Falsches Spiel in Valencia - Daniel Izquierdo-Hänni - E-Book

Falsches Spiel in Valencia E-Book

Daniel Izquierdo Hänni

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Vicente Alapont, der seinen Job als Inspektor bei der Policía Nacional an den Nagel gehängt hat und jetzt in seiner Heimatstadt Valencia Taxi fährt, kann das Ermitteln nicht lassen. Er nimmt den Auftrag an, dem Verschwinden eines einflussreichen Unternehmers nachzugehen. Seine Nachforschungen führen ihn zu einer dubiosen Privatbank an der Costa Blanca sowie zum stärksten Wirtschaftsverband der Region und zu dessen machtbesessenem Präsidenten. Dabei gerät Alapont immer wieder in brenzlige Situationen …

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Impressum

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Mörderische Hitze, ISBN 978-3-8392-0287-6

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © VisitValència

ISBN 978-3-8392-7818-5

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Andere Länder, andere Sitten … … und andere Namen

»Spain is different!« lautet ein bekannter Werbespruch, anders tickt Spanien auch in Sachen Namensgebung und -verwendung. Eine Eigenheit, die für das bessere Verständnis des vorliegenden Romans nicht unwesentlich ist.

In allen offiziellen Dokumenten, egal, ob Personalausweis, Führerschein oder Reisepass, werden in Spanien der Vorname sowie die beiden Familiennamen aufgeführt. Dabei handelt es sich nicht um Doppelnamen, wie man sie im deutschen Sprachraum kennt, sondern um jenen des Vaters sowie den der Mutter. In meinem Falle also »Izquierdo« von Papas Seite her, und »Hänni«, der ledige Name meiner Mutter.

Wobei wir bereits bei der nächsten Besonderheit wären, nämlich dem ledigen Namen einer Ehefrau. Denn: Diesen gibt es hierzulande überhaupt nicht! Spanierinnen nehmen bei der Heirat nie den Namen ihres Ehepartners an, sondern behalten ihre beiden Familiennamen. Dies hat nichts mit moderner Gleichstellung zu tun, zumal schon meine Großmutter Maria-Ángeles, Jahrgang 1890, ihr Leben lang so geheißen hat wie an dem Tag, als sie zur Welt gekommen ist.

Dies führt mich zu zwei Dingen …

Nämlich, dass die Romanfiguren Cristóbal Fabregat und Victoria Claramunt miteinander verheiratet sind, obwohl dies für deutschsprachige Leserinnen und Leser anfänglich etwas befremdlich klingen mag.

Und: Mein Dank gilt einer Frau mit vier Namen, Ana Maria Muñoz Montero. Obwohl meine Gattin kein Wort von dem versteht, was ich da zusammenschreibe, hat sie mich bei meinem Alapont-Abenteuer immer unterstützt und, nicht selten, auch ausgehalten, wenn mir mitten in der Nacht irgendeine Idee oder Wendung in den Sinn gekommen ist.

Daniel Izquierdo-Hänni

Valencia, Frühjahr 2024

-1-

Irgendetwas stimmt nicht! Doch was? Schon seit der ersten Fahrt am heutigen Vormittag hat José-Luis Oriol ein ungutes Gefühl, eine Sensation, die er weder zu begründen noch zu bestimmen weiß. Doch als einer, der seit über 40 Jahren zur See fährt, hat er gelernt, auf seinen Instinkt zu hören. Dies mag zwar in der modernen Schifffahrt, mit all dem technischen Zeugs wie Radar, Satelliten-Telefonen und metergenauen GPS-Koordinaten, längst veraltet sein, doch das ist ihm, dem alten Seebären, völlig egal. Na ja, Seebär, das war José-Luis wohl mal, damals, als er als Kapitän der spanischen Handelsmarine die sieben Weltmeere durchschiffte und der weite Ozean sein Zuhause gewesen ist. Doch dann musterte ihn die Reederei aus, als wäre er ein alter Kahn, verabschiedete ihn in den Ruhestand und zwang ihn, eine Landratte zu werden.

