Faust 2025 Band 2 - Thorolf Kneisz - E-Book

Faust 2025 Band 2 E-Book

Thorolf Kneisz

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Beschreibung

Beginnt man, in den Baenden Faust 2025 zu blaettern, stellt sich die Frage, ob es sich um einen Bilderroman, einen Inszenierungsversuch oder schlicht um ein Spiel mit dem beruehmtesten Drama der deutschen Literatur handelt. Die Antwort: Es soll alles in einem sein. Wuerde im Original Goethes Fausts Seele nicht von Margarethe in die sogenannte Erloesung gefuehrt, gaebe es, abgesehen von der durchgaengig praesentierten Beziehung zwischen Faust und Mephistopheles, keine nennenswerten Zusammenhaenge zwischen beiden Teilen des Dramas. Um den Kulminationspunkt, das EWIG WEIBLICHE, herauszustellen, wurden folgende Ueberlegungen angestellt, die keine Unordnung, sondern eine "andere" Ordnung der Szenenfolge mit sich bringen: Was hat Mephistopheles waehrend der neunmonatigen Schwangerschaft Margarethes mit Faust angestellt? Bei Goethe liegt zwischen dem Suendenfall und der Anklage wegen Kindesmordes lediglich eine kurze Zeitspanne, eher Wochen als Monate. Es bot sich daher an, das Duell zwischen Faust und Valentin zum Anlass zu nehmen, Faust durch eine Verletzung in einen zeitausfuellenden Komazustand zu versetzen. In diesem Zustand erlebt Faust in Traeumen die Geschehnisse des zweiten Teils, bis er in der Walpurgisnacht aus dem Koma erwacht und in die Realitaet zurueckkehrt. Der Versuch, Margarethe aus dem Kerker zu befreien, misslingt. Margarethe hat den Einfluss des Boesen ueber ihren Geliebten erkannt, wendet sich entsetzt von Faust ab und uebergibt sich ihrem Schicksal, der Hinrichtung. Faust findet ein neues Lebensziel: die Landgewinnung an einer Meereskueste. Das grosse Werk gelingt, und Faust fuehrt ein beinahe reales Leben bis ins hoechste Alter. Als sich sein Tod ankündigt, laesst ihn die SORGE erblinden. Mephistopheles glaubt, den Sieg ueber Fausts Seele errungen zu haben. Doch durch einen winzigen Eingriff in die Originalhandlung erfährt Faust am Ende seines Lebens ein menschliches Mitgefuehl und troestet ein kleines Kind. Diese Tat befaehigt ihn zur sogenannten Erloesung. Aber nicht eine Religion, sondern die Macht der Naechstenliebe, in der bereits Margarethe ihr Ziel fand, nimmt die Seele Fausts auf. Viele weitere Ueberraschungen in Wort und Bild erwarten den Leser.

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Seitenzahl: 322

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsübersicht

Band I

Vorwort

Szene 01 Geburt und Machtergreifung der Religion

Szene 02 Zueignung

Szene 03 Vorspiel auf dem Theater

Szene 04 Prolog im Himmel

Szene 05 Nacht

Szene 06 Vor der Stadt

Szene 07 Bibliothek 1

Szene 08 Bibliothek 2

Szene 09 Intermezzo „Steinigt sie!"

Szene 10 Bibliothek 3

Szene 11 Auerbachs Keller

Szene 12 OP – Saal

Szene 13 Kirchplatz

Szene 14 Intermezzo „Das Mädchen"

Szene 15 Abend

Szene 16 Dialog 1

Szene 17 Marthes Garten

Szene 18 Dialog 2

Szene 19 Erste Begegnung

Szene 20 Liebesgeständnis

Szene 21 Dialog 3 / Margarethes Zimmer

Szene 22 Intermezzo "Der Rosentraum"

Szene 23 Unter der Laterne 1

Szene 24 Intermezzo "Die erste Nacht

Szene 25 Am Taufbecken

Szene 26 Intermezzo "Die zweite Nacht"

Szene 27 Unter der Laterne 2

Szene 28 Valentins Tod

Szene 29 Dom

Szene 30 Intermezzo „Faust im Koma 1“

Szene 31 Die ersten vier Traumerlebnisse

Szene 32 Thronsaal des Kaisers

Szene 33 Karneval

Szene 34 An der Börse

Szene 35 Die Mütter

Szene 36 Warten auf Helena

Szene 37 Helena und Paris

Szene 38 Intermezzo "Faust im Koma 2"

Inhaltsübersicht Band 1 und 2

Band II

Vorwort

Szene 39 Die Geburt des Homunculus

Szene 40 Klassische Walpurgisnacht

Szene 41 Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta

Szene 42 Helena und Faust 1

Szene 43 Intermezzo „Mephistopheles – Panthyrann“

Szene 44 Helena und Faust 2

Szene 45 Walpurgisnacht

Szene 46 Dialog 4 - Der Ritt zu Margarethe

Szene 47 Die Todeszelle

Szene 48 Intermezzo – „Mater Agape"

Szene 49 Dialog 5

Szene 50 Walpurgisnachtstraum

Szene 51 Intermezzo „Erinnerungen“

Szene 52 Revolution

Szene 53 Die besiegte Revolution

Szene 54 Philemon und Baucis

Szene 55 Das neue Land

Szene 56 Tiefe Nacht

Szene 57 Die Sorge

Szene 58 Das Ende

Szene 59 Grablegung

Szene 60 Dialog Mephistopheles – Panthyrann

Szene 61 Epilog

Inhaltsübersicht Band 1 und 2

Nachwort

Gegenüberstellung FAUST I/II --- FAUST 2025

Quellennachweis

Begriffserklärungen

Bühnenmusik

Zum Autor

Vorwort

Beginnt man, in den Bänden „Faust 2025“ zu blättern, stellt sich die Frage, ob es sich um einen Bilderroman, einen Inszenierungsversuch oder einfach nur um ein Spiel mit dem berühmtesten Drama der deutschen Literatur handelt. Die Antwort: Es soll Alles in Einem sein.

Der "Faust" als „Ganzes“ ist in seiner Komplexität kaum aufführbar. Der Stoff verlangt Deutungen, Visionen, Adaptionen - und vor allem Streichungen, um in der heutigen Zeit eine breite Rezeption finden zu können. Eine Aufführung ohne Reduzierung der insgesamt 12111 Verszeilen überfordert ein breites Publikum.

Im „Faust 2025“ wurde gestrichen, wurden Szenen umgeordnet, wurde „gespielt“ mit hinzugefügten Intermezzi und Gestalten, wurden Charaktere umgedeutet, in Beziehungen, abweichend vom Original, zueinander gestellt.

Die Regisseure, die das Gesamtwerk mit umfangreichen Streichungen, Modernität und Witz zu aktualisierten, um die Universalität und Zeitlosigkeit dieses Stoffes (zu Recht) unter Beweis zu stellen, scheiterten, wenn nicht schon zu Beginn des zweiten Teiles, dann aber mit Sicherheit bei der Realisierung des Epiloges, der „Bergschluchten“.

