Faszientherapie beim Hund - Barbara Welter-Böller - E-Book

Faszientherapie beim Hund E-Book

Barbara Welter-Böller

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Beschreibung

Faszination Faszien – bringen Sie Bewegung in den Hund Ausgezeichnet illustriert und klar verständlich vermittelt dieses Buch erstmals Grundlagen und Praxis der Faszientherapie beim Hund. Das osteopathisch versierte Autorenteam um Barbara Welter-Böller erläutert die Biomechanik und Pathologie der Faszien und zeigt, wie sich Einschränkungen auf das parietale, viszerale und craniosacrale System auswirken. Die zahlreichen direkt umsetzbaren Befundungs- und Behandlungsmethoden werden detailliert beschrieben. Damit erhalten Sie konkrete therapeutische Einsatzmöglichkeiten bei der Behandlung von Schmerzen, Verspannungen, orthopädischen Problemen und Stress beim Hund. Mit vielen Tipps und Hintergrundwissen aus dem Praxisalltag wendet sich dieses Buch sowohl an Kleintierpraktiker und ganzheitlich tätige Tierärzte als auch an Tierphysiotherapeuten und Tierheilpraktiker.

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Faszientherapie beim Hund

Barbara Welter-Böller, Maximilian Welter, Hedi Janssen

126 Abbildungen

Vorwort

Den Erfolg einer Faszientherapie habe ich zum ersten Mal vor nunmehr 23 Jahren bei meinem eigenen Hund erlebt, einem alten, an degenerativer Myelopathie leidenden Briard. Mein Mann und ich waren in der Ausbildung zum Humanosteopathen, die ich – hochschwanger – unterbrechen musste. Unser Dozent war der geniale französische Osteopath Jean Pierre Barral, vom Time Magazin zu einem der 100 bedeutendsten Pioniere der Alternativmedizin des 20. und 21. Jahrhunderts gewählt, der die Faszientherapie bei Hunden mit großem Erfolg einsetzte. Mein Mann nahm den Hund mit, Jean Pierre Barral behandelte ihn und nach Hause kam ein in seiner vis vitalis völlig positiv veränderter Hund: fröhlich, voller Energie und im Bewegungsablauf deutlich verbessert.

Ich ließ mir die angewandte Technik zeigen – eine großflächig kreisende Mobilisation der Rumpffaszie – und wandte diese bei meinen Hundebehandlungen immer mit gutem Erfolg an. Die Hundebesitzer nannten es: das heilsame „Knuddeln“. Heute kann ich die Wirkungsweise des „Knuddelns“ erklären und die Faszientherapie ist für mich eine der wichtigsten Techniken in meinem Behandlungsspektrum geworden. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes ganzheitlich.

Von meiner „Faszienbegeisterung“ wurde auch mein Neffe, Maximilian Welter, praktizierender Tierarzt, angesteckt, der die anatomischen Zusammenhänge erforscht und untersucht. Hier liegt noch viel Pionierarbeit vor uns, Anatomiebücher werden sicher in Zukunft anders geschrieben werden müssen.

Ich freue mich, in dieser spannenden Zeit leben zu dürfen, in der empirische Behandlungstechniken erklärt werden können und ich bedanke mich von Herzen bei Jean Pierre Barral, der mir als Erster die enorme Wirksamkeit dieser Techniken vor Augen führte.

Barbara Welter-Böller

Eine therapeutische Behandlung und deren Wirkungsweise sind so unterschiedlich wie der Mensch, der sie als Therapeut durchführt. Aus der individuellen Aus- und Weiterbildung, meist geprägt durch herausragende Therapeuten, erwächst mit der Zeit eine eigene therapeutische Handschrift. Ich hatte das Glück, auf meinem therapeutischen Weg, Menschen zu treffen, die eine ansteckende Begeisterung für derzeit noch wenig erklärbare Techniken in sich trugen.

Mein persönlicher Dank gilt an dieser Stelle insbesondere dem Osteopathen Rolf-Peter Heikens und meiner Mitautorin Barbara Welter-Böller. Zudem möchte ich Henrike Könneker und Ute Reiter danken. Auch durch ihr Wissen, transportiert mit einer ganz besonderen Energie und Begeisterung, habe ich weiter dazulernen dürfen.

