Familienjahre - Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort - E-Book
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Familienjahre E-Book

Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort

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Beschreibung

Im Zusammenleben mit Kindern und Jugendlichen wollen wir alle möglichst alles richtig machen, wünschen uns glückliche und gesunde Kinder. Das gelingt nicht immer leicht. Da ist es gut, wenn ein erfahrener Experte in diesem erzählenden Ratgeber voller wichtiger Praxistipps und Strategien einfach und für jeden umsetzbar erklärt, wie Leben mit unseren Kindern im Alltag gelingt. Denn wer könnte Mütter und Väter besser darauf vorbereiten, sich auf das neue Leben richtig einzustellen, wer könnte ihnen besser helfen, mit Kindern und Jugendlichen zurechtzukommen, als Professor Dr. Schulte-Markwort, Experte für die Auswirkungen unseres gesellschaftlichen Alltagslebens auf Kinder und Jugendliche. Der langjährige ärztliche Direktor der Klinik für Kinder- u. Jugendpsychiatrie, -psychotherapie u.-psychosomatik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hat aus dreißig Jahren Praxiserfahrung in diesem Ratgeber zusammengestellt, was Eltern und andere Bezugspersonen von Kindern wissen müssen, damit glückliche Familienjahre Wirklichkeit werden. Von der Schwangerschaft bis über die Pubertät hinaus gibt Professor Schulte-Markwort wertvolle Ratschläge fürs normale Aufwachsen. Denn gelassenere Eltern haben die kompetenteren Kinder – und kompetente Eltern die gelasseneren Kids. Er beantwortet Fragen zu jeder Lebensphase und erleichtert dadurch wichtige Entscheidungen. So gelingt es, ein Gleichgewicht zu finden zwischen Fördern und Fordern – auf Augenhöhe in diesem wichtigen Beziehungsdreieck von Mutter, Vater und Kind. Was tun, wenn das Baby nicht schläft? Wenn die anderen Kinder immer alles dürfen? Und wie zieht man wirklich Grenzen? Von den drängenden Fragen der Schwangerschaft bis zum Umgang mit Pubertierenden: Professor Schulte-Markwort verhilft zu mehr Gelassenheit – und erklärt, wie wir die richtigen Entscheidungen treffen. Im Droemer Verlag erschien von Professor Schulte-Markwort bereits der Ratgeber "Kindersorgen", über den das Jako-o-Familienmagazin Wirbelwind urteilte: "Der Experte Prof. Dr. med. Schulte-Markwort weiß, wie Eltern ihre Kinder durch große und kleine Krisen begleiten können." Und seine Bestseller "Burnout-Kids" und "Superkids", mit denen er auf kritische Auswüchse aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen aufmerksam gemacht und als erster öffentlich Burnout bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert hat, sind im Knaur Taschenbuch erhältlich. Professor Schulte-Markworts neues Buch ist ein Standardwerk zu innerfamiliären Beziehungen und löst die Ratgeber eines Jesper Juul oder Remo Largo ab mit den heute wirksamen Methoden. "Das ist kondensierte Erfahrung", urteilt ein Beitrag im Deutschlandradio über "Superkids", und auf diesem reichen Erfahrungsschatz beruht auch "Familienjahre": ein wertvoller Ratgeber und Wegweiser für Eltern und Bezugspersonen von Kindern.

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Seitenzahl: 333

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Prof. Michael Schulte-Markwort

Unter Mitarbeit von Constanze Kleis

Familienjahre

Wie unser Leben mit Kindern gelingt

Knaur e-books

Über dieses Buch

Ihr Schlüssel zum Familienglück

Kinder sind wunderbar. Trotzdem stellt der Alltag mit ihnen nicht nur Eltern vor unzählige Entscheidungen. Anhand von leicht umsetzbaren Strategien und Tipps zeigt Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Michael Schulte-Markwort auf, warum es sich lohnt, das Familienleben aktiv zu gestalten – mit Kindern im Babyalter und erst recht mit Heranwachsenden. Wertvolle Denkanstöße helfen, sich über die eigene Haltung klar zu werden. Und leicht umsetzbaren Strategien zeigen auf, wie jede Familie vertrauensvoll den für sie richtigen Weg findet. Damit Familienjahre gelungene Jahre sind.

Inhaltsübersicht

WidmungEinführungKapitel 1Von der Liebesbeziehung zur ElternschaftEine Haltung entwickelnWenn (vorerst) kein Kind entstehtUngewollt schwangerAndere UmständeGeschwister – ein Beitrag aus der GerüchtekücheBrüderchen und Schwesterchen – wie sage ich’s meinem Kind?!Für immer und ewigUnd die Liebe?Die ZielgeradeTHINK!Brief an ein ungeborenes KindKapitel 2Glück – fast – purVertrauensbildende MaßnahmenSind Sie müde?Mütterlichkeit – das große MissverständnisDer BabybluesEltern als ÜbersetzerKonsequent inkonsequent?Liebe ITHINK!WillkommensbriefKapitel 3Das Gefühls-AbcNein?!Die Eroberung der WeltSchlafenSpielen und ErzählenSpielen – zwischen Plastik und »pädagogisch wertvoll«Meine Suppe ess ich nicht …WindelkriegSeelische KrankheitenTHINK!Kapitel 4Fan-Post vom KindLob des SchaukelnsSorgen, andere Risiken und Nebenwirkungen des ElternseinsDie sichere SeiteFrühüberforderungDruck – der unvermeidlicheLob der FürsorgeVon Ödipus und ÖdipussiLiebe IITHINK!Kapitel 5Hurra! Ein Kita-Platz!TrennungsscheuModelle der EingewöhnungKita-Frust und Kita-ChancenGrundsätzliches zur KitaTHINK!Brief an ein KindergartenkindKapitel 6Wundertüte SchulkindEndlich lernenErste VerunsicherungenFrühe schulische SozialisationSchon wieder HelikopterMütter-ZehnkampfTHINK!Kapitel 7Elternleidensjahre?Lehrer: die neuen Angstgegner?Schule zu HauseWie lernt man eigentlich?Klug, schlauer, hochbegabtHochbegabung ist kein GeschenkNachhilfe für wen?Lernprobleme – SchulproblemeStundenpläneDurststreckenLiebe IIITHINK!Kapitel 8Alle an einem TischEssen – die Fortsetzung der LiebeDas bisschen Haushalt …Wer sind wir, und wenn ja, warum?Seelenleben und AußenlebenZwischen Anpassung und IndividualitätDie SexualitätKörper und SportSelbst ist das Kind – die Frage der AutonomieFreizeit – FamilienzeitMachtkämpfe und FriedensabkommenDigitale Welten und familiäre Shooter-SpieleFreunde – eine organische VerbindungTrennung – von Königswegen und SackgassenFamilie 4.0THINK!Kapitel 9Pubertät lightFrüher oder später: SexWegen Umbauarbeiten verschlossenAus Erfahrung gutDas Dream-Team: Vertrauen und RespektRespekt in der FamilienpackungWir schaukeln die PubertätLiebe IVTHINK!Brief an ein Ki(n)d in der PubertätKapitel 10Der Schmerz und gemeinsame neue Wege(Alb-)Traum BerufswahlTHINK!Brief an ein ganz großes KindKapitel 11Kapitel 12EpilogDank
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Die verlässlichste Liebe ist die Kinderliebe.

