Fionrirs Reise - Andreas Arnold - E-Book

Fionrirs Reise E-Book

Andreas Arnold

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Beschreibung

Fionrir ist ein junger Drache. Auf seinen siebten Geburtstag freut er sich, wie jeder kleine Drache, ganz besonders. Denn danach wird er wie ein Erwachsener behandelt werden. Was ihm dann aber zum Geschenk gemacht wird, verändert seine Welt. Der junge Drache Fionrir startet in der Nacht nach seinem Geburtstag in das bis dahin größte Abenteuer seines Lebens. Auf seiner Reise muss er sich gegen die Intrigen eines windigen Wanderkrämers behaupten, der ihm sein Geschenk abspenstig machen will, Drachenjäger sind auf der Suche nach ihm und auch in Fio selbst gehen merkwürdige Dinge vor. "Warum vermag ich plötzlich mit Tieren zu sprechen?", "Wem kann ich trauen?" und "Wer steckt hinter dem großen Drachenschatten, der mir folgt?", sind nur einige der Fragen, die ihn begleiten. Unterwegs schließt er Freundschaften und kann sich im Laufe seiner Reise auf das wohl ungewöhnlichste Rudel verlassen, das seine Welt je gesehen hat. Ein Buch für Zuhörer ab etwa acht und Selbstleser ab etwa zehn Jahren, ebenso für Erwachsene jeden Alters, die ihren Kindern gerne vorlesen oder die selbst einfach Freude an einer Fabel von Drachen, Menschen und anderen phantastischen Tieren haben. Mit 27 zauberhaften s/w-Illustrationen von Norman Heiskel.

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Seitenzahl: 341

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Andreas Arnold

 

FIONRIRS REISE

 

Roman

Reimheim-Verlag

 

© 2019 Reimheim-Verlag Thorsten Zeller,

61169 Friedberg

http://www.reimheim-verlag.de

Umschlagbild und Illustrationen: Norman Heiskel

eBook-ISBN: 9783-945532805

Die gedruckte Ausgabe zu diesem eBook „Fionrirs Reise“ ist ebenfalls im Reimheim-Verlag erschienen und überall im Buchhandel erhältlich unter ISBN 9783-945532102

Ebenfalls von Andreas Arnold im Reimheim-Verlag erschienen und überall im Handel erhältlich:

„Fionrirs Reise geht weiter“

Fionrirs Reise Band II

ISBN 9783-945532225

„Fionrirs Reise ins Tal der Drachen“

Fionrirs Reise Band III

ISBN 9783-945532331

Besucht Fio auf seiner Homepage:

www.fionrirs-reise.de

Dramatis Personae

DrachenFionrir ist ein junger feuerspeiender Bergdrache. Auf seinen siebten Geburtstag freut er sich, wie jeder kleine Drache, ganz besonders, denn danach wird er wie ein Erwachsener behandelt werden. Was ihm dann aber zum Geschenk gemacht wird, verändert seine Welt.

Midga, Fios Mama, Feuerdrachin Taras, Fios Papa, Bergdrache Tanina, Fios Schwester Derko, Fios Bruder Sirrusch, Fios Opa, Feuerdrache Davud, Fios Cousin, fliegender Riesendrache Pamusch, Fios Urahn, der legendäre Drachenkönig

Menschen Quirina, eine junge Prinzessin Leontin, Quirinas Vater, König von Lindheim Anna, Quirinas Mutter, Königin Mirka, wohnt mit Fios Familie zusammen Wilko, Mirkas Gefährte Raedwolf, ein Jäger aus dem Dorf Fichtingen Hunbert, noch ein Jäger aus dem Dorf Fichtingen Helimar, ein alter Schäfer aus Holzheim Bertram, der Schneider Holzheims Aigolf, ein windiger Wanderkrämer Clewin, ein Wilderer Wenzel, noch ein Wilderer Elgar, auch ein Wilderer? Der Korsar, ein Piratenkapitän Bartusch, königlicher Wildhüter Henschel, königlicher Wildhüter Bearnard, ein Dorfältester Enndlin, Führerin der Drachenjäger Lienhard, ein Drachenjäger Sewolt, auch ein Drachenjäger

Andere Tiere Finris, Wolf, Rudelführer Kwon, Finris Bruderwolf Canina, Finris Tochterwolf Jutz, ein Uhu Silfur, ein Riesenhase Ruben, ein Esel Lucia, eine Pferdedame Agnes, eine weitere Pferdedame

Die MacherAndreas Arnold, geb. 1976, ist seit seiner Jugend Lyriker, seit 2003 Vater zweier Kinder und seit 2011 Performance-Poet sowie Veranstalter. Er ist an mehreren Büchern mit Kurzgeschichten und Gedichten als Autor und Herausgeber beteiligt. Die drei Bände von Fionrirs Reise sind seine ersten Romane.

Norman Heiskel, Jahrgang 1972, ist Auftragszeichner mit langjähriger Erfahrung. „Fionrirs Reise“ ist seine erste Buchillustration. Dabei gab er der Figur des jungen Drachen ein einzigartiges, bezauberndes Erscheinungsbild.

Andreas, Norman und Fio freuen sich über Zuschriften zu „Fionrirs Reise“ per Email an [email protected] oder über https://www.fionrirsreise.de

Danksagungen

Mein Dank gilt zuvorderst meinem Freund und Verleger, Thorsten Zeller, ohne dessen wertvolle Tipps und gestalterische Erfahrung dieses Buch vermutlich nie die Form eines Buches bekommen hätte.

Ein weiterer Dank gilt Thomas Wahl, ohne dessen Gespräch mit Norman Heiskel „Fionrirs Reise“ vermutlich nie illustriert worden wäre. Ich bin sehr froh darüber.

Als letztes, aber nicht zuletzt, gilt Dank jenen wertvollen Menschen, die „Fionrirs Reise“ in unterschiedlichen Stadien komplett lasen und mich darin unterstützten, Fios Weg von möglichst vielen logischen, grammatikalischen und orthographischen Stolpersteinen zu befreien: Regina Beatrix Rumpel, Dr. Carolin Völker, Nicolas Fandrey, Sandrine Heiskel-Engel, Stephanie Kässmayer und Katharina Rambeaud. Schließlich ist Fios Weg schon von ausreichend Hindernissen bestimmt.

