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"Ich habe dich gesehen.", ruft sie. "Töten wirst du ihn, das ist dein Ziel und alles wird zusammenfallen. Ich muss es verhindern!" Angespült an eine einsame Insel - oder doch ausgesetzt? Aus ihrem Kopf sind jegliche Erinnerungen an ihre Vergangenheit verschwunden. Sie kennt keine Namen, weiß nicht wo und wer ihre Eltern und Freunde sind oder wie sie hergekommen ist. Die Liebe zu Luke hilft ihr sich selbst zu finden und gibt neue Hoffnung ihre Erinnerung wiederzuerlangen. Doch schon bald erkennt sie ihre wahre Fähigkeit, die alles zu zerstören droht...
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Seitenzahl: 640
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Julia Pflug, geboren 2002 in Mainz lebt heute in Ingolstadt. Schon in frühen Jahren faszinierte sie das Schreiben von Geschichten. Mit dem ersten Band der Trilogie „Finnley“ startet sie bereits mit 12 Jahren ihre erste Veröffentlichung und arbeitet an den weiteren Bänden.
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Epilog
Eine riesige Raumschiffflotte schwebt über der Erde. Das schwarze Weltall ist still. Nur ein kleiner Raumgleiter, der von der Erde kommt, nähert sich ihm, sonst regt sich nichts. Zwei weiße Soldaten sitzen in dem Raumgleiter, im hinteren Teil liegt eine alte Frau, die Hände schützend über den Kopf gelegt.
Nachdem sie an der Flotte angedockt haben gehen die zwei Soldaten eilig zur Brücke und betreten sie durch eine große Tür, zwischen sich schleifen sie die alte, abgemergelte Frau über den Boden. Sie ist ohnmächtig und ihr Kopf schwankt von einer Seite zur anderen. In der Mitte der Brücke steht ein großer Thron auf der eine Gestalt mit einem schwarzen Kapuzenumhang sitzt. Neben der Gestalt stehen weitere Soldaten in weißen Rüstungen. Sie tragen allesamt eine Schusswaffe und einen silbernen Stab, der am stumpfen Ende mit mehreren hauchdünnen blauen Fäden bespannt ist und leise surrt. Hinter dem Thron sind Steuerpulte mit vielen Knöpfen und blinkenden Monitoren an die Stahlwände montiert. Einige weißgekleidete Soldaten stehen vor ihnen und betrachten die Monitore. Die Gestalt auf dem Thron sieht auf und dabei rutscht ihre schwarze Kapuze ein wenig nach hinten, sodass man ihren Mund sehen kann. Die Lippen sind weiß und runzelig. „Comander, hohl sie!“, ruft die Gestalt. Es ist eine Frauenstimme, die weder fröhlich oder lieblich klingt. Sie ist eiskalt. Der einzige in Rot gekleidete Soldat verbeugt sich vor dem Thron, setzt sich sofort in Bewegung und verschwindet durch eine große Tür. Es wird wieder still und die Gestalt legt die Fingerspitzen ungeduldig aneinander. Langsam kommt die alte Frau zu sich. Sie sieht wie ein Mensch aus, doch wenn man in ihre Nähe kommt spürt man, wie die Luft um sie vibriert. Als die Frau die Gestalt auf dem Thron sieht stockt ihr der Atem. „Du!“, flüstert sie und starrt entgeistert und etwas ängstlich auf die Gestalt. Diese mustert die alte Frau kurz, dann wendet sie sich wieder der großen Tür zu, diese geht geräuschlos auf und der Comander kommt mit fünf Kisten hindurch. Als er sie vor dem Thron abstellt ertönt ein helles, schrilles Schreien. Der Soldat stellt sich wieder neben den Thron. Langsam streckt die Gestalt die Hände aus, öffnet eine Kiste nach der anderen und sieht gierig hinein. In jeder Kiste liegt, auf einer dünnen Schicht Erde, ein Mädchen im Alter von einem Jahr. Die Soldaten sehen sich durch ihre Helme verwirrt an. Was soll so besonderes an Kleinkindern sein? Als die Gestalt ihren weißen, langen Finger nach dem ersten Kind ausstreckt, fängt die alte Frau an zu zittern, die immer noch von den zwei Soldaten gehalten wird. „Keine Angst Namilla.
Ich tue ihnen nichts.“, sagt die kalte Stimme, ohne aufzublicken. Jetzt berührt die Gestalt das erste Kind mit rotem Haar und glühend roten Augen. Die bräunliche Haut brennt förmlich wie Feuer. Schnell zieht die vermummte Gestalt den Finger zurück und mustert ihn. An der Stelle, wo sie das Kind berührt hat, ist die Haut versenkt und schrumpelig. Interessiert streckt sie den Finger dem zweiten Kind in der nächsten Kiste entgegen. Es hat gelbe Augen und die grellgelben Haare stehen, wie elektrisiert, vom Kopf ab und kleine grellgelbe Fäden fliegen um das Kind herum. Die Luft um das Kind knistert leise. Als der lange Finger der Gestalt in die Nähe der vielen, sirrenden Fäden gelangt, zuckt ein kleiner Blitz zu ihm hoch. Der Stromschock schüttelt sie und das Kind sieht sie mit großen Augen an. Schnell wendet sie sich dem nächsten Kind zu, das genau so blass wie das vorherige ist. Es hat silbernes, volles Haar, das langsam um ihren kleinen, runden Kopf schwebt, als ob der Wind hindurch fahren würde. Die silbern glitzernden Augen des jungen Mädchens sind außergewöhnlich. Durch sie scheinen Verwirbelungen zu schweben, als ob ein Sturm in ihnen wütet.
Die Gestalt macht sich auf etwas gefasst und streckt abermals den Finger aus, doch sie kommt nicht weit. Eine Luftschicht umgibt das Kind und drückt den Finger weg. Die Gestalt wendet sich der nächsten Kiste zu und nimmt ein Glas Wasser, das in der Kiste steht, in die Hand. Vorsichtig hält sie das Glas an die Lippen des nächsten Kindes. Es hat dunkelblaue Augen und kräftiges dunkelblaues Haar. Plötzlich fängt das Glas an zu zittern und das ganze Wasser flieg in die Luft und dann auf die vermummte Gestalt zu. Geschickt weicht sie dem Wasserstrahl aus und er landet klatschend auf dem Boden. Das letzte Kind hat auch bräunliche Haut, braune Augen und braune, lockige Haare, doch als die Gestalt sich über sie beugt fliegt die ganze Erde in der Kiste auf sie zu. Sie kreist um ihren Kopf und dringt in Nase und Mund. Die Gestalt tritt entsetzt ein paar Schritte zurück, dabei rutscht die Kapuze vollständig von ihrem Gesicht. Ihre schwarzen, fettigen Haare fallen ihr strähnig ins weiße Gesicht, die Augen hängen tief in den Höhlen. Ihre Wangen sind eingefallen und ihre blasse Haut hängt schlaff von ihren Wangenknochen herab.
Gemächlich setzt sie sich wieder auf ihren Thron. Sie ignoriert die verblüfften Mienen der Soldaten, winkt mit ihrer Hand und die Soldaten lassen Namilla los. Sie starrt weiter auf den Boden. „Sind das alle? Alle von dieser Macht?“, fragt sie Namilla. Die alte Frau hat immer noch den Kopf gesengt, die Hände im Schoß gefaltet. „Herrin?“, fragt ein Soldat vorsichtig und verbeugt sich. „Ich glaube kaum, dass sie uns weiter hilft.“
Die Gestalt zieht eine dünne Augenbraue hoch. „Ach wirklich, das denkst du?“
Der Soldat nickt. „Nun dann will ich dich mal aufklären! Es gibt eine Prophezeiung von fünf Kindern die magische Kräfte haben. Die hier“, sie macht eine große Handbewegung zu den Kindern, „sind die fünf. Sie sind von der gleichen Art wie Namilla. Sie weiß genau Bescheid!“, erklärt die große Frau auf dem Thron. „Nun, fahren wir fort.“, sie sieht Namilla eindringlich an, doch sie hebt immer noch nicht den Kopf. Die kalte Frau nickt einem Soldaten zu, der auf Namilla zuschreitet. Er zieht den Stab aus seinem Gürtel und presst ihn der alten Frau feste gegen die Rippen. Der Stab beginnt hellblau zu leuchten und die hellblauen Fäden verbanden sich mit dem Körper der alten Frau. Sie schlängeln sich über ihre Haut. Sofort fängt sie an zu schreien und zu zappeln, denn ein starker Stromstoß durchfährt sie. „Sind das alle von der Macht? Ist die Prophezeiung wahr oder gibt es noch mehr?“, fragt die kalte Frau abermals, als Namilla auf gehört hat zu schreien. „Ja! Das sind alle.“, krächzt sie mit brüchiger Stimme. Die weißen Lippen der Gestalt kräuseln sich zu einem hässlichen Lächeln. „Soldaten, bringt sie fort! Die Kerker warten schon auf sie.“, ruft sie. Die Soldaten neben dem großen Thron schreiten auf die alte Frau zu, die zusammengesunken auf dem Boden kniet. Namilla hebt den Kopf und sieht zu der Gestalt auf. „Tu das nicht. Du begibst dich auf einen schrecklichen Pfad. Ich kann es fühlen. Dein Ziel wird nur in einer Katastrophe enden.“, meint Namilla flehend. Die kalte Frau erhebt sich von ihrem Thron und macht einen großen Schritt auf Namilla zu. „Du weißt nicht was ich vorhabe. Und keiner kann mich davon abhalten. Ich werde sie beherrschen. Aber von Macht und Größe hast du noch nie etwas verstanden. Nicht wahr, Schwesterchen?“, die Stimme der Frau wirkt gleichgültig, doch ihre Augen blitzen.
