Flammender Abgrund - Gabriele Popma - E-Book
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Flammender Abgrund E-Book

Gabriele Popma

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Beschreibung

In ihrem geerbten Haus in Arizona sucht die junge Deutsche Jessica Abstand von ihren Problemen. Als sie sich in den charismatischen, aber undurchsichtigen Vagabunden David verliebt, hängt ihr Himmel voller Geigen. Doch ein alter Brief ihrer Mutter zerstört ihr Liebesglück und stellt ihre Welt komplett auf den Kopf. Zusammen mit David begibt sie sich auf die Suche nach der Wahrheit und deckt Geheimnisse auf, die sie nach San Francisco führen. Dort gerät sie unvermittelt in eine gefährliche Intrige, bei der ihre Familie alles verlieren könnte. Und plötzlich steht auch Davids Leben auf dem Spiel.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Danksagung

Impressum tolino

Gabriele Popma

Flammender Abgrund

Roman

Impressum

Copyright © Gabriele Popma

2. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden.

Eventuelle Ähnlichkeiten zu realen Personen wären rein zufällig.

Buchcoverdesign: Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de unter Verwendung von Bildmaterial von BERNATSKAYA OXANA; Lukas Gojda; Mettus / shutterstock.com sowie huci /Adobe Stock

Verfasst und herausgegeben von:

Gabriele Popma

Gablonzer Str. 6

87677 Stöttwang

1

Mein Gott, worauf hatte ich mich da nur eingelassen? In stummer Verzweiflung sank ich auf einen Stuhl und starrte den leeren Koffer an. Warum um alles in der Welt hatte ich nur so übereilt gehandelt? Völlig aus dem Nichts war der Entschluss gekommen und für einen Plan war er immer noch erschreckend planlos. Ich sah hinaus in den regenverhangenen Abend, der meine Laune weiter drückte und die freudige Erregung der letzten zwei Tage verschwinden ließ. Je näher die Abreise rückte, umso unsicherer wurde ich.

Dabei wusste ich nicht einmal, was mir die Schmetterlinge im Bauch bescherte. Eigentlich freute ich mich auf den Trip. Es war meine eigene Entscheidung gewesen, ihn ganz allein, ohne Begleitung zu unternehmen, also sollte ich deshalb nicht das große Nervenflattern bekommen.

Es klingelte an der Wohnungstür. Ich kannte dieses besondere Klingeln. Mein Bruder Christian deutete damit sein Kommen an. Obwohl er einen Schlüssel hatte, drückte er immer kurz auf den Klingelknopf, bevor er hereinkam, um mich vorzuwarnen.

Kaum eine Minute später klopfte es an der Tür zu meinem Schlafzimmer. »Und? Schon alles gepackt?« Chris grinste, als er den Koffer sah. »Du reist wirklich mit leichtem Gepäck, oder?«

Ich warf ihm einen Blick zu, der zwischen Belustigung und Ärger schwankte. »Ich habe keine Ahnung, was ich einpacken soll«, gestand ich.

»Arizona ist um diese Jahreszeit recht warm«, antwortete er leichthin. »Die dicken Pullis kannst du größtenteils daheim lassen.«

»Danke, das hilft mir ungemein.«

Chris nahm mich bei den Schultern, drehte mich zu sich herum und drückte mich brüderlich an seine Brust. »Du bist ganz schön nervös«, stellte er fest.

»Ich fliege morgen allein nach Amerika«, murmelte ich in sein Hemd. »Ich gebe zu, das macht mich durchaus ein wenig kribbelig.«

»Du wolltest unbedingt alleine fliegen. Du weißt, ich hätte Urlaub nehmen und dich begleiten können.«

Ich drückte mich von ihm weg. Auch wenn ich meinen Bruder sehr mochte, mit ihm zusammen in Urlaub fliegen wollte ich nicht. Das wäre kontraproduktiv zu meinen Vorstellungen einer Auszeit gewesen. »Bist du mein Babysitter?«, fragte ich spöttisch. »Oder hast du nur Angst, dass du niemanden findest, der dir jetzt die Wäsche macht?«

Er kicherte vergnügt. »Erwischt. Deine Dienste werde ich wirklich sehr vermissen.«

Lächelnd wandte ich mich ab. Chris hatte seinen Junggesellenhaushalt gut im Griff, aber waschen und bügeln waren zwei Dinge, die er einfach nur hasste, während ich nichts dagegen hatte und ihm diesen schwesterlichen Dienst ab und zu gerne erwies.

»Dann such mir einen neuen Job und ich bleibe hier.«

Was so leicht dahin gesagt war, hatte eine unglaubliche Wirkung auf mich selbst. Ich war wieder in der Realität angekommen. Wie schon so oft in den letzten Wochen stieg das Gefühl in mir auf, ein Versager zu sein. Warum hatte man ausgerechnet mir gekündigt? Als die kleine Bankfiliale, in der ich seit Jahren arbeitete, geschlossen werden musste, wurde ein großer Teil der Belegschaft in die Hauptstelle übernommen. Ich war mir sicher gewesen, dass auch ich dazu gehören würde. Meine Beurteilungen waren stets gut und ich war bei Kunden und Kollegen beliebt gewesen. Als mir mein Abteilungsleiter in einem vertraulichen Gespräch mitteilte, dass man für mich leider keine neue Stelle gefunden hatte, wurde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Das Gefühl, dass ich am Rand eines Abgrunds stand, hatte ich nun, nach vier Wochen, immer noch. Ich hatte mich bei allen Banken der Umgebung beworben, doch auch dort wurde eher Personal abgebaut und Filialen geschlossen. Niemand konnte mich brauchen. Meine halbherzigen Versuche, anderweitig Arbeit zu finden, blieben ebenfalls ergebnislos. Ich konnte mich nicht so schnell umstellen. Bisher war ich mit Leib und Seele Bankkauffrau gewesen und ich konnte mir nicht vorstellen, irgendetwas anderes zu tun. Doch es war nicht abzusehen, wann die Banken wieder Bedarf hatten.

So hatte ich den Entschluss gefasst, endlich mein Erbe anzutreten. Die Tante meines Vaters hatte mir vor drei Jahren ihr Haus in Arizona vermacht. Es war nie die richtige Zeit oder Gelegenheit gewesen, mir mein Eigentum anzuschauen und zu entscheiden, was ich damit machen sollte. Meine Eltern hatten mir vorgeschlagen, das Haus zu verkaufen, aber das wollte ich nicht tun, ohne es vorher wenigstens gesehen zu haben. Meine Arbeitslosigkeit sorgte dafür, dass ich keine Ausrede mehr hatte. Wann sollte ich mich um mein Erbe kümmern, wenn nicht jetzt? Die Abfindung, die ich bekommen hatte, würde mich noch eine Weile über Wasser halten. Ein paar Wochen Urlaub, um auf andere Gedanken zu kommen, war genau das Richtige. Ich hatte einfach keine Lust, hier herum zu hängen und darauf zu warten, dass mir das Leben in Deutschland wieder eine Perspektive bieten wollte. Mehr als je zuvor spürte ich, dass es Zeit für Veränderungen war und dass ich diese Veränderungen selbst herbeiführen musste. Ich hatte allerdings keine Ahnung, was ich in Amerika zu finden gedachte oder wie sich diese Auszeit auf mein Leben auswirken sollte. Es war ja nicht so, dass sich meine Probleme auf wundersame Weise lösen würden, wenn ich ihnen nur genug Zeit gäbe. Bei meiner Rückkehr würde ich keinen Stapel Briefe vorfinden von Banken, die plötzlich meinen Wert erkannt hatten und sich um mich rissen.