FIONRIRS REISE

 

Für meine Kinder

Lea Darleen und Tom Noah

 

Dein Leseweg (Inhaltsverzeichnis)

Dramatis Personae

Fionrirs Reiseweg

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fionrirs Reiseweg

Erstes Kapitel

Am Geburtstagsmorgen

F

ionrir lag ganz still und starrte mit offenen Augen an die Decke. Er war schon früh aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen. Doch war er keineswegs verärgert deswegen. Seine Mundwinkel umspielte vielmehr ein Lächeln, denn heute war sein Geburtstag. Er konnte es kaum abwarten, aufzustehen und das Geschenk seiner Eltern zu bekommen. Doch bevor die Sonne nicht aufgegangen war, durfte er nicht in die große Halle kommen, in der seine Eltern bereits damit beschäftigt waren, seinen Geburtstagstisch vorzubereiten. Er war sehr aufgeregt, denn heute war nicht irgendein Geburtstag. Fionrir würde heute in die Erwachsenenwelt eingeführt werden. Natürlich war er noch ein Kind, doch nach dem heutigen Tage würde ihn niemand mehr wie ein Kind behandeln. Was genau passieren würde, wusste er nicht. Was er wusste, war, dass nach dem heutigen Tage alles anders sein würde.

Mit glänzenden Augen schaute er auf das knisternde Kaminfeuer, das seinen Schlafraum so angenehm warmhielt, und horchte angestrengt, ob sich nicht doch verräterische Geräusche der Vorbereitungen seiner Eltern vernehmen ließen. Ein Knacken drang ihm in die Ohren. Kam das von außerhalb der Tür oder kam es aus dem Kamin? Die Flammen des Feuers leckten gerade nach dem frischen Scheit, den Fionrir in die Glut gelegt hatte, als er wach geworden war.

Es war ein kalter Winter. Der kälteste, an den er sich erinnern konnte. Funken flogen vom Holzscheit und sprangen gegen die Rückwand des rußgeschwärzten Kamins. Fionrir genoss die Wärme, die das Feuer auf ihn abstrahlte, und kuschelte sich tief in seine Decke. Es war seine Lieblingsdecke. Fionrir hatte sie zu seinem letzten Geburtstag von seiner Mutter geschenkt bekommen. Der Schäfer aus dem Dorf hatte ihr zahlreiche seiner schönsten Schafe dafür gegeben und der Kürschner hatte die wohl zarteste und kuscheligste Decke daraus gefertigt, die man sich vorstellen kann. Sie war so weiß, dass es einen blendete, wenn die frühe Morgensonne darauf fiel, und so weich, dass Fionrir sich fühlte, als sei er selbst ein Schaf. Ein recht großes allerdings. Fionrir stellte sich vor, wie er mit der Decke fest um sich geschlungen durch den Schnee stapfte und keiner würde ihn sehen können, weil er mit dem Weiß der Umgebung verschmolzen wäre. Er malte sich aus, wie er sich schleichend zwischen eine Schafsherde schmuggelte. Die Schafe um ihn herum blökten aufgeregt, aber dächten letztlich, er sei einer von ihnen. Dann käme vielleicht ein Wolf. Oder sogar ein ganzes Rudel, um Schafe zu reißen. Sie schlichen sich an ihn heran und umkreisten ihn, bis der große graue Leitwolf auf Fionrir zuspränge. Sofort würfe Fionrir das Schafsfell ab und die großen Augen des Wolfs würden sich vor Schreck und Angst weiten. Alle Wölfe nähmen sofort Reißaus und der jaulende Leitwolf kopflos hintendran. Die Schafe aber würden sich an ihn schmiegen. Fionrir, der Retter mit einem wehenden Umhang aus Schafsfell, zwischen all den glücklichen und geborgenen Schafen mit ihrem Schafsfell. Zwar irritierte es Fio stets ein wenig, dass er in seinen Tagträumen einen Umhang trug, für den gerade die Tiere geopfert werden mussten, die er vor den Wölfen immer wieder rettete, doch seine Heldengeschichte wollte er sich davon nicht verderben lassen.

Plötzlich kam ein Zischen aus dem Kamin und es wurde dunkel. Ein kalter Hauch zog durch sein Zimmer. Fionrir tastete sich vorsichtig vor. Mit seinen Händen fühlte er nach den Holzscheiten. Sie waren feucht. Schnee musste in den Schlot gefallen sein und die Flammen gelöscht haben, bevor sie im frischen Scheit genug Nahrung gefunden hatten. Fionrir hielt das Holzscheit vor sein Gesicht und pustete. Nur ganz sachte. Eine kleine hellrote Flamme fauchte leise hervor und erfasste das Holz für einige Sekunden, bis es von innen zu glühen begann. Fionrir legte es zurück in den Kamin und schichtete zwei weitere Scheite auf, die sogleich von den Flammen umspielt wurden.

Jetzt fragt ihr euch bestimmt, weshalb Fionrir Flammen pusten kann? Vielleicht war es euch aber auch schon merkwürdig erschienen, dass ein ganzes Wolfsrudel vor ihm flüchten sollte oder dass er eine Decke besaß, die aus so vielen Schafsfellen gefertigt wurde. Und natürlich habt ihr Recht mit eurer Vermutung. Fionrir war natürlich kein kleiner Menschenjunge. Er war ein Drachenkind. Genauer gesagt war Fionrir ein grünhäutiger Bergdrache. Trotz der einundfünfzig Jahre, die vergangen waren, seit er aus seinem Ei geschlüpft war, entsprach Fionrir in der Welt der Drachen noch einem Kind. Ihr müsst wissen, dass Drachen sehr, sehr alt werden können. Wäre er ein Mensch, könntet ihr ihn euch als siebenjährigen Jungen vorstellen. Als einen sehr großen Jungen allerdings, denn Fionrir wog bereits fast zweihundert Kilogramm, so viel wie zwei große Menschen. Von seinem breiten Maul bis zu seiner Schwanzspitze maß er fast so viel wie zwei Erwachsene übereinander und auch sein Körper war doppelt so breit wie der eines Erwachsenen. Stellt euch vor, ihr wärt der Leitwolf aus Fionrirs Tagtraum und stürmtet auf ein riesiges Schaf zu, das plötzlich sein Fell abwürfe und sich in einen blaugrünen Drachen verwandelte, dessen mit vierzig messerscharfen Zähnen bewehrtes Maul auf euch wartete. Bestimmt wärt ihr auch so schnell gerannt wie noch nie in eurem Leben.

„Fionrir!“, rief seine Mutter. Fio sprang sofort auf und rannte zur großen Holztür, die seine Kinderhöhle von der großen Wohnhöhle trennte. Der riesige Kamin brannte bereits. Sein großes Feuer erhellte den massigen Esstisch, der inmitten der Wohnhöhle stand. Er war so lang wie fünf Tische hintereinander und so breit wie drei nebeneinander. Und das war auch nötig, schließlich war Fionrirs Mutter so lang und schwer wie drei Kühe. Sie stand zusammen mit Fionrirs Vater, der sogar noch ein ganzes Stück größer war als seine Mutter, neben dem gedeckten Tisch, auf dem alle Lieblingsspeisen Fionrirs für sein Geburtstagsessen bereitstanden. Auf allen Vieren rannte er auf seine Eltern zu und sprang sie voller Freude an. Sie schlossen ihn in ihre langen und schweren Arme und sein Vater breitete seine Flügel um Fionrir und dessen Mutter.

