Fionrirs Reise ins Tal der Drachen - Andreas Arnold - E-Book

Fionrirs Reise ins Tal der Drachen E-Book

Andreas Arnold

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Beschreibung

Der jahrhundertealte Frieden zwischen Menschen und Drachen gerät ins Wanken, weil... ja, warum eigentlich? In einer unheilvollen Mischung aus Halbwissen, Angst und Intrigen rüsten Menschen und Drachen auf einmal gegeneinander auf. Ist die Ereignislawine, die den Pakt zwischen ihnen gefährdet, noch aufzuhalten? Der junge Drache Fionrir ist kein Kind mehr und hat beeindruckende Drachenfähigkeiten entwickelt. Ist es an ihm, zusammen mit der jungen Thronfolgerin Quirina den Frieden zu sichern? Band III mit dem großen Finale von "Fionrirs Reise". "Fionrirs Reise ins Tal der Drachen" ist Band III der Geschichten des jungen Drachen Fionrir. Er schließt die Trilogie um Fionrirs Reise ab. Alle drei Bände sind in sich abgeschlossene Geschichten, in denen sich die liebenswerten Charaktere und Figuren (ebenso wie die unvermeidlichen Schurken) weiter entwickeln. Das ungekürzte E-Book zum Print Buch mit der ISBN 9783945532331. Natürlich mit allen liebevollen s/w-Zeichnungen von Norman Heiskel, die die Kapitel begleiten.

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Seitenzahl: 368

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Andreas Arnold

 

Fionrirs Reise

ins Tal der Drachen

 

Roman

Fionrirs Reise Band III

 

© 2020 Reimheim-Verlag Thorsten Zeller,

Heinrich-Lübke-Straße 9, 61169 Friedberg

http://www.reimheim-verlag.de

 

 

E-Book 06/2020Alle Rechte vorbehalten

Umschlagbild und Illustrationen: Norman Heiskel

E-Book-ISBN: 9783-945532867

 

Die gedruckte Ausgabe zu diesem eBook „Fionrirs Reise ins Tal der Drachen“ ist überall im Buchhandel erhältlich unter ISBN 9783-945532331

 

Ebenfalls von Andreas Arnold im Reimheim-Verlag erschienen und überall im Handel erhältlich:

„Fionrirs Reise“ (Band I)

Print: ISBN 9783-945532102

E-Book: ISBN 9783-945532805

 

„Fionrirs Reise geht weiter“ (Band II)

Print: ISBN 9783-945532225

E-Book: 9783-945532850

Besucht Fio auf seiner Homepage:

www.fionrirs-reise.de

 

Für einen jungen Drachen ist es ganz schön aufregend, zu erfahren, wie euch seine Abenteuer gefallen. Wenn ihr auch anderen davon erzählen möchtet, findet ihr hier Links dazu:

www.reimheim-verlag.de/rezi-hub.htm#fio

 

Danksagung

Vier Jahre liegen zwischen der Fertigstellung des ersten und dem Erscheinen des abschließenden dritten Bandes, den ihr gerade in den Händen haltet. Von Menschen- in Drachenjahre umgerechnet – sieben zu eins ist das Verhältnis, wie Kenner der Drachenwelt wissen – entspricht das fast exakt dem im Buch vergangenen Zeitraum. Zufall? Vielleicht! Doch wäre das kaum möglich gewesen, wären da nicht so viele treue Fio-Freunde gewesen, die halfen, seine Reise zu einem glücklichen Ende zu führen.

Vielen Dank an Regina Beatrix Rumpel, Dr. Carolin Völker, Stephanie Kässmayer sowie Daniel und Martin Klatt für das Problesen und jeden einzelnen Fehler oder logischen Bruch, den ihr entdeckt, und jeden liebevollen Hinweis, den ihr eingebracht habt. Danke an meinen Verleger Thorsten Zeller, der nicht nur viele Tipps zu Fios Reise auf See einstreuen konnte – ohne ihn wäre nicht ein Segel zu reffen gewesen –, sondern auch wieder sehr detailverliebt und verspielt Buch und Cover gestaltet hat. Nicht zuletzt gerade an Norman Heiskel ganz viel Dank – meine Phantasie durch ihn illustriert zu wissen, ist ein großes Geschenk.

Doch der größte Dank gilt euch: Meinen Leserinnen und Lesern. Es war meine größte Motivation, an die vielen unvergesslichen Lesungen zu denken. Danke!

Dramatis Personae, oder: Wer ist wer?

Drachen

Fionrir, ein junger feuerspeiender Bergdrache

Midga, Fios Mama, Feuerdrachin

Taras, Fios Papa, Bergdrache

Tanina, Fios Schwester

Fargas, Taninas Gefährte, Bergdrache

Derko, Fios Bruder

Lida, Fios Cousine, ein Wurmdrachenmädchen

Amata, Lidas Mama

Feras, Lidas Papa

Davud, Fios Cousin, fliegender Riesendrache

Ceti, Fios Cousin, fliegender Wasserdrache

Sirrusch, Fios Opa, Feuerdrache

Soraya, Fios Oma, Feuerdrachin

Pamusch, Fios Urahn, der legendäre Drachenkönig

Aleos, ein Wasserdrache

Kritio, ein Wasserdrache und Freund Aleos

Schiurir, kein Drache, auch wenn Seeschlangen oft für welche gehalten werden

Smarada, eine junge Feuerdrachin, Midgas Nichte

Sarasa, eine Bergdrachin

Krsch, ein alter Zwergdrache

Keari, eine Wasserdrachin und Cetis Tante

Bochumir, ein Drache aus dem Westen

Sadogir, ein alter Freund Sirruschs

 

Menschen

Quirina, eine junge Prinzessin

Leontin, Quirinas Vater, König von Lindheim

Anna, Quirinas Mutter, Königin

Ingvar, Schatzmeister

Osgar, Quirinas Freund, Sohn des Schatzmeisters

Ida, Quirinas Amme

Alina, Quirinas Ankleidezofe

ElgarSchildmannssohn, Hauptmann d. Leibwache

ThomasynFeuerschmid, Feldwebel der Leibwache

Liam Schwertarm, Späherführer

Senta, Hauptfrau einer Garnison

Petrissa, Langbogenschützin

Ortrud, Kurzbogenschützin

Oda, Kurzbogenschützin

Ewein, Kapitän der königlichen Flotte

Gorman, Kapitänin der königlichen Flotte

Der Smutje, Feldkoch

Aigolf, ein windiger Wanderkrämer

Raedwolf, ein Jäger aus dem Dorf Fichtingen

Hunbert, noch ein Jäger aus dem Dorf Fichtingen

Enndlin, ehemalige Drachenjägerin, Spionin

Lienhard, ein inhaftierter Drachenjäger

Sewolt, ehemaliger Drachenjäger, Spion

Frieda, Anführerin der Nordmänner

Friedjolm, Friedas Bruder

Arnulf, Friedas Gemahl, Krieger

Torben, Frieda und Arnulfs Sohn, Krieger

Sargan, ein Krieger der Nordmänner

Simioni, der König der Fischer, aus Marheim

Harold, ein Drachenfreund und Wirt

Friedel, ein Drachenfreund

Winfred, ein Drachenfreund

Krom, Hafenmeister Marheims

Kadir, Herrscher des Wüstenreichs

Tamir, sein Sohn, mit Lida verbunden

 

Andere Tiere

Finris, Wolf, alter Rudelführer

Kwon, Finris’ Bruderwolf

Canina, Finris’ Tochter

Arcos, Caninas Gefährte und Rudelführer

Fionn, Caninas Sohnwolf

Fiona, Caninas Tochterwolf

Jutz, ein Uhu

Silfur, ein Riesenhase

Lennart, genannt Lenny, ein Eichhörnchen

Ruben, ein Esel

Sahra, eine Eselsdame

Abe, ein Esel und Sahras Gefährte

Aaron, ein Papagei, Pionier der Sprachnachricht

Lucia, eine Pferdedame, Rubens Freundin

 

Macher

 

Andreas Arnold, geb. 1976, ist an mehreren Büchern mit Kurzgeschichten und Gedichten als Autor und Herausgeber beteiligt. Die drei Bände von Fionrirs Reise sind seine ersten Romane.

