Fixierungen in der Pflegepraxis - Friedhelm Henke - E-Book

Fixierungen in der Pflegepraxis E-Book

Friedhelm Henke

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Beschreibung

Fixierungen sind in der Pflege als letztes Mittel der Wahl nur nach strenger Indikationsstellung einzusetzen. Insbesondere beim Anbringen von Fixiergurten erwachsen häufig Unsicherheiten aufgrund reduzierter Übungsfrequenzen für deren korrekten Umgang. Dazu werden das exakte praktische Anlegen des allgemeinen sowie des akuten Fixiersystems umfänglich beschrieben. Vorweg steht weiterhin stets das Abwägen von sinnvollen Alternativen. Abschließende Übungsaufgaben (inklusive Lösungen) ermöglichen das Erlernen der Inhalte in Reflexion zur praktischen Anwendung.

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Der Autor

Friedhelm Henke, Lehrer für Pflegeberufe, Gesundheits- und Krankenpfleger, Fachbuchautor und Dozent in der Aus-, Fort- und Weiterbildung, Verfahrenspfleger nach dem Werdenfelser Weg und Fachlehrer am Stift Cappel – Berufskolleg, Lippstadt-Cappel sowie an der Lippstädter Akademie für Pflege und Gesundheit in der ESTA Bildungswerk gGmbH.

E-Mail: [email protected]

Internet: www.menschenpflege.de

Friedhelm Henke

Fixierungen in der Pflegepraxis

Nach Werdenfelser Weg und Leitlinie FEM unter Ausschluss von Alternativen

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-035789-1

E-Book-Formate:

pdf:           ISBN 978-3-17-035790-7

epub:        ISBN 978-3-17-035791-4

Vorwort

 

 

»Entdecke Alternativen und Nuancen; eine ganze Welt tut sich da auf.«

Paul Schibler (1930–2015)

Schweizer Aphoristiker

Mit dem Grundsatz, so viel Bewegungsfreiheit wie möglich und so wenig Fixierung wie nötig, befinden sich Pflegende im Berufsalltag oft in einem medizinisch-pflegerischen und juristischen Dilemma. Was passiert, wenn Fixierungen unterbleiben und die betroffene Person sich verletzt? Wie funktioniert der Werdenfelser Weg zur Begrenzung freiheitseinschränkender Maßnahmen (FEM)? Wie werden Fixiergurte korrekt angelegt? Darf das Kopfteil des Pflegebettes höhenverstellbar bleiben? Wie werden der Schrittgurt und die beiden Rückhaltegurte befestigt? Wozu dienen die Stoffschlaufen am Bauchgurt? Welche Größe braucht der Betroffene? Gibt es Zeitvorgaben, wie lange und wie oft, die fixierte Person zu beaufsichtigen ist? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen, Kontraindikationen, unerwünschte Wirkungen und Risiken sind zu beachten? Diesen Fragen widmet sich das Buch. Es hat dabei nicht den Auftrag, individuelle fachjuristische Auseinandersetzungen mit dieser Thematik zu bewerten. Grundlegende rechtlich relevante Aspekte werden aufgeführt. Die Rechtsprechung obliegt allein dem jeweils zuständigen Gericht.

Die Haftungssorge bei einer erhöhten Sturzgefahr ist immer noch einer der Hauptgründe zur Verwendung mechanischer Fixierungen, gleichwohl der Expertenstandard »Sturzprophylaxe in der Pflege« formuliert, dass sie »keinesfalls zum Zweck der Sturzprävention einzusetzen« sind. Die Bewegungsfreiheit begrenzende mechanische FEM-Patentrezepte (wie Fixiergurte und Bettseitenteile) können das Sturz- und Verletzungsrisiko erhöhen (Balzer 2012). Patentrezepte zur Vermeidung mechanischer Fixierungen gibt es nicht. Alternativen werden aber insbesondere seit dem Werdenfelser Weg und der Leitlinie FEM längst sehr gut forciert. Es wird heute deutlich weniger und wenn, dann viel bewusster fixiert.

