noch geheult. Susan hatte mich bereits mehrfach wegen Lasse gewarnt. Sie konnte ihn nicht leiden. Ihre Menschenkenntnis stellte sich als sehr gut heraus, denn zwei Tage später erfuhr ich, dass er nur mit mir zusammen gewesen ist, weil er eine Wette mit einem Freund laufen hatte. Wer entjungfert eine Zehntklässlerin als Erster? Der Andere hat gewonnen. Ich habe Lasse nicht mehr angeschaut und ärgere mich noch heute über meine Naivität. Was war ich für eine blöde Kuh? Habe mir eingebildet, dass der schönste Junge mit mir zusammen sein wollte. Was für eine absurde Idee!“

Ein leicht hysterisches Lachen entfährt mir und ich wische mir die letzten Tränen aus meinen Augen. Dann setze ich mich hin.

„Weißt du, er küsst ganz fürchterlich. Viel zu viel Zunge. Ich dachte jedes Mal ich müsse ersticken.“

Ich mache so Würgegeräusche und halte meine Kehle. Dann lache ich und es schießen mir wieder Tränen aus den Augen, aber diesmal sind es Tränen der Erleichterung.

Auch Henny lacht.

„Was sind wir doch für blöde Hühner? Nein Küken? Machen alles für diese Idioten, anstelle ihnen zu sagen, dass sie sich zum Teufel scheren sollen!“

Wir liegen wieder beide lachend auf dem Boden und kringeln uns. Ach tut das gut. Henny ist nicht nur meine Cousine, sondern auch eine meiner besten Freundinnen. Ich sehe sie liebevoll an.

„Danke, das war richtig gut.“

„Gern geschehen, du Küken.“

Damit erinnert sie mich wieder an diesen anderen Loverboy. Aber ich will jetzt an keinen Kerl denken.

„Was machen wir heute?“, frage ich deshalb.

„Wie wär’s mit Baden am Baggersee?“, fragt sie mich und ihre Augenbrauen wackeln lustig.

Nach einer Stunde mit dem Fahrrad kommen wir völlig verschwitzt am Baggersee an. Ich bin erstaunt, wie schön es hier draußen ist. Wir sind am Cospudener See und der hat einen richtigen Strand. Wie am Meer. Ich schaue Henny strahlend an, doch die checkt gerade die ganzen Leute ab. Es ist ziemlich voll.

„Ich brauche unbedingt was zu Trinken und ein kaltes Bad“, stöhne ich, während wir die Räder mit den Sicherheitsschlössern festmachen. Zielstrebig laufen wir zum Strand, legen unsere Handtücher in den gelben Sand, ziehen uns unsere Klamotten aus. Dann fassen wir uns an unseren Händen.

„Auf drei?“, frage ich.

Henny nickt.

„Eins, zwei, drei…“

Wir rennen wie die Bekloppten gemeinsam ins Wasser und schreien dabei. Es ist eiskalt, aber fühlt sich fantastisch an. Wir plantschen eine Weile ausgelassen herum und spritzen uns nass.

„Ich schwimm noch eine Runde. Kommst du mit?“, frage ich Henny.

„Ne, mach mal. Ich besorge uns schon mal was zu trinken.“

Sie watet aus dem Wasser und wringt ihre blonde Mähne aus. Ich staune. Im nassen Zustand gehen ihre Haare fast bis zum Popo. Das ist echt unfair, weil ich meine Haare schon viel länger wachsen lasse, aber irgendwie wollen die einfach nicht länger werden. Ich drehe mich um und schwimme noch ein ganzes Stückchen weiter hinaus. Dann drehe ich mich auf den Rücken und lasse mich für einige Momente vom Wasser treiben. Die ganze Welt ist über mir und ich fühle mich so frei wie lange nicht mehr. Ich bin froh, hier bei Henny zu sein. Eigentlich wollte ich die Ferien über lieber noch bei Susan bleiben. Schließlich weiß ich ja nicht, wann ich sie wiedersehen werde.

Susan habe ich gleich zu Beginn meines Englandaufenthaltes kennengelernt. Sie hat ganz kurze, braune Haare und ist ein Wirbelwind. Gar kein typischer Engländer. Die habe ich mir immer so steif und kühl vorgestellt. Susan ging in den Drama Kurs und wir haben uns auf Anhieb verstanden. Ich eher etwas ruhig und besonnen und sie völlig aufgedreht und zu jeder Schandtat bereit. Mein Englisch war am Anfang grottenschlecht. Ich weiß nicht wie oft wir uns missverstanden und uns später über meine Unzulänglichkeiten köstlich amüsiert haben. Sie hat mich ihren Freunden vorgestellt, aber mit denen bin ich in der ganzen Zeit nicht warm geworden. Susan und ich waren unzertrennlich. Wir lieben die gleiche Musik, gingen ständig zusammen shoppen oder nur anprobieren und konnten einfach über alles reden. Da meine Eltern kaum Zeit für mich hatten, war ich oft bei ihr zu Hause und habe auch hin und wieder bei ihr übernachtet. Auch ihre Eltern habe ich über diese Zeit sehr ins Herz geschlossen. Bei diesen Gedanken werde ich ganz traurig. Ich vermisse Susan bereits nach dieser kurzen Zeit.

Ich schaue in den Himmel und beobachte die Wolken über mir. Riesige Haufenwolken türmen sich auf. Es scheint sich zuzuziehen. Wie früher versuche ich in den Wolken irgendwelche Formationen zu erkennen und muss grinsen, denn da sehe ich einen Piraten, ein Einhorn und ganz weit hinten einen großen Wal. So habe ich mit Susan oft am Strand von Brighton gelegen und wir haben die unmöglichsten Tiere oder Figuren entdeckt. Plötzlich kommt ein kalter Wind auf und es fröstelt mich. Schnell drehe ich mich um und schwimme wieder zurück Richtung Ufer. Schon von weitem kann ich Henny mit jemanden reden sehen. Sie wirkt aufgebracht. Wer ist dieser Typ? Naja bisher kenne ich ja nur eine Handvoll Leute, da ich erst drei Tage da bin. Es sind Sommerferien und ich bin auf Besuch. Vielleicht ziehen wir im Herbst in die Nähe, aber das ist noch nicht ganz heraus. Die letzten beiden Schuljahre habe ich in England an einem College verbracht. Meine Eltern hatten dort beruflich zu tun. Ab kommenden Schuljahr werden sie wieder in Deutschland arbeiten, deshalb soll ich mich schon mal wieder einleben.