Sons of Silence - Lilli Hazel - E-Book

Sons of Silence E-Book

Lilli Hazel

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Beschreibung

Was würdest du tun, wenn du vor der Wahl stehst zwischen dem Menschen, den du liebst, und dem, dessen Blut in deinen Adern fließt?  Seitdem Emma in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Sons of Silence verlassen hat, ist Adrians mühsam zusammengesetztes Herz wieder in alle Einzelteile zerbrochen. Keiner von ihnen ahnt, welche Überwindung es Emma gekostet hat, ihre eigenen Gefühle hintanzustellen, um die zu retten, die sie liebt. Während die Sons denken, dass sie verraten wurden, schmiedet Emma ihre ganz eigenen Pläne, um sich an ihrem Vater, dem President der Eagle Eyes, zu rächen.  "Du wirst merken, wenn es dieser eine Mensch ist, der dich vollkommen macht. Erst dann kannst du Glück und Vollkommenheit voneinander unterscheiden."

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Seitenzahl: 380

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sons of Silence

Chapter 2

Lilli Hazel

1. Auflage

Copyright © 2025 Lilli Hazel

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Sternfeder Verlag

Bildmaterial lizensiert über Adobe Stock

Korrektorat/Lektorat: Textträume by Sabrina Hausmann

Herausgegeben von: Sternfeder Verlag, Bogenstr.8, 58802 Balve

www.sternfederverlag.de

[email protected]

Verlagslabel: Sternfeder Verlag

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich ge-

schützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Ver-

wertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Bibliografische

Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:

https://portal.dnb.de/opac.htm

Das Buch ist rein fiktiv. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhalt

Playlist

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

EPILOG

Danksagung

Playlist

Exile – Taylor Swift

Lonely Road – Machine Gun Kelly

Mean It – Lauv

Vampire – Olivia Rodrigo

The Loneliest – Maneskin

I wanna be yours – Arctic Monkeys

No Time to Die – Billie Eilish

The Lost Boy – Greg Holden

Never My Love – The Association

Nothing Else Matters – Metallica

Running Down a Dream – Tom Petty and the Heartbreakers

Dieses Buch ist für jede Frau und jeden Mann, die den Mut, die Liebe und den Willen in sich tragen, um einem Kind ein Zuhause zu schenken.

Und für meine Mama, die mich neun Monate in sich getragen hat.

Danke, dass du mir dieses Zuhause gegeben hast.

Ich liebe dich.

Prolog

Emma

Dunkelheit. Es ist unglaublich finster hier draußen. Die Schwärze der Nacht lässt mich meine eigene Hand vor Augen nicht sehen. Nur der Frontscheinwerfer von Adrians Harley wirft einen Lichtstrahl auf die sandige Straße, die sich Meter für Meter vor mir erstreckt. Mich immer weiter fortführt von dem Ort, an dem ich der glücklichste Mensch auf dieser ganzen weiten Welt war. Fort von dem Menschen, der mich so vollständig gemacht hat, wie nie jemand zuvor. Dank meines Handynavis habe ich es zurück nach Southlands geschafft und bin selbst verwundert darüber. Während der Fahrt kam kurz die Überlegung auf, direkt zum Clubhaus der Eagle Eyes zu fahren, um meinen Vater zur Rede zu stellen. Aber damit hätte ich mich nur selbst verraten. Ohne ein einziges Wort zu sagen, hätte ich meinen ganzen Plan zunichte gemacht. Er würde mir an der Nasenspitze ablesen können, dass ich freiwillig bei den Sons geblieben bin.

Mein Herz wird schwer. Was sie wohl von mir denken? Ob sie mein Verschwinden als Verrat sehen? Verrat an Adrian, an den Sons und an die Zeit, die sie mir schenkten. In meinen Augen gibt es keine andere Möglichkeit, um sie zu beschützen. Mit jedem Meter, den ich mich weiter von Adrian entferne, frage ich mich, wie ihre Sichtweise der Dinge ist. Ob es die richtige Entscheidung war. Werden sie mich hassen? Was für eine dumme Frage, Emma.

Natürlich werden sie mich hassen, wenn sie denken, ich hätte sie betrogen und mich auf die Seite meines Vaters geschlagen. Sie wissen nicht, welchen Plan ich verfolge. Nie würde es mir in den Sinn kommen, die Sons of Silence zu verraten.

Meine Familie zu verraten.

Ich versuche nur, sie vor einer Menge Unheil und weiteren Toten zu bewahren. Denn das wäre die einzige logische Konsequenz, wenn ich nicht zurück zu den Eagles gehe. Der Motorradclub meines Vaters hätte das Clubhaus der Sons gestürmt und wahllos alles und jeden abgeschlachtet, der ihnen vor die Augen getreten wäre. Big D. ist gnadenlos. Furchterregend. Ein schlechter, widerwärtiger Mensch, ohne jegliche Rücksicht auf andere.

Irgendwann wird Adrian verstehen, warum ich das getan habe. Für ihn und seine Member.

Auch wenn es in diesem Moment unsere beiden Herzen in Stücke reißen wird. Qualvoll und blutig, ohne jegliche Chance auf Heilung.

Adrians Harley parke ich vor meinem Bungalow und hole das Handy aus der Tasche meines Kapuzenpullovers. Seines Kapuzenpullovers. Dabei berühren meine Finger das zusammengefaltete Blatt Papier, auf dem Adrian mich heimlich gezeichnet hat. Ich saß gedankenverloren vor dem Kamin. Ein kleiner Moment der Vollkommenheit. Es zeigt meine Silhouette mit Bleistift und zig Schwalben, die aus dem Feuer des Kamins fliegen, vor dem ich sitze. Ich wage es nicht, das Porträt herauszuholen und noch einmal anzuschauen. Es würde meinen und ihren Untergang bedeuten. Ein einzelnes Blatt Papier würde dafür sorgen, meine Meinung zu ändern. Den irrsinnigen Plan über den Haufen zu werfen und zurück aufs Motorrad zu steigen, um mich in die schützenden Arme des President der Sons of Silence zu legen. Abgeschottet vom Rest der Welt. Nur wir beide. Egal, was sonst passieren mag in diesem Moment.

Begierig atme ich den Geruch des Pullovers ein. Adrians Geruch.

Bleib stark, Emma. Es geht nicht anders. Mühsam unterdrücke ich die aufkommenden Tränen und den Kloß in meinem Hals. In meinen Kontakten suche ich die Nummer von Tyler und drücke den grünen Hörer. Dann warte ich, bis er abnimmt und ich seine verschlafene Stimme höre.

„Ja?“

„Hey Tyler, ich bin’s“, sage ich leise, gespannt darauf, wie seine Reaktion ausfällt.

Kapitel 1

Adrian

Zwei Tage sind vergangen, seit Connor mich aus dem Versteck geholt hat. Ohne Motorrad blieb mir nichts anderes übrig, als ihn zu kontaktieren.

Zwei Tage voller leerer Hoffnung, alles sei nur ein Missverständnis. Dass es irgendeine logische Erklärung für Emmas plötzliches Verschwinden gäbe. Doch die einzige Erklärung, zu der ich immer wieder zurückkehre, ist:

VERRAT!