„Fionrirs Reise“ ist als Hörbuch und E-Book umgesetzt und ein Theaterstück ist geplant.

 

Norman Heiskel, geb. 1972, ist Auftragszeichner mit langjähriger Erfahrung. Er zeichnet für mehrere Buchillustrationen verantwortlich. Unter anderem illustrierte er alle drei Bände von „Fionrirs Reise“. Dabei gab er der Figur des jungen Drachen ein einzigartiges, bezauberndes Erscheinungsbild.

 

Fionrirs Reiseweg

 

Midgardia, Neue Schriftensammlung, Drittes Buch, Zweiter Abschnitt, 15. Spruch: Die Prophezeiung des Drachenkönigs:

 

Wenn Pamuschs Rüstung abgelegt,

des Menschenkönigs Harnisch ruht,

Krieg und Zwist lang fortgeweht,

kein Mensch mehr Drachen Harm antut,

wird einer grimm hervor sich tun,

mit seiner Hand frisch Zwietracht säen.

 

der Schwarzen Klingen Schlaf und Ruh‘n

durch Gier wird werden ungeschehen.

Der Drachenkönig neugeboren,

wie Pamusch auch mit zwiefach Gaben,

zur Weltenrettung auserkoren

wird Pamusch er selbst überragen.

 

 

Erstes Kapitel

Königreich Lindheim, Himmelskammgebirge, Drachenhöhle

F

ionrir streckte seine Drachenarme weit von sich und gähnte laut. Dann rollte er sich auf seiner Decke zu einem kleinen Knäuel zusammen, schmatzte und begann wieder einzudämmern. Aus seinem Kamin trat Licht von außen herein, das gerade hell genug war, ihn am Einschlafen zu hindern, aber nicht hell genug, um ihn zum gänzlichen Erwachen zu bewegen. Der junge Drache öffnete ein Auge. Dann kroch er langsam auf den Kamin zu. Nur kein zweites Auge öffnen, dachte er. Nicht dass mein Körper noch denkt, ich wolle aufstehen. Absichtlich gähnte er, um sich selbst zu zeigen, dass es noch immer Zeit sei zu schlafen. Vorsichtig schob er seine Kommode, in der er seine Naschsachen aufbewahrte, vor die Öffnung des Kamins. In der Feuerstelle lag noch immer die Asche des letzten Winters.

Fio war froh, dass die Drachen heute so fortschrittlich waren. Im Gegensatz zu vielen Tieren und Menschen, erwärmten sie sich nicht von selbst. Sie waren auf Wärme von außen angewiesen. Einzig die Feuerdrachen konnten sich selbst wärmen und Fionrir war froh, Feuerdrachen zu seinen Vorfahren zu zählen. Aus den Geschichten seines Opas Sirrusch wusste er, dass die Drachen zu seiner Zeit ihre Höhlen so tief in die Berge bauen mussten, dass es von alleine warm war. Dafür waren sie immer sehr stickig. Heute nutzten Drachen Kamine und heizten ihre Behausungen mit Holz. Fio konnte seinen Raum lüften und heizen, wie er wollte. Wenn er ihn verließ, musste er nicht, wozu sein Opa im Kindesalter gezwungen war, hunderte von Metern aufsteigen, bis das erste Sonnenlicht zu spüren war. Nur die Wurmdrachen gruben sich noch tief in die Erde. Fio musste schmunzeln, als er an seine Cousine Lida dachte. Ihre Kinderhöhle konnte er inzwischen nicht mehr besuchen. Er war schon zu groß für die engen Wurmdrachengänge.

Langsam schlich er zurück zu seiner Schlafstätte. Nun drang nur noch durch einen kleinen Spalt Licht hinein. Fio rollte sich zufrieden zusammen. Das Licht, das der Spalt warf, fiel jedoch genau auf seine Augen. Er rückte dem Licht davon. Nur nicht zu viele Muskeln nutzen, dachte er. „Ganz ruhig, mein Drachenkörper. Schlaf weiter! Pst!“, flüsterte er sich zu.

Ein Klackern kam von der Kommode. Ein Picken folgte. Dann hörte er eine dünne Stimme sprechen. „Huch! Wo bin ich denn hier? Hallo, hallo? Da ist ein Spalt. Ich habe doch eben jemanden gehört? Hallo?“

Fio atmete tief durch. Wieder kroch er auf allen vieren, so sachte, wie es ihm möglich war, auf die Kommode zu. Er rückte sie ein Stück fort und sah ein kleines Vögelchen.

„Ah, Fio! Das ist deine Höhle? Ah, ein Kamin. In den bin ich geflogen. Toll!“, sagte es.

Fio flüsterte ihm zu: „Ich schlafe noch! Wir sehen uns später in der Luft!“

„Oh, ja, entschuldige. Bin schon eine Weile auf. Du weißt ja, der frühe Vogel und so.“ Dabei zwinkerte er dem Drachen erst mit seiner Nickhaut, dann mit dem Augenlid zu, hob ab und flog den Schornstein entlang davon.

Fio atmete erneut tief durch und schob die Kommode nun so eng an den Kamin, dass auch der Lichtspalt ausgeschlossen wurde. Er spürte bereits, wie sein Körper langsam wach wurde. Schlafen, schlafen, schlafen, sagte er zu sich selbst, als er wieder zurück zu seiner Schlafstätte kroch.

Ein Drache zu sein, das war nicht einfach. Wie jeder junge Drache hatte auch er zu seinem siebten Geburtstag eine besondere Eigenschaft entwickelt. Mit Tieren sprechen zu können und die Lebewesen in seiner Nähe sich auch untereinander verstehen zu lassen, war selbst für einen Drachen eine besondere Fähigkeit. Er dachte an die Abenteuer, die er dadurch schon hatte bestehen dürfen. Es war seitdem eine turbulente Zeit gewesen.

Während sich der junge Drache an all das zurück-entsann, was er erlebt hatte, entspannte sich sein Körper und die Müdigkeit kam zu ihm zurück. Schnell war er wieder eingeschlafen und seine zweite Drachengabe, die sich überraschend entwickelt hatte, entfaltete sich. Fio träumte seit diesem so wichtigen Drachengeburtstag von Dingen, die er nie zuvor erlebt hatte. Als er wieder tief in den Schlaf gefallen war, führte ihn seine zweite Gabe in eine ferne Wüste, die ihm gänzlich unbekannt war.

