Farm der Tiere - George Orwell - E-Book

Farm der Tiere E-Book

George Orwell

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Beschreibung

Die Revolution frisst ihre Küken!

«Kein Tier soll seinesgleichen je tyrannisieren. Schwach oder stark, schlau oder schlicht, wir sind alle Brüder. Kein Tier soll je ein anderes töten. Alle Tiere sind gleich.» So Old Major, der preisgekrönte Middle-White-Eber. Doch allen guten Absichten zum Trotz kommt alles anders. Auf der Farm, wo die Tiere in Gleichheit und wechselseitigem Respekt zusammenleben wollten, herrscht bald Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung. Denn «manche Tiere sind gleicher als andere.» – Orwells zeitkritische, auf Stalin gemünzte Parabel hat ihre Zeitlosigkeit längst erwiesen. 2021 erscheint der moderne englische Klassiker in der Neuübersetzung Ulrich Blumenbachs mit einem exklusiven Nachwort von Eva Menasse.

In «Farm der Tiere» nahm George Orwell, der Vater Courage der modernen britischen Literatur, eine der größten real existierenden Sauereien des 20. Jahrhunderts auf die Mistschippe – die Pervertierung der Idee von Gleichheit und Brüderlichkeit in brutalem Gesinnungsterror. Sein Buch, 1945 erschienen und bis heute Pflichtlektüre für jeden politisch denkenden Menschen, schildert anschaulich, dass kein noch so hehres Wunschbild davor gefeit ist, von skrupellosen Demagogen in sein Gegenteil verkehrt zu werden. Und die Moral von der Geschicht‘? – Die Revolution frisst ihre Küken.

Die Neuausgabe enthält Orwells Essay «The Freedom of the Press», einst als Vorwort zu «Animal Farm» verfasst – ein grandioses Plädoyer für intellektuelle Redlichkeit.

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Seitenzahl: 201

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Ein Buch für Demokraten und all jene, die es bleiben wollen – mit Orwells Essay «The Freedom of the Press», einst als Vorwort zu «Animal Farm» verfasst, einem grandiosen Plädoyer für intellektuelle Redlichkeit. Die zeitkritische, auf Stalin gemünzte Parabel hat ihre Zeitlosigkeit längst erwiesen. In ihr nimmt George Orwell, der Vater Courage der modernen britischen Literatur, eine der größten real existierenden Sauereien des 20. Jahrhunderts auf die Schippe – die Pervertierung der Idee von Gleichheit und Brüderlichkeit in brutalem Gesinnungsterror. 1945 erschienen und jetzt von Ulrich Blumenbach neu übersetzt, zeigt «Farm der Tiere», dass kein noch so hehres Wunschbild davor gefeit ist, von skrupellosen Demagogen in sein Gegenteil verkehrt zu werden.

George Orwell (1903–1950) wurde in Motihari/Bengalen als Sohn eines britischen Kolonialbeamten geboren. Er besuchte Privatschulen in England, diente in der burmesischen Imperial Police, arbeitete als Lehrer und Buchhandelsgehilfe, kämpfte auf republikanischer Seite im Spanischen Bürgerkrieg und reüssierte als freier Schriftsteller und Journalist. Neben seinen Welterfolgen «Farm der Tiere» und «1984» ist er durch politische wie literarische Essays bekannt geworden.

«Fesselnd, faszinierend, einzigartig … Wie man diesen Text auch dreht und wendet, er ist perfekt. Präzise strukturiert, symmetrisch gebaut, voller sorgfältig gearbeiteter und dramaturgisch bestmöglich gesetzter Details.»

Eva Menasse

«Seit ‹Gullivers Reisen› ist keine Parabel geschrieben worden, die es an Tiefe und beißendem Spott mit ‹Animal Farm› aufnehmen kann.»

Arthur Koestler

«Orwell war der Schutzpatron der Wohlanständigkeit, den man in alten Zeiten entweder heiliggesprochen – oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt hätte.»

Rushbrook Williams

«Der Don Quijote auf dem Fahrrad.»