Es gibt nur einen Künstler, und das war ausgerechnet ein Komponist, der diesen Epilog in eine Form brachte, die dieser Schlußszene und damit dem Kulminationspunkt des gesamten „Faust“ gerecht wurde - Gustav Mahler mit seiner Achten Sinfonie. Wie hoch Mahler diese letzten Worte - „Das ewig Weibliche zieht uns hinan“, bewertet hat, dürfte sich jedem erschließen, der diese Sinfonie bewußt hört.

Dieser 2. Sinfonie-Satz ließ die Idee für diese Inszenierungsvariante des „Faust 2025“ entstehen. Auf diesem „Das ewig Weibliche ….“ oder die „Weiblichkeit an sich“ baut sich die gesamte Handlungsfolge auf.

Würde im „Faust II“ nicht die Seele Fausts von der Margarethes in die sogenannte Erlösung geführt, gäbe es neben der ständig präsenten Beziehung Faust - Mephistopheles keine nennenswerten oder entscheidungsträchtigen Zusammenhänge zwischen beiden Faust-Teilen.

Um diesen Kulminationspunkt, das „Ewig Weibliche“ herauszustellen, wurden folgende Überlegungen angestellt, die nicht Unordnung, sondern eine „andere“ Ordnung der Szenenfolge nach sich zogen:

Was hat Mephistopheles mit Faust während der neunmonatigen Zeit der Schwangerschaft Margarethes angestellt? Bei Goethe beträgt die Zeitspanne zwischen dem „Sündenfall“ und der Anklage wegen Kindesmordes wenige Wochen (eher Tage). Es lag also nahe, die Schlägerei zwischen Faust und Valentin zum Anlaß zu nehmen, Faust von seinem Gegner verletzen zu lassen, so daß dieser in einen die fragwürdige Zeit ausfüllenden Komazustand versetzt wird. Es ist bekannt, daß Komapatienten gesprochene Worte hören und im Gedächtnis unbewußt speichern können.

Mephistopheles und sein Gegenspieler Panthyrann sind äußerlich zwar normale Menschen, aber nicht irdischen Ursprunges. Die frei erfundene Gestalt des Panthyrann stellt das ebenbürtige Pendant zu Mephistopheles dar. Beide mythologische Gestalten versuchen in menschlicher Gestalt die Seele des Faust nach seinem Tode für sich zu gewinnen.

Gemeinsam erzählen sie dem im Koma liegenden Faust bildhaft und ausgeschmückt mit vielen Emotionen, alle die Erlebnisse, die ihn Goethe in zweiten Teil des „Faust II“ erleben läßt. In letzter Minute gelingt es den beiden in der „Walpurgisnacht“, also nach den Geschehnissen im Kaiserreich, der „Klassischen Walpurgisnacht“ und den „Helena-Szenen“, Faust in das Bewußtsein zurückzuholen.

Die Handlung kommt in die Realität zurück und bei dem Versuch, Margarethe aus dem Kerker zu befreien, muß Faust feststellen, daß es für die Rettung der einstigen Geliebten zu spät ist. Nach der „Kerkerszene“ flüchten Faust und Mephistopheles zu dem bekannten Kaiser seiner Komaträume und Mephistopheles stellt die Weichen, um Faust zu ermöglichen, sein neues Lebensziel, die Landgewinnung an einer Meeresküste, zu verwirklichen. Faust gelingt das große Werk und er führt ein fast reales Leben bis zum höchsten Alter.

Sein Tod meldet sich an, er erblindet und Mephistopheles ist sich seines Sieges sicher. Aber Faust wird durch einen winzigen Eingriff in die Original-Handlung nicht „erlöst“, weil er „sich strebend bemüht hat“ sondern weil er ein kleines von Angst getriebenen Kind tröstet und liebevoll beruhigt.

Diese Episode wird zum Schlüssel für das Verständnis der Mater Agape, dem Symbol für die Nächstenliebe, die weit über den selbstsüchtigen, machtbesessenen, unglaubwürdigen Religionen, die Menschen ersannen, steht. In ihrem Schatten stehen die Verse des „Epiloges“. Ein kleines Mädchen hat aus dem absoluten Egozentriker einen Menschen, der Gefühlen der Nächstenliebe fähig ist, gemacht.

Der christliche Himmel bereitet sich auf den Empfang Faust`s Seele vor. Die Engel des Herrn singen, der „Herr“ selbst hat die Wette mit Mephistopheles längst vergessen, die Mater Gloriosa übernimmt dessen Stellvertretung, erkennt ihre eigene Inkompetenz und übergibt an die Seele Margarethes. Die erweist sich als kompetent und unter dem Schutz der Mater Agape nimmt sie die Seele des einstigen Geliebten und Vater ihres Kindes in sich auf.

Beide haben in ihrem vergangenen Leben versucht, sich von den religiösen Zwängen, von den Lügen, der Religion zu befreien und gehen einer Erlösung entgegen.

Mit dem „Epilog“ des „Faust 2025“ schließt sich der Kreis, ausgehend von der ersten Szene, der „Geburt und Machtergreifung der Religionen“ bis hin zur Vereinigung der wahren Liebe in einem immateriellen Jenseits Viele weitere Überraschungen in Wort und Bild warten auf den Leser.

Thorolf Kneisz 1. Juni 2025

39

DIE GEBURT DES HOMUNCULUS

Mephistopheles und Panthyrann diskutieren noch immer am Krankenbett Fausts und versuchen, einen machbaren Plan für die geplante Reise ins antike Griechenland zu entwerfen. Panthyrann hat die ungewöhnliche Idee, einen Führer – eine Art Reiseführer – zu erschaffen, denn weder Mephistopheles noch er selbst kennen sich mit der dortigen Mythologie aus. Sie benötigen keinen real existierenden Menschen, sondern ein Bild, das sie in Fausts Gehirn injizieren wollen – ein Trugbild, das Faust und auch sie selbst durch die Geschichte der griechischen Götter- und Geisterwelt führt.

In diesem „Bild“ soll das gesamte Wissen über die nähere und weitere Umgebung sowie die Geschichte Helenas gespeichert sein – und es soll denken, sprechen und sich bewegen können wie ein lebendiges Buch. Panthyrann möchte diesem Pseudowesen sogar ein eigenes Schicksal, ein Lebensziel verleihen. Mephistopheles schlägt vor, bei der Entwicklung dieser Gestalt bewußt darauf zu verzichten, ihr die Fähigkeit zur menschlichen Liebe einzuprogrammieren – aus diesem Mangel könnte sich ein eigenes Drama entfalten.

Der Plan wird angenommen, und die beiden überlegen, wie sie ihn in die Tat umsetzen könnten. Sie beschließen, daß Mephistopheles das ehemalige Labor Fausts aufsuchen soll, um sich dort mit Fausts Nachfolger zu beraten. In diesem Labor sind Magie und Mystik zu Hause – Dr. Wagner, der neue Hausherr, wird sicherlich helfen können. Panthyrann bleibt währenddessen bei Faust und übernimmt dessen Pflege.

