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Finni und Fio, ein Kinderbuch mit richtig viel Text, eine Geschichte über Mut, Freundschaft und Familie. Kann man etwa in Ruhe spielen, reiten und Prinzessin sein, wenn die eigene Schwester von Piraten entführt ist? "Ich halts nicht mehr aus!" jammert Finni, denn die Rettungsversuche der Erwachsenen dauern alle so lange! Eines Tages reitet sie mit ihrem Freund Jan los, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
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Seitenzahl: 281
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Für Kari und Ameli
Im Tanzkleid zu den Ställen
Ein Pirat in Ketten
Von Elfen, Schiffslaternen und Geheimnissen
Ein fröhlicher Geburtstag endet sehr ernst
Ein umwerfendes Geständnis und ein König im Badezuber
Wie ist meine Schwester und wo ist sie?
Schneebälle sausen und Smaragde funkeln
Kammer, Buch und Schlüssel
Finni stellt Fragen und gibt keine Ruhe
Eine Freundin für Finni und Nektar für die Elfen
Von Inselverstecken, Geheimgängen und Lieblingsplätzen
Finni trägt ein Badelaken, Fio einen Ohrring und der Bote Briefe zu den Fischern
Sieben Jahre und kein bisschen langweilig
Ein neues Pferd im Stall und eine Begegnung im Wald
Rumel ist eine echte Hexe
Von Briefen aus der Hafenkneipe und Pulver aus einem Säckchen
Finni macht Dampf in der Schlossküche
Ein Vier-Tage-Schlaf macht hungrig, aber nicht geduldiger
Mit Emma durch den Kirschensommer und durch den Geheimgang
Jan aus dem Nordwald
Drei Freunde treffen sich an der Schlossgartenmauer
Fio hat eine Krakelschrift
Finni denkt an ihre Zukunft und auch an andere
Ein Krieg ist ein Krieg und macht Finni Angst
Blaubeeren mit Kanonendonner
Sieht denn niemand die Gefahr? Es muss etwas geschehen!
Eine gute Idee, ein treuer Freund und ein schwarzer Weiher
Jan bekommt Ärger und Finni kommt in Wut
Im Dorf schmieden die Kinder geheime Pläne
Finni packt
In der Heide steht ein Hügelgrab
Die erste Nacht unter freiem Himmel
Ein Feuer im Wald
Geisterstunde und Ameisenstraße
Zwei Reiter sind müde und die Frau des Holzfällers ist misstrauisch
Aus dem Wald in die Wiesen
Jan stürzt und zerbricht seinen Bogen
Unwetter und Kartoffelsuppe
Der Schweinehirt hat sieben Kinder
Der Ritt geht weiter und Finni verspricht eine Kuh
Am Strand ist es herrlich, doch das Wasser wird knapp
Finni achtet auf Bäume und Jan auf den Sonnenuntergang
Wenn der Durst quält, kommt ein Tümpel gerade recht
Die alte Rumel hatte Recht! Aber wo ist Fio?
Die große und die kleine Schwester
Fio erzählt von ihrer Flucht
Durch die Dünen ins Dorf - ins Bett
Wenn einer geht, muss er Erinnerungen mitnehmen – oder neu anfangen
Zuhause
In einem weit entfernten Land am Meer mit Wäldern, Seen, Wiesen und drei Flüssen, lebte einmal ein König.
Ihm gehörte dieses schöne Land ohne Berge, und er war sehr reich, denn einer seiner Vorfahren hatte vor vielen, vielen Jahren einen riesig großen Schatz gefunden. Der König wohnte in einem Schloss zusammen mit seiner Frau, der Königin, ihrer kleinen Tochter, der Prinzessin, und auch mit ihren Zofen, Köchen, Stallknechten, Dienern und Wächtern, und wer sonst noch in ein Schloss gehört. Allzu viele waren es nicht, denn das Schloss war zwar wunderschön und prächtig, aber klein.
Die Prinzessin schaffte es allerdings1 immer wieder, sich darin zu verlaufen, weil auch sie klein war, und deshalb erschien ihr das Schloss riesig und groß.
Sechs Jahre war sie alt, diese Prinzessin, und sie hieß Finni. „Hättet ihr mir keinen schöneren Namen geben können?”, hatte sie ihre Eltern mindestens schon hundertmal vorwurfsvoll gefragt. „Warum heiße ich nicht Maja? Oder Lorelei, Libella, Lorena?”
„Das Kind hat eine blühende Phantasie”, schüttelte ihre Kammerzofe den Kopf, „es wäre besser, ja wirklich wünschenswert, wenn sich Finni mehr auf den Unterricht konzentrieren würde, Hoheit! Ich fürchte, sie wird ihre Stickarbeit noch nicht einmal bis Weihnachten fertig haben, vom Einmaleins der Hofetikette ganz zu schweigen!” Finnis Zofe hatte seinen wunden Punkt berührt. „Ja, chrem, die Hofetikette”, räusperte sich der König.
„Sollte die Prinzessin heute nicht Menuett tanzen lernen?” Finni hüpfte erleichtert auf der Stelle und warf ihrem Vater einen dankbaren Komplizenblick zu: „Ich eile, ich eile, und suche mein Tanzkleid!” Die Kammerzofe knickste, funkelte den König kurz an und lief der Prinzessin hinterher.