Chris sah mich nachdenklich an. »Du weißt, dass es nicht deine Schuld war«, sagte er ernst, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Du findest schon wieder einen guten Job. Und bis dahin lässt du es dir einfach gut gehen. Wer weiß, vielleicht wartet in Amerika ja die große Liebe auf dich.«

Ich war ihm dankbar für den Versuch, mich abzulenken. »Meinst du, amerikanische Männer sind besser als deutsche?«

Er zuckte mit den Schultern. »Schadet nichts, die Augen offen zu halten. Wird Zeit, dass du wieder jemanden findest.«

Ich nahm einen Stapel T-Shirts aus dem Schrank und sortierte sie in meinen Koffer. »Nimm ruhig mal einen Schluck von deiner eigenen Medizin, Herr Doktor«, riet ich ihm.

»Meinst du?« Er zog spöttisch die Augenbrauen hoch.

»Ja, das meine ich«, erklärte ich energisch. »Chris, du bist dreißig und hast schon vier gescheiterte Beziehungen hinter dir. Du darfst nicht immer gleich in Deckung gehen, wenn es Probleme gibt.«

»Das sagt die Richtige«, lachte Chris und grinste mich wissend an. Seufzend sah ich ihm ins Gesicht, in diese vertrauten Züge unter dem vollen blonden Haar. Mein Bruder war ein attraktiver Mann, nach dem sich die Frauen umdrehten. Doch mit seinen Beziehungen hatte er genauso viel Pech wie ich. Als Assistenzarzt hatte er wenig Zeit für Freundinnen und bisher hatte noch keine genügend Verständnis für seine wechselnden Schichten und ständigen Überstunden aufgebracht.

»Du hast ja recht«, seufzte ich einlenkend. »Aber ich gehe nicht nach Amerika, um mir einen Mann zu angeln. Was hätte das auch für einen Sinn? Ich bleibe doch nur ein paar Wochen. Du weißt, dass ich nicht der Typ bin für One-Night-Stands.«

»Tja, dann wirst du dort drüben wohl sehr einsam sein.« Chris grinste wieder und deutete auf meinen Schrank. »Komm, ich helfe dir, sonst wirst du ja nie fertig. Unsere Eltern erwarten uns in einer halben Stunde zum Abschiedsessen.«

Ich schlief schlecht in dieser Nacht. Ich schwankte zwischen froher Erwartung und tiefen Zweifeln, ob ich wirklich das Richtige tat. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, zu warten, bis meine Eltern Zeit hätten, mich zu begleiten. Wenigstens für die ersten paar Wochen. Dann schalt ich mich wieder eine dumme Gans, weil ich mich mit fünfundzwanzig noch so sehr an meine Eltern klammerte. Ich konnte das auch allein. Ich machte mich auf in unbekanntes Terrain, na und? Die ganze Nervosität war nur freudige Erregung, weiter nichts.

Meine Mutter hatte alles Mögliche für mich geregelt, angefangen bei einem Anruf in Sedona, um die Hausverwalterin von meinem Kommen zu informieren. Ich war ihr dankbar dafür, dennoch hatte ich das Gefühl, ich hätte mich selbst darum kümmern müssen. Wenn ich schon unabhängig sein wollte, dann richtig. Aber ich würde vermutlich noch genügend Gelegenheit bekommen, mir selbst meine Unabhängigkeit zu beweisen.

Der Abschied von meinen Eltern kam unaufhaltsam näher. Ich hatte den Eindruck, dass meine Mutter mir noch etwas sagen wollte und sich nicht traute. In ihren Augen stand eine Besorgnis, die mich zusammen mit ihren Worten beunruhigte. »Sei vorsichtig, Jessica«, riet sie mir. »Vergiss nie, dass wir dich lieb haben, ganz egal, was passiert.«

Verwirrt sah ich sie an. Was sollte schon passieren? Ich wollte einfach für eine Weile ins Haus meiner verstorbenen Großtante nach Arizona ziehen und mir die Umgebung ansehen. Auch wenn ich ziemlich nervös war, war das im Grunde weder aufregend noch abenteuerlich. Und doch schien sie sich wegen irgendetwas Sorgen zu machen.

Mein Vater dagegen lachte zuversichtlich. »Du wirst es schon schaffen. Aber du wirst uns fehlen.«

Auch ich würde sie vermissen. Meine Eltern, Chris, meine Freunde, meine gewohnte Umgebung. In Arizona kannte ich keine Menschenseele und für einen kurzen Moment schnürte mir ein Anfall von Panik die Kehle zu.

»Wirst du Marc anrufen?«, riss mich mein Vater aus den trüben Gedanken.

»Marc?« Mit jähem Entsetzen dachte ich an meinen ältesten Bruder, der in Los Angeles lebte. »Nein, ich glaube, ich kann gut ohne ihn auskommen.« Ich schüttelte mich fast bei dem Gedanken an ihn. Allerdings war Marc für mich der einzige Bekannte unter diesen Millionen von fremden Menschen. Vielleicht konnte er mir doch eine Hilfe sein. »Na, mal sehen, wie sich alles entwickelt«, schränkte ich ein.

»Okay. Gib uns Bescheid, wenn du angekommen bist.«

Nickend ließ ich mich neben Chris auf den Beifahrersitz seines Autos sinken und drehte mich sogleich um, um meinen Eltern zum Abschied noch einmal zu winken.

»Hast du dein Handy dabei?«, fragte mein Bruder, als er startete. Er hatte sich extra den Vormittag frei genommen, um mich zum Flughafen zu fahren, und ich war ihm sehr dankbar dafür.

Ich schüttelte den Kopf. »Hat keinen Sinn. Das ist so alt, das funktioniert in Amerika nicht.«

»Du könntest meines haben. Ich habe ein neues Quadband-Handy, das geht dort drüben.«

Warum wunderte mich das nicht? Chris war nicht unbedingt sehr technisch veranlagt, trotzdem hatte er immer die neuesten Spielereien. »Was soll das bringen?«, wehrte ich ab. »Ich kann mir drüben auch ein Wegwerfhandy kaufen, obwohl ich nicht glaube, dass ich es nötig habe. Den Kontakt mit Zuhause werde ich einfach per E-Mail halten. Meinen Laptop habe ich ja dabei.«

»Du lässt von dir hören, ja?«, mahnte Chris mich. »Ich will wissen, was meine kleine Schwester im großen fernen Land so treibt.«

»Als wenn dich das was anginge.« Ich grinste, obwohl mir gar nicht danach zumute war. Chris war nicht nur mein Bruder, der immer eine schützende Hand über mich hielt, er war auch mein bester Freund und ich würde ihn vermissen. Aber Amerika war auch die Chance, mich abzunabeln. Gerade von ihm, der gerne mal überfürsorglich werden konnte. »Kümmere du dich mal brav um deine Patienten«, lächelte ich tapfer. »Das große Abenteuer kannst du getrost mir überlassen.«

Chris erwiderte mein Lächeln und ich fühlte wieder dieses nervöse Prickeln. Es war wirklich ein Abenteuer, zu dem ich mich aufmachte, doch ich war bereit, es in allen Zügen auszukosten.

2

Aufseufzend klappte ich mein Buch zu und verstaute es in dem Netz vor meinem Sitz. Der Versuch, mich mit Lesen abzulenken, war fehlgeschlagen. Ich war viel zu aufgeregt. Fliegen war für mich immer wieder ein großartiges Erlebnis. Kurzstrecken war ich schon öfter geflogen, zu Urlaubszielen wie Kreta oder Mallorca. Doch nun war ich zum ersten Mal allein unterwegs und das war ein seltsames Gefühl. Seit zwei Stunden waren wir schon in der Luft. Wir flogen über einer dichten Nebeldecke, die kein Ende zu nehmen schien. Neben mir saß ein beleibter Mann, der nach Knoblauch roch und ständig seine verschwitzten Hände an der Sitzlehne abwischte. Wir hatten einige Worte gewechselt, doch ich war froh, als er sich in ein Magazin vertiefte.