„Alles Gute zu deinem Geburtstag, mein kleiner Fio!“, sagte sein Vater und streifte ihm mit seiner Pranke liebevoll über die kleinen Hornplatten, die an seinem Kopf begannen und bis zu seinem Schwanz reichten. Die Platten legten sich kurz zur Seite und richteten sich sofort wieder auf. Seine Mutter gab Fio einen dicken Kuss auf die Stirn.

„Alles Liebe und Gute, mein Schatz!“, sagte sie.

Fionrir strahlte seine Eltern glücklich an. Zwischen ihnen eröffnete sich der Blick auf den reich gedeckten Esstisch. Er sah einen Wildschweinbraten, einen Bärenbraten, mehrere Schafs- und Ziegenbraten und als er zum großen Kamin blickte, entdeckte er einen Ochsenbraten, der vor sich hin briet. Dazu gab es ganze Wannen voller gebratener Kartoffeln und gedünsteter Gemüsesorten: Blumenkohl, Brokkoli, Möhren und auch Rosenkohl, Fionrirs Lieblingsgemüse. Wilko und Mirka, die beiden Menschen, die für Fionrirs Eltern in der Höhle arbeiteten, seit Fio sich entsinnen konnte, schoben einen Servierwagen herein, auf dem das größte gebackene Brot lag, das Fionrir je gesehen hatte. Der Geruch frisch gebackenen Teigs stieg in seine Nüstern und ließ ihm das Wasser im Maul zusammenlaufen. Sanft löste er sich aus der Umarmung seiner Eltern und stakste langsam auf den Tisch zu. Fionrir schnupperte und sog all die köstlichen Gerüche ein, bis er sich an seinem Platz befand. Er setzte sich auf einen großen behauenen Felsbrocken, der ihm als Stuhl diente. Drei Stufen waren in ihn eingeschlagen, sodass Fio ihn erklimmen konnte. Schließlich war es ein Kinderstuhl. Der Tisch war so hoch, dass er einen erwachsenen Mann überragte. Sein Schwanz hing über dem Felsenstuhl und schwang aufgeregt hin und her. Auch Fios Eltern hatten sich gesetzt. Sie saßen wie immer an den schmalen Enden der Tafel und Fionrir an der breiten Seite mit Blick auf den großen Kamin. Vor ihm lag sein erdfarbener Teller, der so groß war wie ein Autoreifen. In der Mitte war ein großes F eingebrannt. Im Teller seiner Mutter war ein M für Midga und in dem seines Vaters ein T für Taras zu sehen. Natürlich waren deren Teller mehr als doppelt so groß. Schließlich waren es Teller für Erwachsene. Fionrir hatte sie zusammen mit Wilko für seine Eltern zum Midgardfest gefertigt. Vielmehr hatte er eigentlich nur zwei für seine Eltern gebrannt und Wilko hatte ihn zum Fest damit überrascht, dass er und seine Frau Mirka ihm auch einen in der gleichen Art mit dem Anfangsbuchstaben seines Namens schenkten.

Wilko und Mirka standen auf breiten Tritten und schoben das große Brot auf den Tisch. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Fio“, sagte Mirka und wünschte allen einen guten Appetit, bevor sie wieder in die Küchenhöhle ging. Auch Wilko gratulierte Fio, bevor er wieder an den Kamin ging, um den Ochsenbraten weiterzudrehen. Dabei fuhr er sich nach jeder Drehung durch die vollen schwarzen Haare und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. An dem offenen Kamin war es natürlich sehr warm. Insbesondere dann, wenn man einen so schweren Braten am Spieß drehen musste. Doch Wilko wie auch Mirka hatten, gemessen an anderen Menschen, sehr viel Kraft und Ausdauer.

„Nun“, sagte Fios Vater, „danken wir Jormungand für diesen reich gedeckten Tisch und für einen so wundervollen Sohn wie dich. Und jetzt genieße dein Geburtstagsessen. Heute ist ein wichtiger Tag und du musst Kraft tanken.“

Fio und seine Mutter falteten ihre Pranken kurz zum Gebet und nahmen sich sogleich die ersten Speisen. Fio belud seinen Teller mit einem gebratenen Ziegenschenkel und einer Wildschweinkeule. Der Duft nach geröstetem Rosmarin und köstliches Wacholderaroma stiegen ihm in die Nase und ließen ihm erneut das Wasser im Maul zusammenlaufen. Sein Vater schaufelte ihm mit einer großen Kelle einen beachtlichen Haufen Rosenkohl auf den Teller. Fio lächelte ihn glücklich an. Gemeinsam aßen sie. Fio seine gebratenen Schenkel, Fios Mutter etwas Wildschwein und etwas Schaf und Fios Vater hatte fast die Hälfte des Bärenbratens in seinen Fängen. Das Bratenstück war viel größer als der Teller. Fios Mutter schaute kopfschüttelnd zu ihm herüber, aber sie lächelte. Als sie Fio wieder anschaute, zwinkerte sie ihm zu und zuckte mit den Schultern. Fio war sehr stolz auf seinen Vater. Er war der stärkste Drache, den er sich vorstellen konnte. Während er das Bratenstück, das bestimmt so schwer wie ein erwachsener Mensch war, mit seinen großen Pranken zum Maul führte, bewunderte Fio seine langen Krallen, die sich fest in das Fleisch gegraben hatten. Mit jeder Drehung des Bratens beobachtete Fio, wie sich die Muskeln seines Vaters unter der dunkelgrünen Haut bewegten. Fio freute sich darauf, eines Tages vielleicht genauso groß und stark wie sein Vater zu werden. Taras schlug seine armlangen Fangzähne in das Bärenfleisch. Knirschend zerbarsten die Knochen, als seien sie nur aus Zwieback. Fio schnappte sich sofort seine Ziegenkeule und tat es seinem Vater nach. Der Schenkelknochen knirschte, doch bis er durch war, musste er ganz schön viel Kraft aufwenden. Mit einem lauten Krachen brach er dann zwischen seinen Kiefern entzwei. Sein Vater nickte ihm anerkennend zu, während er ein Bärenrippchen aus einer Zahnlücke zog, und Fio lächelte stolz.

