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Wenn Glamour auf Gummistiefel trifft , kann das Herz ganz schön ins Stolpern geraten. Fleur ist jung, berühmt – und völlig außer Kontrolle. Partys, Skandale und Drogenexzesse bestimmen den Alltag des Popwunders, bis ihre Eltern und ihr Management die Reißleine ziehen. Statt rotem Teppich wartet nun eine abgelegene Ranch in der herbstlichen Einöde von Georgetown auf sie – samt Eselmist, Eierkörben und einem Leben weit entfernt vom Rampenlicht. Zwischen Kürbissuppe, buntem Laub und Stallarbeit beginnt Fleur langsam, den Weg zurück zu sich selbst zu finden. Besonders der raue, aber faszinierende Ranchsohn Will bringt ihre Welt gehörig ins Wanken. Denn er ist der Erste, der sie wirklich sieht – ohne Maske, ohne Glamour. Doch kann Fleur ihm vertrauen, selbst wenn das Schicksal sich gegen die beiden zu verbünden scheint? Ein herzerwärmender cozy New Adult Roman über den Weg zu sich selbst, rustikale Romantik und den Zauber eines goldenen Herbstes in einer kleinen Stadt, die mehr zu bieten hat als nur Strohballen und Apfelkuchen.
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Seitenzahl: 352
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Copyright © 2025 by Lilli Hazel
All rights reserved.
Cover: Stella M. Noir
Korrektorat/Lektorat: Texträume by Sabrina Hausmann
Herausgegeben von: Sternfeder Verlag, Bogenstr.8, 58802 Balve
Verlagslabel: Sternfeder Verlag
Druck und Distribution im Auftrag des Verlags.
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:
https://portal.dnb.de/opac.htm
Das Buch ist rein fiktiv. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Playlist
LA Arrivals
Kapitel 1
Kapitel 2
LA Arrivals
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
LA Arrivals
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
LA Arrivals
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
LA Arrivals
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
LA Arrivals
Epilog
Autorenvita
Tolerate it – Taylor Swift
Out of the Old – Olivia Rodrigo
I can do it with a broken heart – Taylor Swift
Autumn Leaves – Frank Sinatra
This is how you fall in love – Jeremy Zucker
We fall in love in October – girl in red
First Times – Ed Sheeran
Let her go – Passenger
The First Time – Damiano David
Fix You – Coldplay
Bubbly – Colbie Caillat
Für jeden, der auf der Suche nach sich selbst ist und nicht weiß, welcher Weg der richtige ist.
Und für Dini, mein Baby,
mein Seelenverwandter.
Danke, dass du seit 12 Jahren an meiner Seite bist und jeden Weg zusammen mit mir gehst.
Sängerin Fleur bei Drogenparty erwischt
Schock für Fans der Pop-Ikone –
Drogenfund bei Aftershow-Party in
Los Angeles
Los Angeles – Ein turbulentes Ende nahm die Welttournee der internationalen Popsängerin Fleur am vergangenen Sonntagabend. Im Anschluss an ihr Abschlusskonzert im ausverkauften SoFi Stadium in Los Angeles kam es laut Augenzeugenberichten zu einer ausschweifenden Aftershow-Party – mit weitreichenden Konsequenzen.
Wie Insider berichten, geriet die Feier aus dem Ruder: Alkohol, Drogen und Exzesse sollen den Abend geprägt haben. Im Zuge polizeilicher Ermittlungen wurde Sängerin Fleur mit einer erheblichen Menge Kokain aufgegriffen. Eine offizielle Bestätigung der Polizei steht derzeit noch aus, doch die Gerüchteküche brodelt.
Bereits seit einiger Zeit kursieren Spekulationen um mögliche Drogenprobleme der Künstlerin. Ihre Sprecherin wies entsprechende Vorwürfe bislang stets entschieden zurück.
Karriereknick oder Comeback-Pause?
Ob der Vorfall nun das vorläufige Aus für die Karriere der Sängerin bedeutet, ist ungewiss. Die Fans der Pop-Ikone reagieren gespalten: Zwischen Enttäuschung, angebotener Unterstützung und der Hoffnung auf einen ehrlichen Neuanfang.
Fleur
„Verdammt Fleur! Merkst du eigentlich, was du für eine Scheiße verzapfst? Damit ist jetzt Schluss. Endgültig. Wir müssen eine Lösung finden und deswegen werde ich mit deinen Eltern reden.“ Die Stimme meiner persönlichen Assistentin ist wie ein Presslufthammer, der direkt durch meine Schläfen hämmert. Jeder einzelne Ton vibriert in meinem Kopf, lässt meine ohnehin angeknackste Verfassung ein Stück weiter zerbröseln. Mit zusammengekniffenen Augen versuche ich, dem Schmerz Linderung zu verschaffen. Keine Chance. Der Kater der letzten Nacht hängt mir wie eine bleierne Decke im Nacken. Meine Zunge fühlt sich pelzig an, mein Magen rebelliert bei jeder Bewegung. In dem Versuch, nicht die Augen zu verdrehen und einen unverschämten Spruch zu erwidern, atme ich tief durch.
Fleur, reiß dich zusammen. Das würde die bereits angespannte Situation wahrscheinlich nicht gerade auflockern.
„Lizz“, fange ich seufzend an, um die erhitzten Gemüter zu beruhigen, werde jedoch direkt wieder unterbrochen.
„Nein, nichts Lizz! Es reicht, Fleur!“, unterbricht sie mich und ihre Stimme schlägt wie ein Peitschenhieb durch den Raum. „Du bist dabei, alles zu verlieren. Deinen Ruf, dein Team, deine Karriere – und ehrlich gesagt auch mich. Ich kann und ich will deine Eskapaden nicht weiterhin auffangen. Wir werden ein Gespräch mit deinen Eltern führen. Heute Abend. Wenn sich nichts ändert, bin ich weg und werde dich ganz alleine deinem traurigen, verkorksten Schicksal überlassen.“ Lizzys Stimme fängt am Ende an zu zittern und ich bin beeindruckt von ihrer Entschlossenheit. Ihr letzter Satz trifft mich härter, als ich zugeben möchte. Trotzdem weiß ich, dass das alles nur leere Drohungen sind. Sie würde sich den besten Job der Welt nicht entgehen lassen. Momentan bin ich der größte Star auf diesem Planeten und meine Bezahlung ist so horrend hoch, dass sie schön blöd wäre, all das freiwillig aufzugeben, nur weil ich auf der letzten Party eine Nase Schnee gezogen habe. Wenn man ganz ehrlich ist, gehört das in unseren Kreisen ja fast zum guten Ton. Es gibt niemanden in Hollywoods A-Liga, der zwischendurch keine Drogen nimmt.
