Feng-Shui und Mord zum Tee - Trudy Cos - E-Book

Feng-Shui und Mord zum Tee E-Book

Trudy Cos

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Beschreibung

Nach einer aufregenden Auszeit in Windsor ist Samy auf der Suche nach einer neuen Aufgabe. Das Thema Feng Shui lässt sie nicht los und so beschließt sie, das leerstehende Landhaus ihres Großvaters als Begegnungszentrum für die asiatische Harmonielehre auszubauen. Die Eröffnungsfeier wird glamourös, auch der Feng Shui Großmeister Yap Shaw Too erscheint persönlich. Doch während der Feier kommt es zu einem Streit und wenig später wird Yap Shaw Too ermordet. Samy kann den Mord nicht ungeklärt lassen, zu sehr belastet er ihr neues Feng Shui House. Daher beginnt sie zu ermitteln. Schnell wird ihr klar, dass der Großmeister in Machenschaften verstrickt war, die auch ihr gefährlich werden.

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Kapitel 1

Ein Hoch auf die Harmonie

„Ich bin sehr dankbar, dass so viele von Euch meine Vision teilen und mich dabei unterstützt haben, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen.“ Erleichtert kam Samy zum Ende ihrer Rede und schaute dabei in begeisterte und wohlwollende Gesichter. Unter den Gästen war ihre Familie, einige Pressevertreter aus Windsor und der Grafschaft, ein erlauchter Kreis von Menschen, die sich mit Feng Shui beschäftigten und die Freunde, die Samy im Laufe ihrer Zeit in der kleinen Stadt vor den Toren Londons gefunden hatte.

Sie hasste es, derart im Mittelpunkt zu stehen, ihr Herz hämmerte immer noch in der Brust, wenn es auch allmählich bereits wieder langsamer wurde. Schweiß sammelte sich im Nacken unter ihren inzwischen recht langen Haaren und sie fragte sich, ob der Pferdeschwanz, den sie heute gebunden hatte, eine gute Idee gewesen war. Ein Blick in die Runde ließ sie diese Nebensächlichkeit jedoch schnell vergessen, denn heute ging es nicht um sie und ihr Lampenfieber, viel mehr war es das wert, dieses zu überwinden und ihren Traum zu verwirklichen.

Vor ihr lag der große Raum und war von leisem Gemurmel erfüllt; durch die geöffneten französischen Terrassentüren drang das muntere Gezwitscher von Vögeln herein. Es war ein herrlich milder Tag voller Sonnenschein, wie gemacht für die feierliche Eröffnung, was Samy als gutes Omen sah.

Sie spürte, wie die Anspannung nachließ, denn alles hatte wie geplant funktioniert – die Keynote-Sprecher waren gut angekommen und hatten die zahlreich erschienenen Gäste mit packenden Schilderungen über die Zukunft des Feng Shui House Windsor begeistert. Der kleine Cateringservice hatte sich mit dem Flying Buffet selbst übertroffen und viel Lob für die köstlichen Speisen erhalten. Kellner wuselten leise zwischen den Gästen umher und reichten auf Platten Mini Scones und Teegebäck. Champagner wurde pausenlos nachgeschenkt und in der Luft lag ein Hauch von Zimt, der von der Tee-Bar kam. Alle schienen äußerst zufrieden zu sein und schließlich war es nun auch Samy gelungen, dieses Herzensprojekt selbstbewusst vorzustellen.

Mit neuerwachter Zuversicht atmete sie tief ein und sprach dann die letzten offiziellen Worte: „Wie ihr alle wisst, ist es nicht mein Anliegen, mit diesem wunderschönen Haus Geld zu verdienen. Es geht mir darum, einen Ort zu schaffen und zur Verfügung zu stellen, an dem die Grundprinzipien des Feng Shui gelebt werden und Menschen in Harmonie zusammenkommen können, um sich und Anderen Gutes zu tun. Aber ein Haus ohne Bewohnerinnen und Bewohner und ohne Gäste ist nur eine Hülle. Daher hoffe ich, dass ihr alle Euch auch zukünftig oft hierher verirren werdet. Unser Angebot mit Vorträgen und Kursen wird ständig wechseln, aber die guten Geister des Windsor Daily SPAs und des Windsor Yogainstituts sind täglich für Euch hier. In unserem Bistro werden Asif, die Takkas und der Windsor Catering Service abwechselnd Köstlichkeiten für Euch bereithalten.“

Gespannt und auffordernd zugleich hob sie ihre Hände wie zu einer Bitte und schloss: „Ich verlasse mich auf Euch alle und Eure Unterstützung!“

Dann verließ sie unter lautem Applaus die improvisierte Bühne vor dem riesigen Kamin, über dem goldene Schriftzeichen aus Metall die Worte Feng Shui formten.

Während sie in die Menge ihrer Gäste eintauchte, dachte sie: „Es fühlt sich richtig an, auch wenn es nichts mit Zahlen zu tun hat“.

Zahlen hatten die ersten Jahrzehnte ihres Lebens beherrscht und ihr eine gewisse Sicherheit gegeben. Auch wenn sie ursprünglich den Weg zur Mathematikerin nur aus Trotz gegen ihre Mutter, die Mathematiklehrerin war und ihr jedes Zahlenverständnis abgesprochen hatte, eingeschlagen hatte, war ihr doch schnell bewusst geworden, dass sie für Zahlen und Zusammenhänge ein ganz besonderes Talent besaß. Sie verstand Zahlen und sie gaben ihr einen Rahmen, in dem sie sich gern bewegte. Durch den Verkauf einer App war sie in der Lage gewesen, ihre akademische Laufbahn hinter sich zu lassen. Damit hatte sie ausreichend Zeit gehabt, sich selbst zu finden, aber gleichzeitig auch nach einer Beschäftigung gesucht, die sie erfüllte und mehr als ein Hobby war.