Wie naiv ich war. Viel zu leicht habe ich mich blenden lassen. Nach allem, was Big D. meiner Schwester angetan hat, glaubte ich ernsthaft, seine Tochter sei anders? Kein verlogenes Stück Dreck, kein hinterhältiger Abklatsch seines widerlichen Wesens.

Memo an mich selbst: Sie ist all das und noch viel schlimmer.

Auch jetzt, mitten in der Nacht, wälze ich mich unruhig auf meiner Matratze und kann nicht fassen, was passiert ist. Der Duft ihres Haarshampoos hängt wie ein Fluch in den Laken meines Bettes. Erdbeerig. Süß. Verräterisch. Und gleichzeitig schmerzhaft vertraut. Er dringt in meine Nase und schneidet durch mein Herz, als wäre sie noch hier und nicht beim Feind.

Wütend stehe ich auf und reiße das Bettzeug herunter. Ich ertrage diesen verdammten Geruch keine Sekunde länger. Er erinnert mich an die Nächte, in denen sie neben mir lag. Mich mit ihren grüngesprenkelten Augen angesehen hat – bis in die tiefsten Ecken meiner Seele. Damals begann meine Mauer zu bröckeln, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte.

Voller aufgestauter Wut stopfe ich die Bettwäsche in den Wäschekorb im Bad und werfe einen Blick in den Spiegel.

Was hat sie mit dir gemacht, A.D.?

Mit fahrigen Bewegungen wische ich mir über die Augen. Ich liebe sie - so sehr. Ihr eigentlicher Verrat schmerzt, doch ihr Fehlen geht tiefer, zerreißt mich innerlich. Und das ist das Erbärmlichste daran. Würde sie jetzt zurückkommen, ohne ein Wort, ohne eine Erklärung, sollte ich sie hassen. Müsste ich sie hassen. Aber ich wüsste, wie es endet. Ich würde auf die Knie fallen und sie anflehen, mir das nicht erneut anzutun. Würde sie in meine Arme ziehen, sie küssen und für immer festhalten.

Widerlich, Adrian. Schwach.

Der Gedanke, es könnte nie wieder so sein, wie es mal war, zerreißt mich innerlich.

Mein bereits vernarbtes Herz erleidet eine weitere Wunde und es gibt nur ein Heilmittel: Emma.

Ich putze mir die Zähne, ignoriere meine geröteten Augen und spucke die Zahnpasta ins Waschbecken. Danach mache ich mich daran, mein Bett neu zu beziehen – mechanisch, wie in Trance. Mein Körper ist müde. So unendlich müde. Deshalb versuche ich, mich von dem Gefühl der Erschöpfung überrollen zu lassen, damit mir ein paar Stunden Schlaf geschenkt werden. Diesmal mit Erfolg.

Ein Klopfen reißt mich aus der Dunkelheit.

„A.D., bist du soweit?“ Thunders Stimme klingt gedämpft, aber eindringlich. Verwirrt schaue ich auf mein Handy. 9:05 Uhr.

Verdammt.

Heute ist die Beerdigung unserer Member. Ich setze mich auf und versuche, den brennenden Kopfschmerz zu ignorieren.

„Ich bin in fünf Minuten unten“, rufe ich zurück.

Schnell werfe ich mir schwarze Jeans und ein Shirt über, wasche mein Gesicht und zwinge mich zur Konzentration. Ich bin ihr President. Sie verlassen sich auf mich.

Es werden sechs Minuten. Unten warten Connor, Sammy J., Thunder und Therese, Sharky und Kim. Ihre Gesichter spiegeln, was ich selbst versuche zu verbergen: Schmerz. Enttäuschung. Zorn. Die Lederjacke auf meinen Schultern lastet heute schwerer als sonst. Sie trägt Verantwortung. Verlust. Und den Beweis, dass sie – Emma – nicht mehr meine First Lady ist. Mein Herz spürt einen weiteren fiesen Stich.

Während sie sich nachts in aller Heimlichkeit auf den Weg zu den Eagles davongeschlichen hat, hing die Jacke wie ein Zeichen der Erniedrigung über der Rückenlehne des klapprigen Holzstuhls in der Hütte am See. Dieses Bild des Hohns hat sich unwiderruflich in mein Gedächtnis eingebrannt.

„Können wir, Jungs?“ Meine Stimme ist tonlos, die Miene eine harte, undurchdringliche Maske ohne jegliches Gefühl. Denn Gefühle bedeuten Schwäche, und in meiner Position – als President – kann und darf ich sie mir nicht erlauben. So war es schon immer und wird es auch in Zukunft sein.

Ich straffe meine Schultern und zwinge mich, Haltung zu bewahren. Die anderen nicken stumm und wir treten geschlossen nach draußen. Jeder zu seinem eigenen Motorrad, das aufgereiht auf der Auffahrt unseres Clubhauses steht. Eins nach dem anderen, wie auf der Verkaufsfläche eines Harley-Shops. Ich laufe auf das alte Panhead-Modell zu. Die Chopper meines Vaters glänzt in der erbarmungslosen Mittagssonne. Nach seinem Tod habe ich sie wieder funktionstüchtig gemacht. Sie ist mehr als ein Bike – sie ist ein Vermächtnis. Das Motorgehäuse sowie die Zylinderköpfe landeten auf dem Schweißtisch und eine gebrochene Lichtmaschinenhalterung musste neu aufgeschweißt und nachbearbeitet werden. Zu guter Letzt habe ich den Tank und den Fender mit einem Old-School-Paintjob versehen und fertig war die neue alte Harley meines Vaters, als wäre ihre Bestimmung nie eine andere gewesen. Und heute fährt sie mich zur letzten Ehrung, die ich für meine acht Männer antrete. Mein Vater wäre verdammt stolz auf mich und auf seine Maschine, wenn er sie in diesem Zustand sehen könnte. Schon als kleiner Junge brachte er mir bei, wie man einen Ölwechsel durchführt, Zündkerzen austauscht oder Glühbirnen wechselt.

Ich denke an meine eigene Harley. Mattschwarz. Irgendwo bei den Eagles. Bei Emma. Jahrelang habe ich geglaubt, der Club würde mir meinen Seelenfrieden bringen.

Dann kam sie – und bewies mir, dass es mehr gibt im Leben als Rache.

Oder besser gesagt gab.

Konzentrier dich, Adrian.Es geht jetzt nicht um dich. Nicht um Emma. Einzig und allein um deine Member, die für dich in den Tod gegangen sind.

Das Atmen fällt mir schwer und ich bin froh über den offenen Chopperhelm auf meinem Kopf, ansonsten wäre ich wahrscheinlich erstickt.

Vielleicht hättest du es nicht anders verdient.

Ich muss der gemeinen Stimme in meinem Kopf recht geben.