„Das würdest du eh nicht tun, Lizz.“ Mit dem Ellenbogen stupse ich ihr in die Seite und versuche sie damit zum Lachen zu animieren. Ihr Blick bleibt jedoch entschlossen. Und traurig. Auch wenn ich es nicht zugeben mag: Der Gedanke, sie zu verlieren, macht mir verdammte Angst. Lizzy ist die einzige Person in meinem Leben, der ich vertraue. Sie ist immer für mich da, egal zu welcher Uhrzeit und bei welchem Problem, weiß jederzeit, was zu tun ist und hilft mir ohne zu zögern. Vielleicht ist sie die einzige richtige Freundin, die ich in meinem Leben habe. Für viele mag es absurd erscheinen, jemanden dafür zu bezahlen, seine Freundin zu sein. Leider ist auch das normal in meinem Leben. Entweder wollen sie mit dir befreundet sein, weil sie eine Vorstellung von dir haben, eine Idee von der Person, die ich in ihren Gedanken sein müsste, mit der sie befreundet sein wollen oder, weil sie ein wenig von dem ganzen Medienrummel und der Bekanntheit abhaben möchten.
Lizzy war keins von beidem. Sie hat sich bereits vor Jahren bei mir beworben und sich durch Ehrgeiz, Klugheit und Loyalität mein Vertrauen verdient. Wahrscheinlich würde sie selbst uns keinesfalls als Freundinnen bezeichnen, und ich werde ihr gegenüber auf keinen Fall zugeben, dass sie die einzige Person auf dieser Welt ist, auf die die Bezeichnung wenigstens einigermaßen zutrifft.
„Doch, das würde ich tun, Fleur. Ich werde nicht tatenlos dabei zusehen, wie du in deinem eigenen Elend versinkst.“ Ihre Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.
Kurz überfällt mich ein leichter Anflug von Panik, aber da ich Profi im Verstecken meiner Gefühle bin, lasse ich mir nichts ansehen. Die jahrelangen Interviews und Konfrontationen, denen ich ausgesetzt war, haben mich das gelehrt. Willst du unantastbar sein, lass dir nichts anmerken. Egal, wie es wirklich in dir aussehen mag.
Das musste ich direkt am Anfang meiner Karriere schmerzhaft und mit vielen Tränen lernen. Was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker, war danach mein Motto.
„Deine Eltern werden heute Abend in der Stadt sein und dann werden wir alles Weitere besprechen.“
Meine Managerin streicht sich ein paar Strähnen ihres perfekt geschnittenen schwarzen Bobs aus dem Gesicht und schiebt sich mit dem linken Zeigefinger ihre große Brille ein Stück hoch. Eine Angewohnheit, die sie hat, sobald sie nervös wird. Es ist der Moment gekommen, in dem ich mir das Augenverdrehen nicht länger verkneifen kann. Lizzy weiß, dass sie meine Eltern weitestgehend aus meiner Karriere raushalten soll. Zum einen möchte ich Privates und Berufliches strikt voneinander trennen und zum anderen sind sie nicht abgehärtet genug, um die knallharte und schonungslose Wahrheit zu verkraften.
„Und das habt ihr bereits alles hinter meinem Rücken geklärt?“, frage ich bitter.
„Ja.“ Die Antwort ist kurz und knapp. Mein Auflachen ist laut und meine Stimme hört sich viel zu hoch an. Wow. Das hat sie bis jetzt noch nicht gebracht.
„Na dann. Ich kann es kaum erwarten.“
„Vielleicht muss ich mir nach dem Abend überlegen, ob nicht ich es bin, die über eine neue Stellenbesetzung nachdenken sollte.“ Den Seitenhieb kann ich mir nicht verkneifen und mir ist bewusst, wie fies dieser Schachzug ist.
Lizzys Augen bleiben weiterhin eisern, ihre Miene verschlossen. Verdammt, so langsam glaube ich tatsächlich, dass sie ihre Drohung ernst meint.
„Für dich steht viel zu viel auf dem Spiel, solltest du mich verlieren“, gibt sie selbstbewusst von sich. Und sie hat recht.
„Wir treffen uns um 18 Uhr im Konferenzraum, sei pünktlich. Du weißt, dass dein Vater es nicht ausstehen kann, wenn du zu spät bist.“
Damit dreht sie sich um und verlässt den Raum. Ihr süßliches Parfum von Coco Chanel schwebt weiterhin im Zimmer, obwohl sie selbst bereits nicht mehr in Sichtweite ist. Die Tür fällt mit einem lauten Knall ins Schloss und hinterlässt eine gespenstische Stille. Eine Stille, die sich in meinen eigenen Ohren viel zu laut anhört, da ich es gewohnt bin, ständig Trubel um mich herum zu haben. Leute, die kreischen, sobald sie mich sehen. Stylisten, die andauernd mein Make-up richten oder meine Haarsträhnen in die richtige Position zupfen. Journalisten, die mir in jeder denkbaren Situation ein Mikro vor die Nase halten. Das dumpfe Dröhnen meines eigenen Herzschlags.
Seufzend lasse ich mich auf das große Hotelbett fallen und starre an die reinweiße Decke über mir. Mittlerweile sind fremde Hotelzimmer mein Zuhause geworden und ich kann nicht mehr zählen, in wie vielen Betten ich in all den Jahren geschlafen habe, die nicht mein eigenes waren. Die Wut in meinem Bauch und das Gefühl, wieder übergangen worden zu sein, rumpeln unangenehm durcheinander und ich nehme mir fest vor, nachher garantiert nicht pünktlich zu sein.
Mein Blick wandert zur Decke, als könnte sie mir irgendeine Antwort geben, irgendeinen Hinweis, wie ich aus diesem Schlamassel wieder rauskomme.
Tief durchatmen, Fleur.
Meine Brust fühlt sich an wie zugeschnürt. Wie eingewickelt in eine dieser viel zu engen Korsagen, in die man mich bei Shootings immer zwängt.
Ich stehe auf, gehe ans Fenster und schiebe die Gardine der Suite zur Seite. Unten auf der Straße fahren zwei schwarze SUVs vorbei. Langsam und scheinbar wissend, dass ich hier oben stehe. Vielleicht sind es Paparazzi. Vielleicht auch nicht. Inzwischen erkenne ich sie nicht mehr, möchte sie nicht mehr erkennen. Jeder könnte einer sein und jeder von ihnen könnte mich verraten.
Mein Blick wandert zu meinem Handy auf dem Nachttisch und kurz überlege ich, es in die Hand zu nehmen, um Instagram zu öffnen und einen Post zu verfassen. Die Chance zu haben, etwas zu sagen, bevor andere Leute es für mich tun. Doch ich bewege mich nicht, aus Müdigkeit. Nicht körperlich – da bin ich es dauerhaft gewohnt, müde zu sein. Immer auf den Beinen, immer bereit für ein falsches Lächeln. Nein, es ist diese andere Müdigkeit. Die, die dir in den Knochen sitzt und die dein Lächeln aushöhlt, bis nichts mehr davon übrig bleibt.