Mirka brachte eine riesige Glaskaraffe auf einem Servierwagen herein, in der sich frisches Felsquellwasser befand. Sie fuhr den Wagen an den Tisch, wo Midga die Karaffe entgegennahm und damit die großen Steingutbecher vollschenkte. Fionrir, der den Mund noch voller Braten, Rosenkohl und Kartoffeln hatte, nahm einen gierigen Schluck und wurde sofort von seiner Mutter getadelt. „Fio, iss nicht so hastig, sonst verschluckst du dich noch!“

Sein Vater zwinkerte ihm zu und Fio sagte: „Ja, Entschuldigung, Mama.“ Als seine Mutter wegschaute, um die wertvolle Karaffe wieder abzustellen, zwinkerte Fio zurück.

Gemeinsam aßen und tranken sie, bis der ganze Tisch fast leer war. Von dem Ochsen waren nur die Knochen übrig geblieben. Und auch nur die großen. Die kleinen hatte Fios Vater, begleitet von lautem Krachen und Knacksen, mitgegessen. Drachen, müsst ihr wissen, essen nur ein- oder zweimal pro Woche und lassen deshalb nie Reste. Im Sommer oder wenn sie sich viel bewegen, dann essen sie natürlich auch öfter, doch im Winter reicht ein ausgiebiges wöchentliches Mahl.

Als dann auch Fios Vater die letzten Stücke auf seinem Teller mit einem großen Stück Brot aufgeklaubt und gegessen hatte, begannen Wilko und Mirka, den Tisch abzuräumen. Dazu hatten sie kleine Leitern daran gestellt und luden zu zweit die leeren Teller, Schalen und Platten auf große Servierwagen. Fios Mutter half beim Abräumen, indem sie die schwersten Geschirrstücke selbst in die Küchenhöhle trug. Für Menschen wären sie unzumutbar schwer gewesen. Fios Vater baute den Grillspieß ab und Fio beobachtete alle, während er aufgeregt auf seinem Sitzfelsen hin und her rutschte. Er wusste, dass jetzt gleich die Geschenke kommen würden. So war es jeden Geburtstag. Er stand beim ersten Sonnenstrahl, der durch die kleine Felsspalte an seiner Höhlendecke drang, auf, aß sein Geburtstagsmahl und wurde von seinen Eltern beschenkt.

Fio war sehr unruhig und gespannt. Nicht nur, da es sein siebter Drachengeburtstag war. Auch weil der Drachenkalender nicht so ist wie unserer. Ein Drachenjahr entspricht etwas mehr als sieben Menschenjahren. Bestimmt wärt ihr auch ungeduldig, wenn ihr nur alle sieben Jahre ein Geburtstagsfest hättet und beschenkt würdet. Aber da Drachen sehr alt werden, ist es ja nur logisch, dass sie einen anderen Kalender haben müssen und Lebensjahre anders zählen. Stellt euch vor, ihr hättet jeden Monat Geburtstag. Irgendwann würde es wahrscheinlich langweilig werden. Und nach einigen Jahren könntet ihr vermutlich gar nicht mehr so genau sagen, wie viele Geburtstage ihr nun hattet und wie alt ihr eigentlich seid. Nach Menschenjahren wäre Fios Vater schon 297 Jahre alt. Jetzt könnt ihr euch bestimmt vorstellen, was ich meine.

Fio schaute zu seinem Vater hinüber, der weiter in aller Ruhe den Kamin säuberte, und zu seiner Mutter, die ganz ohne Eile eine schwere Servierplatte in die Küche trug. Eigentlich hatte er erwartet, dass er gleich nach dem Essen sein Geburtstagsgeschenk bekommen würde. Zu seinem letzten Geburtstag hatte Mirka einen mit riesigen Wunderkerzen geschmückten Servierwagen hereingefahren, auf dem ein großes, in buntes Papier eingeschlagenes Paket lag. Darin war seine schöne weiße Schafsfelldecke verborgen gewesen. Am Geburtstag zuvor hatte sein Vater ihm das Geschenk überreicht. Es war ein großer, kunstvoll behauener Krallenwetzstein gewesen. Drachenmotive und Szenen aus der Midgardia, das war die Bibel der Drachen, waren darin eingemeißelt. Der Stein lag seitdem direkt an seinem Bett, denn Fios Vater erzählte ihm oft abends vor dem Zubettgehen die Geschichten zu den abgebildeten Abenteuern. Zum Geburtstag zuvor, als seine beiden älteren Geschwister noch bei ihnen gewohnt hatten, hatte er von seinen Eltern einen neuen Kuschelmenschen für sein Bett bekommen und seine Geschwister hatten Fio Wechselkleider dazu geschenkt. Wie merkwürdig, denkt ihr jetzt bestimmt. Und natürlich habt ihr Recht. Überall hört man von menschenfressenden Drachen und jetzt erzähle ich euch plötzlich von einem Kuschelmenschen. Aber Fionrir mochte Menschen. Deshalb hatte sich Fio zu seinem vierten Drachengeburtstag sehr über den Kuschelmenschen gefreut. Wie auch unsere Teddybären, die ja viel, viel kleiner als wirkliche Bären sind, war der Kuschelmensch nur etwas mehr als einen Meter groß. Er bestand natürlich nicht aus Menschenhaut, ganz im Gegensatz zu manchen unserer Kuscheltiere, die manchmal tatsächlich aus Tierfellen bestehen. Fios Kuschelmensch war aus einem weichen hellen Baumwollstoff gefertigt und war prall mit Schafswolle gefüllt. Fio schlief jede Nacht mit ihm im Arm ein und hatte ihm den Namen Bastian gegeben. Natürlich haben auch die vielen Drachengeschichten, die ihr schon gehört habt, etwas Wahres. Manche Drachen hatten tatsächlich Menschen gefressen, doch Fio hielt das für Gerüchte. Noch nie kam bei seinen Eltern Mensch auf den Tisch. Natürlich hatte auch Fio davon gehört, dass Menschen von Drachen getötet und gefressen wurden, aber in all den Geschichten, die ihm sein Vater schon am Bett erzählt hatte, ging es fast immer um Notwehr.

In diesem Jahr schien alles anders zu sein. Sie waren mit dem Essen fertig und niemand schenkte ihm etwas. Auch waren seine Geschwister Derko und Tanina nicht da. Obwohl sie schon vor seinem letzten Geburtstag ausgezogen waren, um sich eigene Höhlen zu suchen, hatte Fio fest damit gerechnet, sie zum gemeinsamen Geburtstagsfrühstück zu sehen. Fionrir verstand die Welt nicht mehr. Dabei war doch der siebte Geburtstag etwas so Besonderes für ein Drachenkind. Traurig schlich er in seine Höhle zurück und legte sich auf sein Lammfell auf dem Boden. Während er Minute um Minute dort lag, schlich sich langsam ein Lächeln in sein Gesicht. „Sie spielen ein Versteckspiel mit mir!“, stellte er laut fest und rannte wieder zurück in die Wohnhöhle.

