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Du bist zurück am Ort deiner Kindheit. Dein erstes Laufen um den See wird zum Einlaufen in frühere Gerüche, in Gefühle von Geborgenheit, abseits von Tempo. Du bist wieder hier, stehst auf der Brücke am Ende des Sees. Das feuchte Holz trägt seinen Geruch zu dir und mit ihm die Bilder deines nicht mehr existierenden Familienhauses. Es riecht nach morschen Brettern, der regennassen Veranda, den Badeanzügen der Großmutter, dem Wetterfleck des Großvaters ... Das Gehen zu früheren und gegenwärtigen Orten rund um das ehemalige Haus verschafft dir Zutritt zu vergangenen Stimmen, Silhouetten, Berührungen – aber auch zum Verstehen. Denn du begreifst, wie nie aufgearbeitete Kriegstraumata der Familie in deinem Körper, deinen Emotionen und Denkmustern weiterwirken. Sophia Lunra Schnacks Debütroman bewegt sich in einem zeitlosen Raum, in dem die Grenzen zwischen Erinnerung und Zukunft, Vergangenheit und ihrer gefürchteten Wiederkehr durchlässig werden. Fast märchenhaft mutet die Landschaft an, vor der rückblickend Kriegs realitäten von Großvater und Urgroßvater erzählt werden. Der Übergang geschieht unbemerkt, elegant, harmonisch, genauso wie literarische Schranken und Genre-Grenzen sich verschieben: Prosa verwandelt sich in leichtfüßige Strophen und Verse erzählen ihre Geschichten. In der Auflösung erst entsteht der Zusammenhalt.
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Seitenzahl: 157
Sophia Lunra Schnack
Roman
OTTO MÜLLER VERLAG
Die Drucklegung dieses Buches wurde gefördert von den Kulturabteilungen der Stadt Wien (Literatur) sowie Stadt und Land Salzburg.
www.omvs.at
ISBN 978-3-7013-1308-2
eISBN 978-3-7013-6308-7
© 2023 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG-WIEN
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Christine Rechberger
Gestaltung: wir sind artisten
Coverbild: Aquarell von Susanne Krammer
Umschlag: Leopold Fellinger
Druck und Bindung: FINIDR s.r.o. (Český Těšín)
Für meine Großeltern.
einlaufen
generationen und gegenwart
feuchtes holz
pantoffel und mystifikationen
stickige verstrickungen
hämmern und wasserlippen
rückspulen
generationen und memoiren
wolkenbruch und einrücken
fingerkuppen und ginster
geburt und wieder: rote schneeflocken
pritschen und kastanie
venen und dröhnen
vermischen
haus und silhouetten
stimmen und leiterwagen
echos und staubschicht
veronal und narzisse
saline und salzsee
disteln und kinderleine
grabstein und kristalle
abrollen
regenhaut und tintenfass
federsohlen und spitzmaus
feuchter zaun und kastanie
wassermann und brustwarzen
innere räume
crescendo decrescendo
Es ist ein Abfahren mit verinnerlichter Strecke, mit vorgezeichneten Freuden. Eine nach der anderen zählen, überprüfen, die vorbeiziehende Landschaft: ob alles noch da, dasselbe Empfinden.
Es ist ein Vorbeifahren an Generationen der Urgroßmutter, ob sie die Uferpromenade oft gegangen, am funkelnden Fluss. Ein Vorbeifahren an Kriegsjahren der Großmutter, des Großvaters: ob sie hier einsam. Es ist an ihnen vorbeifahren, wenn aus den Feldern der aufsteigende Dampf. Wenn ab dem Umsteigen der Cut im Gefühl. Wenn jede Kurve vertrauter, der Blick pendelt, hüpft: zwischen Fenstern nichts versäumen. Es ist an ihnen vorbeifahren in wachsender Unruhe, wenn die Gleise direkt am Wasser. Wenn der Wagon sich neigt über Autos, deren Lenkbewegung du kennst. Sich neigt über Schwäne, über durchlässige Eiswellen am Strand. Wenn du dich freust über den leeren, bummelnden Zug, wenn du suchst nach Bergen vergangener Sommer: kannst immer besser benennen, immer mehr kribbeln gegangene Wege in dir.