Für diese Liebe.

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Einführung

Warum dies kein Erziehungsbuch ist

Mit Kindern sein Leben teilen heißt

sein Leben vervielfachen.

Familienjahre sind Jahre mit Kindern, Jahre intensiven Lebens, Jahre des Wachstums, der Freude, Jahre der Verantwortung – Jahre, die seit Jahrtausenden den Kern aller Gesellschaften ausmachen. Für diese entscheidenden Jahre im Leben von Kindern und ihren Eltern ist dies ein Begleitbuch.

Sie haben sich für Familienjahre entschieden und damit für den wunderbarsten Ausdruck von Verbundenheit, den es für ein Paar gibt: für ein Kind. Sie haben diese Entscheidung selbstverständlich nicht blind getroffen. Erstens waren Sie selbst ja mal Kind und haben eine zumindest vage Erinnerung daran, wie ein Familienalltag aussehen kann. Außerdem sind Sie vermutlich nicht die Einzigen im Freundeskreis mit Nachwuchs. Sie fühlen sich also leidlich vorbereitet und vor allem voller Vorfreude auf die kommenden Jahre. Auf dieses Wunder, das aus zwei Menschen Eltern und aus drei plus möglichen weiteren eine Familie macht. Es gibt kein größeres Glück. In Gedanken. In Wirklichkeit ist das natürlich auch so. Bloß nicht dauernd. Da addiert das wirkliche Familienleben nämlich ein paar Herausforderungen dazu, die Sie vermutlich so nicht auf dem Zettel hatten. Bestimmt hatten Sie als Kinderlose keine Vorstellung, wie müde man mit Kind sein kann. Aber auch nicht davon, wie entsetzlich grau die Theorien und wie grell manche Mythen sind, die das Elternsein und die Kindererziehung begleiten. Es scheint immer mehr davon zu geben, und oft wird so getan, als würden unsere Kinder mit kleinen Knöpfen und Hebeln angeliefert, die man nur finden und nach einem ausgeklügelten Plan drücken muss, damit quasi automatisch »gelungene« und dauerfrohe Menschen dabei herauskommen.

Deshalb gleich zu Beginn die schlechte Nachricht, welche die – wie ich finde – eigentlich gute ist: Sie finden in diesem Buch keinen einzigen Knopf, es ist gänzlich knopffrei. Ganz einfach, weil es Kinder auch sind. Sie haben keine Tasten, die man drücken könnte, damit es läuft. Die gibt es auch nicht für das Zusammenleben mit ihnen. Doch für den gemeinsamen Weg mit Ihren Kindern möchte ich für Sie Wegmarken aufzeigen, Bojen und Leuchtfeuer, und zwar für jede Phase des Familienlebens. Denn jede Familie braucht eine andere, eine neue Orientierung.

Jede der Wegmarken in diesem Buch begleitet einen Schritt. Nur einen Schritt? Ja, weil kindliche Entwicklung zum Glück nicht in einem Rutsch abläuft – das Tempo wäre viel zu hoch für uns langsame Eltern! –, sondern in angenehmen Etappen.

Viele Eltern glauben allerdings von sich, dass sie Hellseher sein müssen. Sie stellen sich oft die Frage, was einmal aus ihrem Kind werden soll – als wenn es kein Vertrauen mehr auf eine Entwicklung gäbe, auf die man setzen kann. Verabschieden Sie sich von dem Wunsch, hellsehen zu wollen, und vertrauen Sie sich und Ihren Kindern. Was nicht heißt, dass Sie nicht hellsichtig sein dürfen. Je genauer man schaut, desto mehr sieht man ja. Was für ein banaler Satz! Aber er stimmt natürlich. Bezogen auf Kinder, bedeutet er auch, dass man wissen muss, wann man etwas nicht zu wissen braucht, nicht wissen sollte und wann lediglich unser Zutrauen auf eine gute Entwicklung gefragt ist.

Mit diesem Buch möchte ich Sie und alle Eltern dazu ermutigen: Vertrauen Sie auf sich und auf Ihr Kind. Gleichzeitig möchte ich Ihnen helfen, sich von vermeintlichen Gewissheiten zu verabschieden und von diesem unglaublichen Druck, der heute auf Ihnen lastet, möglichst optimal zu »performen« und dafür aus all den widersprüchlichen Anleitungen, wie dieses Fernziel zu erreichen ist, das Richtige herauszufinden. Es ist ein sehr schmaler Grat zwischen Ver- und Erziehen, auf den Eltern heute geschickt werden. Ein paar Schritte begleite ich Sie auf diesem Grat. Aber ich will etwas anderes: Ihnen nämlich eine Landkarte aufzeigen, das ganze Panorama der Familienjahre von der Entstehung eines Kindes bis hin zu seinem Auszug. Eine Landschaft, in der es nicht den einen einzigen richtigen Weg gibt, sie zu durchstreifen – weil jedes Kind, jede Familie anders ist.

Und ich möchte Eltern dabei diese oft so übermäßige Angst vor dem Verwöhnen nehmen. Entscheidend ist immer wieder die elterliche Haltung. Deshalb ist dieses Buch kein Erziehungsbuch, sondern ein Buch über eine angemessene Beziehungsgestaltung. Beziehung statt Erziehung. Ich meine, Eltern dürfen und sollten sich trauen, an ihren Kindern dranzubleiben, ihnen und sich selbst zu vertrauen. Sie sollten so mutig sein, manchmal auch die eigenen Normen den Kindern anzupassen – und nicht nur umgekehrt. Wenn Eltern auf ihre Beziehung zu ihrem Kind setzen und ihnen einfach vor-leben, wie Leben geht, dann müssen sie das Kind nicht irgendwohin (er)ziehen. Dann brauchen sie keine Sanktionen. Kein Geschrei, keinen Machtkampf (den sie ohnehin verlieren würden).

Kinder brauchen keine Härte, keine Strafen – kaum Pädagogik. Sie brauchen es, dass wir ihnen etwas vorleben. Sie brauchen einfach nur: uns. Das ist schwer und leicht zugleich.

Dann gilt außerdem: Kinder müssen nicht geschont werden! Geschützt: ja. Geliebt: ja. Umsorgt: ja. Aber keine Schonung, weil Schonung Entwertung ist und mangelndes Zutrauen beinhaltet. Um all dieses wird es in den folgenden Kapiteln gehen.