Zweites Kapitel

Ein unerwartetes Geschenk

F

ionrir stand inmitten der Wohnhöhle und blickte sich ahnungsvoll um. Links von ihm war nichts zu sehen, was ein Geschenk sein konnte. Einige alte Ritterrüstungen standen dort. Sie standen dort schon immer, neben Speeren und Schwertern, die an der Wand hingen. Ansonsten war nur seine, einen Spalt geöffnete Zimmertür dort. Aus dem Spalt kam das leichte Flackern seines eigenen kleinen Kamins. An der Höhlenwand ihm gegenüber nahm der große Kamin mit seinem Vater davor, der noch immer in aller Seelenruhe den Spieß abmontierte, den größten Platz ein. Auch dort stand nichts, was ein Geschenk sein konnte. Eine große Kiste stand rechts neben dem Kamin, doch Fio wusste, dass sie nur jede Menge Felle und Decken enthielt, die abends herausgeholt wurden, wenn es sich die Familie vor dem Kamin gemütlich machte und Geschichten erzählt oder Spiele gespielt wurden. Links neben dem Kamin war nichts als ein großer Wandteppich, der einen großen alten Drachen zeigte. Fio verlor seine Gedanken im Wandteppich. Sein Opa Sirrusch war darauf zu sehen. Fios Mutter hatte viele Jahre daran gearbeitet und war sehr stolz auf die naturgetreue Abbildung ihres Vaters in Stoff. Fios Vater wiederum erschauerte immer etwas, wenn er dem Teppich zu nahe kam. Midga sagte Fio einmal, dass sich sein Vater dann immer daran erinnerte, wie er um Midga kämpfen musste, um sie zur Frau nehmen zu können. Menschen müssen zwar auch manchmal um ihre Liebsten kämpfen, aber meist beschränkt es sich doch darauf, sich um sie zu bemühen. Bei Drachen ist das etwas anderes. Wenn ein Drache im heiratsfähigen Alter eine Familie gründen möchte und eine Partnerin oder einen Partner gefunden hat, dann muss er sich beim Familienoberhaupt des erwählten Drachen als würdig erweisen. Und das war ein Drache nur, wenn er im Kampf Drache gegen Drache bestand. Welche Eltern würden nicht wollen, dass es ihre Kinder einmal besser haben als sie selbst? Und wer könnte besser geeignet sein als ein Drache, der stärker als das eigene Familienoberhaupt war? Midga war eine sehr schöne Drachenfrau. Und Opa Sirrusch war ein unheimlich starker Drache, der für seine Tochter nicht weniger als den besten Ehedrachen wollte. Fios Mutter erzählte diese Geschichte oft und gerne. Sie erzählte dann von all den starken Wasser-, Wüsten-, Wurm- und Walddrachen, den Flug-, Feuer- und Flachkopfdrachen, den Berg-, Breitmaul-, Horn- und Höhlendrachen, den Zweikopfdrachen und selbst von einem roten Riesendrachen, die sich alle schon erfolglos bemüht hatten. Keiner hatte ihren Vater, den großen Sirrusch, je besiegen können. Die großen gedrehten Hörner, die seinen Kopf krönten, waren gefürchtet. Bereits beim Gedanken an die drei festen Stacheln, die an der Spitze seines langen kraftvollen Schwanzes warteten, nahmen Riesendrachen Reißaus. Jeder Drache, der sich ausmalte, vielleicht doch mit der schönen Midga in einer gemeinsamen Höhle zu wohnen und kleine süße Midgas um sich herum springen zu sehen, bekam bereits weiche Knie, wenn er das kräftige Rot von Sirruschs Schuppenpanzer sah, mit dem dessen Körper bedeckt war. Wenn die Sonne ihn anstrahlte, sah Fios Opa aus, als stünde er in Flammen, weil jede einzelne Schuppe in der Sonne glänzte, als bestünde seine Haut aus roten Spiegeln. So kam es, dass einer nach dem anderen von Sirrusch besiegt wurde. Natürlich kam dabei kein Drache zu Tode. Es war vielmehr wie ein Ringkampf, wenn auch dabei manchmal Feuer gespuckt wurde und der eine oder andere Biss oder Krallenhieb etwas fester war als beabsichtigt, sodass das „Handanhalten“ ab und an nicht ganz frei von Blutergüssen und Schrammen blieb. Doch ernsthaft verletzte sich nie jemand. Sie alle wussten, wann sie unterlegen waren, und gaben auf, bevor sie sich bleibende Wunden gegen Sirrusch den Roten zuzogen.

„Nicht so dein Papa!“, sagte Fios Mutter immer. „Er verbiss sich in deinen Opa, umklammerte ihn mit seinen starken Armen, und obwohl Opa stärker war, gab dein Vater nicht auf. Dein Vater wäre lieber gestorben, als nicht auch die letzte Chance auszunutzen, um mich als Frau zu bekommen.“

Wenn Midga von dem Kampf erzählte, bekam Fio immer eine Gänsehaut. Na ja, keine richtige Gänsehaut natürlich. Fio hatte ja keine Haare auf der Haut, aber seine Hornplatten stellten sich dann auf und zitterten leicht.

Solche Kämpfe, die in allen Drachenfamilien ausgefochten wurden, fanden immer im Freien statt. Meist auf einem großen, weiten Feld. Und immer waren alle Mitglieder der beiden Familien, die sich verbünden wollten, dabei und feuerten die beiden Drachen an, die dort um eine neue Familiengründung kämpften. Wenn Sirrusch einen neuen Herausforderer hatte, waren immer sehr viele Drachen gekommen. Die Familie von Fios Opa lebte damals inmitten der Wüste und da Wüsten bekanntlich riesig sind, gab es auch nie Platzprobleme für all die Zuschauer, die es sich nicht entgehen lassen wollten, wenn wieder einmal ein Junggeselle auf Brautsuche an Sirrusch scheitern würde. Die Stelle, an der die Kämpfe stattfanden, seit Fios Mutter so alt war wie seine Schwester Tanina jetzt, war durch all die Kämpfe nicht mehr sandig. Sie war fest und glänzend, weil all das Drachenfeuer, das Sirrusch und die Junggesellen aufeinander losließen, den Sand hatte schmelzen und zu einer harten Schicht werden lassen. Nach Menschenjahren dauerte es fast fünfzehn Jahre, bis endlich auch Fios Vater den Mut gefasst hatte, die Ehe mit Sirruschs Tochter, die später Fios Mutter werden sollte, zu erbitten und Sirrusch herauszufordern.

