Fionrirs Reise geht weiter - Andreas Arnold - E-Book

Fionrirs Reise geht weiter E-Book

Andreas Arnold

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Beschreibung

Fionrir ist ein junger Drache. Die Reise zum Geburtstag der Menschen-Prinzessin Quirina unternimmt er mit fantastischen Freunden und der Zuversicht eines jungen Drachen, der gerade das Fliegen gelernt hat. Doch er ahnt nicht, in welche Gefahr diese Reise ihn und seine Freunde führen wird. Handlung: Wenige Monate sind seit Fionrirs erster großen Reise vergangen. Begleitet von seiner Cousine Lida, einer Drachin mit ganz besonderen Fähigkeiten, bricht er zu seiner zweiten Reise auf. Dass ein ganzer Tross grimmiger Nordmänner angeführt von der schrecklichen Nordfrau Frieda den Auftrag hat, beide zu fangen, weiß Fio nicht. Auch nicht, dass der Auftrag von gefürchteten altbekannten Widersachern kommt. Zum Glück ist da seine neu gewonnene Freundin, Prinzessin Quirina, die ihm mutig zu Hilfe eilt. Nicht jeder ist, was er zu sein scheint, und auch Fio ahnt erst langsam, welche Kräfte in ihm erwachen. Die Reise ist noch lange nicht zu Ende. Ein Buch für Selbstleser ab acht bis zehn Jahren. Ebenso ist es wundervoll und voller Wunder für Erwachsene jeden Alters, die ihren Kindern gerne vorlesen oder die selbst einfach Freude an einer Fabel von Drachen, Menschen und anderen phantastischen Tieren haben. Die gedruckte Ausgabe, aus der dieses E-Book entstand, ist im Oktober 2018 unter ISBN 9873945532225 im Reimheim-Verlag erschienen und im Buchhandel erhältlich. Besucht Fio auf seiner Homepage: www.fionrirsreise.de Für einen jungen Drachen ist es ganz schön aufregend, zu erfahren, wie euch seine Abenteuer gefallen. Schreibt ihm das einfach. Wenn ihr auch anderen davon erzählen möchtet, schreibt darüber - gerne in Form einer Rezension.

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Dein Reiseweg (Inhaltsverzeichnis)
Start
Dramatis Personae
Widmung
Danksagungen
Fionrirs Reiseweg
Erstes Kapitrel - Ausbruch aus dem Schloss
Zweites Kapitel - Geburtstagsvorfreude
Drittes Kapitel - Ein Freund in Gefahr
Viertes Kapitel - Unerwarteter Besuch
Fünftes Kapitel - Eine rettende Idee
Sechsetes Kapitel - Aufbruch
Siebtes Kapitel - Meldereiter
Achtes Kapitel - Auf zu Quirina
Neuntes Kapitel - Wilde Hatz
Zehntes Kapitel - Auf dem Drachenfest
Elftes Kapitel - Späher
Zwölftes Kapitel - Absonderliche Fähigkeiten
Dreizehntes Kapitel - Entdeckt
Vierzehntes Kapitel - Zusammenkunft
Fünfzehntes Kapitel - Nordleute
Sechzehntes Kapitel - Brieftaube
Siebzehntes Kapitel - Ein Gefangener
Achtzehntes Kapitel - Traumszenen
Neunzehntes Kapitel - Lagebesprechung
Zwanzigstes Kapitel - Vermisst
Einundzwanzigstes Kapitel - Hinterhalt
Zweiunszwanzigstes Kapitel - Angriff am Morgen
Dreiunszwanzigstes Kapitel - Heimkehr
Vierundzwanzigstes Kapitel - Am Geburtstagsabend
Mehr Fio?

Andreas Arnold

Fionrirs Reise

geht weiter

 

Roman

Fionrirs Reise – Band II

© 2020 Reimheim-Verlag Thorsten Zeller,

Heinrich-Lübke-Straße 9, 61169 Friedberg

http://www.reimheim-verlag.de

 

 

E-Book 03/2020Alle Rechte vorbehalten

Umschlagbild und Illustrationen: Norman Heiskel

 

E-Book-ISBN: 9783-945532850

 

Die gedruckte Ausgabe zu diesem eBook „Fionrirs Reise geht weiter“ ist ebenfalls im Reimheim-Verlag erschienen und überall im Buchhandel erhältlich unter ISBN 9783-945532225

 

Ebenfalls von Andreas Arnold im Reimheim-Verlag erschienen und überall im Handel erhältlich:

„Fionrirs Reise“

(Band I)

Print: ISBN 9783-945532102

E-Book: ISBN 9783-945532805

 

„Fionrirs Reise ins Tal der Drachen“

Fionrirs Reise Band III

ISBN 9783-945532331

 

Besucht Fio auf seiner Homepage:

www.fionrirsreise.de

 

Für einen jungen Drachen ist es ganz schön aufregend, zu erfahren, wie euch seine Abenteuer gefallen. Wenn ihr auch anderen davon erzählen möchtet, findet ihr hier Links dazu:

www.reimheim-verlag.de/rezi-hub.htm#fio

Dramatis Personae

Drachen

Fionrir, ein junger feuerspeiender Bergdrache

Midga, Fios Mama, Feuerdrachin

Taras, Fios Papa, Bergdrache

Tanina, Fios Schwester

Derko, Fios Bruder

Lida, Fios Cousine, ein Wurmdrachenmädchen

Amata, Lidas Mama

Feras, Lidas Papa

Sirrusch, Fios Opa, Feuerdrache

Ceti, Fios Cousin, fliegender Wasserdrache

Pamusch, Fios Urahn, der legendäre Drachenkaiser

 

