Finstere Abgründe - Roland Blümel - E-Book

Finstere Abgründe E-Book

Roland Blümel

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Beschreibung

Nichts ist so, wie es scheint, und Saturn dient als Mittel zum Zweck. Dem Morgenmuffel fällt seine Miesepetrigkeit buchstäblich auf die Füße, während ein Sturmtief Ungeahntes aufdeckt. Ein geheimnisvoller Beobachter amüsiert sich beim Verlesen des letzten Willens, während ein Lied von Rio Reiser einem Mann für immer ein Trauma beschert. Freunde und Schrottpressen passen schlicht nicht zusammen. Eine Nachbarschaftswache fördert Überraschungen zutage, und eine Rache übende Tochter weckt die Geister der Vergangenheit in sich. In diesem Sinne vertrauen Sie Ihrem sprechenden Pferd und konsumieren Sie nur den besten Whiskey mit Ihren Liebsten. Die Autoren laden Sie in ihrem dritten Sammelband zu einer Exkursion in Finstere Abgründe ein. Folgen Sie ihnen?

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Finstere Abgründe

teilweise tödlich Band 3

Kurzkrimis

Michael Kracht (Hrsg.)

Erstausgabe im August 2017

Alle Rechte beim Verlag

Copyright © 2017

Fehnland-Verlag

D-26817 Rhauderfehn

Dr.-Leewog-Str. 27

www.fehnland-verlag.de

Coverdesign: Dennis Wilkinson

Layout + Satz: Michael Kracht

Lektorat: Roland Blümel + Michael Kracht

978-3-947220-120

Inhalt

Vorwort

Die Einbruchsserie

Roland Blümel

Saturn

Rosario Chriss

Sommerfrost

Stella Delaney

Verstümmelung

Heike Gellert

Das Elsternzimmer

Alva Henny

Axel räumt auf

Helga Jahnel

Für immer

Eckard Klages

Abräumer

Michael Kracht

Die eiserne Madame Moelleux

Mika M. Krüger

Der Tod aus der Flasche

Mara Laue

Fressen Wölfe Menschen?

Andrea Storm

Morgenmuffel

Agatha van Wysn

Heim-Weg

Lisa Weichart

Die Autoren

Vorwort

Das, was En­de 2015 in einer Grup­pe von Au­to­ren als »spin­ner­te Idee« be­gann und im Herbst 2016 in die Ver­öf­fent­li­chung des Kurz­kri­mi-Sam­mel­ban­des »teil­wei­se töd­lich« mün­de­te, hat mitt­ler­wei­le zur Ent­ste­hung einer Au­to­ren­grup­pe im Inter­net und zum Auf­tritt auf einer Buch­mes­se ge­führt. Die »Au­to­ren-Grup­pe Töd­lich« – die­sen Na­men hat uns Ama­zon-US un­ge­fragt ver­lie­hen – legt jetzt schon den drit­ten Band der Rei­he »teil­wei­se töd­lich« vor. In­zwi­schen um­fasst die Grup­pe et­wa 30 Au­to­ren, die in unter­schied­li­cher Zu­sam­men­set­zung an den Bän­den be­tei­ligt sind.

Die Ge­schich­ten in die­sem drit­ten Band soll­ten laut Vor­ga­be et­was »düs­te­rer« wer­den, wor­aus sich der Ti­tel »Fins­te­re Ab­grün­de« ent­wi­ckel­te. Viel Spaß beim Le­sen!

Mi­chael Kracht

Im Au­gust 2017

Die Einbruchsserie

Roland Blümel

Ir­gend­et­was hat­te sie ge­weckt. Mit klop­fen­dem Her­zen saß Ca­ri­na auf­recht im Bett und frag­te sich, was sie ge­hört ha­ben könn­te. Sie muss­te an die Ein­bruchs­se­rie den­ken, die seit ei­ni­gen Wo­chen die Sied­lung in Un­ru­he ver­setz­te.

Ca­ri­na lausch­te. Wie ger­ne hät­te sie Mar­kus jetzt hier ge­habt, aber seit er vor ei­ni­gen Wo­chen einen neu­en Job an­ge­tre­ten hat­te, war er stän­dig auf Dienst­rei­se.

Wa­ren da nicht Schrit­te? Ca­ri­na hielt den Atem an. Was soll­te sie jetzt tun? Ihr Smart­phone lag auf der Kom­mo­de und um es zu er­rei­chen, hät­te sie auf­ste­hen müs­sen. Doch das trau­te sie sich nicht. Sie woll­te kein Ge­räusch ver­ur­sa­chen, um den ver­meint­li­chen Ein­bre­cher nicht auf sich auf­merk­sam zu ma­chen.

Da fiel ihr Flo­rian ein, ihr klei­ner 4-jäh­ri­ger Sohn. Mei­ne Gü­te, wenn ihm et­was pas­sie­ren wür­de, das könn­te sie sich nicht ver­zei­hen. Wa­ren da nicht lei­se Schrit­te im Flur zu hö­ren? War der Ein­bre­cher jetzt nach oben ge­kom­men? Sie woll­te sich ge­ra­de vor­sich­tig aus dem Bett er­he­ben, als sie zu ihrem Ent­set­zen sah, wie die Klin­ke ihrer Zim­mer­tür lang­sam her­unter­ge­drückt wur­de.

Er­starrt hielt sie in der Be­we­gung in­ne und blick­te auf die Tür, die sich lang­sam öff­ne­te. Pa­nik er­fass­te sie.

»Ma­mi, ich kann nicht schla­fen«, hör­te sie den ver­meint­li­chen Ein­bre­cher sa­gen. Flo­rian kam ins Schlaf­zim­mer und sprang zu sei­ner Mut­ter ins Bett. Sie schloss ihn vor Er­leich­te­rung in die Ar­me.

›Mei­ne Ner­ven lie­gen echt blank‹, dach­te sie, als sie sich mit ihrem Sohn unter die war­me De­cke ku­schel­te. Wenn doch bloß Mar­kus hier wä­re. ›Ich wer­de am Wo­chen­en­de mal mit ihm spre­chen, ob er sich nicht einen an­de­ren Job su­chen kann, wo er nicht so viel ver­rei­sen muss‹. Aber sei­ne neue Arbeit war auf je­den Fall sehr ein­träg­lich. So viel Geld wie im Mo­ment hat­ten sie noch nie ge­habt. ›Aber Geld ist nicht al­les‹, dach­te sie.

