Fast vergessene Märchen - Isabel Otter - E-Book

Fast vergessene Märchen E-Book

Isabel Otter

3,0

Beschreibung

Diese atemberaubende und bezaubernde Anthologie ist eine "Schatztruhe". Sie versammelt 20 Fast vergessene Märchen aus aller Welt. Jede Geschichte hat eine starke Heldin, die mit Humor und List, mit Mut, Tapferkeit und Intelligenz das Leben meistert. Märchen sind Erzählungen voller Mut, Magie und Abenteuer. Sie entspringen unserer Fantasie und wir finden sie in allen Kulturen der Erde, oft sind sie schon viele Tausend Jahre alt … Klassiker der europäischen Märchen wie "Schneewittchen", "Aschenputtel" oder "Rapunzel" handeln von weiblichen Hauptfiguren, die sehnsüchtig darauf warten, von einem Mann gerettet zu werden. Sie können nicht über ihr eigenes Leben bestimmen. Aber so sind nicht alle Märchen! Es gibt viele andere aus den verschiedensten Kulturen, die wir zum großen Teil noch gar nicht kennen. Solche fast vergessenen Märchen versammelt dieses Buch, sie erzählen alle von weiblichen Heldinnen, die mutig, schlau und listig sind. Diese Mädchen mögen manchmal nicht das Richtige sagen oder falsche Entscheidungen treffen, aber sie sind eben richtige Mädchen. Und solche Mädchen brauchen niemanden, der sie rettet!

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Copyright dieser E-Book-Ausgabe:

360 Grad Verlag, Leimen 2021

www.360grad-verlag.de

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www.instagram.com/360gradverlag_bestbooks

Das Buch erschien 2019 zuerst in englischer Sprache

in Großbritannien mit dem Titel »The Lost Fairy Tales«

bei Caterpillar Books, einem Imprint der Little Tiger Group, London.

www.littletiger.co.uk

Text by Isabel Otter, Text © Caterpillar Books 2019

Illustrationen © Ana Sender 2019

Illustrationen von Landkarte und Windrose auf Seite 6/7 mit freundlicher Genehmigung von www.shutterstock.com

Übersetzung aus dem Englischen: Beatrix Rohrbacher

Satz, ePub-Konvertierung: Helmut Schaffer Grafik + Satz, Hofheim a. Ts.

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-96185-916-0

 

Impressum

Titel

Wo die Märchen spielen

Vorhang auf!

Aurora und die Riesen

Die magischen Kästchen

Die Geister der Toten

Die fahrende Musikantin

Die fahrende Musikantin

Die Lieder von Liu

Der heilige Wasserfall

Der heilige

Wasserfall

Der Tiger und der Schakal

Die Gemeinschaft der Elfen

Maru-me und der Ringer

Die Göttin der Sonne

Bella und der Bär

Der Schlangenkönig

Der Feenberg

Die Kokosnussschale

Ein Korb voll Birnen

Die glänzenden Drachen

Die Waldtänzerin

Der Brunnen am Ende der Welt

Das geflügelte Monster

Jenseits der Märchen

Hintergrundinformationen

Noch ein paar Denkanstöße

Widmung

 

 

Märchen sind Erzählungen voller Mut, Magie und Abenteuer. Sie entspringen unserer Fantasie und wir finden sie in allen Kulturen der Erde, oft sind sie schon viele Tausend Jahre alt …

Lange bevor die Menschen die Schrift erfanden, haben sie sich bereits Geschichten ausgedacht und diese mündlich überliefert. Wenn den Zuhörern die Erzählung gefiel, blieb sie in Erinnerung und wurde immer wieder weitererzählt. So wurden manche Geschichten von Generation zu Generation „vererbt“.

Wie bei dem Spiel „Stille Post“ konnten sich natürlich Details durch das Weitererzählen verändern. Für unsere Sammlung wurden die Märchen neu geschrieben, aber die Charaktere und Ereignisse beruhen auf den Originalerzählungen.

In der viktorianischen Zeit meinte man, Mädchen, seien schwächer und weniger intelligent als Jungen. Man erwartete von ihnen, dass sie sich gut benehmen, stets ruhig bleiben und ihre Meinung für sich behalten, während man die Jungs ermutigte, laut zu sein und frei heraus zu sprechen!

Früher waren die meisten Märchenschriftsteller Männer. Sie sammelten Geschichten, die ihrer Meinung nach zeigten, wie sich Jungen und Mädchen benehmen sollten. So hatten Mädchen in diesen Erzählungen immer wieder die gleichen Charaktereigenschaften – sie waren eitel, schwach, eifersüchtig oder einfach nur plump langweilig!

