Federleicht - Eva Goris - E-Book

Federleicht E-Book

Eva Goris

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Beschreibung

Nie weit weg – und trotzdem weltweit zuhause

Sie führen ein öffentliches Leben, doch wissen wir so wenig über sie – Spatzen. Dabei reichen die Anfänge der Mensch-Spatz-Beziehung in biblische Zeiten zurück – und lassen sich sogar im Genom der Spatzen nachweisen: Als der Mensch begann, Getreide anzubauen, entwickelte sich der Spatz zum Getreidefresser und war seither aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken – bis vor Kurzem. Denn leider ist der zweithäufigste Vogel in Deutschland – einst so präsent, dass er in zahlreiche „geflügelte Worte“ Eingang gefunden hat – stark bedroht.
Die Naturexperten Eva Goris und Claus-Peter Hutter laden ein zu einer Entdeckungsreise in die geheime Welt eines vermeintlich Altbekannten. Das Autorenteam liefert spannende Kulturgeschichte und unterhält mit viel Wissenswertem zum faszinierenden Leben der Spatzen, bei denen es heißt: „Einer für alle, alle für einen." Dabei erfahren wir, was wir alle tun können, um den Spatzen das (Über-)Leben zu erleichtern.

»Eine Liebeserklärung an die Spatzen und ein Appell, unsere kostbare Artenvielfalt zu schützen.«
Prinzessin Auguste von Bayern, Ornithologin

»So stelle ich mir Naturvermittlung vor. Lebendig, spannend, neugierig machend. Ein Buch, das mit Geschichten fesselt und unterhält.«
Volker Angres, ehem. Leiter der ZDF Umweltredaktion

»Höchst vergnüglich zu lesen. Als begeisterte Ornithologin konnte ich auf unterhaltsame Weise auch für mich neue Facetten aus der Vogelwelt entdecken.«
Eva-Maria Riedel, Biologin

»Viele reden über Nachhaltigkeit und Naturbewahrung, wissen aber immer weniger über Tiere und Pflanzen in der eigenen Umgebung. Eva Goris und CP Hutter gelingt es mit diesem Buch neugierig zu machen und ohne erhobenen Zeigefinger die Liebe zur Kreatur zu wecken.«
Prof. Dr. Johann Schreiner, Geschäftsführer des Deutschen Rates für Landschaftspflege (Schneverdingen)

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Seitenzahl: 185

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Dieses Buch …

… ist eine Liebeserklärung an eine verkannte und völlig unterschätzte Vogelfamilie und all jenen gewidmet, die dazu beitragen, die Wunderwelt unserer Fauna und Flora zu bewahren und das Wissen darüber weiterzuverbreiten.

Nie weit weg – und trotzdem weltweit zu Hause

Sie führen ein öffentliches Leben, doch wissen wir so wenig über sie – Spatzen. Dabei reichen die Anfänge der Mensch-Spatz-Beziehung in biblische Zeiten zurück – und lassen sich sogar im Genom der Spatzen nachweisen: Als der Mensch begann, Getreide anzubauen, entwickelte sich der Spatz zum Getreidefresser und war seither aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken – bis vor Kurzem. Denn leider ist der zweithäufigste Vogel in Deutschland – einst so präsent, dass er in zahlreiche »geflügelte Worte« Eingang gefunden hat – stark bedroht.

Die Naturexperten Eva Goris und Claus-Peter Hutter laden ein zu einer Entdeckungsreise in die geheime Welt eines vermeintlich Altbekannten. Das Autorenteam liefert spannende Kulturgeschichte und unterhält mit viel Wissenswertem zum faszinierenden Leben der Spatzen, bei denen es heißt: »Einer für alle, alle für einen.« Dabei erfahren wir, was wir alle tun können, um den Spatzen das (Über-)Leben zu erleichtern und unsere Umgebung lebenswerter zu gestalten.

Eine Liebeserklärung an eine verkannte und unterschätzte Vogelfamilie – und ein flammender Appell, mit der uns anvertrauten Natur sorgsamer umzugehen.