Ich selbst konnte so mit der Zeit, in zahlreichen Hundebehandlungen lernen, dass gerade die von außen so sanft und unspektakulär wirkenden Faszientechniken so tiefgreifende Veränderungen bewirken können. Daraus erwuchs eine immer stabiler werdende Überzeugung und ich bin sehr dankbar dafür, dass das Wissen rund um das Thema Faszien in der Behandlung von Hunden stetig weiterwächst.

Hedi Janssen

Mit diesem Buch möchten wir unseren derzeitigen Wissensstand und die Begeisterung für diese wunderbaren therapeutischen Techniken mit allen Interessierten teilen.

Barbara Welter-BöllerMaximilian WelterHedi Janssen

Barbara Welter-Böller, Hedi Janssen und Maximilian Welter (von rechts nach links).

Inhaltsverzeichnis

Faszientherapie beim Hund

Vorwort

Teil I Faszientherapie beim Hund

1 Einleitung

Teil II Anatomie, Physiologie, Funktion und Pathologie der Faszien

2 Anatomie und Physiologie der Faszien

2.1 Definition Faszie

2.1.1 Welche Gewebe sind nach dieser Definition Faszien?

2.1.2 Oberflächenfaszien

2.1.3 Muskulatur

2.1.4 Körperhöhlen

2.1.5 Nerven und Gefäße

2.1.6 Gehirn und Rückenmark

2.1.7 Dysfunktionen von Faszien beim Hund

2.2 Funktion der Faszien – der Körper im Spannungsfeld zwischen Stabilität und Mobilität

2.2.1 Katapulteffekt

2.3 Morphologie der Faszien

2.3.1 Zellen

2.3.2 Interzellularsubstanz (extrazelluläre Matrix)

2.3.3 Grundsubstanz

2.4 Faszientypen

2.4.1 Embryonales Bindegewebe

2.4.2 Gallertartiges Bindegewebe

2.4.3 Retikuläres Bindegewebe

2.4.4 Lockeres, faserarmes Bindegewebe

2.4.5 Straffes, faserreiches Bindegewebe

2.5 Unterteilung des Körpers durch Faszien

2.6 Diaphragmen

3 Faszien als „Sinnesorgane“

3.1 Embodiment (Körperwahrnehmung)

3.2 Rezeptoren der Faszien

3.2.1 Golgi-Rezeptoren

3.2.2 Vater-Pacini-Körperchen

3.2.3 Ruffini-Körperchen

3.2.4 Interstitielle Rezeptoren

3.2.5 „WDR-Programm“

3.2.6 Wie reagieren Faszien auf Schmerz?

4 Pathologie der Faszien

4.1 Faszienrestriktion

4.2 Faszien und Stress

4.3 Narbengewebe

4.4 Faszien und Alter

Teil III Befundungs- und Behandlungsmöglichkeiten

5 Faszienbefundung

5.1 Exterieurbeurteilung und Adspektion

5.1.1 Exterieur

5.1.2 Adspektion

5.2 Gang- und Bewegungsanalyse bei Faszienproblemen

5.2.1 Gang- und Haltungsanalyse

5.2.2 Bewegungsanalyse

5.3 Faszienpalpation

5.3.1 Palpation der einzelnen Faszien

6 Behandlungsmöglichkeiten bei Faszienproblemen

6.1 Faszienreifung und aktive Faszienbehandlung

6.1.1 Aktive Faszienstärkung und -regulation

6.1.2 Training der Ergorezeptoren

6.1.3 Faszientherapie

6.2 Manuelle Faszientherapie

6.2.1 Ausstreichungen

6.2.2 Einfache passive Dehnung

6.2.3 Myofasziales Release

6.2.4 Massage

6.2.5 Körperbandagen, Thundershirt und Tapes

6.2.6 Mobilisation der Gelenkkapsel

6.2.7 Narbenbehandlung

6.3 Spezielle Techniken für besondere Faszien

6.3.1 Clear the Confusion: Normalisierung der Falx cerebri

6.3.2 Detonisierung der kurzen Nackenstrecker: Harmonisierung der Meningen

6.3.3 Detonisierung von Strukturen, die die Stellung des Iliums und Sacrums beeinflussen

6.3.4 Dehnung der spinalen Ligamente und der Dura über Traktionen

6.3.5 Shiften der Wirbelkörper und Lösen der Rückenbänder

