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Niklas Kolorz

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Beschreibung

Wie funktioniert das Universum? Und wer hat's erfunden? Ein wilder Trip durch die großen Entdeckungen der Astrophysik, Chemie und Biologie von Wissenschaftsjournalist und Science-Star Niklas Kolorz. - Von subatomaren Partikeln bis zur Supernova: einfach alles erklärt - Pythagoras, Galileo Galilei, Newton, Einstein und Hubble: wie sie unser Weltbild revolutioniert haben - Warum das Universum ein Rotlichtmilieu ist und was das mit Taubendreck zu tun hat - Weshalb auch Unwissenheit nicht vor Nobelpreisen schützt Das Wissen über das, was die Welt im Innersten zusammenhält, ist nicht nur das Ergebnis herausragender Forschung brillanter Geister, sondern auch eine Konsequenz wahnwitziger Zufälle und absurder Ideen. Genau dieser höchst unterhaltsamen und verrückten Seite der Wissenschaft und ihrer Geschichten widmet sich der junge Science-Star und Wissenschaftsjournalist Niklas Kolorz. Er begleitet Pythagoras, Marie Curie und Albert Einstein, während sie quasi zufällig ihre bahnbrechenden Entdeckungen machen, erzählt über die verrückten Eigenheiten Isaac Newtons auf dem Weg zur Erkenntnis oder beobachtet den Einschlag jenes Asteroiden, der das Ende der Dinosaurier einläutete. Der wilde Ritt durch die bizarre Geschichte epochaler Entdeckungen führt uns direkt in die Gegenwart und beantwortet nebenbei die ganz großen Fragen: Woher kommen wir? Woraus besteht das Universum? Und was geschieht in der Zukunft? Niklas Kolorz ist Wissenschaftsjournalist und erklärt auf TikTok einem Millionenpublikum faszinierende Phänomene aus Astronomie, Physik und Chemie. Aber noch mehr: Er beleuchtet auch die Menschen und ihre Geschichten, die hinter den großen Erkenntnissen der Naturwissenschaft stecken. Mit Leidenschaft kommt Niklas Kolorz so den skurrilsten Geschichten und wundersamsten Charakteren der Wissenschafts-Geschichte auf die Spur. Für seine Arbeit wurde er nicht nur mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet, sondern zeigt zugleich, wie wichtig Wissenschaft im Alltag ist. »Die Welt ist faszinierend & kompliziert. Gut, wenn sie verständlich erklärt wird. Besser, wenn das unterhaltsam passiert. Genau das macht Niklas Kolorz.« WWF Deutschland

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Seitenzahl: 321

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Niklas Kolorz

(Fast) Alles einfach erklärt

Vom Big Bang quer durch die Weltgeschichte bis zum Ende des Universums

Knaur eBooks

Inhaltsübersicht

Widmung

Vorwort

Kapitel 1

Es werde Licht!

Der Überflieger mit dem galaktischen Durchblick

Das Universum als Rotlichtmilieu

Eine neue Idee auf dem Prüfstand

Was der Anfang von allem mit Taubenscheiße zu tun hat

Ob Glück oder Zufall, Hauptsache Nobelpreis

Kapitel 2

Die verbotenen Sterne im Boden

Auge um Auge, Stern um Stern

Epizykel: Verrenkungen in der Astronomie

Erste Kritik am alten Weltbild

Wie Kopernikus das Universum neu erfand

Ein Blick in den Himmel

Geschäftsmann Galilei

Der clevere Kepler knackt die Nuss

Kapitel 3

Wetten, dass …

Mit dem Apfel bis zum Mond und zurück

Fische vs. Schwerkraft

Leg dich nicht mit Isaac an

Newtons Geheimnisse

Kapitel 4

Von genialen Griechen und randalierenden Römern

Klein ist die Welt!

Die Vermessung der Erde beginnt (erneut)

Planetenwiegen für Anfänger

Kapitel 5

Fische als Gipfelstürmer

Von Dinosauriern und Mäusetoasts

Vom Korallenriff bis zum Anfang der Erde

Darwins Idee

Wenn Genies sich irren

Kapitel 6

Was ist ein Atom?

Hilfe, ich leuchte im Dunkeln

Die Curies: ein strahlendes Ehepaar

Wie alt die Erde wirklich ist

Kapitel 7

Das Leben des Albert E.

Die Relativitätstheorie: ein spezieller Gedanke

Die Messung der Lichtgeschwindigkeit

Zeitreisen sind möglich!

Newton vs. Einstein

Vulkan – der Planet, der nie existierte

Kapitel 8

Licht macht Welle

Die Avengers der Quantenphysik

Schrödinger, der Katzenhasser

Komm mit mir ins Multiversum

Kapitel 9

Leben und Sterben auf unserem Planeten

Das sechste Massenaussterben

Klimamythen und wie man sie debunkt

Mythos 1: Das Klima verändert sich sowieso, der Mensch hat damit nichts zu tun.

Mythos 2: Die Wissenschaft ist sich uneinig.

Mythos 3: Die Sonne strahlt immer stärker, sie ist der Grund für die steigenden Temperaturen.

Mythos 4: Natürliche Prozesse verursachen weitaus mehr CO2 als der Mensch.

Mythos 5: Manchmal gibt es bei uns im Winter noch eisige Kälte. Die Klimaerwärmung muss also eine Lüge sein.

Was können wir jetzt noch tun?

Kapitel 10

Der Mensch auf dem Weg zur interplanetaren Spezies

Warum wir bald wieder zum Mond fliegen

Wenn reiche Männer Astronaut spielen

Der Mars zu Gast in Bremen

Wann leben wir endlich auf dem Mars?

Für M.

Willkommen auf der Welt

 

Und für R.

Danke

Vorwort

Das Leben ist zu kurz, um lange Vorworte zu lesen. Deshalb hier nur das Wichtigste: Dieses Buch ist für all jene gedacht, die sich immer mal wieder fragen, woher wir Menschen eigentlich wissen, was wir wissen. Das Universum hat also mit einem Urknall begonnen? Okay. Und wer war damals dabei und hat’s gefilmt? Niemand? Hab ich mir gedacht! Wie haben wir herausgefunden, dass es schwarze Löcher gibt, wenn die doch schwarz sind? Und warum heißt es eigentlich Evolutionstheorie? Ist das wirklich nur eine Theorie? Ich dachte, das sei bewiesen? Woher wissen wir, wie schwer die Erde ist? Wie wiegt man überhaupt einen Planeten? Wie funktioniert die Schwerkraft, und warum haben die meisten Menschen die Relativitätstheorie und die Quantenphysik immer noch nicht verstanden, obwohl beide schon über hundert Jahre alt sind? Wann landen wir endlich auf dem Mars? Mit genau solchen Themen werde ich mich in diesem Buch befassen. Ich werde (fast) alles so einfach wie möglich erklären. Dabei stelle ich auch die Persönlichkeiten und die verrückten Geschichten hinter den größten Entdeckungen der Wissenschaftsgeschichte vor. Von Archimedes bis Albert Einstein, von Galilei über Newton bis hin zu Schrödingers Katze. Ich hoffe, dieses Buch begeistert, vergnügt und informiert, immer mit einer Prise Humor und einem Quäntchen »Ach so!« im Gepäck. Jetzt nicht noch mehr Zeit verschwenden: Machen wir uns dran!

