Heavy Metal Paraguay - Inga Heilmann - E-Book

Heavy Metal Paraguay E-Book

Inga Heilmann

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Beschreibung

Mit der Schule fertig und dann erstmal weg. Ein ganz normales Auslandsjahr ... In Paraguay. Ich erzähle fast alles, auch wie Alfons vom Britannia Pub mich auf die gerade Bahn bringt, wie das so ist mit 19, wie man in der Küche neue Muskeln bekommt und bei Landausflügen am besten nicht den Kopf verliert.

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Seitenzahl: 192

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Für Alfons

Für Sra. Trudy

Inhaltsverzeichnis

Rezeption

Musik

Zimmermädchen

Britannia Pub Asunción

Panik

Kalte Küche

Independencia

Konzert

Heiße Küche

Sport

Spezialitäten

Disko

Hot Metal

Bäckerei

Kellnerin

Depot

Verwaltung

Valle Pukú

Küche Total

Wäscherei und Büglerei

Epilog

Über mir saugt ein Kolibrí an den Pampelmusenblüten. Ich sitze bei Feunden im Garten und überlege, dass ich nie wieder von hier wegfahren möchte. Ich möchte in Paraguay bleiben. Dann sticht mich einer der besonders schwarzen Moskitos schmerzhaft ins Knie und ich denke noch „Wirklich?“, bevor ich mir mit dem Moustick kleine Elektroschocks auf den Stich setze, das soll nämlich den Juckreiz verhindern. Moustick, noch unpatentiertes, kleines grünes Ding made in Italy, hatte mein Vater mir zum Abschied bei Globetrotter gekauft. Globeltlottel. Von dort kam auch mein erster Fjällräven Rucksack, der gleich am Ankunftstag in Paraguay eingesaut wird, weil in der Vordertasche mein Labello geschmolzen und das Feuerzeug ausgelaufen waren. Ich weiss nicht, wie ich das ohne Küchenpapier sauber machen soll und ziehe den Reißverschluss achselzuckend wieder zu. Aus den Augen, aus dem Sinn, und, Überraschung! Bis zum nächsten Tag ist alles verdampft und nur ein großer, hellumrandeter Fleck ist zurück geblieben. So ähnlich würde von nun an fast alles in Paraguay werden: Entweder ganz furchtbar doof, richtig ätzend, oder unfassbar schön, Hochstimmung, Glücksgefühl im Bauch. Und im nächsten Moment konnte wieder alles anders sein. Verdampft bei 46 Grad im Schatten.

Vor vier Monaten bin ich neunzehn geworden, seit einer Woche habe ich das Abi in der Tasche, Abi ´95, und verpasse genau jetzt die zweite Abschlussfeier, weil ich im Flugzeug nach Asunción sitze. Auf die Party hatte ich sowieso keine Lust, wie ich auch keine Lust mehr auf zu Hause hatte, auf meine Eltern, mein Zimmer, und dann hatte ich außerdem noch genug von meinem Freund, meiner Hockeymannschaft und meinen Freundinnen, die gingen mir auch auf den Keks. Ganz Hamburg war doof, ich wollte nur noch weg. Dabei hatte ich noch bis zur Verabschiedung am Flughafen die Haltung bewahrt, hatte gelächelt, geküsst und umarmt, aber kaum, dass ich mich umgedreht und hinter der Passkontrolle verschwunden bin, fällt alles wie 1000 Kilo von mir ab, mir ist plötzlich ganz leicht und es kribbelt im Bauch vor Aufregung. Das Einchecken ist ein Kinderspiel, alle wissen, was sie tun und befördern mich in Windeseile auf meinen Sitzplatz am Gang. Mit dem Rucksack vorsorglich noch als Anker zwischen den Füßen hebt das Flugzeug mit mir ab, und ich fühle mich so unglaublich frei, als würde ich selber durch die Luft fliegen. Einfach nur glücklich, ich fliege glücklich in die Freiheit.