Mein „ach so“ idiotensicherer Plan, die Tochter von Big D., dem President der Eagle Eyes, zu entführen und gegen ihn zu verwenden, ist komplett nach hinten losgegangen. Emma hat von Anfang an nicht die Gefühle in mir hervorgerufen, die ich für ein Druckmittel hätte fühlen müssen, um diesen Plan erbarmungslos durchzuziehen. Immer wieder habe ich mir geschworen, meine Schwester zu rächen. Im Endeffekt stehe ich nun ohne irgendeine Form von Rache da, habe kein Motorrad mehr, acht Männer meines Clubs verloren und ein gebrochenes Herz.

Ein verdammtes, gebrochenes Herz, von dem ich dachte, es wäre aus Stein. Innerlich lache ich auf und muss zugeben, dass ich noch sehr viel zu lernen habe. Zuallererst: Ein Stein kann kaputt gehen.

Beim nächsten Mal sollte ich lieber auf Chrom setzen, denke ich mit einem Seitenblick auf das polierte Material an der Harley.

Die Fahrt zu der kleinen Kapelle in Queensville dauert knapp 45 Minuten.

Ich versuche, den Gedanken an mein Elternhaus zu verdrängen, das nicht weit entfernt liegt. Vielleicht schaffe ich es danach, kurz bei meiner Mum vorbeizuschauen. Als wir ankommen, parken wir unsere Maschinen wie ein Spalier vor der doppelflügeligen Eingangstür der Kapelle. Über fünfzig Motorräder. Fünfzig Brüder. Fünfzig Geschichten. Die Angehörigen der Toten stehen in Gruppen beisammen, wie schwarze Punkte auf staubigem Sand. Die Stimmung ist erdrückend.

Der Bestatter tritt an mich heran. Ein hagerer Mann um die fünfzig mit eingefallenem Gesicht und spitzem Kinn. Selbst sein Gang wirkt träge und schwer. Vielleicht ist es seine berufliche Pflicht, in dieser Art und Weise zu laufen, um Respekt zu zeigen. Mich macht es wahnsinnig. Er steht vor mir und nickt mir zu. Wahrscheinlich ist er unsicher, wie er sich verhalten soll. Eingeschüchtert von den Massen an Motorrädern und Männern in Lederjacken.

„Können wir starten?“, frage ich ihn.

„Ja, Sir.“

Ich nicke und gebe meinen Männern das Zeichen, mir zu folgen. In Vierergruppen stellen wir uns auf und tragen alle acht Särge in Kolonne durch den schmalen Gang der kleinen Kapelle. Danach ziehen wir uns zurück. Der Raum reicht nicht für uns alle, und dieser Moment gehört den Familien. Draußen vergeht die Zeit in lautem Schweigen. Sammy J. spielt nervös an der Kette seines Schlüsselanhängers. Das metallene Klirren nervt, doch ich sage nichts. Er ist neu im Inner Circle, und es ist seine erste Beerdigung. Ich kenne ihn seit Jahren, allerdings durfte er erst nach seinem Schulabschluss offiziell dabei sein. Trotzdem war er immer da. Loyal, entschlossen und mit einem unerbittlichen Vertrauen in mich. Jetzt gehört er dazu und darf sich als Prospect unter Beweis stellen. Für mich ist diese Beisetzung leider nicht die erste Beerdigung. Aber eine der schlimmsten. Weil ich es hätte verhindern können.

Ich war blind.

Blind vor Rache, blind vor… Liebe? Das schlechte Gewissen und die Schuldgefühle nagen schmerzhaft an mir.

Ohne mich hätten diese Familien nicht ihre Ehemänner, ihre Väter, ihre Söhne verloren. Und jetzt stehen wir hier, mit acht Gräbern und einer Schuld, die mich auffrisst.

Thunder und Sharky sitzen im Schatten des kleinen Gebäudes auf dem sandigen Boden, die Köpfe nach unten gerichtet. Dann klingeln die Glocken ein zweites Mal und es ist an der Zeit, unsere Männer auf dem letzten Weg zu ihrer Ruhestätte zu begleiten. Ich öffne die Türen und wir laufen an den Sitzreihen der Familienangehörigen vorbei. Ganz vorne bleiben wir mit gesenktem Kopf stehen und nach einem kurzen Nicken von mir stellen sie sich in Formation an die Särge. Hinter der Kapelle wartet der Friedhof mit acht offenen Gräbern. Acht schwarze Löcher, die sich in mein Herz brennen. Das Bild, das sich mir bietet, ist so erschreckend, dass ich nur mit Mühe den Kloß in meinem Hals hinunterschlucken kann. In meiner dunklen Lederjacke fange ich an zu schwitzen, mir ist schlecht und meine Lippen sind trocken und spröde.

Es ist fast geschafft, rede ich mir selbst zu, während der Sarg, den ich mit drei weiteren meiner Leute getragen habe, langsam in das tiefe, dunkle Loch hinabgelassen wird.

Schräg hinter mir höre ich das Schluchzen eines Kindes – Humphreys Tochter. Ihre Tränen schneiden tiefer als jede Klinge. Ich spüre erneut, wie sich meine Kehle zuschnürt. Meine Schuldgefühle sind so verdammt erdrückend, dass ich beinahe unter dieser Last zusammenbreche. Hier vor allen.

Dein Herz ist aus Chrom, nicht aus Stein.

Denn Chrom hält. Es verbiegt sich, aber es hält.

Irgendwie.

Mit der letzten Schaufel sandiger Erde endet der Abschied.

Innerlich mache ich drei Kreuze. Schwer atmend stehe ich neben meinen Männern, schweißgebadet, mit schmerzenden Muskeln und verdammt erleichtert, es hinter mich gebracht zu haben.

Wir verabschieden uns von den Familien und laufen schweigend zurück zu unseren Maschinen.

Ich steige als Erstes auf mein Motorrad. Dads Motorrad. Hinter mir höre ich das laute Dröhnen von über fünfzig Harleys, die mir, ohne zu zögern, folgen. Auch wenn es ihren eigenen Tod bedeuten könnte.

Kapitel 2

Emma

Das Mondlicht fällt durch die Vorhänge meines Schlafzimmers und malt blasse Schatten auf den Boden.

Draußen wiegen sich die Palmen sanft im warmen Wind, als wollten sie mich beruhigen – mich in den Schlaf wiegen. Vergeblich.

Seit meiner Rückkehr habe ich kein Auge zugetan. Kein Schlaf, keine Pause für meine müde Seele. Mein Körper ist erschöpft, aber mein Kopf weigert sich, zur Ruhe zu kommen. Die Gedanken sind zu laut und egal, was ich versuche, der Schlaf bleibt aus. Heute war die Beerdigung. Acht Member. Acht Leben, ausgelöscht von den Männern meines Vaters. Es ist kaum zu begreifen, dass ein Mensch mit einem Fingerschnippen über Leben und Tod entscheidet. Als wären sie nichts weiter als Flammen auf einem Geburtstagskuchen – einmal pusten, alle erloschen.

Aber das hier war kein Film, kein dramatisch inszenierter Blockbuster. Es war real. Es war grausam.

Und was für mich persönlich noch viel schlimmer ist?

All das ist durch die Hand jenes Menschen geschehen, dessen Blut durch meine eigenen Adern fließt. Vielleicht ist diese Tatsache sogar die schockierendste.

