Fishergirl's Luck - Sharon Gosling - E-Book
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Fishergirl's Luck E-Book

Sharon Gosling

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Beschreibung

Anna zieht nach Crovie, ein winziges Fischerdorf am Moray Firth in Schottland, um einen Neuanfang zu wagen: Jahrelang stand sie als Köchin im Schatten ihres Ex-Freundes, dem Besitzer des Restaurants, in dem sie schuftete. Nun hofft sie, in der alten, an der Steilküste gelegenen Fischerhütte, die sie von ihren Ersparnissen gekauft hat, zur Ruhe zu kommen. Als sie beginnt, die Umgebung und ihre Nachbarn kennenzulernen, erwacht in ihr etwas, das sie verloren glaubte. Sie entdeckt ihre Liebe zum Kochen wieder und eröffnet kurzerhand ein improvisiertes Pop-up-Restaurant direkt am Meer. Nach und nach freundet sie sich auch mit den Menschen an, die in Crovie leben, und findet dabei nicht nur sich selbst, sondern auch heraus, mit wem sie ihr Leben teilen will. Bewegend und mit ebenso viel kulinarischer Leidenschaft wie Gefühl für die besondere Landschaft erzählt Sharon Gosling die Geschichte einer zweiten Chance und einer außergewöhn¬lichen Liebe. »Eine behutsam erzählte Liebesgeschichte, ein Plot, so treibend wie die Gezeiten der Nordsee, eine sanfte Erinnerung an die Notwendigkeit, unsere Ozeane zu schützen – die perfekte Sommerlektüre.« LANCASHIRE POST

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Anna zieht nach Crovie, ein winziges Fischerdorf am Moray Firth in Schottland, um einen Neuanfang zu wagen: Jahrelang stand sie als Köchin im Schatten ihres Ex-Freundes, dem Besitzer des Restaurants, in dem sie schuftete. Nun hofft sie, in der alten, an der Steilküste gelegenen Fischerhütte, die sie von ihren Ersparnissen gekauft hat, zur Ruhe zu kommen.

Als sie beginnt, die Umgebung und ihre Nachbarn kennenzulernen, erwacht in ihr etwas, das sie verloren glaubte. Sie entdeckt ihre Liebe zum Kochen wieder und eröffnet kurzerhand ein improvisiertes Pop-up-Restaurant direkt am Meer. Nach und nach freundet sie sich auch mit den Menschen an, die in Crovie leben, und findet dabei nicht nur sich selbst, sondern auch heraus, mit wem sie ihr Leben teilen will.

Bewegend und mit ebenso viel kulinarischer Leidenschaft wie Gefühl für die besondere Landschaft erzählt Sharon Gosling die Geschichte einer zweiten Chance und einer außergewöhnlichen Liebe.

»Eine behutsam erzählte Liebesgeschichte, ein Plot, so treibend wie die Gezeiten der Nordsee, eine sanfte Erinnerung an die Notwendigkeit, unsere Ozeane zu schützen – die perfekte Sommerlektüre.« LANCASHIRE POST

© Phil Rigby

Sharon Gosling ist eine britische Kinder- und Jugendbuchautorin. ›Fishergirl’s Luck‹ ist ihr Debüt in der Erwachsenenbelletristik. Sie lebt mit ihrer Familie im Norden von England, ihr Mann besitzt eine Buchhandlung.

Sibylle Schmidt übersetzt aus dem Englischen, zuletzt u.a. Philippa Ashley, JP Delaney, Lucinda Riley und Ceira Geraghty.

Sharon Gosling

Fishergirl’sLuck

Roman

Aus dem Englischen von Sibylle Schmidt

Deutsche Erstausgabe

eBook 2022

DuMont Buchverlag, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © Sharon Gosling, 2021

Die englische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel ›The House Beneath the Cliffs‹ bei Simon & Schuster, London.

© 2022 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln

Übersetzung: Sibylle Schmidt

Covergestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Coverabbildung: © Haley Tippmann

Satz: Fagott, Ffm

Gesetzt aus der Meridien und der Brandon Grotesk

eBook-Konvertierungg: CPI books GmbH, Leck

ISBN eBook 978-3-8321-8240-3

www.dumont-buchverlag.de

Na, mein Selkie-Mädchen,

haben dir die Blumen gefallen? Der Kleine hat sie für dich ausgesucht. Ich hätte etwas Edleres als Narzissen genommen, aber er meinte, Gelb sei doch deine Lieblingsfarbe, und er hat ja recht. Ich sage das nur, damit du mich nicht für einen Geizkragen hältst, weißt du.

Ich liebe dich.

P.S.

1

Der Frühlingshimmel über dem Meer war strahlend blau, nur hie und da segelten ein paar Wölkchen, als schwebe Zuckerwatte im Wind über der Nordsee. Anna fuhr bis an den Rand der Klippe, hinter der die Straße abrupt zu enden schien, und dann an dem Schild vorbei, das nur Anwohnern die Zufahrt gestattete.

Rundum erstreckten sich grüne Weideflächen, bis die Abhänge so steil wurden, dass sie für Vieh nicht mehr begehbar waren. Die schmale abschüssige Straße tauchte zwischen grasbewachsenen Felsen ab, auf denen Wildblumen von Böen gezaust wurden. Linker Hand zeigte ein hölzerner Wegweiser den Fußweg zum Dorf an, während sich die Straße in einer Haarnadelkurve weiterschlängelte. Sie war so eng, dass Anna sogar in ihrer winzigen Blechbüchse von einem Auto fürchtete, die Biegung nicht zu schaffen. Dahinter kam Crovie in Sicht, ein Dorf, das aus einer Reihe bunter Häuser bestand, die wie farbenfrohe Napfschnecken an dem schmalen Uferstreifen unterhalb der Klippen hafteten.

Weiter unten wurde die Straße etwas breiter, gesäumt von ein paar Holzhütten, bevor sie schließlich an einem steinigen Strand endete, der sich im Bogen bis zu einer hohen grasbewachsenen Klippe erstreckte. Von hier aus konnte man über das Meer bis zum Horizont blicken, vorbei an den welligen grünen Klippen oberhalb der Häuser. Es war Ebbe, und an dem schmalen Strandstreifen glänzten nasse schwarze Felsen und kleineres Gestein in der Sonne. Anna hielt an und schaltete den Motor aus. Sie blickte in die endlose blaue Weite und versuchte, ihre Gedanken zu sortieren – was ihr nur etwa zwei Minuten gelang, denn dann fiel ein Schatten über das Auto, und jemand klopfte energisch an die Scheibe. Ein alter Mann starrte aufgebracht herein, und Anna öffnete das Fenster.

»Hal…«, begann sie.

»Parken ist hier nicht erlaubt«, raunzte der Mann. »Nur für Anwohner.« Vorwurfsvoll wies er mit seinem Stock auf die Rückseite eines Schilds, das Anna übersehen hatte. »Touristen müssen oben parken und den Fußweg nehmen.«

»Ich bin aber Anwohnerin«, erklärte Anna. »Ich …«

»Ferienwohnungen gelten nicht«, fiel der Alte ihr ins Wort. »Touristen parken oben.«

Anna beschloss, sich aus ihrer unterlegenen Position zu befreien, löste den Gurt und öffnete die Tür. Als sie ausgestiegen war, überragte sie den Alten zwar um einiges, aber er wirkte deshalb nicht weniger angriffslustig. Die krummen Schultern waren immer noch wuchtig, früher war er bestimmt ein kraftvoller Mann gewesen, und sein runzliges, wettergegerbtes Gesicht ließ auf ein Leben in der Natur schließen.