EVA GORIS CLAUS-PETER HUTTER

Federleicht

Das erstaunliche Leben der Spatzen

Mit Illustrationen von Bernd Pöppelmann

Wilhelm Heyne Verlag München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulinum verwendet. Die Personenbezeichnungen gelten jedoch gleichermaßen für alle Geschlechter.

Originalausgabe 11/2022

Copyright © 2022 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Illustrationen: Bernd Pöppelmann

Redaktion: Anne-Kathrin Janetzky

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München

unter Verwendung der Illustrationen von Bernd Pöppelmann

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-26702-5V001

www.heyne.de

Inhalt

Spatzenleben – Gedanken vorab

Aus zwei wird eins

Vom Himmel gefallen – ein Spatzensommermärchen beginnt

Der Spatz – ein Allesfresser, der nicht alles frisst

Käfer für die Küken

Insekten im Sinkflug

Mut zur wilden Ecke im Garten

Füttern – aber was?

Schatz oder Schädling?

Das Spatz-Mensch-Verhältnis – wie alles begann

Spätzle fürs Spätzle

Spatzenliebe – der Meistersänger kriegt die Braut

Was Spatzen so zu sagen haben

Die Piep-Show: Kommunikation ist alles

Vogelhochzeit: Singen allein genügt nicht

Von Zickenkriegen, Nebenbuhlern und Seitensprüngen

Dramen in der Kolonie

Spatzen aus der Pfanne: das »Viagra« des Mittelalters

Federle übertrifft alles – wie das Vogelmädchen mir den Kopf verdrehte

Lausige Architekten – Wohnungsnot bei Spatzen

Lage, Lage, Lage

Der Spatz ist ein Berliner

Ständig hungriger Nachwuchs

Überleben ist Glücksache

Menschen bauen für Spatzen

Schön grün! Mut zu mehr Wildnis

Kletterpflanzen – immer auf dem Weg nach oben

Extremkletterer und ihre Ausrüstung

Wo wohnt Federle? – Unglaublich: ein Vogel im Schrank

Spatz im Schrank?

Von wegen Dreckspatz!

Des Spatzen neue Kleider

Keine Chance für Parasiten

Todesfalle Schutzmasken

Auch das noch – Federle hat Zecken! Und auch eine Stimme …

Operation Zecke

Endlich ein »Piep«

Geliebt, gehasst, bekämpft

Diktatoren, Könige und Kirchenfürsten gegen den kleinen Vogel

Giftcocktail aus Chemielabors

Mit einem Wellensittich groß geworden – Federles erstaunliche Jugendgeschichte

Das Spatzenjahr …

Ei, ei, ei – Federle legt ein Ei

Spatzen-Geschichten und geflügelte Worte

In Ulm und um Ulm herum

In den Augen der Künstler

Der Spatz ist ein Gedicht

Märchenhafte Vögelchen

Der Spatz, ein Sprücheklopfer

Spatzen-Sprichwörter

Der Vogel ist weg – wo ist Federle geblieben?

