Faustinas Vollendung - Rupert Thomson - E-Book

Faustinas Vollendung E-Book

Rupert Thomson

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Beschreibung

„Wie ein Drehbuch von Borges für einen Film von Alfred Hitchcock.“ The Independent Gaetano Zummo, vor Jahren durch Intrigen seines Bruders mit Schimpf aus dem heimatlichen Sizilien gejagt, wird 1691 von Cosimo III. an den Hof in Florenz geholt. Er hat sich als Bildhauer einen Namen gemacht, besonders durch seine einzigartige Fähigkeit, die Vergänglichkeit selbst darzustellen, in bisweilen schockierenden Studien des Verfalls. Die Gunst des Großherzogs schafft ihm Arbeitsmöglichkeiten wie nie zuvor, erweckt aber auch die Missgunst mächtiger Neider: allen voran der Dominikanerpater und brutale Inquisitor Stufa. Höchst gefährlich wird Zummos Lage, als er die Liebe der ebenso mysteriösen wie schönen Apothekerin Faustina gewinnt, die nach geltendem Gesetz als Hure vogelfrei wäre, sollten sie entdeckt werden. Während Zummo am liebsten sein Glück festhalten würde, zieht Stufa das Netz um ihn immer enger. Dies ist der Augenblick, da Zummo erkennt, dass er mit seinem Leben für das einstehen muss, was wirklich wichtig ist. Auch wenn er gegen den Meisterfechter Stufa keine Chance hat, stellt er sich dem Kampf mit ihm – und als listenreicher Sizilianer hat er einen aberwitzigen Plan. Doch selbst im Erfolgsfall wird es kaum eine Zukunft geben für ihn und seine geliebte Faustina. Ein fast perfekter Roman über unsere Sehnsucht nach Unsterblichkeit.

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RUPERT THOMSON

FaustinasVollendung

ROMAN

Aus dem Amerikanischenvon Nadine Püschel und Max Stadler

Impressum

Titel der Originalausgabe unter dem Titel

Secrecy

erschien 2013 bei Granta Books, London.

ISBN 978-3-8412-0767-8

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, Februar 2014

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die deutsche Erstausgabe erschien 2014 bei Aufbau, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Copyright © 2013 by Rupert Thomson

Translated from the English language: SECRECY

First published by: Granta Publications, 2013

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung hißmann, heilmann, Hamburg unter Verwendung eines Gemäldeausschnitts »Lucrezia Panciatichi« von A. Bronzino, akg-images / Rabatti - Domingie

E-Book Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig, www.le-tex.de

www.aufbau-verlag.de

Inhaltsübersicht

Cover

Impressum

Widmung

EINS

ZWEI

DREI

DANKSAGUNG

Informationen zum Buch

Informationen zum Autor / den Übersetzern

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne ...

Für Calvin Mitchell

Auf ewig

»Hund zu Wolf, Licht zu Zwielicht, Leere zu wartender Gegenwart.«

Thomas Pynchon

»Angst ist ein Teil von mir.«

Ryūichi Tamura

EINS

Er kam an einem Novembertag. Ein kalter Wind blies, und die Felder waren vom Regen durchtränkt. Man schrieb das Jahr 1701. Von meinen Privatgemächern aus sah ich seine Kutsche knarrend zum Halt kommen, ein dürres, spinnenartiges Ding, schwarz vor dem rauchigen Blau der Pflastersteine. Die Tür öffnete sich eine Handbreit, ging wieder zu. Dann schwang sie weit auf. Beim Aussteigen tastete sich sein Fuß geradezu widerwillig dem Boden entgegen. In diesem Moment wurde mir klar, dass er dem Tode geweiht war. Die Erkenntnis überrumpelte mich, und ich musterte ihn noch eingehender. Eine schmächtige Gestalt in dunklem, bis zum Hals zugeknöpftem Mantel, die zu den triefenden Klostermauern hinaufstarrte. Mein Fenster befand sich im obersten Stockwerk; er bemerkte mich nicht.