Namillas Augen füllen sich mit Tränen. Die Frau nickt den Soldaten zu und sie heben Namilla hoch, die hilflos auf ihre grausame Schwester starrt. Diese lacht freudlos auf und faltet die Hände vor ihrem Bauch. „Du hast keine Ahnung was du da tust.“, krächzt Namilla, bevor die große Tür hinter ihr zu schwingt und somit ihre Sicht versperrt. Die große Frau schlendert gelassen zurück zu ihrem Thron und lässt sich langsam auf ihn sinken. „Comander, nimm Kurs ...“, fängt die kalte Frau an, doch sie wird von einem jungen Soldaten unterbrochen. „Aber sie könnte doch lügen, um die restlichen zu schützen falls es ...“, die kalte Frau hebt die Hand und der Soldat verstummt. „Ja, sie könnte lügen. Aber sie sollte es lieber bleiben lassen! Und falls sie gelogen hat, werde ich es herausfinden. Ich spüre, wenn es starke Mächte gibt! So, und weil du mich so rüde unterbrochen hast …“, sie wendet sich wieder dem Comander zu, „bring mir das Schwert!“
Entsetzt ringt der Comander nach Luft. „Aber er ist noch so jung!“, protestiert er. „Das Schwert!“, fordert die kalte Frau abermals. Widerstrebend macht sich der Comander auf, um das Schwert zu holen. Die große Tür schwingt wieder auf und der Comander kommt wieder herein. Er trägt ein großes, silbernes Schwert. Bei dem Anblick reißt der junge Soldat ängstlich die Augen auf. Der Comander überreicht der kalten Frau das Schwert und verbeugt sich. Sie nimmt die Klinge ganz genau in Augenschein. Als sie es hebt fängt es an zu surren, wie eine Biene. Der Soldat schreit auf. Mit voller Kraft stößt sie es ins Herz des jungen Soldaten. Sofort schließen sich seine Augen und er kippt vorne über. Sie zieht das silberne Schwert wieder heraus. Die Klinge ist mit Blut verklebt. „So, das hätten wir. Und weil du ihn verteidigt hast ...“, sie beendet den Satz nicht, holt mit dem Schwert aus und sticht auch dem Comander ins Herz. Er sackt neben dem Jungen zusammen.
Weinrotes Blut fließt aus den Wunden und verteilt sich auf dem Boden. Die anderen Soldaten weichen mit ängstlichen Gesichtern zurück. „Räumt diesen Abschaum weg.“, befiehlt sie. „Und du wirst der neue Comander!“, sie zeigt auf einen Soldaten in ihrer Nähe. Die kalte Frau drückt einen roten Knopf auf einer Schalttafel und die Rüstung des neuen Comanders verfärbt sich schlagartig rot. „ Nun Comander, nimm Kurs auf Meiisa!“, ruft die kalte Frau. Der Comander sieht nicht glücklich aus, doch gibt den Befehl und die Flotte verschwindet blitzartig.
Langsam komme ich zu mir. Ich liege auf dem Bauch, das Gesicht in den weichen Untergrund gegraben. Meine Füße werden in kurzen Abständen mit einer kühlen Flüssigkeit umspült. Ich versuche Luft zu holen, aber meine Kehle ist wie zugeschnürt. Panisch versuche ich es wieder und wieder.
Ruckartig stütze ich mich auf die Ellenbogen, während ich mich hektisch nach einem Retter umsehe. Ich versuche nach Hilfe zu schreien und spüre, dass ich das Bewusstsein verliere.
Da unterbricht ein heftiger Hustenanfall meine Panik, befreit meine Lunge von den Unmengen an Wasser und ich kann wieder atmen. Ein paar Sekunden bleibe ich noch liegen, zu erschöpft, um aufzustehen, dann aber gebe ich mir einen Ruck und setze mich auf. Sofort schlägt mir salzige Luft entgegen, eine leichte Brise fährt durch mein Haar und die Sonne brennt mir heiß ins Gesicht. Keuchend blicke ich mich um. Wasser, Strand, Palmen. Eine Insel. Ich bin auf einer Insel! Oh nein!
Wie konnte das passieren? Wie bin ich hier her gekommen? - denke ich und schlage vor Wut mit der Faust in den Sand. Ich spähe über das endlose Wasser um mich herum und sehe lauter Holzstücke im Wasser schwimmen. Ich entdecke ein Stück weißen Stoff unter einem großen Holzstück hervorkommen.
Wie ein Segel eines Schiffes. War das mal ein Schiff? War ich auf diesem Schiff? Ich rapple mich mühsam auf und klopfe vorsichtig mein silbernes Kleid ab, das locker um meine Knie weht. Hunger überkommt mich. Schnell versuche ich mich abzulenken, denn hier gibt es bestimmt keine essbaren Sachen, dabei hätte ich ein ganzes Hühnchen verspeisen können.
Stattdessen halte ich Ausschau nach irgendwelchen Anzeichen von meiner Familie. Falls ich eine habe! Bei diesem Gedanken verdüstert sich meine Miene. Wenn sie mich absichtlich ausgesetzt haben … Aber daran will ich gar nicht denken. Mal sehen. Wie heißt meine Mutter? - frage ich mich während ich mich umsehe, doch ich weiß es nicht mehr. Und mein Vater? Auch seinen Namen weiß ich nicht. Und es kommt mir vor, als hätte ich sie nie gewusst. Und was ist mit mir? Wie heiße ich? Ich grüble darüber nach, stöbere weit hinten in meinem Gedächtnis, doch ich finde nur eine dunkle Leere. Der Hunger reißt mich aus meinen Gedanken, also gebe ich die Suche nach Zeichen und Namen auf und wende mich dem Palmenwald zu, um etwas Essbares zu finden. Doch hier ist nichts außer dem türkisblauen Meer, dem beißenden, weißgelben Sand und ein paar Palmen mit ... Ich springe auf.
Kokosnüsse! Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen bei dem bloßen Gedanken das Fleisch einer Kokosnuss zu verspeisen und die Milch zu trinken. Ungeschick hüpfe ich über den heißen Sand. Währenddessen versuche ich mich an andere Dinge aus meiner Kindheit zu erinnern, aber mir wird bewusst, dass ich mich an überhaupt nichts erinnern kann. Das kann nicht sein! Was ist los mit mir? Ich schiebe den Gedanken beiseite. Wieder meldet sich mein Magen. Erst mal essen! Dann kann ich mir immer noch Sorgen machen! - fordere ich mich auf. Ich erreiche die Palmen. Sie sind hoch, viel zu hoch, um vom Boden aus an die Kokosnüsse zu kommen. Ich kralle mich an der Rinde fest und setze meine Füße an den Stamm. Vorsichtig schiebe ich sie höher, bis sie festen Halt haben, dann drücke ich mich nach oben und richte mich auf. Dabei presse ich mich so fest an den Stamm, dass man meinen könnte, ich wolle ihn zerquetschen. Wieder ziehe ich meine Füße nach oben und drücke mich ab. Ich komme den großen runden Bällen immer näher. Das Wasser läuft mir im Mund zusammen. Angestrengt klettere ich noch ein Stückchen weiter, doch da bleibt mein Kleid an einem der Blattstümpfe hängen und reißt. Ein riesiger Fetzen bleibt am Stamm zurück. Vorsichtig sehe ich an mir herunter. Was man nicht alles für Essen tut! Schnaufend drehe ich mich wieder um und drücke mich in die Höhe. Ich strecke meine Hand aus und umfasse eine Kokosnuss. Ich muss lächeln. „Endlich!“, schnaufe ich und ziehe an ihr, aber sie lässt sich nicht lösen.