Wie von selbst tragen mich meine Füße ins Badezimmer und ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht. Der Blick in den Spiegel zeigt mir das, was ich sonst so gut verbergen kann. Die leichten Schatten unter den Augen. Das leere Funkeln meiner Pupillen. Mein Spiegelbild zeigt mir all das, was ich nicht sehen möchte.
Vielleicht hat Lizzy recht. Vielleicht bin ich dabei, mich zu verlieren.
Aber was, wenn ich gar nicht weiß, wer ich eigentlich war, bevor ich mich verloren habe?
Den übergroßen Hoodie, unter dem ich mich an schlechten Tagen verstecke, krame ich aus meinem Koffer und ziehe ihn über den Kopf. Seufzend lasse ich mich erneut quer auf das Hotelbett fallen. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen und gehe in Gedanken den Abend durch, der all das ausgelöst hat.
Das Konzert. Der Applaus. Der ekstatische Rausch, der dich überkommt, wenn du vor 70.000 Menschen stehst und alle deinen Namen schreien. Das Gefühl, sich wie ein Gott vorzukommen.
Dann die Aftershowparty. Ein Drink. Und noch ein Drink. Lautes Lachen, zu viele unterschiedliche Menschen und Berührungen, die mir eigentlich unangenehm waren und ich dennoch zuließ. Der erste Zug. Ein zweiter.
Vielleicht war ich dumm. Oder zu müde, um vorsichtig zu sein. Vermutlich beides.
Frustriert setze ich mich auf. Ich bin es leid, eine Marke zu sein. Ich bin es leid, dass jede meiner Schwächen direkt zum Skandal wird, obwohl es mir egal sein sollte. Ich bin es leid, dass das, was ich fühle, nie zählt, sondern nur das, was ich zeige. Eine schillernde Version von mir, die aufrechterhalten wird mit Glitzer, falschen Wimpern und schmalen Hüften. Die, die lacht, wenn alle anderen lachen. Die, die weint, wenn niemand hinsieht.
Fleur
Pünktlich um 17:55 sitze ich auf dem Rand meines Hotelbettes – perfekt gestylt, geschminkt, bereit. Äußerlich zumindest. Innerlich fühle ich mich wie ein Kartenhaus im Wind. Doch statt einfach aufzustehen und den Konferenzraum aufzusuchen, warte ich.
Nicht aus Unsicherheit. Aus Trotz.
Es ist kindisch, ich weiß. Trotzdem ist es mein persönlicher, stiller Protest gegen eine Welt, in der jeder glaubt, Entscheidungen über mein Leben treffen zu dürfen.
Mein Blick gleitet durch das Zimmer, um Zeit zu überbrücken. Der Vorhang, der leicht durch die Klimaanlage flattert. Die goldene Schale mit den Macarons, die man mir heute Nachmittag auf das Tablett gestellt hat und die unberührt sind. Wie nett. Als könnte Zucker mir die Kontrolle über das eigene Leben zurückgeben.
Tief durchatmend zähle ich innerlich bis zehn und bleibe sitzen. Die teure Uhr an meinem Handgelenk zeigt 18:02. Perfektes Timing. Nicht zu spät, um unhöflich zu sein und doch spät genug, um zu zeigen, dass ich nicht die bin, die springt, wenn jemand mit dem Finger schnippt.
Ich schnappe mir meine Handtasche, streiche mit einem letzten prüfenden Blick über mein Kleid – schwarzer Seidensatin, maßgeschneidert und viel zu überteuert. Betont langsam öffne ich die Tür. Nick, mein persönlicher Bodyguard, wartet mit stoischem Blick auf dem Flur. Mit einem Nicken gebe ich ihm zu verstehen, dass wir loskönnen. Keine zwei Minuten später betreten wir den Konferenzraum. Es fühlt sich an wie ein Gerichtssaal. Meine Eltern sitzen bereits auf dem Sofa. Lizzy daneben, wie immer mit dem Tablet auf dem Schoß, als wäre das hier ein weiterer Business-Termin, den sie organisieren muss. Peter vom Plattenlabel wirkt angespannt, sein Blick gleitet nervös zwischen mir und der Wasserflasche vor ihm hin und her. Sonya, meine Pressesprecherin, scrollt auf ihrem Handy. Wahrscheinlich schickt sie gerade eine Social-Media-Frühwarnung raus. Sobald sie meine Absätze auf dem Boden hören, schauen sie auf. Ich sehe ihre kritischen Blicke. Wahrscheinlich erwarten sie, dass ich zugedröhnt und mit weißer Nase zu diesem Termin erscheine. Lächerlich.
„Keine Sorge“, sage ich. „Ich bin nicht betrunken. Und nein – ich habe auch nichts eingeworfen.“
Meine Mum springt aufgeregt vom Sofa und kommt zu mir gelaufen. Sie zieht mich in eine feste Umarmung und ich muss mich zusammenreißen, um nicht sentimental zu werden. Keine Ahnung, was meine Mutter an sich hat, aber sobald sie in meiner Nähe ist, überkommt mich das Bedürfnis, loszuheulen. Vielleicht ist es der vertraute Geruch oder das Gefühl, wieder ein kleines Kind zu sein. Jung und unbeschwert.
„Hey, mein Liebling“, sagt sie leise und ihre warme Stimme hüllt mich in einen Kokon der Sicherheit.
„Hi, Mum“, krächze ich an ihr Ohr, bevor ich mich löse und mich neben meinen Dad setze.
Mein Vater ist ein bulliger Kerl mit Halbglatze und strengem Blick. Er sagt nichts, doch sein Blick ist ernst. Fester und härter. Es ist nicht mehr das Gesicht meines Vaters, der mir früher Geschichten vor dem Schlafengehen vorgelesen hat. Es ist das Gesicht eines Mannes, der losgelassen hat, was er nicht mehr halten kann. Liebevoll tätschelt er mir das Knie und ich erkenne den weichen Kern unter seiner harten Fassade. Mit einem Lächeln versuche ich, die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.
Meine Hoffnung war es, meine Eltern erneut um den Finger zu wickeln. Wie bisher. Sie jammern mir die Ohren voll und sagen, dass sie sich Sorgen um mich machen. Ich verspreche ihnen, mich zu ändern, und sie glauben mir. Dieses Thema kommt nicht zum ersten Mal auf den Tisch, allerdings waren bisher nicht so viele Leute involviert. Irgendwas ist heute anders. Normalerweise werden meine Eltern erst hinterher durch Zeitungsberichte auf meine Eskapaden aufmerksam. Und wie sagt man so schön: Was in der Zeitung steht, darf man nicht glauben. Das ist der einfache Grundsatz, an den meine Eltern sich die letzten Jahre geklammert haben. Bis zu diesem Moment.