 

Niklas Kolorz, Mai 2022

Kapitel 1

Auf einmal ist da ein Universum

Ganz am Anfang war alles, was es gibt, ganz nah beieinander. Ihr, ich, der Eiffelturm und der Planet Jupiter, zusammengepfercht auf einem Fleck, der kleiner ist als ein Stecknadelkopf. Schwer vorstellbar, ich weiß. Und trotzdem ist es so. Alles, wirklich alles, was wir heute im Universum sehen können, hat mal auf einem unendlich dichten, unendlich kleinen Punkt existiert.1 So etwas nennt man »Singularität«. Dabei waren die Objekte selbst natürlich nicht im Ganzen dort zusammengequetscht, sondern das Material, aus dem sie bestehen. Erst war alles so eng und heiß, dass selbst die fundamentalen Kräfte, die unsere Welt bestimmen, in einer einzigen, universellen Kraft zusammengeschmolzen waren.

Heute ist der Kosmos, den wir bewohnen, ein kleines bisschen größer als damals. Das beobachtbare Universum, wie es in der Kosmologie genannt wird, misst mindestens 90 Milliarden Lichtjahre im Durchmesser. Ein Lichtjahr ist dabei keine Zeit-, sondern eine Entfernungsangabe. Es bezeichnet die Distanz, die Licht in einem Jahr zurücklegt, schlappe 9,46 Billionen Kilometer, also etwa 30000 Mal von der Sonne zur Erde und zurück. Diese Entfernung multipliziert mit 90 Milliarden, und wir haben den Durchmesser des beobachtbaren Universums.

Keine Angst, wir müssen gar nicht so tun, als ob wir uns das vorstellen könnten. Das ist nicht klausurrelevant. Und außerdem komplett unmöglich. Weder die unendlich kleine Singularität, mit der alles begann, noch die gigantischen Maßstäbe des beobachtbaren Universums – es geht nicht. Aber warum überhaupt »beobachtbares« Universum? Gibt es auch ein »unbeobachtbares« Universum? Und falls ja, wie groß ist das dann bitte? Die gute Nachricht: Ja, das gibt es! Die schlechte: Wir haben keine Ahnung, wie groß es ist. Es könnte noch ein bisschen größer sein als das, was wir beobachten können. Tatsächlich könnte es sogar unendlich groß sein.2 Und Unendlichkeit ist ein Problem. Zumindest für unsere Vorstellungskraft. Ein Beispiel: Die Zahl Pi ist unendlich. Das heißt, irgendwo in Pi steht der komplette Inhalt dieses Buches, Absatz für Absatz, Wort für Wort, in Binärcode geschrieben. Nicht nur das: Zahlenkombinationen, die aus bis zu fünf Ziffern bestehen, sind zu 100 Prozent unter den ersten 100 Millionen Nachkommastellen zu finden.3 Mein Geburtstag steht an Position 151313627, der meines Sohnes an der 41449222sten Stelle. Unendlich bedeutet: allumfassend. Und wenn das Universum unendlich ist, dann gibt es da draußen unendlich viele Sterne mit unendlich vielen Planeten und unendlich vielen Lebewesen. Unendlich viele dieser Planeten sind auch exakt so wie unsere Erde, bewohnt von unendlich vielen Versionen der Menschheit. Vielleicht kann sich eine davon ja sogar die Unendlichkeit vorstellen, obwohl ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen kann (und ihr euch sicher auch nicht).

Aber wenn alles, was früher auf einem Punkt lag, heute so unglaublich riesige Ausmaße angenommen hat, heißt das auch, dass sich das Universum irgendwann mal ausgedehnt haben muss. Diese sogenannte kosmische (oder kosmologische) Inflation – sprich: die erste Ausdehnung des Universums – soll sehr früh nach der Geburt unseres Weltalls stattgefunden und sich wahnsinnig schnell abgespielt haben. Dabei hat sich unser Kosmos um das 1026-Fache vergrößert.4 Ausgeschrieben ist das eine 1 mit 26 Nullen:

100000000000000000000000000

Eine »eingängige« Zahl, auch bekannt als 100 Quadrillionen. Um sich auf das 100-Quadrillionenfache auszudehnen, brauchte unser Universum allerdings lediglich den Bruchteil einer Sekunde. Genauer gesagt dauerte die kosmische Inflation nur

0,000000000000000000000000000000000001

Sekunden. Das sind 35 Nullen nach dem Komma, oder ein Billionstel vom Billionstel vom Billionstel einer Sekunde nach dem Urknall.5 Das nenne ich mal eine vorbildliche Beschleunigung!

Aber wo genau im Universum fand dieser Urknall eigentlich statt? Wenn alles mal mit einer großen »Explosion« begonnen hat, dann müsste es doch einen Ort geben, an dem wir irgendwelche Überreste finden könnten, irgendwelche Indizien für den Anfang des Kosmos, oder? Der Wunsch, den Ort des Geschehens zu kennen, ist verständlich, ergibt jedoch keinen Sinn. Denn der Urknall fand überall gleichzeitig statt. Leider ruft das Wort »Urknall« sofort Bilder in unserem Kopf hervor, die dem wahren Ereignis nicht ganz gerecht werden. »Urausdehnung« wäre vielleicht die bessere Bezeichnung.6 Ein Knall ist eine Explosion, und eine Explosion findet an einem Ort im Raum statt und breitet sich dann aus. Da der komplette, heute unvorstellbar riesige Raum, in dem sich sämtliche Materie befindet, zuvor auf einem unendlich kleinen Punkt lag und sich dann plötzlich schnell ausdehnte, gibt es natürlich keine Koordinaten, zu denen man hinfliegen könnte, um ein Schild aufzustellen, auf dem »Schauplatz des Urknalls« steht. Denn der Urknall ist der Anfangspunkt der Entstehung von Materie, Raum und Zeit. Wie gesagt: Er fand überall statt.