Menschen

Quirina, eine junge Prinzessin

Leontin, Quirinas Vater, König von Lindheim

Anna, Quirinas Mutter, Königin

Mirka, wohnt mit Fios Familie zusammen

Wilko, Mirkas Gefährte

Ingvar, Schatzmeister des Königs

Osgar, Quirinas Freund, Sohn des Schatzmeisters

Ida, Quirinas Amme

Alina, Quirinas Ankleidezofe

Elgar Schildmannssohn, Hauptmann d. Leibwache

Thomasyn Feuerschmid, Feldwebel der Leibwache

Liam Schwertarm, Späherführer

Senta, Hauptfrau einer Garnison

Der Smutje, Feldkoch

Raedwolf, ein Jäger aus dem Dorf Fichtingen

Hunbert, noch ein Jäger aus dem Dorf Fichtingen

Enndlin, Führerin der Drachenjäger

Lienhard, ein Drachenjäger

Sewolt, ehemaliger Drachenjäger, Spion

Frieda, Anführerin der Nordmänner

Friedjolm, Friedas Bruder

Arnulf, Friedas Gemahl, Krieger

Torben, Frieda und Arnulfs Sohn, Krieger

Sargan, ein Krieger der Nordmänner

 

Andere Tiere

Finris, Wolf, alter Rudelführer

Kwon, Finris Bruderwolf

Canina, Finris Tochterwolf

Arctos, Caninas Gefährte und Rudelführer

Fionn, Caninas Sohnwolf

Fiona, Caninas Tochterwolf

Jutz, ein Uhu

Lennart, genannt Lenny, ein Eichhörnchen

Ruben, ein Esel

Lucia, eine Pferdedame, Rubens Freundin

Sahra, eine Eselsdame

Abe, ein Esel und Sahras Gefährte

Aaron, ein Papagei, Pionier der Sprachnachricht

 

Die Macher

Andreas Arnold, geb. 1976, ist an mehreren Büchern mit Kurzgeschichten und Gedichten als Autor und Herausgeber beteiligt. Die drei Bände von „Fionrirs Reise“ sind seine ersten Romane.

 

Norman Heiskel, geb. 1972, ist Auftragszeichner mit langjähriger Erfahrung. Unter anderem illustrierte er alle drei Bände von „Fionrirs Reise“. Dabei gab er der Figur des jungen Drachen ein einzigartiges, bezauberndes Erscheinungsbild.

 

Widmung

Für meine Eltern

Ingeborg und Peter

 

ohne deren Vorbild und Anleitung ich

nicht der wäre, der ich heute so gerne bin.

Danksagungen

Fionrirs Reise fortzusetzen und erneut Zeit mit meinen Drachen zu verbringen, war eine große Freude für mich, die kaum so erlebbar gewesen wäre, wenn es nicht zahlreiche Menschen gegeben hätte, die mir den Rücken freigehalten haben. Sie alle aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen, doch ich bin sicher, die Gemeinten erkennen sich als Adressaten wieder. Danke euch allen!

Direkt am Buch beteiligt waren Regina Beatrix Rumpel, Carolin Völker, Dörthe Herrler und Stephanie Kässmayer, denen ich für jeden gefundenen Fehler und für jeden wertvollen Tipp unendlich dankbar bin. Nicht zuletzt geht auch wieder mein Dank an Norman Heiskel, der Fios Welt erneut detailverliebt und phantasievoll in Tusche gestaltet hat, und Thorsten Zeller, der bis zum letzten Millimeter Layoutjustierungen vorgenommen hat, bis der Schnitt so golden war wie das Schimmern von Lidas Drachenhaut.

Fionrirs Reiseweg

Erstes Kapitel

Ausbruch aus dem Schloss

K

aum hörbar wurde der Schlüssel von außen im Schloss der schweren Kerkertür gedreht und löste den eisernen Riegel. Als das letzte Geräusch sich wieder entfernender Schritte verklungen war, trat der größere der Gefangenen vor und begann, sie vorsichtig aufzudrücken. Es knarrte.

„Leise!“, zischte es hinter ihm.

Er nickte. Mit einem schnellen Ruck öffnete er sie, ohne einen verräterischen Laut. Sie hielten die Luft an und spähten vorsichtig im Schutz der Tür vorbei in den Flur des Kerkers. Nicht ein Wächter war zu sehen und kein Geräusch zu vernehmen. Vorsichtig schlichen sie aus ihrer Zelle hinaus und schlugen den beschriebenen Weg in die Freiheit ein. Noch nie war jemand aus dem königlichen Verlies ausgebrochen. Bis heute.

 

Vögel zwitscherten und der Wind wehte die langen, seidenen Vorhänge in Quirinas Schlafgemach hinein. Mit offenen Augen lag sie im Bett und schaute lächelnd in Richtung ihres Balkons. Fast schien es, als winkten ihr die nahezu durchsichtigen Stoffbahnen zu, die die Sicht durch die geöffneten Doppelflügeltüren hinaus zum Lindsee mit seinen großen Klippen im Süden und dem majestätischen Wasserfall davor verschleierten. Sie stellte sich vor, es seien die weiten Armkleider einer Fee, die sie einlud, mit ihr den endenden Frühling zu verabschieden und den beginnenden Sommer herzlich zu begrüßen. Die Prinzessin freute sich auf die warme Jahreszeit. Nicht nur würde sie in drei Tagen mit Beginn des Sommers ihren zwölften Geburtstag feiern, auch sähe sie dann endlich Fionrir wieder.

Es ist schon verrückt, dachte sich Quirina, als sie sich aufsetzte und ihre Beine vom Bett herunterbaumeln ließ. Vor wenigen Monaten wusste ich nicht einmal, dass es Drachen gibt, und nun zähle ich einen zu meinen Freunden.

Unwillkürlich musste sie schmunzeln, als sie an ihr gemeinsames Abenteuer dachte. In ihren Gedanken formte sich das Bild eines Drachen. Eine grün-bläuliche Haut hatte er, sein Bauch war blau wie der Frühlingshimmel, dessen zarter, warmer Wind das junge Mädchen unaufhörlich nach draußen zu locken schien. Große Flügel zierten seine Vorderarme.