Umso glücklicher ist er, wenn er seinem Sohn in dessen kleiner Ausflugsreederei zur Hand gehen kann. Und so steuert José-Luis bereits zum dritten Mal an diesem Tag die Nemo Blue von der Touristenhochburg Denia ins benachbarte Jávea und wieder zurück. »Genießen Sie einen unvergesslichen Panoramablick auf die Costa Blanca und auf deren eindrucksvolle Klippen.« So steht es in der Werbebroschüre für die Minikreuzfahrt zwischen den beiden Ortschaften, 50 Minuten für 13 Euro. Gut, das Ausflugsschiff ist eine Nussschale im Vergleich zu den Bruttoregistertonnen, die er gewohnt gewesen ist, doch immerhin ist er weiterhin auf dem Wasser – auf und in seinem Element.

Gemächlich tuckert José-Luis aus der Bucht von Jávea geradeaus aufs offene Mittelmeer, um nach ein paar Minuten Fahrt aufzunehmen und in einer scharfen Backbord-Kurve nach links abzudrehen. Dieses Manöver führt er extra so durch, denn auf diese Weise haben die Passagiere von einem Augenblick auf den nächsten eine tolle Sicht auf die spektakuläre Felswand des Cabo de San Antonio. Steil ragt die 160 Meter hohe Klippe aus dem Wasser, gekrönt vom weißen, schmalen Leuchtturm ganz oben, von wo man bei klarer Sicht am Horizont die Umrisse von Ibiza und Formentera ausmachen kann. Ohne zu drosseln, steuert er das Touristenboot näher an die Steilwand heran. Selbst bei ruhiger See und strahlendem Sonnenschein hat das Kap etwas Majestätisches und gleichzeitig Bedrohliches an sich. Doch wirklich etwas übrig für das Naturspektakel hat der alte Seebär nicht, einerseits ist er hier in der Gegend aufgewachsen und kennt daher die Küste wie seine Westentasche, andererseits muss er auf die zahlreichen Motor- und Segelboote sowie die wild umherrasenden Jetski-Fahrer achten, die seinen Kurs durchkreuzen könnten. »Verschwindet vor meinem Bug!«, wettert er, lässt das Signalhorn ertönen und legt nochmals ein paar Knoten zu. Eine Busladung Schweizer Senioren war zu spät an der Anlegestelle angekommen, ausgerechnet jene Ausländer, die besonders schnippisch reagieren, wenn mal die Uhrzeiten nicht auf die Minute eingehalten werden. Doch die Stimmung unter den Passagieren scheint bestens zu sein, es wird geplaudert und gelacht, fotografiert und gefilmt. Also entspannt auch er sich und genießt die letzte Fahrt an diesem Tag.

Plötzlich drosselt José-Luis Oriol den Dieselmotor, greift zu seinem Feldstecher und schaut zurück zu einer der kleinen Buchten am Fuße der hohen Felswand. Genau! Das ist es! Jetzt endlich weiß er, woher sein dumpfes Bauchgefühl stammt, das ihn seit der ersten Fahrt heute Morgen begleitet. Er schaltet das Mikrofon zur Bordbeschallung ein, räuspert sich und drückt auf den roten Knopf. »Werte Passagiere, hier spricht Ihr Kapitän. Da heute das Meer so wunderbar ruhig ist, drehen wir einen kurzen Extrabogen, sodass Sie nochmals das Naturwunder der Costa Blanca ganz aus der Nähe genießen können. Wir werden somit etwa 15 Minuten später in Denia eintreffen, ich hoffe, Sie sind damit einverstanden.« Das Raunen der Passagiere verwandelt sich in einen spontanen Applaus. Dafür stürzt einer der Matrosen, die auf dem Ausflugsboot Dienst tun, in die Kabine. »¿Capitán, qué pasa? Was ist los?«