Spatzen – Kosmopoliten par excellence

Nie weit weg und weltweit zu Hause

Spatzen und ihre wilde Verwandtschaft

Wie es zu diesem Buch kam

Die Autoren

Der Illustrator

Dank

NatureLife-International – Stiftung für Umwelt, Bildung und Nachhaltigkeit

»Es ist besser, ein junger Spatz zu sein, als ein alter Paradiesvogel«

Mark Twain

Spatzenleben – Gedanken vorab

Sie sind allgegenwärtig und haben die ganze Welt erobert. Keine Vogelart ist so erfolgreich wie der Spatz. Gemeint ist der Haussperling, der im Gefolge des Menschen nahezu den gesamten Globus besiedelt hat. Es gibt wohl keine Vogelart, die gleichermaßen derart faszinieren oder ganz einfach nur nerven kann. Auf Marktplätzen, in Biergärten oder bei den verschiedensten Ausflugszielen – Spatzen tschilpen und zetern, was das Zeug hält, fliegen, springen und hüpfen umher, um nach Futter zu betteln. Viele von uns haben es schon erlebt – ob im Urlaub in den Touristen-Hochburgen oder im heimischen Garten: Die nur etwa 25 Gramm schweren Vögelchen landen geschickt auf Bistro- und Gartentischen, um blitzschnell ihren Teil von Torten, Kuchen, Croissants oder Tramezzini zu stibitzen. Was wären die Piazza Popolo in Rom, die Piazza Michelangelo in Florenz, der Hafen von Lindau am Bodensee oder die Fußgängerzonen in Wien und Zürich ohne Spatzen?

So wie Spatzen einerseits nerven, lenken sie andererseits Blicke der Bewunderung auf sich, und der eine oder die andere sieht sich gar verleitet, den »armen Vögelchen« ein paar Krümel hinzuwerfen. Dies hat zur Folge, dass nur noch mehr des lärmenden und plündernden Spatzenvolkes angezogen wird. Wer sie nicht füttert und ablenkt, hat alle Hände voll zu tun, die Viecher zu vertreiben. Spatzen sind so an uns Menschen gebunden, dass sie Siedlungen, die verlassen werden, schon nach kürzester Zeit ebenfalls aufgeben. Es ist ein Stück lebendige Kulturgeschichte – die Koexistenz von Spatz und Mensch, von Mensch und Spatz.

Doch die seit der Sesshaftwerdung der Menschen vor rund 7000 Jahren andauernde »Partnerschaft« ist nicht mehr selbstverständlich. Sperlinge, für deren Fang und Tötung einst sogar Prämien bezahlt wurden, weil sie als lästige Schädlinge galten, die das Getreide wegfraßen, sind in vielen Gegenden selten geworden; die Bestände haben bis zu 80 Prozent abgenommen. Unsere Siedlungen sind ganz einfach zu spatzenfeindlich geworden, weil die Tiere kaum mehr Nischen und Spalten zum Brüten an den aus Sauberkeits- und Umweltgründen hermetisch abgeriegelten Gebäuden finden. Wo Spatzen fehlen, vermittelt ihre Abwesenheit – auch wenn wir es nicht gleich bemerken – eine traurige Botschaft: Unsere Umwelt wird still; nicht nur die Spatzen werden still, sondern mit ihnen verstummt viel andere Natur. Dabei könnten Sperlinge – lange Zeit als schmutzige Dreckspatzen verschrien – uns viel vermitteln. Über Sozialverhalten, Intelligenz in der Tierwelt, Nahrungs- und Brutbiologie und vieles mehr. Ist es nicht merkwürdig und auch traurig, dass wir eine Allerweltsvogelart aus den Augen und Ohren verlieren, bevor ihr spannendes Leben so richtig erforscht ist? Tatsächlich hat sich die Wissenschaft allzu lange kaum um die Spatzen gekümmert. Aber noch können wir viel von den Hausspatzen, Feldsperlingen, Weidensperlingen, Italiensperlingen und all den anderen Verwandten von Passer domesticus erfahren. Erfahrungen, die mit der Kulturgeschichte von uns selbst eng zusammenhängen.

Dieses Buch ist eine Einladung zu einer Entdeckungsreise in die geheime Welt eines vermeintlich Altbekannten, der vor unserer Haustür sein öffentliches Eigenleben führt. Gleich nebenan. Doch die Nachbarschaft mit uns Menschen ist schwierig. Als Kulturfolger ist der Spatz uns Menschen zwar gefolgt, aber aufgrund unserer Ignoranz muss er deshalb oft auch Federn lassen.

Aus zwei wird eins

Wie immer, wenn wir zusammenarbeiten, stehen wir beide hinter dem gesamten Text – egal, wer welche Teile verfasst oder bearbeitet hat. Weil dieses Buch vielleicht unser persönlichstes ist, haben wir uns jeweils für den »Ich-Stil« entschieden. Eva hat überwiegend das gesamte Spatzenleben mit all den erstaunlichen Phänomenen der Spatzenwelt porträtiert und C.-P. seine Erfahrungen aus jahrzehntelangem praktischem Naturschutzengagement beigetragen. Zudem konzentrierte er sich auf die Begebenheiten mit der Hauptdarstellerin des Buches, dem Spatzenmädchen »Federle«.