„Ob du wohl tatsächlich so ein richtig guter Flugdrache geworden bist?“, fragte sich Quirina laut und griff nach einem Buch, das auf ihrem Nachttisch lag. Die Drachen im Himmelskammgebirge stand auf dem Buchdeckel in goldenen Buchstaben geschrieben. Ein weites Tal mit grünen Wäldern war in bunten Farben darauf gemalt. An einigen Stellen war das Braun des dicken Leders, das die Pergamentseiten des Folianten schützte, schon durchgedrungen und hatte die Farben der detailreich gemalten Bäume, des Gebirges im Hintergrund und des wolkendurchzogenen Himmels verblassen lassen. Drachen wohnten schon seit Menschengedenken dort, hatte ihr Vater, König Leontin, ihr erklärt, kaum dass sie von ihrer unfreiwilligen Reise zurückgekommen war. Noch immer wunderte sie sich, wie ihre Eltern und der ganze Hofstaat ihr fast zwölf Jahre lang vorenthalten konnten, dass es Drachen tatsächlich gab. Vieles hatte sich ihr inzwischen erschlossen. Zwar ließ ihre Mutter sie ohnehin nie lange in der Mittagssonne spielen. Es sei nicht gut für ihre Haut, sagte sie immer. Doch heute war Quirina zumindest klar, weshalb sie nicht draußen sein durfte, wenn die Sonne ihren höchsten Stand hatte. Das war die Zeit, in der Derko am liebsten flog, Fios älterer Bruder, der am Fuße der Klippen des Lindbergs in der Höhle hinter dem Wasserfall sein Quartier bezogen hatte.

„Seit Menschengedenken!“, rief sich Quirina die Worte ihres Vaters laut in Erinnerung.

Vorsichtig schlug sie die mit einem Goldrand verzierten Blätter des Buches um, bis sie zur letzten Seite gelangt war, die sie gelesen hatte. Es war nicht einfach, ein so altes Buch zu lesen. Immerhin war es in einer Schrift geschrieben, die nicht einmal ihre Hauslehrer mehr kannten. Mühsam musste sie sich die Wörter Buchstabe für Buchstabe erarbeiten. Auch gab es viele, die heute nicht mehr gebräuchlich waren. Täuberich sagten sie damals zu männlichen Tauben, ein Drachling war ein Drachenjunges und den Dorfältesten nannten sie den Jarl des Dorfes. Inzwischen war die Elfjährige so firm im Lesen der alten Buchstaben und so schnell darin, sich die Bedeutung der unbekannten Wörter zu erschließen, dass sie ein Buch aus ihrer eigenen Zeit kaum mehr schneller las. Der Aufwand war es ihr wert. Schließlich wollte sie so viel wie möglich von ihrem Freund wissen. Sie hatte schon in Erfahrung bringen können, dass Fios Eltern ihre Höhle in der Zeit für sich entdeckt hatten, als Quirinas eigene Ururgroßmutter gerade die Krone von deren Vater auf den Kopf gesetzt bekommen hatte. Auch davor hatte es schon viele Drachenfamilien gegeben, die die Höhle bewohnt hatten. Wie auch Menschen schienen sie ihre Wohnungen von Zeit zu Zeit zu wechseln, wenn sich die Familien vergrößert hatten, sodass der Platz nicht mehr ausreichte, oder wenn die Drachenkinder außer Haus waren und deren Eltern in Höhlen in der Nähe zogen, um mehr Zeit mit ihren Enkeln verbringen zu können. Es erstaunte die Prinzessin immer mehr, wie ähnlich sich Drachen und Menschen doch waren, sah man davon ab, dass viele Drachen fliegen und Feuer speien und so mancherlei andere wundersame Dinge konnten. Fio konnte mit Tieren reden und auch sie konnte es, wenn er in ihrer Nähe war. Wenn sie es sich recht überlegte, gab es vielleicht doch weniger Gemeinsamkeiten, aber ähnlich waren sie sich schon in vielem.

Quirina stand auf. Ihre Füße berührten den dicken Teppich, der sie beim Aufstehen vor der Kälte des blanken Steinbodens schützte. Sie erhob und streckte sich. Dabei gähnte sie ganz laut. Noch immer winkten die Feenarme sie heran und gerne folgte sie der Einladung, auf den Balkon zu treten und sich von den ersten Sonnenstrahlen des frühen Tages im Gesicht berühren zu lassen. Behutsam schob sie die Vorhänge zur Seite, die vor den dunklen, dichten Filzvorhängen angebracht waren, deren tiefes Rot den Raum sonst in eine sehr triste Farbe gehüllt hätte. Trotz der hellen Seide vor ihnen zog Quirina sie nur selten zu. Nicht, weil sie ihr zu dunkel gewesen wären. Sie mochte es vielmehr, wenn die junge Morgensonne sie weckte. Es war ein sanftes Hinübergleiten von den Träumen der Nacht zu dem, was der neue Tag an Wundern wohl bringen mochte. Außerdem war sie dann schon wach, bevor ihre Amme hereintrat und sie mit einem lauten „Der Morgen ist da, Prinzesslein. Auf in einen neuen Tag!“ weckte. Von einem Stuhl nahm die Prinzessin einen schwarzen Überwurf und bedeckte damit ihre Schultern, denn obgleich der Sommer bald kommen würde, war es so früh am Morgen noch sehr frisch. Langsam durchschritt sie den seidenen Nebel, der sie vom ersten klaren Blick in den neuen Tag trennte. Der Vorhang strich ihr sanft über die Wangen und Quirina fröstelte leicht. Nicht der Kälte wegen. Vielmehr war das Bild der Feenarme noch sehr präsent und die Prinzessin wollte das Gefühl abschütteln, dass eine fremde Frau zwischen den Türen zu ihrem Balkon stand. Fee hin oder her, dachte sie, das ist mein Zimmer. Aus dem Weg! Mit nackten Füßen überwand sie die wenigen Schritte bis zu den steinernen Zinnen, die ihren Aussichtsplatz vom Rest der Stadt trennte. Vorsichtig lehnte sie sich hinüber und schaute die zahlreichen Meter hinunter bis zum Boden. Wie Spielzeugsoldaten wirkten die zwei Wachen, die sie vor dem großen Eingangsportal des Schlosses erkennen konnte. Das Wasser auf dem Lindsee, das das große, von einem Felsmassiv im Norden geschützte Heim ihrer Familie und die Stadt davor wie ein unermesslich großer Burggraben umfloss, kräuselte sich leicht. Die Morgensonne glitzerte auf seiner Oberfläche, als hätte der reichste Mensch der Welt einen riesigen Sack mit Diamanten auf ihr ausgeschüttet. Die Prinzessin musste bei diesem Anblick lächeln. Das war der nächste Grund für sie, so früh aufzustehen und die stillen Momente im Freien zu genießen. Kein Schiff durchbrach das Spiel, das Wasser und Sonne miteinander trieben, nur wenige Menschen waren auf den Straßen unterwegs, deren Stimmen sie das Flüstern des Windes nicht hätten hören lassen, und keine der zahlreichen Bediensteten, die sich auf Geheiß ihrer Mutter um sie kümmerten, strichen um sie herum. Quirina war das wohlhabendste Mädchen ganz Lindheims und doch fühlte sie sich allzu oft, als sei sie unfrei wie eine Gefangene. Wie junge Katzen, die um die Aufmerksamkeit ihres Frauchens wetteiferten, so kamen ihr die Zofen und ihre Amme vor, sobald sie sie umlagerten, um ihr Essen zu bringen, sie zu unterhalten und zu umsorgen. Quirina schüttelte den Kopf und seufzte.