 

Ganz gleich, wie weit er im Traum auch umherblickte, nichts am Horizont deutete darauf hin, dass es etwas anderes als Sand geben würde, wie weit er auch wanderte. Sein Traum-Ich ging vorsichtig über den heißen Boden. Unweit von ihm befand sich eine steinerne Erhebung, ein abgeflachter Hügel, der wie eine Plattform wirkte. Vorsichtig ging Fio darauf zu. Er wusste nie, was ihn bei seinen Träumen erwartete, die sich manchmal so echt anfühlten, als sei er wirklich dort. Der junge Drache spürte, wie der warme Sand beim Auftreten zwischen seine Klauen quoll und wieder herunterrieselte, sobald er das Bein für den nächsten Schritt hob. Je näher er der Plattform kam, desto mehr war er sich sicher, Stimmen von dort zu hören. Es schien ihm, als unterhielten sich zwei miteinander. Die Sonne brannte unerbittlich vom Himmel und Fio fragte sich, ob man wohl einen Sonnenbrand im Traum bekommen kann. Das Gespräch, das er hörte, erwies sich als ein Streit zwischen zwei Drachen, so viel konnte er schon mit Gewissheit sagen. Offenbar war die vermeintliche Plattform eine Mulde, denn es ragten lediglich die Köpfe der zwei empor. Eine Eidechse eilte vor Fio auf hoch aufgestellten Beinen über den heißen Sand, um den Schatten eines drachenprankengroßen Steines zu erreichen, der vor Fio auf dem Boden lag. „Eil dich, kleiner Verwandter!“, flüsterte er ihm zu. Kurz blieb das Reptil stehen und schaute sich um. Fio hielt inne. „Hörst du mich?“, fragte er, doch es rannte weiter, ohne zu reagieren. „Uff!“, sagte der junge Drache. „Das fehlt mir noch, dass ich auch noch in den Träumen mit meinen Gespinsten reden kann.“

Er ging weitere Schritte auf die beiden Drachen zu, deren faltige Haut ihn vermuten ließ, dass es wohl sehr alte Exemplare sein mussten. Im Traum Gespräche selbst zu beginnen, dachte er, das wäre was! Was würde passieren? Nicht nur einmal hatte er von Dingen phantasiert, die so oder ähnlich dann auch eingetreten waren. Würde sich das Geschehende ändern, vielleicht sogar überhaupt nicht passieren, wenn Fio sich in seine vielleicht wahren Träume einschalten könnte? Es fiel ihm so schon schwer genug, nicht für verrückt gehalten zu werden. Nicht ohne Grund hielt er seine zweite Gabe geheim. Nun verstand er die beiden Drachen klar und deutlich. Auch den Stimmen nach hatten sie schon viele Jahre gesehen.

„Ich glaube, das gibt noch ganz schön Ärger an der Küste!“, sagte der eine. Er hatte einen großen Kopf mit rot-brauner Haut und einer spitzen Schnauze, an deren Anfang sich ein langer Bart befand, der in zwei dicken Strähnen links und rechts des Maules herunterhing. Eines seiner großen Ohren war geknickt.

„Oh, ja! Richtig Ärger!“, stimmte der andere zu, dessen Kopf sich kaum von dem des ersten Drachen unterschied. Lediglich war dessen Bart nicht ganz so lang. Eine Narbe zog sich über seine rechte Wange.

Wasser spritzte hoch, als seine Pranke sich bewegte.

„Oh, ja, schönes warmes Wasser!“, stöhnte der erste. „So gut für den alten Rücken!“

„So, so gut. Ja!“, stimmte der zweite zu, und der Kopf verschwand. Fast zeitgleich war auch der erste Drachen-kopf verschwunden. Dafür sprudelten Wasserstrahlen in die Luft, erst links, dann rechts. Fio lächelte, amüsiert über die beiden verspielten Alten, die er kurzerhand Langbart und Kurzbart taufte. Immerhin konnte er sie im Traum ja offenbar nicht nach ihren wahren Namen fragen.

„Ah!“, tauchten beide mit einem einstimmigen Seufzen wieder aus dem sonnenerhitzten Wasser auf. „So gut für den alten Rücken!“

Fio stand nun vor den beiden und sah in ihre alten, gütigen Drachengesichter.

„Krieg im Tal der Drachen wird es geben!“, sagte Langbart und schaute zu seinem badenden Begleiter.

„Ja, ein Krieg wird kommen!“, sagte Kurzbart und blickte Langbart ebenfalls an. „Es sei denn…“ Er unterbrach. Dann drehten sich beide langsam zur Mitte.

Es wurde Fio unheimlich. Was sollte das bedeuten? Ein Krieg? Im Tal der Drachen? Dort, wo sein Opa wohnt?

Die beiden schauten seinem Traum-Ich plötzlich direkt in die Augen und Fionrir erschrak gehörig. Er zuckte auf seiner Kuscheldecke zusammen.

„Es sei denn, der Drachenkönig verhindert ihn!“, setzte Langbart den Satz fort. Im Hintergrund begann die Sonne zu zittern.

„Drachenkönig!“, sagten Kurzbart und Langbart abwechselnd mit unheilvollen Stimmen.

Die Sonne zitterte noch stärker. Sie schien Risse zu bekommen. Unzählige Drachen wiederholten plötzlich hinter ihm den Ruf. Fio drehte sich um und sah sich hunderten gegenüber. In deren Mitte ging sein Opa Sirrusch. Er hielt eine Krone in der Hand und hob sie ihm entgegen. Alle Drachen gingen auf die Knie. Fio geriet in Panik.

„Drachenkönig! Drachenkönig!“, kam es aus den beiden Mäulern hinter ihm.

Er drehte sich um, wich zurück und begann trotz der Hitze zu frösteln, als er wahrnahm, was mit der Sonne geschah. Sie bekam Risse und dahinter strahlte es gleißend weiß.

„Drachenkönig! Drachenkönig! Drachenkönig!“, skan-dierten nun alle.

Fio wich weiter zurück, ohne den Blick vom Himmel abzuwenden. Die Drachen starrten ihn unvermindert an und sprachen dieses eine Wort immerzu aus. Dann brach die Sonne mittig auf und etwas aus ihr flog rasend schnell auf den Träumenden zu. Der Kopf eines enormen Drachen formte sich so plötzlich, dass Fio nach hinten stürzte. Das Letzte, was er wahrnahm, waren zwei leuchtend grüne Drachenaugen und ein verhallendes „Drachenkönig“.

Fio erwachte und setzte sich mit vor Schreck weit geöffneten Augen auf. Zwei grüne Punkte waren vor ihm, ganz gleich, wohin er seinen Kopf auch wandte. Der Spätsommer wärmte seine Kinderhöhle, die im Inneren des Himmelskammgebirges verborgene lag. Trotzdem blieb das Frösteln. Er blickte sich ängstlich um, doch es war ruhig und der junge Drache noch immer alleine. Er schloss die Augen und die zwei grünen Punkte zeichneten sich auch auf seinen Augenlidern ab. Er erhob sich auf alle viere und schüttelte sich.

Langsam wurde das Leuchten blasser und bis Fio zur Tür gelangt war, die in die große Wohnhöhle führte, war es kaum mehr wahrnehmbar. „Was waren das bloß für Drachen?“, fragte er sich laut.

„Wen meinst du, mein Kleiner!“, fragte sein Papa Taras, der im selben Moment die Tür öffnete.

„Ach, nichts!“, sagte Fio, und bekam die Hornplatten auf seinem Kopf durchgewuschelt.

„Darf ich dich überhaupt noch Kleiner nennen?“, fragte sein Papa lächelnd, und Fio schaute an sich herunter. Ja, ich habe einen ganz schönen Schuss getan in den letzten Wochen, dachte er.