Lang­sam be­ru­hig­te sich ihr Herz­schlag und sie zog ihren Sohn er­leich­tert an sich.

»Dann schlaf jetzt schön wei­ter, mein En­gel«, flüs­ter­te sie ihm zu und schloss die Au­gen.

***

Ein lau­tes Pol­tern im Erd­ge­schoss ließ sie kur­ze Zeit spä­ter er­neut zu­sam­men­zu­cken. Was war das? Schlich doch ein Ein­bre­cher in ihrem Haus her­um?

Flo­rian war an­schei­nend so­fort wie­der ein­ge­schla­fen und hat­te den Lärm nicht ge­hört. Aber Ca­ri­na war si­cher, dass sie sich den Ra­dau nicht ein­ge­bil­det hat­te. Doch um nichts in der Welt wür­de sie jetzt nach­schau­en.

Eine ge­fühl­te Stun­de lag Ca­ri­na im Bett, lausch­te auf Ge­räu­sche und hielt ihren klei­nen Sohn fest im Arm. Konn­te sie sich jetzt trau­en, auf­zu­ste­hen und nach­zu­se­hen, ob wirk­lich ein­ge­bro­chen wor­den war?

Zu­min­dest hat­ten der oder die Ein­bre­cher in al­len bis­he­ri­gen Ein­brü­chen noch nie­man­dem et­was ge­tan. Aber sie wa­ren auch noch nie auf fri­scher Tat über­rascht wor­den.

Ganz lang­sam schob sie sich aus dem Bett und ver­such­te, Flo­rian nicht zu we­cken. Doch das war un­nö­tig. Ihr Sohn schlief wie ein Mur­mel­tier. Lang­sam schlich sie zu ihrem Smart­phone und rief Mar­kus an. Es tat ihr zwar leid, ihn nachts um 4 aus dem Schlaf zu klin­geln, aber das war nun mal ein Not­fall.

Be­reits beim zwei­ten Ruf­ton wur­de ab­ge­nom­men.

»Hal­lo, mein Schatz«, mel­de­te sich Mar­kus, et­was schläf­rig, aber atem­los. »Das ist ja mal eine merk­wür­di­ge Zeit, um mich an­zu­ru­fen. Ist was pas­siert?«

»Tut mir leid, dass ich Dich ge­weckt ha­be, aber ich glau­be, hier ist jetzt auch ein­ge­bro­chen wor­den«, flüs­ter­te Ca­ri­na und blick­te auf ihren schla­fen­den Sohn.

»Was heißt, Du glaubst? Hast Du nicht nach­ge­se­hen?«

›Was für ein Ko­mi­ker‹, dach­te Ca­ri­na. ›Ich ster­be hier tau­send To­de und er fragt mich, ob ich nach­ge­se­hen ha­be.‹

»Na­tür­lich nicht«, zisch­te sie. »Ich ha­be mich bis­her nicht ge­traut und Flo­rian liegt zum Glück hier bei uns im Bett.«

»Okay, okay, reg Dich nicht auf«, ver­such­te er, sei­ne Frau zu be­ru­hi­gen. »Dann schleich Dich doch mal vor­sich­tig in den Flur und schau, ob Du et­was er­ken­nen kannst.«

Ca­ri­na schüt­tel­te den Kopf. »Soll ich nicht erst mal die Poli­zei an­ru­fen?« Es graus­te sie bei dem Ge­dan­ken, nach­zu­se­hen, ob wirk­lich ein­ge­bro­chen wor­den war und mög­li­cher­wei­se dem Ein­bre­cher in die Ar­me zu lau­fen.

»Wie lan­ge ist das denn her, dass Du was ge­hört hast?« Of­fen­bar ver­such­te Mar­kus, sei­ne pa­ni­sche Frau zu be­ru­hi­gen.

»Weiß nicht ge­nau, viel­leicht eine Stun­de oder ein­ein­halb.« Ca­ri­na hat­te den Ein­druck, völ­lig das Zeit­ge­fühl ver­lo­ren zu ha­ben.

»Dann ist der Ein­bre­cher be­stimmt schon weg. Schau mal vor­sich­tig nach, be­vor Du die Poli­zei an­rufst. Nicht, dass Du Dich bla­mierst.«

»Bla­mie­ren?« Jetzt wur­de Ca­ri­na doch laut. »Du hast gut re­den. Du bist weit weg, aber ich muss hier al­lein da­mit fer­tig wer­den.«

»Okay, dann ruf gleich die Poli­zei an und sag mir Be­scheid, ob wirk­lich ein­ge­bro­chen wur­de«, lenk­te Mar­kus ein. »Dann bis spä­ter!«

Ca­ri­na warf noch einen Blick auf Flo­rian, der sich mitt­ler­wei­le völ­lig in die De­cke ein­ge­rollt hat­te. Sie woll­te nicht als pa­ni­sche Frau ein­ge­ord­net wer­den und nahm al­len Mut zu­sam­men. Dann wür­de sie eben doch nach­schau­en. Sie über­leg­te, was sie even­tu­ell als Waf­fe mit­neh­men könn­te, falls der Ein­bre­cher doch noch da sein soll­te. Ihr fiel als ein­zi­ges ein höl­zer­ner Klei­der­bü­gel ein, der ihr viel­leicht die­nen könn­te.

Sie hielt die Luft an, öff­ne­te die Schlaf­zim­mer­tür und schlich vor­sich­tig zur Trep­pe, die ins Erd­ge­schoss führ­te. Ca­ri­na beug­te sich über das Ge­län­der und lausch­te. Außer ihrem eige­nen Atem war al­les still im Haus.

Trep­pen­stu­fe für Trep­pen­stu­fe stieg sie bei­na­he in Zeit­lu­pe her­unter, bei je­dem Schritt in­ne­hal­tend. Nichts. Al­les ru­hig. Vor­sich­tig nahm sie die letz­te Stu­fe, mach­te einen lan­gen Hals und späh­te ins Wohn­zim­mer. Noch im­mer war kein Ge­räusch zu hö­ren. An­schei­nend war der Ein­bre­cher, wenn denn einer da­ge­we­sen war, mitt­ler­wei­le ver­schwun­den.

