Fitzmorton und der reisende Tote - Peter Hardcastle - E-Book

Fitzmorton und der reisende Tote E-Book

Peter Hardcastle

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Beschreibung

Der Medienmagnat Lord Buford kreuzt mit seiner Yacht im Mittelmeer, da geschieht ein Mord. Weil sich auch ein Mitglied des Königshauses an Bord befindet, wird Chefinspektor Sir Phileas Fitzmorton auf ausdrücklichen Wunsch des Premierministers zusammen mit seiner Freundin Lady Judith Crimpleby und seinem Assistenten Detective Sergeant John Miller per Hubschrauber an Bord gebracht. Dort treffen sie auf eine berühmt-berüchtigte Gästeschar - darunter eine koksende Prinzessin, hübsche Bodyguards, schweigsame Geheimdienstler und ein mausetoter Mafioso. Fitzmorton hat das Zeug zur schrulligen Kultfigur - sein dritter Fall: humorvoll, schnörkellos und spannend erzählt!

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Seitenzahl: 164

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Ähnliche


Peter Hardcastle

Fitzmorton

und der reisende Tote

Kriminalroman

Bookspot Verlag 

Personen

Chiefinspector Sir Phileas Fitzmorton 

Sergeant John Miller

Lady Judith Crimpleby

Lord Isaak Buford of Weatherskin

Lady Pamela Buford of Weatherskin 

Benjamin Buford of Weatherskin

Conte Aldo Campanile-Strozzetti

Countess Edwina Kamtschatka

Sir Charles Copperhill

Princess Viktoria, Duchess of Belfast 

Lady Joan Brigham-Jones

Colonel Mycroft Stuart, MI5-Commander 

Captain John Wilkins

Blimey Buckridge

Phyllis Buckridge

Stewart McPherson

Leslie Hunter-McPherson

Lieutenant Wilbur McCurry

Isabella Musselini

Dr. Leonora Loopman

Abercrombie White

Ludovina Pschewalski

Emma Streicher

Chiefsuperintendent Eustace Ruggler 

Sergeant Lilly MacIntosh

Dr. Kiltman

Mischen

Ein paar Scheine flatterten auf das schmuddelige Bett mit den Blutspuren. Die kindliche Hure mit den schwarz glänzenden Haaren hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und wurde von lautlosen Schluchzern geschüttelt. Irgendwo im Haus plärrte von Madonna „Like a virgin“. Der Mann rümpfte seine fein geschwungene Nase, schüttelte den Kopf und steckte sich das zartrosa Seidenhemd in die beigefarbene Armanihose. Was diese Weiber heutzutage nur hatten? Da zahlte man gut und trotzdem flennten die Nutten! In der Gosse wären sie verhungert, oder etwa nicht?

„Mit Heulen hat noch keine bei mir die Preise verdorben!“ Er verzog seine schmalen Lippen. „Sei froh, dass ich dir diese Chance besorgt habe.“ 

Ein neuer Weinkrampf schüttelte das Mädchen. Der elegante Freier schlüpfte in sein elfenbeinfarbenes Sakko und strich sich die schwarz gelockten Haare zurück.

„So großartig war’s nun auch nicht. Bene, ich hab’s gerne etwas härter, aber dein Gewimmer hat mich kaum befriedigt.“

Die Tür öffnete sich. Eine dicke Frau mit asiatischem Gesichtsschnitt schob sich herein. Das sackartige, grell geblümte Kleid ließ den unförmigen Körper noch plumper erscheinen. Runzelige Tränensäcke lenkten von ihren böse funkelnden, dunklen Augen ab; eine lächerlich dicke Perlenkette zwängte sich um den speckfaltigen Hals.

„Mach das Bett und wasch dich! Unten warten noch zwei Gäste.“

Die Dicke starrte das zarte Mädchen hasserfüllt an. Für einen Moment sah sie sich selbst in ihr, vor dreißig Jahren und dreißigtausend Männern. Damals hatte es keine Gnade für sie gegeben, warum also für die da?