Im 6. Pflege-Qualitätsbericht formuliert der MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V.): »Der Einsatz von Gurtfixierungen, Bettseitenteilen und anderen Fixierungen wird soweit wie möglich vermieden; im Falle eines Einsatzes werden die jeweils relevanten fachlichen Anforderungen beachtet.« Weiter heißt es, dass der Qualitätsaspekt FEM nur untersucht wird, wenn sie »bei der versorgten Person aktuell eingesetzt werden oder in den letzten vier Wochen vor der Prüfung eingesetzt wurden. Dies traf auf 6,9 Prozent (1.304) der in die Prüfungen einbezogenen Personen zu. Bei 89,3 Prozent dieser Personen lagen keine Auffälligkeiten vor. Bei 2,4 Prozent dieser Personen lagen Auffälligkeiten vor, die keine Risiken oder Defizite für die versorgte Person erwarten ließen. Bei 5,2 Prozent dieser Personen lagen Defizite vor, die mit einem Risiko für eine negative Folge für die versorgte Person verbunden waren. […] 3,5 Prozent dieser Personen wiesen ein Defizit mit einer negativen Folge für die versorgte Person auf. Bei diesen Personen war die Begründung für den Einsatz der durchgeführten freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht nachvollziehbar, oder ein vermeintlicher Wunsch der versorgten Person, durchgehende Bettseitenteile einzusetzen, wurde nicht durch die versorgte Person selbst bestätigt (bei kognitiv unbeeinträchtigten Personen). Es ist auch vorgekommen, dass keine Begleitung/Überwachung einer Gurtfixierung nachgewiesen werden konnte.«

Eine reduzierte Übungsfrequenz birgt (im streng indizierten und umfänglich evaluierten Einzelfall) ein hohes Fehlerpotenzial beim korrekten Anlegen der Fixiergurte. Zudem haben auch die Nachrüstungen der Gurtsysteme, die sich aufgrund mehrerer Todesfälle insbesondere im Zusammenhang mit Bauchfixiergurten ergaben, zu zusätzlichen Verunsicherungen im richtigen Handling geführt. Das erfordert praktische Schulungen der Pflegefachkräfte im Umgang mit Fixiergurten als Ultima Ratio, damit die Fixiergurte, nicht nur erst nach strenger Indikationsstellung, sondern, wenn schon, dann auch richtig angelegt werden!

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Friedhelm Henke, im Februar 2022

In Erinnerung an José Humberto Sánchez.

Inhalt

 

 