Ich spüre einen dumpfen Druck in meiner Brust. Mein Herz scheint sich selbst zerquetschen zu wollen. Die Schuld ist schwer – kaum zu tragen.

Es wäre meine Aufgabe gewesen, heute dort zu sein und ihnen beizustehen. An ihrer Seite, nicht aus schlechtem Gewissen, sondern weil sie meine Familie sind. Die Sons sind meine Familie – nicht Big D. Nicht der Mann, der sich Vater nennt. Stattdessen liege ich hier, eingesperrt in einem Gefängnis ohne Gitter. In meinem eigenen Bungalow, der sich anfühlt wie eine Zelle. Gefangen in einer Rolle, die ich mir selbst zugeschrieben habe – um die Sons of Silence zu schützen. Ich habe überlegt, Zoe zu kontaktieren. Wenigstens mit ihr zu reden, mich ihr anzuvertrauen, irgendwas. Aber wie? Jeder falsche Schritt, jedes unbedachte Wort könnte sie mit hineinziehen. Wenn mein Vater etwas über meine wahren Motive erfährt, ist nicht nur sie in Gefahr – alle wären es. Meine Gedanken wandern zum morgigen Tag. Zum Gespräch mit Big D., das mir bevorsteht. Er hat mir mitteilen lassen, dass ich im Clubhaus erscheinen soll. Ich weiß genau, was er will, eine Erklärung. Nur habe ich keine Ahnung, was ich ihm sagen soll. Es muss glaubhaft sein. Realistisch. Keine Spur von Zweifel darf in meiner Stimme mitschwingen.

Drei Tage hat er mich zappeln lassen. Keine Nachricht. Kein Besuch. Nichts. Nur Stille. Ist es Teil seines Spiels? Ein Test. Um zu sehen, ob ich standhalte. Ob ich wirklich zurückgekommen bin oder wieder weglaufe.

Dabei habe ich nicht mal wirklich gelogen. Ich bin nicht freiwillig gegangen. Damals war es sein Verschulden, dass ich bei den Sons gelandet bin. Dass sie mich entf… dass ich dort aufgewacht bin. Dass ich bei ihnen gelernt habe, was es bedeutet, sich zugehörig zu fühlen. Was es heißt, bedingungslos geliebt zu werden.

Schnell habe ich gemerkt, vorher auf der Seite des Bösen gewesen zu sein.

Auf meines Vaters Seite, dem Bösen in Person.

Big D., President der Eagle Eyes.

Mein Handy liegt auf dem Nachttisch. 2:34 Uhr. Ich will es gerade zurücklegen, als der Bildschirm aufleuchtet. Eine Nachricht. Von Connor.

Ich glaube nicht,

dass du abgehauen bist, Ems.

Mein Herz schlägt schlagartig schneller. Das Gefühl, es müsste mir jeden Moment aus dem Brustkorb springen, ist beängstigend stark. Verdammt, Connor. Bitte nicht. Lass mich einfach mein Ding durchziehen.

Mit zusammengekniffenen Augen und schweißnassen Händen versuche ich, die gelesenen Worte zu ignorieren und somit ungesehen zu machen.

Die Worte bleiben.

Ohne eine Antwort von mir erscheint eine zweite Nachricht.

Komm zurück. Wir kriegen das schon hin.

Du gehörst zur Familie

und unsere Familie wird beschützt.

Ich presse die Lippen zusammen. Seine Nachricht trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube. Eine einsame Träne läuft mir die Wange hinunter. Nur ein paar Worte und mein Kartenhaus beginnt zu wackeln.

Sie sind meine Familie. Nicht er, nicht Big D.

Auch, wenn es mich innerlich zerreißt und es bedeutet, Adrian, Connor und die anderen in dem Glauben zu lassen, sie verraten zu haben, tue ich das hier, um sie zu schützen. Egal, wie schwer es mir fällt und wie sehr mein Herz darunter leidet.

Die nächste Nachricht lässt mich zusammenzucken.

Adrian geht es sehr schlecht.

Ich habe ihn nie zuvor so erlebt.

Nicht mal nach dem Tod seiner Schwester.

Tu ihm das nicht an. Bitte.

Ein Messer. Direkt ins Herz. Nach Luft schnappend versuche ich, ruhig zu bleiben, doch ich zittere am ganzen Körper. Mir wird heiß und kalt zugleich und ich beiße mir so fest auf die Lippe, dass ich Blut schmecke. Ich will schreien. Weinen. Irgendetwas zerstören.

Niemals wollte ich ihm wehtun.

Es ist unfair. Schmerzhaft. Kräftezehrend. Seit Jahren schafft mein Vater es, mein Leben in einen Scherbenhaufen zu verwandeln. Kaltherzig und ohne mit der Wimper zu zucken. Immer und immer wieder.

Mein Handydisplay vibriert erneut.

Du weißt schon, dass ich sehen kann,

wenn die Nachrichten gelesen werden?

Antworte mir, Ems.

Verdammt. Ich lasse das Handy fallen, als wäre es ein Stück heiße Kohle, an dem ich mich verbrannt habe. Dabei ist mein Verhalten kompletter Schwachsinn. Soll er ruhig sehen, dass ich seine Nachrichten lese. Kurz bin ich versucht, es auszuschalten und wegzulegen. Doch ich kenne Connor gut genug, um zu wissen, dass er keine Ruhe geben wird, also antworte ich ihm. Kurz und knapp, ohne weitere Erklärungen.

Bitte mach es nicht schwerer, als es sowieso schon ist.

Hör auf, mir zu schreiben.

Bitte, Connor.

Damit ist es nicht genug. Tief hole ich Luft und schicke eine allerletzte Nachricht:

Wenn dir wirklich etwas an mir liegt,

dann schreibe mir NIE WIEDER.

Mit zitternden Fingern lege ich das ausgeschaltete Handy zur Seite. Mein Blick bleibt daran hängen. Insgeheim hoffe ich einen kurzen Moment, es würde ein weiteres Lebenszeichen von sich geben, aber es bleibt stumm. Genau wie ich und mein Inneres, das sich anfühlt, als hätte jemand den Ton abgedreht. Die Dunkelheit kehrt zurück. Kein flackerndes Licht mehr, keine Benachrichtigung, kein Kontakt zu den Sons. Nur ich – und der Schmerz.

Es braucht keinen Wecker. Meine Gedanken halten mich sowieso wach. Und wenn nicht die Gedanken, dann die Angst.

Kaum zu glauben, dass ich vor ein paar Tagen mit Adrian in dieser winzigen Hütte war, nur umgeben von der kargen Landschaft, diesem unfassbaren Wasserfall und gesättigt von Luft und Liebe. Es war ein Moment, in dem ich mir vorstellen konnte, wie fürimmer aussieht.

Aber für immer und immer ist eine Lüge.

Mein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen bei diesen letzten Worten. Diese vier Wörter sind vielleicht so etwas wie ein zensiertes „Ich liebe dich“. Unsere ganz eigene Geheimsprache, weil das laute Aussprechen von „Ich liebe dich“ es zu real gemacht hätte. Zu verletzlich. Zu gefährlich.