Der Freier summte vor sich hin und ging vergnügt hinaus zur Treppe. „Nächstes Mal wirst du schreien!“ Im Erdgeschoss gesellte er sich zu zwei jungen Männern, die an der Bar offenbar schon einiges getrunken hatten.

„Na, Aldo, wie war die Schlampe?“ 

Der elegante Freier zuckte mit den Achseln und blickte den Betrunkenen geringschätzig an. „Ben, du hast genug geladen, oder?“

„Ich kann aber noch …“ − der Rest ging in hemmungslosem Gegröle unter, dann rutschte er langsam vom Barhocker. Der andere junge Mann nickte wie zur Bestätigung.

„Idiot!“ Der Freier musterte die beiden kalt. „Alles klar?“

„ Si, wir gehen getrennt an Bord. Das Geschäft sollte klargehen.“

„Das will ich in deinem Interesse hoffen.“ 

Der andere grinste schief, aber auf seiner Oberlippe glänzte Schweiß.

„Weiß der Alte schon Bescheid?“

„Ungefähr … aber keine Details.“

Stöhnend versuchte der am Boden liegende junge Mann, sich wieder aufzurappeln. Der Freier spuckte ihm ins Gesicht, gab ihm einen Tritt und verließ das Haus. Der am Boden liegende Betrunkene kotzte, der andere schüttelte mitleidlos den Kopf, warf einen kurzen Blick auf seine goldene Uhr und murmelte heiser: „Mademoiselle, jetzt bin ich dran!“

Im oberen Stockwerk grapschte die dicke Frau die Geldscheine vom Bett und murrte: „Du brauchst viel zu lange, bis die Kerle einen hochkriegen. Zeit ist Geld, gib dir endlich mehr Mühe oder du fängst ein paar.“ Als das Mädchen sich nicht rührte, schlug die Frau ihr ins Gesicht. „Ich hab dir was gesagt!“

„Ich will nur nach Hause …“, schluchzte das Mädchen.

„Du kommst nur tot wieder nach Hause.“ Die dicke Frau weidete sich am Leid der jüngeren.

„Noch fünf Minuten! Dann ist hier oben alles wieder aufgeräumt! Und zwar perfetto! Wenn die Freier es wollen, dann schreist du gefälligst! Und wehe, wenn ich hier nachher noch Blutflecken sehe …“

Sie sprach den Satz nicht zu Ende, drehte sich um und watschelte, die Tür hinter sich zuknallend, aus dem Zimmer.

Einige Sekunden rührte sich das Mädchen nicht, dann nahm es die Hände langsam vom Gesicht und kroch mit müden Bewegungen vom Bett. Auf ihrem Rücken leuchteten rote Striemen. Mit unsicheren Schritten ging sie an eine zierliche, schwarze Kommode, holte eine Schere hervor und schnitt in das Bettlaken. Das Mädchen riss einen langen Streifen vom Laken, knotete eine Schlinge und legte sich die Schlinge um den Hals. Dann ging es zu dem stählernen Kleiderhaken an der Wand, stellte sich auf den kleinen roten Lederhocker und knotete den Stoffstreifen, auf den Zehenspitzen stehend, straff an den Kleiderhaken.

Leise schluchzte sie „Verzeih mir, Papa …“ und stieß den Hocker weg.

Bieten

„Buffy macht das schon, nicht wahr, Darling“, flötete die Blondine mit dem imposanten Balkon. Doch Buffy dachte gar nicht daran. Er griff nach der nackten Blonden, die seltsamerweise wie eine Fata Morgana verschwand. Stattdessen hörte er in der Ferne jemanden schnarchen. Das musste er selbst sein, er wurde doch jetzt nicht etwa wach? Nicht jetzt! Wütend drehte er sich um und versuchte weiterzuschlafen, in der Hoffnung, dass sein prallblonder Traum noch eine Fortsetzung finden möge. Vergeblich.

„Buffyyyyyyyy!!!“, kreischte es in seinen Traum hinein. Nein, das konnte nicht die kleine Blonde sein, die ihren Tanga gerade eben um den Finger wirbelte, während sie in der anderen Hand ein Glas Champagner schwenkte und ihm vielversprechend zuprostete, ehe sie sich im Nichts auflöste.