Ich ziehe energischer und sie fällt mit einer weiteren aus meiner Hand zu Boden. Ich verdrehe die Augen. Da kommt mir ein guter Gedanke. Ich kann von hier oben ja Ausschau halten nach irgendwelchen Menschen. Bevor ich wieder runter klettere und mein blödes fliegendes Essen hole! Schnell schlage ich mich ins Blätterwerk. Von ganz oben, kann ich fast die ganze Insel sehen, doch keine Anzeichen von anderen Menschen. Ein paar Vögel fliegen zwitschernd über mich hinweg und kreisen über den Blättern. Enttäuscht rutsche ich die Palme wieder runter und komme sanft mit meinen Füßen auf den weichen Sand auf. Schnell hebe ich eine der Kokosnüsse vor mir auf, packe sie fest und versuche die Schale aufzubrechen, doch sie ist viel zu hart. Jetzt könnte ich einen Hammer gebrauchen. Wütend schmeiße ich sie zu Boden. Sie fällt genau auf die zweite Kokosnuss, die ins nächste Gebüsch springt. Milch quillt aus einem Riss.
Verwundert hebe ich sie auf. Vielleicht war es doch gut, dass noch eine zweite runter gekommen ist. - denke ich mir, während ich die Schale ganz aufbreche. Die weiße Kokosnussmilch rinnt an der rauen Schale herunter und läuft mir über die Hand, den Arm entlang. Schnell halte ich die Kokosnuss über meinen Kopf und lasse die Milch in meinen Mund laufen. Sie ist schön kühl. Der letzte Tropfen fällt auf meine Zunge, die von der Trockenheit und dem Salzwasser rissig ist und schmerzt. Die Milch hilft gegen das unangenehme Brennen. Sofort, als der letzte Tropfen auf meiner Zunge zergangen ist, reiße ich das Fruchtfleisch heraus und schlucke es gierig herunter. Dann werfe ich die zwei Kokosnusshälften in das nächste Gebüsch. Die zweite Kokosnuss kann ich nicht mehr finden, aber ich bin zu erschöpft, um nochmal hochzuklettern. Mit immer noch knurrenden Magen mache ich mich wieder auf. Da entdecke ich einen Busch mit kleinen, roten Beeren. Schnell laufe ich zu ihm und recke mich zu den Beeren. Doch da stolpere ich über einen Stein und falle mitten ins Gebüsch. Blätter schlagen mir ins Gesicht und Äste kratzen an meiner Haut. Seufzend schiebe ich mir die Blätter und Äste, die ich mitgerissen habe, vom Körper, rapple mich wieder auf und trete aus dem Gebüsch. Eine Beere ist in meinem Haar hängen geblieben.
Ich werfe sie mir in den Mund, spucke sie aber sofort wieder aus. Sie ist widerlich! Plötzlich höre ich ein Rascheln. Bevor ich reagieren kann, nehme ich ein surren hinter mir wahr.
Erschrocken drehe ich mich um. Ein Pfeil fliegt direkt auf mich zu. Ich kann mich nicht mehr ducken oder ausweichen.
Ich bin wie gelähmt vor Schreck und der Pfeil bohrt sich in meine Schulter. Mir wird schwindelig und ich schwanke. Ich spüre noch, wie ich ohnmächtig werde und zu Boden falle.
Verschwommen nehme ich noch die Gestalt eines Jungen wahr, der auf mich zu rennt und mich hoch nimmt. Dann wird mir schwarz vor Augen.
Ich weiß nicht, wie lange ich ohnmächtig war. Als ich aufwache, habe ich das Zeitgefühl verloren und meine Erinnerung an das Geschehene. Ich liege auf einem gemütlichen Bett und kuschle mich tiefer in die weichen Decken. Ein leichtes Knarren ist zu hören und der Boden schaukelt ein wenig. Erst mache ich das eine Auge auf, um sicher zu gehen, dass ich alleine bin, dann öffne ich das Andere. Die Wände in dem kleinen Raum sind aus braunem Holz. Ein kleiner Tisch steht neben mir, auf dem ein Silbertablett mit duftendem Essen liegt. Sonst gibt es nur einen kleinen Holzschrank, einen goldenen Spiegel und eine große Laterne auf einem Schreibtisch in dem Raum. Ich hebe das Tablett auf meinen Schoß, mir läuft das Wasser im Mund zusammen und ich muss mich zusammen reißen, dass ich mich nicht sofort darauf stürze. Mein linker Arm fühlt sich ein wenig betäubt und schlaff an. Schnell nehme ich das Besteck in die andere Hand und esse hektisch den Teller auf. Als ich fertig bin, stelle ich das Tablett zurück auf den Tisch und stehe auf. Ich laufe zum Spiegel und betrachte mich. Ich sehe in ein Gesicht eines jungen Mädchens von etwa 15 Jahren. Ihre Augen leuchten in einem matten hellblau. Sie hat volle, rote Lippen, die sich von ihrer blassen Haut abheben. Ihr Haar ist blond mit einem goldenen Ton. Das bin ich? Ich starre mich an. Da bemerke ich einen weißen Stofffetzen unter dem Träger des silbernen Kleides, das ich trage. Ich schiebe ihn an meiner Schulter runter. Ein dicker, weißer Verband kommt zum Vorschein, der sich mehrmals um meinen Arm wickelt.
Vorsichtig löse ich ihn. Ein vernähter Riss mit bräunlicher Kruste an meinem Schulterblatt kommt zum Vorschein. Ich bewege meine Schulter, doch ich spüre keinen Schmerz. Es fühlt sich wie betäubt an. Da kehrt die Erinnerung an die kleine Insel zurück und an den Pfeil, der auf mich zugeschossen kam. Plötzlich fühle ich mich hier unwohl und ich sehe mich ängstlich um. Wo bin ich? Wie komme ich hierher? Was passiert jetzt mit mir? Ich lasse meinen Blick durch den Raum streifen und entdecke eine dicke Holztür. Ich muss hier raus! Als ich näher zur Tür komme dringt Geschrei an mein Ohr. Schnell öffne ich sie und stehe auf dem Deck eines Schiffes. Vorsichtig sehe ich mich um. Überall laufen Männer herum und rufen wild durcheinander. Sie tragen weiße oder graue Hemden und abgewetzte Hosen, die an den Enden verfranzt sind. Vier braune Masten ragen in die Luft auf denen Segel gespannt sind. Als ich hinaustrete, unterbrechen einige ihre Arbeit und schauen mich erstaunt an. Hektisch sehe ich mich um und mein Blick fällt auf einen stämmigen Mann, der am Steuer steht. Ein grauer Bart umgibt seinen Mund und seine Augen liegen in Falten. Neben ihm steht ein Junge in meinem Alter, er ist ein wenig größer als ich und fast so stämmig wie der Mann neben ihm. Sein braunes Haar ist verstrubbelt und überdeckt seine Ohren. Seine Haut ist eher blass, wie meine. Er hält ein Fernrohr an sein Auge. „Hey, erster Offizier“, spricht der stämmige Mann den Jungen an.
„Sieh mal wer da ist!“
Der Junge nimmt den Blick von der Ferne, lässt das Fernrohr sinken und schaut mich sanftmütig an. Der Anblick seiner wunderschönen braunen Augen lässt mich für einen Moment erstarren. Dann lächelt er und auf seine Wangen bilden sich kleine Grübchen. „Es geht dir gut.“, sagt er erleichtert. Da meldet sich ein Mann aus der Menge, die sich zwischenzeitlich hinter mir versammelt hatte: „Captain, was hat sie hier zu suchen?“
Der stämmige Mann, der anscheinend der Captain ist, antwortete ohne zu überlegen: „Der erste Offizier wollte es so.“ Jetzt erkenne ich den Jungen, der sich über mich gebeugt hatte. „Du! Du warst auf der Insel.“, stoße ich hervor. Er schaut mich immer noch an, doch sein Lächeln gefriert. „Und du hast den Pfeil auf mich geschossen. Du hast mich fast umgebracht!“, blaffe ich ihn an. Die ganzen Blicke sind auf mich gerichtet. Ich merke wie die Wut in mir hochsteigt. „Es war ein Versehen!“, murmelt der Junge. „Ein Versehen?“, ich schnaube verächtlich, „dafür warst du aber ganz schön zielsicher!“
„Lass gut sein! Er ist gut im Schießen.“, mischt sich der Captain ein. „Danke Vater, aber ich kann das alleine.“,
unterbricht der Junge den Captain. „Du warst so laut und ich dachte du wärst ein Tier.“, versuchte der Junge mir beizubringen. „Ich war auf der Jagd und da du so rumgetrampelt bist ...“ Wütend drehe ich mich um. Die Rechtfertigungsversuche will ich mir nicht länger anhören und entferne mich ziellos. „Bleib stehen!“ Sofort wirble ich herum.