Im Monat zuvor hatte ich einen Brief von ihm erhalten. Ihr kennt mich nicht, begann er, aber ich habe Euch etwas von größter Wichtigkeit mitzuteilen. Etwas, das nur persönlich, von Angesicht zu Angesicht, übermittelt werden sollte. Seine Handschrift war so kraus und gedrängt wie eine Dornenhecke, und er hatte mehr Worte gebraucht als eigentlich nötig. Ein Zeichen von Nervosität? Von mangelnder Bildung? Ich konnte es nicht sagen. Ich beobachtete, wie er mit dem Torwächter sprach, der über ihn hinweg einen Blick mit dem Kutscher wechselte. Auf ihren Gesichtern zeichnete sich Ratlosigkeit ab und auch ein Hauch von Spott. Hatten sie gespürt, was ich spürte? Vielleicht kommt im Leben irgendwann der Augenblick, wo wir nicht mehr die gewohnte Aufmerksamkeit erhalten, wo die Welt uns plötzlich ignoriert, weil sie nicht länger glaubt, dass wir von Bedeutung für sie sind. Mit einem Schaudern wandte ich mich ab.

Ich setzte mich und begann, mich vorzubereiten. Abgesehen von dem Opalring an meiner linken Hand, war der Frisiertisch das einzige Zugeständnis an meine Eitelkeit; große Freude hatte ich allerdings nicht daran. Der Spiegel zeigte mir Falten, Hängebacken, Wülste – die Modellierarbeit so vieler von Gedankenlosigkeit und Enttäuschung geprägter Jahre. Aber wenigstens hatte ich gelebt, obschon inzwischen sechsundfünfzig … Dazu die einfache, sackartige Robe einer Äbtissin – ausgerechnet ich, Marguerite-Louise von Orléans! Wer hätte das gedacht? Gewiss nicht der Tanzlehrer, obwohl er das Kostüm sicherlich unterhaltsam gefunden hätte. Nicht der Koch, nicht der Dichter, auch nicht der Stallbursche. Nein, keiner meiner zahlreichen Liebhaber. Außer vielleicht der Großherzog der Toskana. Bei ihm konnte ich aber nicht behaupten, je einen Liebhaber in ihm gesehen zu haben. Ehegatte, ja. Nicht Liebhaber. Diese Bezeichnung hatten seine halbherzigen Liebesbezeugungen nicht verdient. Ich war mir allerdings sicher, dass er den Beschluss des Königs von Frankreich, mich in ein Kloster abzuschieben, gebilligt hatte. Da ist sie gut aufgehoben, konnte ich ihn sagen hören. Mögen seine Knochen in der Hölle zu Staub gemahlen werden. Amen.

Ich trug Rouge auf meine Wangen auf und zog die stolzen Bogen meiner Augenbrauen nach. Meine Lippen, die nicht mehr so großzügig ausgeprägt waren wie früher, benötigten ebenfalls eine Verschönerung. Gerade da wurde ich von einer Novizin unterbrochen. Als sie sah, was ich tat, errötete sie und wandte den Blick ab.

Sie sagte, ich hätte Besuch.

»Ich weiß«, antwortete ich.

Als sie ihn hereinführte, stand ich am Fenster meines Empfangszimmers. Kahle Wände, harte Stühle. Die Feuerstelle ächzte unter Holzscheiten, die nur mühsam Feuer fingen.

»Zumbo«, begrüßte ich ihn.

Er verbeugte sich. »Ehrwürdige Mutter.«

Seinem Mantel nach zu urteilen, der erkennbar ferner Herkunft und deutlich abgetragen war, hatte ich es mit einem bescheidenen Menschen zu tun oder zumindest mit einem Mann, der sich nicht um Mode scherte. Unter seinem Arm klemmte eine abgegriffene braune Mappe.

»Also, nun ja«, fuhr er fort, »ich war mir nicht sicher, wie ich Euch ansprechen sollte …«

»Ehrwürdige Mutter genügt.«

Er sah mich geradeheraus und mit einer seltsamen Mischung aus Neugierde und Zuneigung an. Die Haut um seine Augen war verquollen, als hätte er längere Zeit nicht geschlafen.

Ich wandte mich an die Novizin. »Du kannst gehen.« Sobald sie das Zimmer verlassen hatte, trat ich näher an meinen Besucher heran. »Es geht Euch nicht gut, nicht wahr?«

»Darf ich mich setzen?«

Ich führte ihn zu einem Sessel am Feuer.