Paul Pott

«In seinem Werk spießte Orwell intellektuelle Verlogenheit auf, wo immer er sie fand.»

Ben Wattenberg

GEORGE ORWELL

FARM DER TIERE

EIN MÄRCHEN

Mit dem Essay «Die Pressefreiheit» («The Freedom of the Press») und dem Vorwort zur ukrainischen Ausgabe von 1947

Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Blumenbach

Nachwort von Eva Menasse

MANESSE

Kapitel I

Mr. Jones von der Herrenfarm verriegelte die Hühnerställe zur Nacht, war aber so betrunken, dass er vergaß, die Klappen zu schließen. Der Lichtkegel seiner Laterne sprang hin und her, als er über den Hof torkelte, an der Hintertür die Stiefel abstreifte, sich am Fass in der Spülküche ein letztes Bier zapfte und die Treppe hoch ins Bett ging, wo Mrs. Jones schon schnarchte.

Kaum erlosch das Licht im Schlafzimmer, setzte in allen Ställen Gewusel und Geflatter ein. Im Lauf des Tages hatte sich herumgesprochen, Old Major, der preisgekrönte Middle-White-Eber, hätte nachts zuvor einen seltsamen Traum gehabt, den er den anderen Tieren mitteilen wolle. Man war übereingekommen, sich in der großen Scheune zu treffen, sobald Mr. Jones aus dem Weg geschafft war. Old Major (wie er immer genannt wurde, obwohl er bei der Tierschau als Perle von Willingdon gezeigt worden war) stand auf der Farm in so hohem Ansehen, dass alle gern bereit waren, eine Stunde Schlaf zu opfern, um zu hören, was er zu sagen hatte.

An einem Ende der großen Scheune hatte sich Major schon unter einer Laterne niedergelassen, die an einem Balken hing und sein Strohlager auf einer Art Podest beleuchtete. Er war zwölf Jahre alt und in letzter Zeit ziemlich feist geworden, war aber immer noch ein stattlich aussehendes Schwein mit weisem und gütigem Auftreten, obwohl seine Hauer nie entfernt worden waren. Schon bald trafen die anderen Tiere ein und machten es sich, jedes auf seine Weise, gemütlich. Als Erstes kamen die drei Hunde, Glöckchen, Jessie und Kneifer, und dann die Schweine, die sich ins Stroh unmittelbar vor dem Podest lagerten. Die Hennen setzten sich auf die Fensterbretter, die Tauben flatterten in die Dachsparren hoch, die Schafe und Kühe legten sich hinter die Schweine und machten sich ans Wiederkäuen. Die beiden Arbeitspferde, Boxer und Klee, kamen gemeinsam herein, gingen ganz gemächlich und setzten ihre großen haarigen Hufe sehr sorgfältig auf den Boden für den Fall, dass das Stroh kleine Tiere verbarg. Klee war eine kräftig gebaute mütterliche Stute mittleren Alters, die ihre Figur nach dem vierten Fohlen nicht mehr so ganz zurückerlangt hatte. Boxer war ein gewaltiges Tier, fast achtzehn Handbreit hoch, und hatte so viel Kraft wie zwei normale Pferde zusammen. Über seine Schnauze zog sich eine Blesse, die ihn leicht beschränkt aussehen ließ, und er war auch tatsächlich keine Intelligenzbestie, aber alle respektierten ihn wegen seiner Charakterstärke und seiner ungeheuren Arbeitskraft. Nach den Pferden kamen die weiße Ziege Muriel und der Esel Benjamin. Benjamin war das älteste Tier auf der Farm und das übellaunigste. Er sprach selten, und wenn, waren es meist zynische Bemerkungen – er sagte dann beispielsweise, Gott hätte ihm einen Schwanz gegeben, damit er sich die Fliegen vom Leib halten könne, aber lieber wären ihm kein Schwanz und keine Fliegen. Er war das einzige Tier auf der Farm, das nie lachte. Wurde er nach dem Grund gefragt, sagte er, seiner Ansicht nach gäbe es nichts zu lachen. Aber auch wenn er es nie offen zugab, war er Boxer sehr zugetan; in aller Regel verbrachten die beiden ihre Sonntage zusammen auf der kleinen Koppel hinter dem Obstgarten, weideten Seite an Seite und sprachen kein Wort.