Kurz darauf kam die Königin herein gestürzt. „Oho, so stürmisch, meine Liebe?” freute sich der König, als er sie sah. Er war wie jedes Mal von ihrem Auftritt und ihrer ganzen Erscheinung hingerissen und verzückt wie an jenem Tag, als er sie zum allerersten Mal gesehen hatte. Das lange rote Haar der Königin bauschte sich im Laufen hinter ihr auf, die vielen Armreifen glänzten und ihre Krone war verrutscht, so dass sie diese festhalten musste und nur eine Hand zum Gestikulieren frei hatte. „Oh, mein Gemahl, es ist - hach!” Tief durchatmend setzte sie sich auf ihren Thron neben den König. „Piraten sind gefangen genommen worden! Piraten!” Sie spie das Wort förmlich aus, und der König erblasste.
„Aber doch wohl nicht....“
„Und wenn nun doch?” unterbrach ihn seine Frau. „Der Bote sagte, der Kapitän hätte weiße Haare und eine Augenklappe, ich weiß nicht, ob das ein Zufall sein kann! Gut, das Schiff hatte einen anderen Namen! Aber stellt euch nur vor, er wäre es wirklich!” Sie hatte den König fest am Arm gepackt und sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. „Ich werde Herman losschicken”, sagte der König leise und ließ sich zurücksinken. „Er wird sich am besten an den Kapitän erinnern können und also keine Zweifel haben.”
Erschöpft setzte sich Finni auf die Fensterbank und zerknitterte ihr rosa Tanzkleidchen vollends. Ihr Tanz- und Musiklehrer verzieh es ihr mit einem Lächeln. Er war heute sehr zufrieden mit seiner königlichen Schülerin. „Und“, fragte er Finni, „mit wem werdet Ihr auf dem nächsten Ball tanzen? Welcher Glückliche wird die Ehre haben?“ „Puuuhf“, zuckte Finni mit den Achseln, „bisher hat sich noch niemand um mich bemüht...“ Sie war mit den Gedanken schon wieder ganz woanders.
Draußen war es zwar stürmisch, aber noch hell genug, sie würde sich zu den Ställen schleichen und Wirbelwind besuchen, ihr kleines weißes Pony. Wenn sie doch nur die lästige Kammerzofe abschütteln könnte, die ständig auf sie aufpassen sollte und auf ihr Benehmen achtete, an dem es soviel auszusetzen gab... „Herr Dorian, ihr könntet wohl noch ein Weilchen weiter Klavier spielen?“, fragte Finni ihren Lehrer, der eben die Noten wegpackte. „Ihr wisst schon, die Mondscheinsonate, etwas Romantisches oder die Übungen für vier Hände?“ „Oh, gewiss, kleine Hoheit!“ lachte Lehrer Dorian, der sich schon denken konnte, was die Prinzessin vorhatte.
Und so huschte sie leise durch die Nebentür hinaus, als zu den ersten Klängen der vierhändigen Übungen die große Flügeltür aufgestoßen wurde und ihre Zofe im Tanz- und Musikzimmer erschien. „Wo ist – was soll –?“ die Prinzessin war nicht zu entdecken, aber Lehrer Dorian deutete höflich mit dem Kopf auf den Klavierhocker neben sich, und – nun gut, warum nicht, sollte die Prinzessin ruhig ein wenig auf sich selbst aufpassen. Sicher war sie wieder zu den Ställen gerannt. „Wenn ihr erlaubt“, sagte sie darum zu Lehrer Dorian und übernahm gewandt die zweite Klavierstimme.
„Abgesehen von unserer Prinzessin sind Sie wahrlich die musikalischste Person in diesem Schloss“, schmeichelte ihr der Musiklehrer, und Finnis Zofe errötete leicht unter ihrer Haube. Lehrer Dorian hatte ihr schon immer gefallen. Und jetzt war sie Finni sogar dankbar, dass sie ihr entwischt war. „Spielen wir auch noch die Mondscheinsonate?“ „Ganz wie belieben, Teuerste!“ lächelte Lehrer Dorian.
Finni war inzwischen bei den königlichen Ställen angelangt und lehnte sich um Luft zu holen an den dicken Holzrahmen des grünen Stalltors. Ihre Tanzschuhe waren vom Laufen über den Schlosshof und den Sandweg zu den Ställen ziemlich ruiniert.
Und sie bereute es auch, ohne Mantel losgerannt zu sein, denn es war Abend und kühler geworden. Sie drehte sich auf der Stelle um hinein zu gehen und stieß prompt mit dem Stallknecht Knut zusammen. „Kleine Hoheit, Ihr werdet euch noch erkälten in diesem Wind! Kommt schnell herein kommt herein, bei den Pferden ist´s wärmer.“ „Ach ja Knut“, sagte Finni, „ich zittere schon“.
Zusammen gingen sie bis zu den hintersten Boxen, wo die Ponys standen und freudig schnauften, als sie Finni erkannten. „Hallo meine Kleinen“, rief sie und streichelte alle Nüstern, die sich ihr entgegenstreckten. Ganz am Ende stand Wirbelwind und wieherte und prustete, dass es sich anhörte, als würde er lachen.