„Alles bereit für den Aufbruch?“ Doch noch bevor er antworten konnte, ergänzte sein Vater, dass es nun erst einmal ein ausgiebiges Frühstück gäbe. „Immerhin fliegst du zwei Tage, bis du bei Opa bist und noch dazu mit deiner Quirina auf dem Rücken. Da brauchst du Kraft und Energie. Unterschätz das nicht!“

„Ja, ja, Papa. Ich weiß!“, antwortete Fio. Sein Vater grinste und führte ihn zum Frühstückstisch, der inmitten der großen Wohnhöhle stand. Wilko und Mirka, die beiden Menschen, die gemeinsam mit den Drachen in der Höhle lebten, luden gerade große Schüsseln mit allerlei Gemüsesorten darauf.

„Guten Morgen!“, wünschte Wilko und richtete seine langen schwarzen Haare, die er im Nacken zusammengebunden trug.

Seine Frau winkte dem jungen Drachen lächelnd zu. „Na, gut geschlafen?“, fragte sie.

Als er bejahte, legte sie skeptisch den Kopf zur Seite.

„Doch, doch, nur etwas kurz!“, versicherte Fio, und die schlanke Menschenfrau klopfte einladend auf dessen Sitzfelsen.

„Na, dann! Es ist fast alles auf dem Tisch. Stärke dich für die Reise!“

Fio stieg auf seinen Platz und überblickte, was ihm geboten wurde. Tatsächlich erinnerten ihn die Auswahl und die Menge der Speisen sehr an seinen Geburtstagstisch. Seine Eltern saßen bereits und griffen nach einem gebratenen Hahn hier und einem Bärenschinken dort, um sich ihre Teller zu beladen. Wenn sie einmal in der Woche aßen, mehr als das brauchten Drachen nicht, dann trug der massive Holztisch stets so viele Speisen, dass er unter ihrem Gewicht knarzte.

„Ach, Fio!“, sagte sein Vater, während er nach dem Obstteller griff. „Wo liegt die Insel der Früchte nochmal?“

„Offensichtlich bald nicht mehr auf dem Tisch!“, sagte Fio und grinste. Taras lachte und sein Sohn gab die richtige Antwort: „Eintausend Drachenlang südlich von Lindheims Küste.“

„Du bist bereit für deine Reise!“, stellte sein Vater anerkennend fest, biss ein riesiges Stück aus einem Braten und schob unmittelbar drei Äpfel hinterher. Er war sehr stolz auf seinen Sohn, nicht nur weil er die Strecke so gut auswendig gelernt hatte, sondern gerade weil er so eifrig mit dem Fliegenlernen war, dass Taras es kaum glauben konnte, wie gut sein Jüngster inzwischen flog.

Fio suchte die Schüssel mit seinem Lieblingsgemüse zwischen all dem Fleisch, Fisch und Geflügel, um es vor seinem gefräßigen Vater zu retten.

„Tut mir leid!“, sagte Mirka und schaute ihn betrübt an. „Rosenkohl wächst im Sommer nicht!“ Sie reichte ihm mit beiden Händen eine große Schale. „Ich habe aber dennoch etwas für dich zubereitet, von dem ich mir sicher bin, dass es dich deine Leibspeise nicht vermissen lässt.“

Sie lächelte, wie eine junge Mutter ihr Kind beim ersten selbst zum Mund geführten Löffel anlächeln würde, als Fio eine volle Gabel ihres Gerichts in den Mund steckte und unmittelbar selbst zu lächeln begann.

„Na, wie ist es?“, fragte sie.

„Köstlich!“, schwärmte Fio und schob sogleich eine weitere Gabel mit Zuckerschoten und Bratkartoffeln in den Mund, die zart nach Olivenöl, Rosmarin und Knoblauch dufteten.

Während des Kauens schaute er Mirka an, die gerade selbst etwas von den Speisen auf ihren Teller auflud. Manchmal kam es ihm so vor, als könne sie seine Gedanken lesen. Er konnte vor ihr kein Gefühl verdecken, das sie nicht sofort erkannte. Sie las jede Laune an Fios Gesicht ab, ganz gleich mit welchen Grimassen er sie zu verstecken versuchte. Er ging jede Wette ein, dass sie sehr wohl wusste, dass er wieder schlecht geschlafen hatte. Vor ihr und Wilko konnte er nichts verbergen. Immerhin kannten sie ihn, seit er vor über sieben Drachenjahren aus seinem Ei geschlüpft war. Dennoch weihte er sie nicht in sein Geheimnis ein. Von Quirina abgesehen, seiner Cousine Lida und zwei Wölfchen, die ihn bei seiner letzten Reise begleitet hatten, wusste niemand von seinen Visionen. Selbst seine Eltern und Geschwister nicht. Wer wollte auch gerne für verrückt erklärt werden? Und wenn es denn die zweite Gabe aus der Prophezeiung der Migdardia, der großen Schriftensammlung der Drachen, wäre, wer würde den nächsten Drachenkönig unter sich haben wollen? Den Drachenkönig, der über alle Familienoberhäupter gehoben würde. Fio konnte sich nicht vorstellen, dass auch nur ein einziges begeistert wäre. Also verschwieg er es und würde es auch keinem anderen preisgeben als seinem Opa. Sirrusch würde er in Kürze treffen, wenn er erst mit Quirina im Tal der Drachen angekommen sein würde. Opa weiß alles, war er sich sicher. Gedankenverloren führte er die nächste Gabel zum Maul.

„Na, du bist ja so verträumt heute Morgen“, stellte seine Mama Midga fest und schob ihm einen großen Krug mit Wasser herüber. „Frisches Quellwasser. Das macht dich bestimmt wach.“

Fio nahm das Gefäß lächelnd entgegen und setzte zum Trinken an. Auf der Oberfläche schwammen Zitronenscheiben. Es schmeckte säuerlich und nach Melisse. Offenbar mussten Wilko und Mirka es mit Blättern aus dem Garten versetzt haben. Fio streckte sich und gähnte laut.

„Ach, Fio!“, sagte Taras beiläufig. „Tanina bat darum, dass du sie auf dem Weg zu Quirina noch besuchst. Brich also bitte etwas früher auf!“

Sein Sohn verzog das Gesicht, nickte aber. Seine Schwester zu besuchen, lag nicht wirklich auf dem Weg. Fio überschlug es im Kopf. Na, toll! Das kostet mich mindestens drei Stunden in der Luft. Tanina hatte vor einiger Zeit zusammen mit ihrem Freund, einem stattlichen Bergdrachen namens Fargas, eine eigene Höhle bezogen. Sie lag hoch im nordöstlichen Ausläufer des Lindgebirges. Auch sein Bruder Derko hatte eine Höhle im Lindgebirge, allerdings am südlichen Ende, gegenüber der Residenzstadt Lindheim, was Fio gelegener kam. Immerhin konnte er ihn und seine Menschenfreundin, Prinzessin Quirina, auf derselben Reise besuchen. Warum soll ich Tanina eigentlich besuchen?, grübelte er, schaute zu seinem Vater hoch und öffnete das Maul.

Sein Vater lächelte. „Ich dachte, du würdest nie fragen wollen!“, sagte er. „Sie hat eine Überraschung für dich!“

Auch Fio lächelte nun. Er mochte Überraschungen.