Zufällig setze ich mir die Kopfhörer zum Bordradio Hören immer dann auf, wenn der beste Song des Programms kommt: „Linger“ von Cranberries. „Linger“ ist seitdem das Freiheitslied, zum Zurücklehnen und durchs Universum Sausen. Auf den Text kommt es dabei gar nicht an. „You know I´m such a fool for you“ – als Dummkopf würde ich allerdings noch sehr sehr oft da stehen, von allen guten Geistern verlassen, des Wahnsinns fette Beute, wie mein Vater sagt. Manche sind mit neunzehn bestimmt cool und richtig erwachsen, aber ich habe nur viel Ahnung von gar nichts. Dabei hatte ich schon viele coole Sachen gemacht und bin mit mir selber ziemlich zufrieden. Jetzt habe ich allerdings keine Lust mehr auf den ganzen Kram, auf zu Hause mit allem, was dazu gehört. Deshalb dieses ungeheure Freiheitsgefühl im Flieger nach Paraguay.

Nach einigen Wirrungen und kurzen Panikatacken lande ich circa zwanzig Stunden später in Asunción. Ich ergattere meinen Koffer vom Fließband und ziehe ihn und mich mit aufgeregt aufgerissenen Augen zum Ausgang. Dass ich jetzt immer noch kontrolliert werden kann ignoriere ich unwissentlich, ich muss jetzt abgeholt werden, alles andere interessiert mich nicht. Von allen Seiten bietet man mir Taxis an, wozu ich den Kopf schüttele, „No no“, ich werde doch abgeholt....

Oh verdammt. Niemand holt mich ab. Echt nicht! Ok jetzt will ich doch ein Taxi, das erstbeste. „Taxi?“ „Sí!“ Zum Gran Hotel del Paraguay, die Adresse brauche ich nicht von meinem zerknitterten Zettel abzulesen, die kennt der Fahrer sowieso. Während er mich auf der Strecke ins Hotel ausfragt und mein Schulspanisch erste Erfolge verbuchen kann, verfliegt meine Panik vom Ankunftsterminal und ich entspanne mich dermaßen, dass ich auch nicht wieder nervös werde, als sich auf dem Hotelparkplatz herausstellt, dass ich mit meinen zu großen Dollarscheinen nicht bezahlen kann. Der Fahrer nimmts ebenfalls gelassen, schleppt meinen Koffer zum Empfang und wartet, während ich nur noch Augen für die Rezeptionistin habe, die haargenauso aussieht wie die von allen geliebte Schulsekretärin, der ich nun vertrauensvoll radebreche, wer ich bin und was ich hier will, woraufhin sie prompt und lautstark auf Deutsch anwortet und das gesamte Hotel binnen Sekunden über die Ankunft der Praktikantin informiert ist. Es erscheint Señor Horsti, der Hotelchef, Besitzer und Manager. In Paraguay gibt es Küsschen links und rechts, dazu noch Umarmungen: „Wieso sind sie denn schon da? Wir hatten sie eine Stunde später erwartet! Na das ist aber schön! Willkommen!“ Er bezahlt den Taxifahrer. „Ihre Eltern haben doch extra noch angerufen und gesagt, wann das Flugzeug landet – na Hauptsache, sie sind da!“ Wetten, meine Eltern haben irgendwas mit der Zeitverschiebung durcheinander gebracht? Oder nichts vom unplanmäßigen Zwischenstop in Barcelona gewusst? Wie auch immer, die haben sich jetzt zum letzten Mal in meine Angelegenheiten eingemischt, denke ich, von nun an werde ich meinen Mist alleine bauen. Und fange auch gleich damit an.