„Dein Papa hat gekämpft wie tausend Löwen“, sagte Fios Mutter und erzählte ihm dann stets in allen Einzelheiten, wie der Kampf um sie verlief. Sie erzählte, wie oft sein Vater von Sirrusch niedergeworfen wurde, wie erschöpft er war und dennoch nicht eine Sekunde daran dachte, aufzugeben. Wenn sein Vater dabei war, während Fios Mutter davon erzählte, sagte er dann immer: „Lieber wäre ich nie wieder aufgestanden, als dich nicht zur Frau zu bekommen“ und nahm seine Mutter dann ganz fest in den Arm.

Der Kampf hatte länger gedauert als alle anderen und am Ende gab sein Opa auf und war sehr stolz darauf, Taras zum Schwiegersohn zu bekommen. Die Drachen, die zugeschaut hatten, waren begeistert von dem Kampf. Noch nie hatten sie so etwas gesehen. Natürlich gab es einige, die glaubten, dass der damals schon fast 500 Menschenjahre alte Sirrusch nun einfach zu alt sei, um seine Schwiegersöhne im Kampf zu besiegen. Einige von denen, die bereits um Midgas Hand gekämpft hatten, glaubten nun, bei Midgas jüngerer Schwester zum Ziel zu kommen. Doch sie hatten sich verschätzt. Es dauerte noch einmal zwanzig Menschenjahre, bis auch die Jüngste von Fionrirs fünf Tanten einen würdigen Drachen bekam, der eine Familie mit ihr gründen durfte.

Fio freute sich schon auf den Besuch seines Opas. Bestimmt würde er sich seinen siebten Geburtstag nicht entgehen lassen. Und natürlich würde Opa von ihrem Kampf erzählen. Doch noch immer hatte Fio keinen Hinweis auf sein Geschenk entdecken können. Er wusste nur, dass der siebte Drachengeburtstag ein ganz besonderer würde, so groß wie das Geheimnis war, das daraus gemacht wurde. Als er nach rechts schaute, blickte ihn Wilko aus der Küchenhöhle heraus grinsend an. Auch Fionrir fand sein Lächeln wieder. Er mochte Wilko sehr. Als er ihn herbeiwinkte, zögerte Fio nicht eine Sekunde. Er spurtete und sprang hinter ihm her in die Küche. Mirka kam gerade aus der Vorratshöhle, die direkt gegenüber der Tür zur Wohn- und Esshöhle führte und durch eine tief nach unten reichende, in den Stein gehauene Treppe mit der Küche verbunden war. Ein kalter Luftzug kam herein, als sie die Holztür geöffnet hatte. Ihre langen braunen Haare wehten ihr ins Gesicht. Wilko half ihr, die schweren Vorhänge zuzuziehen, die die Tür zusätzlich abdichteten.

Fio schaute sich nun auch in der Küche um, ob hier sein Geschenk versteckt sein könnte. Links der riesige Ofen, in dem noch immer etwas Kohle glimmte. Aber was sollte da schon versteckt sein?, dachte sich Fio. Rechts die vielen Haken mit den gigantischen Töpfen und Pfannen und die vielen Truhen und Regale mit Tellern, Schalen, Schüsseln, Bechern, Bestecken, Kochlöffeln, Schneebesen, Pfannenwendern, Schöpfkellen, Knoblauchpressen und Nudelhölzern. Mit all den kleinen Kisten voll feinster Gewürze, getrockneten Pilzen, Salz, Zucker und Mehl.

Traurig schaute Fio zu Wilko herüber, der noch immer grinste. Doch nun hielt er ein Geschenk, das in schillerndes Papier eingeschlagen war, unter dem Arm. Sofort verflog Fios Traurigkeit und er stürmte auf Wilko und Mirka zu.

„Alles Gute zu deinem Geburtstag, kleiner Fio!“, sagte Wilko und hielt ihm die Schachtel entgegen. Während sich Fio daranmachte, die Verpackung vorsichtig zu entfernen, war er sehr aufgeregt. Gleich würde er endlich das erste Geschenk in den Händen halten und Wilko schaute ihm gespannt zu. Das helle Hemd und die braune Lederschürze, die er trug, waren von Essenresten fleckig und auch das dunkelgrüne Kleid und Mirkas Schürze waren beschmutzt. So sahen sie immer aus, wenn eine Drachenmahlzeit zu Ende war. In Fios Augen hätten sie jedoch selbst in den Gewändern eines Königs und einer Königin kaum feierlicher aussehen können, als sie sein Geschenk überreicht hatten. Mit nicht weniger stolzem Gesichtsausdruck, wie ihn Menscheneltern wohl am Geburtstag ihres eigenen Kindes gehabt hätten, beobachteten sie Fio beim Öffnen. Endlich hatte Fio es geschafft. Er öffnete die kleine Holzschachtel, die mit duftendem Heu ausgekleidet war, und sah darin drei kunstvoll geschnitzte Würfel. Jeder so groß wie die Faust eines Menschen. Fio wusste, dass Wilko gerne schnitzte, doch dass er solche Wunderwerke vollbringen könne, hätte er nie gedacht.

„Sie sind wunderschön!“, sagte Fio und nahm einen davon heraus, um ihn sich näher anzuschauen. Die Vertiefung jedes schwarzen Punktes auf dem Würfel, der aus einem riesigen Knochen gefertigt sein musste, war in Form eines Drachen ausgehöhlt und darin war ein aus schwarzem Glas gegossener Drache mit roten Augen eingefasst. Der Würfel selbst war an seinen Ecken leicht abgeflacht, sodass er besser gewürfelt werden konnte. Er fühlte sich weich und warm an und Fio empfand ihn als besonders leicht. Wilko erzählte ihm, dass er die Würfel aus den Knochen eines Wals gefertigt habe, der im letzten Jahr an Land gespült wurde und es nicht mehr zurück ins Meer geschafft hatte. Daran konnte Fio sich noch gut erinnern. Immerhin aßen sie wochenlang erst frisches, dann getrocknetes Walfleisch.

„Danke, Wilko und Mirka. Egal was für Geschenke noch kommen werden, sie werden sich den Platz des schönsten Geschenkes mit euren Würfeln teilen müssen.“

„Gern geschehen, kleiner Fio“, sagte Wilko, „doch ist das nur mein Geschenk gewesen.“

Mirka griff in einen der großen Töpfe, die über Fio am Haken hingen. Das war ein gutes Versteck, denn Fio hätte nur in ihn hineinschauen können, wenn er sich auf die Hinterbeine gestellt hätte. Er lief jedoch am liebsten auf allen Vieren. So konnte er viel schneller in der Höhle herumsausen. Mirka entnahm dem Topf ein sehr großes flaches Paket, das in das gleiche schillernde Papier wie Wilkos eingeschlagen war.