Zö­ger­lich be­trat sie das Wohn­zim­mer, pack­te da­bei den Klei­der­bü­gel noch et­was fes­ter. Ein Blick auf die Ter­ras­sen­tür gab ihr die Be­stä­ti­gung: Es war tat­säch­lich ein­ge­bro­chen wor­den. Und dann ent­deck­te sie auch, was den Lärm ver­ur­sacht hat­te. Der Ein­bre­cher war of­fen­sicht­lich über das Ka­bel des De­cken­flu­ters ge­stol­pert, so dass die­ser kra­chend zu Bo­den ge­fal­len war.

Nun trau­te sich Ca­ri­na end­gül­tig ins Wohn­zim­mer und schau­te, ob sie die auf­ge­bro­che­ne Ter­ras­sen­tür ver­schlie­ßen konn­te. Als sie die Tür über­prüf­te, be­merk­te sie plötz­lich eine Be­we­gung im Gar­ten.

Vor Schreck prall­te sie zu­rück, als sich die Ge­stalt plötz­lich auf die Ter­ras­sen­tür zu­be­weg­te. Ca­ri­na war wie ge­lähmt, als die Ge­stalt die Tür auf­drück­te und ins Wohn­zim­mer trat.

***

»Frau Ba­den, es tut mir leid, dass ich Sie er­schreckt ha­be«, sprach die Ge­stalt sie an, als sie im Wohn­zim­mer vor ihr stand.

Ca­ri­na hat­te Mü­he, sich aus ihrer Schock­star­re zu lö­sen. Was mach­te Knut Pe­ters, der Nach­bar von schräg gegen­über, um die­se Zeit in ihrem Gar­ten? Ihr Mund war aus­ge­dörrt, sie zit­ter­te vor Angst und vor Käl­te, spür­te gleich­zei­tig eine un­ge­heu­re Er­leich­te­rung.

»Was …«, be­gann sie, aber so rich­tig woll­te ihre Stim­me noch nicht ge­hor­chen. Sie schluck­te, so weit das ihr tro­cke­ner Mund zu­ließ.

»Was ma­chen Sie um die­se Zeit in mei­nem Gar­ten?«. Fra­gend sah sie ihren Nach­barn an.

»Ha­ben Sie das nicht mit­be­kom­men?« Er sah sie freund­lich an und mach­te erst jetzt die Ta­schen­lam­pe aus, die er die gan­ze Zeit in der Hand ge­hal­ten und an­ge­schal­tet ge­las­sen hat­te.

»We­gen der vie­len Ein­brü­che ha­ben wir eine Bür­ger­wehr ge­grün­det. Die Poli­zei be­kommt es ja an­schei­nend nicht ge­ba­cken, die­sen Ver­bre­chen Ein­halt zu ge­bie­ten. So ha­ben wir be­schlos­sen, die Sa­che selbst in die Hand zu neh­men.« Er blick­te sich in der Woh­nung um.

»Nun hat es Sie lei­der er­wischt und mir ist der Ein­bre­cher durch die Lap­pen ge­gan­gen. So ein Mist!« Herr Pe­ters sah sie an in einer Mi­schung aus Mit­leid und Är­ger.

»Da bin ich lei­der ein we­nig zu spät ge­kom­men. Ich ha­be den Kerl nur von Wei­tem ge­se­hen, aber ir­gend­wann er­wi­schen wir den.« Einen Mo­ment schwie­gen bei­de. Ca­ri­na muss­te erst ein­mal ver­arbei­ten, was die­se Nacht pas­siert war. Ein­bruch. Bür­ger­wehr. An Schlaf war heu­te si­cher nicht mehr zu den­ken. Und sie merk­te, dass sie sich im Haus nicht mehr si­cher füh­len wür­de, bis man die­sen Ein­bre­cher ge­fasst hat­te. Sie wür­de noch ein­mal mit Mar­kus spre­chen. Viel­leicht konn­te er eine Zeit­lang auf Dienst­rei­sen ver­zich­ten bis sie die­sen Kerl ge­fasst hat­ten.

»Was hat der Ein­bre­cher denn bei Ih­nen ge­stoh­len?« Die Stim­me von Knut Pe­ters riss sie aus ihren Ge­dan­ken.

»Ich ha­be noch nicht nach­se­hen kön­nen.« Sie ging zur Schub­la­de, in der sie ihr Bar­geld auf­ho­ben. Die Schub­la­de war leer. Sie öff­ne­te die an­de­ren Schub­la­den. Merk­wür­dig, der Ein­bre­cher hat­te zwar auch in den an­de­ren ge­sucht, aber an­schei­nend von vorn­her­ein rich­tig ver­mu­tet, dass in einer der Schub­la­den et­was zu fin­den sein muss­te. Wie viel Geld war drin ge­we­sen? 500 Euro? Viel­leicht et­was mehr. Mar­kus hat­te im­mer da­für ge­sorgt, dass sie ge­nü­gend Ba­res zu­hau­se hat­ten. Das hat­ten sie nun da­von.

»Dann soll­ten Sie wohl jetzt mal die Poli­zei an­ru­fen«, schlug Herr Pe­ters vor. »Ich kann dann schla­fen ge­hen. Zwei Mal in einer Nacht hat der Kerl noch nie zu­ge­schla­gen.« Er knips­te sei­ne Ta­schen­lam­pe an und ging durch die Ter­ras­sen­tür nach draußen.

Ca­ri­na schob den Fern­seh­ses­sel vor die Ter­ras­sen­tür, um sich zu­min­dest ein we­nig si­che­rer zu füh­len. Dann griff sie zu ihrem Tele­fon und rief die Poli­zei an.

***

»Mar­kus, kannst Du nicht so lan­ge, wie der Typ noch nicht ge­fasst ist, auf Dienst­rei­sen ver­zich­ten?« Ca­ri­na schau­te ihren Mann fle­hend an, als sie auf das The­ma zu spre­chen kam, dass sie seit dem Ein­bruch um­trieb. Sie hat­te ab­sicht­lich bis zum Wo­chen­en­de ge­war­tet, um mit ihrem Mann per­sön­lich und nicht am Tele­fon dar­über zu spre­chen.