Eva Goris · C.-P. Hutter

Vom Himmel gefallen – ein Spatzensommermärchen beginnt

An den Tag kann ich mich noch gut erinnern. Es war ein Sonntag Anfang Mai. Nach Wochen ergiebigen Regens kam endlich die Sonne hinter den Wolken hervor. Irgendwann wird ja auch das nach den Dürresommern der letzten Jahre ersehnte Nass zu viel, und schnell kann Sehnsucht in Verdruss umschlagen. Nach den vielen Regengüssen wünschten sich Mensch und Natur an der Schwelle vom Frühjahr zum Sommer jetzt Sonne und Wärme. Und was gibt es Schöneres, als an solchen ersten warmen Tagen die Zeit an einem lauschigen Plätzchen im Garten oder Park zu verbringen. Wir hatten es uns also auf der Gartenterrasse gemütlich gemacht, um zum ersten Mal in jenem Jahr wieder draußen das Essen genießen zu können. Was braucht es mehr als Sonne, Sauvignon blanc und Spaghetti mit Pesto, um dem Summer-Feeling näherzukommen – erst recht, wenn das lange vermisste Vogelkonzert wieder einsetzt und Mönchsgrasmücke, Rotkehlchen und Buchfink fast schon um die Wette singen, pfeifen und trällern. Wir hatten Freunde eingeladen und saßen in fröhlicher Runde beisammen.

Und plötzlich war er da; wie vom Himmel gefallen. Von einer auf die andere Sekunde veränderte, ja bestimmte ein kleiner Spatz unsere Genuss- und Gefühlswelt. Später konnte sich niemand aus unserer Runde mehr entsinnen, woher der Vogel kam. Es gab nur einen leisen Plopp und schon trippelte das kecke Vögelchen zwischen Tellern, Gläsern und Flaschen umher, flog auf Schultern, Häupter und Hände, die sich des zutraulichen Vogels nicht erwehren konnten. Erstes Erschrecken schlug rasch in Entzücken um, und als alle erkannten, dass Abwehr zwecklos und Ruhe angebracht war, bestimmte der gefiederte Hauptdarsteller die nächsten Stunden unserer Gäste und unser Dasein in den folgenden Tagen, Wochen, ja Monaten. Unser Spatzensommer hatte begonnen, ohne dass wir ahnen konnten, wie sehr ein kleiner Vogel das tägliche Leben verändern, wie sehr ein Tierchen gleichermaßen nerven wie begeistern kann.

»Was ist denn das für ein drolliger Hanselmann?«, fragte Christiane, als der Vogel behände über den Tisch hüpfte, sich da und dort ein Stück Nudel schnappte, die Beute in Sicherheit brachte und diese in für ihn wohl sicherer Entfernung verspeiste, um erneut vom Himmel zu fallen und sich sogleich am Parmesan-Schälchen zu bedienen. Völlig ungeniert pickte der uneingeladene Gast gar am Brot oder machte sich über die eilig von den Gästen hingeworfenen Krumen her. Alle meine Appelle, dem Spatzen nichts zu geben, halfen nichts. Es zeigte sich wieder einmal, wie Neugier und Beschützerinstinkt jegliche Vernunft, Wildtiere nicht zu füttern, von einem Moment auf den anderen außer Kraft setzen können. Wie schnell es gehen kann, Tiere und Tierverhalten zu vermenschlichen, zeigte die leidenschaftlich geführte Diskussion um den Namen, den das freche Vögelchen erhalten sollte. »Hanselmann«, sagte Sven und ließ sich nicht davon abbringen, obwohl ich darauf hinwies, dass wir eine kleine Spatzendame vor uns hatten – und zwar das Weibchen der Art Haussperling; ganz einfach von den Männchen, die eine gräulich-bläuliche Kopffärbung aufweisen, zu unterscheiden. »Spazzola«, sagte Miriam und gab erst klein bei, als ich einwarf, dass dies die italienische Bezeichnung für eine Bürste sei …