„Noch mal alles Liebe zum Geburtstag, Fio“, sagte sie, nahm ihn in den Arm und küsste seine Stirn, bevor sie ihm ihr Geschenk gab.

„Ach, ich kann mich noch genau erinnern, wie dein süßes Schnäuzchen durch die Schale des Eis stieß, in dem du zur Welt kamst, und du uns alle mit großen Augen angeschaut hast. Du warst schon damals ein zum Verlieben hübscher Drache. Deine Mutter wird sich mit einigen Drachenmädchen im Kampf beweisen müssen.“

Als Mirka das sagte, wurde Fio ganz warm im Gesicht. Man merkte ihm an, dass ihn Mirkas Worte peinlich berührt hatten. Fio entfernte die Verpackung und zum Vorschein kam ein Rucksack aus dickem Leder. Es war auf der einen Seite graugrün eingefärbt und auf der anderen Seite in einem hellen blaugrau. Fio packte die Schachtel mit den Würfeln hinein und setzte den Rucksack sofort auf. Er passte wie angegossen direkt zwischen seine Flügel. Das Leder schmiegte sich so an ihn an, dass er kaum merkte, ihn aufzuhaben. Es hatte exakt die gleiche Farbe wie seine Haut, sodass man aus der Ferne sicher auf den ersten Blick denken könnte, Fio hätte einen Buckel.

„Du kannst den Rucksack entweder auf dem Rücken tragen oder an der Brust, wenn du magst. Daher die zwei Farben!“, sagte Mirka, stolz auf die kunstvoll gefertigte Tasche. Mit zwei Handgriffen stülpte sie Fio den Rucksack von hinten nach vorne. Und auch da sah man ihn kaum. Wie fast alle flugfähigen Drachen hatte auch Fio einen bläulichen Bauch, sodass man ihn von unten fast nicht sah, wenn er hoch oben am Himmel flog. Fio schaute von der Seite aus, als hätte er den Oberkörper eines Breitmauldrachen, so sehr verschmolz der Rucksack mit Fios Oberkörper zu einer massigen Brustmuskulatur.

„Vielen Dank! Das sind wirklich zwei tolle Geschenke“, sagte Fio und strahlte über das ganze Gesicht.

„Fio! Fio! Wo ist der Geburtstagsdrache?“, rief es plötzlich aus der Haupthalle.

„Tanina!“, rief Fio und stürmte sofort durch die Küchentür und seiner großen Schwester in die Arme, die ihn, an den Tisch gelehnt, stehend erwartet hatte. Ihre Eltern trugen gerade zwei weitere Sitzfelsen aus Taninas altem Kinderzimmer, das sich rechts neben der Küche befand, an den Tisch. Auch Fios Bruder Derko trat aus Taninas alter Höhle, die inzwischen nur noch als Aufbewahrungsraum diente. Er eilte Fio entgegen, hob seine beiden Geschwister hoch und tanzte mit ihnen durch die Höhle.

„Fio wird heut’ erwachsen! Fio wird heut’ erwachsen!“, sang er dabei. An Kraft würde er seinem Vater und seinem Opa in nichts nachstehen, wenn er erst ausgewachsen war, soviel war klar.

Und während Fio in den Armen seines Bruders zusammen mit seiner Schwester und dem Felsen durch den Raum gedreht wurde, entdeckte er nicht nur Wilko und Mirka grinsend in der Tür zur Küche, sondern auch ein riesiges verpacktes Geschenk, das mitten in der Höhle stand.

Ein abgekartetes Spiel, dachte Fio glücklich, als ihm vom Drehen langsam schwindelig wurde. Wilko und Mirka wollten mir nicht nur ihre Geschenke überreichen, sie sollten mich auch ablenken, damit meine Geschwister ungesehen mein großes Geschenk hereinbringen konnten.

Schnell entwand er sich dem Griff seines Bruders, der dadurch das Gleichgewicht verlor und zusammen mit seiner Schwester und dem Felsen zu Boden ging. Er rannte zu ihrem Präsent. Es war riesig und quadratisch und in mehrfarbiges Papier verpackt, auf dem Drachen zu sehen waren, die lustige Hütchen aufhatten und Luftschlangen pusteten. Fio rannte so schnell auf das Paket zu, dass er fast nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte und beinahe dagegen gestoßen wäre. Aus dem Inneren des Geschenkes kam ein gleichmäßiges Kratzen. Was mag es wohl sein?, dachte Fio. Langsam schlich er um das Paket herum und schnüffelte.

„Bekomme ich ein Haustier? Ein Schaf? Au ja, das wäre toll!“ Doch den Geruch konnte er nicht so recht zuordnen. Es roch eher nach Blumen. Fast so wie das Rosenwasser, das Mirka benutzte, wenn sie mit Wilko ausging.

Unaufhörlich kratzte es im Inneren des Geschenkes. In Fios Pranken kribbelte es. Langsam griff er nach vorne und berührte das Geschenkpapier. Es fühlte sich ganz warm an. Fio war so aufgeregt, dass er beinahe alles um sich vergaß. So ein großes Geschenk hatte er noch nie in seinem Leben bekommen. Er drehte seinen Kopf zu seinen Eltern und Geschwistern und zu den beiden Menschen herüber und grinste so sehr, dass ihm die Mundwinkel wehtaten.

Kratz, kratz, kratz, machte es aus dem Inneren.

Ein Lämmchen, freute sich Fio, versäumte es aber, sich zu wundern, weshalb das Geschenk so groß war. Er riss das Papier herunter und darunter kam eine zweite Lage des gleichen Geschenkpapiers zum Vorschein. Fio hüpfte auf der Stelle.

Kratz, kratz, kratz, machte es weiter. Jetzt gab Fio alle Umsicht mit der schönen Verpackung auf und begann, sie mit seinen Krallen in Fetzen zu reißen.

„Ja, ja, ja“, sagte Fio.

Kratz, kratz, kratz, machte das Geschenk, und als Fio das letzte große Stück Papier entfernte, stand er vor einer hölzernen Kiste. Fio konnte sich vor Neugierde kaum beherrschen. Er stellte sich auf die Hinterläufe und wollte gerade die Oberseite der Kiste öffnen, als das Kratzen aufhörte. Fio horchte gespannt. Mit einem lauten Knall schlug ihre Vorderseite auf den Boden und aus dem Dunkel sprang ein kleines Mädchen. Sie war mit einem verbogenen Diadem bewaffnet.

Fio schrie vor Schreck auf, da er doch ein Lämmchen vor sich erwartet hatte. Das Mädchen schrie vor Schreck auf, da sie keinen Drachen vor sich erwartet hatte.

„Herzlichen Glückwunsch!“, riefen die Geburtstagsgäste hinter ihm, woraufhin die junge Dame Fio mit dem Diadem auf die Nase schlug, der sogleich in sein Zimmer flüchtete und dabei alles, was ihm im Weg stand, umrannte.