So konnte ich meinen Gedanken nachhängen. Seufzend starrte ich aus dem Fenster in das undurchdringliche Weiß der Wolken. Ich spürte immer noch dasselbe Kribbeln wie vor der Zollabfertigung. Die Sicherheitsvorkehrungen hatten mich nervös gemacht. Ich hatte schon zu viele Schauergeschichten gehört. Chris hatte mich gewarnt, dass ich die Nagelfeile aus meiner Handtasche unbedingt in den Koffer verbannen musste, und darauf achten, dass ich mich als Tourist ausgab und nicht als Terrorist. Natürlich wollte er mich nur auf den Arm nehmen, aber wer wusste denn, ob nicht irgendein Sicherheitsbeamter auf die geniale Idee kam, dass mein Laptop eine hervorragende Schlagwaffe war und ihn konfiszierte? Es waren unsinnige Gedanken, trotzdem war ich heilfroh, als ich wohlbehalten mit Laptop und unbehelligter Handtasche durch den Zoll war. Das Kribbeln, das ich jetzt verspürte, hatte einen anderen Ursprung. Obwohl es eher stickig warm im Flugzeug war, waren meine Hände eiskalt. Dumme Pute, schalt ich mich insgeheim. Ich konnte doch nicht den ganzen Flug lang aufgeregt sein. Schließlich flog ich nicht zu meiner Hinrichtung, sondern in Urlaub. Ich fragte mich, was mir die nächste Zeit wohl bringen würde. Natürlich hatte ich mich über die Sehenswürdigkeiten rund um Flagstaff informiert und hatte mir dahingehend ein Programm aufgestellt, doch im Moment war meine Zuversicht nicht besonders groß. Ich war allein. All diese schönen Parks und interessanten Orte würde ich mir alleine ansehen müssen und dazu hatte ich zumindest im Augenblick überhaupt keine Lust. Ich fühlte mich einsam und vermisste mein Zuhause. Der Abschied von meinen Eltern und besonders von Chris war schwer gewesen. Doch ich war immer noch fest davon überzeugt, das Richtige zu tun. Ich wollte endlich sehen, wo ich meine Wurzeln hatte.

Ich flog nach Amerika. Das Land meiner Geburt. Allerdings hatte ich nur noch sehr verschwommene Erinnerungen an meinen Aufenthalt dort, und die basierten ziemlich ausschließlich auf den Fotos im Familienalbum. Meine Heimat war Deutschland und beim Namen Los Angeles dachte ich viel eher an Hollywood und Starrummel als an meine Geburtsstadt.

An meinen ersten Flug, den Flug nach Deutschland, konnte ich mich nicht mehr erinnern. Aber nach den Aussagen meiner Mutter musste er zumindest für sie sehr anstrengend gewesen sein. Mein Bruder Marc konnte es einfach nicht fassen, dass unsere Mutter den Streit um das Sorgerecht für ihn gewonnen hatte und ihn nun gegen seinen Willen in ein fremdes Land schleppte. Er war zwar in Deutschland geboren, doch seine Heimat war Los Angeles. Vor allem aber liebte er seinen Vater abgöttisch und mit einer Trennung konnte und wollte er sich nicht abfinden. Mir war das egal. Ich war mit vier Jahren noch zu klein, um schon eine Bindung zu dem Land, in dem ich lebte, aufbauen zu können, und meinen Vater hatte ich auch nicht allzu häufig gesehen. Solange ich bei meiner Mutter sein konnte, ging es mir gut.

Marc sah das ganz anders. Er maulte und stänkerte, wo es nur ging. Er weigerte sich schlicht und einfach, sich in Deutschland einzuleben. Dreimal riss er aus und einmal erwischte ihn meine Mutter gerade noch am Flughafen, bevor er in ein Flugzeug nach Los Angeles steigen konnte. Mit einer gefälschten Vollmacht hatte er Geld von ihrem Konto abgehoben und ein Flugticket gekauft. Es war reiner Zufall, dass unsere Mutter den Verlust rechtzeitig entdeckt und dann anhand seiner fehlenden Kleidung und persönlichen Gegenstände richtig kombiniert hatte, wo sie ihren Sohn finden könnte. Sie bezweifelte zwar, dass es ihm wirklich gelungen wäre, die Fluggesellschaft zu täuschen, aber es erschreckte sie, wie weit ihr 12-jähriger Sohn gehen würde, um zurück zu seinem Vater zu kommen. Marc machte jedoch nicht nur ihr das Leben schwer, sondern auch mir. Durch die acht Jahre Altersunterschied waren wir uns nie sehr nahe gestanden, aber nun begann er, seinen Frust bevorzugt an mir auszulassen.

Besonders schlimm wurde es, als sich Mama wieder verliebte. Ich musste unwillkürlich lächeln, als ich an meine erste Begegnung mit ihrem neuen Freund dachte. Mit meinen damals knapp sieben Jahren war ich total hingerissen von dem großen blonden Mann mit den fröhlich funkelnden Augen. Ich hatte noch genau meine Stimme im Ohr, wie ich schüchtern zu ihm aufsah und leise ein »Guten Abend, Herr Fehrmann« flüsterte. Daraufhin zwinkerte er mir freundlich zu und kniete sich neben mich. »Nicht so förmlich, Jessica«, lachte er. »Du kannst mich Rüdiger nennen, oder auch Richey, wenn dir das gefällt. So nennen mich meine Freunde und wir wollen doch Freunde werden, nicht wahr?«

Ich platzte fast vor Stolz. Marc dagegen weigerte sich, ihn anders anzusprechen als mit »Herr Fehrmann«. Wenn es sich vermeiden ließ, sprach er überhaupt nicht mit ihm, dafür versuchte er alles, um seine Beziehung zu unserer Mutter zu sabotieren. Jeder andere Mann hätte vermutlich aufgegeben, aber Richey ließ sich von Marcs Intrigen zum Glück nicht beirren.

Als ich aus dem Fenster sah, stellte ich fest, dass die Wolkendecke sich verflüchtigt hatte und wir gerade über Grönland flogen. Ich konnte große Eisschollen im Wasser entdecken, jede einzelne von den Ausmaßen einer ganzen Stadt. Unwillkürlich fröstelte ich. So konnte man auch Marcs Verhältnis zu uns anderen bezeichnen. Wie eine Eisscholle im Meer. Viele Jahre später hatte meine Mutter mir anvertraut, dass sie gedacht hatte, ihr gespanntes Verhältnis zu Marc würde sich durch Richeys Anwesenheit einrenken. Sie wollte wieder ein normales Familienleben führen und hoffte, dass Marc in ihm eine neue Vaterfigur sah, die er sich zum Vorbild nehmen könnte. Doch sie hatte nicht mit Marcs abgöttischer Liebe zu seinem leiblichen Vater und auch nicht mit seiner wilden Eifersucht gerechnet. Es verging kein Tag ohne heftigen Streit. Marc verschloss sich zusehends, verbarrikadierte sich meistens in seinem Zimmer und ließ keinen mehr an sich heran. Unsere Mutter war oft verzweifelt, doch auch fest entschlossen, sich ihr neues Glück nicht von ihrem Sohn ruinieren zu lassen.