Klassiker der europäischen Märchen wie Schneewittchen, Aschenputtel oder Rapunzel handeln von weiblichen Hauptfiguren, die sehn­süchtig darauf warten, von einem Mann gerettet zu werden. Sie können nicht über ihr eigenes Leben bestimmen. Aber so sind nicht alle Märchen! Es gibt viele andere aus den verschiedensten Kulturen, die wir zum großen Teil noch gar nicht kennen.

Solche fast vergessenen Märchen versammelt dieses Buch, sie erzählen alle von weiblichen Heldinnen, die mutig, schlau und listig sind. Diese Mädchen mögen manchmal nicht das Richtige sagen oder sie treffen falsche Entscheidungen, aber sie sind eben richtige Mädchen. Und solche Mädchen brauchen niemanden, der sie rettet!

 

 

Nach vielen Jahren des Hoffens und Wartens wurden König Johann und Königin Mathilde endlich mit einer Tochter gesegnet. Es entsprach dem Brauch, dass man die kleine Prinzessin kurz nach der Geburt dem jungen Prinzen Frederick als Gemahlin versprach. Das Baby hatte stets rosige Wangen und so nannte man sie Aurora, was so viel bedeutet wie „Morgenröte“.

In der Nähe des Schlosses befand sich ein großer Fluss. Er wand sich in sanften Kurven und sein smaragdgrünes Wasser glitzerte viel­versprechend an sonnigen Tagen. Der Fluss war so breit, dass man vom Schloss aus das gegenüberliegende Ufer fast nicht erkennen konnte. Selbst an klaren Tagen sah man nur eine turm­hohe Reihe riesiger Bäume. Man nannte die Gegend deshalb den Wald der Riesen. In der Nähe befand sich auch eine kleine Insel, wohin der König oft Ausflüge unternahm. Für ihn war sie ein magischer Ort, an dem die Blumen leuchtender und das Wasser klarer erschienen. Selbst die Luft war angenehmer zu atmen.

Eines schönen Tages schlug der König vor, einen Familienausflug zur Insel zu unternehmen. Er fuhr mit Königin Mathilde in einem Boot und Aurora folgte in einem zweiten mit ihrem Kindermädchen. Der Hofstaat füllte weitere zwanzig Boote. Alle genossen ein paar Stunden in der friedlichen, wunderbaren Um­gebung der Insel, als plötzlich ein fürchterliches Donnern zu hören war, der Himmel sich verdunkelte und ein Sturm aufzog. Die ganze Gesellschaft flüchtete geschwind zu den Booten. Da begann auch schon heftiger Regen und der Wind heulte. Die Boote wurden wie Streichholzschachteln durch das Wasser gewirbelt und bald waren sie getrennt.

Der König und die Königin erreichten mit ihrem Boot zuerst das rettende Ufer, und nach und nach gelangten auch die anderen in einem erbärmlichen Zustand an Land. Es fehlte jedoch ein Boot – das von Prinzessin Aurora und ihrem Kindermädchen. Sofort sandte man Suchmannschaften aus, die bis tief in die Nacht unterwegs waren, ohne jedoch das Boot zu finden. Schweren Herzens mussten die Königin und der König akzeptieren, dass ihre arme Tochter und das Kindermädchen wohl ertrunken waren.

Aber Aurora war keineswegs ertrunken! Das Boot war zwar gekentert, aber ihre Wiege trieb auf dem Wasser und der Wind hatte sie an das weit entfernte Ufer gebracht. Niemandem war bewusst, dass der Ort, den sie beiläufig als „Wald der Riesen“ bezeichneten, tatsächlich die Heimat von menschenfressenden Riesen war!

Tertulla war die Königin der Riesen und fand das Baby in der Wiege am steinigen Ufer. Einen winzigen Augenblick lang dachte Tertulla, sie habe eine leckere Zwischenmahlzeit gefunden. Dann beugte sie ihren riesigen Kopf zu dem Baby hinab und Aurora hörte auf zu weinen und lächelte sie an. Dieses Lächeln erfüllte Tertullas Herz mit so viel Wärme, dass sie sich in Aurora verliebte und sie von diesem Tage an als ihre Tochter annahm. Tertullas Mann und die acht Söhne mussten widerwillig das Baby als Teil der Familie akzeptieren.