Die beiden Pferde hatten sich gerade hingelegt, als eine Brut Entenküken, die ihre Mutter verloren hatten, der Reihe nach hereinkam. Sie piepsten kläglich und liefen auf der Suche nach einer Stelle, wo niemand auf sie drauftreten würde, hin und her. Klee bildete mit ihrem großen Vorderlauf eine Art Mauer, hinter der sich die Küken zusammenkuschelten und sofort einschliefen. Im letzten Moment tänzelte Mollie, die törichte hübsche weiße Stute, die Mr. Jones’ Zweisitzer zog, mit anmutigen Trippelschritten herein und kaute ein Stück Zucker. Sie suchte sich einen Platz ziemlich weit vorn und warf die schneeweiße Mähne zurück, um die Aufmerksamkeit aller auf die eingeflochtenen roten Schleifen zu lenken. Als Letztes kam die Katze, die wie immer nach der wärmsten Stelle Ausschau hielt und sich dann zwischen Boxer und Klee quetschte; dort schnurrte sie selbstzufrieden Majors ganze Rede über, ohne ein einziges seiner Worte mitzubekommen.

Alle Tiere waren jetzt anwesend, bis auf Moses, den zahmen Raben, der auf einer Stange an der Hintertür schlief. Als Major sah, dass alle es sich bequem gemacht hatten und aufmerksam warteten, räusperte er sich und setzte an:

«Genossen, ihr habt schon von meinem seltsamen Traum der letzten Nacht gehört. Aber dazu komme ich später. Vorher möchte ich etwas anderes sagen. Ich glaube, ich werde nicht mehr viele Monate bei euch sein, Genossen, und ich halte es für meine Pflicht, euch vor meinem Tod die Weisheit weiterzugeben, die ich erworben habe. Mir war ein langes Leben vergönnt, ich habe, wenn ich allein in meinem Koben lag, viel Zeit zum Denken gehabt, und ich glaube, sagen zu dürfen, dass ich den Sinn des Lebens auf Erden so gut verstehe, wie nur je ein Tier ihn verstanden hat. Hierüber möchte ich zu euch sprechen.

Denn was ist der Sinn unseres Lebens, Genossen? Machen wir uns doch nichts vor, unser Leben ist elend, mühselig und kurz. Wir werden geboren und bekommen gerade genug Futter, um unsere Leiber am Leben zu erhalten; wer von uns dazu imstande ist, wird gezwungen, bis zum Umfallen zu arbeiten; und wenn wir ausgedient haben, werden wir unverzüglich mit scheußlicher Grausamkeit geschlachtet. Kein Tier in England, das älter ist als ein Jahr, kennt die Bedeutung von Muße oder Glück. Kein Tier in England ist frei. Das Leben eines Tiers besteht aus Elend und Sklaverei: Das ist die nackte Wahrheit.

Aber liegt das schlicht und einfach an der Ordnung der Dinge? Liegt es daran, dass unser Land so arm wäre, dass es seinen Bewohnern kein anständiges Leben bieten kann? Nein, Genossen, tausendmal nein! Englands Boden ist fruchtbar, sein Klima ist mild, und es gäbe Futter in Hülle und Fülle für sehr viel mehr Tiere, als es heute bewohnen. Allein diese unsere Farm könnte ein Dutzend Pferde ernähren, zwanzig Kühe, Hunderte von Schafen – und sie alle könnten ein Leben in Annehmlichkeit und Würde führen, das uns heute fast unvorstellbar ist. Warum ändert sich dann aber nichts an unserer kümmerlichen Existenz? Weil fast alle Früchte unserer Arbeit uns von den Menschen gestohlen werden. Dort liegt die Antwort auf all unsere Probleme, Genossen. Sie lässt sich in zwei Wörtern zusammenfassen – der Mensch. Der Mensch ist unser einziger wirklicher Feind. Verschwindet der Mensch von der Bildfläche, so ist die Grundursache des Hungers und der Überarbeitung für alle Zeit beseitigt.

Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das verzehrt, ohne zu erzeugen. Er gibt keine Milch, er legt keine Eier, er ist zu schwach, um den Pflug zu ziehen, er kann nicht schnell genug laufen, um Kaninchen zu fangen. Und doch herrscht er über alle Tiere. Er treibt sie zur Arbeit an, gibt ihnen nur so viel zu fressen, dass sie nicht verhungern, und den Rest behält er für sich. Unsere Arbeit bestellt das Land, unser Mist düngt es, und doch besitzt keiner von uns mehr als die nackte Haut. Ihr Kühe, die ihr hier vor mir liegt, wie viel Tausende Gallonen Milch habt ihr im letzten Jahr gegeben? Und was ist mit der Milch geschehen, mit der stramme Kälber hätten gesäugt werden sollen? Jeder einzelne Tropfen ist durch die Kehlen unserer Feinde geflossen. Und ihr Hennen, wie viele Eier habt ihr im letzten Jahr gelegt, und wie viele davon habt ihr zu Küken ausgebrütet? Alle anderen sind auf den Markt gewandert und haben Jones und seine Männer reich gemacht. Und du, Klee, wo sind die vier Fohlen, die du zur Welt gebracht hast und die der Beistand und die Freude deines Alters hätten sein sollen? Jedes von ihnen ist mit einem Jahr verkauft worden – keines von ihnen wirst du je wiedersehen. Und was hast du für deine vier Niederkünfte und für all deine Arbeit auf den Feldern anderes als Gegenleistung bekommen als knappe Futterrationen und eine Box?

Wir führen ein karges Leben, und es ist uns nicht einmal vergönnt, dessen volle Zeitspannen auszukosten. Ich selbst darf nicht klagen, denn ich habe Glück gehabt. Ich bin zwölf Jahre alt und habe über vierhundert Kinder gehabt. Das macht das Leben eines Schweins aus. Aber kein Tier entgeht am Ende dem grausamen Messer. Ihr jungen Mastschweine, die ihr vor mir liegt, werdet allesamt binnen Jahresfrist auf der Schlachtbank verröcheln. Dieses Grauen steht uns allen bevor – Kühen, Schweinen, Hennen, Schafen, allen. Nicht einmal die Pferde und die Hunde gehen einem besseren Schicksal entgegen. Dich, Boxer, wird Jones an den Abdecker verkaufen, sobald deine ungeheuren Muskeln ihre Kraft einbüßen, und der Schinder schneidet dir die Kehle durch und verarbeitet dich zu Futter für die Hatzmeute. Und den Hunden bindet Jones, wenn sie alt und zahnlos geworden sind, Ziegelsteine um die Hälse und ersäuft sie im nächstbesten Teich.

Ist es nicht sonnenklar, Genossen, dass alles Üble in unserem Leben der Tyrannei der Menschen entspringt? Sind wir den Menschen los, gehören die Früchte unserer Arbeit uns. Beinahe über Nacht können wir reich und frei sein. Was müssen wir also tun? Na was wohl: Tag und Nacht mit Leib und Seele am Sturz des Menschengeschlechts arbeiten! Das ist meine Botschaft an euch, Genossen: Revolution! Ich weiß nicht, wann es zu dieser Revolution kommen wird, ob in einer Woche oder in hundert Jahren, aber ich weiß so sicher, wie ich Stroh unter meinen Hufen sehe, dass uns früher oder später Gerechtigkeit widerfahren wird. Behaltet das im Auge, Genossen, so kurz ihr auch zu leben habt! Und gebt meine Botschaft vor allem an jene weiter, die nach euch kommen, damit künftige Generationen den Kampf fortführen können, bis der Sieg errungen ist.

Und vergesst nicht, Genossen, eure Entschlossenheit darf niemals wanken. Kein Einwand darf euch vom rechten Weg abbringen. Hört nicht darauf, wenn man euch erzählt, Menschen und Tiere hätten gemeinsame Interessen und das Wohlergehen der einen sei das Wohlergehen der anderen. Das sind ausnahmslos Lügen. Kein Mensch hat das Wohl anderer Kreaturen im Auge. Und unter uns Tieren lasst vollkommene Eintracht walten, vollkommene Kameradschaft im Kampf. Alle Menschen sind Feinde. Alle Tiere sind Genossen.»