Zufrieden, das Richtige gefunden zu haben, durchschritt sie den Raum und ging auf ihren Großvater zu. Wie so oft überkam sie eine Welle der Dankbarkeit, denn sie hatte erst über dreißig Jahre alt werden müssen, bevor sie die Familie ihres verstorbenen Vaters kennenlernen durfte.

Der alte Herr stand zusammen mit seiner Schwester Violet, Sir Charles und Lady Helen bei einer der Gartentüren und sah ihr freudig entgegen. Seit sie ihn an einem Weihnachtsfest zum ersten Mal auf seinem Anwesen Chestnut Manor besucht hatte, hatte sie in ihre Richtung nie einen anderen Gesichtsausdruck von ihm gesehen. Diese Begebenheit war im wahrsten Sinne des Wortes wie Weihnachten gewesen, denn Dank ihrer Mutter hatte sie immer geglaubt, ihrem Vater und seiner Familie nichts zu bedeuten. Doch dann waren auf wundersame Weise ihr Onkel Thomas, sein Vater und ihre Großtante in ihr Leben getreten und hatten sich allesamt als liebenswürdige und ihr sehr zugetane Verwandte entpuppt. Diese Tatsache hatte vieles in ihrem Leben verändert. Da, wo sie immer ein zurückhaltender und viel zu duldender Mensch gewesen war, entwickelte sie mehr und mehr Selbstvertrauen. Schließlich hatte sie sogar den Mut aufgebracht, das leerstehende Clubhaus des Windsor Ruderclubs zu erstehen und darin ein Begegnungscenter für Menschen zu etablieren, die sich mit fernöstlichen Weisheiten und vielen anderen Dingen, die guttaten, beschäftigen wollten.

Ihr Großvater hatte das Projekt sehr großzügig unterstützt, nicht weil Samy darauf angewiesen war, sondern weil er seine Wertschätzung ausdrücken wollte. Sie hatte vor, ihm noch einmal zu danken, doch gleich als sie zu der kleinen Gruppe stieß, vereinnahmte Lady Helen sie und verhinderte damit jedes weitere Gespräch.

Die ältere Dame verkörperte mit ihrem steifen Gehabe und der stockgeraden Haltung genau wie ihr Mann, der ehemalige Strafverteidiger Sir Charles Bolman-Whitecliff, die englische Upper Class perfekt. Dennoch waren beide immer sehr liebenswert und um Samys Wohlergehen bemüht.

„Samantha, meine Liebe, Ihr Großvater hat sich wirklich bereits sehr angestrengt, mir alles zu erläutern. Dennoch muss ich gestehen, mir ist immer noch nicht ganz klar, um was es sich bei diesem Feng Shui handelt. Es wurden so viele Fachbegriffe benutzt, und sowohl die Dame von der englischen Feng Shui Society als auch der asiatische Herr haben zwar viel gesprochen, mich aber dennoch nur umso mehr verwirrt.“

Sie zeigte auf Beatrice Smytherton, Schirmherrin der British Feng Shui Society und Großmeister Yap Shaw Too. Beide waren von Samy als Ehrengäste und Redner eingeladen worden und nun augenscheinlich in eine hitzige Diskussion vertieft. Aus irgendeinem Grund stellten sich Samys Nackenhaare auf und die Szene am anderen Ende des Raumes zog sie magisch an. Sie hoffte, dass man Yaps herrische Stimme, die in kleinen Wellen über die Köpfe der Anwesenden hinwegschwappte, noch mehr Aufmerksamkeit schenkte. Daher konzentrierte sie sich voll und ganz auf Lady Helen und fasste die Grundzüge der asiatischen Harmonie-Lehre noch ein weiteres Mal ganz knapp zusammen.

„Feng Shui bedeutet übersetzt Wind und Wasser. Damit ist im übertragenen Sinne gemeint, dass die Lebensenergie, die uns alle ausmacht, überall und in jedem von uns steckt. Im Feng Shui geht es darum, uns und unser Umfeld so zu gestalten, dass wir im Einklang mit den Dingen und Elementen sind. Dadurch entsteht und empfinden wir Harmonie. Übrigens findet sich vieles davon auch in unseren alten westlichen Weisheiten wieder. Nehmen Sie zum Beispiel den Entwurf von Möbeln unter Berücksichtigung des goldenen Schnitts oder die Anlage alter Herrenhäuser – wenn man sich die Vorgaben des Feng Shui und die Architektur vergangener Zeiten anschaut, sieht man, dass die Grundzüge gleich sind.“

Es war offensichtlich, dass Lady Helen durch diese Erläuterung nicht wesentlich schlauer geworden war. Doch die Stimmen vom anderen Ende des Raumes, wo Yap und Beatrice nun unverhohlen stritten, wurden immer aggressiver und Samy hatte das Gefühl, dringend eingreifen zu müssen. Daher war sie dankbar, als Sir Charles sich an seine Frau wandte.