Als Richey uns dann endlich seinen eigenen Sohn vorstellen wollte, war ich sehr gespannt. Ich bildete mir ein, er müsse so sein wie sein Vater. Groß, blond und sehr nett. Nun, nett und blond stimmte schon, aber sonst war alles an ihm klein und dick. Marc begann laut zu lachen, als er ihn sah und nannte ihn einen Fettkloß. Ich fand meinen Bruder wieder einmal widerwärtig und beschloss, zu Chris zu halten. So wurden wir schnell zu guten Freunden. Wir freuten uns, als unsere Eltern planten, zu heiraten. An meinem achten Geburtstag fragte Richey mich, ob ich ihn nicht nur als Freund, sondern auch als Papa haben wollte. Und wie ich wollte. Marc dagegen machte eine regelrechte Szene. Er warf Mama einmal mehr Treuebruch unserem Vater gegenüber vor und redete sich so in Rage, dass er sie eine Hure nannte. Das Klatschen der Ohrfeige, die Richey ihm daraufhin versetzte, war noch im nächsten Zimmer zu hören, in das ich mich verkrochen hatte. Nicht gerade der ideale Anfang für eine neue Familie.

Das Zusammenleben mit Marc gestaltete sich immer schwieriger. Unser neuer Vater hätte uns gern beide adoptiert, aber Marc weigerte sich. »Ich lasse mir doch meinen guten Namen nicht wegnehmen«, protestierte er. Klar, Marc Tremaine, das hatte schon etwas Edles, aber Jessica Fehrmann fand ich auch nicht so übel. Meine Eltern ließen ihm seinen Willen. Mit sechzehn Jahren war Marc alt genug, um diese Sache selbst zu entscheiden.

Chris hatte am meisten unter ihm zu leiden. Er wurde von ihm gehänselt und gepiesackt, wo es nur ging. Mehr als einmal stellte ich mich schützend vor ihn, denn im Gegensatz zu ihm hatte ich keine Skrupel, Marc zu beißen und zu treten. Im Lauf der Jahre hatte ich gelernt, mich gegen ihn zu wehren.

Chris hatte meinem großen, sportlichen Bruder körperlich nichts entgegenzusetzen. Obwohl er schon dreizehn war, hatte er immer noch die Größe eines Zehnjährigen und oft genug beschwerte er sich bei mir, dass in seiner Klasse nur noch der Papierkorb kleiner war als er. Dazu kam der Kummerspeck, den er sich nach dem Tod seiner Mutter angefuttert hatte und einfach nicht mehr losbrachte. Im Gegenteil, aus lauter Frust stopfte er nur noch mehr Schokolade und Gummibärchen in sich hinein. Meine Mutter ging sofort daran, das zu ändern. Sie meldete uns zum Tennisunterricht an, ging mit uns schwimmen und Rad fahren und verbannte alle Süßigkeiten aus den Schränken. In den nächsten Monaten wurde Chris ansehnlicher. Er war zwar immer noch ein übergewichtiger Teenager, doch er wurde beweglicher und konnte Marc sogar manches Mal Kontra geben.

Dann wurde Marc in der Schule mit Haschisch erwischt. Unsere Mutter war völlig mit den Nerven fertig und wusste keinen Rat mehr. Schließlich taten meine Eltern Marc den Gefallen und schickten ihn für ein halbes Jahr nach Los Angeles zu seinem Vater. Auch für uns war es die beste Lösung. Marc hätte es sicher über kurz oder lang geschafft, der jungen Ehe unserer Eltern den Todesstoß zu versetzen. So hatten wir eine Weile Zeit, zu einer richtigen Familie zusammen zu wachsen. Chris half mir bei den Hausaufgaben und ich ihm in Englisch, in dem er eine totale Niete war. Es hatte seine großen Vorzüge, zweisprachig aufgewachsen zu sein, und ich war stolz darauf, dass ich in dem Fach so viel besser war als er. Wochenlang sprach ich nur Englisch mit ihm und unsere Mutter half dabei kräftig mit. »Say it in English«, wurde zum meistgesprochenen Satz in unserem Haus, gefolgt von Chris’ verzweifeltem Stöhnen. Doch nach ein paar Monaten war er so perfekt, dass sein Lehrer meinte, er solle sich schnellstens den amerikanischen Akzent abgewöhnen.

Als Marc zurückkam, war leider alles wieder beim Alten. Er war noch unausstehlicher geworden, und wieder verging kaum ein Tag ohne Streit. Aber auch Chris war älter geworden und konnte sich besser wehren. Öfters kam es zwischen den beiden Jungen zu Prügeleien. Einmal rammte Marc Chris sein Taschenmesser in die Seite. Der Stich war nur oberflächlich, aber die Tatsache, dass mein Bruder so brutal sein konnte, erfüllte mich mit Entsetzen.

Wir sehnten den Tag herbei, als Marc endlich sein Abitur machte. Er hatte den Eltern das Versprechen abgerungen, dass er dann wieder zu seinem Vater dürfe, und zwar für längere Zeit. Nach seinem Abflug war das Aufatmen in unserem Haus förmlich greifbar. Sogar unsere Mutter gab zu, dass das Leben ohne Marc deutlich einfacher war.

Und dann geschah es: Urplötzlich begann Chris zu wachsen. Hatte er bislang der Natur jeden einzelnen Zentimeter abkämpfen müssen, schoss er jetzt regelrecht in die Höhe. Die Fettpölsterchen verteilten sich, seine Gesichtszüge wurden glatter und sein Körper sehniger. Er überholte unsere Mutter und unseren Vater. Als er Marcs eins achtundachtzig erreichte, feierten wir ein Fest. Wir witzelten, dass er jetzt wahrscheinlich ins andere Extrem falle und tatsächlich legte er im Lauf der Zeit noch drei Zentimeter drauf. Marcs entgeisterter Blick, als er Chris bei seiner Rückkehr nach fast zwei Jahren sah, gehört zu meinen schönsten Erinnerungen. Aus seinem Stiefbruder war während seiner Abwesenheit ein attraktiver Mann geworden, der ihm nun problemlos den Rang ablaufen konnte.

Aber auch Marc hatte sich weiterentwickelt. Er war vernünftiger geworden. Sogar mit Richey konnte er nun normale Gespräche führen, ohne sofort in Rage zu geraten und mit Beleidigungen um sich zu werfen. Vielleicht war er tatsächlich erwachsen geworden, vielleicht lag es aber auch daran, dass nun nicht mehr von ihm verlangt wurde, Richey als Vater anzuerkennen.

Nur mit Chris kam es nach wie vor zu Reibereien. Sobald sich die beiden begegneten, begann die Luft vor unterschwelliger Spannung zu knistern und nicht immer konnten sie ihre gegenseitige Abneigung im Zaum halten. Da sich Marc allerdings zum Studium eine eigene Wohnung suchte, konnten sie sich einfacher aus dem Weg gehen. Wir alle wunderten uns über den Ehrgeiz, den Marc entwickelte. Er war regelrecht besessen davon, einen hervorragenden Abschluss zu machen. Was ihm auch gelang. Er schloss das Studium der Betriebswirtschaft als Bester seines Jahrgangs ab. Meine Mutter war unheimlich stolz auf ihren Sohn und auch Richey äußerte sich anerkennend. Umso größer war unser aller Erstaunen, als Marc drei Tage später verkündete, er werde nach Los Angeles ziehen und in die Baufirma seines Vaters einsteigen.

Ich glaube nicht, dass Richey sehr traurig war, als Marc die Familie verließ, aber er ließ sich nichts anmerken. Chris dagegen feierte am gleichen Abend ein übermütiges Freudenfest, was unsere Mutter ihm drei Tage lang übel nahm. Meine Gefühle waren gemischt. Ich hatte mich einfach an meinen Bruder gewöhnt. Es fehlte etwas ohne ihn. Langweilig war es in seiner Gegenwart nie gewesen. Marc hatte mir Eislaufen und Skifahren beigebracht, denn mit Wintersport brauchte ich meinen Eltern nicht zu kommen. Beim gemeinsamen Sport konnten wir unsere Meinungsverschiedenheiten unterdrücken und ich hatte Marc auch von seiner charmanten und fröhlichen Seite kennengelernt. Ich sah die Blicke, die ihm die Mädchen zuwarfen und musste zugeben, dass er ungemein attraktiv aussah mit seinen tiefschwarzen Haaren und diesem anziehenden Lächeln. In diesen Momenten war ich dann doch immer sehr stolz auf meinen großen Bruder gewesen.