Ich möchte Eltern in die Lage versetzen, eigene Wege zu finden, manchmal auch jenseits der viel befahrenen pädagogischen Hauptstraßen. Und ich möchte sie zu ihrem eigenen Tempo ermutigen. Und dazu, zu verstehen, dass die Wegweiser auch deshalb manchmal rar gesät sein müssen, weil Kinder individuell sehr verschieden sind. Es gibt deshalb vor allem eine wichtige Regel: dass man keine für alle aufstellen kann. Natürlich gibt es übergreifende Prinzipien oder wiederkehrende seelische Strukturen, aber dennoch ist jedes Kind einzigartig. Wie die Eltern übrigens auch und wie die Familie, die in dem Moment geboren wird, in dem ein Kind auf die Welt kommt und in dem eine ganz neue Zeitrechnung beginnt: Familienjahre! Durch diese wunderbare, aufregende, beglückende, manchmal aber auch enervierende und immer intensive Zeit möchte ich Sie begleiten. Mit meinen Erfahrungen als Kinderpsychiater, aber auch als Vater.

»Familienjahre« orientiert sich an der Entwicklung unserer Kinder. Deshalb reichen die Kapitel von der Entstehung eines Kindes bis zur Ablösung. Alle Kapitel sind so geschrieben, dass man sie einzeln lesen kann oder auch in der Reihenfolge, die Ihnen am nächsten kommt. Wenn Sie manche Kapitel im wahrsten Sinn des Wortes schon erfolgreich hinter sich gebracht haben, können Sie diese natürlich überspringen – oder Sie lesen nachträglich, wie sich mein Panorama auffädelt. Bitte immer mit dem Gedanken: Es ist nie zu spät, etwas zu verändern. Denn wenn es Menschen gibt, die nachsichtig sind und superschnell verzeihen, dann sind es unsere Kinder. (Nur für den Fall, dass Sie beim Lesen für sich feststellen, dass Sie vielleicht das eine oder andere mit Ihrem Blick und mit den Anregungen von heute anders gemacht hätten.) An manche Kapitel schließt sich ein Brief an die Kinder in dem jeweiligen Entwicklungsstand an. Diese Briefe sind idealtypisch, das heißt, sie haben möglicherweise nicht so viel mit Ihrem Kind zu tun. Aber sie spiegeln meine Erfahrungen und meine Haltung wider.

Ich möchte Sie mit meinen Briefen anregen, dass auch Sie Ihre Gedanken einmal selbst zu Papier bringen, vielleicht sogar auch in Form eines Briefes an Ihr Kind. Es ist eine gute Möglichkeit, sich in Ruhe und mit Konzentration auf den inneren Dialog mit dem Kind zu fokussieren, und auch eine Momentaufnahme von Wichtigem, das sonst vielleicht im Vergessen untergeht. In Ihren Familienjahren passiert so viel Wunderbares, Erstaunliches, Einmaliges, das es lohnt, festgehalten zu werden, und ich hoffe, meine »Familienjahre« tragen dazu bei, dass es auch in Ihrem Leben überwiegend – ewig gibt es ja in keinem Leben – um Glück, Freude und Erfüllung geht. Kommen Sie also mit auf eine Reise in ein Land, das uns immer schon so vertraut vorkommt, um dann doch wieder Überraschungen für uns bereitzuhalten. Ein Land, in dem es viel zu entdecken gibt, viel zu lachen, viel zu bewältigen, in dem Ernst kein Gegner der Freude sein muss. »Familienjahre« sind für mutige Eltern, von denen es zum Glück ungebrochen viele gibt. Danke, dass Sie dabei sind. Danke fürs Lesen und Zuhören.

Herzlich willkommen.

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Kapitel 1

Ein Kind entsteht

Herzlichen Glückwunsch! Sie haben gerade eine Familie gegründet. Denn obwohl Ihr Kind noch nicht geboren ist, sind Sie doch ab jetzt nicht mehr allein zu zweit. Schon der positive Schwangerschaftstest verändert alles: die Beziehung, Ihren gemeinsamen Blick auf die Zukunft ebenso wie den auf Ihre Ernährungsgewohnheiten, die Ecken, Kanten, Treppen und Steckdosen in Ihrer Wohnung. Sie sind bestimmt schon ein wenig bange, ob und wie Sie diesen ganz neuen Lebensabschnitt meistern werden. Aber Sie freuen sich auch darauf. Schließlich ist so ein Kind die Krönung einer Liebe. Was deutlich romantischer klingt als das, was die Evolutionsbiologen als Urheber für Ihren stetig wachsenden Bauch betrachten: den biologischen Instinkt zur Fortpflanzung und Erhaltung der Art, wie ihn auch Giraffe und Meerschweinchen haben. Als Kinderpsychiater sieht man den Kinderwunsch allerdings ein wenig differenzierter. Nämlich als Ausdruck für das Bedürfnis, eine Beziehung auf ewig fortzusetzen und im wahrsten Sinne des Wortes unendlich weiterleben zu lassen. Ja, das klingt ein wenig größenwahnsinnig, egoman und selbstverliebt. Und das ist es auch. Aber in einem guten, natürlichen Sinn. Schließlich steckt in einem Kinderwunsch auch die Bereitschaft, für ein anderes Wesen da zu sein, es ein Leben lang zu begleiten, zu versorgen, zu bekümmern und bedingungslos zu lieben. Es ist das sicher größte, ambitionierteste, wundervollste, erfüllendste und strapaziöseste Projekt, das man sich vorstellen kann. Eine Mischung aus Ultratriathlon, Marsexpedition und absoluter Glückseligkeit: anstrengend, abenteuerlich, berauschend. Eine Achterbahn der Gefühle. Und damit meine ich nicht die manchmal verwirrenden Gelüste nach Chips und Schokolade oder Avocado und Erdnussbutter – gleichzeitig. Oder die Herausforderung für einen Vater im Werden, nachts um zwei noch irgendwo in der Stadt ein Speiseeis mit der Geschmacksrichtung Gurke aufzutreiben. Gemeint sind all die Ängste, die bei dem, was die moderne Medizin an Sicherheiten bietet, nicht ausbleiben: Ob das Kind auch gesund sein wird. Ob man sich richtig ernährt. Ob man sein altes Leben komplett wird verabschieden müssen oder wenigstens die Theaterbesuche und den jährlichen Städtetrip mit der Freundin behalten darf. Aber es gibt gleichzeitig unendlich viel zu genießen: zum Beispiel diese großartige Gewissheit, in einer Beziehung angekommen zu sein – und diese hinreißenden Vorstellungen von einem idealen Familienidyll. Man sieht sich schon – Vater, Mutter, Kind – gemeinsam an einem großen Tisch sitzen und lachen, im Garten herumalbern oder unter dem Weihnachtsbaum die strahlenden Kinderaugen, spürt die Rührung bei sich und den Großeltern. Man denkt an all die Liebe und daran, was man meistens denkt, wenn so große und schöne Gefühle im Spiel sind: dass sich in der neu gegründeten Familie schon alles von ganz allein zum Guten wenden werden wird. Dabei gibt es sehr gute Gründe, sich gerade mit dem zu beschäftigen, was man eigentlich sowieso für einen Selbstläufer gehalten hat: als Familie zusammenzuwachsen. Und zwar noch in der Schwangerschaft.