»Ich bin keine Touristin, sondern Anwohnerin«, begann Anna erneut. »Die neue Besitzerin vom Haus Fishergirl’s Luck.« Sie setzte ein Lächeln auf und streckte dem Mann die Hand hin. »Schön, Sie kennenzulernen, Mr…«

Er wich zurück, als hätte sie ihm etwas Ekelhaftes hingehalten, und musterte Anna mit angewidertem Blick von Kopf bis Fuß. »Sie?«, knurrte er. »Sie sind das?«

»Ich … ja. Mein Name ist Anna Campbell. Ich …«

Zu ihrer Bestürzung wandte der Mann sich ab und spuckte auf den Boden. »Diese elende Bude«, wetterte er. »Der alte Robbie hätte sie dem verfluchten Meer überlassen sollen.« Und damit humpelte er davon, schneller, als Anna es angesichts seines Alters für möglich gehalten hätte.

»Warten Sie«, rief sie ihm nach. »Bitte, ich möchte hier keinen schlechten Start. Können wir uns nicht noch kurz unterhalten?«

Doch der Alte blieb nicht stehen. Anna blickte ihm betroffen nach und lehnte sich ans Auto. Sie fühlte sich schwächlich. Keine fünf Minuten war sie hier, und schon hatten sich ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Crovie war kein paradiesischer Zufluchtsort, im Gegenteil: Sie war hier unerwünscht. Ihr wurde flau im Magen, und sie atmete in tiefen Zügen die feuchte salzige Luft ein. Über ihr segelten kreischende Möwen, und Anna kam es vor, als würden die Vögel sie auslachen.

Und sie haben recht, dachte sie. Was hast du dir nur dabei gedacht? Wieso bist du nicht ins Ausland gezogen, wie Cathy dir geraten hat? Du hättest in Italien oder Spanien, irgendwo im warmen Süden, ein Haus mieten können. Wieso hier, um alles in der Welt? Und weshalb warst du auch noch so blöd, das Haus zu kaufen? Warum nur?

Schließlich richtete Anna sich auf und betrachtete das Dorf. Es bestand aus einer einzigen Reihe von Häusern auf einem leicht gebogenen Uferstreifen unterhalb der mit Gras bewachsenen Klippen. Vor den Häusern gab es keine Straße, nur einen schmalen Betonweg. Bei Sturm wurden unvorsichtige Fußgänger schon mal von Brechern ins Meer geschwemmt, hatte Anna gelesen, und bei Flut war dieser Weg oft unpassierbar. Das war Anna außergewöhnlich und romantisch vorgekommen, doch jetzt wurde ihr klar, dass nur Ersteres zutraf. Die Fassade der meisten Häuser befand sich seitlich, nicht Richtung Ozean. Schutz vor den Elementen war hier wichtiger als eine spektakuläre Aussicht.

Anna hatte sich das kleinste Haus von ganz Crovie gekauft. Sie konnte es von ihrem Standpunkt aus sehen. Es kehrte dem Meer den Rücken zu, schien kaum mehr als ein Steinschuppen zu sein. Der Eingang war den hinteren Häusern und den Klippen zugewandt, und die furchterregende Straße war der einzige Weg zu ihrem neuen Zuhause, das sie sich, ohne es jemals besichtigt zu haben, zugelegt hatte – weil sie es nicht einmal einen Tag länger in Geoffs Luxuspenthouse in Kensington ausgehalten hätte.

»Du bist so was von blöd, Anna«, murmelte sie vor sich hin. »So unfassbar dumm.«

Aber es half alles nichts, jetzt konnte sie nur losgehen und sich die Schlüssel zu ihrem neuen Domizil abholen. Anna schloss den Wagen ab, atmete noch einmal tief durch und marschierte los.

Das letzte, der Straße am nächsten gelegene Gebäude war gar kein Wohnhaus, stellte sie verwundert fest. An der weiß gestrichenen Giebelseite, die schon etwas schmuddelig wirkte, war in großen grauen Buchstaben die Aufschrift Crovie Inn zu lesen. In den Fenstern hingen noch Speisekarten, doch das Gasthaus schien schon länger geschlossen zu sein. Anna fragte sich, wo der nächste Pub sein mochte. Vermutlich in Gardenstown, dem benachbarten Küstendorf in der großen Bucht des Moray Firth, an der auch Crovie lag. Als Anna sich jetzt umdrehte, konnte sie Gardenstown am anderen Ende des steinigen Strandes erkennen. Die Häuser der Ortschaft waren zahlreicher als in Crovie und schmiegten sich in die Nischen zwischen den Klippen. Der Hafen war zwar nicht groß, konnte aber immerhin als solcher bezeichnet werden. In Crovie gab es nur eine Mole mit Anlegestellen für ein paar Boote. Im Moment lag dort lediglich eine betagte Holzjolle vertäut, die auf Felsen hockend die Rückkehr der Flut erwartete.

Kein Wunder, dass die meisten Gebäude Ferienhäuser sind, dachte Anna. Wer ist denn schon so verrückt, freiwillig hier zu leben? Selbst jetzt, bei strahlendem Sonnenschein und Ebbe, wirkte das Dorf nicht gerade einladend; faszinierend schon, aber nur für einen Ferienaufenthalt, nicht auf Dauer. Anna hatte auch gelesen, dass die Ansiedlung während der sogenannten Clearances entstanden war, als im achtzehnten Jahrhundert die Bewohner der Highlands zugunsten der Schafzucht von Gutsherren vertrieben worden waren. Die ersten Menschen, die sich in Crovie niedergelassen hatten, waren also notgedrungen hierhergekommen. Es war einer der wenigen Orte, für den die Engländer keine Verwendung gehabt hatten. Aus der Ferne hatte Anna sich eingebildet, der Ort sei eine Art Symbol für die Widerstandskraft der Unterdrückten. Aber für welche Haltung genau, wusste sie selbst nicht ganz. Schlauheit? Kühnheit? Hoffnung? Oder war es ihr nur so vorgekommen, weil sie in diesem Moment einfach keine Alternative gehabt hatte?

Nur blöd, dachte sie erneut. Einfach idiotisch.

Und dann fand sie sich auf einmal vor ihrem Haus wieder. Genau wie die kleine Ortschaft hatte sie der Name anfänglich in Begeisterung versetzt. Er stand auf dem Briefkasten unter einem kleinen Fenster links von der Eingangstür: The Fishergirl’s Luck. Die Tür war in einer heiteren himmelblauen Farbe gestrichen, die aber in der salzigen Meeresluft abzublättern begann.

Anna starrte auf den Eingang zu ihrem neuen Zuhause. Auf der Website des Maklers hatte sie Bilder der Innenräume gesehen, konnte sich aber nur noch an eine schmale Holztreppe zu einem Raum unterm Dach erinnern, in dem höchstens ein Bett für eine Person Platz fand. Und an ein Flair von Gemütlichkeit, das aber vielleicht durch raffinierte Fotos erzeugt worden war. Angesichts der Größe des Hauses konnte sich im Erdgeschoss nur ein einziger Raum befinden. Fishergirl’s Luck war wirklich kaum mehr als ein Schuppen, hatte wahrscheinlich früher als Lager oder Ähnliches gedient.