Aurora liebte Tertulla über alle Maßen, konnte aber den anderen riesigen Bewohnern des Riesenwaldes nicht wirklich viel Zuneigung entgegen­bringen. Sie konnte sich nicht mehr an ihre Vergangenheit erinnern und glaubte, sie sei eine Waise, die die Riesen adoptiert hatten. Der größte Wunsch von Tertulla war, dass Aurora ihren jüngsten Sohn Oglu heiraten sollte, aber das Mädchen konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen – er war brutal und fand für niemanden ein freundliches Wort.

Aurora lebte in einer Hütte und dort führte Tertulla sie in die magischen Künste ein und zeigte ihr sogar, wo sie ihren wertvollen Zauberumhang auf­bewahrte. Sie erklärte dem Mädchen, dass der Umhang nur bei absolut bedrohlichen Umständen verwendet werden dürfe.

Aurora liebte es, durch den Wald zu streifen. Sie fühlte sich dort so sicher, als wäre sie in einen Mantel aus Blättern gehüllt. Eines Tages fand sie eine Höhle. Sie füllte sie mit Blumen, Moos und Tierfellen und verwan­delte sie so in eine zauberhafte Grotte. Aurora beschloss, dass sie am Tage der Vermählung mit Oglu an diesen geheimen Ort flüchten würde.

Nach einem heftigen Sturm fand Aurora ein Schiffswrack am Ufer. Als sie sich näherte, bemerkte sie etwas am Rande des Wassers. Da lag ein Mann, die Haut schneeweiß und fast leblos. Sie näherte sich vorsichtig und zu ihrer großen Freude begann er wieder zu atmen, spie Unmengen von Wasser aus und setzte sich schließlich auf! Aurora war klar, dass sie den Mann verstecken musste, oder die Riesen würden ihn finden und verspeisen. Sie schnappte ihren Bogen, griff die Hand des Mannes und eilte mit ihm zu ihrer geheimen Höhle.

Die beiden sprachen leider nicht die gleiche Sprache, aber Aurora konnte dem Mann mit eindrucksvollen Gesten erklären, in welch großer Gefahr er sich befand und dass er unbedingt in der Höhle bleiben musste. Als sie gegangen war, sah er sich um. Seine Hand strich gerade über eine Kette aus Gänseblümchen, als er ein Band entdeckte, das darunter hing und schon ganz verblichen war. Er griff nach dem Band und las zu seinem größten Erstaunen den Namen seiner totgeglaubten Verlobten, gestickt in herrlichen goldenen Lettern. Bei dem Mann handelte es sich um niemand geringeren als Prinz Frederick, dem Prinzessin Aurora bei ihrer Geburt versprochen worden war.

Aurora hatte den jungen Prinzen verlassen, um nach dem Zauber­umhang zu suchen. Sie wollte sich unbedingt mit ihm verständigen können, und als sie zur Höhle zurückkehrte, konnten sie endlich miteinander sprechen! Frederick erklärte ihr, wer er war, und erzählte Aurora von ihrer Vergangenheit. Zunächst glaubte sie ihm kein Wort, aber als er sie mit ihrem richtigen Namen ansprach, kam allmählich eine leise Erinnerung zurück.

Plötzlich hörten sie die polternde Stimme von Tertulla im Wald. Aurora rannte zu ihrer Hütte zurück, wo die Riesin bereits auf sie wartete. „Da bist du ja endlich, Aurora. Morgen findet deine Hochzeit mit Oglu statt. Keine Ausreden mehr! Es ist entschieden!“

Tertulla rauschte aus der Hütte und Aurora weinte die ganze Nacht. Am nächsten Morgen war die Lage noch viel schlimmer. Aurora hörte, wie Oglu einem seiner Brüder berichtete, dass er im Wald einen schlafenden Mann gefunden hatte, den er bei seiner Hochzeit opfern wollte. Aurora ging zu Oglu und sagte: „Ich werde dich zu meinem Mann nehmen, wenn du mir einen letzten Wunsch gewährst – überlass mir den Gefangenen bis zu seinem Tod.“

Der grausame Oglu stimmte zu und so wurde Frederick in Ketten in ihre Hütte gebracht. Aurora forderte ihn auf, mitzuspielen, und behandelte ihn den ganzen Tag so schlecht, dass die Riesen keinen Verdacht schöpften.

In der Nacht löste Aurora Fredricks Fesseln und die beiden wollten ­fliehen. Da betrat Tertulla die Hütte. Scheinbar hatte sie nichts bemerkt und sagte: „Aurora, ich denke, du solltest unseren Gefangenen für die Nacht in das Quartier der Männer bringen.“ Aber Aurora durchschaute die List der Riesin und war ihr bereits einen Schritt voraus …

Nachdem sich Frederick hingelegt und Tertulla den Raum verlassen hatte, nahm Aurora die schwere Steinkrone vom Kopf des ältesten der Riesenbrüder und setzte sie Frederick auf. Die Kronen mussten stets von allen männlichen Riesen getragen werden. Schnell drückte sie noch einmal Fredericks Hand und rannte zurück, um neben Tertulla ins Bett zu schlüpfen.