6.4 Faszienregulation an den Extremitäten

6.4.1 Dreidimensionale Mobilisation der Schulter

6.4.2 Release der Fascia antebrachii über das Os pisiforme

6.4.3 Faszienlift

6.5 Besondere Techniken am Rumpf

6.5.1 Faszienlift

6.5.2 Kiblersche Hautfalte

6.5.3 Subcutane Reflextherapie (Bindegewebsmassage)

6.6 Masterclass Faszienbefundung und -behandlung: global – lokal – global

6.6.1 Listening

6.6.2 Motilität der Faszien, der „Faszientanz“

6.6.3 Unwinding (Entwirren)

6.7 Diaphragmen als zentrale Strukturen

6.7.1 Bedeutung und Funktion der Diaphragmen

6.7.2 Tentorium cerebelli

6.7.3 Craniocervicales Diaphragma

6.7.4 Vordere Thoraxappertur

6.7.5 Diaphragma abdominalis (Zwerchfell)

6.7.6 Diaphragma pelvis (Beckendiaphragma)

Teil IV Das parietale System

7 Anatomie der Faszien, typische Restriktionen und deren Behandlungsmöglichkeiten

7.1 Kopf-, Hals- und Rumpffaszien

7.1.1 Fascia capitis superficialis

7.1.2 Fascia capitis profunda

7.1.3 Fascia cervicalis superficialis

7.1.4 Fascia cervicalis profunda

7.1.5 Fascia trunci superficialis

7.1.6 Fascia trunci profunda

7.1.7 Fascia thoracolumbalis

7.1.8 Fascia spinocostotransversalis

7.2 Faszien der Vordergliedmaßen

7.2.1 Fascia axillaris

7.2.2 Fascia brachii

7.2.3 Fascia antebrachii

7.2.4 Fasziale Sonderstruktur: Membrana interossea antebrachii

7.2.5 Fascia dorsalis manus

7.2.6 Fascia palmaris

7.3 Faszien der Beckengliedmaßen

7.3.1 Fascia glutea

7.3.2 Fasziale Sonderstruktur: Lig. sacrotuberale

7.3.3 Fascia lata

7.3.4 Fascia femoralis medialis

7.3.5 Fascia genus

7.3.6 Fascia cruris

7.3.7 Fascia plantaris und Fascia dorsalis pedis

Teil V Das viszerale System

8 Anatomie der Faszien im Bereich der Viszera

8.1 Einleitung

8.2 Anatomischer Überblick über Brust-, Bauch- und Beckenhöhle

8.2.1 Brusthöhle

8.2.2 Bauchhöhle

8.2.3 Beckenhöhle

8.3 Fasziale Auskleidung von Brust-, Bauch- und Beckenhöhle

8.3.1 Fasziale Auskleidung der Brusthöhle

8.3.2 Fasziale Auskleidung der Bauchhöhle

8.3.3 Fasziale Auskleidung der Beckenhöhle

9 Die Organe im Gesamtsystem der Faszien

9.1 Das „viszerale Gelenk“

9.1.1 Bestandteile des viszeralen Gelenkes

9.1.2 Motor der Bewegung

9.2 Viszerale Restriktionen: Ursachen und Auswirkungen

9.2.1 Klinische Befunde, die auf eine viszerale Restriktion hinweisen können

9.3 Fasziale Ketten im Gesamtsystem

9.4 Spannungsausbreitung über die Fascia cervicalis profunda

10 Typische Restriktionen im Bereich der Viszera und deren Behandlungsmöglichkeiten

10.1 Viszerale Behandlungstechniken

10.2 Faszien der Lunge

10.2.1 Topografie

10.2.2 Besonderheit

10.2.3 Symptome

10.2.4 Behandlungsvorschläge

10.3 Faszien des Magens

10.3.1 Topografie

10.3.2 Symptome

10.3.3 Behandlungsvorschläge

10.4 Faszien der Leber

10.4.1 Topografie

10.4.2 Symptome

10.4.3 Behandlungsvorschläge

10.5 Faszien des Dünndarms

10.5.1 Topografie

10.5.2 Symptome

10.5.3 Behandlungsvorschläge

10.6 Faszien des Dickdarms

10.6.1 Topografie

10.6.2 Symptome

10.6.3 Behandlungsvorschläge

10.7 Faszien der Harnblase

10.7.1 Topografie

10.7.2 Symptome

10.7.3 Behandlungsvorschläge

10.8 Faszien der Niere

10.8.1 Topografie

10.8.2 Symptome

