Feuer und Eisen – Die Magische Bibliothek - Rachel Caine - E-Book

Feuer und Eisen – Die Magische Bibliothek E-Book

Rachel Caine

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Beschreibung

Die Bibliothek von Alexandria ist die mächtigste Organisation der Welt. Sie herrscht über das gesamte Wissen der Menschheit, denn der private Besitz von Büchern ist streng verboten. Und nun hat ein gefährliches Spiel um die Macht über das geschriebene Wort begonnen – denn Worte haben die Kraft, Revolutionen auszulösen und die Welt in Brand zu stecken. Jess Brightwell und seine Freunde geraten in höchste Gefahr, als sie sich dem Archivar Magister persönlich entgegen stellen müssen. Es beginnt ein riskantes Katz-und-Maus-Spiel, das nur eine der beiden Parteien überleben wird...

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Seitenzahl: 586

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Buch

Die Bibliothek von Alexandria ist die mächtigste Organisation der Welt. Sie herrscht über das gesamte Wissen der Menschheit, denn der private Besitz von Büchern ist streng verboten. Und nun hat ein gefährliches Spiel um die Macht über das geschriebene Wort begonnen – denn Worte haben die Kraft, Revolutionen auszulösen und die Welt in Brand zu stecken. Das weiß niemand besser als der junge Ex-Bücherschmuggler Jess Brightwell und seine Freunde. Sie geraten in höchste Gefahr, als sie sich dem Archivar Magister, dem Anführer der Bibliothek, persönlich entgegenstellen und dessen gewaltiger Magie widerstehen müssen. Es beginnt ein riskantes Katz-und-Maus-Spiel, das nur eine der beiden Parteien überleben wird …

Rachel Caines Dark-Academia-Saga um die MAGISCHEBIBLIOTHEK:

Band 1: Tinte und Knochen

Band 2: Papier und Feuer

Band 3: Asche und Feder

Band 4: Feuer und Eisen

Band 5: Schwert und Feder

Die Autorin

Rachel Caine, New York Times- und internationale Bestsellerautorin, hat als Buchhalterin, professionelle Musikerin und Schadensermittlerin gearbeitet und war Geschäftsführerin in einem großen Unternehmen, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete und mit zahlreichen Fantasy- und Mysteryserien große Erfolge feierte. Sie lebte mit ihrem Mann, dem Künstler R. Cat Conrad, in Texas. Rachel Caine verstarb 2020.

RACHEL CAINE

DIE MAGISCHE BIBLIOTHEK

Roman

Aus dem Amerikanischen vonBeate Brammertz und Stefanie Adam

Die Originalausgabe

SMOKEANDIRON

erschien erstmals 2018 bei Berkley

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

1. Auflage 2025

Copyright © 2018 by Rachel Caine LLC

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2025by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)

Redaktion: Sabine Kranzow

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München,nach einer Vorlage und unter Verwendung vonBildmaterial von Katie Anderson

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN 978-3-641-33300-3V002

www.heyne.de

Für Tez,egal, wie müde ich bin:

Dir gelingt es immer,mich anzuspornen.

Ephemera

Brief von Red Ibrahim in Alexandria an Callum Brightwell in England, via verschlüsselter Nachricht.

Hochverehrter Cousin,

laut meiner Tochter Anit hast Du Dich auf ein gefährliches Spiel mit dem Archivar Magister der Großen Bibliothek eingelassen.

Wenn ich an Deinen Werdegang und Deine legendäre Schläue denke, muss ich davon ausgehen, dass Dir sehr wohl bewusst ist, in was für eine Gefahr Du damit nicht nur Dich selbst, sondern uns alle bringst. Auch wenn wir die Bibliothek so manches Mal für unsere Geschäfte nutzen, dürfen wir uns nicht umgekehrt von ihr benutzen lassen. Eine Ameise sollte sich niemals anmaßen, einen Elefanten befehligen zu wollen.

Du setzt Deinen Sohn der allergrößten Gefahr aus.

Deswegen flehe ich Dich an, von einem liebenden Vater zum anderen: Gib Deinen Plan auf und hol ihn nach Hause. Lass Dich nicht weiter mit dem Archivar ein. Im Gegenzug wird Anit ihre Gefangenen an Dich überstellen, und Du kannst nach Belieben mit ihnen verfahren – wenn Du nur künftig meine Familie nicht weiter in dieses tollkühne Unternehmen mit hineinziehst.

Mag sein, dass der Archivar Dir mit freundlichen Worten begegnet, aber denk immer daran: Eine Schlange, die das Sprechen gelernt hat, ist deswegen nicht weniger giftig.

Mögen die Götter Dich segnen, alter Freund.

Antwortschreiben von Callum Brightwell an Red Ibrahim via verschlüsselte Nachricht.

Brendan kann sehr gut auf sich selbst aufpassen. Dennoch danke ich Dir für die Sorge um meinen Sohn. Im schlimmsten Fall bleibt mir immer noch sein Zwillingsbruder Jess. Der ist zwar nicht besonders glücklich darüber, dass ich seinen Bruder und nicht ihn geschickt habe, doch er wird es verschmerzen.

Vielleicht hättest Du besser auf Deine eigenen Söhne aufpassen sollen, anstatt mir jetzt Rat in Bezug auf meine zu erteilen – schließlich hast Du sie beide bei dem Versuch verloren, Deine Geschäfte voranzutreiben. Ich wünsche von Dir keine Ratschläge, wie ich meine Familie am besten beschütze. Deine Tochter hat unsere Vereinbarung in Deinem Auftrag und ausgestattet mit allen Befugnissen ausgehandelt. Wenn Du nun mit dem Ergebnis nicht zufrieden bist, dann solltest Du das mit ihr besprechen.

Ich erwarte, dass Du Dich an unsere Abmachung hältst, so wie sie ausgehandelt worden ist, darin sind Anit und ich uns einig. Du solltest auf sie hören, schließlich ist sie die Erbin Deines Handelsimperiums. Sie ist intelligent und in mancher Hinsicht ebenso rücksichtslos wie Du.

Es kann nicht in Deinem Interesse sein, dass unsere Familien sich verfeinden.

Bei nüchterner Betrachtung wirst Du sicher selbst erkennen, dass es nur weise ist, die Bibliothek auf unsere Seite zu ziehen, während um uns alles immer weiter ins Chaos stürzt. Solange wir denken können, war die Welt noch nie so unsicher wie heute. Sich mit dem Archivar zu verbünden, bedeutet auch, dass er uns weniger als Gefahr sieht. Und das wäre nur zu unseren Gunsten, wenn wir uns entschließen sollten, eines Tages unseren eigenen Vorteil zu suchen – was jederzeit der Fall sein könnte.

Friede sei mit Dir, mein Freund. Lass uns abwarten, wie die Dinge sich entwickeln.

Teil Eins

Jess

1

Eigentlich hatte er nur nach einer Zerstreuung gesucht, weil ihn in seiner alexandrinischen Gefängniszelle schreckliche Langeweile überkam.

Beim Erwachen war Jess Brightwell aufgefallen, dass er nicht mehr wusste, wie viel Zeit mittlerweile vergangen war. Hier glich ein Tag so sehr dem anderen, dass sie miteinander zu verschwimmen schienen. Doch er musste unbedingt wissen, wie lange er schon hier festsaß und auf seine Hinrichtung wartete, die vielleicht stattfinden würde – oder auch nicht. Und so rief er sich jeden bereits vergangenen Tag in Erinnerung und markierte ihn mithilfe eines Hemdknopfs sorgsam an der Zellenwand.

Fünf Tage. So lange war es mittlerweile her, dass er zusammen mit dem Gelehrten Wolfe und Morgan Hault als seine Gefangenen nach Alexandria zurückgekehrt war. Die beiden waren an verschiedene Orte gebracht worden, er dagegen musste hier darauf warten, dass der Archivar Zeit und Muße für ihn fand, wie man es formuliert hatte.

Allerdings war der Archivar anscheinend äußerst beschäftigt.

Nachdem Jess die Anzahl der Tage notiert hatte, rechnete er aus purer Langeweile auch noch das aktuelle Datum aus. Der heutige Tag schien für ihn irgendwie von Bedeutung – allerdings hatte er ein ungutes Vorgefühl, bis er endlich darauf kam, warum.

Als es ihm schließlich einfiel, schämte er sich, nicht früher daran gedacht zu haben.

Heute jährte sich der Todestag seines älteren Bruders Liam.

Das bedeutete, dass Jess mittlerweile älter war, als sein Bruder je geworden war.

Jess konnte sich nicht genau erinnern, wie sein Bruder gestorben war. Es fiel ihm auch immer schwerer, sich ihn überhaupt ins Gedächtnis zu rufen – geblieben war ein vages Bild eines Jungen mit scharf geschnittener Nase und struppigem blondem Haar. Dabei musste er doch zugesehen haben, wie Liam auf das Podest gestiegen war und man ihm die Schlinge um den Hals gelegt hatte.

Aber er wusste es nicht mehr. Ebenso fehlte Jess die Erinnerung an die eigentliche Hinrichtung. Stattdessen erschien sein bereits gehängter Bruder vor seinem geistigen Auge, doch das wirkte wie ein aus einiger Entfernung betrachtetes Gemälde und weniger wie eine Erinnerung.