Im Sommer, berichtete er, war er in Marseille urplötzlich von gewaltigen Kopfschmerzen niedergestreckt worden. Daraufhin hatte man ihn in eine Herberge nahe dem Hafen gebracht. Es hatte nach Fischinnereien gestunken; als er wieder zu sich kam, musste er sich sofort übergeben. Da die Wirtin leuchtend rotes Haar hatte, dachte er in seinem Delirium, sie stünde in Flammen, und bat um Wasser; nicht weil er Durst hatte, sondern um das Feuer zu löschen. Seine Lippen verzogen sich zu einem kurzen, trockenen Lächeln, bevor er weitersprach. Der von der Wirtin gerufene Feldscher hatte ihm mitgeteilt, dass seine Leber versage und er binnen eines Monats sterben werde. Aber dieser Monat war nun schon lange verstrichen. Bei seiner Ankunft in Paris hatte der Leibarzt des Königs die Diagnose jedoch bestätigt.

»Ich wusste, dass Ihr krank seid«, sagte ich. »Die Art, wie Ihr aus der Kutsche gestiegen seid …«

Zumbo rieb sich mit der flachen Hand die Seite seines Kopfes.

»Euer Brief hat meine Neugierde geweckt«, fuhr ich fort. »Was Ihr ja sicher auch beabsichtigt habt, nicht wahr? Ihr verrietet gerade genug, um eine Audienz zu erwirken.«

Im Schornstein heulte der Wind; vom Kamin zog Rauch ins Zimmer. »Ich gestehe, dass ich noch nie von Euch gehört hatte. Ich musste Erkundigungen einholen.«

Er warf mir einen beunruhigten Blick zu. »Und was habt Ihr in Erfahrung gebracht?«

»Es gibt einige Unstimmigkeiten bezüglich Eures Namens.«

»Mein Geburtsname ist Zummo«, antwortete er, »und ich bin den größten Teil meines Lebens auch Zummo genannt worden. Das ›b‹ fügte ich erst hinzu, als ich mit den Franzosen zu handeln begann. Das machte es ihnen leichter.« Seine Erklärung schien mir verdächtig, aber ich ließ sie durchgehen.

»Ihr stellt Dinge her«, sagte ich. »Aus Wachs.«

»Ja.«

»Manche sehen in Euch einen vollendeten Künstler, andere einen Hexer. Ihr seid geheimnisumwoben. Besessen. Umstritten.«

Zumbo nickte mit gesenktem Blick.

»Zuerst glaubte ich, Euer Besuch sei eine Idee meines Mannes«, sagte ich, »und als ich hörte, dass Ihr einst für ihn gearbeitet hattet und er sogar Euer Patron war … nun, Ihr könnt es Euch denken.«

»Warum habt Ihr dann zugestimmt, mich zu empfangen?«

»Ach, aus Neugierde, und aus Langeweile. Außerdem würde nicht einmal ein so einfältiger Mann wie der Großherzog darauf kommen, einen Künstler für ihn vorsprechen zu lassen.«

Zumbo lächelte in sich hinein.

»Wie auch immer«, sagte ich, plötzlich ungeduldig geworden, »wie lautet nun diese Mitteilung, die so wichtig sein soll?«

Sein Kopf hob sich langsam, sein ganzes Gesicht spannte sich, sodass sich die Knochen unter seiner Haut abzeichneten. »Es geht um Eure Tochter.«

»Anna Maria? Was für eine Enttäuschung, dieses Mädchen. Eine Vogelscheuche geradezu. Kein Wunder, bei diesem Vater …«

»Nicht sie. Die andere.«

Obwohl ich reglos dasaß, glaubte ich rückwärts gewirbelt zu werden. Die Mauern der Gegenwart stürzten in sich zusammen, und die Vergangenheit brach über mich herein wie ein reißender, unaufhaltsamer, mit Trümmern angefüllter Fluss. »Wie könnt Ihr davon wissen? Niemand weiß davon.«

Er gab keine Antwort.

Noch immer um Fassung ringend, erhob ich mich von meinem Stuhl und trat ans Fenster. Draußen peitschte der Regen heran, brutalen Bleistiftstrichen gleich, als wäre die öde Landschaft östlich von Paris ein Fehler, der durchgestrichen werden musste.

»Erzählt«, sagte ich endlich in erzwungen gleichgültigem Ton. »Ich habe ohnehin nichts Besseres zu tun.«

»Gut«, sagte er.