In den nächsten zwei Monaten trete ich in jedes nur irgend mögliche Fettnäpfchen, mache falsch, was man nur falsch machen kann, blicke überhaupt nicht durch, oder, wie meine Hamburger Freundinnen sagen würden: Raffe gar nichts. Und dabei bin ich noch vorgewarnt worden. Zuerst von der paraguayischen Freundin meiner Mutter: In der ersten Zeit kein Leitungswasser trinken! Weshalb ich zum Frühstück Milch bestelle – um dann nach zwei Wochen festzustellen, dass die Milch in der Küche aus Milchpulver und Leitungswasser zusammengemischt wird. Zum zweiten warnt mich Señor Horsti noch am ersten Tag vor, beim Mittagessen im Hotelrestaurant. Da wären einmal die Mitglieder des Familienclans, die Hotelbesitzer, die zum allergrößten Teil sogar im Hotel wohnen, im Nordflügel hinterm Tennisplatz, und dann wären da die Angestellten, das Personal. Mit denen müsste ich aaaaufpassen, für die wäre ich der neue Vogel im Haus, und am besten hielte ich mich überhaupt an Trudy. Ok. Also lümmele ich am Nachmittag in der Lounge herum, der geräumigen Eingangshalle, und lerne tausend Leute kennen, weil sich alle halbe Stunde jemand anderes in den Sessel neben mich fallen lässt. Das ist in Ordnung so, ich weiss sowieso nicht, was ich sonst machen sollte. Mein Zimmer an der Einfahrt zum Parkplatz habe ich bezogen, aber das übrige Hotel zu erkunden getraue ich mich noch nicht. Bin ja gerade erst angekommen, da fühle ich mich in der Lounge gut aufgehoben. Einen riesigen, offenen Kamin haben sie hier, auf dessen Sims zwei mächtige, kugelrunde Hühner aus braunem Ton stehen, hässlich sind die, und zwischen ihnen hocken ein weißes und ein schwarzes kunsthandwerkliches Huhn. Die sind hübscher und sollen Geld und Glück bringen, wie ich später erfahre. Bis ich um 16 Uhr Trudy treffe, habe ich einen unbändigen Appetit auf Ananas bekommen, und der kahlköpfige Jeansplayboy der Hotelfamilie hat mir bereits erklärt, wo hier in der Nähe ein Markt ist. Falls man nicht mit seinem tollen Auto in ein Mega-HyperShoppingcenter fahren will, da gäbs auch Ananas. Gracias, ich laufe gerne. Als ich dann Trudy sehe, vergesse ich die Ananas sofort. Und alle, die mich neben Trudy sehen, denken sofort, ich wäre ihre Tochter. Wir sind beide groß, haben komische Haare, treten kräftig auf und wenn wir irgendwo stehen, wollen wir immer irgendetwas. Und – wir sind beide deutsch. Trudy ist ein Profi, gelernte Hotelfachfrau und ehemalige Gaststättenbetreiberin („Bei mir gabs auch 0,2 Biergläser, und alles schön gezapft!“), und erst seit kurzem mit Sohn und Nichte und deren Familie in Paraguay. Sie ist die offizielle Hoteldame, entwirft als solche einen Arbeitsplan für mein Praktikumsjahr und zeigt mir das Hotel. Es geht los. Ich bin ehrlich beeindruckt: Sehr groß, sehr weitläufig, kolonial und sehr sehr grün. In Paraguay wuchert überall alles ganz schnell. Man spuckt einen Orangenkern aus und am nächsten Morgen steht da ein Baum. Die Hotelanlage nimmt den gesamten Straßenblock ein. Es gibt einen Garten mit dem Gewächshaus von Señor Horstis Orchideenzucht, wo auch Schildkröten, zwei Gürteltiere und drei Kaninchen herumlaufen, es gibt einen wunderschönen Innenhof um den herum die großen Gästezimer liegen, es gibt eine Gartenanlage mit Swimmingpool, Tennisplatz, Liegestühlen, Papageienkäfigen, vielen vielen Bäumen, Palmen und einem Grillhaus. Und es gibt einen antiken Theatersaal und zwei ebenso alte Speisesäale mit Decken- und Wandmalereien. An der einen Seite des parkähnlichen Parkplatzes liegen die moderneren Gästezimmer, nur hier hat das Hotel einen ersten Stock, und nachdem ich mit Trudy all diese Kilometer abgelaufen habe, dringen wir in den eigentlichen Kern des Ganzen vor: Den inneren Innenhof. An dem Kamin in der Eingangshalle vorbei durch eine der unzähligen Schwingtüren passieren wir das Büro von Señor Horsti, la oficina, „Dort habe auch ich ein Plätzchen“, sagt Trudy, „aber meistens bin ich auf den Beinen.“ Wir laufen also weiter. Aus den Augenwinkeln registriere ich eine Art Wohn- oder Esszimmer in dem ältere Damen vor sich hin dämmern, und gleich danach kommen die Küche, viele Schränke, mit Weinflaschen?, noch mehr Türen und Flure und volle Regale – ich blicke längst nicht mehr durch und versuche, Trudy dicht auf den Fersen zu bleiben, die nach allen Seiten grüßt, kontrolliert und im Auge behält: „Ich tauche immer überraschend auf, überall. Alles ist mein Bereich, und alles soll schön und ordentlich sein. Vor allem ordentlich, vielleicht habe ich aber auch zu hohe Ansprüche. Das sind ja aaalles keine ausgebildeten Kräfte!“ Wir treten ins Freie, und als erstes sehe ich einen großen Käfig mit zwei Äffchen drin, dahinter krakeelt ein blauer Papagei, und zwischen Grünzeug und einem Mangobaum hängt eine dickbäuchige, dünnbeinige Lockenwicklerfrau Wäsche auf. „Ña Teó“, winkt Trudy, und im nächsten Moment haben mich zwei muskulöse Arme umklammert und ich verstehe von Ña Teós spanischem Redeschwall soviel wie „Ach wie schön endlich kriege ich Hilfe das Mädchen ist doch für mich?“ Trudy kichert, befreit mich aus der Umklammerung und versichert der Wäschereichefin, sie wäre auch noch dran, aber später. Um den inneren Innenhof liegen die Schneiderei, die Wäscherei, Bügel– und Mangelraum, mehrere Depots, hier stehen die Tische vom Personal, Essen an der frischen Luft, und es führt ein Flur zum Hinterausgang und einer zum Vorratslager und zur Bäckerei. Wir gucken auch von hinten in die Küche rein und Trudy zeigt, worüber ich staunen darf: Einen riesigen, holzbefeuerten Herd mit gusseiserner Platte, mindestens fünf Meter lang und zwei Meter breit. Ich staune natürlch, aber eigentlich nehme ich alles so hin, wie es ist. Fremd, neu und toll, und wundere mich kein bisschen, wieso ein historisches Gran Hotel keine professionel ausgebildeten Angestellten und einen Holzofenherd ohne Abzugshaube hat. Im Hintergrund erspähe ich auch noch mächtig große Kühlschränke mit Holztüren – gut, hier ist das eben so. Toll! Leider habe aber auch ich nicht den leisesten Schimmer vom Hotelwesen und kann auf Spanisch nur grauenhaft schlecht telefonieren, weshalb ich mich in den ersten fünf Wochen furchtbar langweile, denn Trudy stellt mich zum Anfang in die Rezeption.