Einige Männer der Crew laufen mit grimmiger Miene auf mich zu. Erschrocken weiche ich ein paar Meter zurück bis ich plötzlich etwas Hartes in meiner Kniekehle spüre. Ich falle rückwärts ins Leere und sehe unter mir nur noch das vom Wind aufgepeitschte, tosende Meer. Ich werde ertrinken! Ich treffe unsanft auf die Wasseroberfläche. Das kalte Wasser umgibt mich sofort und drückt mich in die Tiefe. Verzweifelt kämpfe ich mich zurück an die Oberfläche. Keuchend versuche ich Luft zu holen, doch da werde ich schon wieder runtergezogen. Strampelnd komme ich wieder hoch. Ich höre die Crew schreien und zur Reling rennen, dann verschluckt mich das Meer wieder. Abermals strample ich mich an die Oberfläche und schnappe ein paar Worte auf: „Helft ihr!“
„Schnell lasst das Boot runter!“
Meine vollgesogenen Klamotten ziehen mich wieder runter.
Meine Muskeln verlieren an Kraft. Es hat keinen Sinn mehr.
Langsam höre ich auf zu strampeln und lasse mich in die Tiefe ziehen. Da spüre ich eine Hand ins Wasser gleiten und meinen Arm greifen. Mit einem Ruck werde ich hochgezogen und flach auf den harten Boden eines kleinen Bootes gelegt. Zwei warme Hände drücken sich fest auf meinen Brustkorb. Ich spucke Wasser aus und öffne blinzelnd die Augen. Der Junge kniet neben mir auf dem Boden. Ich will einen Grund finden, um wütend auf ihn zu sein, doch ich finde keinen. Er hat mir schließlich das Leben gerettet! Wie soll ich dabei noch auf ihn wütend sein? „Was hast du dir dabei gedacht?“, fragt er mich stirnrunzelnd. Nichts, um ehrlich zu sein. „Ich war wütend auf dich!“, keuche ich. „Aber ich habe dir doch gesagt, dass es ein Versehen war. Und schließlich habe ich dich wieder gesund gepflegt.“, sagt er. „Wie lange war ich eigentlich ohnmächtig?
Wo sind wir hier? Und was wollt ihr von mir?“, sprudeln die Fragen aus mir heraus. „Das erkläre ich dir alles später. Jetzt ruh dich erst Mal aus!“
Das kleine Rettungsboot in dem wir sitzen wird hoch auf das Schiff gehoben. Erschöpft steige ich aus und marschiere in meine Kajüte. Müde falle ich ins Bett und schlafe nach kurzer Zeit ein.
Ich schrecke aus dem Schlaf auf. Dämmerlicht fällt in meine Kajüte. Neben mir auf der Bettkante sitzt der Junge und schaut mich belustigt an. „Nun du wolltest Antworten?“, fragt der Junge. Ich nicke. „Nun dann schieß mal los!“, fordert er mich auf. „Okay. Was ist mit mir passiert?“, frage ich, nach kurzem Überlegen. „Also, ich war auf der Insel jagen für die Crew.
Wir sollten noch lange auf See bleiben und unsere Vorräte wurden knapp. Deshalb bin ich in einem kleinen Boot zur Insel gefahren und habe im Palmenwald gesucht. Dort habe ich Äste knacken und Blätter rascheln gehört und für ein größeres Tier gehalten. Ich hatte den Pfeil schon abgeschossen, als ich sah, dass du kein Tier bist. Ich habe dir noch zugerufen, doch es war zu spät. Als du regungslos dagelegen hast, habe ich dich zum Schiff gebracht und versorgt.“, erklärt der Junge. „Wieso bin ich sofort ohnmächtig geworden?“
„Also, es war ein starkes Gift. Es sollte ein großes Tier tötet.
Du hattest Glück, dass ich dich nur an der Schulter getroffen habe. Du hättest verbluten können. Doch ich habe viele Blätter darauf gelegt, um die Blutung zu stillen. Dann haben wir das Gift ausgesaugt ...“
„Du hast was?“, frage ich erstaunt und sehe ihn entsetzt aber neugierig zugleich an. „Es gibt verschiedene Methoden, aber die kann ich dir nicht alle nennen!“ Enttäuscht lege ich den Kopf auf die Seite. „Ach, ist auch nicht so wichtig.“, sagt er achselzuckend. „Und wie lange war ich ohnmächtig?“, frage ich weiter. „Du hast sehr viel Gift abbekommen und man braucht dazu mehrere Schritte. Dein Körper musste sich erholen. Ich habe immer nach dir geschaut und dachte schon du würdest nie mehr aufwachen. Insgesamt hat es fast zwei Wochen gedauert“, erklärt er mir. „Aber ich bin aufgewacht.“, erwidere ich und grinse. Er lächelt zurück. „Ja, und das freut mich.“ Meint er das wirklich? „Und wo sind wir hier und was wollt ihr von mir?“, will ich wissen. „Willkommen auf der Blue Diamond. Meinem Schiff!“ Ich nicke anerkennend. „Ich würde mich sehr freuen, wenn du unser Gast wärst und mit uns kommst.“, antwortet er. Ich muss lächeln. „So jetzt weißt du alles was du wolltest.“, sagt der Junge. „Nein“, erwidere ich, „ich weiß noch nichts von dir!“ Verunsichert blinzelt er. „Du willst was von mir wissen?“ Ich stütze mich auf meinen Ellenbogen und schaue ihn erwartungsvoll an. „Äh, ich heiße Luke Smith ...“ Hübscher Name. „... und als ich acht Jahre alt war wurde ich von meinen Eltern getrennt. Es war in einer Schlacht gegen Piraten! Ich wurde auch wie du angespült.“, erzählt er mir. „Also ist der Captain nicht dein Vater!“, unterbreche ich ihn. „Doch. Er hat mich wiedergefunden und wir drei, mein Vater, meine Mutter und ich, waren wieder vereint. Doch dann griffen uns abermals Piraten an und ich musste zusehen, wie meine Mutter getötet wurde.“ Trauer liegt in seinen Augen und eine Träne kullert über Lukes Wange.
Der Arme! „Ist das auch dein Schiff?“, frage ich ihn, um das Thema zu wechseln. „Ja. Mein Vater hat es mir geschenkt.“, antwortet er. „Das ist sehr großzügig von ihm!“, sage ich. „Ja, das ist es wohl.“
Luke lächelt mich an und ich kann nicht anders als ihm zurück zu lächeln. „Tja, das ist meine Geschichte.“, sagt er beendend. Mitfühlend sehe ich ihn an. Erst jetzt bemerke ich wie ähnlich wir uns sind. Der junge Luke, gestrandet wie ich.
Eine Träne nach der anderen rollt über mein Gesicht und fällt dann auf meine Decke. Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen und schluchze wie verrückt. Erschrocken sieht mich Luke an. „Habe ich etwas falsches gesagt?“, fragt er vorsichtig. Ich schüttle den Kopf. „Nein, ich weiß auch nicht was los ist! Ich denke nur wie schlecht es dir in der Zeit bestimmt ergangen ist!“, erwidere ich. Er legt seinen Arm auf meine Schulter. „Keine Angst, mir geht es gut! Und mir ging es da nicht schlechter als dir jetzt. So und jetzt erzähl mir was von dir!“, fordert mich Luke auf. „Oh.“, ich überlege. „Ich kann mich an nichts erinnern!“, antworte ich traurig.
Schockiert sieht mich Luke an. „Nicht an deinen Namen?