Mephistopheles fordert bei seinem Vorgesetzten ein Zauberpferd an und galoppiert trotz der hereinbrechenden Nacht in rasendem Tempo zum Universitätsgelände, wo er Dr. Faust vor nicht allzu langer Zeit in seine Obhut genommen hatte. Er läßt das Pferd unbeaufsichtigt stehen – weder versorgt noch angebunden –, denn Pferde dieser Art leben allein vom „teuflischen Geist“.

Er öffnet die Tür zum Labor – und ist enttäuscht: Ein herzlicher Empfang durch Wagner bleibt aus – im Gegenteil.

Wagner

Ach Gott! was rasselt an der Türe?

Mephistopheles

Willkommen! es ist gut gemeint.

Mephistopheles tritt ein und Wagner schaut nicht einmal zu dem Eintretenden auf.

Wagner

Willkommen zu dem Stern der Stunde!

Doch haltet Wort und Atem fest im Munde!

Ein herrlich Werk ist gleich zustand gebracht.

Mephistopheles

Was gibt es denn?

Wagner

Es wird ein Mensch gemacht.

Mephistopheles

Ein Mensch? Und welch verliebtes Paar

Habt ihr ins Rauchloch eingeschlossen?

Wagner

Behüte Gott! Wie sonst das Zeugen Mode war,

Erklären wir für eitel Possen.

Während Mephistopheles sich amüsiert und eine obszöne Handbewegung macht, ist Dr. Wagner ganz in seinen beschwörenden Gesten versunken und voller Faszination vom Ausgang seines Experiments eingenommen. Entsprechend klingen auch seine Äußerungen:

Wagner

Es leuchtet! Seht! - Nun lässt sich wirklich hoffen,

Es wird! Die Masse regt sich klarer!

Ich seh in zierlicher Gestalt

Ein artig Männlein sich gebärden.

Wagner spricht, als würde er inbrünstig beten. Mephistopheles ist erstaunt, daß Dr. Wagner etwas erschafft, das dem, was er gemeinsam mit Panthyrann geplant hatte, verblüffend ähnelt. In einer brodelnden Masse erscheint ein unbekleideter Jüngling mit kindlichem Gesicht. Ein „neuer“ Mensch durchbricht die Glaswand des Zylinders – doch sein Körper verbleibt in einer Glaskugel, die ihn wie ein angewachsenes Kleidungsstück umschließt. Das Experiment ist nur halb gelungen: Das Wesen kann außerhalb des Mediums im Inneren der Kugel nicht existieren.

Trotz dieses Mißgeschickes ist Wagner außer sich vor Freude und Überraschung. Er beugt sich vorsichtig über das Glas, berührt Hände, Füße, Kopf – und kommt aus dem Staunen nicht heraus. Es ist tatsächlich ein menschliches Wesen, das unter seiner Leitung entstanden ist. Seine Augen leuchten vor Entzücken, sein Mund steht vor Staunen offen. Als das neue Wesen erstmals spricht, umarmt Wagner die Glaskugel mit größter Behutsamkeit und flüstert ihm den Namen zu, den es künftig tragen soll: Homunculus.

Homunculus

Nun, Väterchen! Wie stehts?

Komm, drücke mich recht zärtlich an dein Herz,

Doch nicht zu fest, damit das Glas nicht springe!

Die Sprache des Homunculus formt sich nach mehrfachem Räuspern rasch zur Verständlichkeit – getragen von einem eigentümlichen Nachhall, der aus allen Richtungen zu kommen scheint. Sein „Geist“ ist vollentwickelt und sprudelt über vor Allwissenheit. Mephistopheles erkennt auf Anhieb, daß dieses Retortenwesen genau jene Eigenschaften der Allwissenheit besitzt, die er und Panthyrann für ihre Traumreise in die Mythologie des alten Griechenlands benötigen. Er muß dieses Wesen unbedingt für sich gewinnen – denn in ihm erkennt er den Schlüssel zu den erstaunlichsten Erlebnissen mit Faust.

Homunculus wendet sich Mephistopheles zu, als würde er einen alten Freund begrüßen:

Homunculus

Du aber, Schalk, Herr Vetter, bist du hier?

Im rechten Augenblick, ich danke dir.

Ein gut Geschick führt dich zu uns herein;

Dieweil ich bin, muss ich auch tätig sein.

Ich möchte mich sogleich zur Arbeit schürzen;

Du bist gewandt, die Wege mir zu kürzen.

Er springt empor, läßt sich an den elastischen unsichtbaren Seilen schweben. Wagner erkennt die unbeabsichtigte Universalität seiner Schöpfung und beginnt zu philosophieren:

Wagner

Nur noch Ein Wort! Bisher musst ich mich schämen;

Denn alt und jung bestürmt mich mit Problemen.

Zum Beispiel nur: Noch niemand konnt es fassen,

Wie Seel und Leib so schön zusammenpassen,

So fest sich halten, als um nie zu scheiden,

Und doch den Tag sich immerfort verleiden.

Sodann -

Mephistopheles

Halt ein! Ich wollte lieber fragen:

Warum sich Mann und Frau so schlecht vertragen?

Du kommst, mein Freund, hierüber nie ins reine.

Hier gibts zu tun, das eben will der Kleine.

Homunculus

Was gibt`s zu tun?

Mephistopheles gelingt es, Homunculus zum Fenster des Laboratoriums zu ziehen und ihm in knappen Worten seinen Plan mit Faust zu erläutern. Kaum fällt das Wort Griechenland – und erst recht Helena – wird der Kleine vor Freude nervös: Er springt aufgeregt im Raum umher, gebärdet sich wie ein gefangener Vogel im Käfig. Mit flirrendem Eifer umkreist er den Kopf Mephistopheles’ und umschmeichelt ihn voller Begeisterung.

Mephistopheles gelingt es, die Glaskugel ruhig zu fassen, zieht Homunculus näher zu sich heran und flüstert ihm ins Ohr:

Mephistopheles

Hier zeige deine Gabe!

Wagner

Fürwahr, du bist ein allerliebster Knabe!

Mephistopheles wird von Homunculus aus nächster Nähe gemustert und er entdeckt die beiden kreisrunden Narben auf dessen Stirn. Verdächtige Ahnungen erwecken seine Neugier. Er macht sich in Gedanken bereit, sich mit diesem eigentümlichen Herrn, der mehr sein muß als ein einfacher Mensch wie sein Schöpfer, sein Väterchen, zusammenzutun. Er wendet sich vom Gesicht des Mephistopheles ab und bemerkt:

Homunculus

Bedeutend! -

Homunculus ist in Gedanken bereits im antiken Griechenland und beginnt singend zu schwärmen:

Homunculus

Schön umgeben! Klar Gewässer

Im dichten Haine! Frau`n, die sich entkleiden,

Die Allerliebsten! Das wird immer besser.

Doch eine lässt sich glänzend unterscheiden:

Aus höchstem Helden - wohl aus Götterstamme!

Sie setzt den Fuß in das durchsichtige Helle.