Am Morgen wurde sie von ohrenbetäubendem Geheule und Zorn geweckt. In der Nacht war die Königin der Riesen in das Schlafzimmer der Söhne eingedrungen und hatte mit der Hand an den Köpfen entlang gestrichen. Als sie dabei den Kopf ohne Krone fand, erstach sie den Körper mit ihrem Dolch, in dem Glauben, es sei Frederick. Am Morgen war Frederick verschwunden und Tertulla erkannte voller Schrecken, dass sie versehentlich ihren eigenen Sohn getötet hatte.

So schnell sie konnte, griff sich Aurora den Zauberumhang und rannte barfuß zu ihrer Höhle. Mit großer Erleichterung entdeckte sie Frederick dort, ganz blass und zusammengekauert. Sie umarmten sich und Frederick begann zu weinen. Aurora jedoch holte den Zauberumhang hervor und sagte: „Du musst nicht weinen, Fred – das wird uns hier raushelfen. Nimm meine Hand.“

Sie wickelte den Umhang um ihre Hände und wünschte sich nichts sehnlicher, als ein für alle Mal diesem schrecklichen Wald zu entkommen. Sie fühlten, wie sie vom Boden abhoben, um dann schließlich auf einem weichen Moosboden zu landen. Es roch nach Granatapfel, Orangenbäume blühten um sie herum und ein Wasserfall ergoss sich glitzernd in ein Becken.

Währenddessen suchte Tertulla im Riesenwald nach ihrer Pflege­tochter. „Aurora,“ rief sie. „Wo bist du?“

„Ich bin hier am Feuer“, antwortete das Mädchen. Tertulla ging zum Herd, aber da war sie nicht. Die schlaue Aurora hatte mit ihrer Magie einen Rosenbusch so verzaubert, dass er mit Auroras Stimme antwortete!

Die Riesin suchte überall. Und schließlich erkannte sie, dass Aurora wohl geflohen sein musste. Sie suchte nach dem Zauberumhang, der natürlich nicht mehr da war! Jetzt fürchtete auch sie um ihr Leben, denn ihre Söhne waren außer sich vor Zorn über den Tod des Bruders. Ihr blieben nur ein paar magische Stiefel als Ausweg. Mit diesen Stiefeln konnte sie eine Meile mit nur einem Schritt zurücklegen; also zog sie sie an und verließ in Windeseile den Wald der Riesen.

Aurora und Frederick hatten ein wenig geschlafen, als sie von enormen Schlägen aufwachten, die den Boden erbeben ließen. Voller Angst benutzte Aurora den Zauberumhang und verwandelte sich in einen Pfirsichbaum und Frederick in eine Biene. Der ­Umhang hing an ihrem Bogen und als Tertulla vorbei­rauschte, wurde er vom Wind mitgerissen und fortgetragen. Die arme Aurora und ihr Frederick waren jetzt gefangen und konnten sich nicht mehr zurückwünschen!

Der Umhang fiel einem spazierenden Mädchen vor die Füße. Vorsichtig faltete sie ihn zu­sammen und ging zu einem üppigen Pfirsich­baum. Als sie einen Pfirsich pflücken wollte, wurde sie von einer Biene gestochen. Nicht nur einmal, nein, ganze drei Mal! Verärgert riss sie ein Blatt vom Baum ab und wedelte die Biene weg. Zu ihrer großen Überraschung blutete der Baum. Sie vermutete einen Zauber und warf den Umhang, den sie gefunden hatte, über den Baum. Im nächsten Moment verwandelten sich Aurora und Frederick in ihre richtige Gestalt zurück.

Endlich waren die beiden Liebenden in Sicherheit. Sie fanden sogar den Weg nach Hause und wurden mit Freudentränen empfangen. Am Tag der Hochzeit von Aurora und Frederick flog die Tür der Kirche mit Getöse auf und alle schrien vor Angst. Es war Tertulla! Die Riesin ging ganz ruhig auf Aurora zu und sprach mit Tränen in den Augen: „Meine liebe Tochter, es tut mir sehr leid, dass ich dir so viel Ungemach gebracht habe. Bitte gestatte mir, den Rest meiner Tage hier in deiner Nähe zu verbringen, weil ich dich so sehr liebe.“ Dann umarmten sie sich und alles war vergeben.