REZEPTION

Ich reiche Zimmerschlüssel über den Thresen und lächele. Es wird lustiger, als ich merke, dass das Hotel zur Hälfte von Amerikanern belegt ist, die in Paraguay Babys adoptieren wollen. Jetzt wird mein Englisch gebraucht. Ich dolmetsche und mache gute Laune, wenn auf der US-Botschaft und den paraguayischen Behörden mal wieder nichts geklappt hat, ich babysitte und bringe den Mummys ein paar Brocken Spanisch bei. Trotzdem sieht Trudy mir die Langeweile an und gibt mir das Buch, das für die nächsten Monate meine Bibel wird: Das Lehrbuch des Restaurations- und Gaststättengewerbes. Jetzt brauche ich sofort einen Spiralblock und neue Stifte, und dann studiere ich dieses Buch von vorn bis hinten. In einem Papiergeschäft kopiere ich mehrere Seiten und schreibe ansonsten ab, was ich interessant finde, zB. die korrekte Speisenfolge eines 12 Gänge Menüs. Das muss ich unbedingt wissen! Aber ich habe immer noch nicht genug zu tun, stehe immer noch zu lange nur herum. Zumindest vormittags. Abends renne ich mit Trudy durch die Säale und breite Tischdecken aus. Dann zeichne ich einen Stellplan und nummeriere die Tische. Für die Kellner, sagt Trudy, und zur Kontrolle. Sie hat nämlich auch ein Auge aufs Besteck und die Servietten. „Sie glauben ja nicht, Inga, wieviele Teelöffel nach der letzten Hochzeit fehlten!“ Mal haben wir fünfhundert geladene Gäste, oder dreihundert zum Geburtstag... und ich sitze dann in der Sofaecke und staune, was alles aus der Küche angefahren kommt. Wagen um Wagen mit großen, dampfenden Rechauds. Später helfe ich Trudy beim Auffüllen und Erneuern des Büffets. Dreiviertel leere Schüsseln weg, zurück in die Küche, Nachschub holen. Unterwegs versuchen die Kellner, mit mir zu flirten. Das finde ich verwirrend, so offen gabs das in Hamburg nicht, und ich denke, dass sie lieber kellnern sollten anstatt mir Komplimente zu machen. Andererseits fühle ich mich aber auch geschmeichelt, blöd wie ich bin.