Träge blickte ich aus dem Fenster. Die Nervosität hatte sich glücklicherweise endlich gelegt. Ich war müde, aber es war draußen viel zu interessant, um zu schlafen. Wir flogen gerade über Kanada. Aus zehn Kilometern Höhe wirkte die Landschaft wie eine Reliefkarte mit einigen Wolkentupfen, die wie Sahnehäubchen darauf lagen. Auf dem Gebirge unter mir lag Schnee und die angrenzenden Gebiete sahen aus wie eine große Patchworkdecke. Viele verschieden grüne Karos und Rechtecke nebeneinander, die ab und zu von blauen Strichen getrennt wurden. Chris würde angesichts meiner stümperhaften Beschreibung sicher nachsichtig den Kopf schütteln. Er konnte Orte und Personen mit einigen Worten treffsicher charakterisieren. Diese Landschaft unter uns würde ihm gefallen. Ich vermisste Chris. Zwar wollte ich mir das nicht eingestehen, aber ich sehnte mich nach dem sicheren Gefühl, das ich an seiner Seite immer hatte. Für einige Momente fühlte ich mich schutzlos und schrecklich allein. Doch dann schob ich diese dumme Empfindung entschlossen zur Seite und nahm mir vor, mich auf die kommenden Tage zu freuen.

3

Im strahlenden Sonnenlicht kam ich in Los Angeles an. Allerdings hatte ich zu einer Stadtbesichtigung keine Zeit. Schon eine knappe Stunde später startete mein Flugzeug nach Flagstaff. Ich bedauerte das sehr, denn ich hätte gern mehr von Los Angeles gesehen. Andererseits war ich aber froh, dass es ohne großen Aufenthalt weiter ging. Ich war inzwischen entsetzlich müde. Meine innere Uhr stand auf elf Uhr abends, und hier war es erst früher Nachmittag.

Als ich dann endlich den freundlichen Taxifahrer entlohnte, der mich vor einem kleinen weißen Haus in dem bei Flagstaff gelegenen Ort Sedona abgesetzt hatte, fühlte ich mich wie nach einer mehrwöchigen Weltreise. Das war also Tante Marys Haus. Es lag am Stadtrand, am Ende einer Seitenstraße, die hier einen Bogen machte und zur Hauptstraße zurückführte. Obwohl das Haus seit drei Jahren unbewohnt war, sah es gepflegt aus. Der weiße Anstrich blätterte zwar schon an manchen Stellen ab, doch auf mich machte das zweistöckige Gebäude einen freundlichen und einladenden Eindruck. Durch die blau gestrichenen Fensterläden erhielt es eine pfiffige Note, die mir sehr gut gefiel. Ein kleiner Anbau, der wohl eine Garage war, war ebenfalls in hellem Blau gehalten. Eine breite Veranda führte auf der Südseite in den Garten, der das gesamte Haus umrahmte. Das Gras schien ab und zu gemäht zu werden, trotzdem sah der Garten verwildert aus. Hier gab es viel zu tun.

Ich sah mich um. Hier hatte ich also den Großteil meiner ersten Lebensjahre verbracht. Zwar kannte ich die Umgebung von Fotos und den Erzählungen meiner Mutter, hatte jedoch nur noch ein paar sehr verschwommene aktive Erinnerungen an diese Zeit. Das Nachbarmädchen Cathy war damals meine beste Freundin gewesen und angeblich hatten wir zusammengehalten wie Pech und Schwefel. Seit dem Tod meiner Großtante verwaltete sie das Haus. Meine Mutter hatte sie auf mein Kommen vorbereitet, doch ich hatte keine Ahnung, wo ich die Frau nun finden konnte. Im Grunde grenzte nur ein einziges Haus direkt an mein kleines Anwesen. Ein Schild am Gartenzaun verriet mir, dass hier eine Tierärztin namens Catherine Gardener wohnte. Na also. Ich nahm meinen Mut zusammen und öffnete die kleine Gartentür, als eine schlanke, junge Frau mit einem Strauß Blumen um die Ecke kam. Sie war barfuß und trug eine verblichene Jeans, ein buntes Hemd und auf den langen schwarzen Haaren einen grauen Schlapphut, der einen dunklen Schatten auf ein oval geschnittenes Gesicht warf. »Hallo«, begann ich ungeschickt.

Die Frau sah hoch und blickte mich freundlich an. Kecke Sommersprossen zierten die schmale Nase in ihrem ungeschminkten Gesicht und in den großen braunen Augen stand ein unbeschwertes Lachen, als sie mich kurz musterte. »Du bist Jessica, nicht wahr? Schön, dich wiederzusehen. Ich bin Cathy. Erinnerst du dich noch an mich?«

»Nein, tut mir leid«, musste ich zugeben und kam mir unheimlich dumm dabei vor.

»Na, macht nichts. Du warst damals noch ziemlich klein.« Cathy schwang ein Paar langer Beine über den Gartenzaun. »Aber wir werden uns sicher schnell wieder kennenlernen. Jetzt zeige ich dir zuerst mal dein Haus.«

Ich musste leicht den Kopf heben, als sie neben mir stand. Cathy war bestimmt fünf Zentimeter größer als ich. Und ein Stück schlanker, stellte ich nicht ohne Neid fest.

»Ich habe noch gar nicht mit dir gerechnet«, erklärte sie mir, während sie den Schlüssel ins Schloss steckte. »Ich habe die Möbel abgedeckt und wollte gerade noch ein paar Blumen auf den Tisch stellen, damit das Ganze nicht so trostlos aussieht.« Sie öffnete die Tür. »Willkommen im Heim deiner Kindheit«, lud sie mich mit einer ausladenden Handbewegung ein. »Stell deine Koffer hier ab, wir kümmern uns nachher darum.«

Neugierig sah ich mich in dem kleinen Haus um. Wie in Amerika üblich, kam man von der Eingangstür gleich in einen großen Raum, der vermutlich als Wohn- und Esszimmer genutzt worden war. In einer gemütlichen Nische stand eine betagte Couch vor einem alten Fernseher. Ein Durchgang führte in die Küche. Beherrscht wurde das Zimmer jedoch von einem Eichentisch, an dem problemlos zehn Menschen Platz fanden. Der Tisch und auch die Stühle sahen nach Handarbeit aus. Linkerhand führte eine geschwungene Treppe nach oben. Dies alles kam mir nicht sehr bekannt vor, aber plötzlich wusste ich, dass mein damaliges Zimmer im oberen Stock gelegen hatte, und ich konnte es auch auf Anhieb finden. Überrascht blieb ich stehen. Tante Mary schien nach meinem Auszug nicht viel verändert zu haben. Der Raum war voller Kinderbücher und Spielzeug, allerdings war da auch eine große Schachtel mit einer Autorennbahn, die ich sicher nicht besessen hatte.

»Die gehörte David«, schmunzelte Cathy, die mir gefolgt war. »Mary war mit seiner Mutter befreundet und hat ihn in allen Ferien eingeladen.«

»Ich glaube, sie war eine sehr nette Frau«, sagte ich mehr zu mir selbst.

»Ja, das war sie«, bekräftigte Cathy. »Ich mochte sie sehr gern. Hier war immer etwas los. Mary war eine sehr gesellige alte Dame. Die Partys hier im Haus haben einen legendären Ruf.«

»Warum hat sie ausgerechnet mir das Haus vererbt?«, stellte ich Cathy die gleiche Frage, wie ich sie schon oft mit meinen Eltern erörtert hatte.