Für Wissenschaftlerinnen und Astronomen ist es nach wie vor nicht ganz unkompliziert, diese Zeit kurz nach dem Urknall zu erforschen. Sie müssen Theorien und Thesen aufstellen und diese dann belegen, doch gerade für die Anfangszeit des Universums ist das kaum möglich – und das, obwohl wir Zeitmaschinen haben, die sehr gut funktionieren. Die Zeitmaschinen der modernen Wissenschaft sind die Teleskope. Streng genommen sind sogar unsere Augen kleine Zeitmaschinen. Denn jedes Mal, wenn wir irgendwo hinschauen, schauen wir in die Vergangenheit. Das liegt daran, dass Licht eine Weile braucht, um gewisse Distanzen zurückzulegen. Stellen wir uns einen Baum vor, der einen Meter von uns entfernt steht. Wir können ihn wahrnehmen, weil Licht von der Sonne auf ihn trifft, von seiner Oberfläche reflektiert wird und dann auf unsere Netzhäute trifft. Die Distanz vom Baum zu unserem Auge überbrückt das Licht in 3,335641 Nanosekunden. Das heißt: Egal, wohin wir gucken, wir sehen die Dinge immer nur so, wie sie in der Vergangenheit waren, so etwas wie das Hier und Jetzt gibt es aus einem subjektiven physikalischen Blickwinkel heraus überhaupt nicht. Natürlich hat das im Alltag auf der Erde so gut wie keine Bedeutung; dafür müssen wir die Skala vergrößern und unseren Blick zum Himmel richten. Damit wir zum Beispiel den Mond wahrnehmen können, muss das Licht, das von seiner Oberfläche reflektiert wird, eine Distanz von etwa 380000 Kilometern zurücklegen. Für diese Strecke vom Mond bis ins Auge braucht das Licht etwa 1,3 Sekunden. Das heißt, wir sehen den Mond immer nur so, wie er vor etwas mehr als einer Sekunde ausgesehen hat. Die Sonne ist etwa 150 Millionen Kilometer entfernt, eine Distanz, die eine eigene Längenangabe darstellt: die »Astronomische Einheit«, abgekürzt AE. Licht braucht acht Minuten, bis es diese Distanz, also 1AE, überbrückt hat. Würde die Sonne erlöschen, würden wir das also erst acht Minuten später bemerken.1

Und so blicken wir jedes Mal, wenn wir die Sterne in unserem Nachthimmel angucken, Tausende, manchmal sogar Millionen oder Milliarden Jahre in die Vergangenheit. Das Licht dieser Sterne hat sich vor Äonen von Jahren auf den Weg gemacht. Manche Photonen begannen ihre Reise zur Erde, als auf unseren Kontinenten die Dinosaurier umherstreiften. Und nun, bei ihrer Ankunft auf der Erde, fallen sie direkt in die Linsen modernster Teleskope.

Deshalb können Astronomen und Physikerinnen mit ihren Instrumenten tief in die Vergangenheit des Weltalls blicken, fast bis zu dessen Geburt. Aber warum nur fast? Egal, wie gut die Teleskope sind, egal, wie weit sie gucken und wie viel Licht sie aufnehmen, irgendwann geraten sie an eine Grenze. Und die besteht darin, dass es in den ersten 300000 Jahren nach Entstehung des Universums noch kein Licht gab, das man durch Teleskope sehen könnte. Die erste Ursuppe der Elementarteilchen war zu eng und zu heiß, die ersten Atome konnten sich erst lange nach dem Urknall formen, und erst dann gab es das erste Licht.

Es werde Licht!

Ungefähr 300000 Jahre vergingen nach dem Urknall, bis endlich mal jemand auf den Lichtschalter drückte. Davor gab es kein Licht im Universum, der Kosmos war undurchsichtig. Das liegt daran, dass bis zu diesem Zeitpunkt Licht physikalisch nicht existieren konnte. Vorher mussten sich die fundamentalen Kräfte entwickeln sowie die ersten Elementarteilchen und Antimaterie. Erst als etwa 250000 bis 300000 Jahre nach dem Urknall das Universum auf etwa 3000 Grad abgekühlt war, konnten die ersten Atome entstehen, und das Universum wurde durchsichtig.7 Nun konnte Licht freigesetzt werden, das wir heute als Radiowellen messen können.

Aber wie kommt man auf so eine Theorie? Woher wissen wir, dass das alles so abgelaufen ist, und wer hat das bitte herausgefunden? Tatsächlich ist die Entdeckung des ersten Lichts wohl einer der unglaublichsten Zufälle der Wissenschaftsgeschichte.

Bis ins 20. Jahrhundert waren Schöpfungsgeschichten eigentlich nur gutes Material für religiöse Texte, nicht aber für die Wissenschaft. Zwar zerbrachen sich Forschende schon lange den Kopf darüber, wo Sterne, Planeten und Menschen ihren Ursprung genommen hatten, doch handfeste Indizien oder eine wissenschaftliche Methodik zur Überprüfung der Theorien hatte niemand. Der erste Mensch, der eine akkurate Theorie aufstellte, wie die ersten Stunden des Universums abgelaufen sein könnten, war ein katholischer Priester. Der Belgier Georges Lemaître, geboren im Jahr 1894, studierte Mathematik und Physik und verfasste 1927 einen wissenschaftlichen Artikel mit dem einprägsamen Titel Ein homogenes Universum mit konstanter Masse und wachsendem Radius erklärt die Radialgeschwindigkeit der extragalaktischen Nebel.8 Lemaître postulierte darin, dass es eine Art Uratom gegeben haben müsse, auf welches alle Materie im Universum zurückgehe. Seiner Überzeugung nach leben wir in einem expandierenden Universum, sprich: Sterne, Planeten, Galaxien, alles entfernt sich voneinander. Zu Lemaîtres Zeit eine radikale Idee, da man bis dahin davon ausgegangen war, unser Universum sei sehr stabil und alles bleibe mehr oder weniger an Ort und Stelle. Aber wenn sich, wie der Belgier konstatierte, aktuell alles voneinander wegbewegt, dann müsste all das ursprünglich mal ganz eng beisammen gewesen sein.