Sie rief sich zur Vernunft. Das Haus hatte fließend Wasser, Strom und eine Dusche, um Himmels willen, es war schließlich keine Bruchbude. Von außen wirkte es dürftig, konnte aber innen ganz anders sein. Und die abblätternde Farbe an der Tür war nun wirklich unwichtig. Anna sagte sich, dass sie vermutlich viel zu lange in Vorzeigeräumen gelebt hatte, in teuren und stilvollen, aber charakterlosen Apartments.

Anna holte tief Luft und klopfte dann energisch an die Tür. Die Post vom Makler hatte einen Brief vom Hausbesitzer enthalten, in dem er schrieb, er werde ihr den Schlüssel persönlich aushändigen. So etwas wäre in London nicht passiert, aber erstens war sie hier nicht in London, und zweitens hatte Anna keinerlei Erfahrungen mit Immobilienkäufen. Das war Geoffs Domäne gewesen. Während er stetig berühmter wurde, war Anna mit ihm über zwanzig Jahre lang in immer luxuriösere Domizile umgezogen, in denen ihr dennoch nur ein Teil vom Schrank und eine Hälfte vom Waschbecken zur Verfügung gestanden hatte.

Der Wind zerrte an Annas Haaren, während sie wartete. Ihr fiel auf, dass es neben dem Haus einen Streifen Land gab, vom Weg durch einen schiefen Zaun mit einem Törchen abgegrenzt. Eine Art Garten, der aber betoniert war, vermutlich weil er bei Flut immer unter Wasser stand.

Ein paar Minuten vergingen, ohne dass sich im Haus etwas rührte. Vielleicht war Robert MacKenzie furchtbar schwerhörig. Der feindselige Alte hatte ihn wahrscheinlich nicht umsonst »der alte Robbie« genannt. Der Hausbesitzer musste ein Greis sein.

Nachdem Anna noch einmal geklopft hatte, hörte sie hinter sich ein lautes Knarren. Sie fuhr herum und sah eine Frau mit kurz geschnittenem silberweißem Haar und Lachfältchen um die Augen in der Tür des Hauses gegenüber.

»Suchen Sie jemanden?«, erkundigte sich die Frau. Im Gegensatz zu dem alten Griesgram hatte sie keinerlei schottischen Akzent.

»Ich sollte hier eigentlich jemanden treffen«, erklärte Anna mit erhobener Stimme, um den heulenden Wind zu übertönen. »Robert MacKenzie, kennen Sie den?«

»Er wohnt gar nicht in Crovie«, antwortete die Frau verwundert. »Ist er wirklich hier mit Ihnen verabredet?«

»Ich … ja«, sagte Anna, die sich nach den anstrengenden letzten Wochen plötzlich furchtbar erschöpft fühlte. »Also, ich habe das Haus gegenüber gekauft. Er muss mir den Schlüssel übergeben …«

»Ach so!«, rief die Frau aus. »Sie sind Anna Campbell!«

»Ja«, sagte Anna verdutzt.

»Robbie hat Sie angekündigt, aber ich dachte, Sie würden erst nächste Woche kommen. Verspätung sieht ihm eigentlich nicht ähnlich, vielleicht hat er einen Einsatz mit dem Boot.«

Anna sah sie verständnislos an.

»Er gehört zur Crew des Rettungsboots von Macduff«, erklärte die Nachbarin lächelnd. »Vielleicht gab es einen Notfall, und er hatte keine Zeit, sich bei Ihnen zu melden. Ich rufe gleich mal Barbara an, sie wird das wissen. Wollen Sie nicht auf eine Tasse Tee reinkommen? Sie sehen aus, als könnten Sie eine gebrauchen.«

Einen kurzen Moment lang fürchtete Anna, in Tränen auszubrechen.

»Oh«, sagte sie. »Ja. Ja, gern. Das wäre sehr nett.«

»Ich bin übrigens Pat«, erklärte die Frau, als sie beiseitetrat, um Anna einzulassen. »Pat Thorpe.«

2

Pat Thorpes Heim hieß »Die Weberkate«, Weaver’s Nook. Es war dreistöckig, und wer immer es entworfen hatte, musste sehr erfinderisch gewesen sein, um so dicht an den Klippen ein so geräumiges Haus zu gestalten. Die Haustür war seitlich über eine Treppe zu erreichen, neben der ein kleiner Sitzplatz mit Rattanmöbeln eingerichtet war.

»Gäste führen wir durch diese offizielle Tür«, erklärte Pat und wies in Richtung Treppe, »aber wir selbst nehmen den ›Handwerkereingang‹, wie mein Mann das nennt.«

Sie öffnete eine Seitentür und ging einen schmalen Flur entlang, Anna folgte ihr. Am Ende befand sich wiederum eine Tür, durch die man in eine geräumige, behaglich warme Küche mit grauem Fliesenboden kam. Die Steinwände waren weiß getüncht, und in einem großen offenen Kamin stand ein Holzofen. Die Küchenschränke waren in einem sonnigen Gelb gestrichen, rustikale Stühle umgaben einen langen Eichentisch. Pat bat Anna, Platz zu nehmen, füllte den Wasserkocher, schaltete ihn ein und ging nach oben, um zu telefonieren. Anna sah sich in der Küche um und betrachtete bewundernd eine Anrichte voller Keramik in leuchtend bunten Farben.

Als Pat wieder herunterkam, berichtete sie, dass Robert MacKenzie tatsächlich bei einem Rettungseinsatz war. Ein Ausflugsboot aus Lossiemouth war im regen Schiffsverkehr des Firth in Probleme geraten.

»Scheint aber nicht so dramatisch zu sein«, bemerkte Pat, während sie sich mit dem Tee beschäftigte. Der köstliche Duft von frisch gebackenem Shortbread, das auf einem Teller neben dem großen Herd abkühlte, erfüllte die Küche. »Mit etwas Glück ist Robbie bald hier. Obwohl … Ich kann mir vorstellen, dass du an deinem Umzugstag nicht gleich ewig mit den neuen Nachbarn plaudern willst. Du bist doch bestimmt müde, oder?«

»Ein bisschen«, gab Anna lächelnd zu. »Und mein erstes Gespräch hier ist auch ordentlich schiefgelaufen.«

»Wie das denn?«

»Ich war gerade zwei Minuten hier«, berichtete Anna, »als ein älterer Mann mir klarmachen wollte, dass ich mein Auto auf dem Touristenparkplatz abstellen muss.«

»Ach herrje. Hatte er einen Stock? Und sah aus, als hätte er es früher mit Mike Tyson aufnehmen können?«

»So in etwa, ja.«

»Das war Douglas McKean«, erklärte Pat seufzend. »Oje, nimm es nicht so schwer. Der hat nichts gegen dich persönlich, es geht ihm um dein Haus. Da gab es irgendwelche Streitigkeiten, die Jahrzehnte zurückliegen. Bren hat er deshalb auch schon gehasst. Obwohl, ehrlich gesagt: Ich wüsste nicht, wen dieser Mann überhaupt mag. Außer den alten Robbie vielleicht. Douglas ist der letzte Ureinwohner von Crovie sozusagen. Er ist hier geboren und aufgewachsen, und mit Neuankömmlingen kommt er gar nicht zurecht. Ich sollte wohl Mitgefühl mit ihm haben, aber das fällt mir schwer, offen gestanden. Er ist einfach zu unausstehlich.«

Anna lächelte, erleichtert, offenbar nicht die einzige Person zu sein, die den Alten in Rage brachte. »Seit wann lebst du hier?«

»Frank und ich haben das Unternehmen vor fünfzehn Jahren gegründet, als Altersvorsorge. Vielleicht nicht eine unserer allerbesten Ideen, aber inzwischen kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, anderswo zu leben.«