»Wie stellst Du Dir das vor, Ca­ri­na? Ich kann mei­nen Job nicht schon wie­der kün­di­gen, wo ich ihn doch ge­ra­de erst an­ge­fan­gen ha­be. Außer­dem wur­de hier jetzt doch schon ein­ge­bro­chen. Der wird doch nicht so dreist sein und hier noch mal ein­stei­gen.«

»Das ist mir egal«, Ca­ri­na ant­wor­te­te hef­ti­ger als ge­plant. Sie woll­te nicht hys­te­risch wir­ken, aber der Ge­dan­ke, in der Wo­che wei­ter mit ihrem Sohn nachts al­lein hier im Haus zu blei­ben, ver­ur­sach­te Pa­nik in ihr. »Mar­kus, bit­te!«

Mar­kus sah sie an und spür­te, wie wich­tig es ihr war.

»Okay«, lenk­te er ein. »Ich ver­su­che, was ich tun kann. Viel­leicht kann ich ja erst ein­mal ein paar Wo­chen hier arbei­ten und wer weiß, bis da­hin ist der Kerl hin­ter Schloss und Rie­gel.«

Er nahm sei­ne Frau in den Arm.

»Oder«, füg­te er hin­zu, »Der Typ sucht sich eine an­de­re Sied­lung.«

Ca­ri­na sah ihn er­leich­tert an. Jetzt fühl­te sie sich deut­lich woh­ler.

***

In der dar­auf­fol­gen­den Wo­che wur­den die Strei­fen­gän­ge fort­ge­setzt. Auch Mar­kus hat­te sich dar­an be­tei­ligt und Er­folg ge­habt. Be­reits bei sei­nem ers­ten Ein­satz schnapp­te er Wil­ly Krö­ger, als die­ser durch den Gar­ten eines Nach­barn schlich. Mit lau­tem Triumph­ge­schrei alar­mier­te Mar­kus die üb­ri­gen Wäch­ter.

Wil­ly Krö­ger be­teu­er­te laut­stark sei­ne Un­schuld. Er sei nur durch den Gar­ten ge­schli­chen, weil er sei­ne Kat­ze ge­sucht hät­te, die seit Stun­den ver­schwun­den sei. Er ern­te­te nur skep­ti­sche Bli­cke, aber man ließ ihn erst mal zie­hen mit dem Hin­weis, dass man ihn im Au­ge be­hal­ten wür­de.

Vier Wo­chen hat­te es kei­nen neu­en Ein­bruch ge­ge­ben. Die Bür­ger­wehr hat­te die gan­ze Zeit ihre nächt­li­chen Strei­fen­gän­ge fort­ge­setzt, aber ganz of­fen­sicht­lich war es dem Ein­bre­cher zu heiß ge­wor­den. Es wur­de dis­ku­tiert, ob man die Ein­sät­ze fort­set­zen soll­te. Ei­ni­ge wa­ren da­für, an­de­ren da­gegen.

Einer­seits wa­ren die Haus­eigen­tü­mer froh, dass es kei­ne wei­te­ren Ein­brü­che ge­ge­ben hat­te. An­de­rer­seits war man ver­är­gert dar­über, den Ein­bre­cher nicht ding­fest ge­macht zu ha­ben.

Mar­kus, der sich an den nächt­li­chen Strei­fen­gän­gen be­tei­ligt hat­te, war da­für, die Bür­ger­wehr auf­zu­lö­sen. Ver­mut­lich sei es wohl doch Wil­ly Krö­ger ge­we­sen, dem man aber nichts nach­wei­sen konn­te. Aber er wä­re ver­mut­lich ku­riert und wür­de kei­ne wei­te­ren Ein­brü­che mehr wa­gen. So wur­de es dann auch be­schlos­sen. Die Bür­ger­wehr lös­te sich auf.

»Nun scheint der Spuk vor­bei zu sein.« Mar­kus nahm Ca­ri­na in den Arm und küss­te sie zärt­lich. Sie spür­te das Ge­fühl von Ge­bor­gen­heit, seit Mar­kus wie­der auch in der Wo­che zu­hau­se war.

»Ja, zum Glück«, er­wi­der­te sie er­leich­tert.

»Mein Chef hat mich ge­fragt, ob ich wie­der be­reit für Dienst­rei­sen bin«, be­gann Mar­kus vor­sich­tig. Sei­ne Frau sah ihn er­schro­cken an.

»Aber Mar­kus.« Plötz­lich war das Ge­fühl der Ge­bor­gen­heit weg. »Muss das wirk­lich sein?« Na­tür­lich hat­ten sie dar­über ge­spro­chen, dass das Gan­ze nur et­was für eine Zeit­lang sein soll­te. Aber Ca­ri­na hat­te ge­hofft, dass sie den Zeit­punkt noch et­was her­aus­zö­gern konn­ten, bis sie in der Wo­che wie­der mit Flo­rian al­lein sein muss­te.

»Ich schau mal, was ich tun kann, Ca­ri­na. Aber der Spuk ist doch vor­über.« Er lä­chel­te sie an und strich ihr be­ru­hi­gend über das Haar.

»Okay!« Ca­ri­na schluck­te tap­fer. Ir­gend­wie wür­de sie das schaf­fen und viel­leicht konn­ten sie ja noch mehr Ein­bruch­schutz in­stal­lie­ren.

***

Eine Wo­che spä­ter ver­ab­schie­de­te sich Mar­kus wie­der zu einer neu­en Dienst­rei­se. Ca­ri­na klam­mer­te sich an ihren Mann und ließ ihn nur un­gern zie­hen. Als sich die Tür hin­ter ihm schloss, hat­te sie das Ge­fühl, aus­ge­lie­fert zu sein. Sie ver­such­te, sich selbst zur Ord­nung zu ru­fen, aber das dum­me Ge­fühl blieb.

Die ers­te Nacht war furcht­bar. Vie­le Stun­den lag Ca­ri­na in ihrem Bett und lausch­te. Dum­mer­wei­se war es in die­ser Nacht auch noch reg­ne­risch und über­aus win­dig. Der Re­gen klopf­te an die Fens­ter­schei­ben und der Wind pfiff un­heim­lich um die Haus­ecken. An Ein­schla­fen war nicht zu den­ken. Ca­ri­na saß auf­recht im Bett und stell­te sich vor, wie ein mas­kier­ter Mann in ihr Haus ein­brach und die Trep­pe zu ihrem Zim­mer hoch­stieg.