Die Debatte schien kein Ende nehmen zu wollen. »Spatzi«, schlug Christian vor. »Das passt doch gleichermaßen für Weibchen und Männchen«, meinte er. »Zu altmodisch«, entgegnete Sara. Wein und das emsige Spatzenweibchen befeuerten die Diskussion. Später entschieden wir uns für »Federle« – und keiner in der Runde konnte ahnen, welchen Namen unser Spatz früher einmal hatte, ohne es zu wissen. Unserer Spatzendame freilich war dies sicher egal. Ab dem ersten Moment wusste sie sehr genau, wie sie mit uns kommunizieren musste, um etwas zu erreichen – nämlich gar nicht. Das entsprach nun in keinster Weise der einschlägigen Literatur, in der von den lauten, lärmenden Spatzen die Rede ist, und auch nicht unseren bisherigen Erfahrungen. Kein Tschilpen, keine andere Lautäußerung, alles spatzenstumm. Ihre Sprache war der von uns in diesem Moment vielleicht als kindlich hilfsbedürftig empfundene Spatzenblick. War dies angeborene Spatzenraffinesse? Wir wissen es nicht. Viele Wochen und Monate kommunizierte Federle mit uns nur per Flugakrobatik und kecken Blicken. War ihr Auftauchen eine himmlische Botschaft, eine glückliche Fügung oder ein Zeichen der Natur?

Der Spatz – ein Allesfresser, der nicht alles frisst

Spatzen lieben das Zusammenleben mit uns Menschen. Deshalb gehören Haussperlinge zu den typischen Siedlungsbewohnern. Dörfer und Stadtränder mit Kleintierhaltung wie Hühnern, Gärten und Parks mit wilden Ecken, Brachflächen und Bauernhöfe, die noch keine Agrarfabriken sind: Dörfer, die es so selbst in ländlichen Räumen kaum mehr gibt. Das ist, das war ihre Welt! Sie brauchen die Nähe des Menschen und folgten ihm im Laufe der Zeit vom Land in die Metropolen und von dort in die Welt. Denn wo Menschen sind, fällt für den Spatz immer etwas zum Fressen ab. Spatzen müssen viel und dauernd fressen. Der Münchner Professor Josef Reichholf hat mir einmal erzählt, dass ein Vogel pro Kilogramm Körpergewicht zehnmal so viel Nahrung braucht wie ein Mensch. So ein Vogelherz schlägt 800-mal in der Minute, um die Körpertemperatur kontinuierlich auf etwa 42 Grad zu halten; das allein erfordert einen immensen Energieaufwand. Vom Kalorienverbrauch beim Fliegen mal ganz abgesehen. Übrigens: Ein Menschenherz schlägt im Durchschnitt nur 66-mal in der Minute.

Der ausgewachsene Spatz ist Nahrungsopportunist und auch ein bisschen Müllschlucker. Ein eher anspruchsloser Überlebenskünstler, der Junkfood wie Pommes frites nicht verschmäht und unter den Tischen der Straßencafés, Biergärten und der Terrassen von Ausflugslokalen, Restaurants und Hotels der Menschen reichlich Nahrung findet. Beim Nachwuchs sieht das jedoch ganz anders aus. Für die Aufzucht der Jungvögel brauchen Haussperlinge Proteine – und die liefern Insekten.