Finni lachte auch und kuschelte ihre Nase in seine weiße, weiche Mähne. „Ich will heute noch sein Zaumzeug wachsen“, sagte Knut. „Vielleicht wollt Ihr euch um frisches Heu kümmern, Hoheit?“ Er kannte die Prinzessin gut und wusste, dass sie nicht zimperlich war und gern mithalf. „Dann kann ich heute also nicht mehr ausreiten?“ fragte Finni, während sie Arme voll Heu unter den Ponys verteilte, angefangen bei Wirbelwind. „Aber auf gar keinen Fall, es ist doch schon dunkel, Prinzessin!“ schüttelte Knut entrüstet seinen kahlen Kopf. „Morgen dürft ihr sicher wieder hinaus, dann wird auch das Zaumzeug fertig sein.“
Knut war groß und dürr und verstand sich mit Pferden besser als mit Menschen. Nur mit Finni verband ihn eine besondere Freundschaft, und nicht erst, seit sie vor zwei Jahren ihr eigenes Pony geschenkt bekommen und bei ihm reiten gelernt hatte. Schon vorher war die kleine Prinzessin oft mit ihren Eltern zu den Ställen gekommen und hatte niemals Angst vor den Tieren gezeigt, was Knut sofort gefallen hatte. Mit Wirbelwind im Stall war sie nur noch mit Mühe von dort weg zu bekommen und machte ihrer Zofe und den Hauslehrern dadurch das Leben einigermaßen schwer.
Finni erinnerte sich noch gut daran, wie sie vor zwei Jahren ihre Mutter mit Fragen nach Geschwistern bedrängt hatte. Wieso hatte sie keine Schwester und keinen Bruder? Warum? warum? Und, ach, bitte, bitte! Und dann war ihre Mutter in Tränen ausgebrochen, und Finni war ganz verwirrt gewesen. Was so traurig an dem Thema war, hatte sie nie ganz verstanden. Aber sie hatte seitdem auch nicht mehr nach Geschwistern gefragt - und kurz darauf hatte sie dann Wirbelwind geschenkt bekommen.
„Ihr seid eine Pferdenärrin, Finni“, sagte Knut, „aber Ihr müsst auch eine Prinzessin sein, vergesst das nicht, sonst werden unser Herr König und die Frau Königin noch unglücklich mit euch“. „Ach Knut, ich habe heute morgen lange, lange still gesessen und gelernt. Und gerade jetzt erst komme ich aus Lehrer Dorians Unterricht. Habe ich da nicht ein bisschen Zeit mit meinem Lieblingspony verdient?“ entgegnete Finni und streichelte Wirbelwind den Hals. „Natürlich, fragt nur Euren Vater, ob Ihr morgen ausreiten dürft, und ich halte dann auch gleich sein eigenes Pferd für ihn bereit, was meint Ihr?“ „Ja, das ist gut“, freute sich Finni
„Mach das nur, Papa verlernt sonst das Reiten noch, wenn er immer nur regiert!“ Knut legte ihr eine kratzige Stalldecke um die Schultern und begleitete sie zurück bis zum Schloss, wo die Klaviermusik inzwischen verklungen war und sie von ihrer Zofe empfangen wurden, die zwar tadelnd guckte, in Wahrheit aber sehr zufrieden war.
Beim gemeinsamen Abendmahl sagte die Königin ihrer Tochter, dass sie morgen zusammen in die Stadt fahren würden, sie alle drei. Finni verschluckte sich vor Aufregung an der Hühnersuppe. „Sachte, sachte, Prinzesschen“, lächelte ihre Mutter. „Uns rufen wichtige Geschäfte und dringende Familienangelegenheiten, kein Grund zur Aufregung also!“ Finni hustete.
„Gut, Mama, und was werde ich in der Stadt machen?“ „Du gehst mit deiner Zofe einkaufen. Du bekommst einen Goldtaler, und ich möchte, dass du beim Händler Spängchen, hübsche Schnallen und feine Spitzen erstehst.“ Das klingt ja spannend, dachte Finni enttäuscht, da wäre Ausreiten lustiger gewesen, aber vielleicht bleibt ja noch etwas von dem Taler über, und ich kann den Rest beim Bäcker ausgeben.... Finni liebte die Stadtbäckerei, seit sie einmal dort gewesen war, den wunderbaren Duft, den Mehlstaub, den Lärm aus der Backstube, aber vor allem liebte sie Rosinenhörnchen. „Gut, ich werde ein paar Spängchen kaufen“, sagte sie darum versöhnlich und widmete sich wieder ihrer Suppe. König und Königin lächelten wohlwollend.
Am nächsten Morgen stiegen sie in die rot-blau königliche Kutsche, vor der sie Finnis Zofe und der Kutscher Herman bereits erwarteten. „Warum fahren wir nicht mit der großen weißen Kutsche?“ fragte Finni. „Es wird doch kein Staatsbesuch, Kind“, erklärte der König,
„und die Rot-Blaue ist auch viel schneller“.
Einer der Torwächter schloss die Türen, und sie fuhren ab.
„Schneller, Herman!“, rief Finni, den Kopf aus dem Fenster gestreckt, sobald sie die offenen Feldwege erreicht hatten. „Finni, ich muss doch sehr bitten, das gehört sich nicht! Du verlierst noch die Krone!“ Die Königin zog Finni wieder auf ihren Platz zurück, dann wandte sie sich an ihren Mann: “Hoffentlich lässt sich bis zum Mittag alles regeln. Wir treffen uns dann wieder bei der Kutsche.“ Die Zofe und der König nickten, und dann schwiegen alle vornehm, bis sie die ersten Häuser erreichten.