 

Zweites Kapitel

Königsstadt Lindheim, Stadtgefängnis

E

ine schmeichelnde Stimme und überraschte Seufzer waren aus dem Stadtgefängnis zu hören, das sich unauffällig mitten unter den dicht an dicht stehenden Wohnhäusern der Lindheimer Kernstadt befand.

„Wisst Ihr“, sagte die schmeichelnde Stimme, „was damals aus ihm wurde?“

Ein Schweigen entstand. Dann sprach eine unsichere Stimme von der anderen Seite des Gitters. „Er wurde sein Muttermal los?“

„Mehr als das!“, setzte der Schmeichler fort. „Er wurde durch mein Elixier alle Muttermale los. Er wirkte dadurch so jung, dass ihn ein Goldschmied in die Ausbildung nahm, weil er ihn für einen Heranwachsenden hielt. Heute ist er ein gefragter Juwelier, drüben bei den Bergleuten.“

Wieder war ein Seufzer zu hören. „Und Ihr wollt mir helfen können? Nicht einmal der Hofapotheker konnte es!“

„Helfen wollen, und vor allem auch können, vermag ich. Schaut mir ins Gesicht!“, empfahl die Stimme. Die von Warzen übersäte Nase des Gefängniswärters drückte sich an die Gitterstäbe. „Was seht Ihr?“, fragte der Schmeichler, und deutete auf seine Haut.

Aus rotgeäderten Augen schaute er seinen Gefangenen an und sagte schließlich: „Keine Warzen?“

„Richtig! Nicht eine Warze und, glaubt mir, was Ihr an Warzen habt, wäre nicht der Rede wert, wenn Ihr mich damals gesehen hättet.“

„Warum seid Ihr dann im Gefängnis?“

„Eine traurige Geschichte. Ihr kennt ja den Hofapotheker! Beschreibt ihn mir!“

„Ja, ein großer, hagerer Mann mit langen, abstehenden Ohren und einem schwarzen Haarkranz.“

„Genau das ist er. Der Hofapotheker. Mein Mittel hatte ich nach Lindheim gebracht. Ich wollte es unter den Bewohnern Lindheims verteilen. Günstig natürlich. Ich will ja schließlich helfen und heilen.“

Der Gefängniswärter nickte.

„Tja, und er ließ es mir von den Wachen abnehmen und mich ins Gefängnis stecken“, sagte der Gefangene mit wehleidiger Stimme.

„Dieser Schuft. War er neidisch?“

„Nicht nur das. Er wollte alles für die Königsfamilie. Dabei hätte es für alle Lindheimer gereicht.“

„Das heißt, er hätte mir eigentlich ein Mittel geben können?“

„Nicht ein Mittel! Mein Mittel!“, korrigierte der Schmeichler mit Trotz in der Stimme. „Oh, es tut mir so leid.“

Der Wärter grummelte und hielt die Gitterstäbe so fest, dass die Knöchel seiner Fäuste ganz weiß wurden.

„Zum Glück konnte ich eine Kiste verstecken!“, ergänzte der Schmeichler.

„Wo?“, fragte der Wärter hoffnungsvoll.

Mit einer hölzernen und einer echten Hand umfasste der Gefangene die Gitterstäbe und lächelte ihm verschwörerisch zu. „Ich hole sie dir, mein Freund!“

 

Königsstadt Lindheim, Schloss

Zetern und kurze Schmerzensschreie waren aus dem Thronsaal des Schlosses zu hören, hinter dessen Rückseite sich der Lindenfels erhob, ein Bergmassiv, welches das Schloss vor den auch im Sommer noch immer kühlen Nordwinden schützte und gleichzeitig vor der Hitze aus dem Süden bewahrte. Es herrschte Wohlfühltemperatur.

„Au!“, schimpfte Quirina ein weiteres Mal.

„Entschuldigung, Prinzesslein!“, erwiderte ihre alte Amme Ida, die versuchte, die Haare der Prinzessin mit einer Bürste zu bändigen.

„Prinzessin oder Quirina, bitte! Ich bin kein kleines Kind mehr, Ida!“, ermahnte die junge Thronfolgerin.

„Entschuldigung, junge Herrin!“, erwiderte diese und bürstete weiter.

„Aua!“, entfuhr es Quirina erneut.

„Warum musstest du auch auf Blakkaz ausreiten, ohne eine Kopfbedeckung zu tragen, Kind!“, tadelte ihre Mutter, Königin Anna. „Du siehst aus wie ein…“

„Bauernmädchen. Ich weiß, Mama!“, beendete das junge Mädchen den Satz.

Ihre Zofe Alina, die gerade im Begriff war, ihr eine lederne Drachenreiterkleidung anzulegen, schmunzelte und zwinkerte Quirina ungesehen von den königlichen Eltern zu.

„Und mir missfällt dieses Gewand!“, setzte ihre Mutter die Kritik fort. „Kind, du hast viel zu viele Stellen, an denen die Sonne dich verunstalten kann. Nicht einmal einen Schleier hat es.“

„Aber, Herrin“, sagte Alina mit beschwichtigender Stimme, „ein Schleier würde doch sofort beim Flug zur Seite geweht.“ Dabei machte sie eine wischende Bewegung mit der Hand und sagte: „Wusch!“König Leontin schüttelte den Kopf. „Es ist mir nicht recht, dass du auf Fionrir so weit fliegen möchtest!“„Papa, das hatten wir doch schon!“, flehte die Prinzessin.„Er ist erst sieben Jahre alt, Quirina!“, erinnerte der König.Die junge Prinzessin schwieg.

„Herr, Ihr habt recht“, warf Alina ein. „Doch sind es Drachenjahre. Auf der Welt ist er schon über 50. Und er ist doch ein guter Flieger.“

„Seine letzte Drachenreiterin verlor er einfach so in der Luft“, bemerkte Leontin und sprach den Satz fast wie eine Frage aus.

„Aber, Herr König, das tat er doch nur, um die Drachenjägerin von seinem Rücken abzuschütteln.“

„Da hast du recht, Alina, doch meine ich nicht seine Flugkünste. Ihr verlasst mein Königreich!“

„Och, Papa! Fios ganze Familie ist doch dabei. Das hatten wir doch auch schon.“

„Ja, das hatten wir schon. Leibwächter werden dich begleiten.“ Quirina setzte an, etwas zu erwidern, doch erkannte sie am Blick ihres Vaters, dass es nun keinen Zweck mehr hatte, mit ihm zu diskutieren. Zur Antwort angesetzt hätte ihr Vater, doch beendet hätte den Satz der König. Die Prinzessin nickte und ließ sich weiter ankleiden. Es ist ja nicht das Schlimmste, was passieren konnte, dachte sie. Immerhin darf ich Fio begleiten und dass ein Teil der Leibwache dabei sein soll, ist auch nicht schlimm. Bestimmt ist Elgar unter ihnen, mutmaßte sie.

Elgar Schildmannssohn war Hauptmann der Ersten Leibwachengruppe der königlichen Leibgarde. Wenn ihr Vater einen Teil seiner Leibwache abbefahl, dann war es Elgars Gruppe. Mit ihm hatte sie schon einige Abenteuer erlebt und mochte ihn.

Während Ida Quirinas Haaren den finalen Bürstenstrich gönnte und sich anschickte, Alina zu helfen, die letzten ledernen Schutzteile anzulegen, die ihren Drachenreiteranzug ausmachten, malte sich die Prinzessin die Reise mit Fio aus. Sie würde mit ihm Wolken durchstoßen, mit den Adlern um die Wette fliegen und die ganze Welt aus einer Sicht sehen, die keinem Menschen bestimmt war. Sie lächelte und fühlte es in sich kribbeln. Dass ihr vermutlich die Krone Lindheims, das mächtige Flaggschiff der Flotte ihres Vaters, folgen und einige Leibwächter sie beobachten würden, war ihr nahezu gleichgültig.