Vorwort

1   Recht auf Freiheit

1.1   Erfüllter Straftatbestand der Freiheitsberaubung

1.2   Heilbehandlung

1.3   Rechtfertigungsgründe

1.4   Sicherheitspflicht

1.5   Ultima Ratio

1.6   Einwilligung

1.6.1   Einwilligungsfähigkeit

1.6.2   Ablehnung einer Fixierung

1.6.3   Geschäftsfähigkeit

1.6.4   Entscheidungen der Angehörigen

1.6.5   Vorsorgevollmacht

1.7   Betreuer

1.7.1   Aufgabenbereiche

1.7.2   Betreuung einsichtsfähiger und nicht einsichtsfähiger Personen

1.8   Zwangsweise Unterbringung

1.9   Minderjährige

1.10 Gefahr im Verzug

1.11 Ärztliche Anordnung

1.12 Richterliche Genehmigung

2   Auswirkungen und Anforderungen

2.1   Auswirkungen von FEM

2.2   Anforderungen an FEM

2.2.1   Verantwortungsvolle Pflege und Betreuung

2.2.2   Anforderungen des BfArM an Bauchfixiergurte

3   Begrenzung von FEM

3.1   Werdenfelser Weg

3.2   Leitlinie FEM

3.3   Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege

3.3.1   Grundlagen

3.3.2   Sturzrisiken

3.3.3   Sturz-Assessment

3.3.4   Grundsätzliche Pflegemaßnahmen

4   Praxis mechanischer Fixierungen

4.1   Fixierdecke

4.2   Therapieplatte, Vorstecktisch

4.3   Abschließen der Wohnungs- oder Zimmertür

4.4   Durchgehende Bettseitenteile

4.5   Fixiergurtsysteme

4.5.1   Anwendungshinweise

4.5.2   Allgemeines-Fixiersystem

4.5.3   Akut-Fixiersystem

5   Beaufsichtigung, Dokumentation und Qualitätssicherung der FEM

5.1   Beaufsichtigung, FEM-Protokoll

5.2   FEM-Pflegequalitätsstandard

6   Relevante Gesetze

6.1   Artikel aus dem Grundgesetz (GG)

6.2   Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch (StGB)

6.3   Paragrafen aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)

6.4   Paragrafen aus dem Psychisch-Kranken-Gesetz NRW (PsychKG-NRW)

6.5   Paragrafen aus dem Verfahren in Familiensachen und in der Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit

7   Übungen zum praktischen Umgang mit FEM

7.1   Übungsaufgaben

7.2   Lösungen

8   Literaturverzeichnis

9   Stichwortverzeichnis

1          Recht auf Freiheit

 

 

1.1       Erfüllter Straftatbestand der Freiheitsberaubung

»Die Freiheit der Person ist unverletzlich!« heißt es im Artikel 2, Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) der Bundesrepublik Deutschland. Das folgende Fallbeispiel aus der Praxis verdeutlicht die rechtliche Problematik bei Verwendung von Fixiergurten als Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit.

Beispiel

Die Altenpflegerin Maria D. ist aufgrund des unruhigen Verhaltens einer Bewohnerin gestresst und legt ihr regelmäßig den Fixiergurt an. Außerdem stellt sie das Bettseitenteil hoch.

a)  Macht sie sich strafbar?

b)  Wann ist ihr Verhalten erlaubt?

zu a:  Der Straftatbestand der Freiheitsberaubung ist erfüllt. Die Tat ist rechtswidrig, es liegt kein Rechtfertigungsgrund vor. Die Altenpflegerin handelt schuldhaft (vorsätzlich, bewusst und gewollt).

zu b.: In Notsituationen wäre ihr Verhalten erlaubt. Zum Beispiel, wenn der Gesundheitszustand der Pflegebedürftigen sich durch ihre motorische Unruhe verschlechtern würde. Wenn sich die Patientin selbst und/oder andere gefährdet, eine erforderliche Therapie (z. B. Infusion) durch motorische Unruhe unmöglich ist oder Bewegungs-/Haltungsstörungen vorliegen, kann eine Fixierung gerechtfertigt sein.

Bei fehlenden rechtlichen Voraussetzungen können Fixierungen zivil- und strafrechtliche Konsequenzen mit sich bringen. Aus zivilrechtlicher Sicht kann eine unrechtmäßige Fixierung einen Verstoß gegen einen Pflegevertrag sowie eine unerlaubte Handlung im Sinne des § 823 Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) darstellen und Schadensersatz- sowie Schmerzensgeldansprüche nach § 253 Abs. 2, § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1 und 2 BGB zur Folge haben.

Eine Fixierung ist nach § 1906 Abs. 4 BGB sowie § 10 Abs. 1 (Psychisch-Kranken-Gesetz Nordrhein-Westfalen) PsychKG-NRW eine mechanische Bewegungseinschränkung des Patienten bzw. Bewohners.

Merke

Die Unterbringungsgesetze anderer Bundesländer entsprechen im Wesentlichen den inhaltlichen Aspekten des PsychKG-NRW.

Definitionen

Verfassungsrechtlich wird unter Freiheitseinschränkenden Maßnahmen (FEM) nach Art. 104 GG jeder Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit verstanden (Verfassungsrecht).