Mist. Stöhnend öffnete er seine Augen und erblickte keinen prallen Busen, sondern das zerknitterte Gesicht einer zweimal gelifteten hageren Frau, die früher einmal wirklich hübsch gewesen war. Platinblond gefärbte Haare, die von einer rosa Schleife zusammengehalten wurden, machten das Gesicht noch blasser, die feuerrot geschminkten Lippen waren unschön verzerrt.

„Buffyyy!!! Wach auf!!!“ Ach so, nur seine Frau. Dann war es nichts Ernstes. Er schloss die Augen wieder und versuchte, seinen Traum mit der knackigen Tanga-Blondine erneut zurückzuzaubern.

„Buffyyyyyyyy!!! Wach jetzt sofort auf!“ 

Diesmal öffnete er die Augen ganz und erblickte neben seiner Frau Wilkins, den Captain seiner Jacht. Unwillig hob er den Kopf. Wenn einer wie Wilkins sich bis in sein Schlafgemach vorwagte, musste tatsächlich etwas Ernstes geschehen sein.

Missmutig fragte er: „Was ist denn los, Pam?“, und rieb sich den Schlaf aus den Augen.

„Oh Gott, Buffy, es ist schrecklich, ganz schrecklich, lass es dir von Käptn Wilkins erklären! Ich brauch jetzt sofort einen … einen … Martini!“ Damit rauschte Lady Pamela hinaus, was Buffy schon mal sehr gefiel. Hysterische Frauen waren in angespannten Situationen überaus lästig. Außer sie waren blond und trugen nichts als … ach, verdammt.

„Also, Wilkins? Was ist passiert?“

„Mylord, es hat an Bord einen Toten gegeben.“ Wilkins wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Und ich wage es kaum zu sagen: Aber es war offenbar Mord.“

„Mord?“, stöhnte Buffy. „Das gibt es doch nicht!“

„Leider doch. Hier an Bord.“

Lord Isaak Buford of Weatherskin, von Freund und Feind Buffy genannt, war es so, als hätte man ihm soeben einen Eimer kaltes Wasser über den kahlen Kopf geschüttet. „Auf meinem Schiff? An Bord?“

„Aye, Sir, äh, Mylord.“

„Heiliger Bimbam!“ Buffy hoffte immer noch auf einen schlechten Witz. „Wirklich hier? Hier?“

„Leider wahr, Mylord.“

Buffy befeuchtete seine trockenen Lippen mit der Zunge. Er benötigte dringend einen Drink und …

„Das ist ein Witz, oder?“

Wilkins schüttelte den Kopf und setzte einen betrübten Blick auf, denn er wusste, dass jetzt der Ärger erst richtig losging.

„Nein, Mylord, es ist bitterernst.“ 

Buffy nickte langsam. Wilkins’ Grabesmiene sprach Bände. Ein Mord? Auf seiner Jacht? Übel, sehr übel. Er starrte ein paar Sekunden aus dem Kabinenfenster.

„Wo?“

„Kabine zwölf, Mylord.“

„Kabine zwölf?“ Buford kratzte sich am Kopf. „Wer ist es?“

„Der Tote ist der italienische Conte, Sir, Mr Campa … Campa …“

Buford stöhnte. Auch das noch.

„Heiliges Kanonenrohr! Doch nicht wirklich der Conte Aldo Campanile-Strozzetti?”

„Doch, Mylord, exakt der.”