Es ist an Generationen vorbeigleiten, wenn die Fetzenweiber einsteigen in den Zug, singend aus zerrissenen Kleidern, ihrer Fahne, mit Faschingskrapfen, die sie verschenken. An ihnen vorbeigleiten, wenn durch das Fenster zum ersten Mal der Hausberg, seine angezuckerte Wand. Nur kurz, dann die schmäler werdende Trasse. Es ist an ihnen vorbeigleiten, wenn sich der Fels drängt in die Scheiben, wenn niemand aussteigt in der salzigen Stadt. Niemand, um mit dem Boot überzusetzen, niemand, um in die Eishöhlen zu gehen. Siehst beim Vorbeifahren eure Besuche hier immer bei schnürlendem Regen. Siehst an vorbeiziehenden Stränden dein schärferes Schauen, dein gewachsenes Erinnern, übermalt jedes Mal eure Jahre. Es ist an ihnen vorbeifahren, wenn dein Blick immer schneller spulende Filme streift. Spulende Filme aus wartenden Stellen bis es, immer plötzlich, nur mehr ein Sprung.
Bis deine Augen eurer Fußstrecke folgen, dem Großvater am Bach, seinen gleichmäßigen Schritten. Bis du beim Anziehen am Zugfenster pickst, das nicht geöffnete Buch, die nicht gelesene Zeitung wieder in die Tasche legst. Bis selbstredend das Durchsagen der Haltestelle, eine Stimme fast dir allein. Steigst als Einzige aus dem Zug, vor das isoliert stehende Bahnhofsgebäude. Dabei strömt er in dich, der klare, schneidende Geruch nach sofortigem, wie vergessenem Ankommen. Nach einem Mischen von Erde, Eisen, transparentem Atem.
Gehst über die beiden Gleise zum Vorplatz, prüfst die immer gleich bleibenden Schilder zu wandernder Wege, prüfst die unveränderten Zeiten des Busses. Hältst dich beim Warten an das empfangende Rauschen des Baches, um angestauten Lärm, sein Freiwerden zu bremsen. Wie ein Klopfen diese Stille
überfordert
wie ein tropfen von schnee
auf bergen
wie ein knall von licht
dich weitet
Im Bus wie jedes Mal dein Zittern um das alte Ortschild mit der Kutsche: „Willkommen im Luftkurort“, ist noch da wie der Wunsch dich zu kennen, wenn du dem Busfahrer deinen Ausstieg nennst. Mit dem Zuschieben der Bustür fällt das Bild ab, immer am Rücken, zum Schlafen: jetzt, in direktem Einfließen zu dir. Blinzelst nach dem Zuschieben der Bustür in Formen, von der jede einzelne dein Aufwachsen wirft. Hältst dich an das Summen, immer stärker, nach örtlichem Klingen: zu jedem Gebäude eure Gesichter. Kein Suchen, nur Nachgehen, automatisch, von Gassen, zwischen Bäumen, deren Konturen du im Sommer, im Winter kennst. Siehst auf jetzt kahlen Februarlärchen noch orangene Nadeln des Oktober, denkst auf ihren hölzernen Armen schon grünen Julisaum.
Es ist ein Ankommen zwischen Menschen, die sich erinnern, die fragen zum Haus deines Kindseins. Die fragen zum Haus, das nicht mehr steht, dem du nachjagst: mit jedem Besuch wie ein Hoffen auf Gegenwart. Wieder umfängt dich das Betreten einer fremden Veranda. Umfängt dich ihre erste Wärme, wieder stockt dein Greifen auf eine fremde Klinke: wie eure damals, die verschmolzene. Siehst wie auch hier die Stiegen hinauf mit grünem Gummi geklammert. Ihr Knarren wie oben, also wie damals bei euch. Wie oben die trockenen Sträucher von Spalierrosen. Nur hier: junges Holz, das weiterströmt aus Zirben.