Ich wünschte, ich könnte mich erinnern, dachte Jess. Wenn Liam dem Tod ohne Angst, mit hocherhobenem Haupt und festem Schritt begegnet war, dann wäre er vielleicht in der Lage, es ihm gleichzutun, sollte es so weit kommen – denn danach sah es aus.

Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie sich die Zellentür öffnete und Soldaten in der Uniform der Hohen Garda – der Armee der Großen Bibliothek – mit versteinertem Gesichtsausdruck im Gang auf ihn warteten. Wie ein Gelehrter ihm auf dem Weg in den Tod noch einen Text vorlas, den er sich ausgesucht hatte. Wie vielleicht ein Priester kam, wenn er darum bat.

Doch dann versagte seine Vorstellungskraft. Er wusste nicht, wie der Archivar ihn hinrichten lassen würde. Würde es vielleicht in aller Stille passieren? Im Geheimen? Ein Schuss in den Rücken und ein unmarkiertes Grab? Vielleicht würde nie jemand erfahren, was aus ihm geworden war.

Oder wartete doch der Strick auf ihn? Wenn er es in Gedanken schaffte, ungerührt zu seiner Hinrichtung zu gehen, dann konnte er das vielleicht auch in der Realität.

Eigentlich sollte er sich eher Gedanken darüber machen, was er dem Archivar sagen würde, falls er die Chance bekam, mit ihm zu sprechen. Aber in diesem Moment fühlte er sich dem Tod wesentlich näher, und es war einfacher, sich mit seinem Versagen abzufinden, als auf irgendeinen Erfolg zu hoffen. Er war nie besonders abergläubisch gewesen, hatte jedoch trotzdem das Gefühl, sich mit nur einem siegessicheren Gedanken alles verderben zu können. Er wollte sich nicht jetzt schon bei den ägyptischen Göttern unbeliebt machen.

Er stand auf und ging in seiner kahlen, kalten Zelle mit den Gitterstäben und dem schmalen steinernen Bett an der Wand auf und ab. Der bestialische Gestank der einfachen Toilette, die dringend einmal gereinigt werden musste, verursachte ihm geradezu körperliche Qualen.

Wenn ich nur etwas zu lesen hätte … Der Gedanke kam ihm ohne Vorwarnung. Er vermisste seine Bücher ebenso sehr, wie er die Menschen um sich herum vermisste, man hätte ihn kaum schlimmer bestrafen können. Er bemühte sich, nicht über den Tod oder das Schicksal von Morgan oder Wolfe oder überhaupt über irgendetwas nachzudenken … Dabei konnte er Wolfes nüchterne, strenge Stimme beinahe hören: Wenn du nur ein brauchbares Gehirn hättest, Brightwell, dann könnte es dir egal sein, ob du etwas zu lesen bei dir hast.

Jess setzte sich auf das steinerne Bett, schloss die Augen und bemühte sich, die erste Seite seines Lieblingsbuchs im Geiste erscheinen zu lassen. Doch er sah nur wild durcheinandergewürfelte Wörter, die sich nicht ordnen ließen. Vielleicht war es besser, sich vorzustellen, wie er einen Brief schrieb.

Liebe Morgan, dachte er. Man hat mich in eine Zelle im Innern des Serapeums eingesperrt, und ich kann an nichts anderes denken, als dass ich dich im Stich gelassen habe. Uns alle. Ich fürchte, dass alles umsonst war. Es tut mir so leid. Es tut mir auch leid, dass ich so dumm war zu glauben, ich könnte den Archivar hinters Licht führen. Ich liebe dich. Bitte hass mich nicht.

Das war egoistisch. Sie hatte alles Recht der Welt, ihn zu hassen. Schließlich hatte er sie zurück in die Sklaverei im Eisenturm geschickt, wo sie nun für den Rest ihres Lebens das Halsband der Obskuristen tragen musste. Wolfe hatte er ebenfalls hintergangen. Dank ihm wartete der Gelehrte nun in einem Gefängnis, das wesentlich schlimmer war als dieses hier, auf den sicheren Tod. Damit hatte Jess jeden verraten, der ihm jemals vertraut hatte – und wofür?

Weil er dummdreist geglaubt hatte, irgendwie ein Wunder bewirken zu können. Aber was hatte ihm das Recht gegeben, so etwas überhaupt nur zu denken?

Mit schepperndem Geräusch drehte sich ein Schlüssel in einem schweren Schloss.

Als sich die Tür am Ende des Gangs zwischen den Zellen öffnete, stand Jess auf und ging zu den Gitterstäben, wobei die Kälte des Steins, auf dem er gesessen hatte, nur langsam verflog. Die Tür schwang auf und wurde dann nicht wieder richtig geschlossen. Wie unvorsichtig.

Er hörte lauter werdende Schritte, dann erschienen drei Soldaten der Hohen Garda in schwarzer Uniform mit goldenen Abzeichen vor seiner Zelle und sahen ihn an. Der älteste – sein kurzes silbergraues Haar stand ihm buschig vom Kopf ab – bellte einen Befehl auf Griechisch: »Weg von den Gitterstäben und umdrehen.«

Jess wurde heiß und kalt. Er schluckte seine Angst hinunter, aber sein Puls raste, als könnte er so dem Unvermeidlichen entkommen. Sie haben die Tür nicht richtig geschlossen. Wenn ich es an ihnen vorbeischaffe, habe ich eine Chance. Es war nicht völlig unmöglich. Er konnte dem ersten Soldaten die Beine wegtreten und ihn gegen die anderen beiden stoßen, damit sie ebenfalls zu Boden gingen. Dann würde er einem Soldaten die Feuerwaffe entreißen und mindestens einen von ihnen damit erschießen, eventuell zwei. Vielleicht hatte er Glück und entkam, vielleicht auch nicht, doch zumindest würde er dann im Kampf sterben.

Ich will nicht sterben, sagte eine Stimme in seinem Kopf, die wie die eines Kindes klang. Nicht wie Liam und nicht am selben Tag wie er.

Und dann war die Erinnerung plötzlich wieder da.

Der Londoner Himmel hatte schwer und grau über ihnen gehangen, und er hatte den Nieselregen im Gesicht gespürt. Er war zu klein gewesen, um seinen Bruder sehen zu können, als dieser die Stufen des Podests hinaufstieg. Deswegen entdeckte er ihn erst, als er schon fast oben war. Liam stolperte auf der letzten Stufe und musste von einer Wache festgehalten werden. Sein Bruder zitterte und bewegte sich langsam, keine Spur von Heldenmut. Er sah sich in der Menge um, und sein Blick ruhte eine Sekunde lang auf Jess, bevor er dann zu ihrem Vater weiterwanderte.

Jess spähte ebenfalls zu ihrem Vater. Callum Brightwell starrte seinen ältesten Sohn so ausdruckslos an, als wäre er ein Fremder.

Dann hatten sie Liam die Hände gefesselt und ihm eine Kapuze über den Kopf gezogen.

»An die Wand, Hände hinter den Rücken.« Die Stimme des Soldaten holte Jess in die Gegenwart zurück.

Jess kam dem Befehl nur zögerlich nach und versuchte gleichzeitig abzuschätzen, wo sich die anderen beiden Männer befanden. Als er den Lauf einer Waffe im Nacken spürte, erstarrte er. »Ich weiß genau, was du gerade denkst, mein Sohn. Lass es bleiben. Ich würde dich ungern wegen so einer Dummheit erschießen.«

Der Akzent der Wache klang vertraut, vermutlich war er in der Gegend um Manchester aufgewachsen, aber schon lange genug in Alexandria, dass seine englischen Wurzeln nicht mehr ganz so deutlich herauszuhören waren. Jess fand es seltsam, nun so weit entfernt von seiner Heimat vielleicht von einem Landsmann getötet zu werden – von einem Engländer, genau wie sein Bruder Liam.

Nachdem man ihm die Fesseln mit dem Siegel der Bibliothek fest um die Handgelenke gelegt hatte, fühlte er sich seltsamerweise ruhiger. Alle sonstigen Chancen waren dahin, damit blieb ihm nur noch eine einzige Möglichkeit, und er wusste nun genau, was er zu tun hatte.

Jess drehte sich zu einem der anderen Hohe-Garda-Soldaten um. Seine dunkle Haut und die Haare verrieten, dass er aus der Gegend um Alexandria stammte. Er hatte einen gepflegten Bart und einen mitfühlenden, aber strengen Blick. »Komme ich wieder hierher zurück?«, fragte Jess und wünschte sich im selben Moment, er hätte geschwiegen.

»Vermutlich nicht«, sagte der Soldat. »Was auch immer mit dir passiert, hierher kommst du wohl nicht mehr.«

Jess nickte und schloss für einen Moment die Augen. Liam hatte zwar auf der Treppe zum Galgen gestrauchelt. Er hatte gezittert. Doch ganz am Ende hatte sein älterer Bruder gefesselt, die Kapuze über dem Kopf, aufrecht dagestanden und unerschrocken auf den Tod gewartet.

Jess konnte das auch.