Ihre Mutter winkte einen der königlichen Diener heran. „Geh zum Hafen und bitte den Proviantmeister, Früchte zu laden. Und Gemüse. Möhren vor allem. Sie schützen die Prinzessin vor Sonnenbrand.“

Der Diener nickte stumm und eilte aus der Tür.

„Über deine Kleidung müssen wir noch ein Wort reden!“, fuhr die Königin an ihre Tochter gewandt fort, doch bevor sie antworten konnte, redete Alina dazwischen. „Ach, was hätte ich denn machen sollen, meine Frau Königin?“

„Was meinst du?“, fragte sie verdutzt.

„Ich konnte doch nicht ahnen, dass das passieren würde. Ich wollte Prinzessin Quirina doch nur ein Geschenk machen!“, fuhr sie mit fast weinerlicher Stimme fort. Sie senkte ihren Kopf und schniefte lautstark. Als Stille um sie herum eingekehrt war, blickte sie mit ihren großen Augen nach oben. „Wie konnte ich ahnen, dass ich die Südliche Kleidermotte in den Schrank bringen würde? Mit so einem unscheinbaren, kleinen Geschenk.“

Leontin runzelte die Stirn und auch Quirina schaute irritiert zu ihr herüber, doch schaffte es in letzter Sekunde, ihre Überraschung zu verbergen. „Ja, Alina!“, sagte sie. „Eigentlich sollte ich mit dir schimpfen.“„Wegen was schimpfen?“, fragte ihre Mutter.

„Ja, Alina, wegen was schimpfen?“, wiederholte die Prinzessin.

„All deine Kleider! Von der Südlichen Kleidermotte zerfressen! Und nur noch das Drachenreitergewand heil geblieben“, jammerte die Zofe. „Ich Dummerchen!“„Ja, alle mit riesigen Löchern versehen“, sagte Quirina tadelnd.

„Und wie kam sie in den Kleiderschrank?“, hakte die Königin nach.

Die Prinzessin setzte zu einer Antwort an, doch Alina kam ihr zuvor. „Ein Tüchlein hatte ich erstanden. Von einem Händler auf dem Markt. Aus dem Süden. Da waren sie drinnen. Die schrecklichen Eier, aus denen sie geschlüpft sind.“

„Aber gestern waren doch noch alle Kleider heil!“, warf Leontin ein, während die Königin mit einem weiteren Diener tuschelte, der daraufhin hinauseilte. „Wann hast du Quirina denn das Tüchlein geschenkt?“

„Na gestern, mein König!“

„Aber gestern war doch gar kein Markt!“, merkte er an.

„Es war ja auch ein fahrender Händler, mein Herr König.“

„Und wie kommt es, dass er sich beim Einlass nach Lindheim nicht registrieren ließ? Mein Schatzmeister berichtet mir täglich, welche fremden Händler bei uns einkehren.“

„Na, mein König, wenn er doch mottenverseuchte Ware anbietet. Da würde er sich doch wohl nicht anmelden.“

Als der König zu sprechen ansetzte, eilte der Diener wieder in den Thronsaal und flüsterte in das Ohr der Königin. „Die Kleider sind tatsächlich alle weg! Keines mehr im Schrank!“, rief die Königin aus. „All die schönen Kleider! Mitsamt den Knöpfen gefressen!“

„Diese gefräßigen, gefräßigen Motten!“, klagte die junge Zofe.

„Das soll eine Motte getan haben?“, fragte der König skeptisch nach.

„Es waren ja ganz viele Eier!“, schaltete sich Quirina wieder ein.

„Und es ist die Südliche Kleidermotte gewesen!“, ergänzte ihre Zofe.

„Zeig uns das Tüchlein doch mal!“, forderte der König. Alina und Quirina schauten sich gegenseitig an. Da setzte die Amme an: „Ich habe es hier in meiner Schürze!“, und suchte danach. „Hier muss es doch sein!“, sagte sie, während sie ihre Schürze abtastete. Dann schaute sie überrascht auf. „Es ist weg!“

„Gefressen! Ich sage nur: Südliche Kleidermotte! Zum Glück hatte ich noch dieses Ledergewand.“

„Aber, Alina!“, sagte die Königin und glaubte, sie nun der Unwahrheit überführt zu haben. „Das ist doch ganz unmöglich, dass es deines war. Du bist doch viel größer als deine Herrin!“

„Ja, zu meinem Unglück war es eingegangen. Zu meiner Herrin Glück genau auf ihre Maße.“

„Wie soll denn Leder eingehen?“, wunderte sich Königin Anna.

„Oh, Frau Königin, das war noch so ein Unglück. Ich trug es im Regen und als die Sonne kam, schaffte ich es geradeso, es auszuziehen, als es in der Sonne zu schrumpfen begann.“

„Das wäre mir neu, dass gegerbtes Leder in der Sonne einginge.“

„Es war Mondleder. Ich wusste nicht, dass man es bei Tag nicht tragen darf, Frau Königin!“

Quirinas Mutter setzte zu einer Antwort an, schloss den Mund aber wieder und schaute Alina ratlos in die Augen, die unschuldig zurückblickte.

„Nun“, sagte der König mit einem kaum merklichen Schmunzeln, doch fester Stimme, „dann muss es wohl das Drachenreitergewand sein, bevor die Nördliche Ledergewandmotte zuschlägt.“

Alina machte einen Knicks, die Amme atmete mit einem Seufzer aus und Quirina fiel ihrem Vater dankbar um den Hals.

„Oh, danke, Papa!“

„Alle Kleider gefressen!“, murmelte die Königin.

Feldwebel Thomasyn Feuerschmied, ein hünenhafter Leibwächter aus Leontins Garde, trat herein. „Eure Majestäten, der Drache Derko ist auf dem Balkon unserer Prinzessin gelandet.“

„Ah, sehr gut. Nun, dann sagen wir ihm Hallo“, sprach der König, Quirina löste sich von dessen Hals und eilte in ihre Gemächer, an deren Schlafzimmer sich der große Balkon mit Sicht auf Derkos hinter einem Wasserfall verborgene Höhle anschloss.

Fios älterer Bruder stand mit seinen hinteren Läufen auf der Brüstung, die gefährlich knackste. Er war ins Gespräch mit Elgar und drei Kriegerinnen vertieft, als die königliche Familie mit ihren Bediensteten auf den Balkon trat.

„Ich grüße dich, Derko vom Himmelskamm, Protektor meines Reiches“, sagte der König im amtlichen Ton.

„Ich grüße Euch, Leontin, Löwe, Herrscher des Königreichs Lindheim, Hüter des weißen Baumes“, sprach Derko feierlich zurück.

„So, der Formalie ist genüge getan“, fuhr der König in freundschaftlichem Ton fort und umarmte den großen Drachen herzlich, der die Geste erwiderte. „Schön, dass du wieder da bist, mein guter Derko!“

Auch Quirina umarmte den Drachen. Vor über einem Jahr hatte Fios großer Bruder die Höhle hinter dem größten Wasserfall des Lindsees bezogen. Unterirdisch war sie über einen Gang mit dem Schloss verbunden, der schon viel älter war als Leontin und auch Derko selbst. Vor langer Zeit hatte er als Fluchtort für die Königsfamilie gedient und die Höhle war lange Zeit vergessen, bis Fios Bruder sie für sich erschloss. Nur Quirina und ihrem Forscherdrang war es zu verdanken, dass auch der Gang wiederentdeckt wurde. Seit sie sich kannten, besuchte die Prinzessin den großen Drachen so oft es ihr möglich war.

