feuchtes holz - Sophia Lunra Schnack - E-Book

feuchtes holz E-Book

Sophia Lunra Schnack

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Beschreibung

Du bist zurück am Ort deiner Kindheit. Dein erstes Laufen um den See wird zum Einlaufen in frühere Gerüche, in Gefühle von Geborgenheit, abseits von Tempo. Du bist wieder hier, stehst auf der Brücke am Ende des Sees. Das feuchte Holz trägt seinen Geruch zu dir und mit ihm die Bilder deines nicht mehr existierenden Familienhauses. Es riecht nach morschen Brettern, der regennassen Veranda, den Badeanzügen der Großmutter, dem Wetterfleck des Großvaters ... Das Gehen zu früheren und gegenwärtigen Orten rund um das ehemalige Haus verschafft dir Zutritt zu vergangenen Stimmen, Silhouetten, Berührungen – aber auch zum Verstehen. Denn du begreifst, wie nie aufgearbeitete Kriegstraumata der Familie in deinem Körper, deinen Emotionen und Denkmustern weiterwirken. Sophia Lunra Schnacks Debütroman bewegt sich in einem zeitlosen Raum, in dem die Grenzen zwischen Erinnerung und Zukunft, Vergangenheit und ihrer gefürchteten Wiederkehr durchlässig werden. Fast märchenhaft mutet die Landschaft an, vor der rückblickend Kriegs realitäten von Großvater und Urgroßvater erzählt werden. Der Übergang geschieht unbemerkt, elegant, harmonisch, genauso wie literarische Schranken und Genre-Grenzen sich verschieben: Prosa verwandelt sich in leichtfüßige Strophen und Verse erzählen ihre Geschichten. In der Auflösung erst entsteht der Zusammenhalt.

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Seitenzahl: 157

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Sophia Lunra Schnack

feuchtes holz

Roman

OTTO MÜLLER VERLAG

Die Drucklegung dieses Buches wurde gefördert von den Kulturabteilungen der Stadt Wien (Literatur) sowie Stadt und Land Salzburg.

www.omvs.at

ISBN 978-3-7013-1308-2

eISBN 978-3-7013-6308-7

© 2023 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG-WIEN

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Christine Rechberger

Gestaltung: wir sind artisten

Coverbild: Aquarell von Susanne Krammer

Umschlag: Leopold Fellinger

Druck und Bindung: FINIDR s.r.o. (Český Těšín)

Für meine Großeltern.

Inhalt

einlaufen

generationen und gegenwart

feuchtes holz

pantoffel und mystifikationen

stickige verstrickungen

hämmern und wasserlippen

rückspulen

generationen und memoiren

wolkenbruch und einrücken

fingerkuppen und ginster

geburt und wieder: rote schneeflocken

pritschen und kastanie

venen und dröhnen

vermischen

haus und silhouetten

stimmen und leiterwagen

echos und staubschicht

veronal und narzisse

saline und salzsee

disteln und kinderleine

grabstein und kristalle

abrollen

regenhaut und tintenfass

federsohlen und spitzmaus

feuchter zaun und kastanie

wassermann und brustwarzen

innere räume

crescendo decrescendo

einlaufen

generationen und gegenwart

Es ist ein Abfahren mit verinnerlichter Strecke, mit vorgezeichneten Freuden. Eine nach der anderen zählen, überprüfen, die vorbeiziehende Landschaft: ob alles noch da, dasselbe Empfinden.

Es ist ein Vorbeifahren an Generationen der Urgroßmutter, ob sie die Uferpromenade oft gegangen, am funkelnden Fluss. Ein Vorbeifahren an Kriegsjahren der Großmutter, des Großvaters: ob sie hier einsam. Es ist an ihnen vorbeifahren, wenn aus den Feldern der aufsteigende Dampf. Wenn ab dem Umsteigen der Cut im Gefühl. Wenn jede Kurve vertrauter, der Blick pendelt, hüpft: zwischen Fenstern nichts versäumen. Es ist an ihnen vorbeifahren in wachsender Unruhe, wenn die Gleise direkt am Wasser. Wenn der Wagon sich neigt über Autos, deren Lenkbewegung du kennst. Sich neigt über Schwäne, über durchlässige Eiswellen am Strand. Wenn du dich freust über den leeren, bummelnden Zug, wenn du suchst nach Bergen vergangener Sommer: kannst immer besser benennen, immer mehr kribbeln gegangene Wege in dir.