»Nichts Besonderes, übernimm das Steuer, kehr eine Viertelmeile zurück und fahr dann so nahe wie möglich am Felsen entlang wieder in Richtung Denia.« Ohne richtig zu wissen weshalb, tut der Seemann, wie ihm geheißen und wendet. José-Luis tritt aus dem Ruderhaus und stellt sich auf das offene Deck. Tatsächlich, jetzt sieht er klar vor sich, was er schon bei der ersten Fahrt am Morgen offenbar unbewusst wahrgenommen hat: ein Motorboot an der immer noch gleichen Stelle, gefährlich nahe am Felsen. Er reibt sich die Augen und dreht am Schärfenrad des Feldstechers, doch den Namen der Jacht kann er nicht erkennen, klar ist ihm jedoch, dass niemand an Bord zu sehen ist. »Da stimmt was nicht!«, murmelt der alte Seebär, zufrieden, auf seinen Instinkt gehört zu haben. Zurück in der Kabine greift er zum Funkgerät und wählt VHF-Kanal Nummer 16. Es ist die Frequenz der Seenotrettung.

-2-

Die Landzunge des Cabo de San Antonio mit seiner spektakulären Felswand markiert den geografischen Beginn der Costa Blanca, die sich von hier aus etwas über 200 Kilometer runter nach Süden erstreckt. Die weiße Küste gehört mit ihren Buchten, Stränden und Ortschaften zu den beliebtesten Urlaubsregionen Spaniens. Touristische Hochburg ist Benidorm, für die einen ein wahres Ferienparadies, für die anderen der absolute Horror, denn während der Hochsaison explodiert die Einwohnerzahl von den üblichen 70.000 auf etwas über 800.000. Besonders Briten oder Franzosen verbringen hier gerne ihre Badeferien, Deutsche und Schweizer hingegen meiden meistens die Wolkenkratzer, die dicht gedrängt entlang der Strandpromenade in den Himmel ragen. Besonders jene, die in Spanien ihr Rentnerdasein genießen wollen, haben sich in benachbarten Ortschaften wie Calpe oder Benissa niedergelassen, wo weitläufige Ferienhaussiedlungen die Küstenlandschaft prägen. Um die Jahrtausendwende haben auch die vermögenden Russen die Costa Blanca für sich entdeckt, Zeitzeuge dafür ist die kleine orthodoxe Kirche mit ihren goldenen Zwiebeltürmen, die ein Oligarch damals hat errichten lassen.

Anfang der 2000er-Jahre ist auch Pedro Merino von Madrid hierhergezogen, wo er mit Frau, Kind und Hund längstens heimisch geworden ist. Trotzdem fragt sich der 54-Jährige manchmal, was er hier tut. Vor allem im Sommer, wenn er in Anzug und Krawatte zur Arbeit geht, während um ihn herum die Menschen in Badehosen, Bikinis und Flipflops an die Strände strömen. Juli und August hasst er aber auch deshalb, weil er dann, wie wohl alle Geschäfte, die vom Tourismus leben, durcharbeiten muss. Selbst für ihn als Direktor der Costa Blanca International Bank gibt es dann keine Wochenenden, muss er doch auch an Samstagen und Sonntagen zur Niederlassung in Benidorm reinfahren, um dort Kunden zu empfangen. Kunden, auf die er als Chef einer exklusiven Privatbank gerne verzichten würde, Touristen, die sich mit ihrem hart Ersparten eine Urlaubswohnung kaufen wollen. Irgendwo in einer Bandbreite von 100.000 und 180.000 Euro, selbstverständlich weit vom Strand entfernt, schließlich kostet ein Apartment mit Meerblick leicht das Dreifache. Doch wie lautet das Sprichwort? Kleinvieh macht auch Mist? Abgesehen davon, dass das Finanzhaus, das er führt, dank dieser Sommerferien-Kunden den Anschein einer ganz normalen Bank wahren kann.

Zufrieden mit sich selbst sitzt Pedro Merino in seinem neuen Büro und genießt den spektakulären Rundblick aufs Mittelmeer. Lange gehörte das Anwesen mit seiner geschwungenen Zufahrt, den drei Stockwerken, die nach unten in den Hang gebaut sind, und den lichtdurchfluteten Räumlichkeiten, einem deutschen Zahnarzt, doch als dieser in Rente ging, konnte die Costa Blanca International Bank die Immobilie zu attraktiven Konditionen übernehmen. Der neue Hauptsitz des Finanzhauses könnte besser nicht liegen, nicht nur aufgrund der direkten Anbindung an die Autobahn, sondern auch wegen der unmittelbaren Nähe zu Altea Hills und ihren steinreichen Nachbarn. Schließlich gelten die »Hügel von Altea« als das exklusivste Ressort der ganzen Costa Blanca, mit eigener Zufahrtskontrolle und einem 24-Stunden-Sicherheitsdienst.