„Fehlt nur, dass ihr mir wie Katzenjunge um die Beine schleicht!“

Ihr Blick schweifte den Lindsee entlang bis hin zum größten der Wasserfälle, die sich von den entfernten Klippen des Lindgebirges in den riesigen See ergossen.

„Dahinter wohnst du also, Derko!“, sagte sie, im Geiste an Fios großen Bruder gewandt, und musste lächeln. Sie dachte an die Mutprobe der jungen Lindheimer, von einem der Wasserfälle zu springen, und stellte sich vor, wie ein Junge spränge und Derko gleichzeitig ausflöge. Er würde auf dessen Rücken landen und seine Mutprobe als unfreiwilliger Drachenreiter fortsetzen. Geschähe den Jungs ganz recht, empörte sich die Prinzessin. Sie empfand es schon immer als ungerecht, dass diese Mutprobe nur Jungs machen durften. Gerne hätte sie mit sieben auch ihr erstes Messer als Belohnung für eine solche bestandene Mutprobe geschenkt bekommen.

Was soll’s, dachte sie sich. Ich bin auf dem Rücken eines Drachen ebenso viele Meter in die Tiefe gestürzt. Das hat keiner der kleinen Jungs vorzuweisen. Wozu brauche ich ein albernes Messer als Trophäe? Ich habe einen ganzen Drachen als Beweis für meinen Mut zum Freund bekommen.

Aus ihrer Schlafkammer hörte sie ein lautes Knacken und Schritte, die die Treppe hochkamen. Das konnten nur ihre Amme und ihre Ankleidezofe sein. Quirinas Magen begann zu knurren. Ein untrügliches Zeichen, dass sie die Zeit hier draußen vergessen haben musste. Es war noch zu früh, um die dienstbaren Kätzchen um sich herum zu erdulden. Sie eilte durch die Tür und schob die Vorhänge mit beiden Armen voran so rasch zur Seite, dass sich keine Fee hätte beschweren können. Dann sprang sie schwungvoll auf die Matratze ihres riesigen Bettes und ließ sich auf die andere Seite katapultieren, wo sie sich fast lautlos auf dem dicken Teppich abrollte und wie eine zum Ritterschlag bereite Adelige mit einem Bein kniend zum Stehen kam. Sie lächelte und ihr Spiegelbild lächelte aus dem Wandspiegel, der in die dunkle Mauer eingelassen war, zurück. Die Schritte von außerhalb der dunklen Eichentür, die die Räume ihrer Bediensteten von ihren trennte, waren jetzt so nah, dass sie die Tür jede Sekunde erreichen mussten. Quirina griff in eine Vertiefung hinter der unteren Zierumrandung des Spiegels und betätigte einen kleinen versteckten Hebel. Mit einem Klicken öffnete sich ein Spalt zwischen dem Spiegelglas und dessen goldgefärbter Holzumfassung. Fast gleichzeitig vernahm sie ein kaum hörbares Klopfen an der Tür und ihre Ankleidezofe hauchte „Prinzessin, seid ihr wach?“ durch die geschlossene Tür. Mit dem Saum ihres Überwurfs vor den Händen schob Quirina den Spiegel nach innen. Dahinter öffnete sich ein kleiner Raum, der zu einer abwärts führenden Treppe einlud. Rasch trat die Prinzessin ein und zeitgleich bewegte sich der kunstvoll gewundene goldene Griff ihrer Schlafgemachstür nach unten. Kaum hatte sie die Spiegeltür des Geheimgangs geschlossen, sah sie ihre Amme die Zofe überholen.

„Der Morgen ist da, Prinzesslein. Auf in einen neuen Tag!“, rief sie mit lauter Stimme und zog Quirinas Bettdecke nach oben.