Wie immer als erstes dein Aufreißen der Fenster für
Geruch tauender Kälte
für quellendes laufen des baches
für sonne durchs zimmer
fernes aufheulen von motorsägen
spiegelt dein öffnen als kind
jeden morgen
dein öffnen als kind
jeden morgen
von doppelten flügeln
zwischen ihnen
einrasten
haltender stangen
Dieses erste Laufen um den See
ist ein Abstecken von Pflichtpunkten des Erinnerns,
Einlaufen in Gefühle von Geborgenheit,
Gerüche von Kindsein:
an jeder ecke ein hängen gebliebener
bleibender
bilder
auf winterstränden wo über kiesbuchten sonst
weiß stechende hitze jetzt
weiß leuchtender frost
wo zehen über kieseln sonst luftküsse
knabbern
liegt windstiller
schnee
über gefrorenes wasser schneekugeln die
gleiten in spiegelnde berge
gleiten wie deine tempi im sommer
durch doppelte
felsen
suchst die stelle vom stein der trocknet
findest ragende
fremde heraus
flocken aus gebrochenem eis
ihre zungen in wellen ruhender ufer
darüber flügelschlagen
schwarz
folgst getrennten formen die
ineinander greifen
enten die kräuseln über funkelnde fläche
durch silbernes glas
treiben blätter des vorigen
jahres über verhallende
sprünge entferntes
auflachen
dieses erste laufen um den see
ist einlaufen abseits von tempo
in festgehaltene zeit
festgehaltenen raum
wie eine sackgasse durch die du nicht fahren
in der du nur halten
irgendwann umdrehen kannst
vielleicht
gehst über die brücke der seewiese ihr
feuchtes holz
das in dich schießt wie schon einmal das
feuchte holz der fischerhütte dich
direkt zum zaun des großvaters
geleitet
zu seinen hervorstehenden spänen
ihrem langsamen trocknen
nach regen
durch das feuchte holz der brücke
erlegt dich geruch nach handtüchern der großmutter
den frisch gewaschenen in
die du dich gewickelt
in ihnen der immer nasse boden um
die hintere dusche zum waldrand
die nachtropfte
außer ihr niemand mochte
durch das feuchte holz der brücke
siehst du sie wieder
ihre nassen badeanzüge
wie sie hängen auf der wäscheleine vorm haus
wie sie tropfen von hölzernen
kluppen
durch das feuchte holz der brücke
in deinen waden das steigen von regentagen
des großvaters
seinen auwassergrünen gummistiefeln
seinem lodenen wetterfleck
wie das moos die flechten dann rochen
wie die veranda nach
triefendem
holz
dagegen der warme geruch nach trockenen
phasen wie
nach erst aufgeschnittenen stämmen
fast wie im ofen
nach krachenden
semmeln
dieses erste laufen um den see
ist einlaufen in erinnerungen eines hauses
in seine gerüche
die du im nachhinein
filterst
wie im nachhinein
wahrnimmst
also nach unbewusstem speichern des
körpers der
poren
vom geruch des schotters am schulweg
des häferls am brunnen
nach jahrzehnten
zerbrochen
läufst dich ein als gelber paragleiter
voller stunden
über hauchdünnem eis
in das nebeneinander von saisonen
von schmelzendem schnee
schüchternen blüten
hörst die stimme der großmutter
wie herzig die palmkatzerln die erste
nahrung der bienen: nicht pfücken
pflückst sie doch
greifst glanz auf deinen augen
deinen wangen
vor gesichtern dieser landschaft
vor so vielen jahren
so vielen geschichten
in der sonne am fels die
ersten strahlen
lichtwellen über geschlossene
lider
streichen über deine erstickte
erstickende haut
bei deinen füßen ein pfirsichkern wie stein:
ob alle kiesel vor vielen sommern
obstkerne
gewesen
übernimmst das treiben der eisplatte
ihr großes brechen der länge nach
über den see richtung
mündung des flusses ihr
zischen wie das
zischen feiner tücher unter
zehen auf und ab in
uferwellen
fließt ein in wölbungen des felsens
schmiegst dich an seine form
hörst wie neben dir
stimmen vom anderen ufer vom
rudern des kajaks rot
wie es bricht durch eisstücke
am strand
wie du sonst filterst nur das unmittelbare
jetzt alles nimmst
dass es geht an nichts zu denken sich
laufen zu
lassen
immer wieder glaubst du zu müssen
beginnst die schleifen
brichst wieder aus