Sie über­leg­te, ob sie ihren Mann an­ru­fen soll­te, aber der wür­de sie als hys­te­risch ab­stem­peln. Gegen mor­gen lie­ßen Re­gen und Wind nach und als es draußen däm­mer­te, konn­te Ca­ri­na sich end­lich ein we­nig ent­span­nen. Ob­wohl sie prak­tisch nicht ge­schla­fen hat­te, war sie er­leich­tert, als es end­lich Zeit zum Auf­ste­hen war und sie ihren Sohn we­cken konn­te, um ihn zur Kita zu brin­gen.

Als sie von der Kita zu­rück­kam, leg­te sie sich im Wohn­zim­mer aufs So­fa und war in­ner­halb kür­zes­ter Zeit fest ein­ge­schla­fen. Das Klin­geln des Tele­fons weck­te sie nach ei­ni­gen Stun­den und ver­schla­fen nahm sie den An­ruf ent­gegen.

»Hal­lo Schatz, wie war die ers­te Nacht oh­ne Dei­nen Be­schüt­zer?« Mar­kus fröh­li­che Stim­me half ihr, ei­ni­ger­ma­ßen schnell wie­der zu Be­wusst­sein zu kom­men.

»Außer dass es hef­tig ge­reg­net und ge­win­det hat, war es ganz okay.« Sie woll­te in kei­nem Fall zu­ge­ben, dass sie die Nacht ziem­lich ängst­lich zu­ge­bracht hat­te. Auch wenn sie sich nichts sehn­li­cher wünsch­te, als dass Mar­kus nachts bei ihr wä­re.

»Siehst Du«, be­ru­hig­te er sie. »Kein Grund, Pa­nik zu schie­ben.«

Er hat­te ja recht. Die nächs­te Nacht wür­de sie si­cher bes­ser schla­fen bzw. über­haupt schla­fen.

»Wie läuft’s bei Dir?« frag­te sie ihn, um das The­ma zu wech­seln.

»Na­ja, ich muss lang­sam erst wie­der auf Tou­ren kom­men nach der Aus­zeit, aber das passt schon. Bis Frei­tag!« be­en­de­te er das Ge­spräch.

Ca­ri­na leg­te ihr Smart­phone bei­sei­te und streck­te sich wie­der auf dem So­fa aus. Ja, an­schei­nend war der Spuk vor­bei. Nächs­te Nacht wür­de sie be­stimmt schla­fen.

***

Die rest­li­che Wo­che ver­lief ru­hig. Auch das Wet­ter be­ru­hig­te sich, so dass Ca­ri­na auch ge­nü­gend Schlaf be­kam. Als Mar­kus am Frei­tag­abend nach Hau­se kam, war schon bei­na­he wie­der Nor­ma­li­tät ein­ge­tre­ten. Aber Ca­ri­na war froh, ihren Mann zu­min­dest wie­der für drei Näch­te bei sich zu ha­ben. Sie ver­brach­ten ein har­mo­ni­sches Wo­chen­en­de zu­sam­men und unter­nah­men eine Ka­nu­tour mit ihrem Sohn.

Als Ca­ri­na ihren Mann am Mon­tag­mor­gen ver­ab­schie­de­te, freu­te sie sich be­reits auf das kom­men­de Wo­chen­en­de. Sie hat­ten be­schlos­sen, Sams­tag und Sonn­tag an der Ost­see zu ver­brin­gen. Mar­kus war da­von aus­ge­gan­gen, in der Wo­che einen grö­ße­ren Ab­schluss zu ma­chen, so dass sie es dann so rich­tig kra­chen las­sen konn­ten.

Mit Hoch­ge­fühl brach­te Ca­ri­na ihren Sohn in die Kita, um da­nach im Super­markt für die Wo­che ein­zu­kau­fen. An der Kas­se traf sie ihren Nach­barn, Knut Pe­ters.

»Hal­lo Frau Ba­den, wie geht´s?« Herr Pe­ters sah sie freund­lich an. Al­ler­dings sah er et­was über­näch­tigt aus.

»Sehr gut, Herr Pe­ters. Wir hat­ten ein tol­les Wo­chen­en­de und nächs­tes Wo­chen­en­de wol­len wir an der Ost­see ver­brin­gen.« Sie strahl­te ihn an.

»Gut, dass Sie das sa­gen.« Er sah sie ver­schwö­re­risch an. »Dann wer­den wir ein be­son­ders wach­sa­mes Au­ge auf Ihr Haus wer­fen.« Sei­ne Stim­me wur­de im­mer lei­ser. Ca­ri­na stutz­te.

»Wie mei­nen Sie das?« frag­te sie ihn ver­ständ­nis­los. Knut Pe­ters nahm sie bei­sei­te.

»Na, Sie wis­sen doch: die Bür­ger­wehr!« flüs­ter­te er.

»Ich ver­ste­he nicht.« Sie sah ihn ver­ständ­nis­los an. »Ich dach­te, die ist auf­ge­löst!« Was hat­te das zu be­deu­ten?

»Ja, of­fi­ziell. Of­fi­ziell ha­ben wir sie auf­ge­löst, aber …« Wie­der blick­te er sich um. »Wir sind uns si­cher, dass der Ein­bre­cher je­mand mit In­si­der­wis­sen ist. Ver­mut­lich ist es doch Wil­ly. Der fühlt sich nun si­cher. Und des­we­gen las­sen wir al­le im Glau­ben, dass wir nicht mehr Strei­fe lau­fen.« Stolz über ihren Schach­zug blick­te er Ca­ri­na an. Der lief ein Schau­er über den Rü­cken. War der Spuk doch noch nicht vor­bei?

»Ich dach­te«, be­gann sie, oh­ne den Satz zu be­en­den.

»Der Kerl wuss­te von der Bür­ger­wehr und hat des­halb ein paar Wo­chen Ru­he ge­ge­ben. Doch ich bin si­cher, das geht wie­der los.«

Oh nein, dach­te Ca­ri­na und das Hoch­ge­fühl, dass sie noch vor we­ni­gen Mi­nu­ten ge­habt hat­te, war wie weg­ge­fegt. Soll­te sie es Mar­kus mit­tei­len? Lieber nicht, sie woll­te ihn nicht mit ihren Ängs­ten kon­fron­tie­ren. Soll­te er sich lie­ber auf sei­nen Ab­schluss kon­zen­trie­ren.