Das Freiheitsgefühl aus dem Flugzeug hat sich tief in meinem Bauch eingenistet, und immer, wenn ich etwas zu tun habe oder auf Stadtstreifzüge gehe, bin ich euphorisch und auf 110. Doch allein in meinem Zimmer wird es mir so recht schmerzhaft bewusst, dass mir niemand „Guten Morgen“ sagt und niemand fragt „Na wie wars mein Schatz?“ Also schreibe ich in ein Tagebuch, wies war. Wenn ich ein 19jähriges gebündeltes Selbstvertrauen wäre, hätte ich sicher weniger Probleme damit, meinen neuen Alltag zu organisieren, aber so muss ich mich vor jeder neuen Hürde zusammenreißen, Mut zur Blamage sammeln und vor allem: Den Mund auf machen. Man muss schon sagen, was man will, sonst kann man lange auf Frühstück, Wäschewaschen oder Klopapier warten. Es ist nicht das erste Mal, dass ich von zu Hause weg bin, nein nein, ich war schon „allein“ in Frankreich zum Schüleraustausch und zwei Mal bei Gastfamilien in England, aber so allein wie hier in Paraguay war ich noch nie. Und das merke ich jetzt ganz gewaltig, obwohl ich doch unbedingt weg wollte. Zum Glück tue ich dann das einzig richtige: Statt groß Heimweh zu bekommen, beiße ich die Zähne zusammen und kämpfe mich durch. Nur die Harten komm´ in´ Garten.

Auf diese Art und Weise überstehe ich es auch erstaunlich gelassen, als mir Zulma, die Nachmittagsbis-Abendsrezeptionistin zu verstehen gibt, meine Gardinen seien wohl nicht besonders blickdicht. Jetzt hätte Señor Horsti endlich verstanden, wieso die Nachtwächter in letzter Zeit immer zusammen stünden und zu meinem Fenster guckten anstatt auf Autos und potentielle Einbrecher... na toll. Muss ich mich jetzt halt immer im Badezimmer umziehen. Die können mich alle mal. Am nächsten Tag werde ich gleich nochmal zum Lacher des Hotels: Ich soll meine schmutzigen Sachen ruhig in die Wäscherei geben, sagt Trudy, Kost und Logis beinhalte das. Also stopfe ich eine Tüte voll und lege einen Zettel rein wo drauf steht, was alles schmutzig ist: Jeans 1, Bettwäsche 1, T-shirts 3, Männerunterhosen 7.... Tja-haa, da hatte mein Taschenwörterbuch mich falsch informiert, für Männer- und Damenunterhosen gibt es nämlich zwei verschiedene Wörter, lieber kleiner Langenscheidt! Das Gekreische in der Wäscherei und Büglerei hätte ich gerne gehört – ayayay wo hat sie denn diiiiiie Unterhosen her! Ab dem Tag wasche ich meine Sachen selber, soweit es am Waschbecken eben geht, und rieche nach Hotelseife. Alles trocknet an einer Schnur quer durchs Zimmer, ich reiße das Fenster auf und bin abends trotz Fliegengitter von Moskitos umzingelt. Die wollen mein Blut. Es dauert ewig, bis ich für eine ruhige Nachtruhe alle tot geklatscht habe. Zulmas Technik muss ich noch perfektionieren: Den Moskito in der Luft grapschen. Ich bin noch nicht schnell genug. Dafür aber hundemüde, und als ich morgens vom Wecker hochgescheucht werde, bin ich trotzdem zehn Mal gestochen worden. Ich habe Augenringe und ungewaschene Haare, und an der Rezeption begrüßt mich Ariel, der Gepäckjunge: „Hallo Schöne gehst du heute Abend mit mir tanzen?“ Die spinnen hier alle.