„Wir können Samantha nicht ewig in Beschlag nehmen, meine Liebe. Sicherlich wird sie heute Abend beim Dinner die Zeit finden, uns zu erhellen.“

Dann wandte er sich an Samys Großvater und Großtante: „Ich denke, wir sollten aufbrechen, damit wir Alten uns noch ein Weilchen ausruhen können, bevor wir heute Abend Samantha und den charmanten Dr. von Reeder begrüßen dürfen.“ Mit einem Blick in Richtung der beiden Streitenden fügte er augenzwinkernd hinzu: „Es scheint mir, als müsse die Gastgeberin sich einschalten, um dort die Harmonie wieder herzustellen.“

Dankbar ergriff Samy die Hand, die er ihr bot und bedankte sich mit stummem Nicken. Sie küsste ihre Großtante Violet und ihren Großvater zum Abschied und hörte ihre lobenden Worte nur noch mit halbem Ohr, denn inzwischen signalisierte ihr Cornelius, der ein paar Meter entfernt mit Bel und Joe stand, dass es Zeit war, einzuschreiten.

Erleichtert registrierte Samy, dass die älteren Herrschaften zusammen mit ein paar Offiziellen des Windsor Handelsverbandes, die sie selbst kaum kannte, die Feier verließen. Je weniger Zeugen es für diese merkwürdige Auseinandersetzung gab, umso besser.

Sie hasste Streit und Auseinandersetzungen, doch gleichzeitig verspürte sie Wut in sich aufkommen. Was dachten diese beiden sich dabei, ihre Einweihungsfeier zu torpedieren? Es überstieg ihren Horizont, wie man sich als Gast derart vergessen konnte und ihre Schritte in Richtung der Beiden wurden energischer.

Doch als sie Beatrice und Yap beinahe erreicht hatte, trennten sich die beiden plötzlich und der asiatische Großmeister verschwand in der Menge. Samy konnte nicht fassen, dass die beiden Menschen, die ihr in den letzten beiden Jahren die Bedeutung von Harmonie im Leben eines jeden, nahegebracht hatten, derart unharmonisch miteinander umgingen. Mrs. Smytherton war peinlich berührt, als Samy sie erreichte und strich sich verlegen das Haar aus dem Gesicht. Sie errötete, als sie die Gastgeberin sah und auf ihrem gewagten Dekolleté bildeten sich hektische Flecken. Dennoch hatte sie sich schnell wieder unter Kontrolle und setzte ein Lächeln auf. Es konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie erzwungen es war. Als Samy ganz direkt nachfragte, ob es ein Problem gäbe, behauptete sie, alles sei bestens. Sie habe mit Yap lediglich eine kontroverse fachliche Meinung diskutiert.

Samy war sicher, dass dies nicht stimmte, kannte aber keinen der beiden gut genug, um es öffentlich anzuzweifeln. Sie interessierte sich schon lange für Feng Shui und hatte vor zwei Jahren eine digitale Ausbildung beim International Feng Shui Institute von Großmeister Yap Shaw Too in Singapur begonnen. Da er viele der Vorlesungen und Coachings persönlich gegeben hatte, war sie mit seiner Arbeit vertraut. Als sie ihn im Rahmen der Eröffnung des Feng Shui House Windsor als Redner eingeladen hatte, war sie überrascht von seiner prompten Zusage gewesen. Von Singapur nach Windsor war es kein Katzensprung, dennoch hatte er betont, er fühle sich geehrt und wolle die Gelegenheit nutzen, in England für Feng Shui zu werben. Einen kleinen Moment lang hatte sie sich über derart viel Enthusiasmus gewundert, doch letztlich war ihre Skepsis der Begeisterung gewichen, eine Koryphäe für ihren großen Tag gewinnen zu können.

Als dann auch noch Beatrice Smytherton zugesagt hatte, war sie ganz aus dem Häuschen gewesen. Diese Dame kannte Samy zwar noch weniger, doch in den bekannten Feng Shui-Foren wurde Beatrice als der Dreh- und Angelpunkt der englischen Harmonie-Gemeinschaft bezeichnet. Diese beiden Hochkaräter an Bord für die Einweihung des Feng Shui Houses zu haben, würde viel gute Presse bedeuten und damit den Start des Vorhabens erleichtern.

Dennoch kroch nach der unschönen Szene ihre Überraschung wieder an die Oberfläche und als sie in die intensiven Augen von Mrs. Too blickte, beschlich sie ein ungutes Gefühl. Die zierliche Asiatin stand nur wenige Meter von ihr entfernt und fixierte Beatrice mit starrer Miene. Yap hatte sie am Morgen vorgestellt und ein paar höfliche Floskeln für sie übersetzt.

„Meine Frau reist nicht viel …“, hatte er gesagt und vollkommen offengelassen, ob Mrs. Too nicht in Englisch kommunizieren konnte oder wollte.

Die Art, wie die unscheinbare Frau an der Seite des schillernden Yaps nun Beatrice anstarrte, verhieß nichts Gutes, doch ganz plötzlich drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand genauso wie ihr Mann. Samy wollte Beatrice Smytherton fragen, ob sie die Asiatin kannte, doch sie hatte Samys unaufmerksamen Moment genutzt und war auch in der Menge abgetaucht.