Mephistopheles

Was du nicht alles zu erzählen hast!

So klein du bist, so groß bist du Phantast.

Ich sehe nichts -

Homunculus

Das glaub ich! Du aus Norden,

Im Nebelalter jung geworden,

Im Wust von Rittertum und Pfäfferei,

Wo wäre da dein Auge frei!

Im Düstern bist du nur zu Hause.

Mephistopheles

Der Ausweg soll mich freuen.

Homunculus

Jetzt eben, wie ich schnell bedacht,

Ist klassische Walpurgisnacht:

Das Beste, was begegnen könnte,

Bringt ihn zu seinem Elemente.

Mephistophleles

Dergleichen hab ich nie vernommen.

Homunculus

Wie wollt es auch zu euren Ohren kommen?

Romantische Gespenster kennt ihr nur allein;

Ein echt Gespenst, auch klassisch hat`s zu sein.

Mephistopheles

Mich widern schon antikische Kollegen.

Homunculus

Nordwestlich, Satan, ist dein Lustrevier,

Südöstlich diesmal aber segeln wir:

An großer Fläche fließt Peneios frei.

Hier fragt sich`s nur, wie dieser kann genesen.

Mephistopheles hört das Wiehern der Zauberpferde und kommt zur Besinnung. Vor lauter Begeisterung hat er völlig vergessen, weshalb er überhaupt den Ritt zur ehrwürdigen Universität unternommen hatte. Vor seinem inneren Auge sieht er bereits, wie seine kühnsten Träume mit Hilfe dieses kleinen Retortenwesens Wirklichkeit werden. Doch da ist noch der kranke Dr. Faust, um den es bei all den kommenden Unternehmungen in erster Linie gehen soll. Er muß mit auf diese wundersame Reise – und auch Panthyrann, Freund und Gegenspieler zugleich, wird kaum erfreut sein, wenn er hier im Norden zurückbleiben müßte.

Mephistopheles versucht, den Redefluß des Homunculus zu unterbrechen. Doch dieser will seinen Wortschwall erst zu Ende bringen, bevor er sich mit profanen Angelegenheiten beschäftigen muß – und macht mit einer Geste unmißverständlich klar, daß jegliche Einwände zu warten haben.

Homunculus

Hast du ein Mittel, so erprob es hier;

Vermagst du`s nicht, so überlass es mir!

Du bist ja sonst nicht blöde,

Und wenn ich von thessalischen Hexen rede,

So denk ich, hab ich was gesagt.

Mephistopheles

Thessalische Hexen! Wohl! das sind Personen,

Nach denen hab ich lang gefragt.

Ich glaube nicht, dass es behagt.

Nun hat Mephistopheles das Wort. Er berichtet dem kleinen Homunculus, daß sie einen Umweg machen müssen, um seinen kranken Freund, Dr. Faust, mitnehmen zu können. Und da ist noch ein großer Geist, dem er tief verbunden ist – auch ihm möchte er diese Reise in die griechische Mythologie ermöglichen.

Homunculus scheint die Anliegen des Mannes mit der vernarbten Stirn zu begreifen. Mit übertrieben lässigem Achselzucken winkt er in die Höhe – und eine Glasscheibe schwebt herab. Mephistopheles nimmt darauf Platz. Nebelschwaden hüllen das Laboratorium in Dunkelheit. Die Laborwände lösen sich auf und gleiten im Nebel umher. Die Bühne wird leer und düster.

Homunculus umkreist Mephistopheles, der auf seiner Scheibe im Begriff ist, durch das geschlossene Fenster zu entschweben. Er hat sich offenbar mit dem Umweg abgefunden, um die beiden weiteren Passagiere an Bord zu nehmen. Weiter kreisend ruft er aus der Ferne:

Homunculus

Ich leuchte vor.

Wagner

Und ich?

Homunculus

Du bleibst zu Hause.

Leb wohl!

Wagner beobachtet das magische Geschehen mit entsetztem Ausdruck. Er sieht sein großes Werk in Gefahr – er sieht es entschwinden. Verschiedene Aspekte bei der Erschaffung dieses Wesens hat er außer acht gelassen, und nun muß er die Konsequenzen tragen. Fast schon verliebt blickt er auf den kleinen Mann in der Glaskugel, während seine Gedanken sich bereits mit der Fortführung seiner Forschung beschäftigen. Er wird von vorn beginnen – und diesmal vieles anders machen müssen.

Betrübt ergreift er die Glaskugel, und die Kinderarme des Homunculus umschlingen zum Abschied ihren Schöpfer.

Wagner

Leb wohl! Das drückt das Herz mir nieder.

Ich fürchte schon, ich seh dich niemals wieder.

Mephistopheles ist durch den Nebel unsichtbar geworden, aber laut mit starkem Nachhall ruft er aus der Ferne:

Mephistopheles

Am Ende hängen wir doch ab

Von Kreaturen, die wir machten.

Homunculus ist in seinen Gedanken bereits mitten unter den Geistern und Hexen der klassischen Walpurgisnacht. Er zieht noch einige Kreise, winkt Dr. Wagner freundlich zu – und entschwindet schließlich durch das Fenster.

Nach einer Weile ertönt das aufgeregte Wiehern eines Pferdes, gefolgt vom fernen Verhallen galoppierender Hufe. Das Zauberpferd muß seinen Weg allein zurück in den Stall finden.

40

KLASSISCHE WALPURGISNACHT

Pharsalische Felder / Am oberen Peneios

Der „reale“ Faust liegt in einem Krankenzimmer im Koma. Der „irreale“ Faust beginnt in fantastischen Träumen eine Irrfahrt durch das antike Griechenland – auf der Suche nach einem Frauenidol. Nichts anderes erfüllt seinen Geist als der Name „Helena“.

Im schwach beleuchteten Vordergrund der schwarzen Bühne steht Michelangelos Davidstatue. Daneben hängt eine vertikale, braun-rote Vorhangfläche, vor der Erichtho erscheint. Ihr Auftrittstext erinnert in Ton und Wirkung an Helenas erste Worte beim Eintreffen im Palast des Menelas.

Die „Klassische Walpurgisnacht“ beginnt mit dieser erotisch aufgeladenen Szene – und wird ihren ekstatischen Höhepunkt im großen Erosfest erreichen. Zwei Frauenfiguren intensiver Sinnlichkeit bilden die Eckpfeiler dieser überdimensionierten Szene.

Erichtho

Zum Schauderfeste dieser Nacht, wie öfter schon,

Tret ich einher, Erichtho, ich, die Düstere;

Als Nachgesicht der sorg- und grauenvollsten Nacht.

Erichtho bewegt sich mit begehrender Gestik auf den David aus weißem Marmor zu und läßt nach und nach ihre Hüllen fallen. Unbekleidet berührt sie den Körper aus Marmor und läßt ihrem Lustdrang freien Lauf, bis sie sich zum Orgasmus steigert. Erichthos Arme umschlingen den Körper des David und ihr Oberkörper beugt sich im Rhythmus ihrer Liebeslust nach hinten. Sie kostet die letzten Züge der ausklingenden Lust im mehrfachen Aufbäumen aus und bewegt sich langsam von der Statue fort, hebt im Zurückgehen die fallengelassenen Tücher auf, preßt sie als Bündel gegen ihren Unterleib. Sie wendet sich nochmals dem David zu, streicht an seinem Körper entlang und stellt sich zurück in ihre Ausgangsposition.