»Was für ein Unternehmen ist das denn?«

Pat bot Anna den Teller mit Shortbread an. »In der Hochsaison bieten wir hier in unserem Haus Bed and Breakfast an, und wir haben noch ein zweites, das wir als Ferienunterkunft vermieten. Frank ist gerade dort, um ein paar Reparaturen zu machen. Die Buchungen lassen von Jahr zu Jahr nach, aber da wir auch nicht jünger werden, passt das schon. Und wir leben sehr gern hier. Aber du, Anna – was führt dich nach Crovie?«

»Tja.« Anna blickte in ihren Teebecher. »Lange Geschichte. Oder nein … eigentlich eher kurz, nur nicht so interessant. Mein Vater ist gestorben und hat mir ein bisschen Geld etwa zu dem Zeitpunkt hinterlassen, als meine langjährige Beziehung in die Brüche ging. Da ist mir klar geworden, dass ich bald vierzig werde und abgesehen von ein paar Sachen, die in das alte Auto meines Dads passen, nichts mein Eigen nennen kann. Als ich mein Elternhaus ausgeräumt habe, fielen mir Fotoalben in die Hände. Meine Eltern hatten ihre Hochzeitsreise nach Schottland gemacht, und es gab ein Foto von ihnen in Crovie. Das sah so toll aus, dass ich es gegoogelt habe. Dabei bin ich auf Fishergirl’s Luck gestoßen«, sie hielt einen Moment inne, »und habe es spontan gekauft, weil ich es nach dem Verkauf meines Elternhauses ohne Hypothek bezahlen konnte und eine Unterkunft brauchte. Ich dachte mir, ein kompletter Neuanfang wäre vielleicht gut …« Anna sah Pat mit schiefem Lächeln an und fügte hinzu: »Was vielleicht auch nicht meine allerbeste Idee war.«

»Ach, sag das nicht«, erwiderte Pat. »Du hast das Haus doch noch gar nicht von innen gesehen. Bren hat es sehr geliebt. Und ich freue mich auf jeden Fall riesig, dass wieder jemand darin wohnen wird.«

»War Bren die vorherige Besitzerin?«, fragte Anna.

»Ja. Bis heute hat niemand anders dort gewohnt. Sie hat es vor vielen Jahrzehnten umgebaut. Hat das Gebäude ihrem Vater abgekauft, von dem Geld, das sie in der Heringsfischerei angespart hatte. Das hat sie jedenfalls erzählt. Aber Douglas McKean behauptet, sie hätte ihren Vater irgendwie übers Ohr gehauen. Bren war auf jeden Fall eine echt eindrucksvolle Frau. Hat ihr Leben lang hier alleine gewohnt, bis sie vor, na, fünf Jahre wird es her sein, gestorben ist. Fünfundneunzig ist sie geworden und ohne Hilfe zurechtgekommen, bis sie einschlief und nicht mehr aufstand. Seither war das Haus unbewohnt. Offen gestanden, glaube ich, dass der alte Robbie sich nicht davon trennen konnte. Die beiden waren sich sehr nah.«

Anna hörte, wie die Handwerkertür auf- und wieder zuging.

»Ah, da kommt Frank«, sagte Pat und stand auf, als jemand in der Küchentür erschien.

Frank Thorpe war ein großer kräftiger Mann etwa Mitte Sechzig, mit einem freundlichen Gesicht, das aussah, als lache er viel und gern. In einer Hand hielt er eine Vorhangstange, in der anderen einen Maschinenkoffer. Als Frank seine Frau erblickte, strahlte er, als habe er das Wiedersehen seit Wochen herbeigesehnt. Anna erhob sich, angesteckt von dem sonnigen Lächeln.

»Aha!«, rief Frank aus. »Der Besuch ist also für uns! Ich habe mich schon gefragt, wem wohl das Auto gehört.«

»Das ist Anna, Frank. Sie ist die neue Besitzerin vom Fishergirl’s Luck«, erklärte Pat.

Frank stellte den Koffer ab und lehnte die Stange an einen Küchenschrank. Dann schüttelte er Anna die Hand und sagte herzlich: »Prächtig, prächtig. Willkommen in Crovie, junge Frau.« Er hielt den Maschinenkoffer hoch. »Wenn du Hilfe brauchst in deinem Häuschen, sag Bescheid, ja?«

»Die Arme ist gerade angekommen, als Robbie zu einem Einsatz gerufen wurde, und nun hat sie keinen Hausschlüssel«, berichtete Pat, während sie ihrem Mann Tee eingoss.

»Hm, ich kann dir das Türschloss knacken, wenn du willst«, verkündete Frank zwinkernd, setzte sich und griff nach seinem Becher.

Anna blinzelte verblüfft. »Ähm, also …«

»Ach Frank, benimm dich«, schalt Pat. »Willst du dich der neuen Nachbarin als Erstes mit solchen Fähigkeiten präsentieren?«

»Ist nur ein Hobby, ich versprech’s dir«, bemerkte Frank grinsend. »Ich habe das für Bren auch schon gemacht, weißt du. Vor Jahren hat sie mal ihren Schlüssel im Sturm fallen lassen, und schwups war er im Meer verschwunden. Und einen Schlosser kriegst du hier nicht, da kannst du warten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Deshalb habe ich ihr erst mal Zutritt zum Haus verschafft, bis Robbie mit einem Ersatzschlüssel kommen konnte.«

»Von Robert MacKenzie«, begann Anna, um ein weniger heikles Thema anzuschneiden, »habe ich das Haus gekauft. Er war wohl mit Bren verwandt, wenn er das Haus nach ihrem Tod geerbt hat?«

»Neffe zweiten Grades oder so«, antwortete Pat. »Die Verwandtschaftsbeziehungen hier sind äußerst verworren und rätselhaft. Jeder ist auf irgendeine Art mit allen anderen verwandt.«

»Na ja, ich warte lieber, bis er selbst hier ist«, sagte Anna. »Ich möchte nicht gleich mit noch jemandem aneinandergeraten.«

»Douglas McKean«, erklärte Pat, als Frank sie fragend ansah.

»Ach herrje, dieses alte Schandmaul«, sagte Frank. »Beachte den am besten gar nicht. Aber wegen Robbie brauchst du dir keine Sorgen zu machen, das ist einer von den Guten. Der ist immer für jeden da, deshalb fährt er auch noch mit dem Rettungsboot aus, obwohl er damit eigentlich schon mal aufgehört hatte. Robbie würde sich nie beklagen, wenn ich dir die Tür schon mal öffne. Und außerdem ist Fishergirl’s Luck jetzt dein Haus, oder? Du kannst doch damit machen, was du willst.«

»Lass dich nicht überreden, Liebes«, riet Pat und setzte noch einmal Teewasser auf. »Frank will nur ein bisschen angeben. Er wäre offenbar in einem vergangenen Leben gern Einbrecher gewesen, dabei ist er in Wirklichkeit ein richtiger Softie.«

Frank sah Anna an und verdrehte grinsend die Augen, während er sich rasch eine Handvoll Kekse schnappte, als Pat ihnen den Rücken zukehrte.