Samy spürte, wie eine leichte Verärgerung sich in ihr breit machte, wie konnte man sich nur derart ungehobelt benehmen? Doch ihr blieb nicht viel Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn gerade, als sie sich den Takkas, die sie zufrieden anstrahlten, zuwenden wollte, erfüllte Yaps laute Stimme erneut den Raum. Und diesmal war wirklich nicht zu überhören, dass er viel zu viel getrunken hatte – ein Lallen schwang in seinen Worten mit. Allerdings sah Samy nicht, mit wem er diesmal stritt, denn zwischen ihr und dem drahtigen Asiaten, der in einen eleganten schwarzen Anzug gekleidet war, standen mehrere andere Gäste. Da er ungewöhnlich groß war, überragte er die meisten anderen Gäste. Leicht vornübergebeugt stand er wenige Meter entfernt und vor seiner Nase baumelte unvorteilhaft eine Haarsträhne. Er schien es jedoch selbst gar nicht zu bemerken, denn er bemühte sich nicht einmal, seine sonst so streng zurückgegelte Frisur wieder zu richten. Stattdessen war er augenscheinlich sehr wütend und nicht nur Samy konnte hören, wie er seinem Gegenüber wütend zuzischte: „Das werden Sie bereuen!“

Für einen Moment war es ganz still geworden und alle Augen schauten in seine Richtung, während Samy versuchte, sich durch die Menge zu schieben und Yap an seine Umgangsformen zu erinnern. Inzwischen kochte sie innerlich und mit ihrer Zurückhaltung war es vorbei.

Zur Hölle mit seiner Bedeutung in der Feng Shui-Welt, schoss es ihr durch den Kopf. Sie würde diesem Mann nicht gestatten, sie zu blamieren.

Genug war genug!

Während sie sich vorwärtsbewegte, sah sie, dass auch ihr Freund, Inspector Nate Stone vom anderen Ende des großen Raumes aus beobachtete, was vor sich ging. Als ihre Augen sich trafen, signalisierte sie ihm, sich zu Yap zu begeben. Er verstand die wortlose Bitte und setzte sich in Bewegung, doch als sie beinahe gleichzeitig dort eintrafen, wo der Mann eben noch große Töne gespuckt hatte, war der Großmeister erneut verschwunden. In der Ecke stand niemand mehr und es gelang ihnen nicht, auszumachen, mit wem er gesprochen hatte.

„Vielleicht haben wir Glück und er ist verschwunden …“, mutmaßte Nate, doch Samy widersprach sofort: „Nein, das wäre nicht gut, ich muss noch mit ihm besprechen, in welcher Form wir die Lehrinhalte, die sein Institut uns zur Verfügung gestellt hat, verwenden können.“

„Darüber sprichst du besser mit ihm, wenn er nüchtern ist, meine Liebe!“, schaltete sich Cornelius, der von allen Cor genannt wurde, ein, der plötzlich an ihrer anderen Seite erschienen war.

„Was für ein unangenehmer Kerl! Er hat die Bellinis geschluckt, als gäbe es kein Morgen. Wenn du mich fragst, braucht der Typ selbst eine Auffrischung seiner Lehrinhalte …“

Er sprach leise und dennoch waren die Augen der Herumstehenden auf ihn gerichtet. Cor überragte alle und seine ausgefallene Erscheinung hatte eine magnetische Wirkung. Heute war er in einen taubenblauen Sommeranzug gekleidet, dessen goldene Knöpfe wie so oft das Logo von Gucci trugen. Dazu hatte er einen gemusterten Seidenschal um den Hals geschlungen und seine Füße steckten in eleganten Slippern aus Seide. Auch sie waren mit je einer Gucci-Biene bestickt.

Cors tiefe Stimme war gedämpft, er wollte keine weitere Aufregung verursachen und von Samys Eröffnung ablenken. Dennoch ließen er und Nate nun keinen Zweifel mehr daran, dass sie einschreiten würden, sollte Großmeister Yap ein weiteres Mal unangenehm auffallen.

Die Entschiedenheit in den Gesichtern der Männer ließ Samy beinahe selbst hoffen, dass der Asiate nicht zurückkäme. Nicht nur Cor bereitete ihr Sorgen, Nate Stone war zwar wesentlich entspannter, seit er ein Sabbatjahr bei der Polizei begonnen hatte und sich nicht mehr ständig mit Gräueltaten herumschlagen musste, doch sie kannte seine angeborene Autorität. Ganz sicher würde er Yap nicht erlauben, noch einmal die Stimme zu erheben und irgendwas sagte Samy, dass der unerwartet streitsüchtige Mann aus Singapur nicht gut mit Autorität umgehen konnte.

„Meine Güte, was ist denn eigentlich los?“, fragte sie händeringend mehr sich selbst als die anderen. Die gesamte Veranstaltung war ein Erfolg gewesen und sie wollte dies nicht durch die Befindlichkeiten oder den übermäßigen Alkoholkonsum eines Einzelnen kaputt machen lassen.

„Bitte sorgt ein bisschen für Ablenkung“, bat Samy die beiden und gesellte sich selbst zu den Gästen, die darauf warteten, ihr gratulieren zu können. Ihr Glücksgefühl kehrte zurück und mit jedem Gast, der sich begeistert über das neue Angebot zeigte, sah sie sich darin bestärkt, etwas Gutes für Windsor zu tun.

Es war schön, sich von einer Gruppe zur nächsten treiben zu lassen, unendlich oft zu erläutern, warum der große Raum in Erdtönen gehalten war, was es mit den großen Messing-Löwen vor der Eingangstür auf sich hatte und immer wieder zu versichern, dass Feng Shui wirklich für jeden etwas war. Manche Gäste schienen überraschend viel von Feng Shui zu verstehen, während andere zugaben, nicht einmal den Begriff gekannt zu haben.

Die Räume waren von einem schönen Summen erfüllt, überall standen zufriedenen Menschen herum, und ganz plötzlich war es Spätnachmittag geworden. Die Reihen lichteten sich und auch Nate verabschiedete sich mit den Worten: „Es war ein toller Tag und letztlich ist auch alles gut gegangen. Es war ein Segen, dass der Großmeister einfach verschwunden ist, bevor irgendwer eingreifen musste. Wahrscheinlich wäre diese unangenehme Aufgabe nämlich an mir hängen geblieben.“ Bei diesen Worten zwinkerte er ihr zu.