***

Die nächs­ten Näch­te schlief sie wie­der schlecht. Das Ge­spräch mit Knut Pe­ters hat­te ihre Ängs­te wie­der neu ent­facht.

Am Don­ners­tag traf sie ihn er­neut beim Ein­kau­fen. Am liebs­ten wä­re sie ihm aus dem Weg ge­gan­gen, aber beim Aus­gang lief sie ihm di­rekt in die Ar­me.

»Geht es Ih­nen nicht gut? Sie se­hen aus, als ob sie seit Ta­gen nicht ge­schla­fen ha­ben«, be­merk­te er we­nig rück­sichts­voll. Ca­ri­na schüt­tel­te den Kopf.

»Nein, das ist schon okay.« Wo­bei, sie über­leg­te, ob sie ihm nicht lie­ber sa­gen soll­te, was er mit sei­ner Aus­sa­ge vom An­fang der Wo­che bei ihr an­ge­rich­tet hat­te.

»Um ehr­lich zu sein, Herr Pe­ters. Bis vor unse­rem letz­ten Ge­spräch war ich ganz ru­hig. Aber als Sie mir sag­ten, dass Sie da­von aus­ge­hen, dass der Ein­bre­cher …« Sie brach mit­ten im Satz ab.

»Ach, Frau Ba­den. Das woll­te ich wirk­lich nicht.« Er leg­te ihr be­ru­hi­gend sei­ne Hand auf die Schul­ter. »Sie brau­chen wirk­lich kei­ne Angst zu ha­ben. Wir ha­ben die nächt­li­che Strei­fe noch ein­mal ver­stärkt. Wenn der Kerl noch mal zu­schlägt, dann ha­ben wir ihn.« Er nick­te ihr auf­mun­ternd zu.

»Okay.« Ca­ri­na be­eil­te sich, Herrn Pe­ters los­zu­wer­den und ging nach Hau­se. Das Ge­spräch hat­te sie er­neut auf­ge­wühlt und sie stell­te sich auf wei­te­re un­ru­hi­ge Näch­te ein. Zum Glück wür­de Mar­kus mor­gen Abend zu­rück sein und dann wür­de sie erst ein­mal wie­der für drei Ta­ge Ru­he ha­ben.

Zu­hau­se an­ge­kom­men über­prüf­te sie noch ein­mal, ob al­le Si­cher­heits­maß­nah­men in Be­trieb wa­ren. Die Ter­ras­sen­tür hat­te ein neu­es Schloss und eine wei­te­re Ver­rie­ge­lung be­kom­men. »Ein­bruch­si­cher« wie ihr der Ver­käu­fer zu­si­cher­te. In der Ein­gangs­tür war jetzt eine zu­sätz­li­che Ket­te an­ge­bracht.

»Da fehlt nur noch die Selbst­schuss­an­la­ge«, war Mar­kus iro­ni­scher Kom­men­tar. Der hat­te gut re­den. Er muss­te die Näch­te ja nicht hier al­lein ver­brin­gen.

Sie koch­te sich einen Kräu­ter-Tee, um die nö­ti­ge Bett­schwe­re zu be­kom­men, nach­dem sie Flo­rian ins Bett ge­bracht hat­te. Dann ging sie selbst ins Bett. Sie nahm sich ein Buch zur Hand, eher leich­te Kost, um sich mü­de zu le­sen. Nach et­wa 20 Sei­ten Lek­tü­re hat­te sie den Ein­druck, jetzt schla­fen zu kön­nen und mach­te das Licht aus.

Sie war ge­ra­de da­bei ein­zu­dö­sen, als sie von draußen Stim­men hör­te. Ca­ri­na schreck­te hoch, stieg aus dem Bett und ging zum Fens­ter. Im Gar­ten des Nach­bar­hau­ses sah sie meh­re­re dunk­le Ge­stal­ten lau­fen.

»Halt, ste­hen­blei­ben«, hör­te sie eine Stim­me. Sie ver­mu­te­te die von Knut Pe­ters. Der Be­we­gungs­mel­der war an­ge­gan­gen und sie konn­te er­ken­nen, dass zwei Män­ner sich auf einen Flüch­ten­den stürz­ten und die­sen zu Bo­den ris­sen. Es ent­stand ein mensch­li­ches Knäu­el und plötz­lich sah sie, dass einer der bei­den Ver­fol­ger dem Flüch­ten­den et­was auf den Kopf schlug, so dass die­ser auf den Bo­den auf­schlug und re­gungs­los lie­gen­blieb.

»Ha­ben wir Dich end­lich«, hör­te sie Wer­ner Fi­scher, den zwei­ten Be­tei­lig­ten, sa­gen, wäh­rend Knut Pe­ters sich über den Be­wusst­lo­sen beug­te, um zu prü­fen, ob der noch at­me­te.

Ca­ri­na öff­ne­te das Fens­ter. Wer­ner Fi­scher und Knut Pe­ters blick­ten zu ihr hoch und ball­ten trium­phie­rend die Fäus­te.

»Frau Ba­den, der Spuk ist vor­bei. Wir ha­ben den Ein­bre­cher«, ver­kün­de­te er stolz. Der Ein­bre­cher lag im­mer noch re­gungs­los auf dem Bo­den. Knut Pe­ters dreh­te ihn um. Des­sen Ge­sicht war nicht zu er­ken­nen, denn er trug eine Strumpf­mas­ke. All­mäh­lich schien er zu Be­wusst­sein zu kom­men. Lang­sam reg­te er sich, nach wie vor be­nom­men. Fi­scher und Pe­ters hal­fen ihm, sich auf­zu­set­zen.

»Na, dann wol­len wir mal se­hen, wel­chen Vo­gel wir da ge­fan­gen ha­ben«, sag­te Pe­ters und pack­te die Strumpf­mas­ke. Der Mann ver­such­te, sich zu weh­ren, aber Fi­scher hielt ihn fest. Mit einem Ruck pack­te Pe­ters die Mas­ke und zog sie dem Ein­bre­cher vom Kopf. Als sie ent­deck­ten, wen sie da ge­fan­gen hat­ten, stie­ßen sie einen über­rasch­ten Ruf aus.