»Gehen wir«, sagte er und zwang sich zu einem Grinsen, von dem er hoffte, dass es furchtlos wirkte. »Ich hätte nichts gegen einen Kulissenwechsel.«

Sie führten ihn nicht zum Galgen. Oder zumindest noch nicht. Und auch wenn er die ganze Zeit halb befürchtete, einfach unvermittelt hinterrücks erschossen zu werden, erreichten sie ohne Zwischenfälle die unverschlossene Tür am Ende des Gangs. Zum Glück ist Kommandant Santi nicht hier. So einen Verstoß gegen die Sicherheitsvorschriften hätte er nicht durchgehen lassen, dachte Jess. Dafür hätten bei Santi Köpfe gerollt, zumindest im übertragenen Sinne.

Wäre ihm nur bloß nicht dieser Gedanke gekommen. Damit war ihm jetzt nur noch eine weitere mögliche Hinrichtungsmethode eingefallen.

Der Weg war lang und führte durch viele, von einer Menge Soldaten und Automaten bewachte Kontrollpunkte. Die Sphinxe beobachteten ihn misstrauisch mit ihren roten Augen und spreizten die Löwenpranken. Von allen Automaten, denen er bislang begegnet war – Löwen, Spartanern, einmal sogar einem falkenköpfigen ägyptischen Gott –, waren sie die Furcht einflößendsten. Ihre Pharaonenköpfe ließen sie seltsamerweise besonders unmenschlich wirken. Sie waren zu beiden Seiten des Wegs postiert und kamen Jess so nahe, dass sie ihn mit Leichtigkeit in Stücke hätten reißen können.

Er fügte dies seiner Liste von Todesarten hinzu, die er lieber nicht erleiden wollte, und war dankbar, als sie durch das Eisentor hinaus in das blendende Sonnenlicht traten. Lieber in der Sonne sterben als in der Dunkelheit, oder? Beinahe krampfartig sog er die schwere alexandrinische Meeresluft in tiefen Zügen ein und hielt sein Gesicht in die wärmende Sonne. Als seine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, bemerkte er, dass man ihn durch einen kleinen Ziergarten führte, durch den man zu der großen Pyramide mit der Gelehrtentreppe gelangte. Doch der kurze Spaziergang an der frischen Luft war viel zu schnell vorbei, denn wenig später betraten sie durch eine Seitentür das dunkle Innere des riesigen Bauwerks.

Jess wusste nur zu gut, wo sie sich befanden, denn hier war er schon einmal gewesen.

Die Wachen führten ihn durch den weitläufigen Eingangsbereich, in dessen Nischen Automaten in Gestalt von Göttern und Monstern Wache hielten, und durch einen mit Hieroglyphen geschmückten Gang bis zu einer Tür ganz an seinem Ende. Dort saß eine weitere, noch größere Sphinx in einer Wandnische und knurrte warnend, bis der Befehlshaber ihr mit erhobenem Arm sein goldenes Armband präsentierte. Der Automat verstummte und die Tür öffnete sich.

Jess betrat das Vorzimmer des mächtigsten Mannes der Welt. Die Soldaten folgten ihm nicht, und als er sich umdrehte, schloss sich die Tür bereits wieder hinter ihnen.

Dafür gab es hier andere Wachen in den auffälligen, mit diagonalen roten Streifen verzierten Uniformen der für den persönlichen Schutz des Archivars zuständigen Elitegardisten. Als sie Jess ohne ein Wort zu sagen übernahmen, vermisste er beinahe seine vorherigen Bewacher. Er war selbst einmal bei der Hohen Garda ausgebildet worden, hatte deren Uniform getragen und in denselben Speisesälen gegessen wie diese Männer. Die Elitegardisten dagegen waren eher Fanatiker als Soldaten. Sie wohnten in eigenen Quartieren und trainierten auch nicht mit den anderen zusammen. Und sie schworen dem Archivar persönlich die Treue, statt einen Eid auf den Schutz der Großen Bibliothek abzulegen.

Die Elitegardisten umringten Jess, würdigten ihn aber kaum eines Blickes. Sie führten ihn durch das Vorzimmer, dessen Assistentenschreibtisch verwaist war, und durch eine massive Doppeltür mit dem Siegel der Bibliothek.

In dem dahinter liegenden Büro eskortierten sie ihn zu einem schweren, reich verzierten Stuhl und drückten ihn hinein. Dann zogen sie sich ein paar Schritte zurück und blieben so unbewegt wie Automaten stehen.

Jess sah auf und stellte fest, dass der Archivar Magister der Großen Bibliothek an seinem Schreibtisch saß und ihn nicht beachtete.

Der alte Mann hatte sich verändert. Er war grauer geworden, wirkte aber gleichzeitig körperlich stärker, als hätte er trainiert. Sein Haar war nun sehr kurz und seine Haut dunkler. Anscheinend hatte er viel Zeit in der Sonne verbracht. Vielleicht war er auf einem Segelschiff unterwegs gewesen? Sicher standen ihm eines oder gar mehrere zur Verfügung.

Der Archivar unterzeichnete mit schnellen Bewegungen seiner Feder einige Dokumente.

Jess ging davon aus, dass der Mann ihm früher oder später seine Aufmerksamkeit zuwenden würde, doch der Archivar arbeitete einfach weiter und nichts geschah. Stattdessen betrat eine junge Frau mit einem Silbertablett den Raum und stellte eine Porzellantasse mit starkem Kaffee neben Jess auf den Tisch.

»So werde ich das leider nicht trinken können, meine Liebe«, sagte er. Er wandte sich ihr zu und hielt seine gefesselten Hände hoch.

Der Archivar seufzte. »Nehmt ihm die Fesseln ab«, befahl er, ohne von seinen Dokumenten aufzusehen oder sich an jemand Bestimmten zu wenden. Im selben Moment trat ein Gardist vor und drückte sein Bibliotheksarmband gegen Jess’ Handschellen, die daraufhin aufschnappten. Jess befreite sich, der Soldat nahm die Handschellen an sich und zog sich wieder zurück. Dann griff Jess nach der Kaffeetasse und bedachte die zauberhafte Assistentin mit der Andeutung eines Lächelns – sie war wirklich eine Schönheit. Als er ihren verletzten Gesichtsausdruck bemerkte, wurde ihm klar, dass er sich wohl besser an sie erinnert hätte.

Brendan Brightwell hätte damit sicher kein Problem gehabt, und Jess durfte auf keinen Fall aus der Rolle fallen – immerhin verkörperte er gerade seinen Zwillingsbruder. Und sein Bruder hatte – Gott steh ihm bei – heimlich eine Affäre mit dieser jungen Frau gehabt. Jess dagegen wollte ihr Name einfach nicht einfallen, sosehr er sich auch anstrengte.

Lass dich bloß nicht ablenken, ermahnte er sich. Schließlich war er jetzt nicht mehr Jess, denn der war in Alexandria ein toter Mann. Ihre Pläne konnte er hier nur in der Rolle seines Bruders in die Tat umsetzen, und sein Leben hing davon ab, dass man sie ihm auch abnahm. Dabei war sein Zwillingsbruder vollkommen anders als er: immer hellwach, sarkastisch und vorlaut. Brendan hatte stets ein Grinsen im Gesicht und einen Witz auf Lager – oder ein Messer im Ärmel.

Jess konzentrierte sich wieder auf den Archivar Magister der Großen Bibliothek von Alexandria, als dieser – immer noch ohne aufzusehen – das Wort an ihn richtete: »Nun, dann erkläre mir mal, warum ich dir nicht hier und jetzt den Kopf abschlagen lassen soll.« Der Mann bedachte das Dokument auf dem Tisch vor ihm mit einem Stirnrunzeln, legte es beiseite und nahm ein anderes.

Jess behielt das dreiste Grinsen seines Bruders bei. Es war wie ein Schutzschild. »Wirklich gleich hier? Es würde Tage dauern, die Teppiche reinigen zu lassen.«

»Gib dich nicht so begriffsstutzig.«

»Na gut. Damit würden Sie sich eine Chance durch die Lappen gehen lassen. Schließlich habe ich Ihnen ziemlich wertvolle Geschenke gemacht. Und ich kann Ihnen noch viel mehr anbieten.«

»Ketzer und Kriminelle haben nichts anzubieten, woran ich Interesse hätte«, erwiderte der Archivar. Immer noch widmete er Jess nicht seine volle Aufmerksamkeit.

»Anscheinend haben Sie die Nachricht meines Vaters nicht gelesen.«

»Dein Vater ist ein Ketzer und ein Krimineller. Hast du mir nicht zugehört, mein Junge?«

Jess nahm einen Schluck Kaffee. Er war stark und erinnerte ihn an zu Hause. »Oh doch«, sagte er. »Aber wir wissen ja beide, dass die Große Bibliothek sich schon mit Schlimmerem als meinem Vater herumschlagen muss, um das zu bekommen, was sie will.«

»Und was wäre das deiner und der Ansicht deines Bücher schmuggelnden Vaters nach?«

»Jenes Ding, das das hier alles zerstören wird.«

Endlich legte der Archivar die Feder hin und sah Jess an. In seinem eiskalten Blick lag weder Mitleid noch Gnade. Dies war der Mann, der Wolfe hatte foltern lassen, und Thomas ebenfalls. Er hatte ohne auch nur mit der Wimper zu zucken unzählige Unschuldige töten lassen, die seinen und den Zielen der Großen Bibliothek im Weg gewesen waren.

»Und weiter?«, sagte er.