10.8.3 Behandlungsvorschläge

10.9 Faszien der weiblichen Geschlechtsorgane

10.9.1 Topografie

10.9.2 Symptome

10.9.3 Behandlungsvorschläge

Teil VI Das craniosacrale System – fasziale Strukturen und Möglichkeiten der Beeinflussung

11 Faszienbehandlung im craniosacralen System

11.1 Intracraniales Fasziensystem

11.1.1 Behandlung des intracranialen Membransystems

11.2 Extracraniales Fasziensystem

11.2.1 Behandlung des extracranialen Membransystems

Teil VII Anhang

12 Faszientraining beim Hund

12.1 Trainingsprinzipien für Faszien und Muskulatur

12.2 Beispiel eines ausdauerorientierten Trainings über 6 Wochen mit den 4 Phasen der Anpassung

12.3 Welches Training ist effektiv?

12.4 Entwicklung von Faszienspannung

13 Literatur

Autorenvorstellung

Anschriften

Sachverzeichnis

Impressum

Teil I Faszientherapie beim Hund

1 Einleitung

1 Einleitung

„Die Rolle, welche die Faszien in Tod und Leben spielen, konfrontiert uns mit einem der größten Probleme, die es zu lösen gilt.“ (Still u. Hartmann, 1902)

Willkommen im extrazellulären Raum!

Im Zentrum der wissenschaftlichen biologischen Forschung stand im 20. Jahrhundert die Zelle mit ihrem Aufbau und ihren Funktionen – mit dem Ergebnis, dass der Intrazellularraum weitgehend erforscht und verstanden ist. Inzwischen ist der extrazelluläre Raum in den Mittelpunkt der Forschung gerückt, der mit seinen Eigenschaften für die Gewebskontinuität und die anatomische Form des Körpers und seiner Organe verantwortlich ist. Der Extrazellularraum besteht aus einem kontinuierlichen fibrillären Netzwerk, den Faszien. Dieses Bindegewebe umhüllt Organe, Muskeln, Sehnen und sogar Gefäße und Nerven. Faszien sind aber nicht nur „Verpackungsmaterial“, sondern auch für Eigenwahrnehmung, Tiefensensibilität und Schmerzempfindung verantwortlich, da sie viele verschiedene Rezeptoren besitzen. Faszien zählen zu den am reichsten sensibel innervierten Strukturen des Körpers. Über sog. Gap junctions, direkte Zell-Zell-Verbindungen (Kanäle, die die Plasmamembran durchdringen und so den Intrazellularraum von Zellen miteinander verbinden), können Fibroblasten, die Bestandteil der Faszien sind, körperweit miteinander kommunizieren.

Interessanterweise entsprechen die faszialen Durchtrittsstellen der Trias Nerv, Arterie und Vene der oberflächlichen Faszie des Menschen zu 80 % den Akupunkturpunkten und der Verlauf der Meridiane stimmt zu 80 % mit den myofaszialen Leitbahnen überein.

In der extrazellulären Matrix, dem Grundgerüst der Faszien, das diese zusammenhält und die Form und Eigenschaften von Gewebe bestimmt, befinden sich verschiedene immunrelevante Zellen wie Makrophagen, Phagozyten und Mastzellen. Somit spielt das Bindegewebe auch eine große Rolle in der Immunabwehr. Die Faszien mit ihrem Verbund aus funktionsgleichen Zellen schützen den Körper vor Infektionen. Sie sind mit dem autonomen Nervensystem verbunden und können so auch ein Spiegel der psychoemotionalen Verfassung sein. Durch ihr Kontinuum stellen sie eine Einheit zwischen dem parietalen, dem viszeralem und dem cranialen System her. Somit ist ihre Funktion ganzheitlich und damit auch die Faszientherapie im Falle einer Störung.