Erst da fiel ihr auf, dass Yap sich nicht mehr hatte blicken lassen. Sie wusste, dass sie versuchen musste, ihn zu erreichen, bevor er nach Singapur zurückkehrte, doch im Moment war sie einfach nur dankbar, dass keine weitere Szene den schönen Moment überschattet hatte.

Nates Angebot, am Abend noch vorbeizukommen, musste sie wehmütig ablehnen, da sie und Cornelius bei Sir Charles und Lady Helen eingeladen waren. Viel lieber würde sie sich mit ihm im Carpenters Arm treffen und bei einem Whisky Mac den Tag Revue passieren lassen, doch ihr Großvater und Tante Violet waren bei den Bolman-Whitecliffs untergebracht und so kam eine Absage nicht in Frage. Sie sah die Enttäuschung in seinen Augen und versprach, sich zu melden, wenn es doch nicht zu spät wurde. Als er gegangen war, schob sie den Gedanken an ihn und das kleine Pflänzchen Freundschaft, das sich zwischen ihnen entwickelte, beiseite. Gerade jetzt wollte sie sich keine Gedanken darüber machen, ob sie jemals wieder bereit sein würde, einen Mann in ihr Leben zu lassen.

Kapitel 2

Eine besondere Verbindung

„Leider ist es nicht das erste Mal, dass mir im Leben jemand begegnet, der den Vorschusslorbeeren, die sein Werdegang oder Erfolg mit sich bringen, nicht gerecht wird“, resümierte Cor und Samy musste ihm recht geben. Auch sie hatte besonders während ihrer Zeit als Wissenschaftlerin im Universitätsbetrieb viele Leute kennengelernt, die auf die eine oder andere Art mehr Schein als Sein waren. Großmeister Yap ging ihr nicht aus dem Kopf und nachdem sie und Cornelius das Taxi bestiegen hatten, das sie zu den Bolman-Whitecliffs bringen würde, hatte sie erneut erwähnt, wie merkwürdig sie dessen Verhalten gefunden hatte, da es vollkommen konträr zu seiner sonst so ausgeglichenen Art gewesen war.

Cornelius zupfte ein paar imaginäre Flusen von der Hose seines Abendanzugs und legte dann tätschelnd die Hand auf Samys Knie. Sie hatte schon vor Jahren aufgehört, sich über diese alberne Geste zu ärgern, denn die ein oder andere Unart war Cor einfach nicht abzugewöhnen. Im Gegenteil, je mehr man sich darüber ärgerte, umso sicherer konnte man sein, dass er damit fortfuhr. Das Knietätscheln gehörte dazu, denn in Samys Augen war es das Verhalten gönnerhafter alter Männer, und Cor war alles andere als das.

Als ihr bester Freund und mit Ende dreißig sollte er es besser wissen, doch Cornelius liebte theaterreifes Gehabe und alte Traditionen. Daher ließ sie ihn gewähren und blendete die Hand auf ihrem Knie einfach aus. Die Geste hatte nichts Sexistisches, denn nichts lag Cor ferner, es war einfach nur seine Art, ihr zu zeigen, dass sie ihn immer fest an ihrer Seite hatte.

„Vergiss den Kerl jetzt einfach mal“, forderte er sie auf und legte nach. „Alles in allem war es ein absolut gelungener Tag und ich bin der Meinung, du kannst sehr stolz auf dich sein. Ich muss gestehen, als du mir zum ersten Mal von dem Vorhaben erzählt hast, war ich doch sehr, sehr skeptisch …“

„Ach, wirklich?“, unterbrach Samy ihn mit gespielt überraschter Stimme „Das hat man gar nicht gemerkt.“

Cor ignorierte den Sarkasmus und erging sich stattdessen in Lob.

„Das Gebäude ist fantastisch und du hast es wirklich hinreißend gestalten lassen. Es hat stellenweise einen Hauch von Indien. Als heute die Türen offenstanden und der Wind leicht hinein wehte, haben sich die Vorhänge sachte bewegt und ich fühlte mich in meine Zeit in Goa zurückversetzt.“

Für einen Moment schwelgte er in Erinnerungen und Samy wusste, wie fremd und zugleich lieb ihm die Erinnerung an diese Reise war.

Die von Reeders waren eine sehr traditionelle Familie, in der alle männlichen Nachkommen Eliteschulen besuchten, den Militärdienst absolvierten und anschließend Ärzte wurden – Kardiologen und Chirurgen, um genau zu sein. Cornelius hatte es zwar geschafft, seinen Vater glauben zu lassen, dass er nicht für eine Kaderschmiede taugte, doch der Rest blieb ihm nicht erspart. Er hatte ein ganz normales Gymnasium besuchen dürfen, wo er und Samy sich kennengelernt hatten, doch dann waren auch für ihn Militär und ein Medizinstudium gefolgt. Er hatte es gehasst, aber natürlich durchgestanden, denn schließlich erwartete man dies von ihm. Doch bevor er endgültig ins Berufsleben eingestiegen war, hatte er sich eine kleine rebellische Auszeit in Indien gegönnt.

Samy wusste, dass er mit dem Spirituellen dort nichts hatte anfangen können, aber die grenzenlose Freiheit und das Wissen, dass sein Vater schier die Wände hochgegangen war, weil ein von Reeder sich derart gehen ließ, hatten ihn für immer beflügelt.