„Möchtest du vorher was sagen, Fleur? Oder sollen wir anfangen?“ Lizzys Stimme ist professionell, nüchtern und jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Sie macht ihren Job viel zu gut und auch wenn ich genau das eigentlich an ihr liebe, verfluche ich es in dieser Sekunde.
„Schieß los. Von meiner Seite aus gibt es nichts zu sagen.“ Mein Blick ist auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne gerichtet. Eine Methode, um alles, was in den nächsten Minuten kommt, an mir vorbeirauschen zu lassen.
So dämlich, dass ich mich selbst in die Zwickmühle begebe und meine Sichtweise erzähle, bin ich nun nicht. Meine Mum neben mir seufzt auf.
Lizzys Stimme ist sachlich. „Fleur, wir müssen jetzt sehr ehrlich miteinander sein. Du hast die Kontrolle verloren. Es ist nicht das erste Mal, aber diesmal steht nicht nur dein Image auf dem Spiel, sondern ebenso deine Karriere. Dein gesamtes Leben.“
Mit verschränkten Armen lehne ich mich zurück und lasse ihren Monolog an mir abperlen. Mein Blick ist auf einen fiktiven Punkt über Lizzys Schulter gerichtet und ich spiele meine perfektionierte Rolle. Die Gleichgültige. Die Kontrollierte. Gleichzeitig brodelt es unter meiner Haut. Ich bin müde. Vom Kämpfen, vom Performen, vom Gemochtwerden-Wollen. Mein Körper und vor allem mein Geist sind zu erschöpft von dieser Rolle, die ich selbst nie gewählt habe. Ein Popsternchen mit Glanz und Glamour – mehr Fassade als Mensch.
In dem Versuch, auf Durchzug zu schalten, starre ich auf den Konferenztisch. Glatte Oberfläche, kein Staubkorn, alles glänzt. Genau wie ich es sein soll.
Lizzy spricht weiter, klar und klug wie immer. Die Worte nehme ich wahr, höre sie und lasse sie absichtlich an mir vorbeigleiten. „… mediale Eskalation…“ – „… Vertrauensverlust bei Kooperationspartnern…“ – „… Markenwert gefährdet…“
Ich bin ein Markenwert. Nicht mehr und nicht weniger.
Am liebsten würde ich lachen, wenn es nicht so bitter wäre.
„In Absprache mit deinen Eltern haben wir beschlossen, dass du eine Auszeit machen wirst. Dein Drogen- und Alkoholkonsum ist mittlerweile beängstigend hoch, jedoch weiß ich, dass keine Abhängigkeit besteht, da du es auch problemlos tagelang ohne irgendwelche Betäubungsmittel aushältst. Es entstehen keine Entzugserscheinungen und deshalb werden wir schlechte Schlagzeilen über eine Entzugsklinik nicht in Kauf nehmen. Das würde sich rumsprechen wie ein Lauffeuer und für dein Karriereende sorgen. Die Betonung liegt dabei auf dem totgeschwiegenen NOCH nicht abhängig“, sagt Lizzy streng und schaut erst zu mir und dann zu meinen Eltern. Wie ein Maschinengewehr schießt sie gegen mich und mein Gehirn braucht einen Moment, bevor es die Informationen verarbeiten kann. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie mein Vater ihr kommentarlos zunickt und sie fährt fort.
„Du wirst direkt morgen in den Flieger nach Denver steigen und von dort aus nach Clear Creek County fahren. Georgetown ist eine Kleinstadt, rund 70 km westlich von Denver und dein neues Zuhause für die nächsten sechs Wochen. Alles ohne Presse. Ohne Internet. Ohne Social Media.“
Nur die PowerPoint-Präsentation auf ihrem Tablet fehlt, um mir damit eine Führung durch das Kaff zu geben, von dem sie gerade gesprochen hat. Das wäre typisch Lizzy.
Georgetown? Clear Creek County?
Ein spöttisches und leicht hysterisches Lachen dringt aus meinem Mund. Der Plan, auf Durchzug zu schalten, ist gescheitert.
„Und das ohne meine Zustimmung?“, frage ich bitter.
„Du hast sie längst gegeben – mit jedem Skandal, den du produziert hast“, erwidert Lizzy trocken.
„Na klar. Ich werde jetzt meine Sachen packen und mich in dieses traumhafte kleine Städtchen begeben.“ Meine Stimme trieft vor Ironie.
„Spinnt ihr eigentlich?“, bricht es aus mir heraus.
Ohne dass meine Eltern mich daran hindern können, springe ich auf und laufe in Richtung Tür.
„Bleib hier, Flora!“ Die laute und tiefe Stimme meines Vaters donnert durch den Raum und ich bleibe wie erstarrt stehen. Nicht oft habe ich meinen Dad seine Stimme erheben hören, aber wenn er mich Flora nennt, dann meint er es ernst. Scheiße.
Langsam drehe ich mich um und blicke die fünf Personen finster an, die vor mir auf den Sofas sitzen.
„Nenn mich nicht Flora“, fauche ich kratzbürstig.
„Ich nenne dich, wie ich möchte, du bist meine Tochter. Hast du verstanden, was Lizzy gerade gesagt hat?“, fragt er in eindringlichem Ton. Sein Gesicht ist rot, wie ein Geburtstagsluftballon kurz vorm Platzen. Peng.
„HAST DU SIE VERSTANDEN?“ Ein weiteres Mal. Diesmal lauter.
Mein Herz pocht unangenehm schnell in meinem Brustkorb und ich kann kaum glauben, wie mein Vater mit mir redet.
„Du meinst also, ich soll irgendwo aufs Land, Kuhställe ausmisten, Selfie-Verbot und Detox-Tee trinken, während hier entschieden wird, wie ihr mich wieder vermarktet, sobald ich genug Heu gefressen habe? Ich bin erwachsen, verdammt noch mal. Niemand sagt mir, was ich zu tun oder zu lassen habe.“ Leise, jedoch überaus deutlich kommen diese Worte aus meinem Mund und ich schaue einen nach dem anderen an.