»Du brauchst gar keine Grimassen zu schneiden, Frank Thorpe«, sagte Pat streng, ohne sich umzudrehen. »Und wenn du meinst, du könntest vor dem Essen das ganze Shortbread verputzen, blüht dir was, das kann ich dir sagen.«

Frank seufzte theatralisch. »Einmal Lehrerin, immer Lehrerin, wie? Augen im Rücken …«

»Mit dir im Haus bleibt mir ja nichts anderes übrig, oder?«

Obwohl Anna dem Geplänkel lächelnd zuhörte, hatte sich ein Hauch Wehmut in ihr Herz geschlichen. Solche Gespräche waren ihr vertraut, wenn auch nicht aus ihrer Beziehung mit Geoff. Sie fühlte sich vielmehr an die Zeit erinnert, als ihre Eltern noch jung und glücklich gewesen waren – bis zu dem Moment, als auf den Monitoren im Krankenhaus die Lebensenergie ihrer Mutter erlosch und damit auch das ursprünglich heitere Naturell ihres Vaters.

Anna starrte auf ihre Finger, die den Teebecher umklammerten. Ihre Mutter war jünger gewesen als sie selbst, als sie an Krebs starb. Und was hatte Anna vorzuweisen in ihrem Leben? Eine berufliche Laufbahn, die sie für einen Mann aufgegeben hatte, der nur sich selbst liebte, und ein Haus, kaum größer als ein Schuhkarton, in einem Dorf, in dem sie eine Fremde war.

Plötzlich merkte Anna, dass es still geworden war, und als sie aufblickte, sahen Pat und Frank sie so erwartungsvoll an, als hätten sie etwas gesagt und keine Antwort bekommen.

»Entschuldigung.« Anna strich sich übers Gesicht. »Ich habe echt anstrengende Tage hinter mir.«

»Kann ich mir vorstellen«, erwiderte Pat mitfühlend.

»Wisst ihr«, Anna sah Frank an, »vielleicht nehme ich dein Schlossknacker-Angebot wirklich an. Wenn du meinst, dass MrMacKenzie nichts dagegen hat …«

»Ganz sicher nicht«, erwiderte Frank. »Wir rufen Barbara an und sagen ihr, dass du schon im Haus bist und er nicht eigens herfahren muss, wenn er wieder an Land ist. Dafür ist er bestimmt dankbar.«

3

Kurz darauf sah Anna dabei zu, wie Crovies Version des rosaroten Panthers im Schloss ihres neuen Eigenheims herumstocherte. Ansonsten gab es im gesamten Dorf keinerlei Anzeichen von menschlicher Aktivität. Der Wind nahm zu, während die Sonne langsam unterging, und schmetterte gischtende Wellen an die Ufermauer, was sich wie Zischen und Seufzen zugleich anhörte. Möwen ließen sich auf den Böen durch die Luft tragen und kreischten unaufhörlich. Anna blickte die Häuserreihe entlang, die weiter hinten an den Felsen endete. Die zerklüfteten grünen Klippen leuchteten golden im Abendlicht, Schatten entstanden in den Nischen. Die Klippen ähnelten Wellen, und einen Moment lang kam es Anna vor, als läge das kleine Dorf zwischen zwei Meeren und könne jederzeit vom Wasser verschlungen werden.

»Na bitte!«, rief Frank aus, als die Haustür mit einem metallischen Klacken aufsprang. Stolz strahlend sah er Anna an.

»Oh, vielen, vielen Dank«, sagte sie unendlich erleichtert.

»War mir ein Vergnügen. Kann ich dir noch beim Kistentragen helfen?«

»Danke, aber ich habe gar nicht so viele Sachen dabei. Ich denke, ich komme vorerst zurecht. Ich werde mich erst mal … mit dem Haus vertraut machen.«

Frank nickte und trat zurück. Er schien zu verstehen, dass sie ihr neues Heim zum ersten Mal alleine betreten wollte. »Okay, aber klopf einfach bei uns, wenn du irgendetwas brauchst, ja? Gegen elf gehen wir ins Bett, aber bis dahin können wir mit anpacken und haben auch sonst noch allerlei zu bieten. Werkzeug, Tee, Schokolade, Whisky, einen Plausch – wonach dir der Sinn steht. Melde dich einfach.«

Anna lächelte. »Lieben Dank. Ich hatte gar nicht damit gerechnet, gleich so nette Nachbarn zu bekommen.«

Frank zuckte die Achseln. »Na, das versteht sich doch von selbst. Wir freuen uns, dass du hier einziehst und neues Leben in das Haus kommt. Vielleicht hast du Lust, morgen mit uns zu frühstücken? Halb zehn? Aber kein Stress, ganz wie du magst.«

Damit überließ er Anna sich selbst. Sie zögerte noch einen Moment, bevor sie tief Luft holte und über die Schwelle trat. Direkt hinter der Haustür befand sich eine weitere Tür, sodass man zunächst in einem kleinen Vorraum mit Wänden aus Kiefernholz stand, der offenbar als Windfang diente.

Als Anna die zweite Tür aufschob, schlug ihr ein Schwall abgestandener Luft entgegen. Der Raum lag im Halbdunkel, nur schwaches Licht drang durch die kleinen Fenster. Anna tastete nach einem Schalter und zuckte zusammen, als plötzlich das grelle Licht einer Deckenlampe aufleuchtete. Dass sich geraume Zeit niemand mehr hier aufgehalten hatte, ließ sich auf den ersten Blick erkennen: Sämtliche Flächen waren von einer dicken Staubschicht bedeckt.

Anna hatte beim Kaufpreis nicht verhandelt, weil Mobiliar und Einbauten mit enthalten waren. Das hatte sie als praktisch empfunden, weil sie keine eigenen Möbel besaß und es aufgrund der besonderen Lage von Crovie schwierig war, neue anzuschaffen. Der Makler hatte zwar erwähnt, dass einiges »erneuerungsbedürftig« sei, aber erst jetzt wurde ihr klar, wie er das gemeint hatte: Sie konnte jetzt einen Haufen alten Plunder ihr Eigen nennen.

Im Wohnzimmer zu ihrer Linken, unter dem Fenster mit Blick zum Weg, standen ein durchgesessenes Sofa, bezogen mit grobem blauen Stoff, der an den Armlehnen so abgewetzt war, dass die Füllung herausquoll, und ein verstaubter Couchtisch aus Kiefernholz. Die zwei fadenscheinigen, orangebraun gemusterten Sessel gegenüber dem Zweisitzer stammten allem Anschein nach aus den Siebzigern. An der Wand gegenüber befand sich ein offener Kamin, der einen kleinen Holzofen beherbergte. Die Treppe, die Anna auf den Maklerfotos so gut gefallen hatte, führte hinter dem Kamin ins Obergeschoss und wirkte nicht malerisch wie auf den Bildern, sondern eher baufällig. Der Boden des Wohnzimmers war von einem abgewetzten blauen Teppich bedeckt, der nicht zum Farbton des Sofas passte.

Rechter Hand führte eine weitere Tür zu dem winzigen Badezimmer, in dem sich eine kleine Dusche, ein Waschbecken und eine weiße Keramiktoilette befanden. Zum Glück sah hier trotz Staubschicht alles sauber und sogar relativ modern aus.

Anna schloss die Badezimmertür und ging geradeaus weiter. Nach sechs Schritten befand sie sich in ihrer neuen Küche. Laut Beschreibung auf der Maklerseite hatte sie einen Kachelboden und war mit Herd, Spüle und Kühlschrank ausgestattet, alles andere war Anna beim Kauf egal gewesen. Sie hatte gar nicht gewusst, ob sie nach der Trennung von Geoff jemals wieder in einer Küche stehen wollte, außer um Toast zu machen und Fertiggerichte in eine Mikrowelle zu schieben. Jetzt allerdings war sie doch ein wenig bestürzt. Es gab zwar Schränke, Regale, eine Arbeitsfläche und sogar einen Mini-Esstisch mit zwei Stühlen in der Nische unter der Treppe, aber der Raum war so klein, dass er in Geoffs Fahrstuhl gepasst hätte. Man konnte hier höchstens Brot toasten.