Käfer für die Küken

Auch ausgewachsene Spatzen sind keineswegs reine Körnerfresser. Grauenhaft daran überhaupt zu denken, aber eine dänische Ornithologin hat tatsächlich über 1500 Haussperlingen im Dienst der Wissenschaft den Bauch aufgeschlitzt und ihre Mageninhalte untersucht. Sie fand neben Hafer und Gerste vor allem »Tierisches« in den Spatzenmägen. Zum überwiegenden Teil waren es Insekten wie Blattläuse, aber auch Asseln, Maden, Raupen und Spinnentiere. Dass der Rückgang der Spatzenpopulation eng mit dem dramatischen Rückgang der Insekten zusammenhängt, ist Fakt. Während ausgewachsene Spatzen die Insektenknappheit mit Sämereien und allerlei Fressbarem etwa im Umfeld von Abfallkörben notgedrungen ausgleichen, ist die Aufzucht der Jungen durch das Insektensterben gefährdet. Der Vogelnachwuchs ist auf Gedeih und Verderb auf das Eiweiß der Insekten angewiesen. Die Nestlinge werden zu über 95 Prozent mit Insekten gefüttert. Sie sind anfangs nur so schwer wie ein Stück Würfelzucker und auch nicht viel größer. Vogelkundler haben ausgerechnet, dass ein einziges Spatzenpaar in einer Brutsaison über 20 000 Insekten verfüttert und rund 400-mal am Tag das Nest mit Nahrung anfliegt, um den Nachwuchs groß zu kriegen. Erst wenn die Küken etwa eine Woche alt sind, werden winzige Sämereien, die mit Steinchen angereichert sind, hinzugefüttert. Die Steinchen helfen, die Körner im Magen der Küken zu verdauen. Sie fungieren quasi wie ein Mörser.

Erwachsene Spatzen sind dann Allesfresser, die sich jedoch vorwiegend vegetarisch von Körnern, Kräutern und Knospen ernähren. Ganz nebenbei arbeiten Spatzen als biologische Insekten-Kontrolleure. Sie halten mit ihrem Fressverhalten potenzielle Schädlinge wie Blattläuse und Fliegen in Schach. Naturnahe Gärten mit wilden Flächen werden in Anbetracht der allgemeinen Insektenknappheit – die in hohem Maß von der industriellen Landwirtschaft und deren monotonen Flächen sowie deren Chemiebombardement verursacht wird – immer wichtiger. Bei der Futtersuche ist die Nähe der Nester zum Lebensraum der Insekten nicht unwichtig. Das erleichtert den Vogeleltern die stressige Aufzucht der Küken. Wer Vögel zusätzlich füttert, sollte bedenken, dass altes Brot und Kuchenkrümel für den Nachwuchs nicht geeignet sind.

Insekten im Sinkflug

Das Insektensterben im 21. Jahrhundert hat viele Gesichter. Wenn die Nacht zum Tag gemacht wird, beginnt das große Sterben der Insekten an Straßenlaternen, Fassaden und Leuchtreklamen. Licht übt auf sie eine magische Anziehungskraft aus. Vor allem Nachfalter werden durch Lichtkegel angelockt. Sie vernachlässigen die nächtliche Futtersuche, um ihre endlosen Kreise um die Lichtquellen zu ziehen. Dabei prallen sie gegen die Lampen oder fliegen in die Gehäuse, finden nicht wieder heraus und verglühen. Der Lichtverschmutzung fallen nach Schätzungen von Experten in einer einzigen Sommernacht viele Millionen Insekten zum Opfer. Dem Spatzen und vielen anderen Vögeln fehlen diese Insekten dann tagsüber für die Aufzucht der Jungvögel.

Das Drama rund um das Insektensterben ist keineswegs neu: Schon um 1990 fand der Spatz nicht mehr genug Nahrung. Als Folge sanken die Bestände rapide; in einigen Regionen um bis zu 80 Prozent. Insekten sind heute erst recht Mangelware; genau das ist ein wichtiger Aspekt, wenn es um das allgemeine Vogelsterben geht. Monotone Agrarlandschaften und industrieller Anbau, der nur durch Überdüngung und den Einsatz von Insektiziden möglich ist, bestimmen seit Jahrzehnten unser Landschaftsbild. Kleine Höfe mussten großen Agraranlagen weichen. Eine Vielzahl von Wildpflanzen an den Ackerrändern wurden für große Schläge, die sich leicht maschinell bearbeiten lassen, umgepflügt. Der pflegeleichten Bewirtschaftung unserer Felder fielen dadurch wertvolle Lebensräume und unzählige ökologische »Zierleisten« der Landschaft zum Opfer. Auch dadurch ist das Insektensterben exorbitant vorangeschritten. Zusätzlich wird immer mehr Natur in Siedlungsfläche verwandelt. Dafür werden Naturflächen unter Asphalt, Beton und Plattenbelägen versiegelt. Da in der Natur eins ins andere greift, ist durch den Vernichtungsfeldzug gegen die Insekten und das Verschwinden von naturbelassenen Lebensräumen auch das Überleben der Vögel bedroht.