Verwundert schauten sich Amme und Zofe an, bis sie erst auf den Balkon und dann gemeinsam aus dem Zimmer hinauseilten. Die Prinzessin musste sich die ganze Zeit über die Hände vor den Mund halten, um nicht laut zu lachen. Jetzt, da sie wieder alleine war, konnte sie auch eine der Öllampen, die im Geheimgang bereitstanden, entzünden. Ein Geheimspiegel spiegelt immer nur die hellere Seite, hatte sie in einem der zahlreichen Bücher gelesen, die in der Bibliothek ihres Vaters auf sie warteten und wissenshungrig von ihr verschlungen wurden. Vom unsteten Licht der Öllampe beschienen nahm die Prinzessin vorsichtig eine Stufe nach der anderen die Treppe hinunter. Alle königlichen Schlafgemächer und auch der Thronsaal waren über Geheimgänge miteinander verbunden, wusste Quirina. Ganz hatte sie die Räume noch nicht erschlossen und auch die Bücher der Verborgenen Bibliothek gaben nicht über alle Geheimwege und versteckten Räume Aufschluss. Wirklich verborgen war die ebenso genannte Bibliothek nicht mehr, seit die Prinzessin mit Fionrir zurück zum Schloss gekommen war und ihr Vater die Drachenbücher, die zwölf Jahre lang vor ihr versteckt gehalten worden waren, von eben dort zurück in die Bibliothek hatte bringen lassen. Hätte der königliche Bibliothekar nicht unvorsichtigerweise und wahrheitsgemäß geantwortet, als Quirina ihn gefragt hatte, wo die Bücher denn so viele Jahre verblieben gewesen seien, hätte es ihre Neugierde vermutlich nie so sehr entfacht. Vier Wochen hatte sie gebraucht, bis sie endlich den geheimen Zugang gefunden hatte. Ihr war klar, dass er von der königlichen Bibliothek, zu der sie uneingeschränkten Zugang hatte, direkt abgehen musste. Alles andere wäre zu unpraktisch gewesen. Zudem hatte sie zu keinem Zeitpunkt beobachtet, dass je Bedienstete des Bibliothekars die mehr als zweihundert Bücher über Drachen, Wyvern und Schlangenwesen in die Bibliothek zurückgebracht haben. Der Zugang musste also von dort aus möglich sein, hatte sie daraus geschlossen und ihre täglichen Leseaufenthalte genutzt, um heimlich alle Möglichkeiten auszuspionieren. Letztlich war es einfacher, als sie gedacht hatte, und sie ärgerte sich, dass sie so vielen Ideen, wo man einen Geheimgang überall verstecken konnte, zuvor nachgegangen war. Offenbar hatte die Prinzessin deutlich mehr Fantasie als die Erbauer der Verborgenen Bibliothek. Letztlich musste sie nur das hinterste Bücherregal, das auf kaum sichtbaren Rollen stand, zur Seite schieben und der Zugang war offen. Als erstes hatte sie sich ein Buch ungefragt entliehen, das einen Großteil der Geheimgänge der uralten Burg beschrieb. Darüber erfuhr sie von einer Geheimtür, die auch in die Verborgene Bibliothek führte. Das war praktisch. So konnte sie ohne Umwege von ihrem Schlafgemach zu den ihr vorenthaltenen Büchern gelangen, ohne die aufmerksamen Augen und Ohren des königlichen Bibliothekars fürchten zu müssen. Nun aber hatte Quirina ein anderes Ziel, wie ihr ein zweites, noch lauteres Knurren ihres Magens verriet. Sie hatte das Ende der Treppe erreicht und kniete sich zur untersten Stufe. Zielsicher griff sie hinter den linken der beiden Holzklötze, auf denen die Stufe angebracht war, und zog ein von dünnem Wachspapier umhülltes Bündel zusammengerollter Papiere heraus. Vorsichtig entfernte sie deren Schutzhülle und faltete sie auseinander. Ein Kohlestift war in der Mitte der zahlreichen Aufzeichnungen Quirinas eingerollt.

„Ich bin schon ganz schön weit“, sagte sie sich mit nicht wenig Stolz in der Stimme.

Damit es nicht auffiel, dass ein Buch aus der nicht mehr ganz so verborgenen Bibliothek fehlte, hatte sie die enthaltenen Beschreibungen der geheimen Gänge und Räume in eine Karte übertragen. Das war nun viele Wochen her und inzwischen hatte die Karte deutlich an Umfang zugenommen, denn es war nicht bei dem geheimen Zugang zur Großküche des Schlosses geblieben, den Quirina auf ihren nächtlichen Wanderungen durch die Gänge entdeckt und eingezeichnet hatte. Sie hatte eine kleine Waffenkammer entdeckt, gefüllt mit Schwertern, Äxten und Schilden, wie sie nur noch in den Geschichtsbüchern der königlichen Bibliothek zu sehen waren. Auch hatte sie den Zugang zu einem Räumchen entdeckt, das an das Ankleidezimmer ihres Vaters angrenzte. Es war voller Süßigkeiten, die allerdings so hart waren, dass sich Quirina beinahe einen Zahn zersplittert hatte, als sie voller Vorfreude in etwas biss, das sie für eine Art Nougat gehalten hatte. Ihr Urgroßvater, den Quirina nur aus den Erzählungen ihres Vaters kannte, hatte für sein Leben gern genascht – etwas, das er mit der Prinzessin teilte – und daher vermutete sie, dass es seine Kammer war, die wohl in Vergessenheit geraten sein mochte, als er gestorben war und die Krone an ihren Opa übergeben hatte, der sich aus solchen Dingen nichts machte. Was Quirina besonders wunderte, war, dass sie ein kleines Schlafzimmer gefunden hatte. Die Bettdecken waren voller Staub und der große Strauß Rosen, der in einer goldenen Vase steckte, war so trocken, dass die Prinzessin bei ihrer Entdeckung fürchtete, er würde zerfallen, sobald sie atmete. Ein mit Samt ausgekleideter zweiter Gang führte unterirdisch weit in die Stadt hinein. Dessen Ende erwies sich jedoch als ebenso zugemauert wie der Zugang zu einem der Zimmer des Schlosses, der wohl ebenso einmal hinter einem Spiegel geendet haben mochte. Quirina konnte sich keinen Reim darauf machen, weshalb jemand ein Schlafzimmer ohne Fenster mit so dicken Mauern haben wollen könnte. Mit den Fingern fuhr sie die verschlungenen Pfade ihrer Zeichnung nach und prägte sich den Weg zur Küche ein. Das machte sie jedes Mal, wenn sie bereits erkundete Räume erneut besuchte. Schließlich sollte Wissen in den Kopf und nicht auf Papieren gefangen bleiben. Quirina schloss ihre Augen und ging im Geist den Geheimweg zur königlichen Küche ab. Dann nickte sie, rollte die Karte wieder zusammen und verstaute sie, in ihrem Wachspapier geschützt, am angestammten Platz. Ihr Weg führte zunächst tiefer in den Berg hinein, in den die meisten der Geheimgänge und bisher entdeckten Räume hineingetrieben waren. Nicht wenige Gänge führten jedoch, so schmal, dass es ihr nur gelang, sie seitlich gehend zu durchwandern, zwischen den Mauern im Inneren des Schlosses entlang.

Bald kam sie zu einer Abzweigung. Den linken Gang muss ich nehmen, rief sie sich in Erinnerung. Er führte über eine steile Treppe mehrere Stockwerke nach unten. Dann ging es seitwärts durch einen schmalen Spalt zwischen den dicken Mauern des Schlosses hindurch, bis sie schließlich zu einem Gang gelangte, den sie nur auf den Knien durchqueren konnte. An dessen Ende war ein Hebel, der ein Stück Mauer öffnete, die tatsächlich ein getarnter Zugang zur großen Vorratskammer war. Quirina kroch heraus. Um sie herum hingen Schinken von der Decke. Einmachgläser voller eingelegtem Obst und Gemüse füllten die Regale. Käselaibe unterschiedlichster Arten türmten sich. Die Prinzessin zog einen kleinen Dolch hervor, der sich geschickt eingenäht in ihrem Überwurf verbarg.