Sollte diese Phase Ihrer Familiengründung schon eine Weile zurückliegen, kann es auch und gerade im Nachhinein sehr hilfreich sein, sich ein paar wichtige Gedanken über die Grundsteinlegung Ihrer Beziehung und Familie zu machen und über ihre AGBs – also die »Allgemeinen Geschäftsbedingungen«.

Von der Liebesbeziehung zur Elternschaft

Wissen Sie noch, was Sie in der ersten Stunde Ihrer Beziehung an Ihrem Partner, Ihrer Partnerin so angezogen hat? Was sind die wichtigen Stützpfeiler Ihrer Beziehung? Was ist es, das Sie beide ausmacht? Was finden Sie beglückend aneinander? Aus welchen Aspekten Ihrer Partnerschaft schöpfen Sie Kraft? Was sagen andere über Sie beide? In welchen Situationen fühlen Sie sich ganz intensiv geborgen? Was waren die schönsten Momente zwischen Ihnen? Wie bewerten Sie Ihr Krisen-Management? Vermissen Sie an diesem Punkt und überhaupt etwas in Ihrer Zweisamkeit?

Nehmen Sie sich Zeit für diese und viele andere Fragen, die helfen können, sich auf ein Kind vorzubereiten. Der Sinn dieser Selbstvergewisserung als Paar: Ein Kind reagiert ganz unmittelbar auf die Beziehung seiner Eltern. Falls Sie jetzt erschrecken und innerlich rekapitulieren, was da besser noch vor der Geburt ganz schnell eliminiert gehört – zum Beispiel eine gewisse Lässigkeit im Umgang mit Terminen und Fristen –, möchte ich Entwarnung geben: Es geht gar nicht darum, sich zu verändern oder zu perfekten Menschen zu werden. Solch eine Selbstbefragung hilft, zu verstehen und zu durchdringen, auf welche elterliche Kuchenform der kindliche Seelenteig trifft. Und es geht darum, gemeinsam eine Idee von sich als Paar, als Eltern und damit als Familie zu entwickeln. Wenigstens in groben Zügen zu skizzieren, wie Sie sich diese gemeinsame Zukunft vorstellen.

Machen Sie es sich also gemeinsam auf dem Sofa gemütlich, und überlegen Sie mit Ihrem Partner: Was wünschen Sie sich vom anderen für die Familiengründung? Welche Mutter, welchen Vater sehen Sie vor sich? Welche Lebensgeschichte könnten Sie schon jetzt Ihrem Kind von sich erzählen? Sich seiner Biografien bewusst zu sein, ist wichtig, weil Lebensgeschichten in Kindern eine besondere Form der Fortsetzung finden. Das klingt für Sie sehr abstrakt? Hier ein paar Erfahrungen aus meiner Praxis, die zeigen, wie sich unsere Vergangenheit immer auch auf Gegenwart und Zukunft des Eltern-Seins auswirken:

Ein Vater fällt in den Familiengesprächen immer wieder dadurch auf, dass er sich seinem neunjährigen Jungen gegenüber ausgesprochen streng verhält. Und das, obwohl er durch die Behandlung weiß, dass das ungebärdige und impulsive Verhalten seines Kindes krankheitsbedingt ist und nicht absichtlich entsteht. Im Einzelgespräch darauf angesprochen, beschreibt er, dass er mit einem sehr strengen und vor allem beständig abwertenden und aggressiven Vater aufgewachsen ist.

»Ich hatte mir immer vorgenommen, auf keinen Fall so zu werden wie mein Vater!«, sagt er etwas ratlos. »Aber ich kann es einfach nicht leiden, wenn Leon so ungezogen ist. Er ist wie ein Spiegel für mich – schrecklich!«

Ein anderes Beispiel. Frau A fällt dadurch auf, dass sie in der Behandlung ihres Sohnes kaum Fortschritte sehen mag, obwohl sie beständig von außen darauf hingewiesen wird, wie toll sich Anton entwickelt. Schnell ist sie den Tränen nahe, und ihre Verzweiflung, die am Anfang der Behandlung nachvollziehbar war, wirkt inzwischen übertrieben und auch: undankbar (natürlich erwarten Therapeuten keine Dankbarkeit … und sind dann manchmal auch nur Menschen, die es allerdings merken und reflektieren sollten, wenn solche Gefühle wirksam werden). Nach ihrer Familiengeschichte gefragt, erzählt Frau A von ihrem jüngeren Bruder. Mit seinem lange nicht diagnostizierten ADHS war er das schwarze Schaf der Familie, auf das Frau A und die gesamte Familie ständig Rücksicht nehmen mussten. Als besonders schwerwiegend empfand Frau A das Gefühl, dass sie keine normale Familie waren und sie sich oft für ihren Bruder schämte. Ein Gefühl, das sie im Umgang mit ihrem Sohn nun wieder spürt. Für sie ist es, als ob sich ihre Geschichte wiederholt und sie wieder vom Schicksal bestraft wird. Aufgrund der eigenen Biografie ist es ihr nicht möglich, zu erkennen, dass Anton sich positiv verändert. Zu mächtig ist ihre innere emotionale Spurrinne, in der sich Frau A wie gefangen fühlt, also die Überzeugung, durch jemand anderes an der eigenen Zufriedenheit gehindert zu werden. Zuerst von ihrem Bruder und jetzt dramatischerweise vom eigenen Kind.

 

Jeder von uns steht unter dem Einfluss seiner Geschichte. Und sei es nur, dass er eine bestimmte Vorstellung von Mutter- und Vatersein mitbringt. Ein Vater, der in einer Familie aufwuchs, in der die Mutter Hausfrau war und den größten Teil der Kinderbetreuung allein stemmte, wird vielleicht nicht damit rechnen, nachts auch einmal aufstehen zu müssen, um Sohn oder Tochter zu beruhigen oder das Fläschchen zu wärmen oder mitten in einem Essen mit Freunden die Windeln zu wechseln. Während umgekehrt die werdende Mutter vielleicht stillschweigend davon ausgeht, dass das Elternsein Teamwork ist, weil sie es so von ihrem Zuhause kennt. Ist das Kind erst einmal da, wird es schwierig, solche Erwartungen quasi mitten im Sperrfeuer der neuen Herausforderungen zu thematisieren. Dann sind sie bereits wirksam und können einiges an Sprengkraft entwickeln.