Über der antiquierten weißen Keramikspüle befand sich ein winziges Fenster mit Meerblick. Es war kleiner als ein DIN-A4-Blatt und mit Fensterläden ausgestattet, die es wahrscheinlich vor Brechern schützen sollten. Anna stützte sich auf das Spülbecken und starrte nach draußen auf die graugrünen Wogen.

»Oh Gott, was habe ich nur getan?«, murmelte sie.

Na komm schon, mein Mädchen, hörte sie plötzlich eine vertraute Stimme in ihrem Kopf. Nicht gleich aufgeben.

Tränen traten ihr in die Augen. Dad.

Das hatte er zu ihr gesagt, als Anna nach der Ausbildung zur Köchin ihre erste Stelle bekam und er beim Umzug in die neue Unterkunft half. Das war nun beinahe zwanzig Jahre her, doch es war ihr noch immer lebhaft in Erinnerung. Bei ihrer Ankunft fanden sie in dem Hotel in West End, Annas neuem Arbeitsplatz, allerdings nicht die erhoffte geräumige Wohnung mit Blick über die Dächer von London vor, sondern eine stickige kleine Dachkammer. Das einzige Fenster war ein uraltes Oberlicht, das sich nur öffnen ließ, indem man auf einen Stuhl stieg. Aber Anna musste zumindest nichts dafür bezahlen, was ihr perfekt vorgekommen war, als sie die Stelle annahm. Ihr Vater war dagegen gewesen – aber schon damals war Anna Geoff gefolgt.

»Mach doch lieber etwas Eigenes, mein Schatz«, hatte ihr Vater gesagt, als sie ihm von der Stelle als Assistenzköchin berichtet hatte. »Du solltest deine Laufbahn nicht danach ausrichten, was Geoff tut. Was ist denn mit diesem Restaurant in Lancaster? Der Chefkoch hatte doch gesagt, er hätte etwas Interessantes für dich, wenn er das Lokal eröffnet. Das hörte sich an, als würdest du da mehr tun können, als den ganzen Tag nur Möhren zu putzen.«

»Aber mein neuer Job ist in London, Dad«, hatte Anna argumentiert. »Geoff sagt …«

»Anna. Es ist mir einerlei, was Geoff sagt. Vor einem Monat war er noch in der Ausbildung, genau wie du. Warum sollte er irgendetwas besser wissen?«

»Er ist aber so begabt«, hatte Anna eingewandt. »Er wird ganz bestimmt ein Star, ich spüre das.«

»Und du, Anna?«, hatte ihr Vater gefragt. »Wann willst du deine Begabung entfalten?«

Anna hatte die Augen verdreht und erwidert: »Nur weil ich einen kleinen Wettbewerb gewonnen habe, bin ich noch lange nicht die neue Hoffnung am Kochhimmel, Dad.«

»Hat dir das Geoff eingeredet? Denn du hast in dem Wettbewerb besser abgeschnitten als er. Ich weiß das noch, auch wenn er gerne möchte, dass es in Vergessenheit gerät. Und bei diesem Wettbewerb als ›Junges Talent des Jahres‹ geehrt zu werden, klingt für mich nach einer großen, keiner kleinen Auszeichnung, Anna.«

»Ach, du kennst dich in der Szene nicht so aus, Dad«, hatte Anna widersprochen. »London ist mir wichtig und Geoff auch. Weil ich ihn liebe.«

Ich hätte auf dich hören sollen, Dad, dachte Anna jetzt und wischte sich die Augen. Ihr Vater hatte ihr damals noch von einer anderen attraktiven Stelle erzählt, aber Anna hatte sich auf keine Diskussion mehr eingelassen. Danach hatte er sie wie immer unterstützt, ohne sich weiter einzumischen. Ihr Vater hatte ihr seit jeher mit Rat und Tat zur Seite gestanden.

Nun bist du eben hier, hätte er vielleicht gesagt, wenn er sie jetzt erlebt hätte. Willst du dir nicht erst mal den Rest von deinem neuen Haus angucken?

Vorsichtig stieg Anna die Treppe hinauf, die doch robuster zu sein schien, als sie aussah. Auf dem Treppenabsatz rechts stand ein Kleiderschrank unter dem Dachgiebel, und durch ein kleines Fenster fiel Tageslicht herein. Eine Holzwand linker Hand mit einer Tür unterteilte den ehemaligen Dachboden. Als Anna durch die Tür trat, fand sie sich in einem kleinen Raum wieder. Im rechten Teil war gerade genug Platz für das schmale Bett, auf dem zu Annas Erstaunen eine neue, noch in Plastik eingepackte Matratze lag.

Linker Hand stand eine niedrige Kommode, offenbar eigens für die kurze Wand des Zimmers angefertigt. In der Giebelwand am Ende befand sich das größte Fenster des Hauses. Es war gewölbt, um unters Dach zu passen, und endete kaum eine Handbreit über dem Boden. Außen waren Fensterläden befestigt, innen dämpfte ein dünner Musselinvorhang die Strahlen der untergehenden Sonne. Bis auf dicke Staubflocken war der Raum leer.

Anna setzte sich probeweise auf das Bett. Wie sollte sie denn hier leben? Sie hatte wieder genau denselben Fehler gemacht wie damals, als sie drei Jahre in diesem scheußlichen Londoner Dachgemach verbringen musste: sich etwas schöngeredet. Wieso nur hatte sie sich eingebildet, für den niedrigen Kaufpreis etwas Besseres als The Fishergirl’s Luck zu bekommen? Es war wirklich genau so, wie Geoff oft gesagt hatte: Ihr fehlte der Realitätssinn.

Anna beschloss, für eine Nacht hierzubleiben. Sie war zu erschöpft, um sich eine andere Unterkunft zu suchen, aber morgen würde sie diesem Ort den Rücken kehren. Zumindest hatte sie eine saubere Matratze und neues Bettzeug im Auto.

Auf dem Weg zum Parkplatz fiel ihr auf, dass vor einigen Häusern hölzerne Schubkarren standen, beschriftet mit einer Zahl, die der Hausnummer entsprach. Am Auto angekommen, bemerkte Anna weitere dieser Karren neben den Müllcontainern am Ende des Platzes. Auf einer stand sogar die Nummer ihres Hauses, und ihr wurde klar, dass man damit auf dem schmalen Weg Lasten transportieren konnte. Eine praktische Einrichtung, um das Leben an einem so unzugänglichen Ort zu erleichtern.