Buford seufzte, wurde blass und ließ sich mit geschlossenen Augen in die Kissen zurücksinken. „Aldo? Das hat mir gerade noch gefehlt.“ 

Captain John Wilkins’ Miene war steinern. In seinen Augen stand nackte Angst. Lord Buford war sonst hart im Nehmen, wenn er also jetzt einen derart desolaten Eindruck machte, war es wohl mehr als ernst. Dieser italienische Conte mit seinem stechenden Blick war dem Captain schon bei der Ankunft an Bord äußerst unsympathisch gewesen. Bedauerlicherweise hatte er nicht über die Qualität der Gäste zu entscheiden. Wilkins wusste sehr genau, warum er stets den Mund hielt. Ein Wort der Kritik hätte Buford zu seiner gefürchteten Frage veranlasst: „Ach, wirklich? Meinen Sie das im Ernst?“ Wer dann keinen blitzartigen Rückzieher machte, durfte sich im nächsten Moment als gefeuert betrachten. In Lord Bufords Reich galt nur ein Gesetz: sein eigenes.

Der Captain fluchte innerlich. Ein wirklich netter, ruhiger Job für einen pensionierten Navy-Offizier, das war das hier bisher gewesen. Sich ein schönes und vor allem sehr bequemes Zubrot zu seiner Rente zu verdienen, indem man die luxuriöse Jacht eines milliardenschweren Medienmagnaten als Schiffsführer durchs Mittelmeer schipperte, das war bisher wirklich mehr als nur angenehm gewesen, in der Tat. Außerdem war Lord Isaak Buford of Weatherskin die meiste Zeit ein durchaus angenehmer und gut gelaunter Chef.

Bevor er sein Geld im richtigen Moment in aufstrebende Privatsender investiert hatte, war Mr Isaak Weatherskin ein einfacher Fleischgroßhändler gewesen, ein sehr erfolgreicher allerdings.

Lord Buford war untersetzt und schob über krummen dicken Beinen ein gemütlich wirkendes Bäuchlein vor sich her. Seinen fast kahlen Schädel krönte ein schütterer weißer Haarring wie ein fusseliger Lorbeerkranz. Hinter dieser biederen Fassade verbarg sich ein durchtriebener und oft knallharter Geschäftsmann. Von nichts kommt nichts, pflegte er zu sagen, und er meinte damit besonders einträgliche Geschäfte, über die nicht jedermann Bescheid wissen musste. Sein Imperium war in den letzten Jahren über die Medienwelt hinausgewachsen und wie eine Krake in andere Branchen eingedrungen, in denen Leute agierten, die lukrative Verbindungen zur Politik und zu anderen anrüchigen Gebieten hatten.

Offenbar zählte auch der ermordete Conte zu diesen zwielichtigen Gestalten im Leben Bufords, der nun „Wie soll ich das denen nur erklären?“ murmelte.

Wilkins hatte von Anfang an vermutet, dass dieser Italiener nicht ganz sauber war. Sein Tod hatte ihn bislang völlig kaltgelassen. Bufords Reaktion verhieß jedoch nichts Gutes. Captain Wilkins begann, um seinen netten Job zu fürchten, und dieser Job war ihm momentan wichtiger als alles andere, denn er hatte sich frisch verliebt. Lady Joan Brigham-Jones, die Hofdame der Princess, hatte es ihm angetan, ja, er hegte sogar ernste Absichten. Er glaubte, sich schmeicheln zu dürfen, ihr mittlerweile nicht mehr ganz gleichgültig zu sein. Die Nacht neulich in seiner Kajüte hatte jedenfalls einen für Wilkins überraschenden Höhepunkt erreicht, einen überraschend erfreulichen, äh, Höhepunkt.

Für einen Antrag an eine Dame wie Lady Joan brauchte er eine halbwegs gesicherte Position, denn seine Navy-Pension war nicht besonders üppig. Er hatte es nur bis zum Commander gebracht und musste mit diesem Rang durch unglückliche Umstände vorzeitig in Pension gehen. Pech auch, verdammt.

So wie alle im Hofstaat des Magnaten, verließ sich auch der Captain stets darauf, dass Buffy es schon richten würde. Verlegen starrte er seinen Chef sekundenlang an und atmete erst hörbar auf, als Lord Buford sich ächzend aufsetzte und entschlossen räusperte. Der Boss war offenbar zu einem Entschluss gekommen.