Diese These präsentierte Lemaître auf einer Tagung unter anderem niemand Geringerem als Albert Einstein. Da seine Berechnungen auf einigen Formeln beruhten, die Einstein selbst aufgestellt hatte, muss das für Lemaître ein wahnsinnig aufregender Moment gewesen sein. Doch Einsteins erste Reaktion war ziemlich enttäuschend. »Ihre Berechnungen sind zwar mathematisch richtig, aber Ihre Physik ist schrecklich«,9 entgegnete er ihm damals angeblich. Nicht nur Einstein war zunächst überhaupt kein Fan von Lemaîtres Annahmen; sie stießen insgesamt auf wenig Zustimmung in der Welt der Wissenschaft. Ihren heutigen Namen The Big Bang Theory (Urknalltheorie) verdankt sie lustigerweise einem ihrer größten Kritiker, Sir Fred Hoyle, der den Begriff in einer Rede als sarkastischen, abwertenden Kommentar fallen ließ.10

Hoyle, ebenfalls Astronom und Mathematiker, war Vertreter einer Gegentheorie zu der, wie er fand, »albernen« Urknall-These von Lemaître. Hoyles Steady State Theory (Gleichgewichtstheorie) besagt, dass das Universum mehr oder weniger schon immer so war, wie es heute ist.

Zwei Theorien, eine Frage: Wer hat recht? Eine gute Theorie ermöglicht präzise Vorhersagen über die Zukunft, und wenn sich das Universum, wie Lemaître behauptete, tatsächlich ausdehnt, dann sollte man das doch auch irgendwie beobachten können. In der Tat dauerte es von Lemaîtres bahnbrechender Veröffentlichung nur noch zwei Jahre, bis der amerikanische Astronom Edwin Hubble die Bühne der wissenschaftlichen Schöpfungsgeschichte betrat. Zuvor revolutionierte er aber mal eben unser Verständnis von der Größe des Universums.

Der Überflieger mit dem galaktischen Durchblick

Edwin Hubble gilt heute nicht nur als einer der bedeutendsten Köpfe in der Geschichte der Astronomie und Kosmologie, er war auch eine durch und durch faszinierende Persönlichkeit. Alles, was er anfasste, wurde scheinbar, manchmal sogar buchstäblich, zu Gold. Na ja, zumindest zu Goldmedaillen. Mit 17 Jahren wurde er an seiner Highschool sieben Mal Erster im Langstreckenlauf, stellte einen Rekord im Hochsprung auf11 und war noch dazu ein talentierter Base-, Foot- und Basketballer.12Sein Jurastudium absolvierte er in Oxford, wo er nicht nur seinen Abschluss erhielt, sondern auch seinen amerikanischen Akzent ablegte, um sich einen britischen anzueignen, den er für den Rest seines Lebens beibehielt. Ein bisschen peinlich, wie ich finde, zumal Hubble danach wieder die meiste Zeit in den USA lebte, wo ja eigentlich alle wussten, dass er kein Brite war. Seine Karriere als Jurist schmiss er später hin und erwarb in Chicago einen Doktortitel im Bereich der Astronomie. Schließlich wurde er 1919 am Mount-Wilson-Observatorium in Kalifornien angestellt. Das Timing war gut, zwei Jahre zuvor hatte man dort nämlich das größte Teleskop aller Zeiten fertiggestellt, finanziert vom Geschäftsmann John D. Hooker. Am 1. Juli 1917 war das Herzstück des neuen Geräts am Observatorium eingetroffen: der Spiegel. Er maß über 250 Zentimeter im Durchmesser, war 30 Zentimeter dick und mehr als 4000 Kilogramm schwer – eine ganz schöne Leistung, dieses hochsensible Teil in einem Stück anzuliefern. Der betreffende Lastwagen bewegte sich während des Transports mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von sage und schreibe 1 km/h und wurde von einer Entourage von 200 Männern begleitet (unter anderem, weil ein anonymer Anrufer damit gedroht hatte, den Spiegel während des Transports in die Luft zu sprengen).13

Nun zu Hubbles großer Entdeckung: Anfang des 20. Jahrhunderts stritten sich Astronomen über merkwürdige Objekte am Nachthimmel. Es waren matschige, verschwommene Flecken, genannt Spiralnebel, die sich keinem bekannten Objekt dort oben so richtig zuordnen ließen. Der Streit spaltete die Wissenschaft in zwei Lager: Die eine Hälfte behauptete, die Milchstraße sei fast so groß wie das ganze Universum, und die Spiralnebel seien Gaswolken innerhalb unserer Galaxie. Die andere Hälfte glaubte, die Milchstraße sei nur ein winziger Teil des Universums, und bei den Spiralnebeln handele es sich um »Insel-Universen«, weit entfernte Ansammlungen von Sternen. Witzigerweise hatten beide Gruppen recht, wie wir inzwischen wissen: Bei einigen der bekannten Spiralnebel handelt es sich um Gaswolken, andere sind tatsächlich kleine »Insel-Universen«, die wir heute als Galaxien bezeichnen. Wer selbst mal einen solchen Spiralnebel mit bloßem Auge sehen möchte, der kann in einer klaren Herbstnacht in Deutschland seinen Blick auf einen kleinen Fleck zwischen dem Sternbild Kassiopeia, also dem großen W, und dem Sternbild Andromeda richten. Dort müsste er fündig werden. Doch selbst durch die Vergrößerung eines Hobbyteleskops wirkt dieser »Spiralnebel« fürchterlich unspektakulär (als ich ihn das erste Mal sah, hielt ich ihn zunächst für Dreck auf der Linse, weshalb aus mir vermutlich kein guter Astronom geworden wäre).

Genau auf diesen unscheinbaren Fleck richtete Edwin Hubble das neue, riesige Hooker-Teleskop des Mount-Wilson-Observatoriums. Und siehe da, dank der immensen Vergrößerung des 100 Zoll großen Spiegels entdeckte er Sterne innerhalb dieses Nebels. Es war also keine Gaswolke, sondern eher ein eigenes »Insel-Universum«. Nur, wie weit war das alles entfernt? Lag der Spiralnebel innerhalb unserer Milchstraße? Oder außerhalb? Hubble beobachtete den Fleck weiter, bis er eine besondere Art von Sternen darin fand: sogenannte Cepheiden-Sterne.

Cepheiden schwanken in ihrer Helligkeit, ihr Licht pulsiert in einem streng periodischen Rhythmus. Diesen Umstand hatte sich eine Astronomin namens Henrietta Swan Leavitt zunutze gemacht: In den frühen 1900er-Jahren entwickelte sie ein Verfahren, mit dessen Hilfe man die genaue Entfernung solcher Cepheiden-Sterne von der Erde bestimmen kann.14 Damals war es Frauen allerdings noch streng verboten, selbst Teleskope zu bedienen. Stattdessen arbeiteten viele von ihnen als Computer, als menschliche Rechenautomaten. Zum Beispiel am Harvard-College-Observatorium katalogisierten sie Sterne, bestimmten deren Helligkeit und stellten mühsame mathematische Berechnungen an, für die die Herren der Astronomie schlichtweg zu faul waren. Bei dieser Arbeit hatte Henrietta Leavitt 1912 die periodischen Leuchtmuster der Cepheiden-Sterne entdeckt. Diese Errungenschaft ist nicht zu unterschätzen, denn ohne sie hätten Edwin Hubble und eine Menge anderer männlicher Astronomen, die wir heute feiern und verehren, ihre Forschungen niemals vorantreiben können.