»Die Bibliothek verlässt sich nun schon seit fast viertausend Jahren auf die Überlegenheit der Alchemie und auf die Obskuristen, die sie in Perfektion praktizieren. Alles, was Sie und die Bibliothek tun und besitzen, beruht in irgendeiner Form auf deren Macht: die Automaten, die sämtliche Städte in Schach halten. Die Portale, durch die Sie Ihre Armeen schicken. Und am allermeisten die Bücher. Mit der Bibliothek als einzigem Ort des Lernens und des Wissens haben Sie die ganze Welt unter Ihrer Kontrolle.«

»Den Fakten widerspreche ich nicht, sehr wohl aber deiner düsteren Interpretation«, erwiderte der Archivar. »Die Bibliothek ist tatsächlich ein Ort des Wissens und des Lernens. Und die Automaten sorgen für Ordnung. Die Translationskammern dienen dazu, Menschen von einem Ort zum anderen zu bringen. Aber was willst du mir damit sagen …?«

»Ich will damit sagen, dass eine einzige Erfindung das alles zu Fall bringen wird«, sagte Jess. »Und zwar eine, die so dermaßen simpel ist, dass sie eigentlich schon vor Tausenden von Jahren hätte gemacht werden sollen – wenn sie nicht vorsätzlich von der Bibliothek unterdrückt worden wäre. Und von Ihnen.«

Der Archivar seufzte und widmete sich ganz demonstrativ wieder seinen Dokumenten. »Wenn du darauf bestehst, in Rätseln zu sprechen, werde ich nicht mehr für dich tun können, als deinem Vater deinen Leichnam zu schicken, damit er ihm ein anständiges Begräbnis ausrichtet.«

Jess lehnte sich mit einem Grinsen zurück. »Wir haben bereits ein funktionierendes Modell, und das spuckt Kopien aus von Dingen, die Jahrtausende lang geheim waren. Erinnern Sie sich an die Bücher aus dem Schwarzen Archiv, die mein Bruder und seine Freunde Ihnen gestohlen haben? Während wir hier sprechen, wird Ihre Macht mit jeder gedruckten Seite kleiner und kleiner. Wenn Sie diese Bedrohung trotzdem nicht ernst nehmen wollen – bitte schön.«

Der alte Mann hat sich wirklich gut im Griff, dachte Jess. Kein Zucken oder auch nur ein Flattern der Wimpern verriet ihn. Jess hatte seinen Trumpf so gut er konnte ausgespielt. Jetzt konnte er nur noch weiter Kaffee trinken, abwarten und beten, dass er sich damit nicht gerade sein eigenes Grab geschaufelt hatte.

Der Archivar ließ die Feder sinken. »Das Ganze ist durchaus von Interesse für mich. Es dient ja nur dem Vorteil der Bibliothek – möge sie noch lange existieren –, wenn wir diese Maschine und ihren Einsatz kontrollieren. Niemandem würde es nützen, wenn man sie auf eine Welt loslässt, die nicht verantwortungsvoll damit umgehen kann. Das wird doch sogar dein Vater einsehen, oder?«

»Mein Vater ist nicht unbedingt ein Musterbeispiel an sozialer Verantwortung«, sagte Jess mit einem Grinsen, das die Zähne entblößte. »Er interessiert sich mehr für seinen finanziellen Vorteil. Was bieten Sie ihm dafür, dass er die Maschine zerstört? Es müsste schon mehr sein, als er mit ihr verdienen kann.«

»Willst du mich etwa erpressen?«

Jess zuckte mit den Schultern. »Sie sind der Gelehrte. Ich überbringe nur ein Angebot. Für einen angemessenen Preis – und das heißt einen sehr, sehr hohen – wird mein Vater die Druckerpresse zerstören, alle damit verbundenen Geschäfte einstellen und Ihnen die Baupläne sowie den Erfinder selbst übergeben.«

»Thomas Schreiber.«

Als die blutleeren Lippen des Archivars Thomas’ Namen aussprachen, hätte Jess seinen Plan am liebsten aufgegeben und diese alte Eidechse an Ort und Stelle getötet – bevor sie seinem Freund noch mehr antun konnte. Ein paar köstliche Sekunden lang malte er sich alles im Detail aus. Es bestand eine klitzekleine Chance, einen Wächter auszutricksen, ihm seine Waffe abzunehmen und diesem bösen alten Mann einen Schuss in den Kopf zu jagen, bevor ihn jemand aufhielt.

Wenn man sich nicht darum scherte, ob man dabei selbst lebend davonkam, war ein Attentat immer im Bereich des Möglichen.

Er ließ sich nichts anmerken und grinste weiter, obwohl der Hass in seinem Innern ihm beinahe körperliche Schmerzen bereitete. Der alte Mann trommelte leise mit den Fingern auf seinen Schreibtisch. Was immer er gerade dachte, nichts davon zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. »Wie viel will dein Vater dafür haben?«

Das war es, worauf Jess gehofft hatte. Er war am Rande einer Klippe entlangbalanciert, und nun war direkt vor seiner Nase eine Brücke in Sicht gekommen. Sie war nur schmal, und ein einziger Fehltritt konnte immer noch den Tod bedeuten. Aber zumindest hatte er jetzt eine Chance.

»Oha, viel, wirklich viel«, sagte Jess. Zum ersten Mal in seinem Leben freute er sich darüber, einen eineiigen Zwilling zu haben, denn das rettete ihm schließlich gerade das Leben. Er imitierte weiter Brendans freches Grinsen, fläzte sich wie er auf dem Stuhl, kreuzte die Beine und sog den vertrauten Geruch in der Luft tief ein, denn er hatte Alexandria mit jeder Faser seines Körpers vermisst. Das half ihm, seine rasende Wut weiter zu zügeln. »So viel, dass man damit ein mittelgroßes Land ruinieren könnte. Aber Sie werden die Summe zahlen, um diese Angelegenheit sofort und für immer vom Tisch zu haben. Ich habe Ihnen bereits jenen Gelehrten ausgeliefert, den Sie so unbedingt in Ihre Gewalt bringen wollten, und obendrein als Zeichen meines guten Willens noch eine Obskuristin – ohne irgendeine Gegenleistung dafür zu verlangen.« Den Verrat an Wolfe würde er für den Rest seines Lebens mit sich herumtragen. Jess dachte an den verzweifelten Blick des Gelehrten … Er war in den Kerkern der Bibliothek schon einmal gebrochen worden, und nur die Zeit und die Liebe hatten ihn heilen können. Aber was würde dieses Mal mit ihm passieren? Vielleicht ließ sich das, was Jess ihm angetan hatte, nie mehr reparieren.

»Deinen Bruder hast du uns allerdings nicht ausgeliefert.«

»Der gehört nun mal zur Familie. Dennoch würde mein Vater ihn Ihnen vielleicht sogar überlassen, aber das wird sich zeigen.«

Der greise Archivar sah ihn forschend an. Sein durchdringender Blick war mit dem Alter zwar etwas schwächer geworden, die Haut faltig und das Haar stumpf, dennoch war er so gefährlich wie eh und je. Ihm entging nichts. Der Archivar Magister wusste, wie man überlebte. Er war ein absoluter Herrscher, rücksichtslos und ohne jede Moral. »Dir ist bewusst, dass ihr zwei euch unglaublich ähnlich seht. Ohne die Narbe könnte ich euch unmöglich auseinanderhalten.«

Wenn Brendan mit den Schultern zuckte, zog er sie höher als Jess, und seine Bewegungen waren flüssiger. »Wirklich? Dabei sind wir uns so gar nicht ähnlich. Mein Bruder ist eine dämliche Leseratte, das war er schon immer. Ich bin mehr wie unser Vater und neige nicht zu Sentimentalitäten.« Brendans Grinsen dehnte Jess’ Lippen. »Mein Vater hat nun mal mich und nicht meinen Bruder geschickt. Ob Sie mir nun glauben oder nicht, liegt ganz bei Ihnen. Tun Sie, was Sie für richtig halten.«

Der Archivar wechselte geschickt die Taktik. »Dir ist ja wohl bewusst, dass ich auch umgekehrt ein Druckmittel besitze, mein Junge. Nämlich dich.«

»Meinen Vater zu verärgern ist sicher nicht hilfreich, außerdem hat er noch einen anderen Sohn.« Jess trank einen Schluck Kaffee, um etwas Zeit zu gewinnen. Der Archivar schwieg. Es gab verschiedene Arten des Schweigens, so viel hatte Jess mittlerweile gelernt. Manche fühlten sich ruhig und friedlich an, andere konnten jederzeit in Gewalt umschlagen.

Dieses Schweigen war gefährlich.

Jess wandte den Blick vom Archivar ab und sah sich in dessen Büro um, als ob er noch nie hier gewesen wäre. Tatsächlich hatte er das Büro schon einmal betreten, aber da war er jünger gewesen und hatte eine Menge Angst gehabt. Brendan dagegen hatte es noch nie gesehen und würde sicher alles ganz genau in Augenschein nehmen: die dicken Teppiche mit den ägyptischen Motiven, die gläserne Wand, durch die man auf den alexandrinischen Hafen mit den vielen Segelschiffen im blauen Wasser blickte. Die überlebensgroße Automaten-Statue des falkenköpfigen Horus in Schrittstellung, der bei der kleinsten Bedrohung aktiv werden würde, um den Archivar zu schützen. Dazu die Elitegardisten.