Dafür musste ich nicht von einer Klippe springen, dachte sie schmunzelnd. Ich kann nähen!

Vorsichtig trennte sie etwas Schinken von einem der angeschnittenen Stücke ab und entnahm ein Wenig von einem von grünen Adern durchzogenen Käse, den sie am liebsten mochte. In einem Korb entdeckte sie frische Feigen. Sie nahm zwei heraus und zögerte. Dann legte sie eine wieder zurück. Sie wollte auf keinen Fall, dass ihre kulinarischen Raubzüge auffielen.

„Nur noch etwas Brot stibitzen“, flüsterte sie leise zu sich selbst.

Das Brot wurde täglich frisch gebacken und befand sich in einem Abkühlraum neben der Vorratskammer. Dazu musste sie ihren sicheren Raum verlassen. Vorsichtig lauschte sie an der Tür. Sie konnte kein Geräusch hören. Sachte drückte sie die eiserne Klinke herunter. Sie quietschte. Quirina hielt inne und lauschte erneut. Noch immer nichts zu hören. Also drückte sie die Klinke so schnell sie konnte herunter, um das Quietschen zu überwinden. Das nächste Mal brächte sie etwas Speiseöl auf, um die eherne Verräterin zum Schweigen zu bringen. Sie lugte um die Ecke. Die Küche war noch menschenleer. So früh wurde nur in der Bäckerei des Schlosses gearbeitet. Rasch schlich Quirina in die Abkühlkammer und nahm ein Stück Brot vom Vortag, mit dem sie sich ihr morgendliches Mahl schmecken lassen würde. Vielleicht im Bett des geheimen Schlafzimmers. In ihrem eigenen Bett war es ihr leider verboten zu essen.

Kaum hatte Quirina Schinken, Käse, Brot und Feige in ihrem Kleid verstaut, dessen unteren Teil sie dazu wie eine Tasche hochgerafft hatte, hörte sie leise Stimmen und Schritte vom Gang. Sie näherten sich der Tür zur Küche. Zurück zur Speisekammer schaffte sie es nicht mehr. Ihr Herz begann wild zu schlagen. Mit weit geöffneten Augen schaute sie sich nach einem Versteck um, doch fand keines, das sie aufnehmen konnte. Die Tür öffnete sich. Quirina fiel auf die Knie, um wenigstens durch die großen Herde, die inmitten der königlichen Küche standen, verdeckt zu sein.

Sie hörte eine Frau leise sprechen. „Das ist die Küche. Wir sind richtig. Da hinten muss es auf den Hof gehen, wo der Kompost hinausgebracht wird.“

„Ich hoffe sehr, dass das kleine Osttor wirklich offen ist“, vernahm Quirina eine weitere Stimme, die ihr wie auch die erste sehr bekannt war.

Ein Schauer lief ihren Rücken hinunter und Schweißperlen formten sich auf ihrer Stirn. Die Schritte entfernten sich. Quirina biss sich auf die Unterlippe. Dann wurde die Tür zum Hof geöffnet und leise wieder geschlossen.

Die Prinzessin sprang auf. All ihre Köstlichkeiten purzelten hinunter und sie rannte, so schnell sie konnte, durch die Speisekammer in den Geheimgang. Sie musste ihren Vater warnen. Die Drachenjäger, die sie als Geisel genommen hatten und Fionrir fangen wollten, waren frei und auf der Flucht.

Zweites Kapitel

Geburtstagsvorfreude

V

orsichtig spionierte Fionrir an einem großen Baum vorbei, hinter dessen gewaltigem Stamm er sich versteckt hielt. Sein großer Drachenkörper war eng an den Boden gepresst. Seine Hinterläufe waren sprungbereit gespannt.

„Wo seid ihr zwei?“, flüsterte er so leise, dass nur er es zu hören vermochte.

Ein paar Bäume weiter, im kaum durchdringlichen Dickicht, raschelten einige Ästlein. Fios Drachenmaul begann ein siegessicheres Lächeln zu umspielen. So lautlos, wie man es von einer Echse, die so schwer wie zwei große Erwachsene war, nicht erwarten würde, pirschte er sich langsam an die beobachtete Stelle heran. Die Hornplatten auf seinem Rücken waren aufgestellt und zitterten vor Anspannung. Würde er es schaffen, sich lautlos und unbemerkt anzuschleichen? Seit dem Abenteuer an seinem siebten Drachengeburtstag, als er leise durch den Wald schreiten musste und ihn jedes Tier kilometerweit nahen hörte, hatte er viel geübt. Er fühlte sich wie eine große Katze auf der Jagd nach kleinen Mäuslein. Nur waren die Mäuse, die er jagte, deutlich größer. Sie waren vielmehr selbst Räuber und letztlich war es nur eine Frage des Standpunktes, wer wen jagte. Es ging um alles.

Ein weiterer Mammutbaum verschaffte Fio ein Versteck. Er fixierte aufgeregt die Stelle, an der es noch immer raschelte, und erkannte die Spitze einer braunen Rute, die ebenfalls leicht zitternd aus dem Gehölz herausragte.

Wenn dort seine Schwanzspitze ist, dann blickt er in die falsche Richtung, dachte Fio erfreut.

Er konnte sich also ungesehen von hinten anschleichen und ihn überraschen. Der Wind kam ihm entgegen, was Fio die Position seines Ziels noch deutlicher verriet. Als Bergdrache hatte Fio einen sehr guten Geruchssinn. Schließlich musste sich seine Art in dunklen Höhlen auch dann bestens zurechtfinden, wenn nicht ein Strahl Licht in sie eindringen konnte. Um einen Wechsel der Windrichtung brauchte er sich seinetwegen keine Gedanken zu machen. Drachen schwitzten nicht und so musste er auch nicht befürchten, dass verräterische Duftspuren von ihm fortgetragen würden. Zu ihm, der über ein noch deutlich besseres Riechorgan verfügte als der junge Drache selbst. Fio verließ sein Versteck. Nur noch wenige Drachenlang. Der Moment war gekommen. Wie ein Krokodil, das auf Tigerpfoten unterwegs war, näherte er sich geräuschlos und sprungbereit an. Dann verharrte er. Die Rute, nur noch einen Drachenlang von ihm entfernt, hörte auf zu zittern. Regungslos verstrichen die Sekunden. Er konnte nichts gehört haben, dachte Fio. Ich war unhörbar, unsichtbar.