„Wo stehen wir gegenwärtig?“

„Ungefähr hundert Meilen südwestlich von Sardinien, Mylord. Leichte Fahrt voraus, Mylord.“

„So? Sardinien? Dann stoppen Sie die Maschinen, und zwar sofort!“

„Wie bitte, Mylord?“

„Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe, Wilkins, und zwar ein bisschen flott, wenn ich bitten darf.“ Buffys Stimme wurde leise, gefährlich leise. „Und halten Sie sich fern vom Land. Raus jetzt hier, ich will duschen.“

„Äh, fern vom Land?“

„Sie haben mich doch genau verstanden!“

„Aye, Sir!“

Wilkins drehte sich um und eilte zur Tür hinaus.

„Und, Wilkins …“, sagte Buffy gedehnt.

„Ja, Sir?“

„Schicken Sie mir meine Sekretärin, sagen wir, in einer Viertelstunde.“

„Aye aye, Sir! Ich gebe Miss Emma unverzüglich Bescheid.“

„Und, Wilkins …“

„Sir?“

„Der Koch soll mir mein Frühstück zubereiten."

„Ich sage Lin sofort Bescheid.“ 

Bridge oder Poker

Chiefsuperintendent Eustace Ruggler stand am Telefon vor einem unsichtbaren Vorgesetzten stramm. Er hielt den Hörer so verkrampft, als wolle er damit salutieren. Mit weit aufgerissenen Augen und hektisch geröteten Wangen lauschte er der Stimme aus dem Hörer.

„Gewiss, Herr Premierminister!“ Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. „Selbstverständlich, Sir! … Natürlich, Sir!“

Er strich sich zum x-ten Mal nervös die perfekte Bügelfalte seiner grauen Savile-Row-Flanellhose glatt.

„Gewiss, Sir, wir nehmen uns der Sache an, Sir. Natürlich, diskret, Sir. Absolute Diskretion! Ihre königliche Hoh … gewiss, nicht am Telefon.“ Er lockerte seine Krawatte. „Nein, nein, keine Presse, um Gottes willen … absolut … wie ein Grab, Sir! Danke, Sir!“

Behutsam legte er den Hörer auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er atmete flach, um sich zu beruhigen. Haltung! Der Premierminister persönlich hatte ihn angerufen! Ihn, Detective Chiefsuperintendent Eustace Ruggler von New Scotland Yard. Ihn, nicht den Polizeidirektor, nein, ihn persönlich. Jetzt, ja, jetzt war es endlich soweit, dieser Fall würde ihn nach oben katapultieren! Endlich!

Der Ritterschlag war ihm nun sicher, ah, Sir Eustace, das klang schon besser. Seine Frau würde … und erst in seinem Club! Er sah sich bereits, mit einer dicken Zigarre in der Hand, leutselig grüßen, wenn der alte Crooksbury grimmig „Guten Abend, Sir Eustace!“ schnarrte. In der Tat, großartig!

Das Läuten des Telefons unterbrach seine rosigen Gedanken. Ruggler schnappte „Jetzt nicht!“ ungehalten in Richtung seines Vorzimmers, aber Wilma Nutcake, seine Sekretärin, eine dralle Mittdreißigerin, rief aufgeregt aus dem Vorzimmer zurück: „Es ist der Chef. Er verlangt Sie, jetzt, sofort!“

Sicherlich wollte er ihm gratulieren, das würde dem alten Knaben nicht leichtfallen. Ruggler setzte sich bequem und rückte seine blau-rot-grün gestreifte Regimentskrawatte zurecht. Gelassen wie ein Grandseigneur griff er nach dem Hörer, um die vermutlich bereits überkochende Wissbegier seines Chefs zu befriedigen.

„Guten Morgen, Sir. Ja, Sir, soeben. Natürlich. Der PM sagte zu mir … Ach? Sie hat er also auch … soso … aha … wie bitte?“ Der Chiefsuperintendent richtete sich kerzengerade auf und wurde puterrot. „Nein!“

Ruggler zerrte wieder an seiner Krawatte herum und seine Wangen röteten sich.

