Fitzmorton und der sprechende Tote - Peter Hardcastle - E-Book
SONDERANGEBOT

Fitzmorton und der sprechende Tote E-Book

Peter Hardcastle

0,0
2,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,00 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der ebenso grummelige wie sympathische Scotland Yard Inspektor Phileas Fitzmorton bekommt es mit einem neuen Fall zu tun: In einem stinkenden Souterrain-Zimmer mitten in Soho liegt eine nackte Leiche. Der unbekannte Tote hält ein Diktiergerät in der Hand, darauf ist eine mysteriöse letzte Botschaft … Fitzmorton muss in seinem nunmehr zweiten Fall gleichzeitig auf mehreren Bühnen agieren: Die Bewohner des Hauses, in dem der Mord geschah, wissen mehr, als sie sagen, und der Inspektor steht vor dem Rätsel, warum sich der Tote kurz vor seinem Ableben einer schönheitschirurgischen Operation unterzogen hat. Die Ermittlungen führen Fitzmorton immer tiefer in den Sumpf des organisierten Verbrechens und bevor er sich es versieht, kämpft er an allen Fronten gegen unsichtbare Gegner. In dieser verzwickten Situation spielt auch noch sein Privatleben verrückt. Zuerst erbt er einen Adelstitel mit kleinem Vermögen, was ihm anfänglich eher Last als Lust ist. Und dann taucht auch noch die attraktive Witwe des Ermordeten aus seinem ersten Fall auf, die zarte Gefühle in ihm auslöst. Als zu allem Überfluss noch der schwule Bruder seines Assistenten versehentlich einen bekannten Minister ins Rampenlicht der Medien zerrt, ist das Maß voll! Fitzmorton hat das Zeug zur schrulligen Kultfigur - sein zweiter Fall: humorvoll, schnörkellos und spannend erzählt!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 134

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Peter Hardcastle

Fitzmorton

und der 

sprechende Tote

Kriminalroman

Bookspot Verlag

Personen

Inspector Sir Phileas Fitzmorton

Detective Sergeant John Miller

Dr. Patrick Jameson

Sergeant Alfred Calhoun

Chiefsuperintendent Eustace Ruggler Lilly MacIntosh

Willy Parker

Philip Fox

Sir Charles Copperhill

Mrs Duckworth

Lady Judith Crimpleby

Murray Pilkington

Mycroft Stuart

George Soamers

Philip Fox

Amanda Glover

Sergeant Stevens

Sergeant Bellman

Der Namenlose

Selbst ein Penner hätte sich wenigstens einen zerfetzten Druck oder eine Bikinireklame an die kahlen Wände gepinnt. Aber die grauen Mauern waren bis auf einen rostigen Nagel und paar Löcher, aus denen der Putz rieselte, völlig leer. Das sich knapp unter der Decke versteckende Fenster war geschlossen und gewährte nur einen trüben Blick auf die verdreckte Straße.

Das schmuddelige Souterrain-Zimmer roch so widerlich wie ein Müllhaufen, in dem tote Ratten vermoderten. Spärlich möbliert mit einem wackeligen, eisernen Bettgestell, einem leeren Kleiderschrank mit halb offen stehender Tür und einem einfachen Holztisch mit verkratzter Platte, vermittelte es in seiner ungepflegten Kargheit einen unbewohnten Eindruck. Zwei ehemals weiß gestrichene Holzstühle, von denen die Farbe abblätterte, lümmelten am Tisch.

Das zerwühlte Bett war durchgelegen; mit der grellroten Wolldecke auf der fleckigen braunbeige gestreiften Matratze wirkte es ärmlich. Um den versifften braunen Teppich machte man selbst mit ungeputzten Schuhen einen Bogen.

Im trüben Licht der nackten Glühbirne schimmerte auf dem schmierigen Tisch ein klebriger Fleck. Daneben stand ein schmutziger Teller, auf dem ein angebissener Apfel verfaulte. In einem am Rand angestoßenen, grünlichen Wasserglas war ein undefinierbarer bräunlicher Inhalt eingetrocknet. Keine üppige Mahlzeit für den späten Gast.