Unter Anwendung des Verfahrens von Henrietta Leavitt und mithilfe des weltgrößten Teleskops stellte Hubble nun also fest, dass es sich bei dem Spiralnebel im Sternbild Andromeda, unserem matschigen, unscheinbaren Fleck, um eine andere Galaxie handelte: die Andromeda-Galaxie.15 Seinen ersten Berechnungen zufolge war sie etwa 900000 Lichtjahre entfernt.16 Auch wenn er damit etwas danebenlag (die wahre Entfernung beträgt etwa 2,5 Millionen Lichtjahre), hatte sich mit dieser Entdeckung die Vorstellung von der Größe des Universums dramatisch verändert. Um das einmal ins Verhältnis zu setzen: Hätte die Wissenschaft vor Hubble gedacht, das Universum wäre so groß wie ein Fußball, dann wüssten wir seit Hubble, dass es mindestens so groß ist wie unser Heimatplanet, die Erde. Wahrscheinlich aber noch viel größer.

Das Universum als Rotlichtmilieu

Doch die entscheidende Entdeckung von Hubble, die die Urknalltheorie des belgischen Astronomen Georges Lemaître stützen sollte, war die Rotverschiebung bei Galaxien. Um zu verstehen, was das ist, müssen wir uns das Farbspektrum vor Augen führen.

Jede Farbe im sichtbaren Teil des elektromagnetischen Spektrums kann man durch Wellenlängen ausdrücken. Die kürzesten Wellen nehmen wir als violett und blau wahr, längere Wellen als orange oder rot. Hubble beobachtete, dass sich das Licht der Galaxien, die er untersuchte, im sichtbaren Spektrum immer weiter in den roten Bereich verschob, je weiter sie entfernt waren.17 Damit hatte er den Dopplereffekt bei Galaxien festgestellt. Diesen Effekt kennen wir alle aus dem Alltag: Wenn ein Polizei- oder Feuerwehrauto mit eingeschaltetem Martinshorn auf uns zukommt, wird die Sirene immer schriller, ihr Ton immer höher. Sobald das Auto an uns vorbei ist, ändert sich die Tonhöhe scheinbar, und der Klang der Sirene wird immer tiefer, je weiter sie sich von uns entfernt. Das kommt dadurch zustande, dass die Schallwellen, die das Fahrzeug entsendet, sich aufstauen, während es auf uns zufährt. Wenn es an uns vorbeigefahren ist, werden die Wellen immer länger und, für uns hörbar, immer tiefer.

Abbildung 1.1: Farbspektrum mit Wellenlängenangaben

Genau diesen Effekt konnte Hubble nun bei Galaxien beobachten, allerdings nicht bezogen auf Tonhöhe, sondern auf Farben. Ihr Farbspektrum verschob sich zunehmend in den roten Bereich, ihre Wellen wurden also länger. Doch was bedeutet es, dass die Galaxien immer röter werden, je länger man sie anschaut? Sind sie vielleicht peinlich berührt?

Nicht ganz. Die Galaxien werden immer röter, weil sie sich, genau wie das Feuerwehrauto, von uns entfernen. Alle Galaxien, die Hubble durch sein Teleskop beobachtete, bewegten sich also von ihm weg. Und das heißt? Das Universum dehnt sich aus! Genau wie Lemaître es vorhergesagt hatte!

Aber … was genau heißt das? Nun, erst mal lässt sich daraus ableiten, dass unser Universum nicht statisch ist, wie viele Expertinnen und Wissenschaftler, unter anderem auch Fred Hoyle, zu Lemaîtres Zeiten noch glaubten. Im Gegenteil, es ist hochdynamisch. Dabei bewegen sich die Galaxien, die am weitesten von uns entfernt sind, am schnellsten von uns weg. Ein wichtiges Detail ist hier aber, dass sich die Galaxien nicht durch das Weltall bewegen, sondern mit dem Weltall.

Stellen wir uns einmal vor, das Universum wäre ein Rosinenbrot. Der Hefeteig ist der Weltraum, in dem sich die Galaxien befinden, in unserem Beispiel die Rosinen. Wenn man ein Brot bäckt, geht der Teig auf, dehnt sich also aus. Dabei wird die Entfernung zwischen den Rosinen immer größer, obwohl sie sich nicht selbst durch den Teig und voneinander wegbewegen. Sondern: Dadurch, dass das Brot sich ausdehnt, wird auch die Entfernung zwischen den Rosinen immer größer. Genau das passiert auch im Universum, was erst durch die Arbeit von Hubble so richtig klar wurde: Alle Galaxien bewegen sich von uns weg.2 Und je weiter eine Galaxie von uns entfernt ist, desto schneller bewegt sie sich anscheinend. Wobei sich die Galaxien nicht selbst bewegen, sondern der Raum zwischen ihnen dehnt sich aus, wie beim Rosinenbrot, das im Ofen aufgeht. So weit verstanden?

Abbildung 1.2: Der Dopplereffekt

Hubbles Entdeckung wurde schnell mit Lemaîtres Urknalltheorie verheiratet, weshalb man das Gesetz der Rotverschiebung auch manchmal das Hubble-Lemaître-Gesetz nennt: Galaxien entfernen sich von der Erde mit Geschwindigkeiten, die proportional zu ihrer Entfernung zur Erde sind.

Der bisher weitgehend unbeachtete Artikel des Belgiers mit dem endlos langen Titelwurde 1931, also vier Jahre nachdem er ihn das erste Mal veröffentlicht hatte, für die Monthly Notices of the Royal Astronomical Society ins Englische übersetzt und fand schnell begeisterte Anhänger, zu denen sich sogar der anfangs noch kritische Albert Einstein gesellte. Mithilfe der Formeln, die Hubble mit seinem Gesetz aufgestellt hatte, konnte man nun die Geschwindigkeit bestimmen, mit der sich unser Kosmos ausdehnt. Festgehalten wird diese Rate in der Hubble-Konstante H0. Da man nun diese Geschwindigkeit kannte, ließ sich zurückrechnen, vor wie langer Zeit sich mal alle Galaxien auf einem Punkt, also in der anfangs beschriebenen Singularität, befanden. Bingo! Lemaîtres »Uratom« war somit im Rennen, die Urknalltheorie wurde erstmals ernst genommen. Auch wenn sich Kosmologen und Astronominnen heute wieder streiten, wie alt das Universum tatsächlich ist und ob die ursprünglich berechnete Hubble-Konstante doch einen anderen Wert hat,18 war die wissenschaftliche Sensation damals perfekt: Das Universum hatte endlich einen Anfang.