Weil Anna für eine Nacht ohnehin nicht viel brauchte, ließ sie ihre Karre aber stehen. Aus dem Karton mit dem Bettzeug – sie hatte alle Kisten sorgfältig beschriftet, obwohl sie nur so wenige Sachen dabeihatte – nahm sie Decke und Kissen heraus. Sie zögerte kurz, dann öffnete sie einen weiteren Karton. Ganz obenauf lag ein Foto in einem Silberrahmen, ein Erinnerungsstück an eine glücklichere Zeit. Das Bild war entstanden, als Anna etwa vier gewesen war, vermutlich an einem Strand in Wales. Sie saß auf den Schultern ihres Vaters, weiße moppelige Beinchen baumelten über seine Schultern. In der Hand hielt sie ein schmelzendes Eis, das ihr schon über die Finger rann und ihrem Vater gleich aufs Haar tropfen würde. Annas Mutter versuchte das zu verhindern, indem sie, auf Zehenspitzen stehend, mit einer Hand den Arm ihres Mannes umklammerte und die andere ausstreckte, um die Tropfen aufzufangen. Die beiden lachten, und nicht zum ersten Mal dachte Anna, wie bezeichnend es für ihre Eltern war, dass sie ausgerechnet dieses Foto mit einem schönen Rahmen versehen und aufs Kaminsims gestellt hatten. Das Bild war der erste Gegenstand gewesen, den Anna nach dem Tod ihres Vaters eingepackt hatte. Es erinnerte sie an eine simple Form von Glück, die sie in ihrem Erwachsenenleben bislang nicht gefunden hatte – und wohl auch nicht mehr finden würde.

Mit Foto, Bettzeug und einer Tüte Lebensmittel kehrte sie in ihr winziges Haus zurück, deponierte die Einkäufe in der Küche und ging nach oben. In der Dachkammer stellte Anna das Foto neben das Bett, zog die Schuhe aus, entfernte die Plastikhülle von der Matratze und ließ sich darauf fallen. Dass sie angezogen war und seit dem Frühstück nur Pat Thorpes Kekse gegessen hatte, war ihr einerlei. Zum Donnern der Brandung am Fuße von Fishergirl’s Luck sank Anna in tiefen Schlaf.

4

Als sie aufwachte, knurrte ihr Magen laut. Rundum war es stockfinster, und einen Moment lang wusste Anna nicht, wo sie war. Erst das Rauschen der Wellen brachte sie zurück nach Crovie, in das kleine Haus und zu sich selbst. Der Holzboden war kalt an den Füßen, als sie aufstand und nach dem Lichtschalter suchte. Sie tastete umher, bis sie ihn neben dem Türrahmen spürte, und blinzelte dann im hellen Licht, um das Zifferblatt ihrer Armbanduhr zu erkennen. Es war kurz vor fünf.

Auch im Untergeschoss war es kalt, aber nirgendwo waren Holzscheite zu sehen, und außerdem hätte Anna sowieso keine Streichhölzer zur Hand gehabt. Es gab zwar einen Elektroheizer oben im Schlafzimmer und einen weiteren unter der Treppe, aber sie war zu verschlafen, um sich mit der Bedienung herumzuschlagen. Stattdessen tappte Anna in die Küche und packte die Tüte mit Lebensmitteln aus, die nur das Nötigste enthielt: Brot, Tee, Milch, Butter, Marmelade, Käse, Eier, Salz und Pfeffer. Argwöhnisch beäugte Anna den Herd, das Schlimmste befürchtend. Doch als sie den Mut fand, den Backofen zu öffnen, erwies er sich zum Glück als sauber. Sie schaltete den Grill ein und legte zwei Scheiben Toast hinein. Als sie Tee kochen wollte, fiel ihr auf, dass sie weder Kessel noch Becher hatte. Es würde wohl auf Leitungswasser hinauslaufen, das hoffentlich nicht aus dem Meer kam. Als der Toast fertig war, setzte Anna sich damit aufs Sofa und aß mechanisch. Sie fühlte sich benebelt, und die ganze Situation erschien ihr vollkommen unwirklich.

Als sie zur Decke aufblickte, sah sie, dass sich zwischen den dicken Holzbalken, die das Obergeschoss stützten, Nischen befanden, die als Ablage genutzt werden konnten. In einer Ecke lag ein einzelnes Buch. Anna stand auf und nahm es herunter. Es handelte sich um ein in weiches braunes Leder gebundenes Notizbuch, das Rezepte enthielt, in einer feinen ordentlichen Handschrift geschrieben. Anna fragte sich, ob es Bren, der einstigen Eigentümerin, gehört hatte und ob der alte Robbie es beim Ausräumen übersehen hatte.

Das Rezeptbuch ihrer eigenen Großmutter war einer von Annas größten Schätzen, sie hatte als kleines Mädchen oft gemeinsam mit ihrer Mutter danach gekocht. Wenn Anna heutzutage die Rezepte ausprobierte, kam es ihr vor, als erführe sie mehr über ihre Großmutter, die sie leider nicht mehr kennengelernt hatte. Und auch ihrer Mutter, die viel zu früh aus dem Leben geschieden war, fühlte Anna sich dabei näher.

Dieses Rezeptbuch war vielleicht ein ähnliches Vermächtnis, und Anna nahm sich vor, es Robert MacKenzie zurückzugeben. Vielleicht hatte er Kinder und Enkel und konnte beim Kochen mit ihnen die Erinnerung an die Frau bewahren, der das Notizbuch gehört hatte. Ein so liebevoll geführtes Buch durfte auf keinen Fall verloren gehen. An einigen Stellen gab es kleine Skizzen, an anderen waren mit winziger Schrift Zusätze und Erfahrungen notiert. Dieses Rezeptbuch war ein Juwel, das bewahrt werden musste.

Anna legte es auf den Couchtisch und widmete sich wieder ihrem Toast. Obwohl sie sich erschöpft und benommen fühlte, war ihr klar, dass sie nicht wieder einschlafen würde. Deshalb beschloss sie, einen Spaziergang zu machen. Für die zehn Minuten, die sie für eine Runde durchs Dorf brauchte, konnte die Haustür unverschlossen bleiben. Und an der inneren Tür steckte außerdem ein Schlüssel, den Anna abziehen und mitnehmen konnte.

Als sie nach draußen trat, blieb sie einen Moment stehen und ließ sich den Wind um die Nase wehen. Dann wandte sie sich nach rechts, um den Teil von Crovie zu besichtigen, den sie noch nicht kannte. Das frühe Morgenlicht, in London schmutziggrau, war hier frisch und klar, obwohl der größte Teil des Dorfs noch im Schatten der Klippen lag. Die Flut lief auf, Wellen schwappten an die Uferböschung. Weiter hinten leuchtete das Meer azurblau und türkis. Anna atmete in tiefen Zügen die feuchte salzige Luft ein, bevor sie losmarschierte. Sie war seit jeher Frühaufsteherin, was ihr bei ihrem Beruf sehr entgegenkam. Um diese Uhrzeit wäre sie in ihrem alten Leben schon unterwegs zu ihrer Schicht im Restaurant gewesen, während der sie sich nur wenige Fünfminutenpausen in der Gasse bei den Mülltonnen erlauben konnte. Doch das lag jetzt endgültig hinter ihr.

Anna betrachtete die Häuser, an denen sie vorbeikam, und sah zu ihrem Erstaunen, dass an weniger steilen Stellen der Klippen zwischen den Gebäuden Treppen zu weiteren Häusern führten. Hie und da gab es auch kleine Gärten, in denen Gras wuchs und wilde Blumen blühten: violette Wicken und Disteln, weiße Gänseblümchen, blaue Glockenblumen und ein gelb blühendes Gewächs, dessen Namen Anna nicht kannte.

An den Klippen zum Ende des Dorfes hin waren die Häuser kleiner und einstöckig, hatten höchstens im Dach ein zusätzliches Fenster. Sie waren auch nicht zueinander gewandt, sondern trotzten mit der Vorderfront dem gnadenlosen Ozean. Die Häuser waren kaum größer als ihr eigenes. Anna versuchte sich vorzustellen, wie es sich wohl früher angefühlt hatte, darin zu leben. Beengt, feucht und kalt auf jeden Fall. Sie fand es erstaunlich, was Menschen alles aushalten und durchstehen konnten.