Vom gegenüberliegenden Haus blinkte die grellrosa Leuchtreklame lautlos ihr penetrantes Sex … Sex … Sex … durch die verschlissenen Vorhänge. Darunter versuchte die im Erdgeschoss liegende Bar „Pinky’s“ mit einem trüben blaurot flackernden Neonschriftzug mutlos auf sich aufmerksam zu machen. An einem Montagabend am Monatsende ein vergebliches Unterfangen bei den Bewohnern Sohos.

Der rücklings auf dem Bett liegende Tote war nackt. Als einzigen Schmuck hatte jemand eine abgerissene rosafarbene Vorhangkordel fest um seinen Hals geschlungen. Unter den halblangen, schütteren braunen Haaren war ein grauer Haaransatz sichtbar. Ein Bein hing seitlich herunter. Während die schlaffe Linke sein unbedeutendes Geschlecht bedeckte, hielt er in der rechten Hand ein Diktiergerät.

Mit einem grotesk aufgerissenen Auge zeigte sein Gesicht einen Ausdruck von panischem Schrecken, während das andere Auge fast geschlossen war. Der atemlose Mund des Toten stand halb offen und entblößte neben der blaugrau geschwollenen Zunge, einen das Neonlicht rhythmisch reflektierenden Goldzahn.

Inspector Sir Phileas Fitzmorton seufzte und wandte sich frustriert ab. Es war trotz des Miefs kühl in dem Zimmer. Den fragenden Blick von Sergeant Alfred Calhoun von der Spurensicherung quittierte er mit einem kurzen Nicken, dann hinkte er zur Tür hinaus. Er brauchte jetzt dringend frische Luft. Der Gestank war schier unerträglich.

In der Tür hielt er kurz inne, drehte sich noch einmal langsam um und befahl, nachdem er Calhoun ein paar Sekunden lang seltsam abwesend angestarrt hatte wie ein Schlangenbeschwörer, der nach der richtigen Melodie suchte: „Sergeant, lassen Sie doch bitte feststellen, ob und was auf diesem Diktiergerät zu hören ist.“ Calhoun nickte ergeben wie ein alter Pudel, während der Fotograf hinter ihm grinste. Fitzmorton drehte sich um und humpelte die Treppe hinauf. Es fuchste den Sergeant, wenn der Inspector ausgerechnet bei ihm eine solche Selbstverständlichkeit anmahnte. Meinte Fitzmorton etwa, er würde seinen Job nicht verstehen? Was dachte der sich überhaupt? Fitzmortons trübe Gedanken blieben in diesem Moment ein gut gehütetes Geheimnis, selbst für einen ziemlich gewitzten Burschen wie Alfred Calhoun.

Draußen in der kalten Nachtluft empfing ihn Detective Sergeant John Miller, sein hypochondrischer Assistent. Die blauen Blinklichter der Polizeiwagen warfen zuckende Muster auf den Bürgersteig. Aus einem Funkgerät quäkte die energische Stimme von Lilly MacIntosh, der diensthabenden Beamtin in der Zentrale. Miller, bleich wie Hiob, schniefte Mitleid heischend in sein Papiertaschentuch, während ihn der uniformierte Revierpolizist, der lustlos an der Tür Wache schob, missbilligend anstarrte.

„Ich brauchte etwas frische Luft, Sir, ich …“, ächzte Miller. „Na ja, Sie wissen schon.“

„Verständlich!“, murmelte Fitzmorton, der den widerlichen Mief in dem Souterrain-Zimmer noch in der Nase hatte. Nachdenklich betrachtete er die messingfarbenen Namensschilder an der Tür von oben nach unten: C.C. Hill, G. Duckworth, W. Parker, J. Smith.