Jess trank einen weiteren Schluck Kaffee, der nun einfach nur noch bitter schmeckte, und atmete tief durch, um seinen Herzschlag zu beruhigen, wie es ihm seine Freundin Khalila beigebracht hatte. Es funktionierte. Warte ab, dachte er. So wie es Brendan tun würde.

Schließlich richtete der Archivar das Wort an ihn. »Mr. Brightwell, hast du schon einmal von dem Fest des Großen Verbrennens gehört?«

Jess wurde eiskalt, und sein Rücken versteifte sich. Trotzdem versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen. »Ist mir kein Begriff«, sagte er – er war sich ziemlich sicher, dass Brendan tatsächlich noch nie davon gehört hatte. »Wollen Sie mich etwa zum Abendessen einladen?«

»Unsere Vorfahren sind nicht für jene Barbareien berühmt, die man von so manch anderer Kultur kennt. Dennoch gab es auch bei uns das eine oder andere Opferzeremoniell. Während des Fests des Großen Verbrennens werden viele Opfer dargebracht, heutzutage selbstverständlich nur noch symbolisch. Vor tausend Jahren war dieses Fest allerdings eine praktische Gelegenheit, um sich … sagen wir mal, besonders unangenehmer Zeitgenossen zu entledigen – wenn du verstehst, was ich meine.«

»Wollen Sie mir etwa damit drohen, mich bei lebendigem Leib verbrennen zu lassen? Dann reden Sie nicht um den heißen Brei. Ich werde ganz bestimmt nicht in Ohnmacht fallen oder um mein Leben betteln. Wenn dem so ist, dann töten Sie mich eben und regeln den Rest selbst mit meinem Vater. Allerdings dürfte das dann wohl schwierig werden.«

Der Archivar war die ganze Zeit über ungewöhnlich still und zurückhaltend geblieben, doch nun hieb er mit der Hand so fest auf die glänzende Platte seines Schreibtischs, dass es wie ein Schuss klang. Die Bewegung war äußerst kraftvoll, nicht wie die eines alten Mannes. »Versuch ja nicht, mir zu drohen, Junge. Ich bin der Archivar Magister der Großen Bibliothek! Ich genieße die Hochachtung der gesamten Welt, sie ist mir treu ergeben und legt mir ihre Reichtümer zu Füßen!«

»Das war einmal«, erwiderte Jess und klang dabei ziemlich ruhig. »Aber die Welt verändert sich, und das hier ist Ihre einzige Chance, sie trotzdem unter Kontrolle zu behalten.«

Der Archivar verstummte und saß so bewegungslos da wie die Horus-Statue in der Ecke des Raums. Seine Augen wirkten im durch das Fenster hereinströmenden Licht gespenstisch leer und dunkel. Jetzt hab ich ihn, dachte Jess. Das Einzige, was jeder Archivar seit beinahe einem Jahrtausend fürchtete, war Veränderung – und dieser hier würde sich damit auseinandersetzen müssen, ob ihm das nun gefiel oder nicht. Da es nun eine Druckerpresse gab, mit der sich Kopien von Büchern herstellen ließen, waren die Menschen nicht mehr länger von den mittels Alchemie gespiegelten Duplikaten der Großen Bibliothek abhängig. Sie konnten Bücher tatsächlich besitzen, anstatt sie nur auszuleihen. Sie konnten sogar selbst welche verfassen, ohne von Gelehrten beaufsichtigt oder von der Bibliothek zensiert zu werden. Die Große Bibliothek hatte einst Licht in die Finsternis gebracht und Wissen bewahrt. Aber über eine Zeitspanne von Jahrhunderten und dann Jahrtausenden war sie zu einem Machtzentrum geworden.

Und diese Macht war in ihrem Innersten verderbt.

Wenn die Bibliothek weiterbestehen wollte, musste der Archivar den Siegeszug der Druckerpresse aufhalten.

Jess seufzte. »Versuchen Sie gar nicht erst, so zu tun, als ob Sie kein Interesse an dem haben, was nun in Besitz meines Vaters ist. Über die Jahrhunderte hat die Bibliothek bereits viele Dutzend Gelehrte getötet, um das Wissen darum geheim zu halten. Wir sind bereit, Ihnen die Presse inklusive aller Baupläne zu überlassen. Aber wir können sie natürlich auch jemand anderem anbieten.« Er stand auf.

Ruckartig wie ein Vogel drehte die Horus-Statue ihren goldenen Kopf und starrte ihn von oben herab an.

»Sei lieber vorsichtig«, sagte der Archivar leise. »Wenn ich will, lasse ich dich einfach verschwinden, und niemand wird auch nur deine Knochen finden.«

Jess stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch des Archivars und beugte sich vor. Es bereitete ihm einige Genugtuung, diesem Mann den großen Auftritt zu vermasseln. »Wenn Sie mich verschwinden lassen«, sagte er, »dann werden Sie der letzte Archivar der Bibliothek sein und ihren Untergang zu verantworten haben. Lassen Sie ruhig Ihren Metallgott auf mich los, falls Sie das für eine leere Drohung halten.« Er hörte die Schritte von näher kommenden Gardisten, doch dann hob der Archivar eine Hand, und sie blieben sofort stehen.

Wieder herrschte Stille. Und zwar eine von der gefährlichen Sorte, bei der die Anspannung in der Luft lag. Jess wartete zehn Herzschläge lang ab, dann ging er zurück zu seinem Stuhl und machte es sich dort bequem, als wäre er bei sich zu Hause. »Wir könnten zu mächtigen Verbündeten werden«, sagte er. »Brandschatzer erheben sich überall auf der Welt gegen Sie, ganze Königreiche rebellieren, und die Hohe Garda hat nicht genug Leute, um alle wichtigen Außenposten zu schützen. Wir könnten Ihnen dabei helfen.«

»Ich werde mich nicht mit Schmugglern und Dieben einlassen.«

»Mit Königen und anderen Herrschern lassen Sie sich dagegen seit vielen Jahren ein. Die Krone meines Vaters mag nur aus Schatten bestehen, aber seine Macht ist echt. Das sollten Sie nicht vergessen und Ihren Stolz herunterschlucken. Schließlich wollen Sie doch all das hier nicht verlieren …« Jess machte eine ausholende Geste, die das Büro und die gesamte große Pyramide, in der es sich befand, mit einschloss ebenso wie die Große Bibliothek und die Stadt Alexandria, die sich in ihrem Glanz sonnte. Das ganze Land war durch die Bibliothek, die von Armeen und Automaten, Tradition und Alchemie geschützt wurde, unvorstellbar reich geworden.

Doch sie wussten beide, dass diese Machtposition nicht mehr so gefestigt war, wie es auf den ersten Blick schien.

Nur eine kleine Geste des Archivars war notwendig, damit der Kopf der Horus-Statue wieder seine ursprüngliche Haltung einnahm. Wenn man den Automaten allerdings einmal in Bewegung erlebt hat, dachte Jess, dann vergisst man das nicht so schnell wieder.

Die Botschaft war unmissverständlich: Sie konnten sich gegenseitig zerstören.

»Und was will dein Vater im Austausch für … sein Entgegenkommen?«

»Bücher«, sagte Jess. »Einige besonders wertvolle und seltene Bände. Das sollte nicht zu viel verlangt sein, schließlich besitzen Sie riesige Lagerhallen voller kostbarer Dinge, die kaum ein Mensch je zu Gesicht bekommen hat.«

»Und wie viele?«

Aha, dachte Jess. Sie waren also gerade dabei, sich zu einigen, nun ging es nur noch darum, die Bedingungen auszuhandeln. Er entspannte sich etwas. »Für die Druckerpresse und die Pläne? Hunderttausend seltene Bände und ich werde mir jeden davon persönlich ansehen.« Er grinste Brendans zynisches Grinsen. »Glauben Sie mir, ich würde auch lieber etwas anderes tun. Schließlich ist mein Bruder die Leseratte, nicht ich.«

»Aber das wird Wochen dauern«, sagte der Archivar.

»Sind Sie etwa in Eile?«

Der Archivar sah ihn wütend an. »Und was willst du noch?«

»Nun, die Bücher sollten als Gegenleistung für die Druckerpresse und die Pläne ausreichen, aber der Kopf desjenigen, der dieses Wunder konstruiert hat … Der sollte doch noch um einiges mehr wert sein, selbst wenn es nur darum geht, dass er keine weitere Presse baut.«

Falls dem Archivar dieser Gedanken bereits ebenfalls gekommen war, ließ er es sich nicht anmerken. »Schreiber ist für uns sehr wertvoll.«

»Dann sollte er Ihnen noch einmal hunderttausend Bücher wert sein. Und die anderen?«

»Welche anderen?«

»Kommandant Santi. Khalila Seif. Glain Wathen. Dario Santiago«, zählte Jess auf und bemühte sich, dabei nicht an die Gesichter seiner Freunde zu denken. Sie mussten ihm in diesem Moment egal sein, so egal, wie sie Brendan wohl wären.

Der Archivar machte eine wegwerfende Geste, besann sich dann aber eines Besseren. »Santi muss bestraft werden«, sagte er nachdenklich. »Man sollte an ihm ein Exempel statuieren. Dario Santiago gehört zur königlichen Familie, wenn wir ihn begnadigen, wird uns das weiterhin die Loyalität von Spanien und Portugal sichern.«

»Und Khalila?« Jess fiel es schwer, ruhig und gleichgültig zu klingen.