Die Gestalt des David wird wellenförmig hell- bis dunkelblau beleuchtet. Das Sexualfeuer einer thessalischen Hexe kann sogar einen Marmorblock in höchste Erregung bringen. Die Mondscheibe wird in der Ferne schwach sichtbar.

Erichtho

Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend hell,

Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall;

Doch über mir! welch unerwartet Meteor?

Ich wittre Leben. Da geziemen will mir`s nicht,

Lebendigem zu nahen, dem ich schädlich bin.

Erichtho verschwindet unbemerkt hinter dem Vorhang. Die Marmorstatue bleibt im matten Licht Erichtho verschwindet lautlos hinter dem Vorhang. Die Marmorstatue bleibt im matten Licht unverändert stehen. Auf den Horizontvorhang wird ein Sternenhimmel projiziert.

Mephistopheles, Panthyrann und Faust schweben schwerelos auf ihrer Glasplatte ein – gefolgt vom separat einfliegenden Homunculus, der neugierig in der unbekannten Landschaft herumspringt und zu Mephistopheles herüberruft:

Homunculus

Sieh! da schreitet eine Lange

Weiten Schrittes von uns hin.

Mephistopheles

Ist es doch, als wär ihr bange:

Sah uns durch die Lüfte ziehn.

Homunculus

Lass sie schreiten! - Setz ihn nieder,

Deinen Ritter, und sogleich

Kehret ihm das Leben wieder;

Denn er sucht`s im Fabelreich.

Faust

Wo ist sie?

Homunculus ist sich seiner Führerrolle durchaus bewußt – doch will er sich amüsieren. Daß es hier um Vergnügungen höchsten Ausmaßes geht, ist ihm ebenso klar wie seinem Kollegen und entfernten Verwandten Mephistopheles. Dabei verfolgt Homunculus, genau wie Faust, ein hohes Ziel: Er möchte seine Körperlichkeit vervollkommnen, um sich endlich als wirklicher, männlicher Mensch zu fühlen. Denn er spürt die Dominanz seines Geistes – und „lebt“ lediglich, weil er noch immer in der Phiole eingeschlossen ist.

Faust hingegen träumt ausschließlich von Helena und ist auf dem Weg zu ihr vor Sehnsucht außer sich. Homunculus und Faust schließen sich zu einer Art Interessengemeinschaft zusammen, um gemeinsam das Ziel ihrer Sehnsüchte zu erreichen.

Mephistopheles bleibt dabei mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Noch ohne konkretes Ziel, überläßt er sich den Ereignissen – und läßt Entscheidungen planlos auf sich zukommen.

Homunculus

Wer zu den Müttern sich gewagt

Hat weiter nichts zu überstehen.

Mephistopheles

Lass deine Leuchte, Kleiner, tönend scheinen.

Homunculus

So soll es blitzen, soll es klingen.

Homunculus schwebt in riesigen Sprüngen davon und Mephistopheles legt sich in unmittelbarer Nähe der Davidstatue auf den Bauch und seine Augen suchen vergeblich nach der verschwundenen Erichtho. Faust läuft allein auf der Bühne hin und her und - „sucht“.

Faust

Wo ist sie? - Frage jetzt nicht weiter nach!

Und find ich hier das Seltsamste beisammen,

Durchforsch ich ernst dies Labyrinth der Flammen.

Homunculus verschwindet nach einigen letzten wilden Sprüngen im Dunkel eines Zypressenhains.

Faust folgt ihm – auch er ist nun nicht mehr zu sehen. Nur Mephistopheles bleibt zurück und macht Bekanntschaft mit den Sagenwesen der Mythologie. Nach Teufelsherzenslust amüsiert er sich, nachdem er sich von Panthyrann verabschiedet hat, der noch immer unschlüssig auf der Glasscheibe verweilt.

Von rechts treten zwei Sphinxe auf die Bühne – katzenartige Wesen von solcher Größe, daß ihre Köpfe jeden erwachsenen Mann überragen. Ihre Stimmen sind akustisch verzerrt, so daß ein kehliges Krächzen entsteht.

Ein großer schwarzer Kubus, in dem die Sirenen auf ihren Auftritt warten, schwebt über den Sphinxen und über Mephistopheles, der sich während der Bühnenverwandlung lässig an das Standbild des David lehnt. Mit ironischer Gelassenheit beobachtet und kommentiert er die Ankunft der mythologischen Gestalten – nicht ohne gelegentlich mit dem Kopf zu schütteln.

Mephistopheles

Fast alles nackt, nur hie und da behemdet,

Die Sphinxe schamlos, unverschämt die Greife,

Zwar sind auch wir von Herzen unanständig,

Doch das Antike find ich zu lebendig;

Ein widrig Volk!

Die beiden Sphinxe bewegen sich in den Vordergrund und stehen dicht beieinander. Sie bemerken Mephistopheles, der auf sie zukommt, mustern ihn als Fremden, als Eindringling.

Sphinx

Nenne dich!

Mephistopheles

Mit vielen Namen glaubt man mich zu nennen. -

Keine der beiden Sphinxe zeigt auffallendes Interesse an Mephistopheles. Er wird mehrfach in seiner Erzählung unterbrochen und gefragt:

Sphinx

Hast du von Sirenen einige Kunde?

Was sagst du zu der gegenwärtigen Stunde?

Mephistopheles geht auf den liebenswürdigen Ton der Sphinxe ein und wagt es, die erste zu berühren und zu kraulen. Die windet sich behaglich, während die andere sofort eifersüchtig mit den Vorderfüßen scharrt und zu verstehen gibt, daß auch sie Lust auf Zärtlichkeiten hat.

Mephistopheles

Mir ist wohl an dieser trauten Stelle,

Ich wärme mich an deinem Löwenfelle.

Am Horizont machen sich mehrere Vögel bemerkbar, die von Ferne die Ankunft unbekannter Menschen bemerkt haben. Sie nehmen erstaunliche Größe an. Ihnen ist die Nähe von Menschen widerwärtig. Entsprechend reagieren sie:

Erster Greif

Den mag ich nicht!

Zweiter Greif

Was will uns der?

Sphinx

Du magst nur immer bleiben.

Mephistopheles

Du bist recht appetitlich oben anzuschauen

Doch untenhin - die Bestie macht mir Grauen.

Die im Inneren des schwebenden Kubus wartenden Sirenen treten hervor, beginnen zu singen und sich tänzerisch zu bewegen. Mehrere halb- oder völlig entkleidete Frauen schwingen sich an Seilen auf die obere Ebene des Kubus. Der Überlieferung entsprechend ergreifen alle Anwesenden – gleich ob Mensch oder Fabelwesen – beim Anblick der Sirenen die Flucht. Sogar die Greife verbergen sich hinter dem herabgelassenen, dunkelroten Vorhang.