Die paar Tage zurück in meinem Bungalow haben mir gezeigt, wie sehr mir alles bei den Sons fehlt. Wie sehr mir Adrian fehlt. Seine haselnussbraunen Augen, sein spöttisches Grinsen, das sich zu einem wunderschönen und strahlenden Lachen entwickeln kann und sein ganzes Gesicht einnimmt. Mich einnimmt. Komplett und unwiderruflich.

Erneut laufen mir Tränen über die Wangen, während mein Körper sich endlich dem Schlaf ergibt. Nicht freiwillig, sondern wie ein System, das irgendwann runterfährt, weil der Akku leer ist. Die Dunkelheit nimmt mich gefangen – keinesfalls friedlich, eher erlösend. Ein kurzer Moment der Betäubung.

Der Schlaf hält nicht lange an. Es muss früher Morgen sein, denn das Licht, das durch die Vorhänge fällt, ist schwach. Gerade so hell, dass ich meine Hand vor Augen erkennen kann. Ich bleibe liegen, will mich weder bewegen noch aufstehen. Nicht fühlen.

Mein Kopf rattert unaufhörlich. Gedanken drängen sich auf, Erinnerungen, Sorgen, Lügen. Ich öffne die Augen und setze mich auf. Mein Handy lasse ich weiterhin ausgeschaltet, als würde ich damit die Welt auf Distanz halten können und Schweigen Kontrolle bedeuten.

Frustriert schlage ich die Decke zurück und laufe in das angrenzende Badezimmer. Alles fühlt sich fremd an – der Boden unter meinen nackten Füßen, mein Spiegelbild, das mir müde entgegenschaut. Vielleicht hilft ein Bad. Irgendeine Art von Entspannung.

Entschlossen drehe ich die Wasserhähne auf und stelle die Temperatur auf 38 Grad ein, obwohl die Hitze draußen bereits drückend ist. Im Spiegelschrank stoße ich auf das Schaumbad, das ich gleich bei meinem ersten Stadtbummel in Southlands gekauft habe. Fly away withme steht auf dem Etikett, ein Eukalyptusduft. Ironisch. Oder grausam. Ich weiß, ich quäle mich selbst. Es geht jedoch nicht anders.

Sobald meine Füße das warme Badewasser berühren, versinke ich wortwörtlich in meinem Kummer. Der Duft, der mich die ganzen letzten Tage begleitet hat, hüllt mich ein wie ein leises Echo vergangener Erinnerungen, und die Dichte des Wassers lässt mich endlich etwas schwerelos fühlen. Es trägt mich, ohne Fragen zu stellen oder Antworten zu verlangen. Damit die Tränen, die unaufhaltsam über meine Wangen laufen, keine Chance haben, tauche ich unter. Das Wasser schlägt über meinem Kopf zusammen und eine befriedigende Art von Ruhe umgibt mich. Für einen Moment ist da nur Stille. Keine Stimmen, keine Erwartungen, keine Schuld. Die Wärme kriecht mir unter die Haut und fühlt sich an wie ein Trost. Vielleicht, weil das Wasser meine Tränen nicht verurteilt. Vielleicht, weil es mich umarmt und ich das gerade am meisten brauche. Weg, ihr blöden Tränen. Weg, ihr Gedanken, die mir das Herz zuschnüren.

Ich bleibe einen Moment unter der Oberfläche, so lange, bis mir die Luft knapp wird – nicht, weil ich mich selbst vergessen will, sondern weil ich spüren muss, dass ich noch atme. Dass ich noch da bin. Nachdem das Badewasser fast kalt geworden ist, beschließe ich, aus der Wanne zu steigen und gemächlich in den Tag zu starten.

Zurück im Schlafzimmer öffne ich meinen Kleiderschrank. Die Sachen darin wirken wie Relikte aus einem anderen Leben. Weiße Bohokleider, flatternde Blusen, süße Muster. All das hat einmal zu mir gehört. Zu der Emma, die sich durch die Mode gegen ihren Vater aufgelehnt hat, weil sie es nicht wagte, ihm die Wahrheit ins Gesicht zu sagen.

Aber die Emma von heute rebelliert nicht mehr mit Kleidern.

Sie entscheidet.

Vielleicht sollte ich erstaunt über meinen Wandel sein, aber das bin ich nicht. Viel zu lange hat diese Seite in mir geschlummert, ich war nur zu feige, um sie zu zeigen.

Die Jeansshorts, die ich an meinem ersten Tag in Southlands getragen habe, liegt jetzt auf dem Bett. Sie ist kürzer, ausgefranster. Die Hosentaschen schauen hervor, als würden sie sich dem Stoff widersetzen, der sie nicht mehr halten kann. Ein paar silberne Nieten verzieren die Taschenränder. Ein stilles Statement. Dazu trage ich meine cognacfarbenen Lederstiefel, die ich von den Sons bekommen habe. Es sind dieselben Stiefel, mit denen ich damals am Morgen nach meiner Entführung die Zimmertür eingetreten habe.

Eine Erinnerung an den Tag, an dem ich dachte, ich sei in Gefahr. Stattdessen war es der Tag, an dem ich angefangen habe, mich selbst zu retten und zu leben.

Ein schwarzes Shirt, auf links getragen, ergänzt das Bild. Der Stoff ist vorne bis zum Bauchnabel eingeschnitten, die Enden sind zugeknotet. Drei feine Ketten um meinen Hals vervollständigen den Look.

Es ist keine perfekte Verwandlung, sie fühlt sich jedoch echt an. Nach mir – oder dem, was von mir übrig ist. Ich brauche nicht viel Make-up, ein Hauch von Wimperntusche reicht, um mich wohlzufühlen und den Eindruck von Stärke zu wahren, wo in Wahrheit Schwäche herrscht.

Ein kurzer Blick aufs Handy zeigt mir, dass keine weiteren Nachrichten eingegangen sind, seitdem ich es wieder eingeschaltet habe. Weder von Connor noch von Adrian. Von niemandem der Sons.

Ein winziger, feiger Teil von mir hatte gehofft, dass jemand schreibt und mich nicht aufgegeben hat. Es bleibt aber ruhig. Genauso, wie ich es verlangt habe. Ein weiterer, schmerzlicher Verlust.

In der Küche suche ich nach etwas Essbarem. Der Obstkorb, der mich an meinem ersten Tag hier verlockend empfangen hat, ist mittlerweile leer. Ein Blick in den Schrank bringt eine halbvolle Packung Cornflakes zutage, und ich gebe mich damit zufrieden. Die Schüssel in meiner Hand fühlt sich seltsam schwer an. Selbst das Frühstück protestiert gegen den Tag.

Kaum setze ich mich aufs Sofa, höre ich, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht und Tyler kurz darauf im Türrahmen steht. Der Blick, mit dem er mich scannt, ist weder überrascht noch entschuldigend. Nur prüfend.

In meinem Magen zieht sich etwas zusammen.

Die Tatsache, dass er sich so selbstverständlich Zutritt in meine vier Wände verschafft, zeigt mir, wie wenig Kontrolle ich tatsächlich über mein eigenes Leben habe.