„Die Stadt wächst“, bemerkte der König.
„Wir bekommen wohl neue Bürger aus anderen Reichen? Das wäre ja erfreulich!
Das muss ich mit den Räten besprechen“.
„Seht nur, die vielen Kinder! Dort!“ rief Finni und zeigte aus dem Fenster, aber da durchquerten sie schon das Stadttor und ratterten die gepflasterten Hauptstraße entlang, an der rechter Hand das Haus des städtischen Stallmeisters lag. Hier würde Herman mit der Kutsche warten und die Pferde versorgen. Die Königin küsste Finni zum Abschied. Dann ging sie mit dem König davon, dem plötzlich Sorgenfalten auf der Stirn standen.
Geschäfte in der Stadt setzten ihm immer zu. Er wurde dann nervös und war froh, seine entschlossene und selbstbewusste Frau an seiner Seite zu haben. Die Kammerzofe nahm Finnis Hand, auf dass ihr die Prinzessin nur ja nicht verloren ginge und marschierte mit ihr in Richtung Krämerviertel.
Dort herrschte bereits reges Treiben. Von überall her hörte man Lachen und Rufen, Ladentüren gingen auf und zu und ließen die darüber hängenden Glöckchen klingeln, Karren wurden durch die Straßen geschoben und Pferdefuhrwerke ratterten vorbei. Finni ließ sich von ihrer Zofe führen. So brauchte sie nicht auf den Weg zu achten und konnte schauen, so viel sie wollte. Alles war interessant. Enge Seitengässchen, dunkle Kellerfenster und vermummte Gestalten gab es ebenso wie farbenfrohe Ladenschilder, die vor fast jedem Haus im Wind schaukelten. Es gab Fliegende Händler mit bunten Federn am Hut und einladende Schaufensterauslagen. Dann bemerkte sie aber, dass sich die Leute nach ihnen umdrehten und manche die Köpfe zusammen steckte. Als sie zufällig sah, wie eine Marktfrau die andere anstieß und flüsterte, dort ginge die Prinzessin, da nahm sie heimlich ihre Krone ab und ließ sie in der Innentasche ihres Kleides verschwinden. Es war zum Glück nur eine kleine Krone. Danach fühlte Finni sich besser.
Sie gingen noch zwei Hausecken weiter, an einem Stand mit Äpfeln und einem Töpfer vorbei, der seine Ware auf einem Handwagen anbot und Finni eine kleine Tonpfeife schenkte, bis sie zu einem schmalen Haus kamen, das dem Hoflieferanten für Schuhspangen, Knöpfen und dergleichen Zierrat gehörte.
„Hier herein, Finni“, sagte die Zofe, und sie stiegen die hölzernen Stufen zur Ladentür empor.
Zum ersten Mal war sie vor einigen Monaten mit ihrer Mutter hier gewesen, die es sich nicht nehmen ließ, auch selbst einmal Einkäufe zu tätigen. „Was soll ich immer nur ich Schloss sitzen!“, hatte sie damals gesagt, und Finni fand, dass sie damit nur Recht hatte, denn wie sie jetzt mit ihrer Zofe im Verkaufsraum stand und die Hunderte von Schubladen und Schublädchen betrachtete, gefielen ihr das Haus des Hoflieferanten und sogar der langweilige Spängcheneinkauf. „Es muss aber etwas für die Bäckerei übrig bleiben!“, zupfte sie ihre Zofe am Ärmel.
Am anderen Ende der Stadt, unweit des Flusses und der Schiffsanleger, trafen sich der König und die Königin mit dem Oberst der Stadtwache. Er war ein großer Mann, bärenstark und mit einer donnernden Stimme- Besonders gefürchtet wurde er von seinen Soldaten dann, wenn er ganz leise sprach und seine Augen sein Gegenüber zu durchbohren schienen. Es war nicht ratsam, ihn wütend zu machen.
Aber der Oberst war auch ein kluger Mann, der sich nie lange von seiner Wut beherrschen ließ. Im Moment sprach er ruhig und eindringlich auf den König ein, den er von klein auf kannte. Sie waren gleichaltrig und hatten als Kinder zusammen gespielt. „Majestät“, sagte der Oberst, „wir werden alles versuchen, um den Kerl zum Reden zu bringen, aber Ihr wisst selbst, dass diese Piraten hartgesottene Kerle sind! Wenn er nun nichts verraten will?“ „Und wie können wir sicher sein, dass er die Wahrheit sagt?“
warf die Königin ein. „Er muss ein untrügliches Erkennungszeichen nennen, vielleicht weiß er ja von dem Medaillon?
Oder die kleine Narbe an der Stirn....“
Dem König versagte kurz die Stimme, dann fasste er sich wieder. „Der Mann wird auf jeden Fall gefangen gehalten.