brichst wieder aus durch dein trinken
von februarwasser aus
der quelle zum see dessen wasser
vortäuscht gleich zu
bleiben
hörst an der bucht mit der kiefer die
sich über dich neigt
an der bucht die der großvater die
japanische genannt
hörst wie jede regung des körpers an
kieseln reibt
auf denen als junger mann
auch er gesessen
siehst dieselben wege ins wasser
über spitze steine seine
plastiksandalen
darüber derselbe pflanzenstaub
derselbe schaum aus
grünen nadeln
wunderst dich dass sich unter deiner haut
ein stein verschiebt
denkst dass kiefer und steine noch hier
bei deinem nächsten besuch
an ihnen menschen die nicht mehr sind
an ihnen haften
überdauern generationen die
kommen
diese schichten von stille
erlegen dich
gehst weiter vorbei am boot
pausierend hinter schilf
vorbei an der bucht zu der die großeltern
im alter gefahren
um nur kurz hineinzusteigen
um sich nur schnell abzukühlen
gleich gegenüber der frau die hundeporträts malt
gleich bei ihrem haus mit wuchernden blumen
wo wasser von see und
abfließender traun
besonders kalt
mischen
jetzt sind es schon über drei jahre am friedhof
dessen blumen von schnee verdeckt
seitdem suchst du noch mehr zwischen
steinen der seewiese
verrunzelten obstbäumen
ihren struppigen armen
noch mehr zwischen trockenen rinden
streichen von fensterläden
flechten auf zäunen
seitdem siehst du beim einkauf
vertraute gesichter
suchst die joghurts wie aus dem korb der
großmutter
kaufst ihren duft ihren balsam mit
arnika für ihre muskeln
ihre zu dünne
haut
durch dasselbe weiterwandern von jahren
eure gleichbleibende distanz
die frau an der kassa noch dieselbe
die ehemalige nachbarin beim bäcker
nicht mehr hier
und trotzdem
ihre festgefahrenen kombinationen
von honigmandelschnitten und leinsamenweckerln
zum bähen im ofen
mit einrinnender butter unter
marmelade der großmutter
ihren zerfließenden
marillen
jetzt sind sie nicht mehr
von ihr
dieses erste laufen um den see
ist einschaukeln
zurückkehren von rhythmik
auswaschen von sehnsucht
ein übernehmen von gewohnheiten des großvaters
zum beispiel seines krachbrots am abend mit
gut streichfähiger butter unter
schichten aus salz
es ist ein hineinlegen ins frische bett
wie damals ein neues beginnen von
unverwendetem von
ordnung
ein seichtes schlafen vor fehlenden
geräuschen
kein ablenken von fehlendem
funktionieren
wie die kälte vom boden in dich
zieht
wie sie dich führt zu eurem flur
zum pfeifenden zwerg hinterm bad
wie sie dich zieht in kindlich
frierende
nacht
beim aufwachen dein blinzeln auf
vorhänge wieder und
wieder
dein öffnen der doppelten
fenster
dumpfes klopfen von rasenmähern
leitet dich von überall
hierher
hallt jetzt
direkt vor dir
köcheln von kaffee wie
zum ersten mal
dehnen und cremen den
körper
kultivieren für das
schreiben
verdichten der gestrigen notizen:
wie sich alles wiederholt auf
denselben hängen
der filmende vater rückwärts
beim pflugfahren
sein kind
tiefverschneite tannenspitzen unter
blauem himmel
das hast du so gern
jetzt ihr dunkles
grün
gehst langsam hinauf
über eure immer gefahrene
strecke
über euer einbiegen zum
haus
dein zurückschlagen der arme am rücken
erschrickst vor dieser haltung des
großvaters
verinnerlicht in deinen schultern
der jacke mit zeigefinger durch
schlaufe
gehst vorbei
an schneeglöckchen in gärten
wie sie ohne euch weiter
gewachsen
sie ist gestorben
die nachbarin von oben
derselbe jahrgang wie die großmutter
die nachbarin mit den dauergewellten
haaren gleich neben euch
beim zu ende gehen des weges
mit dem sterben der nachbarin die
letzte fassbare beziehung des hauses
mit ihr die geschichte dreier
generationen
ihr gemeinsames wandern dein
holen warmer milch
ein mähen längst zugewachsener
wiesen
ein riss aus illusionen aus
bleibendem
umso mehr eilt geiz um
den ort von kindsein der
ohne dich
wie nicht weiter existiert
nichts neues erträgt