Erinnern Sie sich an zerquetschte Insektenkörper auf der Windschutzscheibe nach längeren Autofahrten? Dann sind Sie älter als 50 Jahre. Saubere Autofenster und Kühlergrills sind ein Indiz für den dramatischen Rückgang der Insekten. Deshalb befindet sich nicht nur der Haussperlingsbestand im Sinkflug. Wenn schon Überlebenskünstler wie Spatzen rapide zurückgehen, wie mag es erst den Sensibelchen unter den Wildtieren und den Nahrungsspezialisten gehen? Mehl- und Rauchschwalbe, Zaunkönig, Mönchsgrasmücke, Feldlerche – sie alle sind Opfer einer fortschreitenden Lebensraumvernichtung, die am Ende vielen Millionen Individuen den Tod bringt.

Die idyllische Kleinbauernlandschaft, wie sie bis in die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts existierte, mit Hühnern, Enten, Gänsen, Futter fürs Vieh und eingelagertem Saatgut, war ein wahres Spatzenparadies. Dort ist immer auch genug zu fressen abgefallen. Leider gehören klein strukturierte Landschaften endgültig der Vergangenheit an. Anfang des letzten Jahrhunderts sah die Welt aus Spatzensicht noch ganz anders aus. Wo heute Autos fahren, wühlten Pferde mit ihren Hufen im Galopp den Boden auf und erleichterten dem Spatzen die Nahrungssuche. Unverdaute Samen in Pferdeäpfeln waren obendrein eine Delikatesse für ihn. Auch in Kuhfladen und Gänsekot konnten Spatzen Snacks finden. Wo das Nutzvieh frisst und verdaut, fällt für Spatzen immer etwas ab. Das Leben auf einem Bauernhof startete früh. Mit den Menschen waren die Spatzen in den Ställen am Start. Beim Ausmisten, Kühemelken, Rübenhacken und Getreideeinfahren waren sie allgegenwärtige Mitesser. Sie sammelten und pickten nicht nur Nahrung, sondern fanden Federn, Heu, Strohhalme und Tierhaare für den Nestbau. Im Hühnerstall, bei den Gänsen, im Schweinestall und bei den Kühen und Pferden gab es reichlich Baumaterial. Nach der Ernte pickten sie die übrig gebliebenen Körner von den Feldern auf. Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute sind Höfe moderne Agrarbetriebe. Die intensive Landwirtschaft mit Monokulturen und dem Einsatz effizienter Erntemaschinen, die jedes Körnchen abernten, macht dem Spatzen das Überleben auf dem Land schwer. Stoppelfelder werden meist sofort nach der Ernte umgepflügt. Getreidefelder verwandeln sich innerhalb kürzester Zeit in öde Ackerwüsten.

Doch auch das Überleben in einer Großstadt hat auch seine Tücken. Großstadtspatzen müssen es erst mal schaffen, die ersten drei Monate zu überleben – und das ist gar nicht so einfach. Der Nachwuchs muss ja ständig fressen und ist dabei auch in der Stadt auf Insekten angewiesen. Zahlreiche Studien belegen, dass das Stadtleben nicht wirklich gut für die Gesundheit der Vogelkinder ist. Die Lebenserwartung von Großstadtspatzen wurde von Forschern des National Center for Scientific Research (CNRS – Centre National de la Recherche Scientifique) in Paris genauer untersucht und mit den typischen Dorfbewohnern unter den Spatzen in Frankreich verglichen. Und es hat sich gezeigt: Im 21. Jahrhundert muss man als Großstadtspatz Abstriche machen.