Zivilrechtlich betrachtet, kennzeichnen Freiheitsbeschränkende Maßnahmen einen Eingriff in die Bewegungsfreiheit von geringer Dauer und/oder Intensität während Freiheitsentziehende Maßnahmen den Ausschluss der körperlichen Bewegungsfreiheit darstellen. Der potenzielle Gebrauch genügt dazu. Die Motivation des Betroffenen ist dabei unerheblich (Unterbringung § 1906 BGB).

Strafrechtlich liegt der Tatbestand einer Freiheitsberaubung vor, wenn ein Mensch eingesperrt oder auf andere Weise des Gebrauchs seiner persönlichen (Bewegungs-)Freiheit beraubt wird. Geschützt ist die persönliche Fortbewegungsfreiheit, d. h. die Möglichkeit, sich nach seinem Willen fortzubewegen, um einen Raum zu verlassen. Es geht nicht darum, ob die Person sich tatsächlich fortbewegen möchte oder nicht. Entscheidend ist allein, ob sie sich frei bewegen kann oder nicht. Bei Vorliegen einer Handlung laut der im StGB genannten Tatbestandsmerkmale liegt eine sogenannte Tatbestandsmäßigkeit vor. Wenn Rechtfertigungsgründe (z. B. Einwilligung, Notwehr, rechtfertigender Notstand) greifen, liegt keine Rechtswidrigkeit vor. Vorsatz ist das Wissen und Wollen der objektiven Tatbestandsmerkmale. Fahrlässig handelt der Täter, wenn er trotz Voraussehbarkeit einer Rechtsverletzung einen gesetzlichen Tatbestand in pflichtwidriger Weise verwirklicht. Bei folgenden Handlungen (Fixierungen) ist nach § 239 Strafgesetzbuch (StGB) bereits der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt:

•  Anlegen von Bettschürze, Schlafsack, Bauchgurt, Hand-, Fußfesseln oder Stuhlgurt, wenn der Pflegebedürftige keine Möglichkeit hat, die Fixierung selbst zu lösen oder lösen zu lassen.

•  Verwendung von durchgehenden Bettseitenteilen.

•  Verwendung von Fixierdecken und Zwangsjacken.

•  Verwendung von Trickschlössern und -schaltungen, die eine Person in ihrer Freiheit einschränken.

•  Drohung, psychischer Druck (psychische Fixierung), z. B. durch Wegnahme der Kleidung und Schuhe oder die Behauptung, die Türklinke stehe unter Strom.

•  Abschließen des Zimmers oder der Station, wenn die Öffnung auf Wunsch des Pflegebedürftigen nicht jederzeit gewährleistet ist.

•  Wegnahme (so genannte passive Fixierung) von Bewegungshilfen (Rollstuhl), Feststellen des Rollstuhls.

•  Therapietische am Stuhl oder am Rollstuhl, Therapiestuhl.

•  Verabreichung von Arzneimitteln, die Müdigkeit oder Muskelschwäche nur zum Zweck der Bewegungseinschränkung bewirken und ohne einen anderen therapeutischen Hintergrund (pharmakologische Fixierung) gegeben wurden.

•  Personenortungsanlagen (Ausstattung des Betroffenen mit Signalsendern).

Merke

Es spielt keine Rolle, ob der Betroffene sich tatsächlich fortbewegen will oder ob er die Einschränkung der Freiheit überhaupt bemerkt. Grundsätzlich sind alle hier aufgelisteten Fixierungen strafbar. Ausnahmen gibt es nur bei einem entsprechenden Rechtfertigungsgrund ( Kap. 1.3).

Ist der Betroffene in der Lage, einen Fixiergurt (z. B. mit Klett- oder Schnappverschluss) selbst zu öffnen, seine Zimmertür von innen zu öffnen, oder hindert ihn ein geteiltes Bettgitter nicht daran, das Bett selbst zu verlassen, ist der Straftatbestand der Freiheitsberaubung nicht erfüllt. Bei gelähmten und geschwächten Betroffenen, die sich trotz eines leicht lösbaren Klettverschlusses nicht selbst befreien können, kann dagegen der Straftatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein.