„Ja, es ist schön, wieder zu Hause zu sein, Leontin“, sagte der große Drache. „Diese Wüstenluft ist nichts für uns Bergdrachen.“

„Ist alles in Ordnung im Tal der Drachen?“, fragte Leontin.

Der Drache nickte lächelnd. „Nichts steht dem Brautkampf meiner Schwester im Wege. Ihr werdet überrascht sein, wie viele Drachen und Menschen dort friedlich zusammenleben!“, sagte er an die Königsfamilie gewandt. „Ist Fionrir eigentlich schon angekommen?“

Quirina schüttelte den Kopf. „Nein, erst heute Mittag wollen wir uns treffen. Bei Ruben und Lucia. Den beiden wollen wir noch einen Besuch abstatten, bevor wir aufbrechen. Fio hat sie ja lange nicht mehr gesehen.“

Ruben war der Esel, den Fio bei seinem Abenteuer am siebten Geburtstag aus der nicht gerade freundlichen Haltung eines Wanderkrämers namens Aigolf befreit hatte. Er war nicht nur eng mit ihm verbunden, auch Quirina besuchte ihn regelmäßig und sie freute sich auf den gemeinsamen Besuch. Sie würde ihn in Fios Beisein das erste Mal seit fast einem Jahr auch wieder verstehen können. Sich mit einem Esel zu unterhalten, der nichts als Iah sagte, war nicht ganz das, was die Prinzessin brauchte, um ihre Freundschaft zu pflegen. Ruben ging es vermutlich ebenso. Er unterhielt einen Postpapageienverkehr mit Sarah, der Eselin, die Wilko und Mirka Dienste leistete, sodass Fio vermutlich mehr von ihrem Eselsfreund wusste als sie selbst. Ruben lebte zusammen mit seiner Freundin, einer Pferdedame namens Lucia, bei Kapitän Ewein, der sich der beiden angenommen hatte, nachdem sie in Lindheim angekommen waren.

„Na, das trifft sich doch gut“, sagte Leontin. „Dann könnt ihr ja gemeinsam mit dem Kapitän von dessen Gut zum Hafen kommen.“ Er richtete sich an Elgar. „Hauptmann!“

Während der König Elgar und seine Auswahl an Leibwächtern instruierte, schaute Quirina über den Lindsee. Sie mochte Kapitän Ewein. Er und seine Mannschaft waren es, die sie damals aus der Entführung durch die Drachenjäger gerettet und zurück nach Lindheim gebracht hatten. Auch hatte er sich gleich nach Aigolfs Festnahme angeboten, Ruben und Lucia, die zuvor einem der Drachenjäger gehört hatte, bei sich aufzunehmen.

Ich werde wohl die meiste Zeit über bei den Leibwächtern an Bord bleiben müssen, dachte die Prinzessin betrübt, aber immerhin kann ich mit Fio fliegen. Nicht zuletzt vermutlich wegen Alinas gelungenem Coup mit der Drachenreiterkleidung.

„Was macht dich traurig?“, fragte Derko, der von der Brüstung heruntergestiegen war und sich, mit den Vorderpranken an die Brüstung gelehnt, neben sie gestellt hatte.

Sie schaute zu ihm hinauf. „Ich wäre gerne den ganzen Weg mit deinem Bruder geflogen!“, antwortete sie und blickte dem Drachen in die Augen.

Derko nickte. „Dein Vater meint es gut mit dir. Er sorgt sich. Wenn ihr erst in Sirruschs Tal seid, wirst du so viel in der Luft sein dürfen wie noch nie“, sagte er und lächelte die Prinzessin an. Dabei entblößte er ein Gebiss voller scharfer Zähne, die einen im Umgang mit Drachen Unerfahrenen wohl das Fürchten gelehrt hätten. „Unter Drachen droht dir keine Gefahr!“

„Darum geht es mir gar nicht!“, erwiderte Quirina. „Ich hatte mich gefreut, eine lange Zeit alleine mit ihm sein zu können. Wir sehen uns so selten und Post von Brieftauben zu lesen oder dann und wann eine Sprachnachricht per Papageienpost zu bekommen, ist nicht dasselbe.“

„Das verstehe ich. Aber warte ab! Manchmal sind die Dinge nicht so, wie sie scheinen!“, sagte Derko, zwinkerte und hob in Richtung Himmelskammtal ab.

„He! Was meinst du?“, rief ihm die Prinzessin nach, doch er verschwand rasch hinter den Gipfeln des Lindgebirges, auf dem Weg zu seinen Eltern.

„Bereit, Prinzessin?“, weckte sie Elgars Stimme aus ihren Gedanken.

Quirina nickte und sie begaben sich auf den Weg zu Kapitän Eweins Gut.

Ich freue mich so sehr auf Fio, dachte sie. Wie gut, dass dieser gemeine Aigolf im Stadtgefängnis ist.

 

 

 

Drittes Kapitel

Königreich Lindheim, Himmels-kammtal, ostwärts

D

as Himmelskammgebirge erschien Fio inzwischen nur noch so groß wie eine seiner Klauen. Der junge Drache kam gut voran und das Wetter meinte es gut mit ihm. Ein leichter Westwind war aufgekommen und gab ihm Rückenwind auf dem Weg zu Taninas Höhle. Er flog so flink wie selten. Übermütig drehte er sich in der Luft. Dabei rief er langgezogen „Hui!“ und schaute sich unmittelbar um. Was für ein unschickliches Geräusch für einen jungen Erwachsenen, dachte er und grinste. Mit diesem Wind im Rücken gewinne ich bestimmt selbst einen Wettflug gegen Ceti. Er freute sich, seinen Cousin endlich für längere Zeit wiederzusehen. Er lebte in der Drachenbucht, an deren langem Küstenbereich sich die Heimstatt vieler Drachen und insbesondere die seines Opas anschloss. Für einen Kurzbesuch leider zu weit weg, dachte Fio etwas betrübt. Zuletzt hatte er seine Verwandten immerhin in Derkos Höhle gesehen, als seine Cousine Lida dort Geburtstag gefeiert hatte, doch hatten Ceti und er kaum Zeit füreinander gefunden. Zu viele Mitglieder ihrer beiden großen Familien, die sich lange nicht mehr gesehen hatten, waren dort versammelt gewesen. Er würde viel mit dem kleinen Angeber fliegen, wie er seinen Cousin gerne scherzhaft nannte. Ceti war ein geflügelter Wasserdrache und Fio kannte keinen, der so fliegen und schwimmen konnte wie er. Vielleicht kann ich ein paar Tricks abschauen, dachte er und drehte eine weitere Schraube in der Luft. Oder er von mir, setzte er lächelnd in Gedanken nach. Bald würde die Höhle seiner Schwester in Sicht kommen, doch vorher galt es, andere Freunde zu besuchen. Freunde, mit denen er erst vor wenigen Monaten ein riesiges Abenteuer bestanden hatte.