„Kann mich einfach nicht an den Anblick von Mordopfern gewöhnen, Sir“, jammerte Miller währenddessen. „Das ist mir zu, zu …“

„Was haben Sie denn diesmal dagegen?“ Der Inspector tat erstaunt. „Abgesehen vom Gestank eine saubere Sache. Das Zimmer schwamm noch nicht mal in Blut, Urin und Kot.“

Miller wandte sich ruckartig ab und würgte. Der Wachhabende grinste. Als der Sergeant sich mit blassem Gesicht wieder umdrehte, schimpfte er: „Sie haben einen unmöglichen Humor, Sir, wirklich!“

Fitzmorton schüttelte den Kopf, suchte in der Jackentasche nach seiner Pfeife und dachte schon wieder an den nackten Toten. Die Kordel um den Hals schien die Todesart eindeutig zu festzulegen, aber das Diktiergerät, das war ziemlich ungewöhnlich und deshalb für den Inspector interessant.

„Bestimmt wieder so ’n Schwulendrama!“, brummte Miller abfällig, der mit diesem Milieu seine ganz privaten Probleme hatte.

„Wir werden’s ja seh’n“, meinte Fitzmorton versöhnlich, den Millers aggressiver Tonfall gewarnt hatte. Armer Sergeant. Sein Bruder George war schwul, was an sich kein Problem war, aber Brüderchen Georgie war so eine richtig knallbunt geschminkte Bilderbuchtunte mit hoher Stimme, Handtäschchen und angeklebten Wimpern. Miller befürchtete sogar insgeheim, dass sein sich meist in halbseidenen Künstlerkreisen herumtreibendes Brüderchen gelegentlich auf den Strich ging. Er hatte daher panische Angst, eines Tages von den Kollegen der Sitte spöttisch befragt zu werden: „Kennen Sie zufällig einen George Miller, Sarge? Georgie, Georgina?“

Fitzmorton dachte unbehaglich an seine eigenen Geschwister. Elisabeth, seine ältere Schwester. Noch heute dürr wie eine Zaunlatte. In seiner Jugend hatte sie sich als lästige Ersatzmutter aufgespielt und drangsalierte jetzt hauptsächlich ihren schottischen Ehemann Gregory Campbell, einen gemütlichen Hotelbesitzer. Ab und zu bekam Fitzmorton aber immer noch sein Fett weg. „Nimm dich zusammen, Phileas! So wirst du keine anständige Frau mehr finden, glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.“ Wieso sie glaubte, sich mit ihrem braven Gregory als Expertin für die freie Wildbahn aufspielen zu können, blieb allerdings ihr Geheimnis.

Seine jüngere Schwester, die als junges Mädchen eine liebenswerte Mollige gewesen war, hatte sich durch die Heirat mit dem, nach Fitzmortons gnadenlosem Urteil, fantasielos dämlichen Reginald Holypipe völlig disqualifiziert. Seit sie zwei ihm sehr ähnliche Söhne ihr Eigen nannte, war überhaupt nichts mehr mit ihr anzufangen. „Wenn man Söhne hat“, flötete sie immer wieder, „dann trägt man eine hohe Verantwortung, sagt Reginald immer!“ Na, der musste es ja wissen.

Sollte wohl eine dezente Anspielung auf seinen eigenen missratenen Sohn sein. Fitzmorton fürchtete sich jedenfalls vor jedem Anruf aus Leeds, in dem Reggie Holypipe unter dem nie enden wollenden Beifall seiner Frau die Müllabfuhr seines Stadtteils herumkommandierte wie ein Regiment der leichten Kavallerie bei Balaklava.

„Es geht immer um eines, Verantwortung! Du weißt schon!“ Fitzmorton wusste gar nichts, außer, dass Müllsäcke zuweilen stinken und sich seine Schwester nicht zu fein war, ihn gelegentlich anzupumpen. Heimlich natürlich, wegen der Verantwortung oder so ähnlich.

„Schon irgendwas feststellen können?“, unterbrach Fitzmorton aufmunternd Millers ebenso trübe Gedanken.