Zufrieden ist Pedro Merino aber auch deshalb, weil die Woche bestens gelaufen ist. Am Montag konnte er die Hypothek über zwei Millionen Euro unterschreiben, die seine Bank einem dänischen Industriellen gewährt hat, am Dienstag hat er einen bekannten Fußballspieler als Kunden für dessen Vermögensverwaltung gewinnen können, Mittwoch und Donnerstag musste er geschäftlich nach London, wobei ihn seine Gattin Natalija begleitet hat. Und heute hat er den Tag sportlich-entspannt mit einer Runde Tennis begonnen. Desinteressiert blättert er durch die Costa Blanca Nachrichten, eine Wochenzeitung, die jeweils am Freitag erscheint und die deutschsprachigen Expats mit Nachrichten, Informationen und Klatsch versorgen. Auf seinem Schreibtisch landet dieses Blatt nur, weil seine Bank darin regelmäßig Anzeigen schaltet. Nicht, dass ihm diese Werbung zahlungskräftige Kunden bringen würde, vielmehr geht es darum, ein sauberes Image zu vermitteln.

»Pjotr, wo bist du?«

Der Bankdirektor hat sein Handy abgenommen, ohne aufs Display zu schauen. Das war ein Fehler! Seine gute Laune ist dahin, entsprechend kurz und knapp seine Antwort. »Im neuen Büro.«

»Dann komm runter, ich warte auf dich!«

Er hat Wanja zu Hause in Sankt Petersburg vermutet, seine Frau hat ihm gar nicht gesagt, dass ihr Onkel wieder im Land ist. Als Spanier ist Pedro Merino durchaus ein Familienmensch, Verwandte hat er in Madrid nicht wenige, doch die verschworene Familienzusammengehörigkeit seitens seiner Gattin ist sogar ihm etwas zu viel. Gut, nach 20 Jahren Ehe weiß er mittlerweile, wie der Hase läuft, wer in seiner angeheirateten russischen Großfamilie das Sagen hat. Nach dem Tod seines Schwiegervaters ist nun dessen Bruder Oberhaupt des Clans. Doch im Gegensatz zu Anton Tschechows berühmter Theaterfigur ist dieser Onkel Wanja kein schwermütiger Landmensch, sondern ein selbstsicher auftretender Russe aus der Zarenstadt Sankt Petersburg. Einer, der weiß, was er will, einer, der nicht lange rumfackelt. Doch Onkel Wanja ist weit mehr als der Bruder seines verstorbenen Schwiegervaters, ist er auch einer der größten Aktionäre der Costa Blanca International Bank.

»Es muss sein, und zwar jetzt!« Das klingt nicht nach einer Bitte, zumal Onkel Wanja selten fragt, sondern bestimmt.

Während Pedro Merino seine Seidenkrawatte zurechtrückt, stellt er sich an das Panoramafenster seines Büros, wo er nicht nur das weite, ewigblaue Mittelmeer vor sich hat, sondern von wo er auch direkt zur Marina runter sehen kann. Im Gegensatz zu vielen Neureichen aus der ehemaligen Sowjetunion hält Onkel Wanja den Ball lieber flach, Verschwiegenheit ist eines seiner obersten Gebote – privat wie auch geschäftlich. Jachthäfen entlang der Costa Blanca gibt es viele, doch keiner liegt so diskret, beinahe versteckt, wie jener, auf welchen er gerade runterblickt.

Als er mit seinem Porsche Cabrio keine zehn Minuten später unten am Sporthafen ankommt, winkt ihm das Oberhaupt seiner russischen Familie vom Sonnendeck seiner 30-Meter-Jacht zu.