Jetzt schien in diesen Häuschen niemand mehr zu wohnen, zumindest nicht auf Dauer. Die meisten waren durch Schilder in den Fenstern als Ferienunterkünfte ausgewiesen. Hier wirkten die hohen Klippen besonders steil und drohend, und nach einer Weile fiel Anna auf, dass etwas fehlte: das Geschrei von Seevögeln. Sogar sie schienen sich vom hinteren Teil des Dorfes fernzuhalten.

Es roch modrig und nach verfaulendem Tang. Anna sah, dass an einigen Stellen der Klippen offenbar früher einmal die Schicht aus Gras und Erde abgerutscht und auf die Häuser gestürzt war. Eines wirkte komplett düster und verlassen, in einem anderen sah sie noch Vorhänge in den von Spinnweben verhangenen Fenstern. Eine Wand war mit einer blauen Plane gesichert, deren Enden im Wind flatterten. Ein rostiges Rohr hing herab, aus seiner Verankerung gerissen.

Am äußersten Ende des Dorfes, wo der Weg an einer hohen schroffen Klippe endete, auf der sich nur Vögel niederlassen konnten, gab es eine kleine Grasfläche, umgeben von einer niedrigen Mauer. Drei Bänke standen dort. Anna ließ sich nieder und sah zu, wie die Farben der eigentümlichen Häuser von Crovie in der frühen Morgensonne zu leuchten begannen. An einem Pfahl vor ihr endeten die öffentlichen Trockenseile, die den gesamten Uferweg entlang zwischen Pfosten gespannt waren. Früher hatte man daran die Fischernetze getrocknet oder außerhalb der Saison ausgebessert. Inzwischen wurden die Seile anscheinend für Wäsche genutzt, denn an einigen waren mit Klammern Bettlaken und Kleidungsstücke befestigt.

Während Anna das Rauschen der Wellen und die erfrischende Meeresluft genoss, merkte sie, dass noch jemand außer ihr schon auf den Beinen war. Im ersten Moment fürchtete sie, die nahende Gestalt sei womöglich Douglas McKean. Sie hätte dem alten Griesgram nirgendwo aus dem Weg gehen können und wollte sich frühmorgens kein übellauniges Geraunze anhören müssen. Doch als die Person näher kam, sah Anna, dass es sich um eine alte Frau handelte, deren weißes Haar vom Wind gezaust wurde. Sie ging mit schnellen entschlossenen Schritten, und als sie die kleine Grünfläche erreichte, blieb die Frau nicht stehen, sondern nickte Anna nur lächelnd zu. Dann ergriff die alte Dame mit ihrer runzligen Hand den Holzpfosten und umrundete ihn zweimal.

»Das ist eine alte Tradition«, erklärte sie und deutete auf einen Schriftzug auf dem Holz. »Man muss zweimal herumgehen.«

»Ach so, ich …«, begann Anna, doch die Frau warf ihr nur ein weiteres Lächeln zu und marschierte davon.

Anna stand auf und betrachtete den Pfahl genauer. Tatsächlich war auf einer Seite Nordpol und auf der anderen Südpol zu lesen. Das erklärte allerdings noch lange nicht, weshalb man den Pfosten zweimal umrunden sollte.

Als sie wieder auf den Dorfweg blickte, war die Frau verschwunden. Anna schlenderte gemächlich zurück und trat bald aus dem Schatten der Klippen. Die Sonne ließ die Farben der Blumen in halbierten Fässern und Hängekörben neben den Haustüren erstrahlen. Trotz der salzigen Meeresluft schienen die Pflanzen hier gut zu gedeihen. Hinter einem Haus entdeckte Anna sogar eine erhöhte Terrasse mit einer bezaubernden, üppig blühenden Rose, die über das Geländer rankte.

Vom Meer her hörte sie ein Brummen, und als Anna zur Mole schaute, sah sie ein Motorboot ablegen. Darin stand die Frau mit der weißen Mähne, die zweimal Crovies Nord- und Südpol umrundet hatte, und eine zweite, nicht genau erkennbare Gestalt steuerte das Boot. Doch als es schnell Richtung Gardenstown fuhr, drehte die Gestalt sich um und winkte. Obwohl Anna nicht sicher war, ob die Geste ihr oder irgendjemand anderem galt, den sie nicht sehen konnte, winkte sie zurück.

Als sie wieder bei ihrem Haus ankam, stand ein Korb vor der Tür, in dem sich eine Flasche Rotwein, eine braune Papiertüte mit vier Scones, eine Dose mit einer Kerze und ein verschlossener Umschlag befanden. Als Anna ihn öffnete, kamen ein Messingschlüssel und ein kurzer Brief zum Vorschein.

Liebe Ms Campbell,

willkommen in Crovie und im Fishergirl’s Luck. Es tut uns sehr leid, dass Sie gestern Abend den Hausschlüssel nicht bekommen haben und dass wir es vor Ihrer Ankunft nicht geschafft haben, das Haus richtig vorzubereiten. Die Zeit ist uns davongelaufen! Wir hatten noch viel mehr machen wollen, als nur die Matratze auszutauschen.

Anbei Ihr Schlüssel und das Körbchen, das eigentlich für Ihren Empfang gedacht war. Wir wünschen Ihnen ganz viel Freude mit Ihrem Haus und hoffen, dass Sie schon dabei sind, sich einzugewöhnen.

Herzliche Grüße

Ihre MacKenzies

»Und, wie war deine erste Nacht?«, fragte Frank Thorpe, als Anna sich ein paar Stunden später am Küchentisch im Weaver’s Nook niederließ.

»Oh, ähm … gut. Gut.«

»Das klingt nicht sehr enthusiastisch«, bemerkte Pat, während sie Anna Tee eingoss. Vor ihr stand das üppigste Frühstück, das sie seit Jahren zu Gesicht bekommen hatte. »Hast du schlecht geschlafen? An das Meer muss man sich manchmal erst gewöhnen.«

Anna lächelte ihre Gastgeberin an. »Nein, daran lag es nicht, ich mochte das Wellenrauschen. Es ist nur … Mir ist sehr schnell klar geworden, dass ich einen furchtbaren Fehler gemacht habe. Ich hätte das Haus nicht kaufen sollen.«

Pat starrte sie bestürzt an. »Ach nein, Liebes, sag doch so was nicht! Du bist doch kaum fünf Minuten hier!«

»Ich weiß, ich weiß. Aber das Haus ist so renovierungsbedürftig. Und so klein! Ich meine, das wusste ich natürlich, aber wenn man das dann konkret erlebt … Es ist einfach nicht das Richtige für mich.«

»Was muss denn alles gemacht werden?«, erkundigte sich Frank. »Ich dachte eigentlich, das Haus sei in gutem Zustand. Das Dach ist doch wohl hoffentlich nicht schadhaft, oder?«

»Ich glaube eigentlich nicht«, antwortete Anna, die diese Vorstellung dennoch sehr beunruhigend fand. »Aber es ist sehr schmutzig und, na ja … eben einfach alt.«

»Ach so«, sagte Pat. »Ja, es ist bestimmt staubig. Es steht schon so lange zum Verkauf, niemand hat sich bislang dafür interessiert. Und Robbie hatte vorgehabt, alles ordentlich zu putzen, bevor du einziehst.«

Anna lächelte. »Ja, ich weiß.«

Pat schaute von ihrem Teller auf. »Ach, dann habt ihr euch jetzt doch getroffen?«