„Auf dem Türschild steht zwar John Smith, aber der Hausmeister behauptete, der Tote könne nicht dieser Smith sein, denn der John Smith, den er kenne, sei vor zwei Monaten plötzlich verstorben, der könnt’s also nicht sein.“

„So? Und wer ist es dann?“

„Keine Ahnung, Sir. Wir haben keine Papiere bei dem Toten gefunden, nicht mal Klamotten. Rätselhaft, wie der überhaupt in die Bude gekommen ist, nicht mal ein Schlüssel war da!“

„Und wie wurde er gefunden?“

„Nackt, Sir.“ Miller kicherte und bekam einen Hustenanfall. „Nackich!“

„Lassen Sie den Quatsch!“

„Ein anonymer Anruf bei der Polizei.“ Miller hörte auf zu lachen und nahm eine Magenkautablette. „Als die Beamten eintrafen, wollte der Hausmeister gerade einem Mietinteressenten das Zimmer zeigen und es aufschließen, das ging aber nicht, weil der Schlüssel von innen steckte. Die Beamten haben die Tür aufgebrochen und, na ja, und da lag er!“

„Muss eine nette Überraschung für alle gewesen sein“, brummte Fitzmorton.

„Und wie. Der neue Mieter ist wie von Furien gehetzt weggerannt, so schnell, dass die werten Kollegen noch nicht mal seinen Namen aufnehmen konnten!“, meinte Miller ätzend. Fitzmorton amüsierte sich im Stillen über Millers Formulierungen. Wie von Furien gehetzt klang wirklich nett. Als nächstes würden sie zwischen höllischen Abgründen navigieren, anstatt einfach nur den Piccadilly zu überqueren.

„Der Hausmeister weiß doch hoffentlich, wer der neue Mieter ist?“, fragte der Inspector. Miller spuckte seine Tablette in den Rinnstein.

„Nee, der behauptet, der Interessent habe auf eine Annonce hin angerufen und den Besichtigungstermin ausgemacht. Er habe nicht nach dem Namen gefragt.“

„Hm. Hat sonst jemand irgendwas bemerkt, ich meine, vorher?“

„Nee, natürlich nicht, Sir, sonst hätte man ihn ja wohl auch schon früher entdeckt!“, entgegnete Miller oberlehrerhaft.

„Und der anonyme Anrufer?“ Fitzmorton klang hoffnungslos.

„Von ’ner Telefonzelle, nuschelte angeblich wie durch ein Tuch, Sir. Sagte nur, da wäre ’ne Leiche zu finden, mehr nicht.“

„Mann oder Frau?“

„Weiß nicht, angeblich dunkle, heisere Stimme, könnt’ beides gewesen sein.“

Fitzmorton blickte vor sich auf den Boden, wo halb verwischte Kreidezeichen von einem Kinderspiel erzählten. Anonyme Anrufe hasste er, der letzte hatte ihm eine Kugel ins Bein beschert, damals. Erst hatte ihn seine Frau verlassen, dann war die Razzia schiefgegangen. Er wollte nicht mehr dran denken und tat es doch immer wieder. Sei’s drum. Genervt zuckte er mit den Achseln.

Der Polizeiarzt und Pathologe Dr. Patrick Jameson, ein untersetzter Mittvierziger, kam nun ebenfalls heraus auf die Straße, atmete tief durch und nickte Fitzmorton zu.

„Bah, stinkt die Bude. Der liegt schon länger da, mindestens drei bis vier Tage, würd’ ich sagen. Und den Halsschmuck haben Sie ja selbst gesehen.“

„Patrick, wann bekomme ich …?“

„Morgen. Am Nachmittag, schätze ich“, brummte der Pathologe und quetschte sich seinen verbeulten dunkelblauen Golfhut, sein Markenzeichen, auf die Halbglatze. Brummte noch mal „Morgen Nachmittag!“ und ließ ihn einfach stehen.

„Postmortaler Klugscheißer!“, knurrte Fitzmorton missmutig. Er konnte Pathologen generell nicht ausstehen, obwohl Jameson sonst gar kein so übler Typ war. Er arbeitete rasch und präzise und auf seine Obduktionsergebnisse war Verlass.