Droht ihm mit Kerker, sein restliches miserables Leben lang, und versprecht ihm die Freiheit in Verbannung, falls er die Wahrheit sagt und unsere Suche Erfolg hat. Was meint ihr, Klaus?“ Der Oberst nickte. „Der Kerker ist für freie Piraten die schlimmste Strafe. Er wird schon reden, nur Zuversicht, Hoheiten!“ Die Königin lehnte ihren Kopf an die Schulter ihres Mannes. „Sechs Jahre ist es nun schon her!“ Sie seufzte tief und traurig, und der König befahl dem Oberst wiederholt die schärfsten Sicherheitsmaßnahmen. „Ich werde den Kerl jetzt im Gefängnisturm anketten lassen, Majestät, von dort kann er nicht entkommen.“ „Ja“, sagte der König, „dieses Schauspiel auf dem Marktplatz behagt mir rein gar nicht, aber die Leute sollen ja ein abschreckendes Beispiel zu sehen bekommen...“ Dann verabschiedeten sie sich und gingen Arm in Arm zurück zum Hof des Stallmeisters, wo Finni und ihre Zofe schon auf sie warten würden. Es war später geworden, als sie beabsichtigt hatten. Genauso wie er sie, brauchte auch die Königin ihren Mann als Stütze. Sie war nach dem Gespräch mit Oberst Klaus so aufgewühlt, dass sie ohne den König sicherlich gestolpert und gestürzt wäre. Kutscher Hermann tat, als gäbe es ihn gar nicht und ließ die Hoheiten sich im Schutz der Kutsche ungestört stützen und halten. Er verstand die beiden nur zu gut. Hatte er doch selbst vor Aufregung eine schlaflose Nacht verbracht, nachdem er gestern zum städtischen Gefängnis geritten war und den Piratenkapitän wieder erkannt hatte.
Zur gleichen Zeit, als ihre Eltern bei der Kutsche standen, betraten Finni und ihre Zofe den Marktplatz, wo sich die Menschen nur so drängten. Sogar auf den Balkonen und hinter allen Fenstern waren Schaulustige zu sehen, aber niemand schien fröhlich zu sein. „Was ist denn hier los!“ rief Finnis Zofe. „Heute ist doch gar kein Markttag. Was hat das nur zu bedeuten?“ Finni konnte erst recht nichts erkennen, und ärgerte sich mal wieder, dass sie so klein war.
Ehe sie sich’s versahen, wurden sie vom Menschenstrom mitgezogen und gelangten tatsächlich bis zur Mitte des Platzes, und nun sah sogar Finni, was der Grund all der Aufregung war: Auf dem Marktplatz hatte die Stadtwache ein hölzernes Podest aufgebaut, eine Art Bühne, worauf ein Mann mit schmutzigen weißen Haaren angekettet war wie ein wildes Tier. Seine Hände waren ihm auf den Rücken gefesselt, und mit den Eisenketten an seinen Füßen konnte er nur einen Schritt in jede Richtung machen.
Er stierte die Leute aus einem Auge an.
Das andere wurde von einer schwarzen Augenklappe verdeckt. Sollte sich von den Schaulustigen eine Dame oder ein Kind zu weit vorgewagt haben, brüllte und fauchte er die Leute an, und wenn die dann entsetzt und kreischend zurück schreckten, lachte der gefesselte Mann ein böses und hämisches Lachen.
Finni stand da wie versteinert und merkte nicht, dass ihre Zofe an ihrer Hand zog, um sie von dem Podest weg zu bekommen. Dieser Gefangene war einfach zu schrecklich anzusehen! Wie war sie mit der Prinzessin nur hierher geraten? Bloß fort von hier! Wenn die Königin davon erführe! Doch nun blieb der Zofe fast das Herz stehen, denn sie hörte, dass der Gefangene ausgerechnet sie ansprach! Sie! Warum stand das Kind auf einmal nur so stocksteif da? Das war doch die Höhe! „Finni!“ zischte die Zofe, doch Finni war wie hypnotisiert. „Wen haben wir denn da! Feines Kleidchen, feine Zofe, wohl was ganz besonderes...“
Die Stimme des Gefangenen klang heiser und gefährlich.
Finni machte unwillkürlich einen Schritt zurück, aber sie hielt dem Blick des Piratenkapitäns stand. „Genau wie damals“, murmelte dieser jetzt, aber Finni verstand ihn trotzdem. „Genauso fein, klein und unnütz!!“ Beim letzten Wort wurde der Kapitän wieder laut, er spuckte aus und rollte mit dem einen Auge, dass alle Damen kreischten und die Kinder sich gruselten. In diesem Moment bahnten sich fünf Männer der Stadtwache einen Weg durch die Menge, um den Gefangenen abzuführen und im Gefängnisturm einzusperren.
Endlich gelang es auch Finnis Zofe, sie von der Stelle zu bewegen. Willenlos ließ sich die Prinzessin an der Hand führen, vom Marktplatz auf direktem Wege zurück zur Kutsche, wo man die beiden schon sehr ungeduldig erwartete. Erst als ihr Vater sie zur Begrüßung an sich drückte, war ihr, als wachte sie richtig auf.
Sie sah mit großen Augen zu ihm hinauf und fing an zu weinen. „Aber Kindchen!“,
rief der König erstaunt. „Was ist denn mit dir?“ Nun erzählte die Zofe von ihrer Begegnung mit dem gefangenen Piratenkapitän und entschuldigte sich demütigst, dass sie nicht besser auf die Prinzessin hatte aufpassen können.