In diesem Moment kam es zu einem größeren Tumult. Während Major sprach, waren vier große Ratten aus ihren Löchern gekommen, hatten sich auf die Hinterteile gesetzt und hörten ihm zu. Die Hunde hatten sie plötzlich erblickt, und die Ratten kamen nur mit heiler Haut davon, weil sie sofort in ihre Löcher zurückflitzten. Major hob die Vorderklaue und bat um Ruhe:

«Genossen», sagte er, «hier stellt sich ein Problem, das wir klären müssen. Sind wilde Tiere wie Ratten und Kaninchen unsere Freunde oder unsere Feinde? Lasst uns darüber abstimmen. Ich stelle der Versammlung die Frage: Sind Ratten Genossen?»

Es wurde auf der Stelle abgestimmt, und eine überwältigende Mehrheit war der Ansicht, Ratten seien Genossen. Es gab nur vier Abweichler, die drei Hunde und die Katze, und diese hatte, wie sich später herausstellte, dafür und dagegen gestimmt. Major fuhr fort:

«Ich habe nicht mehr viel zu sagen. Ich möchte euch nur einschärfen: Vergesst niemals eure Verpflichtung zur Feindschaft gegenüber dem Menschen und all seinen Gepflogenheiten. Was auf zwei Beinen geht, ist ein Feind. Was auf vier Beinen geht oder Flügel hat, ist ein Freund. Und vergesst auch nie, dass wir dem Menschen nicht ähnlich werden dürfen, wenn wir ihn bekämpfen. Frönt nicht seinen Lastern, wenn ihr ihn erst besiegt habt. Kein Tier soll je in einem Haus wohnen, in einem Bett schlafen, Kleider tragen, Alkohol trinken, Tabak rauchen, Geld anrühren oder Handel treiben. Alle Gewohnheiten des Menschen sind böse. Und das Wichtigste: Kein Tier soll seinesgleichen je tyrannisieren. Schwach oder stark, schlau oder schlicht, wir sind alle Brüder. Kein Tier soll je ein anderes töten. Alle Tiere sind gleich.

Und jetzt, Genossen, möchte ich euch von meinem Traum der letzten Nacht erzählen. Ich kann ihn euch nicht beschreiben. Ich habe geträumt, wie es sein wird auf Erden, wenn der Mensch verschwunden ist. Der Traum hat mich an etwas erinnert, was ich längst vergessen hatte. Vor vielen Jahren, als ich noch ein kleines Ferkel war, haben meine Mutter und die anderen Säue mir immer ein altes Lied vorgesungen, von dem sie nur die Melodie und die ersten drei Wörter kannten. In der Kindheit kannte ich diese Melodie noch, aber danach war sie meinem Gedächtnis lange entfallen. Erst letzte Nacht ist sie in meinem Traum zurückgekommen. Und mehr noch, auch die Worte des Liedes kehrten zurück – Worte, die bestimmt vor ewigen Zeiten von den Tieren gesungen worden, im Lauf der Generationen aber in Vergessenheit geraten sind. Ich möchte euch dieses Lied vorsingen, Genossen. Ich bin alt und habe eine brüchige Stimme, aber sobald ich euch die Melodie beigebracht habe, könnt ihr selbst es umso besser singen. Es heißt ‹Tiere Englands›.»

Old Major räusperte sich und sang. Er hatte tatsächlich eine brüchige Stimme, sang aber gut genug, und es war eine mitreißende Melodie, irgendetwas zwischen «My Darling Clementine» und «La Cucaracha». Der Text lautete:

Tiere Englands, Tiere Irlands,

Erdentiere weit und breit,

Horcht auf meine Freudenbotschaft

Von der goldnen Zukunftszeit.

Eines Tages wird man stürzen

Aller Menschen Tyrannei,

Und auf Englands grünen Weiden

Grasen Tiere sorgenfrei.