Eine neue Idee auf dem Prüfstand

Bis in der Wissenschaft eine Revolution unseres Weltbilds akzeptiert und ein altes verabschiedet wird, dauert es oft eine ganze Weile. Nur weil Lemaître und Hubble scheinbar den Urknall entdeckt hatten, bedeutete das noch nicht, dass die Schulbücher gleich neu geschrieben wurden. So einfach funktioniert Wissenschaft nicht. Zum Glück! Gerade wenn es darum geht, eine bahnbrechende neue Weltanschauung zu etablieren, braucht es mehr als nur einen Artikel und ein paar fancy Formeln.

Die Wissenschaft spaltete sich mal wieder in zwei Lager (was sie sehr häufig tut): Die Verfechter der Urknalltheorie rund um Hubble und Lemaître auf der einen, die überzeugten Astronomen der Steady State Theory von Fred Hoyle auf der anderen Seite. Wie in einem Boxkampf versuchten die Wissenschaftler, Schwachstellen in der Theorie des Gegners zu finden und gleichzeitig neue Belege zu sammeln. Doch es dauerte noch einige Jahrzehnte, bis eins der beiden Teams per Knock-out den Kampf gewann.

Zunächst stellte ein in Russland geborener amerikanischer Physiker namens George Gamow im Jahr 1940 mit seinen Kollegen an der George Washington University erstmals Berechnungen an, die zum Urknallmodell passten.19 Die Idee war simpel: Wenn wirklich alles im Universum ursprünglich eng beieinander war, dann sollte man das bis in die Gegenwart irgendwie messen können. Noch präziser fassten Ralph Alpher und Robert Herman den Gedanken acht Jahre später. Sie behaupteten, dass es eine Art kosmischer Reststrahlung geben müsse: Licht, mittlerweile so alt, dass man es nur noch als Mikrowellen messen könne.20 Diese Strahlung sollte sich ihnen zufolge überall im Universum nachweisen lassen. Auch auf der Erde. Doch wieder mal ließ die Wissenschaft eine wichtige Theorie zunächst unbeachtet. Hermans und Alphers Berechnungen gerieten fast in Vergessenheit, bis sich in den 1960er-Jahren einer der wahnwitzigsten Zufälle der Wissenschaftsgeschichte ereignete.

Was der Anfang von allem mit Taubenscheiße zu tun hat

Als irgendwann im Jahr 1965 das Telefon in der Princeton University klingelte und Robert Dicke den Hörer abnahm und erfuhr, worum es ging, muss er ein mehr als verblüfftes Gesicht gemacht haben. Der Astrophysiker leitete zu jener Zeit ein Team aus Wissenschaftlern, die die Urknalltheorie erforschten. Sie waren auf der Suche nach dem ersten Licht des Universums – Alphers und Hermans kosmischer Reststrahlung –, wofür sie eigens einen Mikrowellendetektor entwickelt hatten. In diese Arbeit waren sie bereits einige Jahre – bisher vergeblich – vertieft, als plötzlich das Telefon klingelte. Am Apparat waren Robert Wilson und Arno Penzias, zwei Physiker, die – nur fünfzig Kilometer Luftlinie von Dicke und seinen Kollegen entfernt – seit geraumer Zeit mithilfe einer riesigen Antenne versuchten, Radiowellen von der Milchstraße zu messen. Die Anrufer standen vor einem anscheinend unlösbaren Problem. Ihr Messgerät, die Holmdel-Horn-Antenne, war 15 Meter breit und bestand aus Aluminium, und sie hatte Penzias und Wilson bereits unzählige schlaflose Nächte bereitet, denn sie spuckte Werte aus, die schlichtweg keinen Sinn ergaben. Ein nerviges Hintergrundrauschen überdeckte alles, und zwar zu jeder Tages- und Nachtzeit.21 Das Rauschen kam aus allen Himmelsrichtungen gleichzeitig und verhinderte, dass Penzias und Wilson mit ihrer Arbeit vorankamen. Sie hatten keine Kosten und Mühen gescheut, um den Fehler zu finden. So hatten sie die riesige Antenne mithilfe eines Helikopters neu ausgerichtet, und als sich im Winter ein Taubenpaar im warmen Antennengehäuse niedergelassen hatte, fuhren die beiden studierten Radioastronomen scharfe Geschütze auf und fingen die ungebetenen Gäste ein. Doch selbst als das komplette Gerät von Taubenkacke und anderem Dreck befreit war, blieb das Störgeräusch so stark wie eh und je.

In ihrer Ratlosigkeit riefen sie also in Princeton an, wo Robert Dicke gerade zufälligerweise mit seinem Team in einem Meeting saß. Nachdem Dicke das Gespräch beendet hatte, schaute er in die Runde und sprach den legendären Satz: Well, boys, we’ve been scooped.22 Jungs, sie sind uns zuvorgekommen.

Denn Penzias und Wilson hatten tatsächlich die legendäre kosmische Hintergrundstrahlung gefunden, die Gamow, Alpher und Herman in den 1940er-Jahren vorhergesagt hatten. Und das, obwohl sie von dieser Theorie noch nie gehört hatten! In einem späteren Vortrag erwähnte Robert Wilson sogar, er habe in seiner Jugend die Bücher von George Gamow gelesen, doch auf kosmische Hintergrundstrahlung sei er dabei nicht gestoßen.23

Ob Glück oder Zufall, Hauptsache Nobelpreis

Im Juli 1965 erschienen im Astrophysical Journal zwei Artikel, die den Sack, den Lemaître, Hubble, Gamow, Herman und Alpher geöffnet hatten, endlich zumachten. In dem einen beschrieben Arno Penzias und Robert Wilson, welche Messungen sie mit der Holmdel-Horn-Antenne vorgenommen hatten. Der andere Artikel, verfasst von Robert Dicke und Kollegen, erklärte, was genau die beiden Glückspilze da eigentlich entdeckt hatten. Damit war die Steady State Theory vom Tisch, auch wenn ihr stärkster Verfechter, Fred Hoyle, das nie akzeptierte.24

Penzias und Wilson erhielten für ihre Entdeckung 1978 den Physiknobelpreis. Dicke, Lemaître und Hubble gingen leer aus. Das Leben, ganz besonders das Leben in der Wissenschaft, kann manchmal verdammt ungerecht sein.