Daher wusste sie, dass ein Vergleich ihres Feng Shui Houses mit seinen Indien-Erlebnissen einem Ritterschlag gleichkam. Doch Cor wäre nicht Cor, wenn er nicht gleich wieder einen Dämpfer draufgesetzt hätte.

„Ich hoffe nur sehr, dass du es nicht allzu sehr mit Räucherstäbchen und anderem Tand übertreiben wirst, das würde dem Ganzen die Eleganz nehmen. Mir wird bereits beim bloßen Gedanken an den penetranten süßlichen Gestank übel, der überall in der unerträglich schwülen Luft Goas hing.“

Angewidert zog er eines seiner gestärkten weißen Taschentücher hervor und hielt es sich an die Nase, als wäre es mit Riechsalz betupft. Samy, die ihm selbst das zugetraut hätte, war wegen seiner Geste fassungslos und wollte nach dem Tuch greifen.

„Hast du das etwa mit irgendwas parfümiert?“, wollte sie wissen, doch er zog das Tuch schnell zurück und steckte es wieder in seine Tasche. Natürlich erst, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass es nach wie vor in einem ordentlichen Zustand war.

„Das muss ich gar nicht“, erwiderte er naserümpfend und ließ sie wissen: „Frisch gewaschene Textilien sollten immer einen fantastischen Duft haben. Sonst wurden sie schlicht und ergreifend stümperhaft gereinigt.“

Für einen kurzen Moment hatte Samy das Bedürfnis, an sich zu riechen, denn sie war ziemlich sicher, dass ihre Waschkünste nicht mit denen der Haushälterinnen, die Cor zeitlebens umsorgt hatten, mithalten konnten. Doch als habe Cor ihre Gedanken erraten können, fügte er hinzu: „Deine Kleidung riecht immer exakt so, wie sie riechen sollte, meine Liebe!“

Entgegen ihrem Willen verspürte sie so etwas wie Erleichterung und sank tiefer in die Sitzbank des Wagens. Noch während sie nach einer passenden Erwiderung suchte, wandte Cor sich bereits wieder seiner Begeisterung über das Feng Shui House zu.

„Die Räumlichkeiten, die du dem Kosmetikstudio und der Yogaschule zur Verfügung stellst, sind ebenfalls sehr ansprechend geworden. Ganz clean, nur mit den richtigen Akzenten hier und dort. Ich muss gestehen, dass mich die Pilates-Maschinen, falls man das so nennt, besonders angesprochen haben. Sie sehen altmodisch und zugleich futuristisch aus – sehr stylisch. Vielleicht kannst du es einrichten, dass mich jemand darin einweist …“

Sie schaute ihn entgeistert an, denn Cornelius hasste alles, was mit Schwitzen zu tun hatte. Zwar war er ein exzellenter Tänzer und beherrschte die ein oder andere Sportart überdurchschnittlich gut, aber er machte nie einen Hehl daraus, dass er nichts von Sport in Räumen und mit anderen Menschen hielt.

„Woher kommt denn dieser Sinneswandel? Hast du mir nicht kürzlich noch einen Vortrag darüber gehalten, wie unsäglich dumm es doch ist, seinen Körper in einem Studio zu trainieren?“

Sie warf ihm einen Blick zu und ihr fiel auf, dass er wesentlich aufrechter saß als sonst. Cornelius war in gewisser Weise ein gemütlicher Mensch und seine Haltung meist entspannt, beinahe ein wenig lax. Nun wirkte es jedoch beinahe so, als sei sein ganzer Körper gestrafft und sofort ärgerte sie sich, dass es ihr nicht früher aufgefallen war.

„Du siehst sehr gut aus“, lobte sie ihn, um ihre Unaufmerksamkeit wiedergutzumachen und fügte hinzu: „Hast du abgenommen?“

„Nein, wozu sollte ich?“

Seine Antwort klang beinahe beleidigt, denn Cor war mit sich und seiner – wie er es nannte – barocken Figur durchaus zufrieden. Er hatte ihr einmal gesagt: Wenn du wie ich von Natur aus an einen Riesen erinnerst, ergibt es wenig Sinn, dich abzurackern, um wie Brad Pitt aussehen zu wollen. Manche Dinge muss man als von Gott gegeben akzeptieren und das Beste daraus machen. In meinem Falle heißt das: Designer suchen, die in meiner Größe schneidern und dann die entsprechende Persönlichkeit zu entwickeln.

„Aber du siehst verändert aus“, versuchte sie es erneut und erntete ein bockiges: „Das fällt dir aber früh auf.“

Sie wusste, dass er rechthatte und sie ihm seit seiner Ankunft in Windsor nicht wirklich wachsam begegnet war. Die letzten Tage waren ein Lauf gegen die Zeit gewesen, um für die Eröffnung alles vorzubereiten. Ihr ganzer Fokus war nur auf diese eine Sache gerichtet gewesen und zweifelsohne war er dabei zu kurz gekommen.

„Du hast recht und es tut mir sehr leid“, versicherte sie ihm aufrichtig. „Ich war so in meinem Tunnel gefangen und auf den heutigen Tag fixiert, dass ich kaum etwas anderes bemerkt habe. Aber jetzt sehe ich es – also, was hast du gemacht?“

Er machte eine wegwerfende Handbewegung, denn Cor konnte nie lange böse sein, und erzählte ihr dann eine schreiend komische Geschichte.

„Ich hatte doch vor ein paar Monaten ein Gutachten auf dem Tisch, wo sich solch ein Muskelprotz im Fitnessstudio einen Bandscheibenvorfall zugezogen hat und den Betreiber der Einrichtung verklagt hat. Davon hatte ich dir erzählt.“

Samy nickte zustimmend, auch wenn sie nur eine vage Erinnerung daran hatte. Sie musste in Zukunft dringend wieder aufmerksamer sein.