 

Drittes Kapitel

Ein gefasster Entschluss

A

ls Fio die Tür zur Wohnhöhle nach kurzer Zeit wieder öffnete, sah er Wilko und Mirka an der geöffneten Kiste stehen. Das kleine Mädchen saß darauf und schaute niedergeschlagen auf ihr Diadem, das nun völlig verbogen war. Das Nachtgewand, das sie trug, war voller Holzspäne. Selbst in ihren goldfarbenen Sandalen waren sie und piekten. Sie ließ sich von Mirka einige aus ihren blonden Locken zupfen, während sie Derko böse anfunkelte.

Derko stand kopfschüttelnd daneben und beachtete sie nicht weiter. „Schau mal, Paps“, sagte er. „Sie hat doch tatsächlich die Kiste mit ihrem Kopfschmuck aufbekommen!“

Fios Eltern saßen am Tisch und unterhielten sich mit Tanina. Taras zuckte nur mit den Schultern. Dann bemerkten sie Fio im Türrahmen. Plötzlich schwiegen alle und Fio spürte, wie seine Gesichtsfarbe erneut ins Rötliche überzugehen begann.

„Komm zu mir!“, sagte Fios Vater und kam ihm entgegen. Gemeinsam gingen sie um den Tisch herum zur Kiste. Taras legte einen Arm auf die Schulter seines Sohnes.

„Fio, das hier ist Quirina.“

„Prinzessin Quirina!“, sagte Quirina, „und ich wurde entführt!“

„Jedenfalls“, fuhr Taras fort, „ist sie dein Geburtstagsgeschenk.“

„Bin ich nicht. Ich gehöre niemandem. Nur mir selbst. Und wenn mein Vater mich erst befreit hat, könnt ihr was erleben.“

„Wie auch immer“, sagte Fios Vater, „Fionrir, mein Sohn, heute ist dein siebter Geburtstag und es ist Drachentradition, dass einem jungen Drachen an seinem siebten Geburtstag sein erster Mensch geschenkt wird. Damit wirst du das Kind hinter dir lassen und in die Welt der großen Drachen eintreten.“

„Aber was soll ich mit einem Menschen?“, wollte Fio wissen.

„Na, was denkst du wohl, Fio? Fressen natürlich!“

„Fressen?“, fragte Fio entsetzt.

„Fressen?“, wiederholte Quirina.

„Natürlich! Wozu sollten sich deine Geschwister sonst so viel Mühe bereitet haben, sie hier hochzufliegen? Sie ist frisch und noch jung. Ihr Fleisch ist besonders zart und saftig.“

„Aber wir Drachen mögen doch die Menschen! Ich will sie nicht essen!“

„Natürlich mögen wir Menschen, Fio. Sehr sogar!“, sagte Fios Vater.

Fio schaute entgeistert erst seinen Vater, dann seine Mutter und zuletzt seine Geschwister an.

„Nur über meine Leiche!“, rief Quirina und erhob wieder ihr Diadem. Fio zuckte unwillkürlich zusammen und seine Nase pulsierte.

Er wollte sie doch wirklich nicht essen! Am meisten verwirrte Fio jedoch Wilkos und Mirkas Teilnahmslosigkeit.

„Warum sagt ihr nichts dazu? Ihr seid doch auch Menschen!“, entrüstete sich Fio, schockiert über diese Entwicklung.

Mirka lächelte Quirina an und sagte dann, dass sie Fios Vater nicht Recht geben könne. Fio wurde etwas entspannter.

„Ich denke nicht, dass sie so zartes Fleisch hat. Sie scheint sehr quirlig zu sein. Dann ist es meistens zäh.“

Hinter ihnen schüttelte Fios Mutter ihren Kopf und verdrehte die Augen.

„Was?“, rief Fio. „Ihr seid doch alle verrückt!“

Daraufhin stürmte er wieder zurück in sein Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Er setzte sich auf sein Bett und starrte in die Flammen des Kamins. Aus dem Wohnzimmer drangen gedämpfte Stimmen. Nur wenige Wortfetzen bekam Fionrir mit. Er bekam mit, dass Derko sagte, dass er sie gerne fressen würde, wenn Fio nicht wolle.

„Kindsköpfe!“, erwiderte Fios Mutter daraufhin, doch Fio war schon vom Bett gesprungen und ins Wohnzimmer gestürmt, wo er sich die Kiste mitsamt der darauf sitzenden Quirina schnappte und in sein Zimmer trug. Quirina musste sich am Rand festklammern, um nicht heruntergeschleudert zu werden. In seinem Zimmer warf er die Tür mit einem lauten Knall zu, woraufhin auch die Stimmen aus dem Wohnzimmer verstummten. Wenn Fio eins wusste, dann, dass weder er noch irgendjemand anderes Quirina fressen würde.

Sofort wich seine Enttäuschung, dass Quirina kein Lämmchen war, der Wut über seinen Bruder, der sein Geschenk auch noch auffressen wollte. Fio kannte nur wenige Menschen. Die meisten stammten aus dem Dorf und lieferten Waren an seine Eltern. Dabei kamen viele von ihnen direkt in ihre Höhle, um Geschäfte zu machen. Wenn die wüssten, dass sie gefressen würden, wenn sie nur jünger wären, dachte Fio. Und natürlich kannte Fio Wilko und Mirka. Ob sie wohl auch nur lebten, weil sie zu alt waren, um gefressen zu werden? Aber warum wurden sie nicht gefressen, als sie noch jünger waren? Immerhin waren sie hier seit Fio geschlüpft war und das war schließlich mehr als ein halbes Menschenleben her.

„Soll ich mich jetzt weniger bewegen, damit ich zart genug für den Herrn Drachen bin?“, fragte Quirina, und hieb ihr Diadem in Fios Schnauze, sodass es stecken blieb. Fio jaulte und sprang rückwärts von Quirina weg. Dabei geriet sein Schwanz in den Kamin und Fio sprang, ein zweites Mal jaulend, nach vorne auf Quirina zu, die die Gelegenheit nutze, ihr Diadem wieder aus Fios Schnauze zu ziehen und ihm erneut damit in die Nase zu pieken.

Fio setzte sich auf den Boden und rieb Nase und Schwanz.

„Aber ich will dich doch gar nicht fressen!“

„Mich frisst du auch nicht!“

Dann griff Fio hinter sich und holte seinen Kuschelmenschen heraus.

„Schau mal, Quirina! Das ist mein Kuschelmensch Bastian. Siehst du, ich mag Menschen.“

„Du willst mich ausstopfen?“ Quirina bog ihr Diadem wieder gerade.