»Sie liebte dich und deine Mutter.« Cathy zuckte mit den Schultern. »Viel mehr Verwandte hatte sie nicht und deinem Vater und deinem Bruder wollte sie kein Stück mehr vererben als unbedingt nötig.«

Ich grinste. Meinen Vater kannte ich nicht, aber was Marc betraf, konnte ich Tante Mary gut verstehen.

»Aber jetzt komm hinunter«, schlug Cathy vor. »Du musst doch hundemüde sein. Ich habe die Vorratsschränke nur notdürftig gefüllt, aber für einen Kaffee reicht es. Möchtest du etwas essen?«

»Nein danke. Im Flugzeug gab es so viel, dass ich heute nichts mehr brauche.«

»Gut. Aber Kaffee trinkst du doch, oder?«

Eigentlich war ich kein Kaffeeliebhaber, doch eine Tasse würde vielleicht meine Lebensgeister wieder anregen. Ich bejahte also und folgte Cathy nach unten ins Esszimmer. Im Vorbeigehen sah ich, dass in allen anderen Räumen die Möbel mit großen Tüchern zugedeckt waren.

»Ich habe erst mal ein Zimmer hergerichtet«, erklärte Cathy. »Zu mehr hat die Zeit leider nicht gereicht. Du hättest deine Ankunft früher mitteilen sollen, dann hätte ich ordentlich putzen können.«

»Ach lass nur, das habe ich gar nicht erwartet«, winkte ich ab. »Ich bin sowieso froh, dass meine weise Mutter dir Bescheid gesagt hat, dass ich komme. Bis vor einigen Tagen wusste ich nämlich selbst noch nichts davon.«

»Ach.« Cathy, die mit der Kaffeemaschine hantierte, hielt inne und sah mich an. »Ein so überstürzter Entschluss?«

»Ziemlich«, gab ich zu.

»Wieso denn das? Bist du vor einem Mann geflüchtet?« Cathy nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben mich. Ihre braunen Augen musterten mich neugierig, während sie den Hut auf den Tisch warf und die langen Haare mit einer eleganten Bewegung nach hinten schleuderte.

»Nein, da gibt es gerade niemanden. Der einzige Mann, von dem mir der Abschied schwer fiel, ist mein Bruder.«

»Marc?« Cathy riss die Augen auf.

Ich musste lauthals lachen. Die Vorstellung war absurd. »Nein«, schnaufte ich, noch immer lachend. »Gott bewahre mich vor Marc.«

»Na, da bin ich ja beruhigt«, schmunzelte Cathy. »Du hast also noch einen Bruder? Stiefbruder?«

Ich nickte lächelnd.

»Aha, jetzt wird es interessant.« Cathy stellte Milch und Zucker auf den Tisch und holte die Kaffeekanne. »Ich glaube, wir haben uns eine ganze Menge zu erzählen. Wie heißt er?«

»Chris. Eigentlich Christian. Aber nur Marc hat ihn so genannt. Als Schimpfwort. Christian Fettkloß, sagte er ständig.« Ich musste kurz überlegen, um das Wort einigermaßen sinngemäß zu übersetzen. Mit dem normalen Englisch hatte ich keine Schwierigkeiten und mit dem Dialekt dieser Gegend hatte ich meine ersten Jahre verbracht, aber bei solchen Worten musste ich doch kurz nachdenken. Doch ehe ich es mich versah, hatte ich Cathy die ganze Geschichte von Chris, Marc und mir erzählt. »Wir hatten Mama gebeten, ihm nichts davon zu schreiben, dass Chris so in die Höhe schoss«, schloss ich meinen Bericht. »Sie war sowieso die Einzige, die den Kontakt zu ihm aufrecht erhielt.«

»Du magst ihn nicht besonders, oder?«

»Marc? Doch, sicher, ich liebe ihn. Ich kann ihn bloß nicht leiden.«

Cathy lachte. »Aber er ist dein Bruder, willst du damit sagen.«

»Er hat es nicht leicht gehabt. Irgendwie kann ich ihn sogar verstehen. Er war bei der Scheidung meiner Eltern schon zwölf. Es muss sehr hart für ihn gewesen sein, plötzlich den Vater und alle Freunde verlassen und in ein fremdes Land ziehen zu müssen.«

»Kann sein«, antwortete Cathy nachdenklich. »Aber gemein war er früher auch schon.«

»Hast du einschlägige Erfahrungen?«

»Ich kam mal dazu, wie er eine kleine Katze quälte, und ich habe ihm meine Fingernägel durchs Gesicht gezogen. Das hat er mir vermutlich übel genommen, denn mit der großen Freundschaft wollte es nie was werden.«

»Das klingt ganz nach Marc«, nickte ich und gähnte herzhaft. »Entschuldige, ich bin furchtbar müde.«

»Das ist klar. Du bist doch seit ewigen Zeiten auf den Beinen. Bei euch daheim ist es schon mitten in der Nacht.« Cathy stand auf. »Ich habe dir Marys Zimmer hergerichtet. Morgen komme ich herüber und helfe dir beim Aufräumen. Dann müssen wir auch unbedingt einkaufen gehen. Mit dem, was ich besorgt habe, kommst du nicht weit.«

»Das ist lieb von dir.« Ich konnte plötzlich meine Augen kaum noch offen halten.

»Geh schon rauf. Ich kümmere mich noch um das Geschirr.«

»Ach, lass es stehen. Die zwei Tassen kann ich morgen auch noch abspülen.« Ich brachte Cathy an die Tür. »Danke, Cathy.«

Sie drehte sich lachend um. »Wofür?«

»Dafür, dass wir immer noch Freundinnen sind.«

»Klar sind wir das. Wart’s nur ab, du wirst eine tolle Zeit hier haben.«

Langsam glaubte ich auch daran. So einsam und allein, wie ich befürchtet hatte, war ich nicht. Ich hatte bereits eine Freundin gefunden. Selten war mir ein Mensch auf Anhieb so sympathisch gewesen wie diese junge Frau mit dem fröhlichen Lachen. Plötzlich trat aus den Tiefen meiner Erinnerung ein Bild vor meine Augen. Das Bild von zwei kleinen Mädchen, die lachend auf einem Baumstamm saßen und sich gegenseitig mit Schokoladenpudding fütterten, wobei mehr Pudding in den Gesichtern landete als im jeweiligen Mund. Ich lächelte. Es war schade, dass ich nicht mehr Erinnerungen an meine Kindheit hier hatte, doch ich fühlte mich bereits zu Hause. Als ich mich in das weiche Doppelbett sinken ließ, dachte ich dankbar an Tante Mary, die mir all dies vermacht hatte.

4

Ich lag schläfrig im Liegestuhl auf der überdachten Veranda und döste vor mich hin. Seit knapp einer Woche war ich nun hier. Die Tage waren anstrengend gewesen. Mit Cathys Hilfe hatte ich den größten Teil des Hauses auf Vordermann gebracht. Wir hatten Schränke ausgeputzt, Fußböden geschrubbt und zentnerweise Staub gewischt. Ich wusste, wie die Waschmaschine funktionierte und hatte mich auch schon mit dem alten Kochherd angefreundet. Cathy hatte mich gefragt, ob ich das Telefon wieder anmelden wollte, aber das hatte ich verneint. Wen sollte ich hier denn anrufen? Marc? Im Moment war ich eher froh, dass er nicht wusste, dass ich hier war. Mit meinen Eltern und Chris hielt ich den Kontakt per E-Mail, was völlig ausreichend war. Nur der Fernseher hatte seinen Geist aufgegeben, aber das störte mich nicht besonders. Meine Tage waren auch so restlos ausgefüllt. Seit dem frühen Morgen war ich dabei, die völlig eingestaubten Fenster zu putzen, eine auf die Dauer ziemlich anstrengende Arbeit, weswegen ich mir gerade eine Pause auf der Veranda gönnte. Aber ich war zufrieden, wie gut ich vorankam. Was jetzt noch fehlte, war ein guter Elektriker, der mir einige Steckdosen und heraushängende Kabel reparieren konnte.