ZWEI

Es hätte einer der aufregendsten Augenblicke meines Lebens sein sollen. Da stand ich nun und blickte von einem Berghang zum ersten Mal auf Florenz hinab. Am späten Nachmittag des achtzehnten April im Jahr 1691. Unter einem Band von Wolken brach flimmernd eine feurig orangefarbene Sonne hervor, wie etwas, das neu zur Welt kommt. Es blieb weniger als eine Stunde bis zum Einbruch der Nacht. Ich betrachtete die eng zusammengedrängten Gebäude unter mir, die aus dem Dunst über dem Fluss ragenden Türme mit ihren kantigen Zinnen. In meiner Tasche raschelte Papier, eine Einladung Cosimos des Dritten, des Großherzogs der Toskana. Und dennoch – dennoch was?

Nicht einmal der Tanz der Vögel über den Dächern konnte mich davon abhalten, einen verstohlenen Blick über die Schulter zu werfen. Natürlich war da nichts. Nur das stille Gras, die ernsten, dichten Kiefern und das blassblaue, unendlich weite Himmelsgewölbe.

Über fünfzehn Jahre waren vergangen, doch ich konnte nicht vergessen, was hinter mir lag, was mir auf Schritt und Tritt folgte. Ich hatte immer befürchtet, dass ich eines Tages – wie es manchmal in Träumen vorkommt – feststellen müsste, nicht länger laufen oder mich auch nur bewegen zu können. Als steckte ich bis zur Hüfte in Sand. Dann gäbe es kein Entrinnen, und alles wäre verloren.

Als ich 1675 meine Heimat Syrakus verließ, hingen die Gerüchte wie eine Meute hungriger Hunde an meinen Fersen. Obwohl ich erst neunzehn war, wusste ich, dass es kein Zurück geben würde. Ich durchquerte Katanien und folgte der Küste. Der Ätna mit seinen fruchtbaren Hängen, seinen üppigen Früchten und Blumen thronte Zerstörung verheißend im Westen. Von Messina aus segelte ich westwärts. Es war Ende Juli. Eine stickige Nacht mit einem faden rötlichen Mond und wie von Rost und Kupfer umrahmten Wolken. Obwohl sich kein Lüftchen regte, wütete die See, als kämpfe sie um ihre Freiheit. Mehrmals glaubte ich, das Schiff würde sinken. Das wäre mein Ende gewesen, und so mancher hätte sich bei der Nachricht von meinem Tod die Hände gerieben. Vor Freude! Porco dio.

Ein oder zwei Jahre verbrachte ich in Palermo, dann bestieg ich ein weiteres Schiff und reiste in Richtung Nordosten, nach Neapel. Ich hatte nichts verbrochen, wessen man mich beschuldigte, doch in jeder gut erzählten Lüge versteckt sich eine gewisse Wahrheit, eine Wahrheit, die wie der Geruch von Rauch oder rohem Knoblauch an dir haften bleibt. Die Menschen sind immer bereit, das Schlechteste zu glauben. Aus Angst, entdeckt oder verraten worden zu sein, wechselte ich oft mitten in der Nacht meine Unterkunft, und in jenen heimtückischen, verstohlenen Stunden vor dem Morgengrauen ergriff mich eine solche Verbitterung, dass ich mein eigenes Spiegelbild kaum erkannte. Bei anderen Gelegenheiten lachte ich meinem Schicksal ins Gesicht. Sollten sie doch die Tatsachen verdrehen, meinen Ruf vernichten. Sollten sie doch im Schmutz wühlen. Ich würde mir einen Weg bahnen, etwas Einzigartiges und Ruhmvolles erreichen, jenseits von allem, was sie sich vorstellen konnten. Ich würde mich auf niemanden verlassen, und niemand sich auf mich. Ich war heimatlos, aber ich hatte meine Arbeit, von der ich glaubte, dass sie mich retten würde. Nichtsdestotrotz war ich immer auf der Hut, wie ein Soldat im Krieg, und trug Tag und Nacht ein Messer bei mir, obwohl es in den meisten Städten verboten war. Gelegentlich brütete ich über der Vergangenheit und legte dabei vorsichtig den Finger in die Wunde. Ständig wachsam, selten ruhend – in diesem Gemütszustand verschlug es mich schließlich nach Florenz.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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