Es ist an Generationen vorbeigleiten, wenn die Fetzenweiber einsteigen in den Zug, singend aus zerrissenen Kleidern, ihrer Fahne, mit Faschingskrapfen, die sie verschenken. An ihnen vorbeigleiten, wenn durch das Fenster zum ersten Mal der Hausberg, seine angezuckerte Wand. Nur kurz, dann die schmäler werdende Trasse. Es ist an ihnen vorbeigleiten, wenn sich der Fels drängt in die Scheiben, wenn niemand aussteigt in der salzigen Stadt. Niemand, um mit dem Boot überzusetzen, niemand, um in die Eishöhlen zu gehen. Siehst beim Vorbeifahren eure Besuche hier immer bei schnürlendem Regen. Siehst an vorbeiziehenden Stränden dein schärferes Schauen, dein gewachsenes Erinnern, übermalt jedes Mal eure Jahre. Es ist an ihnen vorbeifahren, wenn dein Blick immer schneller spulende Filme streift. Spulende Filme aus wartenden Stellen bis es, immer plötzlich, nur mehr ein Sprung.

Bis deine Augen eurer Fußstrecke folgen, dem Großvater am Bach, seinen gleichmäßigen Schritten. Bis du beim Anziehen am Zugfenster pickst, das nicht geöffnete Buch, die nicht gelesene Zeitung wieder in die Tasche legst. Bis selbstredend das Durchsagen der Haltestelle, eine Stimme fast dir allein. Steigst als Einzige aus dem Zug, vor das isoliert stehende Bahnhofsgebäude. Dabei strömt er in dich, der klare, schneidende Geruch nach sofortigem, wie vergessenem Ankommen. Nach einem Mischen von Erde, Eisen, transparentem Atem.

Gehst über die beiden Gleise zum Vorplatz, prüfst die immer gleich bleibenden Schilder zu wandernder Wege, prüfst die unveränderten Zeiten des Busses. Hältst dich beim Warten an das empfangende Rauschen des Baches, um angestauten Lärm, sein Freiwerden zu bremsen. Wie ein Klopfen diese Stille

überfordert

wie ein tropfen von schnee

auf bergen

wie ein knall von licht

dich weitet

Im Bus wie jedes Mal dein Zittern um das alte Ortschild mit der Kutsche: „Willkommen im Luftkurort“, ist noch da wie der Wunsch dich zu kennen, wenn du dem Busfahrer deinen Ausstieg nennst. Mit dem Zuschieben der Bustür fällt das Bild ab, immer am Rücken, zum Schlafen: jetzt, in direktem Einfließen zu dir. Blinzelst nach dem Zuschieben der Bustür in Formen, von der jede einzelne dein Aufwachsen wirft. Hältst dich an das Summen, immer stärker, nach örtlichem Klingen: zu jedem Gebäude eure Gesichter. Kein Suchen, nur Nachgehen, automatisch, von Gassen, zwischen Bäumen, deren Konturen du im Sommer, im Winter kennst. Siehst auf jetzt kahlen Februarlärchen noch orangene Nadeln des Oktober, denkst auf ihren hölzernen Armen schon grünen Julisaum.

Es ist ein Ankommen zwischen Menschen, die sich erinnern, die fragen zum Haus deines Kindseins. Die fragen zum Haus, das nicht mehr steht, dem du nachjagst: mit jedem Besuch wie ein Hoffen auf Gegenwart. Wieder umfängt dich das Betreten einer fremden Veranda. Umfängt dich ihre erste Wärme, wieder stockt dein Greifen auf eine fremde Klinke: wie eure damals, die verschmolzene. Siehst wie auch hier die Stiegen hinauf mit grünem Gummi geklammert. Ihr Knarren wie oben, also wie damals bei euch. Wie oben die trockenen Sträucher von Spalierrosen. Nur hier: junges Holz, das weiterströmt aus Zirben.