„Dann benimm dich auch so! Momentan denkt die ganze Welt, dass du ein Drogenjunkie bist. Ein verlorener Weltstar, dem sein Ruhm zu Kopf gestiegen ist. Der seinen Kummer in Alkohol ertränkt und bei dem es nicht mehr lange dauert, bis der Absturz auf der Karriereleiter bevorsteht.“ Dad holt tief Luft und fügt hinzu: „Mir zerbricht es das Herz, meine Tochter so zu sehen. Es macht mir Angst. Ich habe Angst um dich! Angst, dass der nächste Zeitungsartikel, den ich lese, deine Todesanzeige ist.“ Tränen laufen ihm über seine rauen und von Bartstoppeln übersäten Wangen. Die rote Gesichtsfarbe verwandelt sich schnell zu fleckigen Rötungen. Die Wut zu Trauer.
Verdammt, damit habe ich nicht gerechnet. Meinen Vater derart zu sehen, lässt mein Herz schwer werden.
Ich lasse die Schultern hängen, den Blick auf den Boden gerichtet, um die Tränen meines Vaters nicht sehen zu müssen. Verdrängen und ignorieren waren schon immer die besten Taktiken.
Die leise Stimme meiner Mum durchbricht die Stille.
„Meine beste Freundin aus Kindheitstagen wohnt dort auf einer Ranch. Vielleicht kennst du Sofie noch? Du wirst bei ihr wohnen und ihr bei Arbeiten auf der Farm helfen. Du sollst dich finden. Wiederfinden. Denn das Mädchen, das du einmal warst, ist irgendwo verloren gegangen. Sobald du diesen Raum verlässt, gibst du dein Telefon an Lizzy ab. Sonya wird morgen zur LA Arrivals gehen und ein Interview geben. Es wird gesagt, dass du dich zurückziehen wirst, um an einem neuen Album zu arbeiten“, teilt sie mir ruhig mit und ich wage es nicht aufzuschauen.
Das Mädchen, das ich mal war. Kurz sehe ich es vor mir: Mit Grasflecken auf den Knien. Singend in der Küche. Glitzernd vor Lachen und nicht von dem vielen Make-up.
Wo ist sie hin? Ich weiß es nicht.
Es schockiert mich, dass sie sich gegen mich verbündet haben. Alles ist bis aufs Kleinste durchgeplant und ich weiß instinktiv, ich habe verloren.
Wie ein geprügelter Hund drehe ich mich erneut um, lege mein Handy auf den Fußboden und verlasse wortlos den Raum.
Fleur meldet sich zurück – neues Album in Arbeit
Los Angeles – Nach einer Reihe negativer Schlagzeilen rund um Drogen- und Party-Exzesse gibt es nun wieder Hoffnung für die Fans von Sängerin Fleur: Wie ihre Sprecherin mitteilte, arbeitet der Popstar derzeit intensiv an einem neuen Album.
Demnach habe sich die Künstlerin bewusst aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Auch auf Social Media ist sie aktuell nicht aktiv – ein seltener Zustand für den sonst so präsenten Weltstar. Laut Management wolle sich Fleur ganz auf ihre Musik konzentrieren. Sämtliche öffentlichen Termine wurden vorerst abgesagt.
Fans zeigten sich zuletzt besorgt, nachdem im Internet Fotos der Sängerin kursierten, die auf einen möglichen Klinikaufenthalt schließen ließen. Gerüchte über einen Entzug machten die Runde, offiziell bestätigt wurde davon bislang nichts.
Nun keimt neue Hoffnung auf. Viele ihrer Anhänger hoffen, dass sich die Musikerin durch ihren Rückzug wieder gefangen hat und bald mit neuen Songs ihr Comeback feiert.
Ob ihr die Rückkehr ins Rampenlicht gelingt, bleibt abzuwarten. Eins ist sicher:
Die Musikwelt schaut gespannt auf Fleurs nächsten Schritt.
Fleur
Die Rollen meiner silbernen Rimowa-Koffer fahren rumpelnd über die Eingangsschwelle des Flughafens LAX. Nick läuft neben mir, flankiert von drei Security-Männern, die mich nach Denver begleiten. Sobald sich die Tür meines Flugzeugs öffnet, bin ich jedoch auf mich allein gestellt. An das letzte Mal, an dem ich irgendetwas alleine organisieren musste, erinnere ich mich kaum und zugegebenermaßen bin ich deshalb ein wenig nervös. Im Alltag erkennt man an jeder Straßenecke mein Gesicht. Ständig werde ich von kreischenden, für mich meistens gesichtslosen Menschen verfolgt, die mir in Scharen hinterherrennen, um ein Foto zu machen. Es gibt einen Trick, der in solchen Situationen meistens gut hilft. Kopfhörer rein, Sonnenbrille auf, Kopf runter und tun, als wäre man jemand anderes. Das funktioniert allerdings nur so lange, bis sie mich letztendlich erkennen.
Durch den Luxus meines Privatjets muss ich nirgendwo anstehen und bin in der glücklichen Lage, der Menschenmenge, die sich im Flughafen tummelt, auszuweichen. Zum Glück. In meiner derzeitigen Verfassung würde ich alle Leute um mich herum eh nur vergraulen. Normalerweise fällt es mir nicht schwer, ein aufgesetztes Lächeln aufs Gesicht zu zaubern, um für ein Foto zu posieren. Die Fassade für einen kurzen Moment aufrechtzuerhalten. Meine Stimmung ist jedoch in einem so miserablen Zustand, dass ich es heute wahrscheinlich nicht überzeugend genug hinbekommen würde.
Die weichen, braunen Ledersessel meines Privatjets, in die ich mich hineinfallen lasse, vermitteln eine trügerische Sicherheit, wie sie sich um meinen Körper schmiegen. Mein Glas Champagner, das eigentlich standardmäßig vorbereitet auf meinem Tisch steht, fehlt. Ich kann mir denken, aus welchem Grund, und bin trotzdem sauer.
„Hey Molly!“, rufe ich meine persönliche Stewardess zu mir.
„Was kann ich für Sie tun, Miss?“, fragt sie mich höflich, aber distanziert.
„Kannst du mir ein Glas Champagner bringen? Das ist eigentlich eine Art Ritual für mich geworden, bevor es in die Luft geht.“
„Tut mir leid, Miss Fleur. Ich habe die strikte Anweisung bekommen, dass es keinerlei alkoholische Getränke an Bord geben darf.“
Frustriert lasse ich den Kopf nach hinten sinken und schließe die Augen.
Der Flug ist ruhig. Viel zu ruhig. Das Dröhnen der Triebwerke ist mein einziger Begleiter und versetzt mich in einen leichten Dämmerschlaf, bis wir nach knapp zweieinhalb Stunden Flugzeit im Landeanflug auf Denver sind.
Ein Blick aus dem Fenster verrät mir all das, was ich nicht sehen möchte.
Ein Flickenteppich aus goldenen Espen, rostroten Ahornbäumen und tiefgrünen Tannen breitet sich unter mir aus. Die Blätter wirbeln in sanften Spiralen durch die Luft, als hätten sie sich zu einem herbstlichen Tanz verabredet.