Noch während der ganzen Rückfahrt ins Schloss saß Finni schweigend und nachdenklich da. Aber als sie später mit ihrer Mutter allein in deren Gemächern war, platzte sie doch mit all ihren Sorgen und Ängsten heraus. Von dem gruseligen Piraten erzählte sie nun auch selber - und was der zu ihr gesagt hatte. Denn dies hatte die Zofe verschwiegen, und was das alles bloß zu bedeuten hätte? „Ich war wie verhext, Mama! Als ob er mich gekannt hätte! Mit Maica musst du wirklich gar nicht böse sein, sie konnte ja nichts dafür...“ Maica, so hieß Finnis Zofe. „Ich werde mit ihr reden“, versprach die Königin. „Und du, mein Kleines, gehst jetzt ins Bett. Es ist ja schon spät geworden.
Mach dir keine Sorgen mehr, was kümmert es dich, was so ein gemeiner Kerl sagt! Das musst du einfach vergessen. Morgen scheint wieder die Sonne, und weißt du was? Wir zwei werden im Rosengarten picknicken, ja?“
Finni nickte und umarmte ihre Mutter. Sie fühlte sich wirklich besser und krabbelte in ihr Bett. Aber jetzt hatte die Königin angefangen, sich Gedanken zu machen, was sie sich vor ihrer Tochter nicht anmerken ließ. So gar nicht königlich vor sich hinmurmelnd ging sie zu ihrem Mann, dem König, um mit ihm zu sprechen.
„Genauso klein, fein und unnütz, oh, oh, wenn ich nur -!“ Sie ballte die Fäuste.
In den nächsten Wochen gab es im Schloss sehr, sehr viel zu tun, denn der König hatte Geburtstag und zu einem Fest eingeladen, das zwei Tage dauern sollte.
In richtiger Partylaune war er zwar nicht, oder noch nicht, aber schließlich feierte er jedes Jahr, die Leute erwarteten das von ihm, und er wollte niemanden enttäuschen. Alle Gäste würden im Schloss übernachten. Außerdem kamen Gaukler, Musikanten und eine Schauspieltruppe aus Frankreich. Und natürlich würden alle essen und trinken wollen, vom großen Festmahl ganz abgesehen... Kurz, die Vorbereitungen nahmen alle derartig in Anspruch, dass Finni sogar schulfrei bekam und endlich einmal auf eigene Faust im Schloss herumstreifen konnte, ohne dass ständig jemand auf sie aufpassen wollte.
So kam es, dass sie am dritten Tag die Elfe „Himmelblauchen“ kennenlernte.
An der Südseite des Schlosses lag der Kräutergarten des königlichen Koches, und auch der Gärtner hatte dort seinen Bereich. In einem flachen, schindelgedeckten Anbau wurden Geräte, Säcke und Kisten aller Art aufbewahrt.
Getrocknete Blumen und Kräuter hingen von der Decke, und vor den Fenstern standen Setzlinge in alten Blumentöpfen.
Finni fand den Anbau an der Südseite sehr spannend und auch sehr hübsch, wenn die Sonne durch die Fenster schien und alles warm nach Holz und Garten roch. Hier strolchte sie nun herum. Der Gärtner hatte sie zwar entdeckt, aber schließlich war sie die Prinzessin. Also ließ er sie gucken und beantwortete alle ihre Fragen. Sie würde ihm schon nichts durcheinander bringen. Nach einer Weile musste er aber wieder an die Arbeit. Der Blumenschmuck für die königliche Geburtstagstafel war seine Aufgabe, und so sagte er zur Prinzessin: „Kleine Hoheit, ich muss jetzt in den Thronsaal hinauf.
Aber warum bleibt Ihr nicht noch ein Weilchen hier? Gleich kommt die Dämmerung, dann könnt Ihr im Garten die Elfen tanzen sehen.“ „Wirklich?“ Finni staunte. „Ich würde euch nie anlügen, Prinzessin!“ empörte sich der Gärtner, ein freundlicher, kräftiger Mann mit rotem Bart und Sommersprossen. „Gut, Paul“, sagte Finni, „dann werde ich warten. Hier am Fenster, darf ich?“ Paul, der Gärtner, nickte, und holte für sie einen wackeligen Holzschemel hervor, etwas Bequemeres zum Sitzen gab es nicht.
Finni legte die Arme auf die Fensterbank und wartete. Tatsächlich, draußen dämmerte es, und weil Paul gegangen war, wurde jetzt alles ganz still. Nur die Vögel sangen ihr Abendlied. Das war sehr schön, fand Finni. Beinahe hätte sie die ersten Elfen nicht bemerkt, so plötzlich und leise waren sie zwischen den Kräuterbeeten und Johannisbeersträuchern erschienen. Es waren nicht viele, vielleicht zehn insgesamt, und alle hatten lange Haare und lange silberne Kleider oder Mäntel an.
Und so winzig waren sie! Finni hatte noch nie etwas so Zartes und Schönes gesehen wie diesen Elfentanz - und sie saß ganz still, um nicht zu stören.
Als es dunkel geworden war und der Abendstern am Himmel zu funkeln begann, verschwanden die Elfen. Finni fröstelte plötzlich.