Mephistopheles

Wer sind die Vögel?

Sphinx

Die Allerbesten

Hat solch ein Singsang schon besiegt.

Die Gespräche zwischen den Sphinxen und Mephistopheles haben einen herzhaften lästerlichkameradschaftlichen Tonfall angenommen.

Mephistopheles

Das Trällern ist bei mir verloren:

Es krabbelt wohl mir um die Ohren,

Allein zum Herzen dringt es nicht.

Sphinxe

Sprich nicht vom Herzen! Das ist eitel:

Ein lederner, verschrumpfter Beutel,

Das passt dir eher zu Gesicht.

Das Lied der Sirenen klingt noch immer aus der Höhe, ist aber leiser geworden, denn die Sirenen haben ihren Vorhang wieder zugezogen. Die auf dem Kubus Verharrenden nehmen eine Schlafhaltung ein. Die Sphinxe und Greife wagen sich vorsichtig aus ihren Verstecken zurück.

Faust hat seinen Rundgang durch die hinteren Bühnenbereiche abgeschlossen. Er tritt in die Nähe der Davidstatue und beobachtet – staunend und kommentierend – das Treiben der Greife und Sphinxe.

Faust

Wie wunderbar! Das Anschau`n tut mir G`nüge:

Wohin versetzt mich dieser ernste Blick!

Vom frischen Geiste fühl ich mich durchdrungen:

Gestalten groß, groß die Erinnerungen.

Mephistopheles nähert sich Faust, legt seinen Arm um dessen Schulter und spricht sehr kameradschaftlich:

Mephistopheles

Sonst hättest du dergleichen weggeflucht.

Doch jetzo scheint es dir zu frommen;

Denn wo man die Geliebte sucht,

Sind Ungeheuer selbst willkommen.

Faust

Ihr Frauenbilder müsst mir Rede stehn:

Hat eins der euren Helena gesehn?

Sphinx

Von Chiron könntest du`s erfragen;

Der sprengt herum in dieser Geisternacht;

Kannst du den hohen Chiron finden,

Erfährst du, was ich dir verhieß.

Faust verbeugt sich nach europäischer Sitte und legt die Hand auf Mephistopheles’ Schulter, um gemeinsam mit ihm den Hoffnungsträger Chiron aufzusuchen. Die Greife ziehen sich vorsichtshalber zurück. Auf der Bühne erscheinen, noch schemenhaft und von diffusem Licht umspielt, die Nymphenstatuen für die nächste Szene.

Gleichzeitig tobt das Spektakel der Lernäischen Schlange Hydra: Ein Sturm aus farbigen Chiffontüchern, an deren Spitzen gräßlich aufgerissene Schlangenmäuler prangen, rast über die Bühne. Faust und Mephistopheles weichen erschrocken zurück und suchen Schutz im Dunkel.

Sphinx

Vor diesen sei euch ja nicht bange!

Es sind die Köpfe der Lernäischen Schlange,

Vom Rumpf getrennt, und glauben was zu sein.

Das Schlangenspektakel ist vorbei, Mephistopheles hat sich erhoben und zeigt Absichten, zu gehen, um weiteres zu erleben, während Faust wie angenagelt stehenbleibt.

Sphinxe

Wo wollt ihr hin? - Begebt euch fort! -

Mephistopheles

Ihr bleibt doch hier, dass ich euch wiederfinde?

Ja! Misch dich zum luftigen Gesinde!

Wir, von Ägypten her, sind längst gewohnt,

Dass unsereins in tausend Jahren thront.

Mephistopheles wandert in die hintere Bühne, Faust läuft am Ufer des Peneios entlang und läßt sich faszinieren vom Anblick der weißglänzenden Marmor-Nymphen. Er beginnt ein Gespräch mit ihnen.

Faust

So wunderbar bin ich durchdrungen!

Sind`s Träume? Sind`s Erinnerungen?

Schon einmal warst du so beglückt.

Die Nymphen sprechen im Chor. Ihre Aussprache wird immer rhythmischer und geht in das Hufschlagen über, das die Ankunft des Chiron ankündigt.

Nymphen

Hör ich recht, so kommt mir`s vor

Als der Schall von Pferdes Hufe.

Wüsst ich nur, wer dieser Nacht

Schnelle Botschaft zugebracht!

Der Hufschlag Chirons schwillt zu einem ohrenbetäubenden Getöse an. Im Sternenhimmel formt sich allmählich die riesenhafte, jedoch verschwommene Gestalt Chirons. Doch entgegen allen Erwartungen ist Chiron weiblich – kein Zentaur von männlichem Geschlecht.

Das Donnern der Hufe klingt langsam ab, und die überlebensgroße Erscheinung bewegt sich in feierlicher Ruhe auf Faust zu.

Faust

Ist mir doch, als dröhnt` die Erde,

Schallend unter eil`gem Pferde!

O Wunder ohnegleichen!

Halt, Chiron! Halt! Ich habe dir zu sagen -

Chiron

Was gibt`s? Was ist`s?

Faust

Bezähme deinen Schritt!

Chiron

Ich raste nicht.

Faust

So, bitte, nimm mich mit!

Chiron

Sitz auf! So kann ich nach Belieben fragen:

Wohin des Wegs? Du stehst am Ufer hier,

Ich bin bereit, dich durch den Fluß zu tragen.

Chiron läßt sich auf die Knie sinken und winkt Faust zu, sich auf ihren Rücken zu setzen. Mit ungeahnter Leichtigkeit schwingt sich Faust auf den Pferderücken und hält sich an der Mähne des Tieres fest.

Faust

Du hast die Größten deiner Zeit geseh´n,

Doch unter den heroischen Gestalten

Wen hast du für den Tüchtigsten gehalten?

Chiron

Im hehren Argonautenkreise

War jeder brav nach seiner eignen Weise,

Die Dioskuren haben stets gesiegt,

Dann Orpheus: zart und immer still bedächtig,

Schlug er die Leier, allen übermächtig.

Scharfsichtig Lynkeus, der bei Tag und Nacht

Das heil´ge Schiff durch Klipp und Strand gebracht.

Faust

Vom schönsten Mann hast du gesprochen, Nun sprich auch von der schönsten Frau!

Chiron

Was! - Frauenschönheit will nichts heißen,

Ist gar zu oft ein starres Bild;

Nur solch ein Wesen kann ich preisen,

Das froh und lebenslustig quillt.

Die Schöne bleibt sich selber selig;

Die Anmut macht unwiderstehlich,

Wie Helena, da ich sie trug.

Faust

Du trugst sie?

Chiron

Ja, auf diesem Rücken.

Während des vergangenen Gesprächs ist Chiron langsam weitergeschritten und hat eine Brücke erreicht, die sich über den Peneios spannt. Dort bleibt sie stehen – und im Wasser darunter erblickt Faust das Spiegelbild Margarethes. Er ist wie verzaubert, greift nach der Erscheinung, verliert fast das Gleichgewicht und muß sich hastig in Chirons Mähne festklammern, um nicht ins Wasser zu stürzen. Der Ritt setzt sich fort – und mit ihm verblaßt das Bild.