Andrew Taylor Still, der Begründer der Osteopathie, erkannte schon 1878 die entscheidende Rolle der Faszien für die Gesundheit von Mensch und Tier. Sein tiefes Wissen über die Faszien ist heute aktueller denn je. Wir haben einige seiner Zitate zusammengetragen, um ihm auf diese Weise unsere Ehre zu erweisen.

„Die Faszien umgeben jeden Muskel, jede Vene, jeden Nerv und alle Organe des Körpers. Ein Netzwerk aus Nerven, Zellen und Röhren führt von den Faszien weg und zu ihnen hin. Es ist vernetzt und ohne Zweifel angefüllt mit Millionen von Nervenzentren und Fasern, die fortwährend vitale und zersetzende Flüssigkeiten nach innen und außen absondern. Durch die Aktion der Faszien leben wir, durch ihr Versagen sterben wir.“ (A. T. Still 1902, in: ▶ [10], S. III-37)

In der Manualtherapie, ob durch Physiotherapeuten, Osteopathen, Craniosacraltherapeuten oder Rolfer angewandt, ist die Faszientherapie außerordentlich erfolgreich, mit z. T. tiefgreifenden positiven Veränderungen, nicht nur auf physischer, sondern auch auf psychischer Ebene.

„Die Seele des Menschen mit allen Strömen reinen lebendigen Wassers scheint in den Faszien seines Körpers zu wohnen.“ (A. T. Still 1912, in: ▶ [37], S. 255)

Aufgrund der Erkenntnisse der Faszienphysiologie und -pathologie kann die Wirkungsweise verschiedener heilsamer und schmerzbefreiender Techniken, wie z. B. Akupunktur, verstanden und erklärt werden.

Das Fasziengewebe findet heutzutage auch in der Veterinärmedizin immer mehr Beachtung. Leider ist es noch schwer, anders als mittlerweile in der Humanmedizin, genaue Lagen und Bezeichnungen der Faszien beim Hund zu finden. Dies ist sicher ein lohnendes anatomisches Projekt für die Zukunft.

„Das Muskel-Knochen-Konzept, wie es in den üblichen anatomischen Beschreibungen präsentiert wird, zeichnet ein rein mechanistisches Modell der Bewegung. Es unterteilt Bewegung in nicht zusammenhängende Funktionen und kann somit kein Bild von einer nahtlos integrierten Bewegung, wie sie in einem lebenden Körper zu sehen ist, vermitteln. Wenn sich ein Teil bewegt, antwortet der ganze Körper. Auf der funktionellen Ebene kann das Bindegewebe als einziges Gewebe diese Mittlerfunktion übernehmen.“ ( ▶ [35], S. vii)

Faszientechniken können sehr gut auf den Hund übertragen werden. Sie sind hier wirkungsvoll bei vielen parietalen Problemen, wie z. B. bei Spondylose, Bandscheibenproblemen, OP-Nachbehandlungen oder Cauda equina. So können Haltungs- und Bewegungsstörungen sowie Steifigkeiten durch Faszienbehandlung therapiert werden. Die Faszientherapie ist auch hilfreich bei Funktionsstörungen im Viszerum, wie z. B. bei Blaseninkontinenz oder Verdauungsstörungen. Die Techniken der Craniosacraltherapie bewirken unter anderem eine Normalisierung der Meningen. Die Hunde genießen das sanfte Entwirren der Restriktionen und Fehlmuster in ihrem Fasziengewebe.

„Diese dem Menschen und allen Lebewesen vererbte Lebenskraft wirkt durch die Faszien von Mensch und Tier.“ (A. T. Still, in: ▶ [37], S. 250)

Wir haben in diesem Buch den Fokus auf das Fasziengewebe gelegt, auch wenn man in der Praxis die Befundung und Therapie auch mit weiteren osteopathischen Techniken durchführen und ergänzen kann. Der Therapeut spürt mit seinem tastenden „Zuhören“ wie sich die Bewegungsmuster der Faszien entzerren und befreien. Die Hunde zeigen erstaunliche Reaktionen und Verbesserungen durch diese tiefgreifende Therapie, z. T. mit positiven Wesensveränderungen.