Die Urknalltheorie hat es wahnsinnig schnell, in nur knapp 30 Jahren, bis zur Akzeptanz geschafft. Ihr Urgroßvater George Lemaître erfuhr von der Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung, also der Bestätigung seiner Theorie, im Jahr 1965. Ein Jahr später starb er. Nur wenige der Menschen, die in diesem Buch erwähnt werden, konnten erleben, wie ihre Theorien mit den notwendigen Belegen und Entdeckungen untermauert wurden. Doch die Geschichte von (fast) allem nimmt gerade erst ihren Anfang.

Kapitel 2

Sonne, Mond und Lügen

Wenn die Sonne untergeht und sich der Himmel verfärbt, von Orangerot über Violett bis hin zu Nachtschwarz, können wir einen Blick ins Universum erhaschen. Tausende funkelnde Lichter tanzen übers Firmament, ein Mond zieht in sich stetig verändernder Form über den Himmel, und wenn man weiß, wohin man schauen muss, entdeckt man sogar Planeten, Kometen und, mit viel Glück, Supernovae – Sternenexplosionen. Die Wissenschaft, die versucht, den (Nacht-)Himmel zu verstehen, nennen wir heute Astronomie. Sie gilt als die älteste Wissenschaftsdisziplin überhaupt. Die Regelmäßigkeit der Himmelsbewegungen zu entziffern, war für frühe Zivilisationen ein wichtiger Schlüssel, um das Überleben ihrer Gemeinschaft zu sichern. Wann werden die Tage wieder länger? Bis wann können wir welche Pflanzen anbauen, und wann sollten wir fasten? Und natürlich waren Menschen auch schon immer daran interessiert, herauszufinden, was genau Sterne und Planeten eigentlich sind. Für die Griechen verkörperten die Gestirne in der Antike Götter, über die man jedoch nicht so einfach fachsimpeln durfte. So wurden Himmelskörper zu unantastbaren, heiligen Erscheinungen und Kometen als Unheilbringer gefürchtet. Andererseits wurden Sternbilder aber auch zur Navigation auf hoher See genutzt.

Während unsere Vorfahren bei klarer Nacht noch einen atemberaubenden Blick in den Himmel hatten, egal, wo sie waren, kann heute kaum jemand, der in Deutschland lebt, den Sternenhimmel noch in seiner vollen Pracht bestaunen. 99 Prozent der Bevölkerung Europas leben an Orten, in denen man die Milchstraße mit bloßem Auge nicht mehr erkennen kann.25 Viele können demnach auch nicht die Venus von Saturn oder Jupiter unterscheiden. Der Grund dafür? Lichtverschmutzung. Klingt erst mal komisch, ist aber ein echtes Problem. Große Städte sind nachts so hell erleuchtet, dass sich über ihnen eine riesige Lichtkuppel bildet, die auch auf den Himmel oder die Wolken abstrahlt. Abgesehen davon, dass man dadurch den Sternenhimmel nicht mehr so gut sehen kann, verursacht Lichtverschmutzung Schlaflosigkeit beim Menschen, sie stört die Orientierung nachtaktiver Vögel, die Futter- und Partnersuche von Insekten, den Wachstumszyklus von Pflanzen und, und, und.26 Um das zu ändern, gibt es mittlerweile einige Lichtschutzgebiete wie die Sternenparks im Nationalpark Eifel und im brandenburgischen Westhavelland oder den Naturpark Terra.vita nördlich des Teutoburger Waldes.27

Wir Menschen glauben zwar gerne mal, wir seien die einzigen Lebewesen, die sich so intensiv mit den leuchtenden Punkten am Himmel beschäftigen, doch die Wahrheit sieht anders aus. Auch im Tierreich gibt es ausgewiesene Astronomie-Experten. So synchronisiert der Palolowurm sein Fortpflanzungsverhalten mithilfe der Mondphasen.28 Jedes Jahr trifft sich der ganze Schwarm zur selben Zeit, und zwar im letzten Mondviertel nach Frühlingsanfang. Seehunde können sogar einzelne Sterne unterscheiden und zur Navigation nutzen. In einem Experiment dänischer und deutscher Forschender wurde über einem Becken mit zwei Robben ein kleines Planetarium aufgebaut. Schnell lernten die Tiere, unter unzähligen funkelnden Sternen immer wieder denselben zu erkennen und ihm zu folgen.29

So ist es kein Wunder, dass auch menschliche Kulturen schon extrem früh anfingen, Sonne, Mond und Sterne auf ihre Regelmäßigkeiten hin zu untersuchen. Die Mayas nutzten ihr Wissen über die Bewegung der Himmelskörper, um im Haab-Kalender ein Jahr in 365 Tage zu unterteilen, und das bereits mindestens 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Noch weiter zurück datieren die Venus-Tafeln des babylonischen Königs Ammisaduqa, der vor etwa 4000 Jahren das Auf- und Untergehen unseres Nachbarplaneten über 21 Jahre hinweg genauestens dokumentieren ließ.30 Und auch Deutschland scheint eine gute Heimat für frühgeschichtliche Astronominnen und Astronomen gewesen zu sein: Bei Goseck an der Saale entdeckte man 1991 eine Kreisgrabenanlage, die vor etwa 7000 Jahren errichtet wurde und als das älteste Sonnenobservatorium der Welt gilt.31 In der 71 Meter großen Anlage wurden Palisaden im Kreis aufgestellt, mit Lücken an den Stellen, wo die Sonne zur Zeit von Winter- und Sommersonnenwende jeweils bei Auf- und Untergang steht. So markierte man die kürzesten und längsten Tage des Jahres, und das vor vielen Tausenden von Jahren. Die wohl älteste astronomische Entdeckung führt uns sogar unfassbare 30000 Jahre zurück in die Vergangenheit: 1910 wurde in der französischen Ausgrabungsstätte Abri Blanchard ein Adlerknochen gefunden, auf dem Steinzeitmenschen eine Mondphase dokumentiert hatten.32 Doch die vielleicht spannendste und filmreifste Story in der Geschichte astronomischer Fundstücke ereignete sich Ende der 1990er-Jahre in Sachsen-Anhalt.