Kleine Häuschen, die wie bunte Stecknadeln zwischen den Bäumen liegen, geben der Landschaft etwas Idyllisches. Frustriert seufze ich auf.
Sechs Wochen, Fleur. Die wirst du überstehen und danach geht’s zurück nach LA.
Mit der rechten Hand ziehe ich das kleine Rollo wieder nach oben, um den Blick aus dem Fenster zu verdecken und mir wenigstens für einen kurzen Moment weiterhin vorzugaukeln, ich wäre in Los Angeles.
Einen Augenblick später fällt es mir zunehmend schwerer zu leugnen, dass ich mich nicht mehr in meiner sonnigen Heimatstadt befinde.
Bereits beim ersten Schritt aus dem Flugzeug schlägt mir kalte Luft entgegen und dank der Regentropfen, die mir ins Gesicht klatschen, beginne ich zu frieren.
Meine Laune ist auf dem Tiefpunkt angekommen.
In mir regt sich ein Fünkchen Wut und die erneute Lust auf ein Glas Champagner. Einer Line wäre ich ebenfalls nicht abgeneigt. Ich brauche irgendwas, damit ich diesen Zustand hier ertrage. Der Gedanke daran, dass ich mich zurzeit sogar in einer Großstadt befinde und gleich weiterfahren werde in die Einöde, verstärkt diesen Drang.
„Welcome to Denver, Miss.“
Die Stimme des Fahrers meiner schwarzen Limousine hört sich erschreckend langweilig und unauffällig an. Kein prägnanter Südstaatenakzent, kein California English.
Nächster Punkt auf der Liste der Dinge, die ich hier hasse.
Ohne ein Wort fahre ich die Trennwand zwischen den Vordersitzen und der Rückbank hoch. Auf Smalltalk habe ich absolut keine Lust und im Endeffekt würde es wahrscheinlich eh damit enden, dass er mich nach einem Autogramm für seine Nichte dritten Grades fragt. Auch darauf kann ich verzichten.
Aus dem Fenster beobachte ich, wie wir die hohen Häuser Denvers hinter uns lassen und uns immer weiter stadtauswärts bewegen. Die Straße kommt mir ewig lang und einsam vor. Weite Felder tauchen auf, über denen Nebelschwaden hängen. Der Regen peitscht unaufhörlich gegen die Scheiben, als wolle er mich persönlich begrüßen und auch das bunt gefärbte Laub kann dem grauen Himmel nichts entgegenwirken. Es gibt kaum andere Autos, die uns entgegenkommen, je weiter wir in Richtung Clear Creek County fahren.
Meine schlechte Laune wächst mit jeder Minute, die ich länger an diesem Ort verbringe.
Nach ungefähr einer Stunde Fahrt wird die Limousine langsamer. Ich lasse die Trennwand wieder runter, damit ich vorne aus der Windschutzscheibe schauen kann.
Direkt vor uns prangen riesengroß die Worte HISTORIC GEORGETOWN an einem wackligen Holzbogen, unter dem wir hindurchfahren. Unwillkürlich halte ich die Luft an und rechne jeden Moment damit, dass das morsche Holz über uns zusammenkracht und das ach so historische Georgetown auf dem Dach der Limousine landet.
Die Stadt wirkt wie ein vergessenes Postkartenmotiv:
Vor jedem Haus mit bunter Fassade sind vereinzelte Kürbisse und getrocknete Maiskolben drapiert. An vielen Türen hängen herbstliche Kränze aus Eichenlaub, Beeren und Zimtstangen.
Auf der rechten Seite plätschert ein kleiner Bach über flache Steine, eingerahmt von dunkelgrünem Farn und einer verwitterten Holzbrücke, die hinüberführt.
Ungewollt muss ich mir eingestehen, dass es aussieht, als wäre dieser Ort einem Bilderbuch entsprungen. Normalerweise rufen cozy Kleinstädte eher einen Würgereiz in mir hervor, anstatt ein Gefühl der Geborgenheit. Hektischer Großstadttrubel entspricht eher meinem Naturell.
Laut der Infomappe, die gestern auf meinem Hotelbett lag, hat Georgetown stolze 1118 Einwohner und liegt in einem Tal, eingebettet zwischen den Rocky Mountains.
Orangene, rosane und braune Häuserfassaden mit großen runden Fenstern und stuckverzierten Rahmen säumen die geteerte Rose Street, welche mitten durch den kleinen Ort führt. Die Leute am Straßenrand sehen einfach aus. Normal. Niemand trägt auffällige, knappe Klamotten. Nicht einmal eine Sonnenbrille ist zu sehen.
Bei dem fürchterlichen Wetter auch eher unangebracht.
Es gibt eine Handvoll Geschäfte, darunter ein Häkel- und Stoffbedarf, ein kleines Café mit einem Cupcake-Schild, auf dem „Lillie’s“ zu lesen ist, und ein Lebensmittelgeschäft, vor dem keine Einkaufswagen stehen, sondern nur schwarze Körbe. Außerdem ein Museum, welches die Geschichte von Georgetown repräsentiert, und eine Kneipe, wie aus einem schlechten Westernfilm entsprungen.
Verdammt. Hier soll ich die nächsten sechs Wochen überleben? Keine schicken Designerläden. Kein Frappuccino bei Starbucks.
Nicht mal ein Nagelstudio, um mir eine Maniküre verpassen zu lassen. Ungläubig darüber, dass meine Mum mich tatsächlich hier in diese Einöde abgeschoben hat und ich den Scheiß widerstandslos mitmache, lasse ich einen Seufzer der Verzweiflung los. Wenn mein Vater gestern Abend nicht so emotional reagiert hätte, wäre mein Widerstand auf jeden Fall größer ausgefallen.
Andererseits habe ich noch weitaus weniger Bock, mich in einer Entzugsklinik wiederzufinden, weil alle denken, dass ich ein Drogenproblem habe. Denn das habe ich nicht. Gelegentlichen Trips bin ich nicht abgeneigt, gerade während einem dieser unfassbaren Adrenalinkicks, die man nach einem Konzert vor 70.000 Leuten verspürt. Jedoch sind die Klatschzeitschriften bereits jetzt misstrauisch. Ich habe heute Morgen am Flughafen gelesen, was sie schreiben, nachdem Sonya die Pressemitteilung an die LA Arrives geschickt hat. Sie vermuten trotz allem einen Entzug, so wie es nun mal bei jedem einzelnen Hollywoodstar irgendwann üblich ist. Die Kommentare der Leute im Internet durchzugehen, habe ich mir gar nicht erst angetan. Das wäre reiner Selbstmord gewesen. Sobald die Menschen im anonymen Internet unterwegs sind, werden sie zu bösen, hässlichen und vor Neid zerfressenen Kreaturen.