»Pedro, ich freue mich, dich zu sehen!«

Die Spanier sind ein gefühlsbetontes Volk, Umarmungen und Küsse unter Freunden und Bekannten sind durchaus üblich, doch die Begrüßungen des russischen Onkels sind selbst für Pedro Merino zu überschwänglich, manchmal beinahe theatralisch. Kaum haben die beiden Männer im Schatten eines übers Heck gespannten Sonnensegels Platz genommen, kommt Wanja zur Sache. »Ich habe es zu Hause mit unseren Freunden besprochen, und ich habe es auch deiner Natalija gesagt: Wir müssen vorwärtsmachen und endlich jene spanischen Firmen zu 100 Prozent übernehmen, die wir im Visier haben!«

Pedro Merinos Gedanken schweifen beim Anblick des robusten Russen mit dem runden Gesicht und den kleinen Schweinsäuglein ab. Gibt es eigentlich den Begriff des »Schwiegeronkels«, schließlich gibt es doch jenen des »Schwiegervaters«? Doch bevor er diesen dummen Gedanken zu Ende spinnen kann, ist er wieder voll bei der Sache, schließlich ist er Banker, ein Finanzprofi. »Wir müssen die Aktienanteile bis Ende Jahr alle übernehmen, langsam, Scheibe für Scheibe, auch über Dritte, um so unterm Radar der Comisión Nacional del Mercado de Valores zu agieren. Seitdem die Sozialisten die Regierung in Madrid stellen, ist die nationale Wertpapiermarktkommission sehr pingelig geworden.«

Wanja schaut ihn streng an, doch nicht nur deshalb lockert Pedro seinen Schlips, auf einem Boot, und sei es noch so luxuriös, ist eine Krawatte einfach zu overdressed. »Wie du selbst immer sagst, tío Wanja, Diskretion ist die Grundlage für langfristig erfolgreiche Geschäfte. Bei der Speditionsfirma, die uns interessiert, halten wir bereits bei 70 Prozent, und es wird nicht lange dauern, bis Fabre-Trans uns gehört. Ich arbeite daran.«

Wanja blickt ihn weiter mit ernster Miene an, doch langsam, ganz langsam, entspannt sich sein Gesichtsausdruck. »Natalija hat ihren Ehemann gut ausgewählt, schade nur, dass du Spanier und nicht Russe bist!« Ein lautes, tiefes und polterndes Lachen erklingt, weit über das Schiff hi­naus hörbar. »Komm, Pjotr, lass uns an Land gehen und etwas essen.«

In der einen Sekunde der strenge Patriarch, in der nächsten der gefühlsbetonte Familienmensch. Pedro Merino kennt beide Facetten, aber die des netten Onkels ist ihm tausendmal lieber. Obwohl er es hasst, wenn Wanja ihn mit der russischen Version seines Vornamens anspricht.

-3-

Gleich nach dem Empfang des Funkrufes auf Kanal 16 hat das Schnellboot des Salvamento Marítimo die Leinen gelöst und mit voller Fahrt die angegebene Stelle am Fuße der Felswand angesteuert. »Susanna One«war in leicht verblassten blauen Lettern am Bug zu erkennen, darunter stand der Heimathafen des Schiffes: Valencia. Trotz der späten Tageszeit war der Wellengang noch ungewöhnlich ruhig, sodass sich das Rettungsteam problemlos der Jacht nähern und einer der Matrosen mit einem beherzten Sprung übersetzen konnte. Die Sonne war bereits untergegangen, als die Seenotrettung mit der herrenlos aufgefundenen Motorjacht im Kielwasser im Hafen von Jávea einlief.

Nach seinem Dienstende auf dem Ausflugsschiff seines Sohnes ist José-Luis Oriol in seinen Wagen gestiegen und von Denia rüber in den Nachbarort gefahren. Schließlich will er wissen, was er da gesichtet und gemeldet hat. Nahe der Mole stellt er seinen alten Seat ab, von Weitem winkt ihm der Hafenmeister zu. Juan Boldaños kennt er schon, seit dieser mit seinem eigenen Sohn in die Grundschule gegangen ist. Abgesehen davon, dass hier in der Gegend sowieso jeder jeden kennt, erst recht, wenn man mit und vom Meer lebt. Die Kapitänin der Seenotrettung, die noch immer in ihrem orangefarbenen Overall steckt, grüßt den Ankömmling kollegial. »Buenas tardes capitán. Ein tolles Ding, das du da gefunden hast.«