Warum zur Hölle hat er immer noch einen Schlüssel zu meinem Bungalow, nachdem er mir vor ein paar Tagen die Tür aufgeschlossen und ihn mir auf die Kommode gelegt hat? Wie viele Kopien existieren von meinem Original und wer kann sich alles unbemerkt Zutritt verschaffen? Hatte er die ganze Zeit Zugang zu meinem Haus und ich war nur naiv genug, um zu glauben, dass ich hier tatsächlich etwas Privatsphäre hätte. Ich sollte meinen Vater nach all den Jahren besser kennen. Es gab in Southlands nie Privatsphäre für mich.

„Guten Morgen, Emma. Bist du bereit?“ Seine Stimme klingt beiläufig, aber mir entgeht die Anspannung in seiner Körperhaltung nicht. Am liebsten würde ich ihn direkt darauf ansprechen, allerdings bringt mich meine auferlegte Rolle zum Schweigen. Das Sofa gibt einen knarzenden Laut von sich, als ich aufstehe, um meine Schüssel in die Küche zu bringen.

„Ja, ich bin so weit.“ Meine Antwort kommt ruhig. Vielleicht zu ruhig. Beim Bücken, um die Stiefel zu schnüren, spüre ich seinen Blick auf meinem Körper. Die Versuchung, ihn zur Rede zu stellen, ist da, aber sie bringt mich nicht weiter.

„Du wirkst verändert“, bemerkt er schließlich, ohne den Blick abzuwenden.

„Findest du?“ Meine Stimme klingt neutral, fast gelangweilt. Es ist eine Maske, die ich mittlerweile gut tragen kann. Tyler mustert mich einen Moment, scheint etwas zu suchen, das nicht zu greifen ist. Seine blauen Augen sind etwas zusammengekniffen und er wirkt nachdenklich.

„Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein“, murmelt er schließlich.

Im nächsten Moment verlassen wir gemeinsam das Haus. Draußen steht mein Truck, frisch poliert, so, als hätte es nie eine andere Realität gegeben. Daneben: Adrians Harley.

Der bloße Anblick der Maschine sticht mir ins Herz. Schmerz schießt durch meinen Körper, ohne sich konkret benennen zu lassen. Die Erinnerung daran, wer ich war – und mit wem – liegt plötzlich bildlich vor mir, weshalb ich den Blick senken muss.

Tyler übernimmt das Steuer und ich lasse ihn gewähren. Es ist besser. Mein Kopf ist voller Fragen, auf die es keine zufriedenstellende Antwort gibt, voller Zweifel und Ängste.

Der Weg zum Clubhaus der Eagles zieht sich, obwohl mir die Strecke vertraut ist. Mein Blick bleibt starr auf den Horizont gerichtet. Die karge Landschaft wirkt heute noch lebloser. Oder liegt es an mir?

Tyler sagt nichts. Ich schweige ebenfalls. Die Stille ist schwer, aber notwendig. Kurz vor dem Ziel durchbricht er die angespannte Ruhe.

„Ich hoffe, du hast dir eine gute Geschichte zurechtgelegt.“ Seine Stimme ist leise, beinahe vorsichtig.

Dennoch klingt sie wie ein Test, eine Warnung.

„Was ich meinem Vater erzähle, betrifft nur mich.“ Der Satz ist fest, beinahe kalt. Der Blick, den ich ihm zuwerfe, soll klarstellen, dass dieses Thema nicht zur Diskussion steht und er sich nicht einmischen soll.

„War nur ein gut gemeinter Tipp“, murmelt er, und für einen winzigen Moment blitzt etwas in seinem Ton auf, was mich an den alten Tyler erinnert.

„Ich brauche keine Tipps“, entgegne ich knapp und wende mich dem Fenster zu.

Der Truck wird langsamer und das rostige Clubhaus der Eagle Eyes kommt in Sicht. Es wirkt heruntergekommen wie immer und trotzdem bedrohlicher denn je. Tyler stellt den Motor ab. Der Staub, den die Reifen aufwirbeln, legt sich schwer über die Szene, als hätte sogar die Luft entschieden, uns nicht willkommen zu heißen.

Das ranzige Wellblechgebäude, das Clubhaus der Eagle Eyes, ist aus meinem Seitenfenster zu erkennen, und ein Schauer des Unwohlseins durchläuft meinen Körper. Auf in den Kampf, Emma.

Tyler parkt meinen Truck auf dem Schotterparkplatz, neben drei Motorrädern. Ich atme einmal tief durch, damit die kühle Luft der Klimaanlage meine Atemwege erfrischen kann, bevor der stickige Wüstenwind mir draußen jegliche Chance auf einigermaßen klare Gedanken raubt.

„Ich hoffe, du weißt, worauf du dich einlässt“, sagt mein Fahrer.

Die Antwort bleibt unausgesprochen.

Beim Aussteigen quietscht die Tür. Der trockene Boden knirscht unter meinen Stiefeln wie Schnee. Alles in mir fühlt sich starr an, als hätte sich mein Inneres an diese Leere angepasst.

Gemeinsam betreten wir die Werkstatt durch das offene Tor. Willkommen im Nest des Adlers.

Ein einsames Auto auf der Hebebühne steht ziemlich verlassen da, keiner der anderen Member ist in Sicht. Ich bin erleichtert, mit niemandem von ihnen Smalltalk führen zu müssen und eventuell schon vor dem Gespräch mit meinem Vater unangenehmen Fragen ausgesetzt zu sein.

Vor der Tür zu seinem Büro bleiben wir stehen. Sie ist schwer, aus dunklem Holz, mit einem in die Maserung gebrannten Adler.

„Kommst du mit rein?“, frage ich leise.

„Wahrscheinlich werde ich keine andere Wahl haben“, antwortet Tyler.

Er klopft dreimal fest und mit kurzem Abstand an das Holz. Der Adler auf der Tür würde wahrscheinlich zuhacken, wenn er könnte, weil Tyler kurz davor ist, ihm eine Gehirnerschütterung zu verpassen.

„Ja!“ Die tiefe Stimme meines Vaters dringt dumpf zu uns durch.

Alles in mir zieht sich zusammen.

It’s Showtime, Emma.

Wir treten ein und ich komme nicht umhin, mich wie ein Schaf auf dem Weg zur Schlachtbank zu fühlen.

„Liebes.“ Es hört sich so verdammt falsch an, dass mir mein Ekel fast die Speiseröhre hochkommt und ich ihn auf den rot gemusterten Perserteppich kotze.

„Papa.“ Meine Stimme ist brüchig und die Tränen, die sich in meinen Augen sammeln, muss ich nicht mal spielen.

Er bietet uns nicht an, dass wir uns setzen. Wie ein kleines Mädchen stehe ich vor ihm und warte auf einen Befehl.

„Ich höre“, sagt er und schaut mich unverwandt an. So viel Aufmerksamkeit kenne ich sonst gar nicht von ihm.

Ich atme einmal tief durch und fange an.