In den Nüstern keine Ringe,

Auf dem Rücken kein Geschirr,

Ewig rosten die Kandaren,

Keine Peitsche knallt dann mehr.

Schätze, heut für uns unfassbar,

Weizen, Gerste, Hafer, Heu,

Bohnen, Klee und Futterrüben

Gibt’s für uns, sind wir erst frei.

Englands Felder werden strahlen,

Seine Flüsse werden rein,

Seine Winde wehen süßer,

Wenn wir uns dereinst befrein.

Jenem Tag gilt unser Ackern,

Sind wir selber dann auch tot;

Kuh, Pferd, Gans und Truthahn schuften

Für der Freiheit Morgenrot.

Tiere Englands, Tiere Irlands,

Erdentiere weit und breit,

Horcht und sagt die Botschaft weiter

Von der goldnen Zukunftszeit.

Das Singen dieses Liedes versetzte die Tiere in wilde Erregung. Noch bevor Major ans Ende gekommen war, sangen sie es schon mit. Auch die blödesten unter ihnen hatten die Melodie und ein paar Wörter aufgeschnappt, und die klügeren wie die Schweine und Hunde konnten das ganze Lied nach wenigen Minuten auswendig. Und dann, nach ein paar Versuchen, stimmte die ganze Farm in gewaltiger Einstimmigkeit «Tiere Englands» an. Die Kühe muhten das Lied, die Hunde bellten es, die Schafe blökten es, die Pferde wieherten es, die Enten schnatterten es. Sie waren von dem Lied so begeistert, dass sie es gleich fünfmal von vorn bis hinten durchsangen, und wahrscheinlich hätten sie die ganze Nacht weitergesungen, wenn sie nicht unterbrochen worden wären.

Dummerweise weckte der Tumult Mr. Jones, der aus dem Bett sprang und dachte, ein Fuchs wäre in den Hühnerhof eingedrungen. Er griff nach dem Gewehr, das in seinem Schlafzimmer immer in der Ecke stand, und feuerte eine Salve Schrot Nr. 6 in die Dunkelheit. Die Kugeln blieben in der Scheunenwand stecken, und die Versammlung löste sich hastig auf. Alle flohen zu ihren Schlafplätzen. Die Hühner sprangen auf ihre Stangen, die Vierbeiner drückten sich ins Stroh, und bald darauf war die ganze Farm eingeschlafen.

Kapitel II

Drei Nächte später starb Old Major friedlich im Schlaf. Er wurde unten im Obstgarten begraben.

Das war Anfang März. Die nächsten drei Monate herrschte große verstohlene Geschäftigkeit. Den klügeren Tieren auf der Farm hatte Majors Rede einen ganz neuen Blick auf das Leben verschafft. Sie wussten nicht, wann es zu der von ihm prophezeiten Revolution kommen würde, sie konnten nicht davon ausgehen, dass sie sie noch erleben würden, aber sie hielten es entschieden für ihre Pflicht, sie vorzubereiten. Das Unterweisen und Organisieren der anderen fiel naturgemäß den Schweinen zu, die von allen als die klügsten Tiere anerkannt wurden. Unter ihnen taten sich besonders zwei junge Eber namens Schneeball und Napoleon hervor, die Mr. Jones verkaufen wollte, wenn sie ausgewachsen waren. Napoleon war ein großer, grimmig wirkender Berkshire-Eber, das einzige Berkshire auf der Farm, das selten viele Worte machte, aber im Ruf großer Durchsetzungsfähigkeit stand. Schneeball hatte viel mehr Temperament als Napoleon, sprach lebhafter und war erfinderischer, galt aber als weniger charakterstark. Alle anderen Eber auf der Farm waren Mastschweine. Das bekannteste unter ihnen war ein kleines fettes Schwein namens Petzwutz mit dicken Backen, stechenden Augen, flinken Bewegungen und einer schrillen Stimme. Er war ein geistreicher Redner, und wenn er ein heikles Thema erörterte, hatte er die Angewohnheit, hin und her zu hüpfen und mit dem Schwänzchen zu wedeln, was irgendwie sehr überzeugend wirkte. Die anderen sagten, Petzwutz könne Schwarz in Weiß verwandeln.