Wir hoffen, Sie mit diesem Buch auf Ihrem therapeutischen Weg ein Stück weiterbringen zu können, damit unsere Hunde von einer immer besser werdenden Therapie profitieren können.

Wir möchten Sie mit diesem Buch für die Behandlung dieses wichtigen Gewebes begeistern und wünschen Ihnen viel Freude und Erfolg bei der Anwendung der hier vorgestellten Techniken, wohl wissend, dass dies nur ein Anfang sein kann – ein Anfang des Verstehens und der Behandlungsmöglichkeiten.

Teil II Anatomie, Physiologie, Funktion und Pathologie der Faszien

2 Anatomie und Physiologie der Faszien

3 Faszien als „Sinnesorgane“

4 Pathologie der Faszien

2 Anatomie und Physiologie der Faszien

2.1 Definition Faszie

alle faserigen Bindegewebsstrukturen, die den gesamten Körper als ein kontinuierliches Netzwerk durchdringen und umhüllen

alle kollagenen und elastisch faserigen Bindegewebe, insbesondere Gelenk- und Organkapseln, Ligamente, Muskelhüllen, Membranen, Sehnen, Retinacula sowie die früher als Faszien definierten flächigen, festen Bindegewebsschichten

In den heutigen Anatomiebüchern sind Synonyme für Faszien Membranen, weißliche Substanz, Stroma, Aponeurosen oder auch bedeckende Gewebsschicht.

2.1.1 Welche Gewebe sind nach dieser Definition Faszien?

Zu den Faszien werden folgende Gewebe gezählt:

die große, alles überdeckende äußere Körperhülle, die Fascia superficialis

die darunter liegenden tiefen Faszien, die den Körper untergliedern:

Muskel-, Nerven- und Gefäßhüllen

Ligamente, Sehnen, Gelenkkapseln und bindegewebige Verbindungen der unechten Gelenke, z. B. der Suturen

das Peritoneum mit seinen Ligamenten

die Mesenterien und viszeralen Ligamente

Peri-, Epi- und Endokard

das Mediastinum

Organkapseln

die Meningen

der Sehnenspiegel des Diaphragma abdominale sowie des Perineum

die bindegewebigen Raphen

Bei all diesen Auflistungen sollte man sich immer wieder vergegenwärtigen, dass das Fasziennetz ein Kontinuum ist. Es ist das einzige Körpergewebe, das alle Strukturen miteinander verbindet. Die Faszien geben dem Körper die äußere Form. Sie strukturieren, trennen, verbinden, umhüllen und durchziehen unsere Muskeln, Organe, Nerven und Gefäße. Sie gewährleisten, dass diese Strukturen aneinander entlanggleiten können. Zudem bilden sie Bahnen für die Gefäße und Nerven und verhindern, dass diese abreißen. Die Organe sind an Faszien aufgehängt, um eine größtmögliche Stabilität und Mobilität zu gewährleisten. Auch wenn ein Hund springt, sich dreht, Slalom läuft, Flyball spielt oder auf dem Rücken liegt und strampelt, bleiben seine inneren Organe stets an ihrem Platz – außer bei einem gefülltem Magen, der dann bis zum Nabel erweitert ist und alle anderen Organe verdrängt. Hier besteht die Gefahr einer Überlastung des Fasziensystems mit nachfolgender Magendrehung.

2.1.2 Oberflächenfaszien

Sie geben dem Hund die äußere Form und trennen die Haut von dem darunterliegenden Unterhautfettgewebe und der Muskulatur. Sie ermöglichen, dass diese Gewebe aneinander entlanggleiten können. Kanäle und Spalten mit Fettanteilen durchdringen die Oberflächenfaszien und garantieren eine reibungslose Beweglich- und Verschieblichkeit der Arterien, Venen, Nerven und Lymphgefäße. Die Oberflächenfaszien sind der Ausgangspunkt für die Lymphgefäße, damit spielen sie auch eine wichtige Rolle bei der Stoffwechselversorgung der Zellen.