Ja, man kann sich vorbereiten. Dennoch gehört das Elternsein zu den Erfahrungen im Leben, die man erleben muss, weil man sie nicht wirklich im Vorwege erfühlen kann. Wie oft höre ich den Satz: »Das hat einem ja keiner vorher gesagt …« Und egal, wie viele Schwangerschaftsbücher man liest – und im Gegenteil, gerade wenn man sich gründlich einliest –, dämmert einem, dass irgendwie doch immer eine große Lücke klafft zwischen Theorie und Praxis. Einerseits soll das neue Leben mit Kind ja ganz wunderbar und himmlisch sein. Andererseits erlebt man an anderen frischgebackenen Eltern, dass sie eben nicht vor lauter Glück dauernd Purzelbäume schlagen. Schon weil sie dafür viel zu erschöpft, übermüdet, gestresst sind. Auch die Idee, dass ein Kind ein Paar nur noch enger zusammenschweißt und die Liebe ins Unermessliche vergrößert, scheint sich im Praxistest nicht zu bewahrheiten. Eher wirken junge Eltern oft so, als wären beide Teilnehmer eines perfiden Survivaltrainings à la Hunger Games, das man zwar nur im Team überleben kann – für das man sich aber nicht zwingend auch nur mögen muss. Ehrlich: Das ist ein Eindruck, der nicht trügt. Tatsächlich – Sie ahnen es ja ohnehin – ist so eine Elternschaft immer auch beides: paradiesisch schön und höllisch anstrengend. Manchmal gleichzeitig, manchmal abwechselnd. Auch deshalb ist es gut, wenn man sich vorab schon mal eine Art Emotionsproviant anlegt.

Aber gehen wir zurück zu der Grundsteinlegung der Familie: dem Akt der Zeugung. Ein Wunder, das uns zum Glück immer wieder geschenkt wird. Aus einem intensiven körperlichen Liebesakt zweier Menschen entsteht ein Kind! Dieser intime Moment ist durchaus mit der Geburt vergleichbar. Auch wenn man ihn nicht spürt, vielleicht auch, weil das Paar es gar nicht darauf angelegt hat: Der Kern einer Beziehung ist durch die Zeugung eines Kindes auf immer neue und einmalige Weise freigelegt und spürbar. Deshalb: Wenn es geht, tauchen Sie ein in dieses Wunder. Das geht auch nachträglich: Welche Erinnerungen daran haben Sie? Welche Nacht Ihrer Beziehung möchten Sie der Kinderentstehung zuschreiben? Das sind Fragen, die sich mit dem Kern Ihrer Familie beschäftigen, dem Wesen Ihrer Familie.

Nehmen Sie ruhig ein Blatt Papier zur Hand und schreiben Ihre Gedanken und Gefühle auf. Diese Beschäftigung ist wichtig, weil Sie sich damit schon vor der Geburt auf das so neue Beziehungsgeflecht vorbereiten und ihm ein stabiles Fundament verleihen. Eines, das später auch wie ein Dämmstoff Konflikte abfedert und hilft, sie besser einordnen zu können. Diese Auseinandersetzung mit dem Wesen Ihrer Familie ist wie ein emotionaler Haltegriff, nach dem Sie später greifen können und den Sie zunächst einmal gemeinsam entwickeln. Denn hier ist eines gefragt: Haltung. Gemeint sind innere Überzeugungen, Annahmen, Werte, die auf Ihre Familie wirken. Weil so vieles dabei unbewusst ist, hilft es, sich Gedanken darüber zu machen. Deshalb soll es jetzt einen Moment um Ihre Haltung gehen.

Eine Haltung entwickeln

Es ist ein Highlight meiner täglichen Arbeit: der Moment, in dem ich mit Eltern über ihre Haltung nachdenke und an ihrer Haltung arbeite. Warum? Weil Haltung oft viel mehr bewirkt als das gesprochene Wort. Wie oft berichten mir Eltern, dass sie ihrem Kind etwas Bestimmtes »natürlich nie« sagen würden. Oder Eltern wundern sich, wenn bestimmte Ansagen bei ihren Kindern nicht ankommen. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass die Haltung hinter der Ansage gar nicht stimmt, Eltern das eine sagen und das andere signalisieren. Wenn sie etwa von ihrem Kind eine Konsequenz erwarten – beim Hausaufgabenmachen, beim Aufräumen –, die sie selbst nicht aufbringen. Oder Ehrlichkeit einfordern und im nächsten Atemzug und in Hörweite des Kindes am Telefon eine Ausrede erfinden, um Tante Hedwigs Kaffeekränzchen zum achzigsten Geburtstag schwänzen zu können. Oder sich das Herumschreien verbitten, aber selbst bei Auseinandersetzungen in der Beziehung laut werden. Das ist so, als wenn man jemandem einen Rettungsring zuwirft, um ihn doch vorschnell wieder einzuziehen. Ich halte die Ausstattungsliste für das Kinderzimmer für mindestens so wichtig wie eine Haltungs-Liste. Nein, eigentlich ist die Haltungs-Liste viel wichtiger.

Welche Werte zählen denn für Sie? Was für eine Beziehung möchten Sie vorleben? Was finden Sie kritisch oder schwierig an sich und Ihrem Partner? Fühlen Sie sich wohl, wie Sie sind? Oder denken Sie, sie müssten anders werden für ein Kind? Können Sie alle Werte und Normen, für die Sie stehen, auch auf sich selbst anwenden? Leben Sie sie vor? Können Sie sich zur Disposition stellen, darf ein Kind Sie infrage stellen? Könnten Sie sich auch bei Ihrem Kind entschuldigen?

Fühlen Sie sich aufgefordert, ruhig noch die eine oder andere eigene Frage anzufügen. Haben Sie keine Angst, durch solche Fragen könnte der Zauber der Elternschaft, die Magie der Liebe zu einem Kind zerredet werden. Obwohl ich zur sprechenden Medizin gehöre, bin ich nicht der Meinung, dass man über alles reden muss. Aber vieles lohnt eben doch: die Gedanken, auch die Selbstvergewisserung, und dazu gehört unbedingt Ihre Haltung. Sie liefert Ihnen ein wichtiges Koordinatensystem, einen Kompass für Ihre Elternschaft und damit auch eine Art Leitstrahl für das Kind, das sie bald in Ihren Armen halten werden. Und seien Sie wahrhaftig. Sie müssen – wie gesagt – auf keinen Fall einen perfekten Menschen »performen« oder gar vorspielen. Im Gegenteil. Denn das würde ja bedeuten, dass Sie sich verstellen. Sie sollten aber authentisch sein. Und sich nach Möglichkeit Ihrer Mankos und Widersprüche bewusst sein. Sie müssen ja davon ausgehen, dass das Kind auch und gerade das aufschnappt, was unbewusst von Eltern zu Kind und zurückschwingt.

Deshalb: Verstellen Sie sich nicht, und machen Sie Ihrem Kind nicht etwas vor, hinter dem Sie gar nicht oder nur teilweise stehen. Es spürt sowieso die Unstimmigkeit zwischen dem, was Sie sagen, und dem, was Sie wirklich fühlen und/oder denken. Sollten Sie bei etwas unsicher oder ambivalent sein, dann vermitteln Sie das auch. Kinder sind entgegen anderslautenden Vermutungen vieler Eltern keinesfalls damit überfordert, wenn Erwachsene einmal nicht alles oder nicht weiterwissen. Es lohnt sich, wenn Sie sich in der Familie immer mal wieder Zeit nehmen, um Ihre Haltung zu reflektieren. Ihre Kinder werden es Ihnen danken.