„Ich war mit Zoe im Stings und ich glaube, mir wurde irgendwas in meinen Drink gemischt. Das nächste, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich in einem fremden Zimmer aufwache. Eingesperrt. Die Sons of Silence haben mich als Druckmittel gegen dich entführt und gefangen gehalten.“ Mir bricht die Stimme beim letzten Wort weg und ich baue eine dramatische Pause ein.

„Weiter?“, fragt Big D. kühl. Seine Augen fixieren mich und mir bricht der Schweiß aus. Dass es Angstschweiß ist, muss er ja nicht wissen.

„Vor ein paar Tagen konnte ich ihnen dann entwischen. Es gab einen unaufmerksamen Moment und ich habe die Chance ergriffen. Ich habe eine der Harleys geklaut und bin so schnell ich konnte zurückgekommen.“ Die Worte zurück nach Hause bringe ich nicht über die Lippen. Diese Lüge würde ich ihm nicht überzeugend genug verkaufen können.

Dass dieser unaufmerksame Moment, von dem ich gesprochen habe, einer der schönsten meines Lebens war, verschweige ich ebenfalls.

„Aha. Dann sollte ich Craig Bescheid geben, dass er den Befehl an die Männer weitergibt. Sie haben es wohl nicht anders verdient, wenn sie meinen, dass sie einfach die Tochter des Presidents entführen können. Das heißt dann wohl: Feuer frei. Mittlerweile sind die Jungs ja geübt darin, Beerdigungen zu planen.“ Seine Worte haben gerade erst seinen Mund verlassen, da entfährt ihm ein fieses Lachen. Die Tragweite dessen, was er gerade von sich gegeben hat, bricht über mich herein wie ein Hurrikan.

„NEIN!“, schreie ich los und Big D. zieht eine Augenbraue in die Höhe. Ein ekelhaft widerliches, angedeutetes Lächeln schleicht sich auf seine Lippen.

„Warum nicht, Emma?“, fragt er mich leise. So leise, dass es mir verdammt noch mal Angst macht und meine Knie anfangen zu zittern.

„Sag mir, warum ich sie nicht umbringen lassen soll?“ Seine Stimme frisst sich Stück für Stück in mein Innerstes. Lässt mich verzweifelt und leichtsinnig werden. Naiv.

„Du darfst ihnen nichts tun.“ Mir stockt der Atem, während sich Tränen unaufhaltsam den Weg über meine Wangen suchen. Wie kann es sein, dass er mich derart leicht durchschaut? Wenn du lügen willst, dann kurz und knapp. Bleibe am besten so nah wie möglich an der Wahrheit, damit du dich nicht verhaspelst und in deinem eigenen Lügengeflecht untergehst. Ich habe versucht, diese Tipps zu beherzigen. Es hat nichts gebracht.

Nur zwei kleine Wörter von ihm haben dafür gesorgt, dass ich einbreche. Dass meine Angst mir den Verstand raubt und ich blindlings in seine trügerische Falle getappt bin, wie eine Maus auf der Suche nach Käse.

„Was bist du bereit zu tun, damit ihnen nichts passiert?“, fragt mein Vater mich schneidend scharf.

„Alles“, antworte ich ihm und die bildliche Klinge senkt sich tief in mein Herz. Ob ich das überleben werde?

Kapitel 3

Emma

Sechs Tage sind vergangen, seitdem mein Vater mir das Versprechen abgenommen hat, jeglichen Kontakt zu den Sons zu unterbinden. Die Zustimmung kam ohne Einsprüche. Die bloße Erinnerung an sein selbstgefälliges Grinsen jagt mir eine Gänsehaut über den Körper.

Worauf sein Verhalten abzielt? Vermutlich ist es nichts weiter als eine reine Machtdemonstration. Ein Beweis dafür, dass er alles und jeden unter Kontrolle hat – Menschen, Ereignisse, selbst meine Gedanken. Mehr nicht. Keine Spur von Liebe oder Zuneigung für seine Tochter. Auch keine Sorge, ob mir tatsächlich etwas passiert ist oder wieder passieren könnte. Doch was hätte ich anderes erwarten sollen? Big D. ist genau der Mensch, vor dem mich die Jungs bei den Sons stets gewarnt haben.

Die Sonne wirft ihre letzten kraftvollen Strahlen auf meinen Körper, während ich auf der bequemen Rattanliege am Pool liege. Ihre Wärme auf meiner Haut fühlt sich trügerisch wohltuend an, obwohl in mir längst alles ausgekühlt ist.

Mit dem Kopf ruhe ich auf einem dunkelblauen Handtuch, das nach Weichspüler duftet. Der Geruch weckt die merkwürdigen Fragen, wer sich eigentlich um die Wäsche kümmert oder den Kühlschrank auffüllt. Zu Gesicht bekommen habe ich bisher niemanden.

Ab morgen werde ich wieder zur Uni gehen. Mein Vater muss einiges an Bestechungsgeld fließen gelassen haben, damit sie mich mitten im Semester weiter studieren lassen. Der Preis für eine makellose Fassade. Aber mir soll’s recht sein. Hauptsache, der Kopf wird für ein paar Stunden von anderen Dingen gefüllt. Die Gedanken, die sonst wie Säure an mir nagen, könnten in der Uni für eine Weile verstummen.

Früher war echte Vorfreude mit dem Studium verbunden. Jetzt erscheint es wie eine ferne Erinnerung. Die Gleichgültigkeit, die sich in den letzten Tagen ausgebreitet hat, beunruhigt mich mehr, als ich mir selbst eingestehen will.

Wer Gleichgültigkeit empfindet, hat aufgehört zu hoffen.

Über mir segelt ein einzelner Vogel durch die Luft. Seine Flügel streifen durch das Licht, das sich in goldenen Schlieren über den Himmel zieht. Für einen Moment wirkt es, als würde er zögern und nicht wissen, in welche Richtung er fliegen soll. Ein Spiegel meiner selbst.

Eine Weile bleibe ich regungslos liegen, während sich die Schatten um mich herum verlängern und die Sonnenwärme der Kühle des Abends weicht. Der Himmel hat seine Farbe gewechselt. Die Hitze der Terrassenfliesen unter meinen Füßen ist angenehmer geworden, nicht mehr so aufdringlich wie zur Mittagszeit.

Automatisch greife ich nach meinem Handy. Der Bildschirm leuchtet auf, keine neuen Nachrichten. Keine verpassten Anrufe. Nichts.

Für einen Moment schweben die Finger über der Tastatur. Der Kontakt ist gespeichert, aber seit Langem unbenutzt. Nur ein einziger Tastendruck trennt mich von der Stimme, die mir einst Sicherheit bedeutete. Der Kloß im Hals wächst.

Ohne weiter nachzudenken, tippt mein Daumen auf das grüne Telefonsymbol. Die Sekunden dehnen sich, während das Freizeichen erklingt. Der Blick bleibt leer auf den Pool gerichtet und in meiner Brust hämmert das Herz.

Dann ertönt eine Stimme. Zögerlich, vorsichtig, fast ungläubig.

„Hallo?“

„Mum? Ich bin’s“, flüstere ich.