„Na, dann kann ich ja den angebrochenen Abend vor dem Fernseher fortsetzen!“ Als er gerufen worden war, lief gerade die x-te Wiederholung von Hitchcocks „Marnie“. Der einzige Hitchcockfilm, der ihm gefiel, weiß der Teufel, warum.

Fitzmorton sog die kühle Luft tief ein, wandte sich nach Westen und schlenderte hinkend in die Nacht. Den verdutzten Miller ließ er einfach stehen. Schwankend wie ein Betrunkener wich er in letzter Sekunde einem Laternenmast aus, wie der etwas beleidigte Miller enttäuscht feststellte. Langsam schnaubte Fitzmorton den Leichengestank aus seiner Nase, der allerdings durch den typischen Londoner Duft nach nassen Schuhen, Abgasen, schlechtem Frittenöl und Mülltüten ersetzt wurde. Er machte einen großen Schritt über einen Hundehaufen und fragte sich, ob die Stadt dieser Plage jemals Herr werden würde. Wenn nicht, würden Archäologen späterer Epochen die Stadt unter einer Schicht versteinerter Hundescheiße ausgraben müssen.

Miller schob sich ärgerlich in den blauen Rover, schnäuzte sich umständlich und überlegte, ob er der davonhinkenden Gestalt des Inspectors folgen sollte. Er entschied sich dagegen, schließlich hatte auch er seinen Stolz. Sollte Fitzmorton doch bis ans Ende der Welt laufen, wenn er das unbedingt wollte! Stattdessen beschloss Miller nun bequem und vor allem allein in dem alten Rover nach Hause zu fahren, wo ein gesunder Pfefferminztee auf ihn wartete. Dieser Gedanke erfreute den Sergeant so sehr, dass er schlagartig den grauenhaften Mief und seinen schwachen Magen vergaß, und mit quietschenden Reifen einen Kavaliersstart hinlegte.

Der wachhabende Polizist vor dem Haus schüttelte den Kopf. Die Typen von Scotland Yard hatten doch einen an der Waffel!

Fitzmorton blieb einen Moment stehen, blickte zum klaren Sternenhimmel hinauf und entdeckte dort die winzigen blinkenden Lichter eines fernen Flugzeugs. Er fragte sich, ob da oben in den glühenden Turbinenabgasen wohl auch ein paar unruhige Seelen herumtanzten. Zum Beispiel die Seelen von Mordopfern, die mit ihren Mördern ein himmlisch-teuflisches Haschmich spielten und gelegentlich Diktafone voll jammerten.

Blutige Leichen, die Seelen verblichener Polizisten und Anwälte, ein paar paranoide Mörder im gestreiften Engelshemdchen und dazwischen ein Jumbo mit amerikanischen Touristen in Turnschuhen? Irre wäre das, dachte er sich. Aber dann fielen ihm wieder tausend Gründe ein, sich über seine neue Aufgabe keinerlei Illusionen zu machen, und seine Laune verdüsterte sich.

Es war schließlich nicht das erste Mal, dass er vor einem schwierigen Fall stand. Er roch schwierige Fälle, und dieses Mal hatte ihn die Leiche noch nicht mal angelächelt. Schade. Auf dem Land war alles anders, vor allem war die Luft besser.

Fitzmorton und Miller bildeten ein seltsames Gespann, das unter den anfänglich zynischen Kommentaren und später staunenden Blicken besonders witziger Kollegen schon manchen verfahrenen Fall wie den sprichwörtlichen Karren aus dem Dreck gezogen hatte. Gerade, weil John Miller so völlig anders war als Fitzmorton selbst, konnte er mit ihm gut auskommen.

Dem hypochondrischen Sergeant Miller ging es mit dem Inspector umgekehrt erstaunlicherweise ebenso. Er hielt den hinkenden Inspector zwar von Anfang an für einen etwas seltsamen Kauz, über den er sich gelegentlich ärgern konnte, besonders wenn Fitzmorton ihn mal wieder bissig abfertigte. Aber abgesehen davon mochte er ihn mittlerweile dennoch ganz gern.