»Das Seif-Mädchen hat eine folgenschwere Entscheidung getroffen. Sie kann zusammen mit ihrem Vater und ihren Brüdern im Gefängnis auf ihre Hinrichtung warten.«

Jess’ Brust brannte, als bekäme er keine Luft mehr. Er wollte Khalila hinrichten lassen, für ihre Brillanz und ihr Mitgefühl. »Bleibt noch Wathen.«

»Schubs die kleine Waliserin in irgendeinen Brunnen, sie ist unwichtig.«

Du Schwein. Du gefühlloser Dreckskerl. Sie wäre deine nächste Oberkommandantin geworden.

Plötzlich verschwand das Brennen in Jess’ Brust, und ihm wurde eiskalt. Er hatte sein Ziel erreicht – und er litt Höllenqualen, während er dem Archivar mit einem Gespräch schmeichelte, in dem er alle Menschen, die ihm nahestanden, zu Folter und Tod verdammte. Der Fisch hängt an der Angel, dachte Jess. Lass ihn bloß nicht wieder entwischen.

Er nickte beiläufig und trommelte mit den Fingern auf dem Oberschenkel. »Ich werde meinem Vater berichten. Er wird für jeden Einzelnen Bedingungen aushandeln wollen.«

»Du kannst meinen persönlichen Kodex dafür verwenden, er wird nicht überwacht.«

Brendans Grinsen tat nun richtig weh, aber Jess blieb keine Wahl. »Ich bin doch nicht blöde«, sagte er. »Und ich kümmere mich selbst darum. Wenn wir Ihnen Santi, Khalila Seif und Thomas Schreiber ausliefern, Dario zu seiner Familie zurückbringen und Wathen verschwinden lassen – was bekommen wir dafür?«

»Neben den zweihunderttausend seltenen Bänden, die du bereits gefordert hast? Das ist ein bisschen zu unverschämt, junger Mann.«

»Ich komme schließlich ganz nach meinem Vater. Wenn man von mir etwas haben will, muss man ein gutes Angebot machen. So läuft das nun mal im Geschäftsleben.«

»Ich bin kein Geschäftsmann.« Aus dem Mund des Archivars klang es wie ein schmutziges Schimpfwort, doch nach einigem Zögern setzte der alte Mann eine dünne Brille auf und öffnete ein Buch auf seinem Tisch. Er tat so, als suche er nach etwas, aber Jess war sich sicher, dass ein Mann in seiner Position ganz genau wusste, was er besaß und was es wert war.

Kurze Zeit später schlug der Archivar das Buch wieder zu. »Ich habe jetzt genug Zeit mit Rebellen und Idioten verschwendet. Du bekommst zweihunderttausend seltene Originalbände aus den Archiven, dazu wird ein Schiff der Hohen Garda randvoll mit Waffen an deinen Vater geschickt, inklusive griechischen Feuers. Außerdem wird die Hohe Garda sich ab jetzt nicht mehr in die Geschäfte des Brightwell-Clans einmischen – solange ihr die Bibliothek in Ruhe lasst. Ist das ausreichend?«

Jess brauchte ein paar Sekunden für seine Antwort. Der Archivar Magister handelt mit Waffen und griechischem Feuer, als wäre nichts dabei. Und er stellt Schwarzmarktschmuggler unter seinen Schutz. Der Verrat an den Prinzipien der Bibliothek war so schwerwiegend und so abstoßend, dass Jess ein paar Atemzüge lang nicht in der Lage war, seinen Abscheu zu verbergen.

Er stand auf, dieses Mal langsamer, und nickte knapp. »Ich werde meinem Vater Bericht erstatten«, sagte er. »Ich denke, dass er nicht länger als einen Tag für die Antwort benötigen wird. Wo soll ich warten?«

Der Archivar widmete sich bereits wieder anderen Dingen, nahm ein Buch von dem Stapel auf seinem Schreibtisch und machte sich ein paar schnelle Notizen, ohne aufzusehen. »Meine Assistentin wird dich in ein angenehmeres Quartier bringen«, sagte er. »Im Moment kannst du dich als mein Gast betrachten, allerdings als einen ohne Privilegien und ohne Bewegungsfreiheit, dass wir uns da richtig verstehen. Du bist meine Geisel. Immerhin muss ich sicherstellen, dass dein Vater sich auch benimmt. Und eins muss dir klar sein: Wenn ich auch nur das kleinste Anzeichen von Verrat entdecken sollte, lasse ich dich töten.«

Jess verbeugte sich leicht mit einem Hauch von Ironie, so wie es sein Bruder getan hätte. »Aber natürlich.«

2

Er entspannte sich erst, als ihn die Assistentin – verdammt, ihr Name wollte ihm einfach nicht einfallen – aus dem Büro zurück in das mit antiken babylonischen Friesen dekorierte Vorzimmer geführt hatte. Ihr Schreibtisch war aus weniger glänzend poliertem Holz als der des Archivars und beladen mit Arbeit. Die Assistentin trug das goldene Armband der Bibliotheksbediensteten, und, ja, sie war wirklich schön. Es wunderte ihn nicht, dass sie Brendan derart verzaubert hatte. Mit einer anmutigen Geste forderte sie ihn auf, sich zu setzen. Dann öffnete sie ein Buch auf ihrem Schreibtisch, in dem sich zweifellos gerade eben verfasste Befehle des Archivars befanden.

Jess betrachtete sie verstohlen bei der Arbeit. Ihre dunkle Haut verriet ihm, dass sie ägyptischer Abstammung war, gemischt mit etwas anderem, das er nicht einordnen konnte. Der dicke Zopf, die Wangenknochen und das spitze Kinn waren ihm in Erinnerung geblieben. Aber wie lautete nur ihr Name? Irgendwas mit N. Naomi? Nallana?

Dann fiel es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen. »Neksa, als ich gegangen bin …« Er musste vorsichtig austesten, wie sie zu ihm beziehungsweise Brendan stand.

»Du bist einfach deinem Plan gefolgt und gegangen, so wie du es vorgehabt hattest«, sagte sie scharf. Das war nicht der warme Tonfall, an den Jess sich von ihrer ersten Begegnung erinnerte. Damals, in jener Nacht, in der ihm klar geworden war, dass sein Bruder eine Freundin hatte, die in den Diensten der Bibliothek stand. »Ohne Vorwarnung und ohne auch nur ein Wort.« Ihr Blick durchbohrte ihn förmlich. »Auch wenn ich dir danke, dass du wenigstens so anständig warst, mir ein paar reumütige Zeilen zu schicken. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass es das für mich einfacher gemacht hat.«

Brendan hatte ihr einen Brief geschrieben? Eine Entschuldigung? Augenscheinlich empfand sein Bruder wohl mehr für dieses Mädchen, als Jess bewusst gewesen war. »Tut mir leid«, murmelte er. Er hätte gern noch mehr gesagt, aber das wäre vielleicht zu riskant gewesen. Am besten war es wohl für sie beide, Neksa so weit wie möglich auf Abstand zu halten. »Es ging nicht anders.«

»Ja, so scheint es«, sagte sie, öffnete eine Schublade in ihrem Schreibtisch, holte ein Holzkästchen mit dem Symbol der Großen Bibliothek hervor und reichte es ihm. Als er es aufklappte, entdeckte er darin ein Kupferarmband auf einem weichen roten Samtkissen.

»Ich mache ganz bestimmt nicht bei eurer Sekte mit«, sagte er und wollte ihr das Kästchen wieder zurückgeben.

»Wir wollen dich auch gar nicht«, erwiderte sie. »Aber wenn du das Armband nicht tragen willst, müssen wir dich leider wesentlich unbequemer unterbringen. Hattest du etwa angenommen, dass man dir dieselben Freiheiten wie letztes Mal gewähren würde?« Das war sicher doppeldeutig gemeint. Und vermutlich war ihre Zurückweisung wohlverdient.

Jess bedachte sie mit jenem gereizten, wenn nicht sogar leicht aggressivem Blick, den Brendan schon als Kind beherrscht hatte, nahm das Armband aus dem Kästchen und streifte es sich über. Als die im Metall eingeschlossene Alchemie zu wirken begann, schloss es sich von selbst und passte sich an sein Handgelenk an. Nun konnte es nur noch ein Obskurist oder ein alchemistischer Schlüssel, den Neksa sicher irgendwo gut versteckt aufbewahrte, wieder lösen.

»Das sitzt aber ziemlich eng«, sagte er. »Könntest du es etwas lockern?«

»Nein«, sagte sie. »Es sei denn, du bist bereit, dir für etwas mehr Bequemlichkeit die Hand abzuhacken.«

Das war er natürlich nicht, oder zumindest nicht unter diesen Umständen. Er verbeugte sich leicht. »Bitte, nach dir.«

Sie führte ihn durch die Gänge des Serapeums, wobei der Flur, den sie nun betraten, nicht der war, durch den man ihn hergebracht hatte – eine Erkenntnis, die ihn verwirrte und ein wenig verstörte. Er hatte das seltsame Gefühl, dass sich das Büro nun nicht mehr am selben Ort wie eben befand. War das möglich? Oder gab es hier ein alchemistisches Kraftfeld, das die Richtungen in seinen Erinnerungen durcheinanderwürfelte?