„Aber, Sir, ich bin doch hier der dienstälteste … mit allem Respekt … ich muss aber noch einmal darauf hinweisen, dass ich … dass ich der Ranghöhere … aber der Premier sagte doch …“ 

Selbst die nochmalige Erwähnung des Premierministers half nichts.

„Ihre Majes … ach so. Aber … persönlich? Aha … ja … soso … ich verstehe.“

Er sank in seinem Sessel zusammen und seine Rechte zitterte leicht.

„Gewiss, Sir. Ich verstehe, Sir. Hm, nun ja … wenn das so ist … aber Chiefinspec … ach so. Hm … Ja, Sir, natürlich, Sir, wird sofort erledigt, Sir.“ 

Er warf den Hörer auf die Gabel und gab dem unschuldigen Papierkorb einen Tritt. Mit feuchten Augen hieb er seine Faust derart heftig auf den Schreibtisch, dass die Kugelschreiber in der Onyxschale in die Höhe sprangen. „Autsch!“ Jetzt hatte er sich auch noch wehgetan! Er rieb seine schmerzende Hand.

„Verdammt, verdammt, verdammt!“ Heute ging aber wirklich alles schief. Ruggler fühlte sich so, wie Napoleon sich in Waterloo gefühlt haben musste. Zerschmettert. Blutleer. Gedemütigt. Am Ende.

„Sir?“ Wilma flötete mit großen Augen von der Tür: „Könnte ich jetzt …“

„Raus!!!“, bellte er und drehte sich von ihr weg. Sie sollte sein Gesicht nicht sehen, denn er spürte ein brennendes Ziehen im Augenwinkel.

Wilma rannte erschrocken hinaus und verdrückte ein paar beleidigte Tränchen. Sie himmelte den Chief an, aber manchmal war er einfach unerträglich. Heute war so ein Tag. Derart wechselnde Stimmungen, was war denn nur los mit dem Mann?

Ruggler tupfte sich mit seinem Taschentuch Tränen der Wut aus den Augenwinkeln und holte tief Luft. Das war nur eine verlorene Schlacht, sagte er sich mannhaft. Nur ein Geplänkel, völlig unwichtig. Der Feldzug, an dessen siegreichem Ende es keinen Zweifel geben konnte, würde nun wohl noch etwas länger dauern, aber er würde siegen. Am Ende musste er gewinnen, etwas anderes war völlig undenkbar.

Schließlich hatte sich Chiefsuperintendent Ruggler wieder soweit beruhigt, dass er seine Sekretärin ertragen konnte.

„Wilma, hören Sie auf zu flennen!“ Wilma schniefte immer noch vernehmlich in seinem Vorzimmer. „Herrje, Wilma! Es war doch gar nicht so gemeint. Tut mir wirklich leid!“

„Danke, Chef.“ Sie war immer noch etwas beleidigt. „Es ist nur, ich dachte nur, Sie mögen mich nicht mehr …“

„Wilma, wäre ich nicht durch das heilige Gelübde der Ehe gebunden, würde mein Auge mehr als nur überaus wohlwollend in Ihrem … äh, auf Ihrem, äh, Ihnen ruhen … ja, ruhen.“ Er holte tief Luft. Gerade noch die Kurve gekratzt, alter Junge, beinahe hätte er sich verplappert.

Wilma seufzte beglückt: „Ach, Chef, Sie scherzen doch nur …“ Obwohl, als sie ihn neulich zum Polizeiball begleitet hatte, weil seine Frau irgendwo in Schottland unterwegs gewesen war, hatte er sich auf dem Rückweg im Taxi ziemlich forsch benommen. Nun, er war natürlich sturzbetrunken gewesen und konnte sich am nächsten Tag an nichts mehr erinnern, aber seine ungeduldig forschenden Hände unter ihrem Rock hatte Wilma Nutcake nicht vergessen. Ihre große Schlacht stand noch bevor, irgendwann …

„Holen Sie mir Fitzmorton!“ Ruggler hustete. „Also, bitten Sie Chiefinspector Sir Phileas Fitzmorton zu mir.“ Er räusperte sich. „Er soll kommen! Sofort!“