Nicht an deine Eltern? Auch nicht daran wo du herkommst?“, drängt er mich. Ich schüttle den Kopf. „Ich möchte, dass du mir einen Namen gibst!“, sage ich entschlossen. „So richtig mit Taufe?“
„Was ist eine Taufe?“, entgegne ich. „Das ist, wenn man mit Gottes Segen den Namen sagt und man ein wenig Wasser über den Kopf kippt!“, antwortet er. „Ja! Das ist eine gute Idee.“, sage ich belustigt. „Glaubst du denn überhaupt an Gott?“ Er zuckt mit den Schultern und schüttelt den Kopf: „Aber ich glaube, er gibt trotzdem den Segen. Okay, dann hohl ich mal Wasser.“ Er schlüpft nach draußen und kommt nach einer Weile mit einem großen Eimer voll Wasser zurück. Ich muss lächeln: „Ist das alles für meine Taufe?“ Er stellt den Eimer vor meine Füße. „Nein, mir ist etwas anderes eingefallen! Das Wasser hier ist zum Waschen. Die Taufe wird eine Überraschung! Sie ist am Abend und dann suchen wir zusammen nach deinen Eltern, das verspreche ich dir. Also ruh dich nach dem Essen aus und suche dir ein Kleid aus dem Schrank aus, es müsste genau deine Größe sein“, fordert er mich auf und geht aus meiner Kajüte. Ich streife mein Kleid von mir und wasche mich am ganzen Körper. In dem Holzschrank finde ich unzählige Kleider. Ich suche mir ein hellblaues aus und ziehe es an. Da höre ich eine Glocke. Das muss wohl heißen, dass es jetzt Essen gibt. Ich mache mich sofort auf und gehe hoch aufs Deck. Ein langer Tisch steht schon bereit. Mit hungrigem Magen setze ich mich neben Luke ans Ende des Tisches. Ich habe keine so große Lust mich neben die Matrosen zu setzen, weil ich ihnen nicht traue, und Luke versteht mich. Ich merke, während ich da sitze, dass ich Luke mag. Endlich kommt das Essen und ich nehme mir von jedem etwas. Im Augenwinkel sehe ich wie Luke mich anschaut. Jedes Mal wenn ich mir neu nehme muss er lächeln.
Nach dem Essen gehe ich der Aufforderung von Luke nach und lege mich hin, um ein wenig zu schlafen. Schläfrig liege ich im Bett, aber das Essen liegt mir schwer im Magen. Ich hätte nicht so viel Essen sollen! Schließlich drehe ich mich auf die Seite und schlafe doch ein.
„Aufwachen!“, flüstert jemand und rüttelt an meiner Schulter.
Ich öffne blinzelnd die Augen. Luke steht neben meinem Bett und schaut mich freundlich an. Mit seiner schwarzen Hose und weißem Hemd sieht er sehr elegant aus. „Was ist los? Warum hast du dich so heraus geputzt?“, frage ich. „Na du weißt schon. Meine Überraschung!“, erwidert er. Ich springe auf. Im Dämmerlicht sehe ich, dass Luke ein weißes, kurzes aber schlichtes Kleid über dem Arm trägt. „Für mich?“, frage ich und nehme es ihm ab. „Ja, zieh es an, ich warte draußen!“, sagt er zu mir und geht raus. Ich ziehe es an, es passt zu mir. Ich stecke mir die Haare hoch, zu einem schönen Dutt, dann gehe ich hinaus. Die Sonne färbt den Himmel orange und rosa Wolken ziehen über mich hinweg. Ich geselle mich zu Luke.
„Wunderschön, oder?“, fragt er mich und schaut zum Himmel.
„Ja.“, antworte ich. „Und was ist jetzt mit deiner Überraschung?“ Ich bin ganzschön aufgeregt. Nervös springe ich von einem Bein zum anderen. Luke schaut mich belustigt an. „So siehst du sehr hübsch aus!“, sagt er und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht, doch durch meinen fragenden Blick hört er auf. Er tut so geheimnisvoll! Gespannt warte ich auf seine Überraschung. „Komm mit.“, sagt er und führt mich zur Reling. Ein Beiboot steht im Wasser. Ich klettere, auf seine Aufforderung hin, die kleine Strickleiter hinunter und setze mich ins Boot, Luke hinterher. Er nimmt die beiden Ruder und so gleiten wir über das Meer. Der frische Aprilwind weht uns um die Nase, trotzdem ist es schön warm. Ich schließe die Augen, um diesen wunderbaren Moment festzuhalten. Wir sind nun ganz um die Blue Diamond rumgefahren und schauen auf die untergehende Sonne. Es ist wunderbar, so wunderbar, dass es schon perfekt ist. Luke hat sich wirklich was Tolles ausgedacht.
Die Sonne verschwindet hinterm Horizont, der Mond schiebt sich langsam empor und wirft sein fahles Licht auf uns. Die vielen Sterne blicken uns fröhlich entgegen. Plötzlich steigen vom Schiff kleine Laternen auf. Ich blicke zur Reling und sehe ein paar verschwommene Gesichter. Lächelnd drehe ich mich wieder zu den Laternen. Sie steigen träge zum Mond auf und beleuchten den Himmel. Eine fliegt zu mir und ich fange sie aus der Luft. Die Seiten sind aus einem hellbraunen Pergament und die kleine Flamme flackert im Wind. Ich lasse sie wieder los und schicke sie den anderen hinterher. „Wow!“, entfährt es mir. Luke nickt. „Hast du das alles für mich organisiert?“, frage ich. Luke nickt wieder. „Nur für dich.“ Mir fehlen die Worte und ich bleibe stumm. Langsam werden die Laternen von der Dunkelheit verschluckt und über das Boot legt sich die Finsternis. „So jetzt ist es Zeit zum Schwimmen!“, sagt Luke fröhlich. „Was?“, frage ich verwirrt. „Schwimmen! Du und ich schwimmen!“ Ich sehe ihn verdutzt an und er deutet auf das dunkle Meer. Ich spüre seinen sanften Blick in meinem Rücken und drehe mich schnell zu ihm um. Die Wellen klatschen leise gegen den Bauch des kleinen Bootes und Wasser spritzt auf. Ich lege den Kopf schief und sehe Luke fragend an. „Äh … na dann.“, stottert er verlegen und stellt sich auf die Kante des Bootes. Es schaukelt gewaltig. Schnell stößt sich Luke elegant vom Boot ab. Es schwankt so heftig, dass ich mit dem Boot umstürze und ins kühle Wasser falle.
Sofort füllt sich meine Nase mit Wasser. Ich strample mit den Beinen und tauche keuchend aus dem Wasser auf. Luke lacht belustigt auf. Ich bin mit ein paar Zügen bei ihm. Schnell spritze ich ihm Wasser ins Gesicht und er verstummt. Er presst die Lippen aufeinander und versucht einen erneuten Lachanfall zu unterdrücken. Ich sehe ihn vorwurfsvoll an, doch dann muss ich auch grinsen. „Deine Taufe kommt gleich dran ... schwimm mir einfach hinterher!“, meint er und verschwindet in der Dunkelheit, ich hinterher. Heute ist das Meer ruhig und nur kleine Wellen schwappen gegen meine Haare. Luke schwimmt vor mir in gleichmäßigen Zügen. Es wird immer dunkler und bald schon kann ich nicht mehr meine Arme und Hände vor den Augen sehen, also beeile ich mich und schließe zu ihm auf. Durch die Dunkelheit sehe ich zwei große Schatten an uns vorbei huschen. „Was war das?“, frage ich ihn ängstlich. Er schüttelt den Kopf: „Nichts.“ Ich sehe ihn von der Seite an. Wie kann er sich da so sicher sein? - denke ich, doch ich frage nicht weiter. Schweigend schwimmen wir nebeneinander her. Langsam werden meine Arme schwer, auch Luke scheint es so zu ergehen, doch er versucht es zu verbergen. Also schwimme auch ich tapfer weiter. Nebel steigt auf und umhüllt uns. „Sehr passend.“, murmelt Luke grinsend.
Verwirrt schwimme ich ihm hinterher. Das Wasser wird kühler und langsam kommt Angst in mir hoch. Plötzlich taucht ein gespenstig aussehendes Schiff aus dem dichten Nebel auf.
Das Holz ist grün von Algen, das Segel, falls man das so nennen kann, ist zerrissen und das alte Holz knarzt leicht im Wind. Vor Schreck schreie ich auf. Luke lächelt mich an. „Das ist nicht lustig! Und was wollen wir hier überhaupt?“, frage ich ihn verunsichert, doch statt auf meine Fragen zu antworten, lächelt er nur. Wir schwimmen um das Schiff herum. Jetzt sehe ich die kleinen Laternen und Fackeln, die das Schiff beleuchten. Und ich kann es kaum fassen, da steht doch wahrhaftig die ganze Crew der Blue Diamond. Eine Strickleiter fällt von oben runter und wir klettern auf das Deck.