Die Vorder- und Hinterläufe des jungen Drachen waren so gespannt wie der Bogen eines Jägers. Mit einem Ruck verschwand die Rute im Geäst. Fionrir sprang, wie von einem Katapult geschossen, auf die Stelle zu. Hinter ihm knacksten kleine Ästlein. Gelber Pollenstaub der Fichten, trockene Erde, Äste und braune Baumnadeln des Vorjahres wirbelten auf, als Fio landete. Mit seinem Maul hatte er ein kleines braunes Fellbündel geschnappt.

„Hab dif, du kleiner Frtolf!“, sagte Fio.

„Och, Menno!“, antwortete der kleine Wolf, den der Drache so behutsam in sein Maul genommen hatte, dass selbst ein Ei nicht zerbrochen wäre. „Ich war mir so sicher, dass du auf der anderen Seite bist. Bestimmt hätten wir dieses Mal gewonnen.“

„Aber bir haben boch bebonnen!“, mischte sich eine zweite Stimme hinzu. Fio entließ das kleine braune Wolfswelpe aus seinem Maul und blickte auf seinen Rücken. Ein zweites junges Wölfchen mit einem Fell, fast so hell wie Schnee, lag darauf und hatte sich in eine seiner Hornplatten verbissen.

„Oh, nein!“, spielte ihm Fio ein Jammern vor. „Ihr habt mich reingelegt! Du hast mich gefangen.“

Die Wolfswelpin entließ die Hornplatte aus ihrem Maul und ihr Zwillingsbruder sprang triumphierend zu ihr hinauf. „Drachenjäger!“, riefen sie wie mit einer Stimme und schlugen ihre Pfoten zusammen. Das Heulen zahlreicher Wölfe erklang und aus dem Wald trat eine stolze Mutter hinzu.

„Sie waren toll, deine beiden, was, Canina?“, sagte Fio.

„Ich bin stolz auf euch!“, sagte die Wölfin und nickte anerkennend.

Die zwei Welpen sprangen von Fio hinunter und sofort auf ihre Mutter zu, an die sie sich sogleich anschmiegten.

„Ihr wart alle drei großartig“, hörte Fio eine weitere Wolfsstimme hinter sich und drehte sich erschrocken um. Nur eine Flügellänge hinter ihm saßen Finris und Kwon und lächelten.

„Wie macht ihr das bloß immer?“, fragte der junge Drache verwundert, und die beiden Welpen stürmten auf sie zu. „Opa!“, riefen sie wie mit einer Stimme und rannten Finris beinahe um. „Hast du uns gesehen? Hast du? Waren wir nicht toll?“, plapperte Fiona drauflos. „Ich hatte Fio fest an seinen Hornplatten gepackt!“

„Und ich habe ihn angelockt!“, ergänzte ihr gleichaltriger Bruder Fionn.

„Ja, ich habe euch gesehen und bin sehr stolz auf meine Enkel. Wir sind alle stolz!“, rief er, und das Heulen vieler anderer Wölfe setzte aus den Tiefen des Waldes ein.

„Euer Großonkel hat euch etwas zu sagen“, kündigte der alte Leitwolf an, ließ die Wolfszwillinge mit seinem Bruder Kwon zurück und schritt zu Fionrir und seiner Tochter.

„Zwei großartige Enkel hast du mir geschenkt, Canina!“, sagte er und schmiegte seinen Kopf an ihre Schulter. „Fio!“, fuhr er, an den jungen Drachen gewandt, fort. „Was ich eben bezeugen durfte, war unglaublich. Wenn ich daran denke, wie laut und unbeholfen du vor wenigen Monaten durch den Wald gepflügt bist, kann ich es kaum glauben. Du stehst einem Wolf im Anschleichen in nichts nach. Wer hätte gedacht, dass ein Wesen mit einer solchen Kraft und Masse, sich so leise bewegen kann.“ Dann blickte er seine Tochter an und nickte.

„Fio!“, sagte Canina so leise, dass es ihre Kinder nicht hörten. „Wir würden uns sehr freuen, wenn du auf Fiona und Fionn aufpassen würdest, wenn sie ihre erste Nacht alleine, getrennt vom Rudel, verbringen müssen. Normalerweise ist ein erfahrener Wolf heimlich in der Nähe, wenn die jungen ihre Prüfung ablegen, aber die beiden sind schon so gut darin, sich auf ihren Geruchssinn zu verlassen, dass sie einen Wolf in ihrer Nähe sofort wittern würden. Es wird noch etwas dauern, bis es soweit ist, doch wir wollten dich jetzt schon gerne fragen, ob du es für uns tun würdest.“

Erwartungsvoll blickten Vater und Tochter den jungen Drachen an.

Fionrir lächelte. Er erinnerte sich an ihre gemeinsame Reise. Sie hatten ihm geholfen, als er Prinzessin Quirina zu ihrem Schloss zurückgebracht hatte. Ohne sie wäre die Reise nicht gut ausgegangen. Gemeinsam hatten sie gegen Wilderer, Piraten und sogar gegen Drachenjäger gekämpft. Gerade die Letztgenannten waren eine solche Gefahr gewesen, die ihn beinahe mehr als seine Freiheit gekostet hätte. Ein Glück, dass die drei Drachenhasser von Elgar Schildmannssohn, einem Hauptmann der Leibgarde von Quirinas Vater, gefangenen genommen worden waren. Ohne die Wölfe wäre Fio heute nicht der Drache, auf den seine Eltern so stolz sind. Es gab nur eine Antwort und er hätte sie ihnen selbst dann gegeben, wenn sie keine solche gemeinsame Vergangenheit gehabt hätten. Er mochte seine drei ehemaligen Reisegefährten und hatte die beiden so unterschiedlichen Zwillinge ebenso in sein Herz geschlossen.