»Und ein guter Gärtner«, murmelte ich vor mich hin, als ich meinen Blick über den verwilderten Garten schweifen ließ.

»Führst du Selbstgespräche?«

Ich fuhr hoch. Cathy war vermutlich einfach über den Zaun gestiegen, deshalb hatte ich sie nicht gesehen.

»Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Macht nichts.« Ich deutete auf die Gartenmöbel, die ich gerade aufgestellt hatte. »Setz dich doch. Hast du denn keine Sprechstunde?«

Cathy strich sich die schwarzen Haare unter dem unvermeidlichen Schlapphut zurück. »Doch«, meinte sie achselzuckend, »nur keine Patienten.«

»Wieso? Sind die Hunde hier alle gesund?«

Cathy lachte, doch es klang etwas gezwungen. »Die Hunde nicht, aber die Konkurrenz.«

»Gibt es hier in Sedona so viele Tierärzte?«

»Im Ortskern ist eine völlig neue Tierklinik eröffnet worden. Eine Gemeinschaftspraxis von drei Tierärzten. Modernste Geräte. Dagegen kann ich natürlich einpacken. Über kurz oder lang muss ich mir was Neues überlegen. Vielleicht modernisieren. Weißt du, ich denke manchmal …«

»Wieso bist du ausgerechnet Tierärztin geworden?«, fragte ich sie neugierig. Cathy sah mich an. Ein kaum wahrnehmbarer Schatten huschte über ihr Gesicht.

»Ach, das lag nahe«, meinte sie dann. »Ein Tiernarr war ich schon immer. Mit Tieren komme ich besser aus als mit manchen Menschen.«

»Du würdest gut zu Marc passen«, grinste ich.

»Hör bloß auf.« Cathy verdrehte die Augen. »Der Junge ist nicht so ganz nach meinem Geschmack.«

»Mach ihn nicht so schlecht. Vielleicht hat er sich seit damals gebessert.« Warum um alles in der Welt verteidigte ich Marc? Ich wunderte mich über mich selbst. Trotzdem fuhr ich fort. »Es ist schließlich eine Ewigkeit her, seit du ihn gesehen hast.«

»Nicht so lang, wie du denkst. Er war vor ein paar Jahren mal hier.«

»Was?« Ich fuhr in die Höhe. »Wann?«

»Ach, ich weiß nicht genau. So vor vier, fünf Jahren vielleicht.«

»Interessant. Und was wollte er hier?«

»Sich einschmeicheln, nehme ich an. Es war nach Marys erstem Herzinfarkt. Er hat das Erbe gerochen.«

»Meinst du?« Es passte zu Marc, trotzdem war ich weiterhin bereit, ihn zu verteidigen. Mir selbst tat es furchtbar leid, dass ich keine Gelegenheit gehabt hatte, die Beziehung zu meiner Großtante aufzufrischen. Möglicherweise hatte Marc genau das getan, bevor es zu spät war. Doch als ich Cathy von meiner Vermutung erzählte, gab sie einen Laut von sich, der zwischen Schnauben und Lachen lag. »Das glaubst du doch selbst nicht. Er hatte zwar bessere Manieren als früher, aber Ekel bleibt Ekel. Tut mir leid, aber dein Bruder ist absolut nicht mein Fall. Und Marys auch nicht. Sonst hättest du dieses Haus wahrscheinlich nicht bekommen.«

»Stimmt.« Mit Schaudern erinnerte ich mich an Marcs Wutausbruch, als er von meiner Erbschaft erfahren hatte. Er hatte von Los Angeles aus angerufen und dabei so geschrien, dass unsere Mutter den Hörer zwanzig Zentimeter von ihrem Ohr entfernt halten musste.

»Ich bin froh darüber.« Cathy lächelte mich warm an. »Marc als Nachbar wäre furchtbar.«

»Und ich?«

»Wir sind immer noch Freundinnen. Ich freue mich, dass du eine Weile hier bleibst. Was willst du übrigens mit dem Garten machen?«

»Eine gute Frage. Es würde mir Spaß machen, hier Gemüse zu pflanzen und Blumen zu setzen. Nur wofür? Wenn ich weg bin, verwildert wieder alles.«

Cathy nickte. »Um den Rasen solltest du dich allerdings kümmern.«

»Ich weiß. Aber für heute habe ich mir die Fenster vorgenommen. Vielleicht morgen.«

Cathy machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Ich sollte dir sagen, dass der Rasenmäher kaputt ist. Er hat einfach den Geist aufgegeben.«

»Vielleicht kriege ich ihn wieder in Schuss«, murmelte ich undeutlich, denn ich konnte nur noch mit Mühe die Augen aufhalten.

»Du?« Cathys Miene war ein einziges Fragezeichen.

»Ja, ich. Ich habe durchaus ein wenig technisches Geschick.« Richey war nie der Meinung gewesen, dass Mädchen nicht zu wissen bräuchten, wie ein Gerät von innen aussah und hatte mir allerhand gezeigt. Ich war auf diesem Gebiet nicht sonderlich begabt, aber durchaus imstande, einen Defekt zu erkennen und manchmal auch zu reparieren. Cathys erstaunter Miene nach zu urteilen, besaß sie dieses Talent nicht.

Als wir ein lautes Bellen hörten, stand sie auf. »Ein Patient«, seufzte sie. »Ausgerechnet jetzt.«

»Ist doch gut, wenn Arbeit kommt.«

»Aber ich wollte dir doch helfen.«

»Kannst du später auch noch.« Es war schade, dass Cathy gehen musste. Ich war gerne mit ihr zusammen und sie hätte es mit ihrer Energie vermutlich geschafft, mich aus meiner momentanen Trägheit zu reißen. Aber ihre Arbeit hatte immer noch Vorrang.

Erst nach einer Stunde quälte ich mich aus meinem Stuhl. Meine Lust, die Fenster zu putzen, war völlig verflogen. Stattdessen holte ich den uralten Benzinrasenmäher aus der Garage. Cathy hatte mich neugierig gemacht. Ich wollte wissen, was an dem Gerät nicht funktionierte. Meine Geduld und meine mageren technischen Kenntnisse wurden jedoch auf eine harte Probe gestellt. Ich war kurz davor, den Mäher mit einem derben Stoß zurück in die Garage zu befördern, als ich auf der Straße ein gleichmäßiges Tuckern hörte. Ein beigefarbenes Wohnmobil mit einigen bunten Streifen auf der Seite fuhr langsam an Cathys Grundstück vorbei und verschwand aus meinem Blickfeld, als es um die Ecke bog. ›Hat sich wohl verfahren‹, dachte ich mit einem Schulterzucken. Mit einem bösen Blick sah ich wieder den Rasenmäher an. Mit der mir eigenen Sturheit wollte ich unbedingt die Ursache finden, warum er nicht ansprang, aber ich musste erkennen, dass mir hierbei Grenzen gesetzt waren. Ich ärgerte mich, dass ich mich geschlagen geben musste und spürte, dass mein Blick dabei immer finsterer wurde.

»Kann ich helfen?«

Erschrocken sah ich hoch. Am Gartenzaun stand ein junger Mann und lachte mich freundlich an. Für einen Moment war ich verwirrt und der verärgerte Blick klebte regelrecht in meinem Gesicht. Wo kam der denn auf einmal her?