Wenn (vorerst) kein Kind entsteht

Es war so ein dringender und nachvollziehbarer Wunsch, und dennoch entsteht kein Kind. Kinderlosigkeit ist ein unter Umständen schwer zu ertragendes Schicksal. Der Gang zur Fertilitätssprechstunde ist ebenso nachvollziehbar wie der Adoptionsantrag und nicht etwa etwas, das man als überzogen oder gar krankhaft betrachten sollte. Ein Kind haben zu wollen, ist ein überaus legitimer Wunsch. Wunderbar, wenn es dann doch noch klappt. Manchmal erst nach vielen Versuchen, Verzweiflung und Enttäuschungen. Emotionale Investitionen, die den finanziellen in nichts nachstehen. Nachvollziehbar, dass die Schwangerschaft dann von großen Ängsten, manchmal regelrechter Panik begleitet wird, das so mühsam Errungene wieder zu verlieren. Manchmal sind Eltern nach Fertilitätsbehandlungen mit nachfolgender Schwangerschaft oder erfolgten Adoptionen deshalb in der Gefahr, das kommende oder angekommene Kind zu überhöhen. Dieses so mühsam auf die Welt gebrachte Kind darf nun keine Enttäuschung sein und wird entsprechend erwartungs-, aber auch sorgenvoll beäugt.

Das kann selbstverständlich auch bei »natürlichen« Schwangerschaften geschehen und ist auch dann nicht gut für das Kind. Auch und gerade hier gilt es, gleich von Anfang an und zusammen das Bewusstsein für Ihre gemeinsame Haltung dem Kind gegenüber zu schärfen. Mir ist wichtig, dass Eltern, die einen deutlich steinigeren Weg zum Kind hatten, sich selbst nicht als »unnatürliche« Eltern begreifen. Als Eltern zweiter Klasse und somit als solche, die unter einem besonders großen Druck stehen, perfekte Eltern zu sein. Eltern sind Eltern. Es gibt keinen Grund, zu glauben, dass solche Familien auf jeden Fall mehr Schwierigkeiten ausgesetzt sind. Das gilt auch für Adoptiveltern. Die haben nämlich keinesfalls weniger Einfühlungsvermögen in ihre Kinder oder weniger erzieherische Begabung. Dieses Gerücht wird allein dadurch ad absurdum geführt, dass dies ja bedeuten würde, alle Erzieher und Lehrer – und auch Kinderpsychiater – seien von Natur aus ungeeignet.

Einfühlung ist zu einem großen Teil angeboren, aber sie ist auch erlernbar. Während die Chirurgen während der Ausbildung nähen lernen, müssen die Ärztinnen in meiner Klinik deshalb Einfühlung und Verständnis üben. Dabei gibt es ohne Frage Naturtalente, aber kaum Unverbesserliche. Lassen Sie sich also als Adoptiveltern nicht verunsichern. Es ist kein Makel, eine Adoptivmutter zu sein, im Gegenteil. Bei der Adoption ging es ja nicht nur um Ihren Wunsch, unbedingt Eltern werden zu wollen, sondern auch darum, einem Kind ohne Eltern ein gutes Zuhause zu ermöglichen. Verabschieden Sie sich also am besten sofort von dieser ohnehin sehr fragwürdigen Idee, es mache einen zu Eltern zweiter Klasse, wenn der Kinderwunsch durch Adoption oder auch In-vitro-Fertilisation erfüllt wird. Zum Wohle Ihres Kindes.

Ungewollt schwanger

Wenn ich zu Beginn dieses Kapitels vielleicht eine sehr ideale Idee einer geplanten und bewussten Schwangerschaft geschildert habe, dann geschah das in dem vollen Bewusstsein, dass trotz Aufklärung und Verhütungsmöglichkeiten immer wieder ungewollte Schwangerschaften entstehen. Sicherlich muss man differenzieren zwischen ungewollt und ungeplant. Ein ungeplantes Kind kann ein sehr gewünschtes sein oder werden. Eines, das eben einfach eine etwas eigenwillige Vorstellung von dem Begriff »termingerecht« hat und sich schon deshalb zum genau richtigen Zeitpunkt ankündigt, weil es den absolut perfekten Moment gar nicht gibt. Man kann den Anfang des Lebens nun mal nicht wirklich planen. Jedenfalls nicht in der Lebensspanne, die die Biologie beim Menschen für die Fortpflanzung vorsieht.

Ein Kind dagegen, das nicht gewollt wurde und sich trotzdem auf den Weg macht, stellt eine enorme Herausforderung dar. Es kann sinnvoll sein, sich dabei professionell unterstützen zu lassen, diese Elternschaft zu meistern. Vor allem dann, wenn die Partnerschaft nicht dazu geeignet ist, dass man sich zu zweit nun um- und einstellt auf das Kind oder sich gemeinsam dagegen entscheidet. Der Druck, der entstehen kann, wenn zum Zeitpunkt der Entdeckung die Fristenregelung annähernd greift oder überhaupt der Druck für eine Frau, am Ende allein mit sich selbst ausmachen zu müssen, ob es zu einer Abtreibung kommen soll, ist enorm und erfordert größten Respekt. Genauso wie die Entscheidung für ein Kind, trotz vielleicht belastender Umstände.

Andere Umstände

Man kann sich als Vater noch so sehr engagieren – es ist die Frau, in der das Kind heranwächst und der man die »anderen Umstände« bald schon von Weitem ansieht. Mit Folgen. Wie jeder von uns ein garantiert wirksames Hausmittel gegen Schnupfen weiß, hält praktisch jeder auch einen exzellenten Rat für eine Schwangere bereit. Am liebsten ungefragt. Wildfremde Menschen fassen den Müttern an den Bauch und wollen wissen, was »es« denn wird, um im nächsten Atemzug das Geschlecht des Kindes zu verkünden: »Eindeutig ein Junge! Sehe ich an der Bauchform!!« Sie haben sich in der Kantine mit einem Teller Salat zu den Kollegen gesetzt? Ganz bestimmt hören Sie sofort Kommentare, von »Jaja – wohl gerade keine sauren Gurken da« bis: »Bist du sicher, dass das auch kein Büffelmozzarella ist?«.