Die Stille auf der anderen Seite hält nicht lang, aber sie reicht, um Zweifel aufkommen zu lassen.

„Emma…“, haucht sie überrascht. Ihr Ton schwankt zwischen Schock und Erleichterung. Eine Mischung, die mir sofort Tränen in die Augen treibt.

„Ich wollte nur kurz deine Stimme hören“, erkläre ich leise.

„Wie geht es dir, mein Schatz?“ Die Frage kommt zögerlich, fast ängstlich. Würde sie eine ehrliche Antwort verkraften?

Meine Kehle schnürt sich zu.

„Geht so“, bringe ich schließlich hervor.

Es folgt ein langes, schweres Schweigen.

„Ich wollte wirklich nur kurz deine Stimme hören“, wiederhole ich nach einer Weile, diesmal mit brüchiger Stimme.

Ein Schluchzen dringt durch den Hörer. Leise, unterdrückt, jedoch unverkennbar. „Komm zurück nach Hause, mein Schatz. Wir fangen irgendwo neu an. Nur wir beide. Irgendwo, wo er uns nicht finden kann“, flüstert sie, fast wie eine Bitte, wie ein letzter Versuch.

Ich schließe meine Augen und ihre Worte streifen kurz diese Vorstellung, einfach zu verschwinden. Irgendwo neu zu beginnen – frei, sicher, fern von allem.

Doch so einfach ist es nicht.

„Ich kann nicht“, antworte ich leise. „Mein Zuhause ist woanders. Es tut mir leid, Mum.“

Die Worte treffen nicht nur sie, auch in mir richten sie Schaden an. Noch während der Satz verklingt, weiß ich, dass er wahr ist. Schmerzhaft wahr.

Ohne zu zögern beende ich das Gespräch. Der rote Hörer löscht das Licht auf dem Display.

Ein tiefer Atemzug gleitet durch meinen Körper, schwer, aber beruhigend. Und für einen flüchtigen Moment lässt der Schmerz etwas nach.

Den restlichen Abend verbringe ich auf meinem Sofa. Die weichen Kissen umfangen mich liebevoll, während ich die dritte Folge Friends schaue und mir das nächste Glas des kaltgestellten Weißweins einschenke.

Der Gedanke an betäubte Gefühle und ruhiggestellte Stimmen in meinem Kopf war zu verlockend, um nicht zu der dunkelgrünen Flasche zu greifen.

Ich fühle mich leichter, entspannter und hoffe innerlich auf ein paar erholsame Stunden Schlaf. Mein Handy liegt neben mir und ich traue mich, es anzustellen. Auf meinem flackernden Bildschirm kündigt sich eine Nachricht von Tyler an.

Schreib mir, wenn du irgendwas brauchst.

Ich bin auch für dich da, wenn du reden möchtest.

Ich lache auf. Sicherlich nicht, denke ich mir und klicke die Nachricht ohne eine Antwort weg.

Enttäuschung macht sich in mir breit. Niemand der Sons hat geschrieben. Obwohl es eigentlich genau das ist, was ich wollte und was ich von ihnen verlangt habe. Trotzdem spüre ich einen kleinen Stich.

Das kurze Gespräch mit meiner Mum und die Gläser Wein intus haben mich mutig werden lassen.

Morgen, sobald meine vernebelten Gedanken wieder klar sind, werde ich diese Aktion wahrscheinlich bereuen, aber ich kann nicht anders. Ich öffne den Chat mit Zoe und fange an zu tippen.

Triff mich morgen um 15 Uhr dort,

wo alles angefangen hat. X

Schnell drücke ich auf Senden, bevor ich es mir anders überlegen kann. Hoffentlich versteht Zoe, was ich ihr damit sagen möchte. Welchen Ort ich meine.

Dann falle ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf und wache erst wieder auf, als mein Wecker mich rausreißt.

Ein unangenehmes Ziehen in meinem Rücken macht mir bewusst, dass ich immer noch auf dem Sofa liege.

Stöhnend setze ich mich hin und kann mir ein Gähnen nicht verkneifen. Mein Schädel brummt schmerzhaft und ich bereue es, die Weinflasche gestern Abend bis auf einen traurigen letzten Schluck leer gemacht zu haben.

Andererseits taten die Stunden Schlaf verdammt gut.

Ich schaue auf mein Handy.

7 Uhr. Morgens.

Meine von mir erhoffte Motivation bezüglich der Uni ist weiterhin nicht vorhanden. Stattdessen kommt die Erinnerung an meine Nachricht an Zoe hoch und ich öffne mit schlagendem Herzen unseren Chat.

Sie hat mir nicht geantwortet. Zum Glück.

Schnell lösche ich die Nachricht, ignoriere den Kopfschmerz, der penetrant an meine Nervenzellen im Gehirn hämmert, und mache mich für meinen erneuten ersten Tag an der Uni fertig.

In meinen Bikerboots trete ich nach draußen, die Tasche meiner Mum über eine Schulter und eine Pilotensonnenbrille auf der Nase, damit man mir die dicken Augenringe nicht auf den ersten Blick ansieht. Tyler steht angelehnt an meinen Truck und ehrlicherweise habe ich nichts anderes erwartet.

„Guten Morgen. Wie ich sehe, bist du das blühende Leben“, begrüßt er mich spöttisch.

„Du hast ja keine Ahnung“, antworte ich gähnend, schmeiße ihm die Schlüssel zu und steige ohne ein weiteres Wort auf der Beifahrerseite ein.

„Wie kommt’s zu dem Sinneswandel?“, fragt er mich verwundert.

„Ich habe gestern vielleicht ein Glas Wein zu viel getrunken und bin mir nicht sicher, ob ich mich schon wieder ans Steuer setzen darf“, gebe ich zu und lehne meinen Kopf an die kühle Scheibe des Trucks.

Tyler lacht leise und startet den Motor.

Meine Augen lasse ich die gesamte Fahrt geschlossen und tue so, als würde ich schlafen, um einer Konversation mit meinem Fahrer aus dem Weg zu gehen. Ich habe ihm nichts zu sagen.

„Wir sind da, Schlafmütze.“ Tylers Stimme reißt mich tatsächlich aus einem kleinen Nickerchen. Mein Körper muss anscheinend eine Menge Schlaf nachholen und ich bin über jede Minute, die mir geschenkt wird, dankbar.

„Danke für deine Fahrdienste“, gähne ich und öffne die Tür.

„Ich habe bis 14:30 Uni.“

„Okay, bis dahin werde ich mir wohl den Hintern wund sitzen müssen“, antwortet Tyler und ich bemerke den tiefen Seufzer, der mir verdeutlicht, dass er absolut keine Lust hat, hier den Wachhund zu spielen.

Ich würde ihm gerne sagen, dass er erst nachher wiederkommen kann, aber gerade heute brauche ich ihn für das Alibi. Wenn er bezeugen kann, dass ich den ganzen Tag in der Uni war, wird keiner etwas von meinem kleinen Abstecher zum Stings mitkriegen.

Kapitel 4

Adrian

Die Tage seit der Beerdigung sind wie ein endloser Albtraum an mir vorbeigezogen.