Wir fahren an einem großen Gebäude vorbei, das zumindest größer ist als die anderen Häuser in diesem Kaff. Die rötliche Fassade sieht aus wie neu gestrichen und die weißen Fensterläden versprühen einen französischen Charme.
„Hotel de Paris“ steht in geschwungenen Lettern über dem Eingang.
Das passt, denke ich schmunzelnd und bewundere die imposanten Blumentöpfe rechts und links neben der doppelflügeligen Eingangstür, in denen sich säulenförmige Zypressen befinden. Warum braucht dieses Kaff ein Hotel? Gibt es tatsächlich Leute, die hier freiwillig ihren Urlaub verbringen?
Skeptisch betrachte ich ein altertümliches Schild, das eine „Loop Railroad“ und die hiesige Polizei- und Feuerwehrwache ankündigt.
Es dauert weitere fünf Minuten, bis wir vor einem großen Holztor stehen und ich die heruntergekommene Ranch mustere, die der Freundin meiner Mum gehören muss.
Im Gegensatz zur glänzenden Fassade des Hotels de Paris hat diese hier dringend einen neuen Anstrich nötig. Die Veranda, die rund um das große Haus herumführt, war vor Jahren vielleicht mal strahlend weiß, aber selbst auf die Entfernung sehe ich die alte Farbe abblättern. Spinnenweben hängen zwischen den verblassten Maiskolben an den windschiefen Holzbalken und ein verbeulter Eimer mit alten Gummistiefeln steht neben der Haustür, an der ein Kranz aus getrockneten Hortensien hängt. Überall stehen Kürbisse in verschiedenen Größen und Formen und ein farblich passender Kater mit dicker Plauze räkelt sich faul auf einer der Eingangsstufen.
Ich kann mir ein schockiertes Auflachen nicht verkneifen. Wo zur Hölle bin ich hier gelandet?
Will
Tok.
Tok.
Tok.
Der große Hammer, den ich ein paar Minuten zuvor aus der Werkstatt meines Vaters geholt habe, hinterlässt ein dumpfes Geräusch bei jedem Schlag. Die tiefsitzende Frustration der letzten Monate kanalisiere ich in jeder einzelnen Wiederholung. Es bringt nichts. Das Gefühl der Hilflosigkeit bleibt.
Der Wind pfeift heute durch die Baumwipfel, als wollte er alles Unerträgliche mitnehmen, und die klappernden Fensterläden des Hauses höre ich bis hierher.
Verzweifelt versuche ich, die alten, morschen Zaunelemente, die jahrelang die Esel davon abgehalten haben, auszubüchsen, durch ein paar Hammerschläge zu fixen. Es ist ein kompletter Reinfall. Genervt gebe ich auf und lasse den Hammer sinken. Der Griff fühlt sich schwer an in meiner Hand, genau wie die Verantwortung, die ich trage. Seit mein Dad gestorben ist, vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht frage, ob ich diesem Leben hier gewachsen bin. Ein Rumpeln aus der Box neben mir holt mich aus meinen Gedanken. Kermit, eins von fünf Maultieren, streckt seinen Kopf über die Boxentür. Ich laufe zu ihm und streichle seine langen, grauen Ohren und das zottelige Fell. Seine Wärme erdet mich. Innerhalb von Sekunden schafft der Esel es, mich zu entspannen. Die Arbeit auf der Ranch überrennt mich förmlich und ich weiß langsam nicht mehr, welche Baustelle ich zuerst betreten soll.
Langsam, aber sicher komme ich an meine Grenzen. Zugeben würde ich diesen Umstand auf keinen Fall. Nicht vor meinen Freunden und erst recht nicht vor meiner Mum. Dass sie überhaupt irgendeine Form von Hilfe annimmt, ist nur ihrem eigenen Gesundheitszustand zu verdanken, und ich bin nicht zurückgekommen, damit ich im nächsten Moment wieder abhaue und ihr damit weiteren Kummer bereite. Meine gestrige Hoffnung, die Tochter von Mums Freundin als tatkräftige Unterstützung und brauchbare Hilfe anzusehen, ist in dem Moment zunichtegemacht worden, in dem ich erfahren habe, um wen es sich handelt. Fleur, oder auch Flora, wie sie eigentlich heißt. Das weltweit bekannte Popsternchen, das eher für ihre wilden Alkohol- und Drogeneskapaden berühmt ist und nicht für ihre gute Musik. So habe ich sie jedenfalls bisher wahrgenommen. Da ich aber kein unvoreingenommener Mensch sein möchte, lasse ich mich gerne vom Gegenteil überzeugen. Zumindest versuche ich es.
Die Eigenschaft, fremde Menschen in Schubladen zu stecken, ist etwas, was mir bereits früher ein Dorn im Auge war. Bevor ich einen Menschen nicht persönlich kenne, urteile ich nicht über ihn. Sollte sich dann jedoch jemand unbeliebt bei mir machen, ist er leider sehr schnell und für ziemlich lange Zeit unten durch. Den Sturkopf habe ich von meinem Vater geerbt und meine Mum hatte es oft nicht leicht, mit zwei solchen dickköpfigen Eseln. Ich war ungefähr acht Jahre alt und mit meinem Vater unterwegs, um einen neuen Trecker für die Ranch zu kaufen. Der alte grüne John Deere hat den Geist aufgegeben und ich war der Meinung, dass ein roter Trecker gerade sehr viel angesagter wäre, während mein Dad überzeugt davon war, bei grün bleiben zu müssen. Wir haben gestritten und diskutiert wie die Maultiere. Letztendlich sind wir ohne einen neuen Trecker nach Hause gefahren. Schweigend und eingeschnappt, jeder weiterhin überzeugt von seiner eigenen Meinung. Mum hat uns schon beim Öffnen der Tür angesehen, was los war, und uns kopfschüttelnd einen heißen Kakao gemacht, damit wir uns wieder beruhigen. Und tatsächlich hat ausgerechnet das immer wieder geholfen, uns zur Vernunft zu bringen.
Mein Blick fällt auf das große Fahrzeug, das in der Scheune geparkt ist. Ein grüner John Deere, der zur Hälfte rot foliert ist, und ich schließe für einen kurzen Moment die Augen, um die Mischung aus Schmerz und Liebe zuzulassen, die mich durchflutet.
Bereits aus weiter Entfernung höre ich, wie sich ein Auto in Richtung Ranch bewegt, und kurz darauf ertönt ein Hupen. Dann noch eines.
Reiß dich zusammen, Will. Flora hat eine Chance verdient. Ich setze ein offenes Lächeln auf und öffne die Stalltür.