Die Schwangerschaft wird buchstäblich zu Ihrem hervorragenden Merkmal, von dem alles, was Sie tun, nun abgeleitet wird, und bei dem jeder glaubt, sich einmischen zu dürfen. Es ist wie bei den Schwangerschaften von prominenten Frauen – irgendwie scheint die ganze Welt nur auf ihren Bauch zu schauen –, nichts bleibt unbeobachtet, nichts unkommentiert. Jeder Appetit auf ein besonderes Essen lockt den Kommentar hervor: schwanger. Jede Unmutsäußerung: schwanger. Jeder Kaufrausch: schwanger. Schalten Sie am besten auf Durchzug, und sehen Sie das Phänomen als das, was es ist: eine Mischung aus Überresten von Schamanismus und Neid.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie intensiv an diesem menschlichen Wunder der Natur alte irrationale Vorstellungen deutlich werden. Am besten, Sie lassen sich davon nicht irritieren und nutzen die »Narrenfreiheit«, die man Ihnen ungefragt ohnehin einräumt. Genießen Sie diese herrliche Gelegenheit, sich einfach mal zwischendurch aufs Sofa legen zu können. Oder einen ganzen Teller Spaghetti zu essen, ohne an die Kalorien denken zu müssen. Oder bei »E-m@il für Dich« haltlos zu heulen. Und Sie widerstehen hoffentlich der Versuchung, unbedingt nicht schwanger wirken zu wollen. Bringen Sie sich nicht um all diese herrlichen Gelegenheiten, einmal ganz auf die eigenen Bedürfnisse und die des werdenden Kindes zu hören – und reißen Ihrem Mann also keinesfalls die schwere Tasche aus den Händen, weil Sie ja »bloß schwanger und nicht behindert« sind. Denn ehrlich: Sie befinden sich ja tatsächlich in einem absoluten Ausnahmezustand, und den gilt es zu würdigen. In Ihnen wächst ein Kind heran, es wird durch Sie durch die Welt getragen, und Sie ernähren es, schaffen in sich Bedingungen, unter denen es gut gedeihen kann. Ist das nicht ein Wunder? Wie viele Bereiche unseres Lebens sind artifiziell und technisch geworden – doch eine gute Schwangerschaft gelingt nur dann, wenn den natürlichen Prozessen Raum gelassen wird. Eine Schwangerschaft ist wie ein letztes Bollwerk gegen jede Digitalisierung. Das Gegenteil von Robotik – zum Glück.

Normalerweise sage ich bei dem Stichwort »natürlich« immer, dass ich in Bezug auf unser menschliches Leben schon lange nicht mehr weiß, was das ist. Bei der Schwangerschaft weiß ich es und habe keine Zweifel. Schwangerschaft ist nämlich keine Krankheit, auch wenn sie von Ärzten begleitet wird und Kinder im Krankenhaus zur Welt kommen. Horchen Sie also in sich hinein und gönnen Sie Ihrer Schwangerschaft auch seelisch und emotional den ihr gebührenden Raum. Körperliches und Emotionales ist selten so unauflösbar verbunden wie jetzt.

Geschwister – ein Beitrag aus der Gerüchteküche

Seit Jahren steigt die Geburtenrate in Deutschland wieder an. Und nicht selten haben junge Eltern durchaus auch einmal wieder drei oder mehr Kinder. Eine sehr erfreuliche Nachricht. Aber keine, von der sich Eltern mit »nur« einem Kind unter Druck setzen lassen sollten. Natürlich kenne ich die Bedenken, die da etwa lauten, dass Einzelkindern der Spielpartner fehlt. Dass sie auf bedeutsame Lebensmenschen aus einer ähnlichen Altersgruppe verzichten müssen, viel zu viel Zeit mit Erwachsenen verbringen und möglicherweise zu sehr verwöhnt, aber auch zu stark kontrolliert werden. Weil sich alle Aufmerksamkeit nur auf sie richtet. Und dass sie das am Ende zu teamunfähigen Einzelkämpfern macht. Das ist falsch. Tatsächlich sind Eltern beim zweiten Kind schon etwas entspannter. Aber das muss nicht bedeuten, dass Einzelkinder zu verhätschelten Egomanen heranwachsen. Im Gegenteil: Für sie besteht das ganze Leben aus Premieren, weil niemand vor ihnen schon einmal eingeschult wurde oder Liebeskummer hatte oder bei den Eltern längere Ausgehzeiten durchgeboxt hat. Das können durchaus wichtige Puzzleteile auf dem Weg zu einem starken Selbstvertrauen sein. Dann sind Einzelkinder mangels Geschwisterkindern im Zweifel sogar kontaktfreudiger, pflegen Freundschaften besonders engagiert, weil sie eben nicht automatisch einen Spielpartner frei Haus geliefert bekommen haben. Umgekehrt ist die so gern beschworene Geschwisteridylle bei näherem Hinsehen oft gar nicht die Selbstverständlichkeit, als die sie gern ausgegeben wird. Das ist vielleicht auch bloß eine Wunschvorstellung von uns Eltern. Viele Eltern betonen ja sehr gern, wie intensiv ihre Geschwisterkinder sich lieben. Auch aus Angst, es könnte anders sein, werden die Gefühle verleugnet, die in Kindern ausgelöst werden, wenn da plötzlich noch jemand den Eltern wichtig ist.

Sicher kommt es vor, dass Geschwister einander zugetan sind, von Anfang an quasi Hand in Hand durch das Leben gehen und wie Hänsel und Gretel die Hexe besiegen. Es gibt auf der anderen Seite aber auch sehr große Geschwisterrivalitäten – besonders zwischen gleichgeschlechtlichen Kindern und solchen mit geringem Altersabstand. Da erlebt man manchmal heftigste Streitigkeiten, weil der eine immer in das Zimmer des anderen kommt, ohne zu fragen, der andere Sachen nimmt, die ihm nicht gehören, oder einfach nur »so blöd« guckt – das sind die Klassiker. Ich mache durchaus häufig Geschwistertherapien, in denen ich mit den Kindern Friedensgespräche führe und sie auch auffordere, einmal darüber nachzudenken, was eigentlich das Liebenswerte am anderen ist. Was es ist, das man teilen kann. Dann wird es – wenigstens für eine Weile – etwas besser. Ich starte allerdings oft mit dem roten Tuch, mit dem man vor der Nase des anderen wedeln muss, damit er oder sie explodiert. Das wissen alle Geschwister und erzählen es noch lieber. Dann können wir gemeinsam über die vielen roten Tücher lachen. Wenn wir unser rotes Tuch kennen, können wir auch das grüne schwenken. Das verstehen Kinder dann. Ich meine, Eltern sollten endlich aufhören, die Geschwisterbeziehungen zu idealisieren.

Ob es einen optimalen Abstand zwischen Geschwisterkindern gibt, werde ich häufig gefragt. Durch Studien ist relativ zuverlässig belegt, dass mindestens 18 Monate zwischen zwei Kindern liegen sollten. Auch und vor allem, weil ein kürzerer Abstand eine zu große emotionale Herausforderung für das erstgeborene Kind darstellt. Außerdem ist die Bindung des ersten Kindes zur Mutter noch sehr eng, und sie muss nun eine weitere sehr enge Bindung managen.