„Also, der Typ ist mir furchtbar auf die Nerven gegangen. Ich habe ihn einbestellt und mir schildern lassen, was denn passiert sei und, um zu sehen, wie eingeschränkt er wirklich ist. Ich kann dir sagen, dieser Termin war eine Zerreißprobe für meine Nerven. Zum einen erschien er in Sportkleidung, was ich auch sofort thematisiert habe. So schlecht kann es Ihnen nicht gehen, wenn Sie sich nach wie vor für den Sport kleiden, waren glaube ich meine Worte. Er hat mich mit großen Augen angeschaut und spätestens da wurde mir klar, Wes Geistes Kind ich vor mir hatte. Hey Bruder, wie bist du denn drauf, hat er mich gefragt und dabei in schönstem Kanak gesprochen – so heißt das wirklich, meine Liebe, ich habe mich explizit eingelesen, es ist eine umstrittene Sprachentwicklung, die absolut auf dem Vormarsch ist“, referierte Cor ausführlich, „auf jeden Fall hat er mich darüber in Kenntnis gesetzt, dass seine Kleidung cool wäre und er im Leben nicht so eine Spießerscheiße tragen würde wie ich …“

Samy konnte kaum an sich halten, denn sie sah die Szene beinahe bildlich vor sich, doch Cor war längst noch nicht fertig.

„Nun denn, dem habe ich natürlich gleich einen Riegel vorgeschoben. Auch wenn mich alle Menschen interessieren und du sehr gut weißt, dass ich keine Wertung vornehme, beleidigen lasse ich mich nicht!“

Er machte eine kleine Verschnaufpause und entfernte erneut imaginäre Flusen von seinem Sakko, was Samy Gelegenheit gab, ihm zuzustimmen. Egal, wie extravagant und vielleicht launig Cor auch war, er war immer fair und hielt keinen Menschen für besser als andere. Das war ein Charakterzug, den Samy schon immer an ihm schätzte.

„Ich habe dem Burschen ganz klargemacht, dass er auf mein Wohlwollen angewiesen ist und er sich dementsprechend seine Wortwahl ganz genau überlegen sollte.“

„Und? Hat er es beherzigt?“, wollte Samy neugierig wissen, denn aus dem Bild, was er gezeichnet hatte, konnte sie sich den Typus Mann, den er medizinisch begutachten sollte, gut vorstellen.

Sie hatte ihre Zweifel, doch Cornelius wirkte mit einem Mal sehr zufrieden und lehnte sich entspannt zurück.

„Aber sicher doch. Ich möchte nicht übertreiben, kann aber sagen, dass Mister C, wie er gern genannt wird, und ich durchaus Freunde geworden sind.“

Dabei strahlte er sie an und Samy wusste sofort, was er meinte. Cornelius besaß eine Gabe, die sie noch bei Niemandem sonst erlebt hatte. Er fand schnell Zugang zu Menschen und sie vertrauten sich ihm gerne an. Er war zuverlässig und immer um den Einzelnen bemüht. Was er tun konnte, um seinen Mitmenschen das Leben leichter zu machen, das tat er auch. Daraus resultierte, dass er überall auf der Welt „Freunde“ hatte. Menschen, die wussten, dass sie auf ihn zählen konnten und im Gegenzug jederzeit bereit waren, ihm einen Gefallen zu tun oder ihm zu helfen. Und all diese Menschen – meist die skurrilsten Typen – kannten immer irgendwen genau da, wo Cor gerade war.

Samy hatte oft erlebt, dass er Leute aus dem Hut zauberte, die an den entlegensten Orten der Welt Jemanden kannten, der Jemanden kannte, der kleine und größere Probleme aus der Welt schaffen konnte. Dabei war Cor ein absolut integrer Mensch. Er bewegte sich nie außerhalb des Erlaubten und hätte Gleiches auch niemals von anderen erwartet. Dennoch fragte sie nicht nach, wie er und Mister C zu Freunden geworden waren, denn sie war längst nicht so unkonventionell wie ihr Freund. Manches wollte sie einfach gar nicht wissen.

„Um es kurz zu machen, wir nähern uns bereits dem Ziel“, er wies aus dem Fenster und sie erkannte, dass sie Old Windsor hinter sich gelassen hatten und bald bei den Bolman-Whitecliffs ankämen.

„Ich wollte dem Anliegen des Patienten natürlich gerecht werden und habe mich daher in besagtes Fitnessstudio begeben – inkognito, versteht sich. Mich schüttelt es immer noch, wenn ich daran denke, aber das ist eine andere Geschichte, die ich dir bei Gelegenheit erzählen werde. Jedenfalls hat dieses Erlebnis und die Beschäftigung mit dem Fall von C dazu geführt, dass ich mich erneut ein wenig mit dem männlichen Körperbau beschäftigt habe und ebenfalls durch C einen Zugang zum Arbeiten mit Gewichten erhalten habe.“

Zufrieden sah er zu Samy herüber, die spürte, wie ihr der Mund offenstand. Wollte sie wirklich wissen, worum es hier ging? Zu vieles hatte sie mit Cor bereits erlebt, er lebte immer nach dem Motto Nichts ist unmöglich.

Doch Cornelius wirkte so zufrieden mit sich, dass sie ihre Gedanken vergaß und ihm stattdessen weiter lauschte.