kein überlagern
aufgehängt an einem fixen bild
dein alter wie stehen
geblieben
jetzt erschrecken beim nachzählen
berechnen
von jahren
dein besitzergreifendes krampfen
gegen sich wandelnde
zeichen
veränderungen die hier
geschlossene zeit bedeuten
einen kleinen tod
dringst wie anonym ein
fühlst dich fremd
an der mauer der gestorbenen nachbarin
fühlst dich fremd
bei ihrem haus mit den vertrockneten
sternen aus rosen
ihren zugebundenen
sträuchern
in dich rattern filme ihrer
roten katze mit struppigem fell
wie sie hineinwollte nicht durfte
in dich rattert der geruch immer nach
warmer küche nach braten
rattern bilder in der ecke
von ihren kindern
ihrem verstorbenen sohn adolf
aus einer anderen realität
in dich rattert ihr abgetragenes dirndl
die schürze gebunden über
wölbendem bauch
rattern ihre zu großen pantoffel aus
holz vor der tür
hörst ihr lachen aus falten
immer stiller
ihr nicken und schweigen
dein klammern an die kinder
an ihre tochter die du kennst
erkennt dich
nicht
stattdessen zwitschern durch
geruch von stall
dein fragen
wann muss das gewesen sein
das neugeborene kalb
ihr letztes treiben der kühe
auf die alm
siehst eure besuche am vormittag den
schnaps jedes mal ihre
träne wenn
ihr von bergwiesen erzählt dann
euer wechseln des themas
ihr leuchten
jetzt leer um das haus
als würde sich spiegeln am platz
die bank auf der sie nicht mehr wartet
als würde sich spiegeln
der balkon auf dem ihre mutter
noch länger
nicht mehr sitzt
schaust auf die tür die immer offen
jetzt sicher verschlossen
ein drücken der klinke würde es
bestätigen
du probierst es nicht aus
kein spontanes hineingehen
vielleicht auch nie wieder
denkst an den gang mit der steilen
stiege
ihre mauer entlang die porträts der
familie die
geweihe
was geschieht mit den verlassenen
bäumen mit der pause
rundherum
auf ihnen noch ihre stimme
recht host jo genau
so lang ma aufmog in da fruah
ist alles schon weg
getragen oder
sammeln die kinder
verrücken sie keine objekte um
ihre berührungen
ihre abdrücke zu
speichern
auf der anderen seite des hauses
die gekippten fenster
denkst dass es eine geste
vielleicht von
lebendigkeit
nimmst einen stein wie
damals von eurer kastanie
ein stück rinde
plötzlich das vorbeifahrende moped
reißt dich
sein blick
scheucht dich auf
nicht alles ohne grenzen
ohne skrupel
suchen
zwischen zeilen nicht
über intimität der anderen
hinweg
gehst also weiter den weg über
fliegende gräser über
eingetretenes heu fest gewordene erde
die wie jenseits von dir
aus kuhhufen
gefallen
gehst weiter die strecke die
als kind so lang
die du hin und her
in der nacht mit der freundin
um einander zu begleiten
hin und her
jetzt ist sie so kurz
das richtige tempo finden beim gehen
zu schnell verdrängst
verhinderst du
zu langsam überrennen dich
alltägliche
schlaufen
austreten aus der angst vor
dem ende einer
zeit wie vor
dem ende einer
liebe
immer dein suchen dein
formen
einer möglichst perfekten
geschichte im
realen im
fiktiven
einer geschichte
mit deren rhythmen du spielst
deren ende du nicht kennst
von dem du nur weißt
dass es kommt
und doch beginnst du
immer wieder
beginnst immer wieder
eine neue geschichte die nichts ahnt
von allen geschichten davor
die jedes mal glaubt
die erste zu sein
beginnst immer wieder mit diesen extremen
es kann auch der schnee sein
wenn er leuchtet im wald
es können auch die hüllen sein von buchen
auf ihnen das huschen einer maus
das rascheln eines trockenen blattes
wenn es der hauch deiner
schritte vom boden
hebt
gehst weiter den weg
zur verwunschenen ruine
die zwischen moosbedeckten steinen
hervorstehenden wurzeln
wie nattern
darüber
wurzeln wie nattern die
erregen
verzaubern
langsam in mystifikationen
gleiten
hinter dem harzigen duft gefällter tannen
dein kindliches wahrnehmen
dein späteres zuordnen der zunge
eurer pausen mit salzigen
semmeln
sitzt wie damals vor der ruine