Von weitem war ein Heulen zu hören und Fio lächelte. Ein zweites setzte ein, dann ein drittes, bis unter ihm ein ganzes Wolfskonzert stattfand. Der Drache drehte einen langen Bogen und ging in den Tiefflug über. Schon konnte er den ersten Wolf ausmachen. Er rannte parallel zu seiner Flugbahn und schaute sich heulend immer wieder nach ihm um. Bald flog Fio nur noch wenige Meter über den Wipfeln der Bäume. Das Heulen wurde in seinem Kopf übersetzt. Seine Drachengabe wurde aktiv.

„Fio!“, rief der Wolf, den er nun als Fionn erkannte. Auch seine Schwester Fiona rief den Namen des jungen Drachen. Sie wartete bereits auf einem kleinen Felsen mit steilen Hängen, der inmitten einer Lichtung stand. Ein großer weißer Wolf schritt den natürlichen steinernen Pfad zum Plateau des Felsen hinauf. An seiner Seite war eine graue schmale Wölfin, die er ebenfalls sehr gut kannte. Der junge Drache stellte seine großen Flügel quer zur Flugrichtung und wurde rasch abgebremst. Wie ein Adler landete er mit den Pranken voran und kam sicher auf dem Steinboden zum Stehen. Fiona rannte auf ihn zu und prallte gegen seine Flanke. Vertraut schmiegte sie sich an einen Drachen, der sie um ein Vielfaches an Masse und Größe übertraf.

„Oh, wir haben dich vermisst“, jaunerte die junge Wölfin. Mit einem schnellen Sprung landete ihr Bruder auf Fios Rücken und knabberte an einer seiner Hornplatten. „Bir baben bich behr berbisst“, pflichtete der junge Wolf seiner Schwester bei.

„Du bist ganz schön gewachsen!“, stellte Fiona fest.

„Ihr aber auch!“, gab Fio zurück. „Ihr seid schon richtige Halbstarke!“ Der junge Drache kannte sie, seit sie geboren waren, und nun würden sie bald das Welpenalter hinter sich lassen.

„Und du ein Ganzstarker!“, erwiderte sie und maß die Größe ihres Drachenfreundes mit langen Schritten ab. Ihr Gang ließ sie dabei wie einen vierbeinigen Storch wirken.

Lachend begrüßte auch ihre Mutter Canina ihren Drachenfreund. „Schön, dass du uns besuchst“, sagte sie und scheuchte Fionn mit einem kurzen Knurren von Fios Rücken herunter.

„Ja, schön dich wiederzusehen, Fio“, bestätigte Arcos, der Papa der beiden. „Wir dachten schon, dass du irgendwann vorbeikommen würdest. Wie lange dauert es noch bis zum großen Ereignis?“

„Das finde ich auch. Schön, euch wiederzusehen“, erwiderte Fio, und antwortete, dass es nur noch wenige Tage bis zum Brautkampf seien.

Tanina und ihr Gefährte Fargas, ein großer Bergdrache, hatten vor einigen Wochen Nachwuchs bekommen. Selbst unter modernen Drachen war es ungewöhnlich, dass junge Paare Nachkommen zeugten, ohne dass die Drachin oder der Drache, der sich einen Partner oder eine Partnerin ausgesucht hatte, den traditionellen Brautkampf geführt hatte. Immerhin ging es beim Brautkampf darum, dass sich nur der stärkste Drache das Recht erarbeitete, die Familie des jeweiligen Drachen zu erweitern. Schon weit bevor der Brautkampf überhaupt vereinbart war, hatten sich seine Schwester und sein hoffentlich baldiger Schwager entschieden, einen kleinen Drachen miteinander haben zu wollen. Sehr zum Missfallen von Taras und Fargas Mutter, die beide aus alten Bergdrachenfamilien stammten, die sehr viel auf die alten Bräuche gaben. Doch nicht nur Tanina hatte sich durchgesetzt, auch Fargas, obwohl seine Mutter selbst Fios Vater an Größe überragte.

„Magst du noch kurz mit reinkommen?“, fragte Canina. „Die Kleinen müssen schlafen. Sie sind schon viel zu lange auf.“

Fio schaute den blauen Morgenhimmel hinauf und runzelte die Stirn.

Canina lächelte und erklärte: „So langsam müssen sie Jäger werden. Seit sie ihre Wolfsprüfung bestanden haben, müssen sie sich daran gewöhnen, dass die Nacht und nicht der Tag uns gehört. Heute treffen sie sich mit Jutz und er will ihnen etwas über die Mäusejagd beibringen.“

Nun war es an Fio zu schmunzeln. Ein Uhu bringt Wölfen die Mäusejagd bei, dachte er. Wer hätte das gedacht? Jutz und die Wölfchen hatten sich nach seiner letzten Reise befreundet, was, ganz im Gegenteil zu dem, was deren Opa Finris von Uhus hielt, prächtig funktionierte. Zwar verstanden sie einander nicht mehr, seit Fio fort war, doch das hatte sie nicht daran gehindert, dass der geflügelte Nachtjäger den kleinen bepelzten angehenden Nachtjägern wie ein väterlicher Berater zur Seite stand. Er hatte sogar sein Revier zu ihnen verlegt, um bei den beiden Welpen sein zu können. Sie verständigten sich mittlerweile auch ohne ihn recht gut.

„Och, Menno!“, sagte Fionn. „Wir wollen noch nicht schlafen. Fio ist doch gerade erst angekommen.“

„Ja“, ergänzte seine Schwester, „und wir haben so lange nicht mehr miteinander gesprochen. Magst du heute Abend mitkommen. Magst du? Magst du?“

Fionn sprang an Fio hoch. „Au ja! Bitte, bitte! Dann können wir auch mal wieder mit Jutz reden, statt immer nur Zeichensprache zu machen.“

Seine Schwester stellte sich kurz auf die Hinterläufe und wackelte mit den Vorderpfoten, während sie dreimal quiekte. „Das heißt auf eulisch: Vorsicht, drei Greifvögel!“, sagte sie stolz.

Fio musste lachen. „Wow!“, lobte er, und auch Fionn stellte sich nun auf die Hinterläufe. Seine Pfoten hob er nach vorne und rollte die Augen zweimal. „Und das heißt: Da laufen zwei Mäuse!“

Fio applaudierte.

„Weißt du auch, was das heißt?“, fragte Fiona und bewegte ihren Kopf mit glucksenden Geräuschen vor und zurück.

„Nein!“, sagte Fio und war ganz gespannt.

Fiona begann zu kichern und ihr Bruder rief prustend: „Vorsichtig! Ich spucke dir gleich Taubenfedern vor die Füße!“ Die beiden Geschwister krümmten sich vor Lachen auf dem Boden und auch er setzte in das ansteckende Lachen mit ein.

„Jetzt aber ab mit euch in die Höhle!“, sagte Canina, und Arcos wuschelte seinen Kindern über die Köpfe. Fiona hatte dessen Fellfarbe und Fionns Fell folgte dem Grau seiner Mutter.

Die beiden rasten voraus und riefen: „Komm! Wir zeigen dir unseren Schlafplatz!“

Auf dem Weg zur Höhle erzählten Arcos und Canina, wie froh sie seien, diese Vertiefung im Felsen gefunden zu haben. Er bot ihnen ausreichend Platz für ihr noch junges Rudel. Vorher habe ein Bär darin gelebt, doch der sei wohl ausgezogen, als mit Tanina und Fargas zwei Drachen unweit über ihm Quartier bezogen hatten.

„Wie geht es meinem Vater?“, fragte Canina.