Ein weiterer Mythos rund um das Thema »Geschwister« lautet, dass die Position in der Geschwisterfolge bestimmte Eigenschaften zur Folge hat, die dann jeweils typisch sein sollen. Demnach sind die Ältesten immer die Verantwortungsvollen, Ehrgeizigen und Erfolgreichen – und die Jüngsten sollen die Freigeister sein, die Kreativen, die den größten Entwicklungsfreiraum genießen, weil die Eltern bei ihnen angeblich schon etwas erziehungsmüde wären und der Erwartungsdruck demnach kleiner auf den Nachkömmlingen laste. Aber dafür gibt es keinerlei gesicherten Belege. Ein weiteres Beispiel aus der Mythenkiste.

Einzig für die Sandwich-Kinder kann man eine Aussage treffen: Sie haben es nämlich schwerer als ihre Geschwister. Statistisch gesehen bekommen mittlere Kinder weniger Aufmerksamkeit als die Ältesten und auch weniger als die Jüngsten. Selbst wenn Eltern sich sehr um die gerechte Verteilung bemühen, wird es rein rechnerisch für das Sandwichkind etwas knapper. Professor Ralph Hertwig vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung hat das einmal anhand der Verteilung von elterlichen »Ressourcen«, damit sind etwa Zeit und Zuwendung gemeint, nachgewiesen. Demnach bekommen die Erstgeborenen in ihren ersten Lebensjahren 100 Prozent. Die Zweitgeborenen dagegen 50 Prozent. Beim dritten Kind genießt jedes Kind nun ein Drittel der elterlichen Aufmerksamkeit. Allerdings bekommen die zuletzt Geborenen dann wieder 100 Prozent, wenn die älteren Geschwister ausgezogen sind. Gerade Eltern, die versuchen, alle Kinder »gleich« zu behandeln, sorgen also indirekt für die Fortsetzung der Ungleichheit. Denn eigentlich müssten im Sinne der Fairness gerade die mittleren Kinder mehr Aufmerksamkeit erhalten als das erste und das jüngste – was natürlich nur auf dem Reißbrett funktioniert.

Eltern betonen überhaupt gerne, alle ihre Kinder gleich zu lieben. Aber natürlich sind Beziehungen immer unterschiedlich, weil Kinder eben auch in ihrer Persönlichkeit verschieden sind. Manchmal fühlt man sich einem Kind besonders nahe, weil es einem ähnlich ist, und manchmal bewundert man es dafür, dass es ganz anders ist. Und bisweilen ist es eine Mischung aus beidem. Unterschiedliche Gefühle sind kein Verbrechen. Und wenn es ganz schlimm kommt: Man kann sich jedes Kind zurechtlieben. Das gehört zu meinen grundlegenden Erkenntnissen nach 30 Jahren kinderpsychiatrischer Arbeit.

Quälen Sie sich also nicht mit einem uneinlösbaren Gerechtigkeitsanspruch. Es sagt nichts über die Qualität und die Quantität Ihrer Liebe, wenn Sie sich einem Kind näher fühlen als dem anderen. Es besagt nur, dass Sie jedem Kind auf eine andere Weise zugetan sind. So ist das Leben, das Familienleben, und das ist gut so.

Brüderchen und Schwesterchen – wie sage ich’s meinem Kind?!

Oft erlebe ich Eltern, die sich scheuen, offen mit ihrem Kind über die Schwangerschaft der Mutter zu sprechen. Aus Unsicherheit. Alle wissen heute, wie wichtig und weitverbreitet Geschwisterrivalität ist. Und gerade war doch die Beziehung zum Erstgeborenen noch so innig und exklusiv. Wird er oder sie es verkraften, plötzlich nicht mehr alleiniger Mittelpunkt zu sein? Die Aufmerksamkeit teilen zu müssen? Scheuen Sie sich trotzdem nicht, über den Neuankömmling zu sprechen, sobald eine Schwangerschaft stabil ist. Kinder spüren ohnehin, dass da etwas vor sich geht und offenbar größere Veränderungen anstehen. So zu tun, als trüge sie ihre Wahrnehmung, würde sie nur irritieren. Das Erste, das Sie innerlich für sich klären sollten, ist deshalb, dass Sie es Ihrem Kind zutrauen, mit der Nachricht fertigzuwerden. Wenn Ihr Kind nämlich spürt, dass Sie hadern oder Angst haben, ihm zu viel zuzumuten, dann denkt es wirklich, dass das neue Geschwisterkind etwas Bedrohliches und Schlimmes ist. Wenn Sie dagegen freudig und souverän berichten, was da demnächst passieren wird, kann eigentlich nichts schiefgehen. Vorausgesetzt, Sie sind nicht ausschließlich auf Ihre Schwangerschaft konzentriert und schüren damit die kindliche Befürchtung, dass es in Sachen Zeit und Liebe knapp werden könnte, weil jetzt schon so ein großer Teil davon in den immer dicker werdenden Bauch investiert wird. Beteiligen Sie also Ihr Kind an der Vorfreude, nehmen Sie es mit auf die Reise zu einer neuen Familienkonstellation. Erzählen Sie von der Zeit, als Ihr Erstling in Ihrem Bauch war, wie groß die Freude gewesen ist, als er endlich auf der Welt war. Wenn das Erstgeborene mitbekommt, dass es selbst schon so früh im Fokus der Aufmerksamkeit stand, kann es das neue Kind besser akzeptieren. Versprechen Sie ihm aber nicht zu viel – in dem sicher verständlichen Wunsch – dem Erstgeborenen das Zweitgeborene möglichst schmackhaft zu machen. Sagen Sie also nicht: Dann hast du endlich jemanden, der mit dir Fußball spielt. Das könnte zu großen Enttäuschungen führen. Am Ende wird es vielleicht eine Balletttänzerin.

Ihr Drehbuch für eine gelungene Vermittlung könnte in etwa so aussehen: »Im Bauch von Mama wächst ein neues Kind heran. Ein Geschwisterchen für dich. Noch ist es ganz klitzeklein. Aber du wirst an Mamas Bauch sehen, wie das Baby immer mehr Platz braucht und der Bauch deshalb immer dicker wird. Leg mal deine Hand auf den Bauch, vielleicht kannst du spüren, wie sich dein Geschwisterchen schon bewegt.« Ihr Erstgeborenes wird vielleicht fragen, wie das Baby da rauskommt, ob der Bauch auch wirklich genug Platz hat, wann man weiß, dass es groß genug ist, um herauszukommen. Beantworten Sie ruhig alle Fragen. Aber vermeiden Sie es, von Schmerzen bei der Geburt zu sprechen. Die Botschaft, die da ankommt, lautet sonst: Das neue Kind tut Mama weh. Mag sein, dass sich Ihr Kind aber auch gar nicht so sehr dafür interessiert, was da gerade passiert. Seien Sie dann nicht verletzt. Jeder hat seinen Umgang mit den Themen Rivalität, Eifersucht und Neid.

Für immer und ewig