Chiron

Sie fasste so mich in das Haar,

Wie du es tust.

Faust

O ganz und gar

Verlier ich mich! Erzähle, wie?

Sie ist mein einziges Begehren!

Woher, wohin, ach! Trugst du sie?

Chiron

Die Frage lässt sich leicht gewähren.

Die Dioskuren hatten jener Zeit

Das Schwesterchen aus Räuberhand befreit.

Chiron gerät ins Schwärmen, und ihre Stimme verändert sich – weich, träumerisch, beinahe singend.

Faust fühlt sich Helena näher denn je, seinem göttlichen Ziel dieser Reise. Er spürt die angenehme Weiblichkeit des liebenswürdigen Pferdemenschen und beginnt, hinter den großen, hoch aufgerichteten Ohren das Fell zu kraulen und sanft zu streicheln.

Mit wachsamer Neugier beobachtet er, wie sich die Ohren anlegen und leicht zu zittern beginnen. Er treibt das Spiel weiter – der Kopf hebt sich gen Himmel, und schließlich endet das Spiel in einem lustvollen Wiehern.

Chiron

Die Brüder wateten, ich patschte, schwamm hinüber;

Da sprang sie ab und streichelte

Die feuchte Mähne, schmeichelte

Und dankte lieblich-klug und selbstbewusst.

Wie war sie reizend! Jung, des Alten Lust!

Faust

Das ewige Wesen, Göttern ebenbürtig,

So groß als zart, so hehr als liebenswürdig?

Du sahst sie einst, heut hab ich sie gesehn,

So schön wie reizend, wie ersehnt so schön!

Nun ist mein Sinn, mein Wesen streng umfangen:

Ich lebe nicht, kann ich sie nicht erlangen.

Chiron

Mein fremder Mann, als Mensch bist du entzückt;

Doch unter Geistern scheinst du wohl verrückt.

Nun trifft sich´s hier zu deinem Glücke;

Denn alle Jahr, nur wenig Augenblicke,

Pfleg ich bei Manto vorzutreten

Faust

Geheilt will ich nicht sein.

Chiron

Geschwind herab. Wir sind zur Stelle.

Manto lebt zurückgezogen wie ein Eremit in einem fiktiven Gebäude. Ihre Stimme klingt, als käme sie aus weiter Ferne. Mit den anderen Gestalten ihrer Sagenwelt steht sie kaum in Verbindung. Erst im Laufe des Gesprächs erscheint sie zwischen den Balken ihrer Behausung schemenhaft aus dem Halbdunkel heraus.

Faust beugt sich vor, und ein Schütteln Chirons bedeutet ihm, abzusteigen. Er gleitet vom Rücken des Pferdewesen und stellt sich – neugierig auf die Begegnung mit einem weiteren Fabelwesen – etwas seitlich vor Mantos Balkenbehausung auf.

Manto

Von Pferdes Hufe

Erklingt die heilige Stufe,

Halbgötter treten heran.

Chiron

Ganz recht!

Nur die Augen aufgetan!

Manto

Willkommen!

Streifst du noch immer unermüdet?

Chiron

Wohnst du noch immer still umfriedet,

Indes zu kreisen mich erfreut.

Manto

Ich harre, mich umkreist die Zeit. -

Und dieser?

Chiron

Helenen, mit verrückten Sinnen,

Helenen will er sich gewinnen

Und weiß nicht, wie und wo beginnen:

Manto

Den lieb ich, der Unmögliches begehrt.

Tritt ein, Verwegner, sollst dich freuen!

Das Bild Mantos verblaßt und entschwindet. In der Öffnung ihrer Behausung erscheint jene Glasplatte, auf der Faust und Mephistopheles zu Beginn der „Klassischen Walpurgisnacht“ eingeschwebt waren. Faust betritt sie. Während sich die Bühne langsam verdunkelt, steigt er auf der Glasfläche in den Sternenhimmel empor – das folgende Intermezzo nimmt seinen Anfang.

Mit diesem Bild endet die Suche nach Helena – abrupt, fast unvermittelt. Goethe läßt vollkommen offen, wie der Übergang zum eigentlichen „Helena-Akt“ erfolgen soll. Alles, was nun folgt – etwa Mephistopheles’ Verwandlung in Phorkyas oder der zweite Abschnitt der „Klassischen Walpurgisnacht“, die sogenannten „Felsbuchten“ – steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mehr mit Fausts Suche nach Helena.

Das Bild von Margarethe erscheint in der weiß leuchtenden Mondscheibe und deutet auf die erreichbare Nähe zu Helena hin. Die Statue des David erinnert an den Beginn der Klassischen Walpurgisnacht. Doch das Bild verblaßt rasch im gleißenden Licht des Mondes und verschwindet.

Die Handlung geht über in die Szenen der „Pharsalischen Felder / Am oberen Peneios“.

Seismos ist der nächste Gott, dem Faust begegnet. Seine Stimme dringt tief aus dem Bühnenboden empor. Ein drohendes Erdbeben kündigt sich an – begleitet von Donnergrollen, Zischen und heulendem Sturm, die Seismos’ Worte eindrucksvoll unterstreichen.

Die beiden Greife flattern erschrocken in die Höhe und bleiben zitternd in der Luft stehen. Vor Angst verlieren sie jeweils einen Haufen, der mit lautem Klatschen auf der Bühne aufschlägt. Auch die Sphinxe rücken auf der linken Bühnenseite eng zusammen und suchen Schutz beieinander.

Seismos

Einmal noch mit Kraft geschoben,

Mit den Schultern brav gehoben!

So gelangen wir nach oben,

Wo uns alles weichen muss.

Sphinxe

Welch ein widerwärtig Zittern,

Hässlich grausenhaftes Wittern!

Welch unleidlicher Verdruss!

Doch wir ändern nicht die Stelle,

Bräche los die ganze Hölle.

Zum Erdbeben gesellt sich ein Vulkanausbruch. Stichflammen schießen in den Himmel, glühende Lavaströme wälzen sich von den Berghängen herab. Wieder flattern die Greife aufgeschreckt in die Luft, und die Sphinxe versuchen, sich schutzsuchend zu verkriechen. Die Statue des David stürzt um und treibt in einem der Lavaströme davon.

Das Epizentrum des Bebens erscheint als großflächige Projektion auf dem Bühnenboden. Allmählich beruhigen sich die entfesselten Naturgewalten – doch die Landschaft ist eine andere geworden, neu geformt durch das Chaos.

Aus den aufgerissenen Erdspalten krabbeln riesenhafte Ameisen hervor, die sich sogleich zu monströsen Wesen aufblähen. Ihr Erscheinen wird begleitet von unheimlichem, zwitscherndem Gemurmel.

Greife

Gold in Blättchen, Gold in Flittern

Durch die Ritzen seh ich zittern.

Lasst euch solchen Schatz nicht rauben!

Imsen, auf! es auszuklauben.