„Natürlich helfe ich euch“, erwiderte Fio. „Ich freue mich sehr, dass ihr mich gefragt habt.“

Bevor die beiden etwas sagen konnten, stürmten Fiona und Fionn auf sie zu. Wild und ungestüm sprangen sie aufgeregt an ihrer Mutter hoch. „Unser Großonkel will uns zur Jagd mitnehmen und wir dürfen zuschauen. Dürfen wir? Dürfen wir?“, sprachen sie durcheinander.

Canina musste lachen. „Natürlich dürft ihr. Als könnte ich nein sagen, wenn mich solch wunderschöne gelb-grüne Augen anblicken!“

„Juchhe!“, riefen sie, eilten zurück und es schien, als schöben sie Kwon mit ihren Köpfchen geradezu in den Wald.

„Langsam, langsam!“, sagte dieser lachend.

Finris und Canina nickten Fio dankbar zu und spurteten den dreien eilends hinterher.

Der junge Drache war froh, dass sie wieder ein richtiges Rudel hatten. Seit die Wilderer überwältigt waren, gab es ausreichend Wild und ein Gleichgewicht hatte sich eingestellt, das es allen Tieren erlaubte, wieder frei im Wald zu leben.

Fio trabte langsam zu einer kleinen Lichtung, die die zwischen den Ästen durchdringende Sonne bereits ankündigte. Ihre Strahlen fanden wärmend ein Ziel in Fios Gesicht. Er genoss die Wärme sehr. Für Drachen bedeutete Wärme Agilität. Je wärmer es war, desto aktiver und geladener mit Energie und Lebenslust waren sie. Fio freute sich sehr auf den Sommer. Nicht nur der Wärme wegen. Der Sommer brächte eine neue Reise mit sich. In drei Tagen würde er zu Quirina aufbrechen und sie zu ihrem Geburtstag endlich wiedersehen. Seit Fio das Fliegen gelernt hatte, war kein Ort mehr sicher vor ihm. Seine erste Reise hatte ihn noch mühsam tagelang zu Fuß durch Wälder, Felder und Wiesen geführt. Heute flog er nicht weniger gut als seine Geschwister Tanina und Derko oder seine Eltern. Zwar war er noch zu klein, um einen Drachenreiter zu tragen, doch das kam von selbst, wenn Fio erst einmal ausgewachsen war und die volle Kraft eines Drachen besaß. Er beneidete die erwachsenen Drachen seiner Familie natürlich schon ein Wenig, dass sie und ihre menschlichen Freunde gemeinsam in der Luft reisen konnten, aber Fio konnte warten. Immerhin wurden Drachen so alt, dass selbst Steine neidisch wurden. Das sagte sein Opa Sirrusch stets und er musste es wissen. Er war der älteste Drache, den Fionrir kannte.

Zwischen Fio und der Lichtung standen nur noch zwei Reihen Bäume. Der Drache passierte sie und kletterte auf den kleinen Basaltfelsen, der das Zentrum der Lichtung ausmachte. Hier war schon immer sein Lieblingsplatz gewesen. Die Sonne wärmte den dunklen Stein sehr schnell auf und er spendete bis tief in die Nacht wohlige Energie, wenn Fio auf ihm saß, die Sterne beobachtete und den Geräuschen der Nacht lauschte.

Schwungvoll stieß er sich ab und steuerte mit kraftvollen Schlägen seiner Flügel die Höhle seiner Familie an, die ein Stück nördlich seines Lieblingsplatzes hoch in dem das Himmelskammtal umgebenden Felsmassiv gelegen war. Fio freute sich jedoch nicht nur, seine Freundin Quirina wiederzusehen, wenn er in wenigen Tagen aufbräche. Er war auch glücklich darüber, das erste Mal nach vielen Jahren seinen Bruder in dessen eigener Höhle besuchen zu können.

Drittes Kapitel

Ein Freund in Gefahr

Q

uirina stieß mit Schwung die Spiegeltür ihres Geheimgangs auf. Keine Sekunde hatte sie einen Gedanken daran verschwendet, ob eine ihrer Zofen oder gar ihre Amme im Schlafzimmer sein könnten und ihre verborgene Tür dadurch vielleicht entdeckt worden wäre. Es gab Dinge, die viel wichtiger waren. Dagegen verblassten Sachen wie Geheimtüren, die ihr lediglich persönliche Freiheiten verschafften. Jetzt galt es, Fionrir zu retten. Sie musste ihren Vater unterrichten, selbst wenn sie dafür preisgeben musste, auf welchem Weg sie in die königliche Küche gelangt war und die Drachenjäger bei der Flucht beobachten konnte. Sicher sinnten sie auf Rache, hatte ihr geschuppter Freund deren Bund doch auffliegen lassen und vor allem ihren Plan vereitelt, sich nicht nur der Drachen, sondern auch der Königtümer zu entledigen. Es waren verrückte Pläne, die die Drachenjäger verfolgt hatten, doch sie waren wahnsinnig genug, ganz Lindheim ins Chaos zu stürzen, hätten sie Erfolg gehabt und Fio gefangen. Eilends öffnete sie die Tür ihres Kleiderschranks, entledigte sich ihres Nachtrocks und streifte sich ein schlichtes Gewand über. Rasch band sie ihre Sandalen. Im Herauseilen griff sie sich ihren schwarzen Überwurf.

Kaum dass sie die Tür geöffnet hatte und von blinder Hast getrieben hinaus auf den Flur geeilt war, rannte sie gegen einen Soldaten der Leibwache ihres Vaters. Quirina prallte an dessen geharnischter Brust ab, als sei sie gegen eine Mauer gelaufen, während der Hüne nicht einmal bemerkt zu haben schien, dass sie auf ihn gestoßen war. Die Prinzessin flog zurück und wäre sicher mit dem Kopf schwer auf den Boden geschlagen, wenn der Wächter sie nicht mit einem schnellen Griff davor bewahrt hätte. Quirina schrie vor Schreck auf.

„Verzeiht, Hoheit! Ich wollte euch nicht erschrecken oder gar verletzen“, sagte er.