Gerade wollte sie aufstehen, da sah sie in einer alten Schiffslaterne, die an der gegenüberliegenden Wand hing und in der Paul Kerzenstummel und Korken sammelte, ein blaues Licht. Es bewegte sich in der Laterne hin und her. Als Finni näher schlich, hörte sie zudem noch leisen Gesang! „Lalih, lalih, leidilei, tadadaaaa...“ sang eine Stimme, und weil Finni nicht dumm war, überlegte sie gleich, dass das wohl eine der Elfen sein müsste. Wer hättevermutet, dass die in alten Schiffslaternen wohnten? Sie räusperte sich und sagte: „Hallo hallo...?“,
da hörte der Gesang auf, aber das Licht leuchtete weiter. „Hallo Elfe?“, sagte Finni etwas nachdrücklicher. Stille. - „Bist du lieb?“ fragte da ein ganz feines, glockenhelles Stimmchen zurück. „Oh ja, natürlich! Ich bin lieb!“
Noch nie war sich Finni so sicher gewesen. Lieb, genau das war sie, jawohl!
„Dann komme ich jetzt raus“, sagte das Stimmchen, und eine kleine Mädchenelfe erschien vor Finnis Nasenspitze. Beinahe wären sie zusammengestoßen. „Oh, hier bist du schon“, sagte die Elfe und kicherte.
Das klang so niedlich, dass Finni auch lachte. Obwohl sie ihre blauen Flügel kaum bewegte, schwebte die Kleine in der Luft. „Wie schön dein Licht ist“, sagte Finni und wunderte sich kein bisschen, dass sie mit einer Märchengestalt redete. Da sah man mal wieder, dass solche Geschichten keineswegs immer erfunden waren! „Und wie lang deine Haare sind!“ „Ja, sieh mal“, lächelte die Elfe und fing an, sich in der Luft im Kreis zu drehen, so dass ihre blauen Haare und der silberne Mantel nur so flogen.
Begeistert klatschte Finni in die Hände.
„Wie heißt du?“ fragte sie dann.
„Himmelblauchen“, antwortete die Elfe und hörte mit den Pirouetten auf. „Und du?“ „Ich heiße Finni, ist das nicht ein doofer Name?“ „Waaas?“, rief Himmelblauchen. „Du hast einen tollen Namen! Und ich, ich heiße bloß nach einer Farbe!“ „Passt doch zu dir und deinem schönen Licht“, meinte Finni, „ich würde liebend gern so heißen, aber Himmelblauchen ist wohl kein Menschenname.... Wohnst du hier in der Laterne?“ fragte sie dann. Nun erzählte ihr Himmelblauchen von ihrem Unterschlupf, ihrem Nest, wie sie es nannte, und vom Elfentanz. Und von der Prinzessin wollte sie wissen, wo sie denn im Schloss wohnte und was sie dort so zu tun pflegte. „Ich habe dich nämlich noch nie gesehen“, fügte sie hinzu. „Wir Elfen sind ja nur im Morgentau und in der Abenddämmerung draußen“.
„Normalerweise bin ich dann nie draußen - und schon gar nicht im Kräutergarten“, bedauerte Finni, der es bereits völlig normal vorkam, sich mit einer so winzigen Elfe zu unterhalten. Himmelblauchen hatte sich inzwischen auf den Rand ihrer Laterne gesetzt, So waren sie auf Augenhöhe „Ich kann dich gut leiden! Du bist mein erster Mensch, weißt du“, sagte die Elfe jetzt, „und wenn du willst, kannst du mich immer besuchen. Nur mein Nest darfst du niemandem verraten!“ Finni freute sich sehr. „Oh ja, sehr gerne, du bist ja auch meine erste Elfe!“
In diesem Moment hörten sie Schritte.
Paul kam zurück. Himmelblauchen und Finni zwinkerten sich zu. Dann sprang Finni zur Tür, hüpfte einmal um den Gärtner herum, der grade herein kam, und dann weiter den Flur entlang zurück ins Schloss. „Elfenzauber“, brummte Paul vergnügt und lachte.
Von nun an verbrachte Finni ihre Tage gutgelaunt von morgens bis abends. Sie dachte nicht mehr an den Piratenkapitän, sondern kümmerte sich um Wirbelwind und übte mit Hilfe von Knut und dem Pony, über Hindernisse zu springen. Sie ließ sich von ihrer Zofe Maica und der königlichen Schneiderin das Kleid für die Geburtstagsfeier anpassen, lernte auch freiwillig ihre Lektionen. Sie war lustig mit ihren Eltern und abends, kaum dass sie von der Abendbrottafel aufstehen durfte, rannte sie in den Anbau, wo sie Himmelblauchen treffen konnte. Ach, war das Leben herrlich!
Der Gärtner hatte der Königin anvertraut, dass die Prinzessin sich abends den Elfentanz anschaute, und obwohl die Königin nicht an Elfen und dergleichen glaubte, lächelte sie und gönnte ihrer Tochter den Spaß, „Was auch immer sie dort in der Gärtnerei treibt, Paul, und Sie passen schließlich auf, hören Sie!?“ Paul bejahte, verbeugte sich und dachte, die Königin brauchte nicht zu wissen, dass er die Prinzessin mit den Elfen allein ließ.
Und auch Finni und diese eine Elfe brauchten nicht zu wissen, dass er längst von dem Unterschlupf in der Schiffslaterne wusste. So hatte alles durchaus seine Richtigkeit: Es durfte auch Geheimnisse geben.
Auf dem großen königlichen Geburtstagsfest lernte Finni noch jemanden kennen: Und zwar Prinz Bruno.