Dieser begutachtet das fest vertäute Geisterschiff, auch Hafenmeister Boldaños bewundert das Boot. »Das ist eine Bavaria R40 von zwölf Metern Rumpflänge«, kommentiert dieser, offensichtlich kennt er sich aus. »Die Dinger werden in Deutschland gebaut, in einer Werft in der Nähe von Würzburg.«

»Würzburg liegt doch gar nicht am Meer!« Hamburg, Bremerhaven, Kiel und wie die deutschen Häfen alle heißen, der alte Seebär ist schon alle angelaufen. Er schüttelt den Kopf. »Wahnsinn, nicht? Schiffe bauen mitten auf dem Festland.«

Juan Boldaños schreitet die Mole entlang, aus seiner Stimme klingen Bewunderung und Abscheu zugleich. »Und wisst ihr, was auch noch der Wahnsinn ist? Dieses Modell kostet mindestens 500.000 Euro. Da muss einer viel Knete haben, um sich so etwas leisten zu können …«

Wie die drei so dastehen und sich überlegen, was man alles mit einer halben Million anfangen könnte, nähert sich ein Streifenwagen der Guardia Civil. Ein paar Meter von ihnen entfernt hält der Jeep, und der Beifahrer, ein mächtiger älterer Herr in grüner Uniform, steigt behäbig aus. Ob dies am langen Dienst des heutigen Tages oder an der stattlichen Leibesfülle liegt, mögen die drei Beobachter nicht beurteilen. Doch sie kennen den capitán und wissen, dass der Distriktchef, anstatt Delinquenten zu jagen, lieber den Restaurants der Gegend mal einen Dienstbesuch abstattet. Normalerweise die Ruhe in Person, schaut der Guardia-Civil-Offizier demonstrativ auf seine Armbanduhr und grüßt die Anwesenden mürrisch. »Eigentlich habe ich Feierabend, der junge Schnösel im Wagen hat Bereitschaftsdienst. Aber ich habe mir trotzdem gedacht, dass ich mal vorbeischauen könnte.« Der Fahrer des Polizeijeeps ist jetzt ebenfalls ausgestiegen und kramt hinter dem Sitz, offensichtlich sucht er nach seiner Uniformmütze. »Lass es, Junge, wir sind hier unter Freunden!«

Mit kurzen, schnellen Schritten eilt der Unteroffizier herbei und salutiert.

»Subteniente, lassen Sie das, wir sind nicht auf dem Exerzierhof! Berichten Sie lieber unseren Freunden hier, was Sie herausgefunden haben.«

Verunsichert schaut sich dieser zwischen den Anwesenden um, wobei sein Blick an der Kapitänin der Seenotrettung mit ihrem dunkelblonden Rossschwanz haften bleibt. »Ähm … ich habe nach Ihrem Funkanruf, Señora, den Eigner des fraglichen Wasserfahrzeuges mit dem Namen Susanna One festgestellt. Der Besitzer heißt Cristóbal Fabregat, das Boot hat im Real Club Náutico von Valencia seinen Liegeplatz. Wir haben versucht, diesen Herrn zu erreichen, aber ohne Erfolg.«

»Okay, dann frage ich bei meinen Kollegen in Valencia nach, vielleicht wissen die mehr.« Der Hafenmeister zieht sein Mobiltelefon aus der Jacke und wählt eine Nummer.

»Mein Erster Offizier, der auf die herrenlose Jacht rübergestiegen ist, hat gesagt, dass alles so gewesen sei, als würde der Skipper gleich wiederkommen.«

»Was meinst du damit?«, fragt der Hauptmann der Guardia Civil die Kollegin der Seenotrettung.