in der unschuldig verurteilte
über jahrhunderte weiter
rumort
die deshalb niemand erworben
die zerfallen bis fast
nichts mehr da
auf der wiese der spuk des reiters
steigst in abdrücke von schuhen
vielleicht eines verurteilten
bevor er rumorte
kommst durch lichtspiele am waldboden
durch lange schatten von stämmen
am schnee
kommst durch sie zur wiese
auf der ihr den korb
voller schwammerl
gefüllt
siehst wie der großvater sich entfernt
immer weiter vom weg
nicht beachtet
das sorgen der großmutter vor
einbrechender
nacht
beim zurückgehen in den ort
rieselt dein blick in fremde veranden
auf einer hängenden blechpfanne
klingt dein
schlagen auf den
gong
drei mal durch das vorzimmer
für den großvater
wenn das essen bereit
gleichzeitig jeden samstag zur
sirene der feuerwehr
mit dem reißen des hauses
eine ganze epoche an
tastbarem aus
morschem holz
mit den gefällten bäumen
ein abwürgen von
greifbarem
ein stoppen von
zirkulieren
mit den ausgerissenen stauden
von ribiseln
ein schneiden
durch frisch gepressten saft
der großmutter
dickflüssig
rot
rinnt aus lippen
sickert
unter poren sein
klammern
er ist wie vor dir
wie unter deinen zehen
dieser dunkelgrüne boden des
vorzimmers
er strömt wie vor dir
wie unter deiner nase
sein kalter geruch nach
feuchter mauer
der tisch gleich beim eingang
mit großem feldstecher
schwarz
der bleiche stoff weiter hinten
der durchgesessenen bank
zum schuhe binden vor
verdunkelndem spiegel der
kleine bräunliche kamm die
rote taschenlampe mit
braunem tesaband
rundherum die
zerfallen die
niemand
ersetzt
seit
neunzehnhundertvierundvierzig in der Stadt alles zerbombt. Seitdem durfte man die Taschenlampe nicht ersetzen. Seitdem die Urgroßeltern mit ihren Söhnen, mit den Zwillingen, in das Haus geflüchtet. In das Haus, das thront über dem See. In das Haus, das thront am Waldrand, mit der schon neunzehnhundertvierundvierzig markanten, mit der schon neunzehnhundertvierundvierzig uralten Kastanie. Seit neunzehnhundertfünfundvierzig die Familienwohnung des Urgroßvaters abgebrannt, gerade noch, am allerletzten Kampftag. Seitdem durfte man die Taschenlampe mit dem Tesaband rundherum nicht ersetzen. Seitdem ein Menschenleben nichts mehr war gegen das Leben, das Überleben, über Generationen, dieser Kastanie. Seitdem sie hierher, in den abgelegenen Ort, in dem alle Villen von Juden entleert, gesäubert. Von dem aus weiter transportiert, abtransportiert wurde. Zwischen Gletscherzunge und Habichtskauz.
Angeblich hat der Urgroßvater abgelehnt. Verweigert, als das übliche kam: das übliche Angebot, eine der entrümpelten Villen zu beziehen. Das übliche Angebot, ihre Räume zu arisieren. Zwischen Loser und Sarstein das Gesicht zu wandeln.
Beim Gehen über Wiesenwege deiner Kindheit siehst du es jetzt, dieses erst recht. Also nicht den Gegensatz, sondern dass hier erst recht, in dieser Idylle, die ideale Kulisse für Volkstum und Heimattreue. Dass hier wie gerufen das Brauchtum, missbrauchend gepflegt. Erst recht von der Kraft-durch-Freude-Bewegung. Zunächst noch der Widerstand, der Widerstand eines überlaufenden Fasses. Hitler, aufs Korn genommen. Aufs Korn genommen mit Kostümen aus Krepppapier, mit Hüten aus Rinde, mit hobelschartenen Locken, mit Kochlöffeln und Besen als Waffen. Dann immer schneller das Überrollen, das Überrollen von dörflichen Anzeigen zum Darmbluten, zum Terror in elenden Gassen.
Im Krieg, heißt es, zwischen Dachstein und Loser, färbt sich langsam rosa, im Krieg, heißt es, kann Carneval nicht das Szepter führen.
Angeblich hat der Urgroßvater abgelehnt. Angeblich hat er sich verweigert gegen die Bonzen. Du fragst: hätte man es dir sonst gesagt?
Angeblich nahm er das Haus eines Bauern. Du hast das Bild vor dir. Das Foto in schwarz
weiß
hast das bild vor dir
von der sonnenverbrannten fassade
von ihren verbogenen holz~
brettern
extremen witterungen
exponiert