Seine Eltern waren der König und die Königin eines winzigen Nachbarreiches, das nur aus einem einzigen Berg bestand, aus dem ein Wasserfall entsprang und in dem es Smaragde zu finden gab.
Prinz Bruno war ein Jahr älter als Finni, und weil es sonst nur Babys und viel ältere Kinder auf dem Fest waren, liefen die beiden zusammen durch die langen Flure und Gänge, trieben allerhand Unfug und guckten sich das Theaterstück der französischen Schauspieltruppe an.
Danach beruhigten sie sich etwas und versuchten, sich an die Regeln der Hofetikette zu halten. Sie setzten sich zu ihren Eltern an die Festtafel, denn soeben wurde der erste Gang aufgetragen:
Blumenkohlsüppchen.
Prinz Bruno, der am anderen Ende des langen Tisches saß, grinste Finni an und verzog das Gesicht. Sie grinste prinzessinnenhaft zurück und löffelte tapfer drauf los. Nach dem Essen begann der Tanz. Die Musiker hatten gewechselt und spielten nun fröhlich auf, aber das Königspaar sowie die meisten anderen Erwachsenen blieben noch sitzen. Sie hatten zu viel gegessen, um sofort zum Tanz aufspringen zu können. Also hatten die Kinder und alle jüngeren Gäste den Ballsaal für sich allein und nutzten es aus, dass sie unbeobachtet waren. Sie taten so, als wären sie die Erwachsenen.
„Mylady“, sagte der Sohn des Fürsten von Weizäcker zu Finni und verbeugte sich tief vor ihr, „darf ich um den ersten Tanz bitten?“ Finni errötete zart, aber sie reichte dem Jungen von Weizäcker formvollendet die Hand - und sie begannen zu tanzen. Die anderen taten es ihnen nach, und als die (richtige) Königin nach fast einer Stunde, angelockt von der Musik und dem fröhlichen Lachen, im Ballsaal erschien, fand sie eine lustige Gesellschaft vor, wo jeder schon mit jedem getanzt hatte, und in deren Mitte ihre kleine Tochter sich bewegte – als wäre sie selbst schon eine Königin.
„Hübsch sieht sie aus, nicht wahr“, raunte leise der König, der auch hinzu getreten war. „Oh, ja“, die Königin lächelte ihn an, aber Wehmut schwang in ihrer Stimme mit, und ihr Mann wusste, warum. „Nun wollen wir auch lustig sein“, sagte er deshalb so laut, dass ihn sowohl die jugendlichen Tänzer als auch die hinter ihm kommenden Geburtstagsgäste hören konnten. An diesem Abend wurde Finni noch so oft zum Tanzen aufgefordert, dass der Unterricht bei Lehrer Dorian mindesten zwei Wochen lang ausfallen könnte, wie Finni fand. Und als sie sich zu später Stunde bei ihren Eltern verabschiedete, um schlafen zu gehen, war sie erschöpft wie nach einem langen Tag auf dem Pferderücken. Geritten werden sollte auf dem Geburtstagsfest ebenfalls, und zwar am Morgen des nächsten Tages. Die Männer ritten auf Wildschweinjagd. Die Frauen taten dies und das, spazierten im Schlossgarten oder hörten Musik, und Finni spielte mit Bruno bei den Ställen.
Es stellte sich heraus, dass Prinz Bruno nur schlecht reiten (genau wie sein Vater, der schon beim Aufsitzen einen leidenden Gesichtsausdruck gezeigt hatte), dafür aber hervorragend klettern konnte. „Das können bei uns alle, schon wegen des einen Berges in unserem Reich, du verstehst. Aber mein Herr Papa sagt, dass ich wirklich ein besonders guter Kletterer bin. Er fügte hinzu, „Ich bin ein Bergsteiger. Das ist nichts für Mädchen“.
Das klang gerade etwas beleidigt, denn er war beim Trab aus dem Sattel gerutscht und Finni hatte deshalb gelacht. „Oh, du warst schon einmal ganz oben auf eurem Berg?“, fragte sie bewundernd, „so hoch oben...?“ Prinz Bruno zeigte sich sofort wieder versöhnt.
Gegen Abend fuhren alle Gäste wieder nach Hause, und es wurde ruhiger im Schloss. Viel zu ruhig, fand Finni, die missmutig neben ihrem Vater auf dem Wachturm am Schlosstor stand und den davonrollenden Kutschen zum Abschied winkte. Sie wollten eben wieder hinabsteigen, da galoppierte ein Mann aus des Oberst Stadtwache an den Kutschen vorbei durchs Tor in den Schlosshof. „Der hatte es aber eilig!“ rief Finni. Dann rannte sie ihrem Vater nach - die steinernen Stufen herunter. Und so bekam sie mit, wie der Reiter dem König und der Königin berichtete, der gefangene Piratenkapitän hätte endlich sein Schweigen aufgegeben und das Versteck der Prinzessin verraten.
Seine Aussage klänge glaubwürdig und der Oberst hätte befohlen, ihn mit dem nächsten Schiff in die Verbannung nach Sibirien zu schicken.
Finni verstand rein gar nichts. „Welche Prinzessin!?“ Erschrocken drehten sich alle nach ihr um. „Mama, welche Prinzessin denn und welches Versteck?“
fragte sie wieder, woraufhin ihre Eltern sich ansahen, sich zunickten, und sie mit in die Schlossbibliothek nahmen.