Als sie in einen ihm unbekannten Hof traten und er die Meeresluft einatmete, hatte er das Gefühl, wieder zu Hause zu sein. Alexandria war schnell zu einem ganz besonderen Ort für ihn geworden, denn hier hatte er zum ersten Mal echte Freunde und ein Ziel im Leben gefunden.

Aber jetzt war ihm dieser Ort feindlich gesinnt und voller Fallen. Das durfte er nicht vergessen.

Neksa führte ihn durch die Gärten am Fuße der großen Pyramide. Jess blickte an dem sonnenbeschienenen Marmor hinauf bis zu der leuchtenden goldenen Spitze. Sie befanden sich nun auf der öffentlichen Seite der Pyramide, wo sich ein steter Menschenstrom in die großen Lese- und Studierzimmer bewegte. Hineingebracht hatte man ihn auf der anderen Seite mit der Gelehrtentreppe, in deren Stein man auch die Namen von Thomas Schreiber, Khalila Seif und Dario Santiago geschnitten hatte. Vielleicht waren sie mittlerweile wieder entfernt worden. Wahrscheinlich sogar. In Jess’ Vorstellung war dies das Erste, was der Archivar getan hatte: Ihre Namen aus der Geschichte der Bibliothek zu tilgen.

Der Name des Gelehrten Christopher Wolfe war schon vor Jahren ausgelöscht worden. Die Bibliothek strahlte Beständigkeit aus, aber in Wirklichkeit war sie ein fragiles Gebilde, dessen Geschichte fortlaufend in aller Stille verändert wurde.

Jess konzentrierte sich darauf, Neksas hin und her schwingendem Zopf aus dem Schatten in den blühenden grünen Garten und dann hinaus auf die belebte Straße zu folgen. Sie passierten eine monumentale Sphinx, die ihren Pharaonenkopf in ihre Richtung drehte und sie mit flackernden roten Augen fixierte. Adrenalin flutete seinen Körper, dennoch ging er mit ruhigen, gleichmäßigen Schritten weiter und bemühte sich, auch seinen Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sollte er einen Fluchtversuch wagen, würde ihm dieses Biest folgen. Vielleicht konnte er den Automaten außer Gefecht setzen, aber wesentlich wahrscheinlicher war, dass die Sphinx ihm mit nur einem Prankenhieb die Gedärme aus dem Leib riss oder sich mit ihren Flügeln in die Luft erhob, um ihn mit ihrem Körpergewicht zu zermalmen. Oder noch schlimmer: Ihr menschlicher Mund verbarg rasiermesserscharfe Zähne, mit denen er lieber keine Bekanntschaft machen wollte. Ebenso wenig, wie er ihr schauriges schrilles Kreischen hören wollte.

Das Armband beschützte ihn zwar, war aber gleichzeitig eine Drohung.

Neksa betrat die breite, mit weißen Steinen gepflasterte Straße mit selbstbewussten Schritten und winkte eine vorbeifahrende Dampfkutsche herbei. Das Gefährt hielt zischend neben ihnen, sie nannte eine Adresse, dann kletterten sie hinein und setzten sich einander gegenüber. Die Kutsche fuhr abrupt los, und die Wunder von Alexandria zogen an ihnen vorbei.

Schließlich brach Neksa das Schweigen. »Wenn deine Geschäfte erledigt sind, wirst du von hier verschwinden.«

Jess tat so, als hätte sie es als Frage formuliert. »Das werde ich«, antwortete er. »Ich tue das für meinen Vater, das schulde ich ihm.«

»Mir dagegen schuldest du nichts.«

Jess wandte den Blick von ihr ab und betrachtete lieber die ausladende Silhouette des alexandrinischen Leuchtturms, in dem seine Freunde einst ihre Ämter ausgeübt hatten. »Ich schulde einer Menge Leute alles Mögliche«, sagte er und war sich nicht sicher, ob er dabei in der Rolle seines Bruders oder als er selbst sprach. »Und ich habe keine Ahnung, wie ich diese Schuld jemals begleichen soll.«

Sie schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Schweigend fuhren sie am Leuchtturm vorbei und um eine weite Kurve in ein anderes Viertel. Alexandria war in einer wilden Mischung aus allen möglichen Baustilen errichtet: griechische, römische, ägyptische und dazwischen noch ein paar exotischere Architekturen. Sie passierten einen chinesischen Palast, der in einem üppigen, sorgfältig gepflegten Garten stand, und eine sehr englisch anmutende Villa.

Sie befanden sich im Diplomatenviertel. Jess’ Puls beschleunigte sich, als er einen reich verzierten spanischen Palast hinter schweren Eisentoren entdeckte. Hier musste Darios Cousin wohnen, der als spanischer Botschafter in Alexandria weilte.

Darios Familie hatte jede Menge Adlige von Einfluss hervorgebracht, kein Wunder, dass sie auch hier jemanden in einer Machtposition platziert hatte.

Jess merkte sich die Adresse, dann bog die Kutsche wieder ab, dieses Mal in ein nicht ganz so reiches Viertel. Es war zwar eine anständige Wohngegend, aber die farbenfroh dekorierten Häuser waren kleiner. Die Kutsche hielt, und Neksa überreichte der Fahrerin ein Stück Papier, vermutlich einen Schuldschein des Archivars. Sie stiegen aus, die Kutsche fuhr ratternd davon, und Neksa führte ihn ein paar ausgetretene Stufen hoch zu einer Tür, die sich öffnete, als sie die Hand darauf legte. »Die Tür ist mit deinem Armband verbunden«, sagte sie. »Aber natürlich kann jeder mit einem höheren Rang sie öffnen. Du stehst unter Bewachung, und wir werden dein Quartier in regelmäßigen Abständen durchsuchen.«

»Etwas anderes hätte ich auch nicht erwartet«, erwiderte Jess. Die Unterkunft bestand aus einem einzigen Zimmer mit nackten weißen Wänden und schlichten, aber einigermaßen bequem wirkenden Möbeln. In einer Wandnische mit einem Vorhang stand ein Bett, außerdem gab es ein breites Sofa zum Lesen, einen Tisch und einen Stuhl. In der Küche war das Nötigste zum Kochen vorhanden. Das Bad war in einer weiteren Nische mit Vorhang untergebracht.

Die Fenster waren klein und mit Gitterstäben versehen, und es gab nur die eine Tür.

»Die Unterkunft ist adäquat«, sagte er. »Und wie weit darf ich mich von ihr entfernen?«

»Bis auf Weiteres überhaupt nicht. Der Archivar wird dich umgehend wieder ins Gefängnis werfen lassen, wenn du auch nur einen Fuß vor die Tür setzt, verstanden?«

»Und wie komme ich an etwas zu essen?«

»Man wird dir etwas bringen. Alles Weitere fällt nicht in meine Zuständigkeit.«

»Also ist das hier auch nichts anderes als eine Gefängniszelle, oder?«

»Aber eine wesentlich bequemere. Dafür solltest du dankbar sein.«

Sie starrten sich einen Moment lang an. Schließlich wurde ihm klar, dass sie in seinem Gesicht nach etwas suchte. Einem Funken.

Aber da war nun mal nichts.

Neksa wandte den Blick wieder ab und atmete kurz durch. »Wenn du sonst noch etwas brauchst, schreib es mir in den Kodex.«

»Bücher«, sagte er. »Ich brauche Bücher.«

»Neben dem Bett steht ein Regal mit Blankobüchern«, sagte sie. »Wir sind ja schließlich keine Unmenschen.« Irgendwo in ihren Worten versteckte sich eine Anschuldigung. Sie betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn und schief gelegtem Kopf. »Seit wann bist du denn so eine Leseratte, Brendan?«

Er war nur eine Sekunde lang unaufmerksam gewesen, und schon hatte er einen Fehler gemacht. Jess und nicht Brendan war der Bücherwurm. »Ich muss ein bisschen was für meinen Dad recherchieren.«

Sie nickte, aber ein Rest des Stirnrunzelns blieb zwischen ihren Augenbrauen sichtbar. Jess wich ihrem Blick nicht aus. Schließlich sah sie weg und ging, ohne sich zu verabschieden. Die Tür schloss sich hinter ihr, woraufhin Jess auf das Sofa sank und nach Atem rang.

Im Grunde war es beunruhigend einfach, zu seinem Bruder zu werden … doch auf die Details kam es an. Neksa würde ihn nun noch genauer im Auge behalten. Wenn ihr tatsächlich Zweifel kamen, dass er nicht der war, für den er sich ausgab, würde er seine Tage unter der Folter in den Kerkern beenden. Oder noch schlimmer.

Er ließ seinen schmerzenden Kopf in die Hände sinken, denn nun konnte er das Schicksal der anderen nicht mehr länger verdrängen: Wolfe war in jener Hölle gelandet, der er schon einmal entkommen war – aber die ganze Scharade wäre nicht möglich gewesen, ohne ihn herzubringen. Und Morgan war zurück in den Eisenturm gebracht worden, in dem sie früher schon versklavt worden war. Selbst ihr Körper gehörte nun nicht mehr ihr.

Der Plan muss funktionieren. Den ihm zur Verfügung gestellten Kodex konnte er natürlich nicht benutzen, schließlich würde Neksa jeden Strich, den er darin machte, gleichzeitig in ihrem gespiegelten Band sehen. Und solange er das Armband trug, konnte er nicht unauffällig von hier verschwinden, um von irgendwo anders aus Nachrichten zu verschicken.