„Mister C und seine Clique sind Muskelprotze, also nichts, was mir persönlich als erstrebenswert erscheint. Doch durch die Auseinandersetzung mit dem Thema wuchs in mir der Wunsch, ein wenig definierter zu werden, und so habe ich mir zuhause ein kleines Studio eingerichtet und einen Personal Trainer zugelegt. Et voilà – sitzt meine Garderobe inzwischen bedeutend besser.“

„Lass mich raten – dein Personal Trainer ist Mister C?“, konnte Samy sich nicht verkneifen, doch Cor verneinte sofort.

„Natürlich nicht!“, empörte er sich. „Das würde meinem beruflichen Ethos widersprechen, ich kann mich nicht in persönliche Beziehungen mit Patienten begeben.“

Nach einer kleinen Pause fügte er jedoch an: „Sein Bruder ist jedoch ebenfalls ein, nennen wir es einfach ein gestandener Mann …“

Dabei zwinkerte er ihr zu und Samy lachte aus vollem Herzen: „Ach Cor, du bist unglaublich.“

Dann stieg sie aus dem Taxi, das inzwischen vor dem Haus von Sir Charles angekommen war. Während Cor die Rechnung beglich, atmete sie tief ein und genoss den Nachklang dieser witzigen Geschichte. In diesem stillen Moment verspürte sie tiefe Dankbarkeit, denn das Leben meinte es wirklich gut mit ihr.

Kapitel 3

Resume

Der Kronleuchter über der langen Tafel spendete warmes Licht und verlieh allem einen mondänen Touch, den Samy jedes Mal bewunderte, wenn sie bei Sir Charles und Lady Helen zu Besuch war. Es handelte sich um einen Raum, auf den viel mehr der Begriff Saal zutraf. Der Tisch, der sicherlich Platz für mehr als zwanzig Gäste bot, lag in der Mitte und war von vielen Teelichtern beleuchtet. Entlang der Wände, die zum Teil im Dunklen lagen und nur schemenhaft zu erkennen waren, standen mehrere Anrichten, auf denen schweres Silbergeschirr darauf warteten, benutzt zu werden. Große Gemälde, die bei Tageslicht englische Landschaften zeigten, und Seidentapeten verliehen dem ganzen einen traditionellen Charme.

Die Bolman-Whitecliffs waren Mitglieder der Berkshire Society und verkörperten das, was man wohl Grandezza nannte. Sie waren elegant und zurückhaltend und lebten in einer Villa, wie es nicht passender hätte sein können. Auf dem großen Anwesen zwischen Windsor und Egham waren sicherlich schon unzählige Soireen und Gartenpartys gefeiert worden, denn dazu lud es einfach ein. Der schnörkellose Bau aus hellgrauem Stein wirkte ebenso gediegen und unaufdringlich, wie seine Besitzer es waren. Auf der Rückseite gab es eine Terrasse, die sich über die gesamte Breite des Hauses erstreckte und über flache Treppenstufen in einen weitläufigen Park führte. Genau dort hatten Sir Charles und Lady Helen einen Empfang für Samy gegeben, nachdem sie vor zwei Jahren beinahe getötet worden war. Sie war versehentlich in eine Mordermittlung geraten und hatte dabei das Geheimnis der Mörderin gelüftet. Nur Cors beherztem Eingreifen war zu verdanken, dass sie noch lebte und nun in diese schöne Runde blicken durfte. Seit ihrem Kennenlernen kam sie immer wieder gern zu den Bolman-Whitecliffs, denn ihre Gastfreundschaft war legendär und bot auch am heutigen Abend keine Ausnahme.

Das Dinner war köstlich gewesen – mehrere Gänge von Wild und andere saisonale Köstlichkeiten hatten besonders Cors Erwartungen voll erfüllt. Wie immer hatte Lady Helen darauf geachtet, dass es ausreichend vegetarische Optionen für Samy gab, während alle anderen sich an Wild gütlich taten. Letztlich hatte Cor es übernommen, der Hausherrin sehr bildlich zu erläutern, um was es bei Feng Shui ging, und Samy war aus dem Staunen nicht herausgekommen. Schließlich hatte er es als Humbug bezeichnet, als sie ihm zum ersten Mal von ihrem Interesse daran erzählt hatte. Aus seinen Erklärungen konnte sie hören, dass er sich tief in das Thema eingelesen hatte, und sie freute sich schon jetzt auf den Austausch mit ihm.

Der gesamte Abend war ein schöner Abschluss des aufregenden Tages. Es gab viel Lob für die Eröffnungsfeier und alle zeigten sich begeistert von der Gestaltung der Räume, die Samy mit Hilfe einer Innenarchitektin, die viel von Feng Shui verstand, geschaffen hatte. Sowohl die Gastgeber als auch Samys Großvater und Großtante wollten unbedingt verstehen, wo die Prinzipien des Feng Shui zum Einsatz gekommen waren und es machte ihr Spaß, ihnen zu erläutern, was es mit dem Fluss des Chis auf sich hatte. Die unschönen Szenen, die Großmeister Yap zu verdanken waren, wurden nicht mehr angesprochen, und dennoch hatte sie mehr als einmal das Gefühl, dass die Erinnerung daran bei der ein oder anderen Erzählung mitschwang. Doch die Engländer, insbesondere die, die der Oberschicht angehörten, waren viel zu wohlerzogen, als dass sie ein für Samy unangenehmes Thema angesprochen hätten.

Als der Abend sich dem Ende näherte, schaute sich Sir Charles im großen Esszimmer um und resümierte: „Nun, wenn ich alles richtig verstanden habe, würde mein Urteil lauten – in diesem Raum herrscht ein gutes Feng Shui!“