2.1.3 Muskulatur

„Stellen Sie sich vor, der Körper hätte nur einen einzigen Muskel, der durch 600 Tüten geteilt ist.“ (Myers, in: ▶ [40], S. 6)

Dieses Bild erleichtert die Vorstellung von der Unterteilung der Muskulatur durch Faszien.

Muskel- und Fasziengewebe sind untrennbar miteinander verbunden. Wer schon einmal Fleisch zerlegt hat, weiß, wie mühsam es mitunter sein kann, die Faszien von dem Muskelfleisch abzutrennen. Faszien umhüllen das Muskelgewebe, bilden eine gute Auflage- und Verschiebefläche gegenüber anderen Muskeln oder dienen ihnen als Ansatzpunkt. Sie versorgen den Muskel mit Gefäßen und Nerven. Das sog. Perimysium, eine Faszienmembran, umgibt die Muskulatur und fasst Gruppen von 10 bis über 100 einzelne Muskelfasern zu Faserbündeln zusammen. Das Perimysium externum bildet die äußere Muskelhülle. Das Perimysium internum dringt in die Tiefe des Muskels ein und unterteilt ihn in Primärbündel. Mehrere Primärbündel bilden über das Perimysium externum ein Sekundärbündel. Das Perimysium internum gliedert sich weiter in die Muskelhüllen der einzelnen Muskelfasern auf, dem Sarkolemm, in dem sich die Myofibrillen befinden. Das Perimysium externum setzt sich in die Sehne des Muskels fort und ist hier ein straffes paralellfaseriges Bindegewebe, das der Kraftübertragung des Muskels dient. Die Muskelfaszien sind entweder längs oder quer seriell angeordnet. Je nach Anordnung werden sie bei Kontraktion oder Dehnung des Muskels unterschiedlich angesprochen. In Ruhestellung des Muskels sind alle Faszien entspannt. Kontrahiert der Muskel, wird sein Muskelbauch dicker und die quer angeordneten Faszien nehmen Spannung auf. Dadurch verhindern die Faszien, dass der Muskelumfang bei einer Kontraktion zu stark zunimmt, denn sonst würde er keine Zugspannung mehr auf die Sehne ausüben. Auch die Sehne selbst gerät bei der Kontraktion unter Spannung. Die längs ausgerichteten Faszien hingegen werden bei der Dehnung des Muskels gespannt. Dadurch verhindern die, dass der Muskel überdehnt wird.

2.1.4 Körperhöhlen

Perikard, Pleura parietale und das Peritoneum bilden die großen Körperhöhlen und gewährleisten eine stabile Form der Organe bei größtmöglicher Mobilität. Zwischen den Organen und den mittleren und inneren Bindegewebshüllen befindet sich eine Flüssigkeit, damit ein freies Gleiten der Organe und Strukturen untereinander möglich ist.

2.1.5 Nerven und Gefäße

Die äußere Faszienhülle der Nerven (Epineurium) und Gefäße (Tunica adventitia, früher: Tunica externa) sorgen dafür, dass diese ungehindert zu ihren jeweiligen Erfolgsorganen gelangen, egal welche Haltung der Hund gerade einnimmt oder wie er sich bewegt.

2.1.6 Gehirn und Rückenmark

Die harte Hirnhaut, Dura mater encephali, umhüllt das Gehirn und schützt es vor Stößen. Die Dura mater encephali setzt sich als Rückenmarkshaut, Dura mater spinalis, im Wirbelkanal fort und umhüllt dort das Rückenmark. Sie ist im Rückenmarkskanal normalerweise frei beweglich, nur im Bereich von C2–C3 und S2 ist sie fixiert. Sie begleitet austretende Nerven noch bis hinter das Foramen intervertebrale, wodurch deren Beweglichkeit gewährleistet wird.