Wie immer als erstes dein Aufreißen der Fenster für

Geruch tauender Kälte

für quellendes laufen des baches

für sonne durchs zimmer

fernes aufheulen von motorsägen

spiegelt dein öffnen als kind

jeden morgen

dein öffnen als kind

jeden morgen

von doppelten flügeln

zwischen ihnen

einrasten

haltender stangen

feuchtes holz

Dieses erste Laufen um den See

ist ein Abstecken von Pflichtpunkten des Erinnerns,

Einlaufen in Gefühle von Geborgenheit,

Gerüche von Kindsein:

an jeder ecke ein hängen gebliebener

bleibender

bilder

auf winterstränden wo über kiesbuchten sonst

weiß stechende hitze jetzt

weiß leuchtender frost

wo zehen über kieseln sonst luftküsse

knabbern

liegt windstiller

schnee

über gefrorenes wasser schneekugeln die

gleiten in spiegelnde berge

gleiten wie deine tempi im sommer

durch doppelte

felsen

suchst die stelle vom stein der trocknet

findest ragende

fremde heraus

flocken aus gebrochenem eis

ihre zungen in wellen ruhender ufer

darüber flügelschlagen

schwarz

folgst getrennten formen die

ineinander greifen

enten die kräuseln über funkelnde fläche

durch silbernes glas

treiben blätter des vorigen

jahres über verhallende

sprünge entferntes

auflachen

dieses erste laufen um den see

ist einlaufen abseits von tempo

in festgehaltene zeit

festgehaltenen raum

wie eine sackgasse durch die du nicht fahren

in der du nur halten

irgendwann umdrehen kannst

vielleicht

gehst über die brücke der seewiese ihr

feuchtes holz

das in dich schießt wie schon einmal das

feuchte holz der fischerhütte dich

direkt zum zaun des großvaters

geleitet

zu seinen hervorstehenden spänen

ihrem langsamen trocknen

nach regen

durch das feuchte holz der brücke

erlegt dich geruch nach handtüchern der großmutter

den frisch gewaschenen in

die du dich gewickelt

in ihnen der immer nasse boden um

die hintere dusche zum waldrand

die nachtropfte

außer ihr niemand mochte

durch das feuchte holz der brücke

siehst du sie wieder

ihre nassen badeanzüge

wie sie hängen auf der wäscheleine vorm haus

wie sie tropfen von hölzernen

kluppen

durch das feuchte holz der brücke

in deinen waden das steigen von regentagen

des großvaters

seinen auwassergrünen gummistiefeln

seinem lodenen wetterfleck

wie das moos die flechten dann rochen

wie die veranda nach

triefendem

holz

dagegen der warme geruch nach trockenen

phasen wie

nach erst aufgeschnittenen stämmen

fast wie im ofen

nach krachenden

semmeln

dieses erste laufen um den see

ist einlaufen in erinnerungen eines hauses

in seine gerüche

die du im nachhinein

filterst

wie im nachhinein

wahrnimmst

also nach unbewusstem speichern des

körpers der

poren

vom geruch des schotters am schulweg

des häferls am brunnen

nach jahrzehnten

zerbrochen

läufst dich ein als gelber paragleiter

voller stunden

über hauchdünnem eis

in das nebeneinander von saisonen

von schmelzendem schnee

schüchternen blüten

hörst die stimme der großmutter

wie herzig die palmkatzerln die erste

nahrung der bienen: nicht pfücken

pflückst sie doch

greifst glanz auf deinen augen

deinen wangen

vor gesichtern dieser landschaft

vor so vielen jahren

so vielen geschichten

in der sonne am fels die

ersten strahlen

lichtwellen über geschlossene

lider

streichen über deine erstickte

erstickende haut

bei deinen füßen ein pfirsichkern wie stein:

ob alle kiesel vor vielen sommern

obstkerne

gewesen

übernimmst das treiben der eisplatte

ihr großes brechen der länge nach

über den see richtung

mündung des flusses ihr

zischen wie das

zischen feiner tücher unter

zehen auf und ab in

uferwellen

fließt ein in wölbungen des felsens

schmiegst dich an seine form

hörst wie neben dir

stimmen vom anderen ufer vom

rudern des kajaks rot

wie es bricht durch eisstücke

am strand

wie du sonst filterst nur das unmittelbare

jetzt alles nimmst

dass es geht an nichts zu denken sich

laufen zu

lassen

immer wieder glaubst du zu müssen

beginnst die schleifen

brichst wieder aus

brichst wieder aus durch dein trinken

von februarwasser aus

der quelle zum see dessen wasser

vortäuscht gleich zu

bleiben

hörst an der bucht mit der kiefer die

sich über dich neigt

an der bucht die der großvater die

japanische genannt

hörst wie jede regung des körpers an

kieseln reibt

auf denen als junger mann

auch er gesessen

siehst dieselben wege ins wasser

über spitze steine seine

plastiksandalen

darüber derselbe pflanzenstaub

derselbe schaum aus

grünen nadeln

wunderst dich dass sich unter deiner haut

ein stein verschiebt

denkst dass kiefer und steine noch hier

bei deinem nächsten besuch

an ihnen menschen die nicht mehr sind

an ihnen haften

überdauern generationen die

kommen

diese schichten von stille

erlegen dich

gehst weiter vorbei am boot

pausierend hinter schilf

vorbei an der bucht zu der die großeltern

im alter gefahren

um nur kurz hineinzusteigen

um sich nur schnell abzukühlen

gleich gegenüber der frau die hundeporträts malt

gleich bei ihrem haus mit wuchernden blumen

wo wasser von see und

abfließender traun

besonders kalt

mischen

jetzt sind es schon über drei jahre am friedhof

dessen blumen von schnee verdeckt

seitdem suchst du noch mehr zwischen

steinen der seewiese

verrunzelten obstbäumen

ihren struppigen armen

noch mehr zwischen trockenen rinden

streichen von fensterläden

flechten auf zäunen

seitdem siehst du beim einkauf

vertraute gesichter

suchst die joghurts wie aus dem korb der

großmutter

kaufst ihren duft ihren balsam mit

arnika für ihre muskeln

ihre zu dünne

haut

durch dasselbe weiterwandern von jahren

eure gleichbleibende distanz

die frau an der kassa noch dieselbe

die ehemalige nachbarin beim bäcker

nicht mehr hier

und trotzdem

ihre festgefahrenen kombinationen

von honigmandelschnitten und leinsamenweckerln

zum bähen im ofen

mit einrinnender butter unter

marmelade der großmutter

ihren zerfließenden

marillen

jetzt sind sie nicht mehr

von ihr

dieses erste laufen um den see

ist einschaukeln

zurückkehren von rhythmik

auswaschen von sehnsucht

ein übernehmen von gewohnheiten des großvaters

zum beispiel seines krachbrots am abend mit

gut streichfähiger butter unter

schichten aus salz

es ist ein hineinlegen ins frische bett

wie damals ein neues beginnen von

unverwendetem von

ordnung

ein seichtes schlafen vor fehlenden

geräuschen

kein ablenken von fehlendem

funktionieren

wie die kälte vom boden in dich

zieht

wie sie dich führt zu eurem flur

zum pfeifenden zwerg hinterm bad

wie sie dich zieht in kindlich

frierende

nacht

pantoffel und mystifikationen

beim aufwachen dein blinzeln auf

vorhänge wieder und

wieder

dein öffnen der doppelten

fenster

dumpfes klopfen von rasenmähern

leitet dich von überall

hierher

hallt jetzt

direkt vor dir

köcheln von kaffee wie

zum ersten mal

dehnen und cremen den

körper

kultivieren für das

schreiben

verdichten der gestrigen notizen:

wie sich alles wiederholt auf

denselben hängen

der filmende vater rückwärts

beim pflugfahren

sein kind

tiefverschneite tannenspitzen unter

blauem himmel

das hast du so gern

jetzt ihr dunkles

grün

gehst langsam hinauf

über eure immer gefahrene

strecke

über euer einbiegen zum

haus

dein zurückschlagen der arme am rücken

erschrickst vor dieser haltung des

großvaters

verinnerlicht in deinen schultern

der jacke mit zeigefinger durch

schlaufe

gehst vorbei

an schneeglöckchen in gärten

wie sie ohne euch weiter

gewachsen

sie ist gestorben

die nachbarin von oben

derselbe jahrgang wie die großmutter

die nachbarin mit den dauergewellten

haaren gleich neben euch

beim zu ende gehen des weges

mit dem sterben der nachbarin die

letzte fassbare beziehung des hauses

mit ihr die geschichte dreier

generationen

ihr gemeinsames wandern dein

holen warmer milch

ein mähen längst zugewachsener

wiesen

ein riss aus illusionen aus

bleibendem

umso mehr eilt geiz um

den ort von kindsein der

ohne dich

wie nicht weiter existiert

nichts neues erträgt

kein überlagern

aufgehängt an einem fixen bild

dein alter wie stehen

geblieben

jetzt erschrecken beim nachzählen

berechnen

von jahren

dein besitzergreifendes krampfen

gegen sich wandelnde

zeichen

veränderungen die hier

geschlossene zeit bedeuten

einen kleinen tod

dringst wie anonym ein

fühlst dich fremd

an der mauer der gestorbenen nachbarin

fühlst dich fremd

bei ihrem haus mit den vertrockneten

sternen aus rosen

ihren zugebundenen

sträuchern

in dich rattern filme ihrer

roten katze mit struppigem fell

wie sie hineinwollte nicht durfte

in dich rattert der geruch immer nach

warmer küche nach braten

rattern bilder in der ecke

von ihren kindern

ihrem verstorbenen sohn adolf

aus einer anderen realität

in dich rattert ihr abgetragenes dirndl

die schürze gebunden über

wölbendem bauch

rattern ihre zu großen pantoffel aus

holz vor der tür

hörst ihr lachen aus falten

immer stiller

ihr nicken und schweigen

dein klammern an die kinder

an ihre tochter die du kennst

erkennt dich

nicht

stattdessen zwitschern durch

geruch von stall

dein fragen

wann muss das gewesen sein

das neugeborene kalb

ihr letztes treiben der kühe

auf die alm

siehst eure besuche am vormittag den

schnaps jedes mal ihre

träne wenn

ihr von bergwiesen erzählt dann

euer wechseln des themas

ihr leuchten

jetzt leer um das haus

als würde sich spiegeln am platz

die bank auf der sie nicht mehr wartet

als würde sich spiegeln

der balkon auf dem ihre mutter

noch länger

nicht mehr sitzt

schaust auf die tür die immer offen

jetzt sicher verschlossen

ein drücken der klinke würde es

bestätigen

du probierst es nicht aus

kein spontanes hineingehen

vielleicht auch nie wieder

denkst an den gang mit der steilen

stiege

ihre mauer entlang die porträts der

familie die

geweihe

was geschieht mit den verlassenen

bäumen mit der pause

rundherum

auf ihnen noch ihre stimme

recht host jo genau

so lang ma aufmog in da fruah

ist alles schon weg

getragen oder

sammeln die kinder

verrücken sie keine objekte um

ihre berührungen

ihre abdrücke zu

speichern

auf der anderen seite des hauses

die gekippten fenster

denkst dass es eine geste

vielleicht von

lebendigkeit

nimmst einen stein wie

damals von eurer kastanie

ein stück rinde

plötzlich das vorbeifahrende moped

reißt dich

sein blick

scheucht dich auf

nicht alles ohne grenzen

ohne skrupel

suchen

zwischen zeilen nicht

über intimität der anderen

hinweg

gehst also weiter den weg über

fliegende gräser über

eingetretenes heu fest gewordene erde

die wie jenseits von dir

aus kuhhufen

gefallen

gehst weiter die strecke die

als kind so lang

die du hin und her

in der nacht mit der freundin

um einander zu begleiten

hin und her

jetzt ist sie so kurz

das richtige tempo finden beim gehen

zu schnell verdrängst

verhinderst du

zu langsam überrennen dich

alltägliche

schlaufen

austreten aus der angst vor

dem ende einer

zeit wie vor

dem ende einer

liebe

immer dein suchen dein

formen

einer möglichst perfekten

geschichte im

realen im

fiktiven

einer geschichte

mit deren rhythmen du spielst

deren ende du nicht kennst

von dem du nur weißt

dass es kommt

und doch beginnst du

immer wieder

beginnst immer wieder

eine neue geschichte die nichts ahnt

von allen geschichten davor

die jedes mal glaubt

die erste zu sein

beginnst immer wieder mit diesen extremen

es kann auch der schnee sein