Diese drei hatten Old Majors Lehren zu einem umfassenden Gedankengebäude ausgearbeitet, das sie Animalismus nannten. Mehrmals die Woche veranstalteten sie nachts, sowie Mr. Jones ins Bett gegangen war, Geheimsitzungen in der Scheune und erläuterten den anderen Tieren die Prinzipien des Animalismus. Am Anfang begegneten sie vor allem Einfalt und Stumpfsinn. Manche Tiere beriefen sich auf ihre Treuepflicht gegenüber Mr. Jones, den sie als «Herrn» bezeichneten, oder gaben Grundsatzerklärungen ab wie «Mr. Jones gibt uns Futter. Ohne ihn würden wir verhungern». Andere stellten Fragen: «Was kümmert es uns, was nach unserem Tod passiert?» oder «Wenn es sowieso zu dieser Revolution kommt, was ändert es dann, ob wir sie anstoßen oder nicht?», und die Schweine hatten große Mühe, ihnen klarzumachen, dass diese Haltung dem Geist des Animalismus zuwiderlief. Die dümmsten Fragen von allen stellte Mollie, die weiße Stute. Als Erstes wollte sie von Schneeball wissen: «Wird es nach der Revolution noch Zucker geben?»

«Nein», sagte Schneeball nachdrücklich. «Wir haben nicht die Möglichkeit, auf dieser Farm Zucker herzustellen. Außerdem brauchst du keinen Zucker. Du wirst so viel Hafer und Heu bekommen, wie du willst.»

«Und darf ich dann noch Schleifen in der Mähne tragen?», fragte Mollie.

«Genossin», sagte Schneeball, «die Schleifen, denen du so treu ergeben bist, sind das Schandmal der Sklaverei. Will es dir nicht in den Kopf, dass die Freiheit mehr wert ist als Schleifen?»

Mollie gab es zu, klang dabei aber nicht sehr überzeugt.

Deutlich mehr Mühe kostete es die Schweine, den Lügen entgegenzutreten, die Moses, der zahme Rabe, überall verbreitete. Moses war Mr. Jones’ besonderer Liebling, ein Spion und Zuträger, aber auch ein Schönschwätzer. Er behauptete, von einem geheimnisvollen Land Kunde zu haben, das Kandiszuckerberg hieß, und nach ihrem Tod kämen alle Tiere in dieses Land. Es lag irgendwo oben im Himmel, ein Stück über den Wolken, sagte Moses. Auf dem Kandiszuckerberg war sieben Tage die Woche Sonntag, Klee hatte das ganze Jahr über Saison, und in den Hecken wuchsen Würfelzucker und Leinkuchen. Die Tiere hassten Moses, weil er Ammenmärchen verbreitete und nicht arbeitete, aber einige von ihnen glaubten an den Kandiszuckerberg, und die Schweine mussten all ihre Überzeugungskraft aufbieten, um ihnen klarzumachen, dass es ein solches Land nicht gab.

Ihre treu ergebensten Schüler waren die beiden Arbeitspferde Boxer und Klee. Selbstständiges Denken fiel den beiden sehr schwer, aber nachdem sie die Schweine einmal als ihre Lehrer akzeptiert hatten, verinnerlichten sie alles, was ihnen gesagt wurde, und gaben es in vereinfachter Form an die anderen Tiere weiter. Sie kamen zuverlässig zu den Geheimsitzungen in der Scheune und stimmten den Gesang von «Tiere Englands» an, mit dem die Sitzungen immer endeten.

Wie sich herausstellte, kam es viel früher und leichter zur Revolution, als irgendjemand erwartet hatte. In früheren Jahren war Mr. Jones, obwohl ein strenger Herr, ein tüchtiger Farmer gewesen, aber jetzt durchlebte er schlechte Zeiten. Er war niedergeschlagen, weil er in einem Rechtsstreit Geld verloren hatte, und seitdem trank er mehr, als ihm guttat. Manchmal faulenzte er tagelang in seinem Windsor-Sessel in der Küche, las Zeitung, trank und fütterte Moses ab und zu mit Brotrinden, die er in Bier getunkt hatte. Seine Knechte waren träge und verlogen, die Felder standen voller Unkraut, die Dächer mussten ausgebessert werden, die Hecken verwahrlosten, und die Tiere bekamen kein Futter.