Auch im ambulanten Bereich sind FEM außerhalb der familiären Pflege, also beispielsweise bei der Übernahme der Pflege durch einen professionellen Pflegedienst genehmigungspflichtig. Wenn es niemanden gibt, der Klage erhebt, gibt es auch keine Gerichtsverhandlung! Das gilt vermutlich immer noch für die familiäre Pflege. Das Amtsgericht Berlin Tempelhof/Kreuzberg entschied jedoch in der Sache »Freiheitsentziehung in der eigenen Wohnung« bereits 1998 konsequent richtig, dass das zeitweilige Einschließen eines Betreuten zu Hause (auch bei familiärer Pflege) einer Richterliche Genehmigung bedarf (AZ 50 XVII G 361/98).

Psychopharmaka mit Einschränkung der körperlichen Freiheit als Haupt- oder Nebenwirkung, egal ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt, erfordern einen richterlichen Beschluss, denn sie sind rechtlich als unterbringungsähnliche Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB zu bewerten. Oft ist die Abgrenzung der Medikamente (wie Psychopharmaka oder Schlafmittel) von einer gezielten Ruhigstellung oder Hinderung am Weggehen nicht eindeutig. Dann ist auch hier der Straftatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt und eine Genehmigung erforderlich.

Eine unrechtmäßige Fixierung kann den Straftatbestand der Nötigung nach § 240 StGB erfüllen. Weitere Informationen dazu sind im Betreuungsgesetz sowie im PsychKG des jeweiligen Bundeslandes zu finden.

1.2       Heilbehandlung

FEM sind nur mit richterlicher Genehmigung erlaubt, wenn der Betroffene nicht rechtskräftig einwilligungsfähig ist; eine krankheits- oder behinderungsbedingte Gefahr einer Selbsttötung oder einer erheblichen Gesundheitsgefährdung vorliegt oder, wenn eine Untersuchung, eine Heilbehandlung oder ärztlicher Eingriff notwendig sind, deren Sinn und Zweck der Betroffene infolge Krankheit oder Behinderung nicht einzusehen vermag. Dient eine Maßnahme in erster Linie der Heilbehandlung, kann (!) der Richter, gemäß des Juristischen Leitfadens für Verfahrenspfleger im Verfahren zur Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen gem. § 1906 BGB, diese als genehmigungsfrei erklären. Bei willkürlich völlig bewegungsunfähigen Personen liegt keine FEM vor. Wenn eine Person die FEM selbst mit schriftlicher Verfügung einfordert, ist ebenfalls keine richterliche Genehmigung erforderlich.

Merke

Im Zweifelsfall ist immer eine richterliche Genehmigung einzuholen.

1.3       Rechtfertigungsgründe

Rechtfertigungsgründe zur Freiheitseinschränkung, die bei Fixierungen in der Pflege in Betracht kommen können, sind:

•  Einwilligung des Betroffenen,

•  Notwehr/Nothilfe (§ 32 StGB),

•  Notstand (§ 34 StGB),

•  einschlägige Betreuung mit Einwilligung des Betreuers und Genehmigung des Betreuungsgerichts (richterliche Genehmigung),

•  beschlossene Unterbringung nach Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG).

Eine Fixierung ohne Einwilligung des Pflegebedürftigen und ohne richterlich genehmigter oder beschlossener Unterbringung sowie ohne Unterbringung nach dem PsychKG ( Kap. 1.6) ist nur zulässig bei Notwehr (§ 32 StGB). Notwehr ist z. B. die Verteidigung des Pflegepersonals bei einem Angriff seitens eines psychisch Erkrankten. Ein weiterer Rechtfertigungsgrund liegt bei Notstand (§ 34 StGB) vor, wenn z. B. eine unmittelbare Gefahr für den Pflegebedürftigen selbst oder für andere droht.