Auf dem Schiff ist ein großer Tisch aufgebaut und ein ganzes Festmahl platziert worden. „Lasst uns feiern!“, ruft der Captain laut und eine kleine Gruppe von Männern fängt an auf Instrumenten zu spielen. Einige tanzen, oder wanken eher, auf dem Deck herum. Andere setzen sich und trinken. „Komm mit, wir ziehen uns erst mal um.“, sagt Luke zu mir und schiebt mich zu einer Tür. Das Wasser tropft von unseren nassen Klamotten und hinterlässt eine Spur auf dem alten Holz. Auf einem kleinen Tisch in einer Kajüte wurde ein wunderschönes Kleid ausgebreitet. Meine nackten Füße streifen über den kühlen Boden, als ich darauf zugehe. Von meinen Haaren und dem Kleid, tropft Wasser auf die Holzdielen. Ein kühler Luftzug lässt mich zittern. Ich betrachte das Kleid erfreut. Es ist ganz weiß und mit kleinen, glänzenden Perlen bestickt. Es ist wundervoll. Luke kommt näher und reicht mir ein frisches Handtuch. Ich nehme es dankbar an mich und trockne mich eilig ab. „Zieh es an!“, fordert Luke und nickt mir aufmunternd zu. Ich beäuge das Kleid kurz, dann hebe ich es vom Tisch auf. Luke nimmt einen schwarzen Frack von einem Kleiderbügel und hält es prüfend vor sich. „Beide Sachen wurden aus dem feinsten Stoff genäht.“, meint Luke stolz und hält mir seinen Frack hin. Ich streiche über den weichen Stoff. Plötzlich spüre ich die warme Haut von Lukes Arm. Meine Hand kribbelt ein wenig und die Gänsehaut zieht sich meinen Arm hinauf. Er zuckt zurück, sieht verlegen zur Seite und errötet als er meinen fragenden Blick auf seiner Haut spürt. „Ich … äh. Also … ich muss mich jetzt …“, hilflos fliegt sein Blick umher. Langsam weicht er zurück auf die Tür zu und schlüpft eilig nach draußen. Ich ziehe meine Augenbraue hoch und starre verwirrt und ein wenig belustigt die Tür an, dann schüttle ich den Kopf und streife das lange Kleid, das einem Brautkleid ähnelt, über.
Kleine weiße Rosen sind neben den Perlen und Rüschen darauf gestickt. Ich flechte mir mein nasses Haar und lasse es auf den Rücken fallen. Einmal durchatmen, dann trete ich aufs Deck. Alle Geräusche verstummen: Die Musik, das Gelächter, die Stimmen, die Seemöwen selbst das Meeresrauschen und das Geräusch des Atems. Als ob die ganze Welt den Atem anhalten würde. Alle Blicke sind auf mich gerichtet. Meine Wangen erröten und Verlegenheit überkommt mich. Ich suche die Menge nach Luke ab. Er steht an einem Tisch, der mit Kerzen, Schalen und Palmwedeln geschmückt ist. Die Crew hatte Bänke in zwei Reihen aufgestellt. Ich gehe zwischen den zwei Reihen auf Luke zu. Meine nackten Füße streifen über das Holz. Luke sieht mich an und seine Augen blitzen schon wieder. Langsam setzt Musik ein. Eine fröhliche Melodie aus Geige, Trompete und Schifferklavier. Ich setze mein schönstes Lächeln auf. Die Musik verzaubert mich und ich schweife mit meinen Gedanken weit ab. Ich gehe die zwei Stufen zu Luke rauf. Der Mond erhellt den Tisch vor ihm, die Kerzen flackern im leichten Wind. Wir stehen nah aneinander und ich bemerke seine roten Wangen. Was ist nur los mit ihm? Ist er sonst auch so schüchtern? Er senkt den Blick und schlägt ein großes Buch auf, dann hebt er die Hände zum Himmel und ruft: „Oh ihr Engel, oh Gott. “ Ach Luke! - denke ich belustigt. Luke streckt seine Hand nach mir aus, nimmt meine Hand und hält sie über eine der drei Schalen. Als er meine Haut berührt brennt sie wie Feuer, doch ich zucke nicht zurück. Er holt ein wenig der gelben Salbe aus der Schale und fährt fort: „Oh großer Gott, beschütze sie auf allen Meeren. Im Namen des Vaters, des Sohnes und es Heiligen Geistes.“ Er reibt meine Stirn vorsichtig damit ein. Ich sehe ihm in die Augen und sein sanfter Blick brennt auf meiner Haut. Es tut gut, den Blick und die Hand zu spüren, die über meine Stirn fährt. Ich schließe für einen Augenblick die Augen. Dann nimmt er die Salbe aus der zweiten Schale. Sie ist angenehm kühl. „Nun segne sie auch, wenn sie auf dem Land ist und sie durch das Leben rennt. Und wenn sie in der Luft ist und so richtig abhebt und neue Welten entdeckt ...“ Er reibt wieder meine Stirn vorsichtig ein, doch mein Blick ist ganz starr geworden. Seine Worte hallen in meinem Kopf wieder. Ein Bild schießt mir durch den Kopf. Es kommt so plötzlich und reißt mich mit. Ich bin nicht mehr auf dem Meer, sondern auf festem Boden eines eingefrorenen Landes.
Ich greife nach Mamas Hand und klammere mich an sie. Ich kann sie nicht erkennen, da sie fast ganz von dem Schneesturm verschluckt wird, der um uns tobt. Ich bin ungefähr dreizehn Jahre. Mein Top flattert im Wind. An meiner kurzen Hose bilden sich Eisblumen. Meine Haare fliegen um meinen Kopf. Der Wind bläst mir kleine Schneeflocken ins Gesicht, die sich in meinen Wimpern verfangen. Ich sehe zu dem riesigen Raumschiff auf, das vor uns steht. Ich will noch nicht fort, doch ich freue mich riesig. „Habe keine Angst, mein Kind. Wir werden eine gute Zeit dort haben. Na komm schon.“ Mama läuft vor und betritt das Raumschiff.
Ich bin hingefallen und liege nun auf dem Boden - steif wie das harte Holz unter mir. Ich sehe die Erinnerung immer noch vor mir. Luke kniet schockiert neben mir und hält meine Hand.
Ich starre in den dunklen Himmel. „Geht es dir gut? Du bist plötzlich umgekippt und hast dich nicht mehr bewegt.“ Lukes Stimme ist entsetzt. Ich sehe in seine Augen. Mein Atem wird schneller. Die Erinnerung und Lukes Nähe bringen mich ganz durcheinander. Langsam stehe ich auf. Meine Beine schlackern und ich wäre wieder hingefallen, wenn mich Luke nicht gehalten hätte. Er hilft mir hoch und ich spüre seinen warmen Atem in meinem Nacken, der mich beruhigt. „Fahren wir fort!“, sage ich bemüht lässig als ich wieder stehe. Luke sieht mich misstrauisch an, doch dann hebt er meine Hand über die letzte Schale. Ein weißes Tuch liegt daneben und ich sehe das schimmernde Wasser in der Schale worin sich der Mond spiegelt. „Nun segne sie auch ...“, Luke redet ruhig und beobachtet mich genau, „... wenn sie einen Namen trägt.“ Er wartet kurz und als hätte Gott ihn gehört schaukelt das Schiff leicht. „Mit der Kraft von Gott gebe ich nun dir deinen Namen. Von heute an sollst du nicht mehr namenlos sein. Von heute an sollst du ...“, Luke grinst und hält inne. Ich platze fast vor Neugierde. Alle starren Luke an und warten. „... Grace heißen!“ Er sagt es laut genug, damit alle ihn hören können.
Ich kann es noch nicht glauben, dass ich jetzt einen eigenen Namen habe. Ein paar Freudentränen laufen über meine Wangen. Luke legt seinen Arm auf meine Schulter und mein Herz macht Purzelbäume. „Wenn er dir nicht gefällt ...“
„Nein, er ist wunderschön!“, unterbreche ich ihn. Ich wische meine Freudentränen weg und Luke träufelt Wasser auf meine Stirn. Nachdem ich mir das Wasser wieder weggewischt habe falle ich in Lukes Arme. Für einen Moment scheint für mich die Zeit stehenzubleiben. Dann höre ich Jubelschreie und ich löse mich von Luke. Die Crew ist aufgestanden und jubelt uns zu. Luke nimmt meine Hand und wir gehen auf den großen Tisch zu. Er ist über und über mit Speisen bedeckt. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, die Düfte der verschiedenen Gerichte verführen mich und ich vergesse, dass ich vor kurzem angeschwemmt wurde, ich vergesse, dass ich mich nicht mehr an meine Vergangenheit erinnern kann. Ich konzentriere mich auf die Gegenwart, die viel schöner ist, als ich mir vorstellen konnte. „Haut rein, Leute!“ Der Captain stürzt sich bereits aufs Essen. Ich sehe Luke fragend an, er nickt und ich folge dem Captain. Das Essen ist wunderbar und ich kann nicht genug davon bekommen. Sobald mein Teller leer ist, fülle ich ihn mit neuen Köstlichkeiten. Die Crew ist in guter Stimmung und wir reden und lachen. Plötzlich steht Luke auf, nimmt meine Hand und zieht mich hoch. „Willst du tanzen, Grace?“ Ich kichere und lasse mich mitreißen. Um ehrlich zu sein kann ich nicht tanzen, aber ich will Luke nicht enttäuschen. Wir amüsieren uns prächtig. Da spielen die Musiker ein ruhiges Lied. „Kannst du einen Walzer?“ Doch bevor ich antworten kann legt er eine Hand auf meine Hüfte und mit der anderen nimmt er meine Hand. Langsam bekomme ich den Dreh raus und wir tanzen lange.