Die verbotenen Sterne im Boden

Henry Westphal und Mario Renner waren Hobby-Schatzsucher. Ausgerüstet mit ihren Metalldetektoren, durchstreiften sie am 4. Juli 1999 den Ziegelrodaer Forst bei Nebra. Eigentlich hatten die zwei an diesem Sonntag nach Teupitz bei Berlin fahren wollen, eine Art Goldgrube für Metallsammler aller Art. Hier starben gegen Ende des Zweiten Weltkriegs etwa 60000 Menschen in der Kesselschlacht bei Halbe. Wer sich nicht davor fürchtet, Knochen auszugraben, und auch ansonsten wenig Pietät und Anstand besitzt, kann hier jede Menge Nazischätze bergen. Abzeichen, Helme und Waffen, damit lässt sich auf dem Sammlermarkt ordentlich Knete machen. Dies war das Ziel von Henry Westphal und Mario Renner, doch es sollte anders kommen. Ihre Schädel dröhnten, da sie in der vergangenen Nacht einen über den Durst getrunken hatten. Sie wachten erst gegen Mittag auf und entschieden sich gegen die lange Fahrt nach Teupitz und für eine entspannte Entdeckungstour am Mittelberg, ganz in der Nähe ihres Heimatortes Röblingen.

Von diesem heißen Sommertag erwarteten die beiden nicht allzu viel. In der Regel findet man auf solchen Touren nämlich vor allem eines: massenhaft Schrott. Die Metallsonden blieben in den ersten Stunden ihrer Exkursion auch erst mal still. Kein Piepen, keine Entdeckung. Fast auf dem Gipfel des Mittelbergs angekommen, bemerkte Henry Westphal dann jedoch eine Art Plateau im Boden, das er genauer untersuchte. Und siehe da, der Detektor schlug lauthals Alarm, das Piepen auf seinen Kopfhörern dröhnte in seinen Ohrmuscheln, sein Puls stieg an. Er legte die Metallsonde mit Bedacht weg, zückte sein Feuerwehrbeil und begann, die Erde aufzulockern. Als Mario Renner registrierte, dass sein Kompagnon mit Hacken und Graben beschäftigt war, stoppte er seine eigene Suche und stieß zu ihm. Renner bemerkte, dass Westphal schon etwas mit seiner Hacke getroffen hatte, und rief: »Stopp! Da ist Gold!« Doch was auch immer Westphal mit der Axt freigelegt hatte, es wollte sich partout nicht von der Stelle bewegen. Etwas Rundes, Flaches war zwischen ein paar Steinen verkeilt, so fest, dass sie es mühsam und vorsichtig freigraben mussten. Drei Stunden dauerte es, bis sie das Ding endlich aus dem Boden ziehen konnten. Die Scheibe, die sie entdeckt hatten, war so stark verschmutzt, dass sie die Verzierungen darauf zunächst nicht erkennen konnten. Das Ding hatte eine Delle, vermutlich von einem Schlag mit dem Feuerwehrbeil. Die beiden Männer packten ihre Beute – neben der Scheibe fanden sie noch zwei Schwerter, einen Meißel und zwei Armringe – in eine Plastiktüte, schütteten das Ausgrabungsloch zu und verteilten etwas Laub darauf. Euphorisiert von ihrem Fund, stiegen sie in ihren Trabi und fuhren nach Hause.33

Abbildung 2.1: Die Himmelsscheibe von Nebra

Die Scheibe selbst misst 32 Zentimeter im Durchmesser und wiegt rund zwei Kilogramm. Sie wurde vor rund 4000 Jahren aus Bronze geschmiedet und mit goldenen Applikationen versehen. Sie zeigt das Abbild eines Nachthimmels: eine kreisrunde, goldene Sonne neben einem ebenfalls goldenen Sichelmond vor einem Netz aus goldenen Sternen (siehe Abbildung 2.1). Darunter ein Bogen, den man als Sonnenbarke verstehen könnte, also als ein Schiff, auf dem die Sonne über den Himmel fährt. Die Sterne zwischen Sonne und Mond interpretierte der Astronom Wolfhard Schlosser als den Sternenhaufen der Plejaden,34 den man mit bloßem Auge im Sternbild Stier sehen kann. Doch noch interessanter ist der Sinn und Zweck des goldenen Bogens, der die Scheibe am rechten Rand ziert und bei dem es sich höchstwahrscheinlich um einen Horizontbogen handelt. Er ist ein klares Indiz dafür, dass wir es hier nicht nur mit einem netten Kunstwerk, sondern mit einem präzisen astronomischen Werkzeug zu tun haben.

Hält man die Scheibe horizontal vor sich (siehe Abbildung 2.2), kann man die bogenförmige Markierung am Rand nutzen, um den Sonnenaufgang zu untersuchen. Die Sonne geht im Verlauf eines Jahres nämlich immer früher und zunehmend nördlicher auf, bis sie am 21. Juni den Punkt der Sommersonnenwende erreicht. Genau dieser Tag ist mit dem unteren Ende des Horizontbogens markiert (Abbildung 2.2, links). Wenn die Sonne an diesem Punkt am Horizont aufgeht, werden die Tage fortan wieder kürzer, bis zur Wintersonnenwende am 21. Dezember, dem kürzesten Tag des Jahres. Die Position des Sonnenaufgangs an diesem Tag ist mit dem anderen Ende des Bogens markiert (Abbildung 2.2, rechts). Die Sonnenuntergänge konnte man ebenfalls untersuchen, dafür war ein weiterer goldener Horizontbogen auf der gegenüberliegenden Seite der Scheibe angebracht, der mittlerweile jedoch fehlt. Man erkennt noch schwach die Umrisse der Applikation, wo er einst befestigt war (Abbildung 2.1, linker Rand). Die Himmelsscheibe von Nebra diente also als Sonnenkalender. Mit ihr konnte man jederzeit feststellen, wie weit das Jahr vorangeschritten war, und mit diesem Wissen ließ sich bestimmen, wann man beispielsweise mit der nächsten Aussaat beginnen musste.

Abbildung 2.2: Anwendung der Himmelsscheibe von Nebra bei Sonnenaufgang

Steht man nun auf dem Mittelberg, der vor etwa 4000 Jahren komplett unbewaldet war und sich dadurch hervorragend als Sonnenobservatorium eignete, dann kann man die Platte mithilfe der Bergspitze des 1142 Meter hohen Brockens perfekt nach Norden ausrichten. Die Himmelsscheibe ist folglich keine Handelsware, die irgendwie ihren Weg aus einem anderen Winkel der Welt nach Deutschland gefunden hat, sondern wurde von bronzezeitlichen Astronomen und Schmieden passend für diese Region, genau für diesen Berg, geschaffen. Was für eine Beute!35

Wer hätte gedacht, dass wir jemals einen so großartigen archäologischen Fund, nein, »einen der bedeutendsten archäologischen Funde des letzten Jahrhunderts«,36