Fitzmorton hätte eigentlich längst ChefInspector sein müssen, aber ein blutiger Fehlschlag mit einer Erpresserbande im Londoner Eastend vor Jahren wurde ihm von seinem erfolgshungrigen Vorgesetzten bis heute nicht verziehen.

Schon über zehn Jahre war das jetzt her, und noch immer nannten ihn böse Zungen hinter vorgehaltener Hand „Gin-Fitz“. Als ob die Kugel ins Bein nicht Strafe genug für seinen Leichtsinn gewesen wäre, hinkte Fitzmorton deshalb noch heute und regelmäßig hatte er Schmerzen, wie die immer wiederkehrenden lästigen „Tage“ einer Frau.

Ein rabenschwarzer Tag war das damals für Fitzmorton gewesen. Erst war ihm nach zehnjähriger scheinbar glücklicher Ehe seine Frau mit dem gemeinsamen achtjährigen Sohn Ian davongelaufen. Auf dem Küchentisch hatte sie einen Zettel mit den Worten „Im Kühlschrank stehen noch saure Gurken“ zurückgelassen. Das sollte wohl witzig sein, denn er liebte saure Gurken, während Eva und Ian sie hassten.

In seiner abgrundtiefen Verzweiflung hatte er schon am Morgen ein paar Gin zu viel genommen, und dann ging die Razzia in die Hose.

Zum Schluss fand er sich als einziges Opfer mit einer Kugel im rechten Bein auf der Intensivstation wieder, und die ganze Zeit fragte dort keiner nach ihm. Erst das hatte ihm zu Bewusstsein gebracht, dass er weder Freunde noch Familie hatte, mal abgesehen von Colin, seinem zynischen Vetter, der immerhin einmal in der Klinik vorbeigeschaut und ihm trocken „Lass das Saufen, sie isses nich wert!“ empfohlen hatte. Fitzmorton fühlte sich damals entsetzlich alleingelassen. Aber was konnte ihm das heute noch bedeuten?

Seit diesem Tag hatte er sich nie wieder betrunken. Den Alkohol hatte er seitdem konsequent gemieden, abgesehen von einem einsamen Glas Wein zum Essen. Gin blieb tabu. Und in Gesellschaft trank er sowieso nie.

Obwohl Fitzmorton schon oft daran gedacht hatte, bei der Polizei zu kündigen, hatte er diesen Schritt bis heute nicht getan. Insgeheim liebte er diesen seltsamen Beruf, der ihn oft an ein dreidimensionales Schachspiel mit einem verborgenen Gegner erinnerte. Ein gefährliches Spiel, denn es ging stets um Leben und Tod.

Er verscheuchte die düsteren Gedanken und versuchte sich auf seinen neuen Fall zu konzentrieren. Seit damals hatte er nie mehr versagt, und heute sollte es nicht anders sein.

Langsam wurde ihm kalt. Ein Windstoß fegte zwischen den parkenden Autos hindurch, und seine klammen Hände erinnerten ihn daran, dass er vorhin in der Eile vergessen hatte, sich wenigstens seinen dünnen Pullunder anzuziehen. Dabei fiel ihm wieder ein, dass sie im Zimmer des Ermordeten keinerlei Kleidung gefunden hatten.

Eine ungewöhnliche Eröffnung des Spiels. Ein offenbar erdrosselter, nackter Toter ohne Namen in einem fast völlig leeren, von innen verschlossenen Zimmer. Keine Klamotten, und natürlich hatte niemand etwas bemerkt. Warum war der Kerl nackt? Jemand hatte ihn entkleidet oder ihn gezwungen, sich zu entkleiden, hatte dann die Klamotten eingesammelt und war gegangen, wie ein braver Bürger. Aber wie?

Mochte Sergeant Miller seinen familiären Obsessionen nachhängen, wie er wollte, diese Ordnung am Tatort sah irgendwie nicht nach einer simplen Strichersache aus. Und von innen verschlossene Türen hasste Fitzmorton aus Prinzip, denn meist verbarg sich dahinter nur ein billiger Trick. Aber billig oder nicht, er musste das Problem lösen.

Alte Wunden