Bald aber ist mir schwindelig und ich setze mich an den Rand und schaue den anderen zu. Luke gesellt sich zu mir. „Ich glaube wir sollten langsam gehen. Was meinst du?“, er ist auch ein wenig erschöpft und ich nicke. Diese Feier war die beste meines Lebens und ich würde am liebsten noch bleiben, doch ich bin todmüde. Ich klettere vor Luke in eines der Boote. Es schaukelt unter meinen Füßen. Luke setzt sich neben mich. Er macht die Leinen los und wir treiben übers Meer. Da bemerke ich die kleinen Papierschiffchen, die blass leuchtend an mir vorbei ziehen. Auf jedem steht eine kleine Kerze. Ich gehe ganz nach vorne an die Spitze des Bootes und beobachte die Schiffchen. Der flackernde Schein der kleinen Flamme erhellt in einem runden Kreis das Meer. Ich bemerke nicht, wie Luke aufgehört hat zu rudern. Die Schiffchen schwimmen weiter und verschwinden. Plötzlich legen sich zwei Hände auf meine Hüfte. Ich wirbele erschrocken herum.
Luke beobachtet meine Reaktion. Ich beiße mir verlegen auf die Unterlippe, doch ich kann den Blick nicht von Luke wenden. Seine braunen Augen glühen und sein sanfter Blick streift über meine Haut. Er beugt sich nach vorne und nimmt meine Hand. Seine warmen Finger streichen über meinen Arm und übersähen ihn mit Gänsehaut. Seine Augen wandern von seiner Hand aus, an meinem Arm entlang, hoch zu meinem Gesicht, wo sie an meinen Lippen hängen bleiben. Er räuspert sich. Er hatte, seit ich umgefallen war, nicht besonders viel gesprochen. „Weißt du, dass ich dich sehr mag?!“ Ich sehe ihm in die Augen. „Ich dich auch.“, hauche ich zurück. Er lächelt. Dann schlingt er behutsam einen Arm um meine Taille und zieht mich näher zu sich. Mit seiner anderen Hand hält er mein Kinn hoch, sodass ich ihm in die Augen blicke. Mein Atem geht schneller und mein Herz schlägt wild gegen meine Brust. Sein Gesicht ist jetzt ganz nah an meinem, sodass sich unsere Nasenspitzen fast berühren. Ich spüre seinen warmen Atem auf meinem Gesicht. Seine Stirn berührt meine. „Ich habe schon viele Mädchen gesehen. Doch keine war jemals so faszinierend wie du!“, er spricht leise, dann drückt er seine Lippen auf meine und schließt die Augen. Ich kann nicht mehr atmen, mein Herz spielt verrückt. Es fühlt sich so gut an. Ich schließe auch die Augen und vergrabe meine Hände in Lukes Haaren. Luke drückt mich fester an sich. Es ist ein langer Kuss. Als sich unsere Lippen lösen, atme ich tief ein und öffne meine Augen. Luke ist immer noch direkt vor mir, doch eher unfreiwillig. Ich bemerke meine Hände, die sich immer noch an Lukes Haare krallen. Ich lasse sie sinken. Mein erster Kuss!
Ich wusste gar nicht wie wunderbar sich das anfühlt. Plötzlich spüre ich wieder meine Müdigkeit und reiße meinen Mund zu einem Gähnen auf. Schnell halte ich die Hand davor und versuche meine Augen offen zu halten. Es ist unglaublich: Eben war ich noch hellwach, doch jetzt ... Ich gähne wieder.
„Bist du müde?“, fragt mich Luke. Ich nicke träge. Luke dreht sich um und räumt eine Fläche frei, die groß genug zum Schlafen ist. Er setzt sich auf den Boden und winkt mich zu sich. Ich stolpere vorwärts und setze mich neben ihn. Stumm schüttelt er den Kopf. Verwirrt sehe ich ihn an. Dann zieht er mich auf seinen Schoß. „Leg dich hin“, befiehlt er. Ich gehorche ihm. Mein Kopf in seinem Schoß. Er streicht meine Haare aus meinem Gesicht. Ich atme seinen Duft ein und schließe müde die Augen. Eine ganze Weile streicht mir Luke über den Kopf. Es ist beruhigend und ich schlafe ein.
Ich sehe zu Luke auf. Er steht vor mir und hält meine Hände. „Und, wie gefällt es dir hier? Es ist doch nett, oder? Ich meine nicht so schön wie das eiskalte Land ...“,
Lukes Stimme klingt seltsam nah, doch irgendwie nicht greifbar. Ich erinnere mich an meine Kindheit. Es war kalt und der Wind blies um mich. „Und?“, Luke sieht mich fragend an. Ich bewege mich nicht und bleibe stumm.
Meine Kehle ist wie ausgetrocknet. Ich schlucke. „Hallo?
Antworte doch, bitte antworte doch!“, Lukes Stimme kommt stoßweise und kling gepresst. Ich starre ihn immer noch stumm an. „Gut, wenn du mit mir nicht mehr sprechen willst ...“, er dreht sich um. Langsam geht er ein paar Schritte, dann dreht er sich nochmal zu mir hin.
„Dann muss ich jetzt gehen!“, sagt er. Ich strecke meine Hand nach ihm aus, öffne den Mund, doch da höre ich, von hinten, einen lauten Knall. Es ist eine Pistole! Ich sehe erschrocken zu Luke. Doch er ist nicht mehr da. Ich wirbele herum, dann sehe ich ihn. Er liegt vor mir auf dem Boden. Rotes Blut quillt aus seiner Brust. Ich stoße einen lauten Schrei aus, will zu Luke, ihn retten, ihn verarzten, doch da verwandelt er sich in ein riesiges Raumschiff aus meiner Erinnerung. Von weit her höre ich eine sanfte Stimme, die um mich schallt. „Siehst du, ich sagte doch, dass wir eine schöne Zeit haben werden!“, die Stimme gehört meiner Mutter! Ich sehe zum Raumschiff auf und halte inne. Zwei Gestalten winken aus einem kleinen Fenster. Ich kann sie nicht erkennen doch ich weiß, dass es meine Eltern sind. Ich renne zur Schleuse des Raumschiffes. Meine Eltern können doch nicht ohne mich gehen. Ich erreiche gerade die Schleuse, als das Raumschiff abhebt. „Nein!“, keuche ich, doch sie verschwinden. Ich blicke ihnen nach und Tränen rollen mir über die Wangen, dann stoße ich einen ohrenbetäubenden Schrei aus und renne um mein Leben.
Ich weiß nicht genau vor was ich wegrenne. Vielleicht vor der unerträglichen Wahrheit. Plötzlich werde ich zurück geschleudert. Ich schürfe an den scharfen, grauen Steinen entlang. Und dann falle ich, immer weiter eine Klippe hinab. Ich berühre die Felsen im Fallen. Sie fühlen sich warm und weich an. Ich stöhne und kneife die Augen zusammen.
Keuchend wache ich auf. Ein Albtraum! Nur ein Albtraum! Ich öffne meine Augen. Ich hänge direkt über dem Wasser.
Meine Haare fallen mir ins Gesicht. Luke hält mich am Handgelenk fest und ich lasse mich von ihm hochziehen. „Was ist passiert?“, frage ich. Die aufgehende Sonne blendet mich ein wenig. „Ich bin aufgewacht, weil du wie am Spieß geschrien und dich herum gewälzt hast. Dann bist du aufgestanden und neben mir herum gelaufen und fast vom Boot gefallen, doch ich konnte dich gerade noch fest halten.“,
Luke sieht mich verwirrt an. „Oh, habe ich das wirklich getan?“, frage ich beschämt. „Ist nicht so schlimm. Komm, wir rudern zurück zum Schiff.“, antwortet Luke und geht zu den Rudern. „Und wenn du Hunger hast, ich habe uns etwas eingepackt.“ Er wirft mir einen Rucksack zu. Ich öffne ihn, hole Essen raus und reiche Luke die Hälfte. Wir essen auf und ich schaue zum Schiff, das vor uns am Horizont auftaucht, doch etwas ist anders. Ich höre Geschrei und sehe eine Menge Leute auf dem Schiff herumrennen. „Oh nein!“, Luke ist schockiert. Da sehe ich ein zweites Schiff, das neben der Blue Diamond schwimmt. Auf der Flagge, die an dem Mast flattert bemerke ich das Zeichen und meine Augen weiten sich vor Entsetzten.