2.1.7 Dysfunktionen von Faszien beim Hund

Jede Faszie kann durch Über- oder Fehlbelastung in Mitleidenschaft gezogen werden. So kann im orthopädischen Bereich ein Sehnen- oder Kreuzbandproblem ebenso wie eine Spondylose, die aus der Fibrosierung und der späteren Verknöcherung des ventralen Längsbandes, Lig. longitudinale ventrale, entsteht, zu einer Faszienstörung führen. Eine Magendrehung oder -dilatation kann beispielsweise durch eine Dysfunktion der stabilisierenden Haltebänder und der Organkapsel begünstigt werden. Die Suturen des Schädels sind definiert als bindegewebige (fasziale) Nahtstellen, weshalb Einschränkungen der Faszienfunktionen auch zu einem craniosacralen Problem führen können. Beispiel: Die langen und schweren Ohren eines Cocker Spaniels verändern seine Kopfform und geben einen konstanten Zug auf das Hirnzelt (Tentorium). So könnte der bei dieser Hunderasse oft auftretende Schwindel oder gar die Cockerwut auf ein Faszienproblem zurückzuführen sein und mit craniosacralen Techniken behandelt werden.

2.2 Funktion der Faszien – der Körper im Spannungsfeld zwischen Stabilität und Mobilität

Abb. 2.1 Tensegrity-Modell.

Es ist das Grundprinzip eines mobilen und stabilen Stabwerkes, in dem sich die Stäbe nicht untereinander berühren, jedoch über Zugelemente, in diesem Fall Gummiseile, miteinander verbunden sind. Fullers Idee war, dass die Spannung von sehr vielen Bauelementen getragen wird anstatt von wenigen Elementen, die dann mehr Spannung aushalten müssen.

Auf den Körper übertragen sind die Stäbe die Knochen des Skelettes und die unter konstanter Spannung stehenden Gummiseile die Faszien, deren Zugspannung die Körperform stabil sowie mobil erhält. Diese Zugspannung ist für den gesamten Tonus im Organismus verantwortlich und verbraucht für dessen Erhalt keine Energie. Einwirkende Kräfte werden durch dieses „Spannungsnetz“ aus Faszien im gesamten Organismus verteilt und aufgefangen. Es agiert wie eine zusammenhängende Einheit. Schon A. T. Still beschrieb, dass der Körper konstant im Spannungsfeld zwischen Stabilität und Mobilität steht. Für einen gesunden Organismus müssen beide Parameter im richtigen Verhältnis zueinander stehen. Dies setzt Viskoelastizität und ein freies Gleiten der einzelnen Faszien voraus. Wenn diese Verschieblichkeit (Shearmotion) eingeschränkt oder aufgehoben ist, spricht man von einer Faszienrestriktion. In diesem Falle ist die Kontinuität des Gewebes nicht mehr gewährleistet, sodass sich die physiologische Mobilität vermindert oder gar nicht mehr vorhanden ist und es infolge zu weitreichenden Problemen kommen kann.

Die Muskulatur besitzt ihren eigenen Tonus, der physiologisch in einem gewissen Ausmaß immer vorhanden ist. Das heißt, unsere Muskeln sind nie völlig erschlafft. Muskelarbeit benötigt Energie. Unser Organismus geht mit Energie sehr effizient um, nach dem Motto: so wenig wie möglich und so viel wie nötig. Viele Muskeln haben ihren Ursprung an Faszien. Beide Systeme unterstützen sich gegenseitig. Tonische Muskulatur (Haltefunktion) weist ein dickeres Perimysium auf als phasische (Bewegungsfunktion). Dies ist ein Hinweis darauf, dass Faszien die konstant gegen die Schwerkraft arbeitenden Muskeln bei ihrer Haltearbeit unterstützen, während die für Bewegung zuständige Muskulatur das sie umgebende dünnere Perimysium mobil hält.

2.2.1 Katapulteffekt

Die Forscher Kram und Dawson erkannten 1998, dass die Sprungkraft eines Kängurus weit höher ist als die dazu zur Verfügung stehende Muskelkraft (Kram u. Dawson 1998). Das Gleiche gilt auch für Gazellen, Frösche oder Heuschrecken. Das bedeutet, dass die Sprungkraft nicht alleine von der Muskelmasse abhängt, sondern dass es noch ein anderes System geben muss, welches Bewegungsenergie speichern und wieder abgeben kann. Diesen Sprungfedermechanismus nannten die Autoren den Katapulteffekt ( ▶ Abb. 2.2).

Abb. 2.2 Hier bedroht der Katapulteffekt die Nase der Autorin.