wenn er leuchtet im wald

es können auch die hüllen sein von buchen

auf ihnen das huschen einer maus

das rascheln eines trockenen blattes

wenn es der hauch deiner

schritte vom boden

hebt

gehst weiter den weg

zur verwunschenen ruine

die zwischen moosbedeckten steinen

hervorstehenden wurzeln

wie nattern

darüber

wurzeln wie nattern die

erregen

verzaubern

langsam in mystifikationen

gleiten

hinter dem harzigen duft gefällter tannen

dein kindliches wahrnehmen

dein späteres zuordnen der zunge

eurer pausen mit salzigen

semmeln

sitzt wie damals vor der ruine

in der unschuldig verurteilte

über jahrhunderte weiter

rumort

die deshalb niemand erworben

die zerfallen bis fast

nichts mehr da

auf der wiese der spuk des reiters

steigst in abdrücke von schuhen

vielleicht eines verurteilten

bevor er rumorte

kommst durch lichtspiele am waldboden

durch lange schatten von stämmen

am schnee

kommst durch sie zur wiese

auf der ihr den korb

voller schwammerl

gefüllt

siehst wie der großvater sich entfernt

immer weiter vom weg

nicht beachtet

das sorgen der großmutter vor

einbrechender

nacht

beim zurückgehen in den ort

rieselt dein blick in fremde veranden

auf einer hängenden blechpfanne

klingt dein

schlagen auf den

gong

drei mal durch das vorzimmer

für den großvater

wenn das essen bereit

gleichzeitig jeden samstag zur

sirene der feuerwehr

mit dem reißen des hauses

eine ganze epoche an

tastbarem aus

morschem holz

mit den gefällten bäumen

ein abwürgen von

greifbarem

ein stoppen von

zirkulieren

mit den ausgerissenen stauden

von ribiseln

ein schneiden

durch frisch gepressten saft

der großmutter

dickflüssig

rot

rinnt aus lippen

sickert

unter poren sein

klammern

stickige verstrickungen

er ist wie vor dir

wie unter deinen zehen

dieser dunkelgrüne boden des

vorzimmers

er strömt wie vor dir

wie unter deiner nase

sein kalter geruch nach

feuchter mauer

der tisch gleich beim eingang

mit großem feldstecher

schwarz

der bleiche stoff weiter hinten

der durchgesessenen bank

zum schuhe binden vor

verdunkelndem spiegel der

kleine bräunliche kamm die

rote taschenlampe mit

braunem tesaband

rundherum die

zerfallen die

niemand

ersetzt

seit

neunzehnhundertvierundvierzig in der Stadt alles zerbombt. Seitdem durfte man die Taschenlampe nicht ersetzen. Seitdem die Urgroßeltern mit ihren Söhnen, mit den Zwillingen, in das Haus geflüchtet. In das Haus, das thront über dem See. In das Haus, das thront am Waldrand, mit der schon neunzehnhundertvierundvierzig markanten, mit der schon neunzehnhundertvierundvierzig uralten Kastanie. Seit neunzehnhundertfünfundvierzig die Familienwohnung des Urgroßvaters abgebrannt, gerade noch, am allerletzten Kampftag. Seitdem durfte man die Taschenlampe mit dem Tesaband rundherum nicht ersetzen. Seitdem ein Menschenleben nichts mehr war gegen das Leben, das Überleben, über Generationen, dieser Kastanie. Seitdem sie hierher, in den abgelegenen Ort, in dem alle Villen von Juden entleert, gesäubert. Von dem aus weiter transportiert, abtransportiert wurde. Zwischen Gletscherzunge und Habichtskauz.

Angeblich hat der Urgroßvater abgelehnt. Verweigert, als das übliche kam: das übliche Angebot, eine der entrümpelten Villen zu beziehen. Das übliche Angebot, ihre Räume zu arisieren. Zwischen Loser und Sarstein das Gesicht zu wandeln.

Beim Gehen über Wiesenwege deiner Kindheit siehst du es jetzt, dieses erst recht. Also nicht den Gegensatz, sondern dass hier erst recht, in dieser Idylle, die ideale Kulisse für Volkstum und Heimattreue. Dass hier wie gerufen das Brauchtum, missbrauchend gepflegt. Erst recht von der Kraft-durch-Freude-Bewegung. Zunächst noch der Widerstand, der Widerstand eines überlaufenden Fasses. Hitler, aufs Korn genommen. Aufs Korn genommen mit Kostümen aus Krepppapier, mit Hüten aus Rinde, mit hobelschartenen Locken, mit Kochlöffeln und Besen als Waffen. Dann immer schneller das Überrollen, das Überrollen von dörflichen Anzeigen zum Darmbluten, zum Terror in elenden Gassen.

Im Krieg, heißt es, zwischen Dachstein und Loser, färbt sich langsam rosa, im Krieg, heißt es, kann Carneval nicht das Szepter führen.

Angeblich hat der Urgroßvater abgelehnt. Angeblich hat er sich verweigert gegen die Bonzen. Du fragst: hätte man es dir sonst gesagt?

Angeblich nahm er das Haus eines Bauern. Du hast das Bild vor dir. Das Foto in schwarz

weiß

hast das bild vor dir

von der sonnenverbrannten fassade

von ihren verbogenen holz~

brettern

extremen witterungen

exponiert