***

Fas­sungs­los sah Ca­ri­na ihren Mann Mar­kus zwi­schen Fi­scher und Pe­ters sit­zen. Das konn­te doch nur eine Ver­wechs­lung sein. Mar­kus war doch auf Dienst­rei­se. Nur ganz lang­sam drang ihr ins Be­wusst­sein, was im­mer mehr zur Rea­li­tät wur­de. Ihr eige­ner Ehe­mann war der Ein­bre­cher. Er war nicht auf Dienst­rei­se, son­dern hat­te die­se als Aus­re­de be­nutzt, um in Ru­he sei­ne Ein­brü­che zu ver­üben. Da­her auch das plötz­li­che Geld. Und in den letz­ten Wo­chen hat­te es kei­ne Ein­brü­che ge­ge­ben, weil er nicht auf ’Dienst­rei­se’ war. Er hat­te nicht da­mit ge­rech­net, dass die Bür­ger­wehr noch Strei­fe lief, denn er hat­te ja selbst für die Ab­schaf­fung ge­sorgt.

Wort­los schloss sie das Fens­ter. Die Ein­bruchs­se­rie war vor­bei. Und auch wenn Mar­kus nicht neben ihr lie­gen wür­de, heu­te wür­de sie ru­hig schla­fen kön­nen. Mon­tag wür­de sie dann zum An­walt ge­hen. Mar­kus wür­de si­cher einen be­nö­ti­gen – zur Ver­tei­di­gung. Und sie auch – für die Schei­dung. Mit die­sem Ge­dan­ken schlief sie ein und wach­te erst auf, als Flo­rian vor ihrem Bett stand und frag­te, ob heu­te kei­ne Kita wä­re. Ca­ri­na nahm ihn in den Arm und drück­te ihn ganz fest an sich.

Saturn

Rosario Chriss

Ein ste­chen­der Schmerz er­schüt­tert Da­ni­lo Bo­brow. Er fasst sich auf sein Schul­ter­blatt. In der Ja­cke klafft ein Loch. Die­sem folgt er mit dem Fin­ger, es geht bis in sei­ne Haut. Als er die Hand wie­der vor Au­gen hält, ist sie rot vor Blut.

Er­schro­cken fährt er her­um. Dort ist nie­mand. Die Stra­ße ist men­schen­leer, nachts um halb drei.

Er will es nicht glau­ben, geht wei­ter, und stürzt. Mit bei­den Hän­den hält er sei­nen bren­nen­den Ober­schen­kel. Fas­sungs­los starrt er erst auf das Ein­schuss- und Aus­schlag­loch der zwei­ten Ku­gel, dann er­neut die Fal­ken­stra­ße ent­lang. Wer in Hen­kers Na­men schießt auf ihn?

To­des­angst mo­bi­li­siert sei­ne Kräf­te. Er stemmt sich hoch und hum­pelt wei­ter. Die Ku­geln drei und vier drin­gen in schnel­ler Fol­ge auf Hö­he der Len­den in sei­nen Kör­per ein.

Fünf­zig Me­ter noch, dann ist er an der Ecke zum »Lin­de­ner Markt«. Ein­mal rechts ab und der drit­te Ein­gang, das ist sein Zu­hau­se.

Vier­zig Me­ter.

Drei­ßig Me­ter.

Die fünf­te Ku­gel dringt von hin­ten in sein Herz.

***

Haupt­kom­mis­sa­rin Ute Jas­ke­witsch liegt auf ihrem Bett. Die Zu­de­cke ist bei­sei­te­ge­scho­ben, die Nacht­tisch­lam­pe noch nicht ge­löscht. Ein Schau­der nach dem nächs­ten schüt­telt ihren Kör­per durch. Sie ist glück­lich und ge­nießt es, wie ihre Af­fä­re Marc Höp­pner mit sei­nem Zei­ge­fin­ger zärt­lich die Li­nien ihres Tat­toos ab­fährt. Die­ses ist aus­la­dend und far­ben­präch­tig.

Von ihrer lin­ken Hüf­te über ihr Be­cken bis auf den An­fang ihres Ober­schen­kels zie­hen sich gro­ße, blaue Vo­gel­fe­dern, die ein haut­far­be­nes Herz in ihrer Spit­ze tra­gen. Aus den Fe­dern er­wächst eine gol­de­ne Ran­ke, die in der Mit­te des Rü­ckens eine wun­der­schö­ne Ro­se trägt. Vom lin­ken Schul­ter­blatt flie­ßen die ge­öff­ne­ten Schwin­gen des Para­dies­vo­gels über den obe­ren Rü­cken. Blau im Zen­trum, rot an den Spit­zen. Dar­über, wie­der unter gol­de­nen Ran­ken, eine Blu­me, hüb­scher als al­les auf der Welt.

Da wird das ge­nuss­vol­le Schnur­ren der nack­ten Frau durch das lau­te Träl­lern des Lie­des »Mes­sage in a Bott­le« über­tönt. Zu­dem macht Ute Jas­ke­witschs Smart­phone mit dem weiß­blau­en Licht des Dis­plays auf sich auf­merk­sam. Mit einem lei­sen Fluch auf den Lip­pen robbt die Haupt­kom­mis­sa­rin über den Kör­per des mitt­ler­wei­le auf dem Rü­cken lie­gen­den Man­nes, um nach dem Ru­he­stö­rer zu grei­fen.

Es fühlt sich gut an, dia­go­nal auf dem nack­ten Mann zu lie­gen und zu spü­ren, wie ihr Bu­sen zwi­schen den bei­den Kör­pern zu­sam­men­ge­drückt wird. Des­halb nimmt sie das Ge­spräch nur wi­der­wil­lig an.

»Ein To­ter in Lin­den«, brum­melt Ute Jas­ke­witsch, schnippt das Han­dy wie­der auf den Tisch, legt sich der Län­ge nach auf ihrem Lieb­ha­ber und mo­ti­viert ihn zu einem wei­te­ren se­xuel­len En­ga­ge­ment. Schließ­lich hat sie nicht oft Her­ren­be­su­che.