Vor unserer Torzufahrt steht eine glänzend schwarze Limousine. Vorne drin sitzt ein Fahrer, der mich abwartend anschaut und ungeduldig mit seinen Fingern auf dem Lenkrad trommelt. Der hintere Teil des Autos ist durch abmattierte, dunkle Scheiben nicht einsehbar. Wie kann allein das Aussehen eines Autos es schaffen, alle glauben zu lassen, es wäre jemand Besonderes darin?
Gespielt freundlich werfe ich dem schlecht gelaunten Fahrer einen Blick zu und öffne ihm das Tor. Er erwidert nichts.
Die Limo parkt vor dem Haupthaus und der Anzugträger, der genauso steif wirkt, wie man sich jemanden in dem Job vorstellt, läuft einmal ums Auto rum und öffnet die rechte Hintertür.
Erst passiert nichts, dann sehe ich zwei lange, schlanke Beine, die aus der offenen Tür rausschauen. Kurz darauf erscheint auch der Rest des Körpers und ich muss hart schlucken. Fleur ist verdammt hot, aber leider genauso, wie ich vermutet habe. Künstlich. Ihre Haare sind dunkelbraun, fast schwarz, lang und glatt. Kein einziges Haar sitzt an der falschen Stelle. Das ebenfalls schwarze Oberteil könnte nicht knapper sein und zeigt mehr, als es verdeckt. Sie fröstelt leicht und eine Gänsehaut zeichnet sich auf ihren nackten Armen ab. Die große Sonnenbrille in ihrem Gesicht lässt mich nur erahnen, wo sie hinschaut. Eine kleine Stimme in meinem Inneren lässt mich glauben, dass sie mich ebenso mustert, wie ich sie.
Fleur ist so zierlich, dass ich Angst habe, sie könnte von der nächsten Windböe mit dem bunten Herbstlaub zusammen davon geweht werden.
Das kann ja witzig werden, die nächsten sechs Wochen.
Fleur
Mein Fahrer hupt zweimal laut, um auf uns aufmerksam zu machen, und im nächsten Moment kommt jemand aus der Scheune rechts neben dem Haupthaus geschlendert.
Ein Typ in schwarzem Shirt und grün kariertem Holzfällerhemd läuft uns freundlich lächelnd entgegen. Er müsste mit Mitte zwanzig ungefähr mein Alter haben und sieht aus wie jemand aus einem dieser Cowboy-Filme, die ich heimlich auf Netflix schaue, sobald es die Zeit zulässt.
Schnell krame ich meine Sonnenbrille aus der Handtasche, obwohl die Sonne längst beginnt, sich hinter herbstlich gefärbten Bäumen zu verstecken. Ein bisschen Schutz kann nicht schaden. Der dunkelhaarige Typ, der passend zu seinem Outfit die langen Haare in einem Dutt trägt und dessen missglückter Dreitagebart eine Spur zu lang ist, um noch als solcher durchzugehen, öffnet mit einem lässigen Handgriff das knarzende Holztor. Er winkt uns hindurch, als sei es die Tür zu seinem Königreich.
Im Vorbeifahren betrachte ich seine ziemlich breiten Schultern – wahrscheinlich vom vielen Holzhacken. Zwar typisch Hinterwäldler, aber nicht schlecht. Bewundernd gleitet mein Blick ausgiebig über seinen Bizeps, der sich selbst durch das weite Hemd deutlich an seinem Arm abzeichnet.
Die Limousine parkt vor der Veranda und ich beobachte, wie mein Fahrer einmal ums Auto läuft, um mir die Tür zu öffnen. Ich hatte in der letzten Stunde verdrängt, wie kalt die Luft hier Ende September ist, und fange augenblicklich wieder an zu frieren.
Mein schwarzes, bauchfreies Wickeltop ist leider nicht die optimale Wahl für ein Herbstoutfit gewesen, muss ich mir mittlerweile eingestehen.
Der hotte Holzfäller, wie ich ihn insgeheim getauft habe, läuft mit schweren Schritten auf uns zu. Er ist verdammt groß, locker über 1,90 m, und aus der Nähe kann ich nun seine warmen, braunen Augen erkennen, die mich freundlich anfunkeln, wobei kleine Fältchen seitlich der Augen entstehen.
„Du musst Flora sein. Ich bin Will.“ Er streckt mir seine riesige Pranke entgegen. Schwielig, kräftig, warm. Hände, die arbeiten und zupacken können.
„Fleur. Mein Name ist Fleur!“, presse ich wütend zwischen den Zähnen hervor
„Oh sorry, meine Mum meinte, dein Name wäre Flora“, sagt er sichtlich zerknirscht und lässt seine Hand sinken. Vielleicht ist es nur gespielt, ich bemerke nämlich ein leichtes Zucken seiner Mundwinkel und kneife skeptisch die Augen zusammen.
Moment mal.
„Deine Mum?“, frage ich Will neugierig.
Holzfäller Will findet zu seinem ursprünglichen Strahlen zurück und entblößt dabei eine Reihe strahlend weißer Zähne, die einen deutlichen Kontrast zu seinem dunklen Bart bilden.
„Ja, meine Mum. Sofie. Sie ist gerade unterwegs, müsste aber eigentlich jeden Moment wieder hier sein. Soll ich dir das Haus zeigen?“
Sofie ist seine Mum? Mums Freundin hat einen Sohn? Warum zum Teufel hat mir das niemand erzählt? Ich stehe da wie der letzte Vollidiot, komplett ahnungslos, am Ende der Welt.
„Na dann mal los“, nuschle ich mit einem angewiderten Blick auf das in die Jahre gekommene Haupthaus der Ranch und marschiere voran. Immer darauf bedacht, wo ich hintrete, um nicht in einem Kuhfladen oder Ähnlichem zu landen.
Will bleibt perplex hinter mir stehen.
„Alles klar, Prinzessin“, höre ich ihn leise flüstern, als er sich seinem Schicksal ergibt und zwei meiner drei Koffer hinter sich herzieht, um mir zu folgen.
Wir treten durch die Eingangstür ins Haus und die warme Luft schmiegt sich wohltuend um meinen Körper, während draußen der Wind trockene Blätter über die Veranda fegt. Sogar durch die geschlossenen Fenster höre ich, wie sie im wilden Tanz gegen das Holz schlagen. Irgendwo knistert leise ein Kaminfeuer. Der Herbst ist hier nicht nur eine Jahreszeit – er spiegelt sich wie ein leises, melancholisches Gefühl in jeder Ecke wider.
Es riecht nach frisch gebackenem Apfelkuchen mit einer leichten Zimtnote. Köstlich. Mein Magen gibt ein lautes Knurren von sich und macht mir bewusst, dass ich seit gestern Abend nichts mehr gegessen habe.
„Da hat wohl jemand Hunger“, lacht Will und zieht fragend eine Augenbraue in die Höhe.