Inzwischen ist eine 30köpfige Gruppe Schweizer Landwirte samt Ehefrauen ins Hotel eingefallen. Sie sind auf Agrar-Rundreise und bestimmen für die nächsten vier Tage das Geschehen. Außerdem trinken sie alle Vorräte an Caña, dem Zuckerrohrschnaps für Caipiriña, und danach die Sangría, und Trudy sagt, na dass wären doch mal anständige, handfeste Gäste gewesen. Kurz bevor meine Zeit an der Rezeption zu Ende geht, habe ich dann ein richtiges Tief. Im Hotel kenne ich mich langsam aus, aber nicht mehr mit mir selbst. Ich denke zu viel an meine Leute zu Hause, an meinen jetzt Ex-Freund, am Ende vermisse ich den noch? Ich vergleiche Asunción mit Hamburg, was total unnötig ist, und frage mich, wie die anderen das hier wohl finden würden? Noch viel unnötiger. Nach der Arbeit sitze ich in einem winzigen Café in der Nähe des Hotels und trinke heißen Kakao und esse mixto caliente, ein doppeltes getoastetes Sandwich mit Schinken und geschmolzenem Käse drin, heiß muss alles sein, denn Asunción ist mittlerweile kalt geworden, und ich denke: „Im Max & Konsorten wärs jetzt auch schön.“ Vor allem aber ist eins sicher: Ich habe schon lange keine anständige Musik mehr gehört.

MUSIK

Auf dem Wasserkasten der Souterrain Jungswohnung mit Blick in den Garten liegt ein Stapel Playboy. „Schöne Frauen! Ist die etwa nicht schön?“ „Doooch...“ “Was ist gegen schöne Frauen einzuwenden? Zeitschriften mit hässlichen Frauen würde ich nie kaufen!“ Playboy ist mir egal. Metal Hammer interessiert mich viel mehr. Der ist auch noch härter als Rock Hard. Der Hammer informiert mich über Cannibal Corpse, Slayer und Morbid Angel, und die Platten finde ich im Plattenregal wieder. Da ist auch eine picture disc von Danzig, die sieht abgefahren aus, aber was sie mir dann vorspielt, reißt mich nicht gerade vom Hocker. Mein Freund hält einen musiktheoretischen Einführungskurs. Für Laien. Für mich. „Hör dir das Schlagzeug an! Der Drummer ist ein Monster! Dadadadadada – und Pause – und jetzt wird er doppelt so schnell, und so präzise! Schweinegeil. Jetzt was anderes. Max Cavalera! Der schreit sich die Seele aus dem Leib, man ist der böse! Aaargh! Jemand normales kann gar nicht so schreien. Anders Obituary, Slowly we rot. John Tardy grunzt. Grunzen ist das, die Stimme kommt aus dem Kehlkopf: Guttural. Auch böse. Und Spaß macht das! Dreh mal lauter.“ Wir fahren für meinen Geschmack zu schnell in dem roten Opel und hören Iron Maiden. Automucke. Später bei den Landpartien auch Cradle of filth, so als Gegensatz zu den goldenen Kornfeldern. Ziemlich schnell merke ich, dass es mir mit ein bisschen Melodie besser gefällt und entdecke Paradise Lost, Amorphis und My Dying Bride, von denen mich letztere zeitlebens begleiten werden. Aber zunächst lese ich im Hetal Hammer über ihr 4. Studioalbum Turn Loose The Swans, diesmal nicht auf Latein. Ach so, diesmal nicht. Ich kaufe die CD, höre mich ein und habe mein Lieblingsalbum gefunden. „Take from me the crown of sympathy“ – das bleibt ewig gut, kann ich immer hören. Immer. Im Winter tauchen dann Tori Amos, Portishead, Neil Young unplugged, Nick Cave und Leonard Cohen auf, weil die Abende länger werden und nur Metal irgendwann anstrengend wird. Pearl Jam und Screaming Trees sind aus meiner Grunge Zeit übrig geblieben, und von meinem Freund ist noch Cure da, samt Gedichtband von Robert Smith. Wir hängen auf dem roten Ledersofa rum, ein 5sitzer oder sowas in der Art, uns gegenüber die großen, großen Infinit Boxen links und rechts, in der Mitte die Anlage und der Fernseher, aber der ist meistens aus. Bei Penny kostet die Halbeliterdose Adelskron 49 Pfennig, das trinken wir. Besonders viel schaffe ich aber nicht, wozu auch. In Dänemark haben sie sehr gutes Bier, dort segeln wir im Sommer. Und hören keinen Metal, sondern Dubliners, Marusha, U2 und New Model Army. Und zwar in einer Lautstärke, die kein bisschen maritim ist und alle anderen Segler auf gehörigem Abstand hält. Sind halt alles keine 18jährigen. Die Kapuzenpullis der Jungs verkünden Know your enemy und Terror worldwide, darüber Militärjacken, bloß ich trage einen alten, grünen Wollpullover. Wir pilgern durch die hübschen, dänischen Hafenstädtchen, trinken Bier aus ganz kleinen Flaschen und essen die besten Bockwürste mit Röstzwiebeln und Gurke. Skal.