„Chiefinspector?“ Wilma lächelte. Das war es also. Die Tränen waren vergessen. Das also hatte den Chef so geärgert. Chiefinspector! In der Tat, Rugglers Ärger war nur zu verständlich. Sie mochte diesen hinkenden Fitzmorton auch nicht besonders. Der sah einen immer so forschend an, dass man sich augenblicklich fragte, ob man wohl etwas angestellt hatte. Sogar bei ihr hatte er das gemacht, dabei war sie zuerst noch der Überzeugung gewesen, Fitzmorton habe ihr Dekolleté bewundert. Doch stattdessen … nein!

„Wilma!“

„Ja, Sir, sofort, Sir!“

Ruggler seufzte, Wilma brauchte immer einen Starter. Mit ihren blondgefärbten Haaren und den knapp sitzenden Blusen kam sie Ruggler vor wie eine aufgeblasene Möchtegern-Marilyn-Monroe-Puppe.

„Wirklich, den C-h-e-f-i-n-s-p-e-k-t-o-r?“

„Ja, verdammt noch mal! Den Chief … Inspector Fitzmorton! Genau den!“ Er spie den neuen Titel aus, so, als hätte er soeben eine widerliche Kröte verschluckt. Wilma war strohdumm! Sie war so willig, dass es ihm schwerfiel, seine Finger von ihr zu lassen. Warum eigentlich? Seine Karriere schien sowieso in der Sackgasse zu sein, da bräuchte er sich doch gar keine Zurückhaltung mehr aufzu …

Ruggler wurde ungeduldig, als er ein albernes Kichern von draußen hörte. „Herrgott, lachen Sie nicht, Wilma! Machen Sie einfach Ihre Arbeit!“ 

Jetzt machte sich schon seine eigene Sekretärin über ihn lustig, unfassbar! Mit einem energischen Ruck zog er seine Krawatte fest.

Wenn Chiefsuperintendent Eustace Ruggler ihn zu sehen wünschte, ließ sich Sir Phileas Fitzmorton wie immer alle Zeit der Welt. Er trank seinen Tee noch in Ruhe aus und rückte dann die neue, dezent dunkelblau-weinrot gestreifte Krawatte, die ihm Judith gestern geschenkt hatte, sorgsam zurecht. Früher war er nur ein langweiliger Beamter gewesen, so kam es ihm nun vor, der nur seinen Beruf kannte und sich so gut wie keinen privaten Gedanken gestattet hatte. Er ging zum Waschbecken, sah nachdenklich in den Spiegel, strich seine braunen Haare mit den ergrauenden Schläfen aus der Stirn und hielt kurz inne. Dann schlenderte er leicht hinkend aus dem Büro.

Seine Freundin Judith hatte ihn, den etwas ungelenken Kleinstädter, sanft auf den Weg zum Gentleman dirigiert. Erst war ihm das eher unangenehm gewesen, aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, wie an einen neuen Pullover, der anfangs noch etwas kratzt, doch dann immer angenehmer wärmt.

Auf dem Weg zum Fahrstuhl zwinkerte er Sergeant Lilly MacIntosh zu, die sanft errötend mit einem Aktenordner unter dem Arm an ihm vorbeihastete. Lilly hatte stets verträumte Augen für Fitzmorton, der sie zwar gut leiden mochte, aber ihre Gefühle absolut nicht erwiderte. Sie wusste das, nahm es ihm aber nicht weiter übel. Fitz war einfach ein netter, manchmal etwas in sich gekehrter Kollege. Dabei konnte sich die hübsche Lilly nicht über Männermangel beklagen, im Yard gab es mehr als genug Burschen, die sich in sie verliebt hatten.

Fitzmorton drückte den Fahrstuhlknopf und wartete gelassen darauf, geräuschlos in die höheren Regionen befördert zu werden. Chiefsuperintendent Eustace Ruggler war ihm heute so gleichgültig wie eine tote Taube auf dem Piccadilly Circus. Das Leben war schön − die Rugglers dieser Welt konnten ihn nicht wirklich stören.