Chor der Ameisen

In solchen Ritzen

Ist jedes Bröselein

Wert zu besitzen.

Allemsig müsst ihr sein,

Ihr Wimmelscharen;

Nur mit dem Gold herein!

Den Berg lasst fahren!

Greife

Herein! Herein! Nur Gold zu Hauf,

Wir legen unsere Klauen drauf;

Der Berg wird durch einen Halbkreisbogen symbolisiert, in den ein rechtwinkliges Dreieck eingefügt ist – gemäß dem „Satz des Thales“, dem zufolge alle Winkel, die auf einem Halbkreisbogen liegen, rechte Winkel sein müssen.

Der vordere Bereich des Epizentrums bricht krachend ab – und aus der klaffenden Bruchstelle treten die Pygmäen hervor, als simple Gartenzwerge kostümiert. An ihrer Spitze steht die Pygmäen-Älteste:

eine zwergenhafte Gestalt obszöner Erscheinung, deren kreischende Stimme mit starkem Nachhall durch das Theater hallt.

Pygmäen

Fraget nicht, woher wir kommen;

Denn wir sind nun einmal da!

Pygmäen-Älteste

Ihr Imsen alle,

Rührig im Schwalle,

Schafft uns Metalle!

Schafft uns Metalle!

Schafft uns Metalle!

Schafft uns Metalle!

Schafft uns Metalle!

Schafft uns Metalle!

Schafft uns Metalle!

Mephistopheles kommt stolpernd aus der rechten Nebenbühne und läuft auf den neu entstandenen Berg zu. Er wird verfolgt von einer Schar Lamien, blutgierigen Vampiren-Frauen, die in verführerischen Gestalten ihre Opfer anlocken. Sie haben es auf Mephistopheles abgesehen. Die acht Lamien sind Prostituierte in roten Leder- bzw. Latexkleidern, deren Oberste, die Empuse, als Domina erscheint. Sie hebt sich von den anderen durch die Farbe ihre Kleidung ab.

Die Lamien umkreisen Mephistopheles und treiben ihn, durcheinander sprechend, in die Enge. Ihre Aussprache ist eher sanft und einschmeichelnd und steht im Widerspruch zu ihrem Äußeren.

Mephistopheles erschrickt sichtlich, nimmt die Bedrohung aber noch nicht ernst. Er stampft mit dem Fuß lautstark auf, so daß die Lamien erschrocken flüchten, aber furchtlos schnell wieder zurückkommen.

Mephistopheles

Die nordischen Hexen wusst ich wohl zu meistern,

Mir wird`s nicht just mit diesen fremden Geistern.

Lamien

Geschwind! Geschwinder!

Und immer weiter!

Es ist so heiter,

Den alten Sünder

Uns nach zu ziehen

Zu schwerer Buße.

Mit starrem Fuße

Kommt er geholpert,

Einhergestoplpert;

Er schleppt das Bein,

Wie wir ihn fliehen,

Uns hinterdrein.

Mephistopheles erschrickt sichtlich, nimmt die Bedrohung aber noch nicht ernst. Er stampft mit dem Fuß lautstark auf, so daß die Lamien erschrocken flüchten, aber furchtlos schnell wieder zurückkommen.

Mephistopheles

Die nordischen Hexen wusst ich wohl zu meistern,

Mir wird`s nicht just mit diesen fremden Geistern.

Lamien

Geschwind! Geschwinder!

Und immer weiter!

Es ist so heiter,

Den alten Sünder

Uns nach zu ziehen

Zu schwerer Buße.

Mit starrem Fuße

Kommt er geholpert,

Einhergestoplpert;

Er schleppt das Bein,

Wie wir ihn fliehen,

Uns hinterdrein.

Vier der Lamien kriechen zu Mephistopheles und versuchen, an seinen Beinen in Richtung seines Geschlechtsteiles emporzugreifen, so daß sich Mephistopheles einer sexuellen Erregung nicht erwehren kann. Vorsichtig schiebt er die Zudringliche zurück. Genuß und Bedrohung mischen sich in seinen Gefühlen. Kommt ihm eine zu nahe, klatscht er mit Hand nach ihr. Erstaunt bemerkt er, daß die Hände der Lamien bei fester Berührung weich wie Luftballons werden, bei denen die Luft entweicht.

Er greift nach ihren Körpern, sofern das bei deren wallender Bekleidung gelingt, und bei jeder Berührung erschlafft der Körper der Lamie ebenfalls. Ist die Berührung beendet, strafft sich ihr Körper in die alte verführerische Schönheit. Mephistopheles fühlt die Gänsehaut auf seinem Rücken und ein eigenartiges Gefühl in der Magengegend. Sein Kommentar:

Mephistopheles

Wo man sie anfasst, morsch in allen Gliedern.

Man weiß, man sieht`s, man kann es greifen,

Und dennoch tanzt man, wenn die Luder pfeifen!

Lamien

Halt! Er besinnt sich, zaudert, steht;

Entgegnet ihm, dass er euch nicht entgeht!

Wieder hängen vier Lamien an ihm und erregen seine Sexualität in höchstem Grade, so daß er sich kurz vor einem Orgasmus fühlt.

Mephistopheles

Denn wenn es keine Hexen gäbe,

Wer Teufel möchte Teufel sein!

Lamien

Kreisen wir um diesen Helden!

Liebe wird in seinem Herzen

Sich gewiss für eine melden.

Mephistopheles

Zwar bei ungewissem Schimmer

Scheint ihr hübsche Frauenzimmer,

Und so möcht ich euch nicht schelten.

Lamien

Die ist in unserm Kreis zuviel,

Verdirbt doch immer unser Spiel.

Empuse schiebt die Mephistopheles umringenden Lamien beiseite und versucht, sich an den Mann heranzumachen. Die Lamien schimpfen und wehren sich.

Empuse läßt sich nicht vertreiben und greift Mephistopheles hart mit einer Hand an der rechten Schulter und versucht, sein Geschlecht in die linke Hand zu bekommen. Auch seinen Hals versucht sie zu küssen, daß ein möglichst großer Knutschfleck bleibt. Da das nicht gelingen will, lallt sie ihre vier Verszeilen dem Mephistopheles ins Ohr.

Empuse

Begrüßt von Mühmichen Empuse,

Der Trauten mit dem Eselsfuße!

Du hast nur einen Pferdefuß,

Und doch, Herr Vetter, schönsten Gruß!

Sie drohen ihm mit ihren weit geöffneten Gebissen. Bei dem Anblick erschrickt selbst der Teufel, stößt sie von sich und flüchtet. Aber er kommt nicht weit, denn die Lamien schneiden ihm den Weg ab, bedrängen ihn, greifen nach seinem Geschlecht, hängen sich an ihn, so daß er fast stürzt.

Mephistopheles

Hier dacht ich lauter Unbekannte

Und finde leider Nahverwandte;

Es ist ein altes Buch zu blättern

Vom Harz bis Hellas immer Vettern!

Ich merk, es hat bei diesen Leuten

Verwandtschaft Großes zu bedeuten;