Wann habe ich zum ersten Mal gemoscht? Vielleicht mit meinen Freundinnen in der Wohnung von Melli? Davon gibts auch ein Foto, darauf sind aber nur Haare zu sehen. Danach rannten wir zum Ugly Kid Joe Konzert in den Kaiserkeller. Wir fanden den Sänger so toll. Und wunderten uns noch, dass er eine neue Frisur hatte und sie ihren Hit gar nicht spielten, „I hate everything about you“, aber dann sprangen alle durch die Gegend, jede Menge Pogo, und wir Mädchen glücklich mittendrin, ohne zu merken, dass das Electrica war, die Vorband. Als dann Whitfield die Bühne betrat, waren wir ko und verausgabt, und Ugly Kid Joe auch gar nicht so toll. Im Vergleich zu den späteren Konzerten von My Dying Bride oder Motörhead war das im Kaiserkeller natürlich total niedlich, aber egal, irgendwie fängt halt jeder an. Headbanging braucht nicht groß gelernt werden. Man muss sich nur ein einziges Mal überwinden, dann hat mans raus und die Haare fliegen von alleine. Die einen bleiben Iggy Pop treu, die anderen kommen von Flower Power zu GOA, und ich brauche Doom. Schicksal, Verhängnis, Verdammnis, die Rhytmusguitarre setzt ein, erst schleppend und von der Decke tropfend, dann immer schneller, der Syntheziser macht paukendes Bassgedonnere, das geht mir duch Mark und Bein, Bang! Mit langen Haaren geht das eindeutig besser, da merkt man mehr, wie das zieht, wie das geht, wie das abgeht! Jedes Headbanging ein Nicken, eine Heavy Metal Bestätigung. Ok man muss auch mal zuhören können, still halten und sich freuen, den Doom im Bauch spüren. Und nach zu viel Verdammnis, Zorn und Lautstärke sitze ich auf dem Balkon in der Sonne und höre die Brandenburgischen Konzerte.

Das, was man in Asunción im Supermarkt, im Bus, im Schnellimbiss, aus offenen Haustüren und in der Hotelküche hört, ist Cachaca, und stößt in meinen Ohren auf Totalverweigerung. „Te juro que te amo“, „Anoche pensé en ti“, „Si tú te vas“, quakende Männerstimmen und dazu viel Keyboard, nee, das ist nichts für mich. Auch die angeblich tanzbareren Versionen wie „Corazón romántico“ oder „Se baila cachete con cachete“ finde ich furchtbar. Alles Cachaca. Nichtsdestotrotz lasse ich mich am Freitag mit zum Tanzen schleppen. Fast die Hälfte der Hotelbelegschaft trifft sich im Royal, ein Riesenschuppen, eine Halle voller Tische und Bierzeltbänke. Am einen Ende wird gegrillt und am anderen getanzt, auf der Bühne steht eine Band. Cachaca live! Kellner laufen mit Literbierflaschen und Eiskübeln durch die Gegend, und während ich mir fest vornehme, hier garantiert nicht zu tanzen, habe ich erst eine Hand auf meinem Knie und dann einen Arm um die Taille, und dann muss ich leider doch tanzen. Das ist furchtbar albern, der einzige Tanzschritt in einer Sekunde gelernt, ein Bein vor, eins zurück, aber den Hintern dabei nach allen Seiten zu schwenken, das bringe ich mit meiner nordisch-hanseatischen Steifheit nicht. Zu guter Letzt habe ich sogar Spaß im Royal, es ist einfach zu