Sie waren jetzt alle auf die eine oder andere Weise Gefangene: Dario, Khalila, Thomas, Glain und Kommandant Santi wurden auf Red Ibrahims Schiff nach Alexandria gebracht, um an die Bibliothek verkauft zu werden. Diesen Handel hatte Jess’ Vater mit seinem langjährigen Weggefährten, dem Meisterschmuggler, eingefädelt – doch Red Ibrahim würde früher oder später sicher eigene Forderungen an den Archivar stellen.

Jeder Einzelne von Jess’ Freunden war dem Tode oder zumindest dem Gefängnis nahe.

Wie hatte ich nur jemals glauben können, dass das funktionieren könnte? Nicht, dass ihm eine andere Wahl geblieben wäre. Er hatte natürlich gewusst, dass sein Vater drüben in England sie verraten würde – deswegen hatten sie sich an diesen letzten Strohhalm klammern und alles auf eine Karte setzen müssen, um überhaupt noch eine winzige Chance zu haben. Wolfe zum Beispiel hatte Jess ganz sicher nicht einfach so hierhergebracht. Bei ihm hatte er die größte Sorge gehabt, dass der Archivar ihn sofort töten lassen würde. Ihm Wolfe quasi als Geschenk zu überbringen, war von allen grauenhaften Alternativen, die ihnen geblieben waren, die einzige halbwegs anständige, da waren Jess und Dario sich einig gewesen. Dabei war Jess völlig klar, dass er Wolfe damit im besten Fall »nur« wieder in jenen Kerker schickte, der den Gelehrten schon einmal gebrochen hatte.

Nein, keine der Alternativen war gut gewesen.

Morgan auszuliefern hatte strategische Gründe gehabt. Schließlich hatte sie von allen von ihnen noch die besten Voraussetzungen, um das Ruder wieder herumzureißen. Aber dafür musste sie ausgerechnet zurück an jenen Ort, an den sie nie wieder gehen wollte: den Eisenturm.

Auch Jess selbst konnte immer noch der Tod drohen und in diesem Moment hatte er nicht unbedingt das Gefühl, dass ihr Plan überhaupt diese Bezeichnung verdiente.

Doch er war alles, was sie hatten.

Jess öffnete ein Blankobuch und ließ einen Stadtplan darin erscheinen. Er befand sich demnach noch in der Nähe des Diplomatenviertels, und von seinem Quartier aus konnte man zu Fuß zum Serapeum, zur Universität und zum streng bewachten Bezirk des Großen Archivs gelangen.

Nicht weit entfernt von hier hatte er zuletzt Red Ibrahims alexandrinischen Schattenmarkt besucht. Aber diese illegalen Zusammenkünfte blieben nie lange an einem Ort, denn sie lieferten sich beständig ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel mit der Hohen Garda. Jess hatte keine Ahnung, wo der Schattenmarkt als Nächstes abgehalten werden würde, und ohne Einblick in die Korrespondenz seiner Familie auch keine Möglichkeit, es herauszufinden.

Er verfluchte Dario dafür, dass er sich nicht an ihre Abmachung gehalten hatte. Jess hatte überall nach einem Zeichen Ausschau gehalten, vor allem als sie an der Botschaft vorbeigefahren waren. Doch Santiago hatte wie immer nur das getan, was für ihn selbst am besten war.

Jess war sich bewusst, dass das unfair war, aber in diesem Moment fühlte es sich wahr an.

Trotz seiner ganzen Sorgen döste er ein, um dann ganz plötzlich wieder aufzuschrecken. Er schoss instinktiv hoch. Wie lange er geschlafen hatte, konnte er nicht genau sagen, doch auf einmal saß er kerzengerade da, kampfbereit.

Er hätte es auf einen Albtraum schieben können, doch er wusste es besser. Etwas stimmte nicht. Der jähe Adrenalinschub hätte ihn aufspringen lassen sollen, aber ohne zu wissen, was überhaupt los war, konnte jede Bewegung die falsche sein.

Eine kleine Handlampe flackerte auf, und er sah einen Mann, etwa um die fünfunddreißig, der nur etwa drei Meter von ihm entfernt an dem kleinen Küchentisch lehnte. Jess hatte keine Ahnung, wie der Mann durch die verschlossene Tür oder die vergitterten Fenster hereingekommen sein sollte. Das Wichtigste war allerdings erst einmal, dass er keine Waffe zu haben schien und einen Finger auf die Lippen legte. Dann ließ er denselben Finger einmal in der Luft kreisen und berührte nacheinander seine Ohren.

Der Mann wollte ihn also davor warnen, dass sie abgehört wurden.

Jess sah sich nach Schreibutensilien um, doch außer dem Bibliothekskodex auf dem Tisch gab es nichts Geeignetes. Er blickte wieder zu seinem Besucher und beruhigte sich etwas. Der Mann kam ihm vage bekannt vor. Aber eben nur vage, er hatte nicht den Eindruck, ihn schon einmal kennengelernt zu haben …

Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Der Mann war Spanier und hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Dario Santiago, auch wenn er dünner und größer war und ihm Darios teuflischer Kinnbart fehlte.

Jess dachte ein paar Sekunden lang fieberhaft nach und fragte dann in Gebärdensprache: Hat Santiago Sie geschickt?

Der Mann wirkte erst überrascht und dann erfreut. Er antwortete ebenso langsam: Ja. Hat Dario dir die Gebärdensprache beigebracht?

Darios Schwester war von Geburt an taub, weswegen die meisten Familienmitglieder die Gebärdensprache beherrschten. Als Jess zusammen mit Dario in Philadelphia im Gefängnis gewesen war, hatte er sie von ihm gelernt. So hatten sie zumindest eine sinnvolle Beschäftigung gehabt.

Ja, antwortete Jess. Warum sind Sie hier?

Ich will dir helfen. Der Mann öffnete die Arme und zuckte mit den Schultern. Dario hat mich darum gebeten. Was kann ich tun?

Von ihnen allen hatte Jess Dario – zumindest bis vor Kurzem – am wenigsten getraut. Nun wusste er es erst richtig zu schätzen, wie sehr sein spanischer Freund das Spiel mit Betrug und Täuschung beherrschte.

Aber konnte er diesem Fremden vertrauen? Eigentlich konnte er sich ja nicht einmal sicher sein, dass Dario ihn wirklich geschickt hatte. Und Jess beherrschte die Gebärdensprache nicht annähernd gut genug, um dem Unbekannten besser auf den Zahn fühlen zu können. Außerdem fehlte ihm die Zeit. Wie auch immer dieser geisterhafte Besucher in sein Quartier gelangt war, er musste wieder von hier verschwinden, bevor die Bibliothek seine Gegenwart bemerkte.

Du traust mir nicht. Der Mann sah Jess mit einem derart ungezwungenen Grinsen an, dass es ihm schwerfiel, es nicht zu erwidern. Jess überkam ein vertrautes Gefühl von leichter Wut und – auch wenn es ihm widerstrebte – Sympathie. Du bist klug. Dario hat mich darauf vorbereitet, dass du mir nicht trauen würdest. Und er hat mir auch gesagt, wie ich dir beweisen kann, dass ich der bin, für den ich mich ausgebe … Der Mann hielt inne und dachte offensichtlich über das richtige Zeichen nach, dann buchstabierte er das Wort sorgfältig. Ratte.

Aha. Der Spitzname, mit dem Dario ihn von Anfang an immer wieder aufgezogen hatte. Jetzt plötzlich wirkte er fast ein wenig liebenswert. Und nur jemand aus Darios Bekanntenkreis würde ihn kennen.

Können Sie mir helfen?, fragte Jess.

Willst du fliehen?

Nein. Aber könnten Sie für mich eine Nachricht weitergeben?

Der Spanier nickte. An wen?

An den spanischen Botschafter.

Das Gesicht des Mannes entspannte sich, und es wirkte, als würde er gleich in Gelächter ausbrechen. Dann verbeugte er sich geziert. Zu Ihren Diensten. Ich bin Alvaro Santiago.

Sie sind der Botschafter?

Korrekt. Alvaro zuckte mit den Schultern, als wollte er damit sagen Warum auch nicht. Dieses Mal war es Jess, der ein Lachen unterdrücken musste. Deswegen konnte ich ohne Weiteres hier herein. Und selbst wenn man mich erwischen würde, müsste ich wohl kaum eine Strafe befürchten.

Was für ein cleverer Schachzug – Jess hätte nie gedacht, dass ein Botschafter sich so unauffällig wie ein Krimineller bewegen könnte. In seiner Vorstellung war so jemand immer mit einer Eskorte waffenstrotzender Leibgarden unterwegs.

Also, was kann ich für dich tun?, fragte Alvaro. Jess zögerte. Wen möchtest du sonst noch kontaktieren?

Und schon befand sich Jess wieder in einer Zwickmühle, aber darüber dachte er nur den Bruchteil einer Sekunde nach, bevor er die Antwort in Gebärdensprache übermittelte. Mesmer Elsinore Quest.

Ich werde sie suchen.

Es ist ein Er.

Okay. Soll ich ihn herbringen?

Nein. Sagen Sie ihm, dass er mit mir Kontakt aufnehmen soll,