Kaum aus dem Ei geschlüpft, wurden die Pariser Sperlingsküken nach einer Art Body-Mass-Index von den Wissenschaftlern vermessen, gewogen und für zu leicht befunden. Der Großstadtspatz war kleiner und wog weniger als die Vergleichsgruppe der Dorfbewohner. Für die Forscher galt es, viele Fragen zu beantworten: Füttern Vogeleltern in der Stadt zu viel Junkfood? Setzt der Lärm dem Nachwuchs zu? Oder liegt es an der Luftverschmutzung? In der Stadt werden Vogeleltern nicht selten Opfer von Verkehrsunfällen. Kehren die Altvögel nicht zum Nachwuchs zurück, müssen die Küken verhungern.

Unterm Strich pflanzen sich die Stadtspatzen weniger erfolgreich fort und ihre Lebenserwartung ist geringer. Für die Forscher stand schnell fest: Je weniger Grünflächen und je dichter die Besiedlung, in der die Vogeleltern ihr Nest gebaut hatten, desto mickriger saß der Nachwuchs im Nest. Auch die Federdichte der Großstadtküken war lausig. Sie sahen wie gerupft aus. Erst die ausgewachsenen Vögel, welche die mangelhafte Ernährung in der Kükenphase überlebten, hatten wieder ein einigermaßen passables Gefieder. »Wir fanden bei ausgewachsenen Tieren keinen Einfluss der Verstädterung auf die Gefiederqualität«, sagt Frédéric Angelier, Mitautor der Studie und Wissenschaftler des CNRS.

Was ist da los im Spatzennest? Warum trifft es gerade die im Wachstum befindlichen Jungvögel? Eigentlich liegt die Antwort auf der Hand: Während sich ausgewachsene Haussperlinge als Samenfresser auch in der Stadt von allerlei Krümel-Kram ernähren können und sich dann allmählich erholen und entwickeln, braucht der Nachwuchs ja die proteinreichen Insekten oder deren Larven und Puppen, um in der Entwicklung mit den Landeiern vom Dorf mithalten zu können. Das lotterige Federkleid in der Lebensphase der Küken kann auf Hungerstress zurückgeführt werden. Von Fast Food kriegen Vogelkinder einfach Bauchweh. Haussperlinge kommen ja nicht als Samenfresser auf die Welt. Eine Forschergruppe der Ungarischen Akademie der Wissenschaften kam zu ähnlichen Ergebnissen. Fehlen die Grünflächen in der Nähe der Nester, kommt es zur Mangelernährung der Küken.

Mut zur wilden Ecke im Garten

Insektenmangel ist also immer wieder der Grund dafür, dass diese Überlebenskünstler unter den Vögeln, die uns am Imbiss in der U-Bahn-Station, auf Flughäfen und Raststätten begegnen, heute als bedroht betrauert werden müssen.

Ich freue mich, wenn Spatzen zu mir in den Garten kommen. Ganz bewusst habe ich einen Vogelgarten gepflanzt. Gärten, aber auch Parkanlagen und Friedhöfe sind nämlich zu Über-Lebensräumen für Wildtiere geworden. Auch Schmetterlinge, Käfer und kleine Säuger wie Igel und Bilche profitieren von Nahrungsinseln in tristen Agrar- und Betonwüsten. Das Insekten-Buffet ist dort reich gedeckt, wenn es im Garten dichte Büsche aus heimischen Sträuchern wie Heckenrosen, Nutzpflanzen wie Brombeeren und blühendem Lavendel und Margeriten gibt. In einem spatzenfreundlichen Garten wimmelt es von Käfern, Spinnentieren, Ameisen und Schmetterlingslarven. Acker-Witwenblumen, Liguster, Hopfen, Sommerflieder und Hundsrose sowie das immergrüne Geißblatt bieten neben Futter und Schutz für Insekten auch Früchte und Samen für Vögel.