Notwehr ist die Verteidigung gegen einen Angriff. Aber nicht jede Verteidigung ist im Sinne dieses Gesetzes Notwehr. Gerechtfertigt ist eine Verteidigung nur dann, wenn eine Notwehrlage besteht und die Verteidigung eine Notwehrhandlung ist. Eine Notwehrlage setzt einen Angriff voraus, der gegenwärtig und rechtswidrig ist. Unter »Angriff« wird jede Verletzung rechtlich geschützter Interessen eines Menschen durch einen anderen verstanden. Geschützte Rechtsgüter sind z. B. Eigentum, körperliche Unversehrtheit und Ehre. »Gegenwärtig« ist ein Angriff, wenn er unmittelbar bevorsteht und solange er andauert. Gegenwärtig ist ein Angriff aber auch dann noch, wenn seine unmittelbare Wiederholung zu befürchten ist.

Notwehr setzt nicht voraus, dass sich der Angriff gegen den Verteidiger richtet. Eine Rechtfertigung durch Notwehr liegt z. B. auch vor, wenn die Pflegeperson einen Angriff gegen einen Mitpatienten abwehrt (so genannte Nothilfe).

Die Notwehrhandlung muss zur Abwendung des Angriffs erforderlich und geboten sowie von einem Verteidigungswillen getragen sein. Stehen mehrere gleich geeignete Verteidigungsmittel zur Verfügung und besteht Zeit zur Auswahl, so ist das Mittel zu wählen, das den Angreifer am wenigsten verletzt.

Merke

Auch eine ärztliche Anordnung stellt allein keine Rechtfertigung zur Fixierung (Freiheitsberaubung) dar, sondern ist lediglich eine formale Absicherung!

Nur wenn die Gefahr nicht anders abwendbar ist, ist die Fixierung als rechtfertigender Notstand gerechtfertigt ( Kap. 1.5). Im Rahmen einer Interessenabwägung muss das geschützte Interesse (z. B. die Gesundheit des Betroffenen) das beeinträchtigte Interesse (z. B. die Freiheit, das Selbstbestimmungsrecht) wesentlich überwiegen.

Befindet sich beispielsweise ein Patient postoperativ in einem Durchgangssyndrom, ist eine Fixierung rechtmäßig, wenn ein rechtfertigender Notstand vorliegt. Arzt und Pflegepersonen sind sogar dazu verpflichtet, um keine zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen wegen pflichtwidrigen Unterlassens zu bekommen.

Soll ein Patient fixiert werden, weil er sich im Schlaf mehrmals einen venösen Zugang (Intranüle) entfernt hat und daraufhin nicht mehr mit den lebensnotwendigen Medikamenten versorgt werden kann, ist das Selbstbestimmungsrecht des Pflegebedürftigen zu beachten. Lehnt ein einsichtsfähiger Patient in diesem Fall die Fixierung ab, wäre eine Behandlung gegen den Willen des Betroffenen eine strafbare Handlung. Der Arzt kann dann lediglich die Behandlung wegen zu großen Risikos abbrechen.

Bei Fremdgefährdung besteht auch bei einsichtsfähigen Pflegebedürftigen die Verpflichtung zum Schutz Dritter. Das heißt, wenn ein solcher Patient Mitpatienten oder Mitarbeiter erheblich gefährdet, sind geeignete Maßnahmen zu dessen Fixierung erforderlich.

1.4       Sicherheitspflicht

Laut dem Bundesgerichtshof (BGH-Urteil vom 14.01.2021 – III ZR 168/19) »darf bei erkannter oder erkennbarer Selbstschädigungsgefahr ein an Demenz erkrankter Heimbewohner, bei dem unkontrollierte und unkalkulierte Handlungen jederzeit möglich erscheinen, nicht in einem – zumal im Obergeschoss gelegenen – Wohnraum mit unproblematisch erreichbaren und einfach zu öffnenden Fenstern untergebracht werden. […] Welchen konkreten Inhalt die Verpflichtung hat, einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines Körperlich oder geistig beeinträchtigten Heimbewohners zu achten und andererseits sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu schützen, kann nicht generell, sondern nur aufgrund einer Abwägung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden. […] Ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Selbstgefährdung besteht hingegen keine Pflicht zu besonderen (vorbeugenden) Sicherungsmaßnahmen.«