Es wurde Juni, und bald stand die Heumahd an. Der Johannistag fiel auf einen Samstag, und am Vorabend fuhr Mr. Jones nach Willingdon und betrank sich im «Red Lion» so wüst, dass er erst Sonntagmittag zurückkam. Die Knechte hatten am frühen Morgen die Kühe gemolken und waren dann auf Kaninchenjagd gegangen, ohne vorher die Tiere zu füttern. Bei seiner Rückkehr legte sich Mr. Jones im Wohnzimmer aufs Sofa, schlief mit den «News of the World» über dem Gesicht sofort ein, und so hatten die Tiere, als es Abend wurde, noch immer kein Futter bekommen. Schließlich reichte es ihnen. Eine Kuh brach mit ihren Hörnern die Tür zum Vorratsschuppen auf, und alle Tiere bedienten sich aus den Kästen. Genau da wachte Mr. Jones auf. Im Handumdrehen waren er und seine vier Knechte im Vorratsschuppen, hatten Peitschen in den Händen und teilten in alle Richtungen aus. Da platzte den hungrigen Tieren der Kragen. Ohne dass etwas in der Art geplant gewesen wäre, stürzten sie sich einmütig auf ihre Peiniger. Jones und seine Männer wurden von allen Seiten getreten und auf die Hörner genommen. Die Lage geriet außer Kontrolle. Sie hatten noch nie erlebt, dass sich Tiere so benahmen, und der plötzliche Aufstand von Geschöpfen, die sie bislang nach Belieben hatten traktieren und misshandeln können, erschreckte sie fast zu Tode. Nach wenigen Augenblicken gaben sie jede Gegenwehr auf und nahmen die Beine in die Hand. Eine Minute später rannten alle fünf so schnell sie konnten den Feldweg hinab, der zur Hauptstraße führte, und triumphierend setzten die Tiere ihnen nach.

Mrs. Jones verfolgte das Geschehen durchs Schlafzimmerfenster, warf eilig ein paar Habseligkeiten in eine Reisetasche und verdrückte sich auf einem anderen Weg von der Farm. Moses hüpfte von seiner Stange, flatterte ihr hinterher und krächzte laut. Inzwischen hatten die Tiere Jones und seine Knechte auf die Straße gejagt und das Weidengatter hinter ihnen zugeworfen. Und fast ehe sie sichs versahen, hatte die Revolution somit stattgefunden; Jones war vertrieben, und die Herrenfarm gehörte ihnen.

Im ersten Moment konnten die Tiere ihr Glück gar nicht fassen. Als Erstes galoppierten sie im Pulk die Farmgrenzen entlang, als wollten sie sichergehen, dass sich nicht noch irgendwo ein menschliches Wesen versteckte; dann rannten sie zu den Wirtschaftsgebäuden zurück, um die letzten Spuren von Jones’ verhasster Herrschaft zu beseitigen. Die Zeugkammer am Ende der Ställe wurde aufgebrochen, und die Kandaren, Nasenringe, Hundeketten und grausamen Messer, mit denen Mr. Jones die Schweine und Lämmer verschnitten hatte, wurden in den Brunnenschacht geworfen. Die Zügel, Halfter, Scheuklappen und entwürdigenden Futtersäcke landeten im Abfallfeuer, das im Hof brannte. Die Peitschen ebenfalls. Alle Tiere hüpften vor Freude, als sie die Peitschen in Flammen aufgehen sahen. Schneeball warf auch die Schleifen ins Feuer, die den Pferden an Markttagen immer in die Mähnen und Schweife eingeflochten worden waren.

«Schleifen sollten als Kleidung gelten, die Menschen kennzeichnet», sagte er. «Alle Tiere sollten nackt sein.»