„Das ist nicht gut! Das ist gar nicht gut!“, Luke reißt schockiert die Augen auf. „Was ist das für ein Schiff?“, meine Stimme zittert. „Das ist die Cruel Darkside ... ein Piratenschiff!“, er beißt die Zähne zusammen. „Blackeye, der Captain des Schiffes, hat uns angegriffen und meine Mutter umgebracht.“ Luke will sich dafür rächen ... ganz bestimmt.
Schon von weitem kann ich die vielen Menschen sehen, die verzweifelt über das Schiff rennen. Leute mit abgewetzten Klamotten schwingen sich von dem Piratenschiff auf die Blue Diamond. Große Enterhaken rammen sich tief in das alte Holz des Schiffes. Wir haben die Blue Diamond fast erreicht. Das dumpfe Knallen von großen Kanonen hallt um mich und das Rasseln der Säbel wird lauter. Luke ist schon ganz außer Atem, denn er rudert so schnell wie er kann. Wir erreichen Lukes Schiff. Am Rumpf hängt eine Strickleiter, die wir schnell hinauf klettern. Piraten rennen übers Deck und schwingen ihre Säbel über den Köpfen. Einer sprintet gerade auf einen großen Mann zu und schmettert den Säbel auf den des Mannes, sodass es klirrt. Luke klettert hinter mir über die Reling. Er schnappt nach Luft, als er das Kampfgetümmel sieht. „Schnell du musst hier weg. Versteckt dich irgendwo und bleibt dort bis alles vorbei ist.“, befiehlt mir Luke laut und hantiert an seinem Gürtel. Flink zieht er einen scharfen Dolch und hält ihn kampfbereit. „Aber was ist mit dir?“, frage ich mit wachsender Angst. „Ich muss mein Schiff verteidigen! Meiner Crew helfen.“, antwortet er und dreht sich zu mir um. Er legt mir eine Hand auf die Schulter und blickt mir eindringlich in die Augen. „Ich will nicht, dass dir etwas zustößt!“, flüstert er und wirbelt herum. Mein Herz beginnt stürmisch zu pochen.
„Pass auf dich auf!“, ich blicke Luke nach, wie er in dem Kampfgetümmel verschwindet. Hektisch sehe ich mich suchend nach einem passenden Versteck um. Mein Blick bleibt an einem Abstellraum kleben. Ich sprinte los, weiche dabei den großen Blutflecken und den scharfen Säbeln auf dem Boden aus. Ich ertaste den runden Knauf, reiße die Tür auf und spähe in den staubigen Raum dahinter. Eine kleine, schwarze Spinne kriecht hastig an mir vorbei. Über einem kaputten Holzbesen spannen sich dichte Spinnennetze. Ein Eimer liegt umgedreht am Boden, auf den ich mich fallen lasse. Schnell ziehe ich die Tür zu. Sofort wird es leiser und der Lärm dringt nur noch gedämpft zu mir. In der Tür gibt es ein kleines Loch, durch welches ich gerade noch hindurchschauen kann. Ich presse meine Nase gegen das kalte Holz und spähe durch das Loch. Piraten schwingen ihre Säbel und stechen erbarmungslos auf alles ein, was am Boden liegt.
Ich beginne zu zittern und das nicht nur wegen der Kälte, die aufsteigt. Angst kriecht mir den Rücken hoch und meine Haare auf Beinen und Armen stellen sich auf. Ein Mann mit fahlblondem Haar torkelt an dem Abstellraum vorbei. Ich kann seinen entsetzten Blick erkennen. Er richtet seinen Säbel tapfer auf einen großen Piraten, der in mein Blickfeld kommt. Der grinst höhnisch. Der Mann wirkt müde und erschöpft und der Pirat sieht das. Er dreht sich ein paar Mal, tänzelt im Kreis um den Mann und schlägt im geschickt den Säbel aus der Hand, der rasselnd zu Boden fällt. Der Mann starrt erst ungläubig dann angstvoll auf seine leeren Hände und dann auf den Piraten, der grausam lacht. Panisch sieht er sich nach einer anderen Waffe um, doch wird nicht fündig. Der Pirat ist mit einem großen Schritt bei ihm und tritt ihm in den Bauch. Der Mann keucht und taumelt rückwärts. Nach mehreren Schlägen ins Gesicht stolpert und fällt er gegen die Tür, hinter der ich sitze. Bei dem dumpfen Geräusch, das durch den Abstellraum hallt, zucke ich zusammen. Der Pirat kommt näher und füllt mein ganzes Blickfeld aus. Er dreht den Kopf zur Seite und spuckt auf den Boden, dann hebt er seinen Säbel und sticht auf den Mann am Boden ein. Der schreit laut auf und ein gurgelndes Geräusch kommt aus seiner Kehle, als er Blut spuckt. Der Pirat blickt grinsend auf den Mann herab.
Plötzlich huscht sein Blick zu mir. Ich erschrecke und weiche in den Schatten zurück. Hat er mich gesehen? Die Angst kriecht an mir hoch und macht sich in meinem ganzen Körper breit. Ich halte meinen Atem an und lausche angestrengt. Mit meiner Hand taste ich blind nach einer Waffe. Da wird die Tür aufgerissen und der Pirat steht mit erhobenem Säbel im Türrahmen. Ich schreie und schmettere dem Piraten einen Hammer auf den Kopf. Seine Augen schließen sich und er plumpst zu Boden. Ich keuche und lasse die Waffe fallen. Ich höre den gleichmäßigen Atem des bewusstlosen Piraten und weiche ängstlich zurück. Ich muss hier weg. – denke ich und steige über den Piraten. Überall liegen Verwundete am Boden, Piraten knien lachend über ihnen und suchen ihre Taschen nach nützlichen Sachen ab. Ich laufe am Rande des Kampfgeschehens die Reling entlang, um ein neues Versteck zu finden. Da stößt mich jemand von der Seite beinahe um.
Sofort balle ich kampfbereit meine Hände zu Fäusten und schlage blitzschnell dem Gegner ins Gesicht. Das Keuchen bestätigt mir, dass ich getroffen habe. Jetzt erkenne ich ihn erst. Vor mir steht Luke und hält sich die Nase. Blut läuft unter seiner Hand hervor. „Oh Gott. Es tut mir so leid ich wusste nicht …“, versuche ich mich zu entschuldigen. Luke stöhnt und kneift die Augen zusammen. „Guter Schlag.“, murmelt er und bringt ein kleines Lächeln auf seine Lippen. „Wieso bist du nicht in einem Versteck?“, fragt er mich vorwurfsvoll und wischt sich das Blut von seiner Hand. „Ich wurde entdeckt.“, verteidige ich mich. Er seufzt und sieht sich um. „Hier ist es noch zu gefährlich für dich.“, meint er. „Ich will aber hier bleiben und kämpfen, wie du.“, antworte ich und sehe ihn flehend an. Luke schüttelt den Kopf. „Das geht nicht! Ich bringe dich an einen sicheren Ort und dort bleibst du dann.“, meint er scharf und nimmt mich am Arm. Luke führt mich um das Gewimmel aus Piraten und der Crew. Das Geschrei ist fast unerträglich. Plötzlich bleibt Luke stehen und ich renne direkt in ihn rein. Er starrt auf eine Stelle vor uns. Ich entdecke Lukes Vater, wie er mit einem noch größeren Piraten kämpft.
„Das ist Blackeye!“, sagt Luke zu mir und nimmt mich an die Hand. Der Pirat macht gerade eine geschickte Drehung und tritt dem Captain in den Bauch. Er taumelt rückwärts, doch sofort richtet er sich auf und die Säbel krachen gegeneinander.
Blackeye zieht einen weiteren Säbel und schlägt auf den Mann ein. Luke keucht entsetzt. „Was ist?“, frage ich beunruhigt.
„Mein Vater ist nicht der beste Kämpfer. Ich weiß nicht ob er das schafft.“, erklärt Luke und zieht seinen Säbel. „Bleib hier hinter diesen Fässern – ich muss meinem Vater helfen.“, befiehlt Luke und ich setze mich hinter die dicken, braunen Fässer, die nahe an der Reling stehen. Erst jetzt bemerke ich, dass ein Gewitter aufgezogen ist. Kleine Tröpfchen fallen auf mich herab und ich lege den Kopf in den Nacken, um in den Himmel zu blicken. Er hat sich durch die dicken, grauen Wolken völlig verdunkelt. Die Tropfen werden schnell größer und schon regnet es in Strömen. Der Wellengang hat deutlich zugenommen und das Schiff schwankt gewaltig. Luke will gerade losstürmen, als sich das Schiff zur Seite neigt. Ich fange an zu taumeln und falle unsanft auf das harte Holz.