Die Sicherheitspflicht einer Pflegeeinrichtung gegenüber den zu versorgenden Pflegebedürftigen kann es erfordern, dass bei körperlichen oder geistigen Einschränkungen dieser Personen eine Fixierung beim Betreuungsgericht zusammen mit der schriftlichen ärztlichen Anordnung ( Kap. 1.11) zu beantragen ist.

Kasten 1: Mitteilung an das Betreuungsgericht

An das Amtsgericht –Betreuungsgericht–

  Ich bitte, eine betreuungsgerichtliche Genehmigung für o. a. Maßnahmen zu erteilen.

  Ich teile mit, dass o. g. Maßnahmen wegen Gefahr im Verzug bereits durchgeführt werden.

  Der o. a. Betreuer hat mich bevollmächtigt, die Betreuungsgerichtliche Genehmigung zu beantragen.

  Ich rege an, einen Betreuer mit den Aufgaben Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung zu bestellen.

Das Sicherheitsgebot und die Einschränkung der Menschenwürde (Artikel 1 Abs. 1 GG) sowie die Einschränkung des Freiheitsrechts (Artikel 2 Abs. 1 GG), wonach jeder das Recht auf Leben und körperlicher Unversehrtheit hat, sind gegeneinander abzuwägen. Angesichts des erheblichen Ermessensspielraums spielt die kontinuierliche Dokumentation ( Kap. 5) der körperlichen und geistigen Situation der Pflegebedürftigen eine große Rolle. Außerdem wird mit der kompletten Erfassung aller Informationen sowie der etwaigen Entscheidungen kein pflichtwidriges Versäumnis, sondern das stete Bemühen der Pflegenden um die Sicherheit des Pflegebedürftigen transparent gemacht. Entscheidend ist eine umfassende ganzheitlich orientierte Pflegeplanung (Informationssammlung, Erfassung von Ressourcen, Pflegeproblemen, -zielen, -interventionen, -evaluation).

Abb. 1: Pflegeprozess (modifiziert nach Fiechter & Meier 1996)

Merke

Die professionelle Pflegeplanung nach den sechs Schritten des Pflegeprozesses unterstützt den qualitativen Umgang mit der Sicherheitsverpflichtung und dient den Pflegenden als Beweismittel ihrer geleisteten ganzheitlichen und individuellen Pflege.

1.5       Ultima Ratio

Um im Umgang mit Fixierungen sicher aufzutreten und ein (wie z. B. im § 34 StGB formuliertes) »angemessenes Mittel« (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) anzuwenden, ist Folgendes zu beachten: Eine Fixierung ist nur als letzte Pflegemaßnahme (»Ultima Ratio«) bei außergewöhnlich unruhigen und (auto-)aggressiven Pflegebedürftigen anzuordnen. Eine freiheitsentziehende Maßnahme darf grundsätzlich nur dann ärztlich angeordnet werden, wenn:

•  der Patient sich selbst oder andere erheblich gefährdet,

•  der Patient Bewegungs- oder Haltungsstörungen hat, bei denen mit Sturzgefahr zu rechnen ist,

•  der Patient eine notwendige Behandlung (z. B. eine Infusionstherapie) durch motorische Unruhe verhindert,

•  der Gesundheitszustand (z. B. nach einer Fraktur) eine übermäßige motorische Unruhe nicht zulässt.

Merke

Hierbei handelt es sich nicht um generelle Rechtfertigungsgründe, sondern lediglich um Aspekte, bei denen überhaupt erst eine Fixierung in Betracht gezogen werden kann. Nur wenn die Gefahren nicht anders abwendbar sind, ist eine Fixierung gerechtfertigt.