»Das Boot war geankert, der Schlüssel steckte im Zündschloss. Das Radio lief, leise zwar, aber doch hörbar, und auf dem Tisch stand eine offene Flasche Wein mit einem einzigen Glas.«

»Was für einer?«

Alle schauen den Polizeichef verwundert an, auch der junge Polizeibeamte. »Jefe, was spielt das für eine Rolle?«

»Na ja, das kann uns darüber Auskunft geben, ob es sich beim Bootseigner lediglich um einen Typen mit Kohle handelt oder um einen, der Klasse hat. Jede scheinbar nebensächliche Kleinigkeit kann wichtig sein.«

Wieder wissen José-Luis Oriol und die beiden anderen nicht, ob jetzt ein erfahrener Polizeibeamter zu ihnen spricht oder lediglich der Genussmensch, der eine gute Flasche Wein zu schätzen weiß.

Boldaños tritt wieder zur Gruppe, der Hafenmeister hat seinen Anruf beendet. »Also, meine Kollegen in Valencia kennen den Bootsbesitzer bestens. Dieser Fabregat ist ein bekannter Transportunternehmer und hat Geld wie Heu.«

»Mist! Das hat mir noch gefehlt!«, flucht der Guardia-Civil-Offizier laut.

Im Artikel 14 der spanischen Verfassung steht geschrieben, dass alle Spanier gleich seien, unabhängig von Herkunft, Rasse, Geschlecht, Religion, Meinung oder irgendwelchen anderen persönlichen oder sozialen Umständen. Doch der Polizeioffizier weiß aus eigener Erfahrung, dass dem nicht ganz so ist, wenn jemand zur Oberschicht gehört. Denn dann werden die Politiker und, in Folge, seine Vorgesetzten schnell nervös.

»Der Typ ist gestern Vormittag in seinem Heimathafen los, ob allein oder nicht, können sie nicht sagen«, beendet der Hafenmeister seinen Bericht.

Das runde Gesicht des Guardia-Civil-Mannes erhellt sich schlagartig, ein für alle sichtbarer Stimmungswechsel binnen eines einzigen Augenblickes. Strahlend schaut er den Hafenmeister an. »Boldaños, wiederhole, was du soeben gesagt hast.«

»Sie haben gestern Vormittag gesehen, wie dieser Fabregat mit seinem Schiff rausgefahren ist.«

»Das ist ja wunderbar!« Beim capitán scheint die miese Laune verflogen zu sein. »Wenn der Typ zum letzten Mal in Valencia gesehen worden ist, dann dürfen sich die Kollegen der Policía Nacional in der Stadt um diesen Fall kümmern!«

»Dann können wir wieder gehen?« Der junge Polizist will sein Diensthandy wegstecken. »Feierabend?«

»Nein, mein Junge!« Der Vorgesetzte klingt jetzt eher wie ein Vater. »Bestell doch mal die Spurensicherung her. Mal schauen, was die auf dem Boot finden!«

»Äh, meinen Sie unsere Leute?« Der Unteroffizier weiß nicht, wen er anrufen soll. »Oder die Kollegen der Nationalpolizei?«

»Was ist das für eine dumme Frage?« Aus dem väterlichen Tonfall ist jetzt wieder der strenge eines Vorgesetzten geworden, der seinen Untergebenen mit ernster Miene anschaut. »Ist doch klar, unsere Leute. Oder willst du dies den Dilettanten der Policía Nacionalüberlassen?«

Wortlos verfolgen die Seenotretterin, Hafenmeister Boldaños und José-Luis Oriol das Gespräch zwischen den beiden Beamten. Dass es immer wieder zu Reibereien zwischen den verschiedenen Polizeikorps kommt, ist allgemein bekannt, trotzdem hat sie der Kommentar überrascht. Also versucht der pensionierte Kapitän, die entstandene Situation zu entspannen und zeigt zur Cantina, zur kleinen Hafenkneipe gleich neben den Fischerbooten, die in der Dunkelheit sanft vor sich hinschaukeln. »Wie wäre es mit einer cerveza?«

Allgemeines Kopfnicken. Zu viert machen sie sich auf den kurzen Weg rüber zum hell erleuchteten Restaurant, während der Unteroffizier mit dem Mobiltelefon in der Hand bei der Susanna One stehen bleibt und das Schiff bestaunt.Wie lange muss wohl ein Polizist wie er arbeiten, um eine solche Jacht kaufen zu können? Vermutlich Ewigkeiten …