Eine vier­tel Stun­de spä­ter huscht sie ins Bad, wäh­rend sich ihr Lo­ver den Ba­de­man­tel über­zieht und in der Kü­che einen Kaf­fee kocht.

Als sie mit einem Kaf­fee­be­cher in der Hand und die Dienst­ja­cke schon an­ge­zo­gen vor ihm steht, reißt die­ser ein Kü­chen­papier von der Rol­le und be­tupft da­mit ihre lin­ke Lid­fal­te. »Da ist et­was Mas­ca­ra da­ne­ben­ge­gan­gen«, er­klärt er warm­her­zig sein Han­deln.

»Scha­de, dass du schon ver­ge­ben bist, Marc. Wir wür­den pri­ma zu­sam­men­pas­sen.« Ute Jas­ke­witsch löst ihre Um­ar­mung, gibt ihrem Freund einen Ab­schieds­kuss und eilt hin­aus. Im Trep­pen­haus zieht sich ihr Herz bei dem Ge­dan­ken zu­sam­men, nach­her ihren Zweit­schlüs­sel im Brief­kas­ten und die Woh­nung wie­der leer vor­zu­fin­den.

***

Poli­zei­kom­mis­sar Cem Sa­hin hebt das blau­wei­ße Ab­sperr­band, um sei­ne Vor­ge­setz­te durch­zu­las­sen. »Es sieht so aus, als hät­te je­mand nur zum Spaß eine Jagd ver­an­stal­tet«, ver­sorgt er die Haupt­kom­mis­sa­rin mit den ers­ten In­for­ma­tio­nen. »Über fünf­zig Me­ter konn­te sich das Op­fer vom ers­ten bis zum fünf­ten und letz­ten Schuss vor­wärts­schlep­pen.«

»Da muss ja einer mäch­tig Spaß ha­ben, sei­nem Op­fer beim Ster­ben zu­zu­se­hen«, schluss­fol­gert die klei­ne Frau zy­nisch, wäh­rend ihre Au­gen blitz­schnell den Tat­ort in­spi­zie­ren.

»Ein Psy­cho­path, der be­dürf­tig ist, Men­schen zu quä­len, um sei­ne All­macht­fan­ta­sien real wer­den zu las­sen?« Auf­merk­sam mus­tert Cem Sa­hin die Haupt­kom­mis­sa­rin, wie sie sei­ne ers­te The­se auf­neh­men wür­de.

»Psy­cho­lo­gi­sche Tä­ter­pro­fi­le sind Mär­chen aus dem Fern­se­hen. Wir müs­sen uns auf die Kri­mi­na­lis­tik stüt­zen, Herr Sa­hin. Wir zie­hen unse­re Schlüs­se aus kri­mi­na­lis­ti­schen Er­kennt­nis­sen, Spu­ren am Tat­ort und den Um­stän­den der Straf­tat. Von al­le­dem wis­sen wir zu die­sem Zeit­punkt noch nicht viel.

Ich könn­te auch sa­gen, wer so di­let­tan­tisch schießt, kann nur eine Per­son aus dem nä­he­ren Um­feld des To­ten sein, der sich be­tro­gen fühl­te und im Suff auf die Idee kam, Clint East­wood zu spie­len.«

Cem Sa­hin räus­pert sich. Sonst ist die Haupt­kom­mis­sa­rin nicht so kri­tisch gegen ers­te Ein­schät­zun­gen. Auf­merk­sam fi­xiert er das Ge­sicht der Frau mit den brau­nen Lo­cken. Es sieht mäch­tig über­näch­tigt aus. »Wie geht es eigent­lich Herrn Höp­pner?«, sti­chelt er vor­sich­tig, um sei­ne Vor­ge­setz­te zu war­nen, nicht re­spekt­los mit ihren Mit­arbei­tern um­zu­ge­hen.

»Hm«, grum­melt die An­ge­spro­che­ne und zeigt mit­tels einer Kopf­be­we­gung zur Volks­bank an der Ecke Fal­ken­stra­ße / Ja­cobs­stra­ße. Ihr Pri­vat­le­ben geht nie­man­den et­was an.

»Die Bank­di­rek­tion hat schon je­man­den los­ge­schickt. In Kür­ze kön­nen wir uns die Vi­deo­bän­der an­sehen. – Auch die von der Kreu­zung am Lin­de­ner Markt«, er­läu­tert Poli­zei­kom­mis­sar Sa­hin.

»Sonst kei­ne Zeu­gen?« Ute Jas­ke­witsch misst die bei­den Häu­ser­zei­len ab. Ge­fühlt brennt hin­ter je­dem Fens­ter Licht.

»Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen ge­hen von Haus zu Haus. Es ist je­doch da­von aus­zu­ge­hen, dass sich zum Zeit­punkt des Mor­des kaum je­mand die Nacht an­ge­se­hen hat.«

»Dem­nach ist der To­des­zeit­punkt zwi­schen ein und drei Uhr nachts? Wer hat ihn ge­fun­den?« Ute Jas­ke­witsch zieht sich die wei­ßen Plas­tik­hand­schu­he über, schlüpft in die blau­en Schuh­über­zie­her und geht zum leit­en­den­den Kol­le­gen der Spu­ren­si­che­rung, der neben der Lei­che kniet.

Cem Sa­hin weist mit dem Dau­men zu einem Ta­xi, das hin­ter ihm auf der an­de­ren Stra­ßen­sei­te steht. Die­sen Zeu­gen wür­de sie spä­ter be­fra­gen. Wich­ti­ger ist ihr, Ein­zel­hei­ten zu den Schüs­sen zu be­kom­men.

»War es eine Waf­fe, Herr Born?«, be­grüßt sie den Mann im wei­ßen Kunst­stoff­over­all.

»Vier Pro­jek­ti­le ha­ben wir bis­her si­cher ge­stellt. Al­le das glei­che Ka­li­ber. Ge­nau­eres gibt es erst nach der KTU«, ant­wor­tet der Mann höf­lich, er­hebt sich von sei­nen Kni­en und reckt den Kopf hin und her, als wä­re ein Wir­bel aus sei­ner Posi­tion ge­rutscht und müss­te wie­der ein­ge­renkt wer­den. »Was an­de­res ist aber hoch­in­ter­es­sant, Frau Jas­ke­witsch.«