»Ups!« Der Fremde lächelte, was ein kleines Grübchen in seiner Wange erscheinen ließ. »Werden Besucher hier erschossen?«

»Nicht sofort.« Mein Gesichtsausdruck wurde automatisch freundlicher, als ich sein entwaffnendes Lächeln sah. »Wenn sie helfen wollen, kriegen sie eine Chance. Verstehst du dich auf unwillige Rasenmäher?«

»Möglich.« Mühelos schwang er sich über den Gartenzaun.

Ich trat zurück und ließ ihn an das Gerät.

»Ist Benzin drin?«, fragte er, während er sich ins Gras kniete.

»Natürlich«, antwortete ich leicht pikiert.

»Entschuldigung. Sollte keine Beleidigung sein.« Er grinste mich von unten her an.

Ich beobachtete den Fremden, wie er an dem Rasenmäher hantierte. Er war ungefähr in Chris’ Alter, ebenfalls blond, groß, wenn auch nicht ganz so groß wie mein Bruder. Lächelnd schüttelte ich den Kopf, als mir auffiel, dass ich alle Männer, die mir begegneten, an Chris maß. Trotzdem gefiel mir, was ich sah. Sein Körper war schlank und muskulös und von der Sonne gebräunt. Eine feine weiße Narbe zog sich über seine rechte Wange und gab dem ansonsten gleichmäßig geschnittenen Gesicht ein verwegenes Aussehen. Die Tatsache, dass er sich anscheinend seit ein paar Tagen nicht rasiert hatte, unterstrich diesen Eindruck noch. Die dunkelblonden Haare ringelten sich in seinem Nacken und einige Strähnen fielen ihm in die Stirn, was unbeschwert und jungenhaft wirkte. Unwillkürlich begann mein Herz schneller zu schlagen.

»Mein Name ist übrigens David Hanford«, sagte er zu dem Rasenmäher.

»Ich heiße Jessica Fehrmann«, antwortete ich und machte einen Schritt zurück, als der Motor ansprang.

»Na also.« David freute sich sichtlich, dass es ihm gelungen war, die Maschine zum Laufen zu bringen. »Und jetzt?«, wandte er sich mir zu. »Soll ich den Rasen für dich mähen?«

Ich war erstaunt. Es war noch nicht oft vorgekommen, dass mir ein fremder Mann so selbstlos seine Hilfe angeboten hatte. Noch nie, um genau zu sein.

»Ich kann aber nicht viel bezahlen«, erklärte ich.

»Wie wäre es mit einem Abendessen? Meine Vorräte sind zurzeit ein wenig knapp.«

»Ach, gehört dir das Wohnmobil, das ich vorhin gesehen habe?«, kombinierte ich.

»Hmm, ja. Ich bin sozusagen auf der Durchreise.« Er lächelte mich entwaffnend an. »Also wie steht’s mit unserem Deal?«

Ich überschlug in Gedanken den Inhalt meines Kühlschranks. Das wäre kein Problem. Aber sollte ich wirklich einen wildfremden Mann zum Essen einladen? Ein netter Kerl schien er ja zu sein. Aber gerade deshalb. Er gefiel mir und plötzlich wurde mein Mund trocken. Meine letzte Begegnung mit einem sympathischen jungen Mann lag schon eine Weile zurück. Aber ich konnte ja zur Sicherheit auch Cathy dazu bitten.

»Na gut. Rasen mähen für ein Abendessen. Ist ein faires Angebot.«

»Prima. Dann fang ich am besten gleich mal an.«

»Einverstanden.« Ich sah David noch eine Weile zu, dann wusste ich, dass mein Garten bei ihm in den besten Händen war. Ich wurde verlegen, weil ich ihm so prüfend nachsah, und ging hinein. David. Der Name gefiel mir. Und er sah wirklich verteufelt gut aus. Der Abend konnte durchaus interessant werden.

Ich kehrte zu meinen Fenstern zurück. Von hier hatte ich einen ausgezeichneten Blick auf den vorderen Teil des Gartens. Ich ertappte mich dabei, dass ich David anstarrte. Er hatte das Hemd ausgezogen und ich bewunderte seine kräftigen Oberarme. Sein Körper war gut proportioniert. Durchaus ein Mann, der mein Interesse wecken könnte, dachte ich, um mir anschließend einzugestehen, dass das besagte Interesse längst schon geweckt war.

5

Ich deckte gerade den Tisch, als David hereinkam. »›Ich würde mich gerne waschen«, sagte er und fuhr sich durch die Haare. »Ich bin total verschwitzt.«

»Kein Wunder, bei der Hitze. Das Badezimmer ist oben. Die letzte Tür rechts. Du kannst auch duschen. Nimm einfach ein Handtuch aus dem Schrank.«

»Mach ich. Danke.«

Hatten wir uns wirklich erst vor zwei Stunden kennengelernt? Kopfschüttelnd ging ich zum Herd zurück. Es kam mir viel länger vor.

Wir saßen schon einige Minuten beim Essen, als Cathy hereingewirbelt kam. »Entschuldigt bitte, ich wurde noch aufgehalten.« Sie stutzte, als sie meinen Gast sah und starrte ihn verwirrt an. »David?«, fragte sie dann zögernd.

David grinste breit und stand auf. »Hallo Cathy. Wie schön, dich zu sehen.« Er freute sich anscheinend diebisch über ihr verdattertes Gesicht. Wobei meine Gesichtszüge mit Sicherheit weit mehr entgleist waren als Cathys. Woher kannten sich die beiden?

»David!« Mit einem Freudenschrei fiel Cathy ihm in die Arme. Ich begriff gar nichts mehr. Dann fielen mir Cathys Worte über die Rennbahn in meinem ehemaligen Zimmer ein: »Ach, die gehörte David.« Meine neue Bekanntschaft hatte mir anscheinend einiges verschwiegen. Und sein Auftauchen hier war vermutlich kein Zufall. Ich seufzte innerlich. Da hatte ich doch tatsächlich angenommen, dass er mir seine Hilfe um meinetwillen angeboten hatte.

»Was tust du denn hier?«, fragte Cathy gerade. Ihr Gesicht war vor Freude gerötet und das Strahlen in ihren Augen hätte eine Christbaumbeleuchtung ersetzen können.

»Ach, ich will mal wieder zum Grand Canyon rauf, und hielt es für eine gute Gelegenheit, hier vorbeizuschauen und unsere Freundschaft aufzufrischen.«

»Guter Gedanke«, pflichtete Cathy bei. »Und du hast dich schon mit Jessica bekannt gemacht?«

»Ja, auch wenn er verschwiegen hat, dass er in diesem Haus anscheinend nicht so ganz fremd ist«, mischte ich mich ein und konnte zu meinem eigenen Ärger einen leicht spitzen Ton nicht unterdrücken.

»Ich hoffe, du bist nicht sauer.« David sah mich entschuldigend an. »Ich wusste ja nicht, ob du schon mal von mir gehört hast. Ich dachte mir, für Erklärungen ist auch später noch Zeit.«

»Ich bin nicht sauer«, behauptete ich. Trotzdem sah ich nicht hoch, sondern beschäftigte mich damit, Cathy einen Teller mit Essen herzurichten. Nein, ich war nicht sauer, gestand ich mir selbst ein, aber vielleicht eifersüchtig? Die Vertrautheit, mit der David und Cathy sich unterhielten, versetzte mir einen Stich. Dabei ging es mich doch überhaupt nichts an. Ich sollte mich eher für Cathy freuen, die von David gerade bewundernd gemustert wurde.

»Als ich zum letzten Mal hier Ferien machte, warst du ein fünfzehnjähriger Teenager«, sagte er, während er sich wieder an den Tisch setzte und seinen Teller heranzog. Schelmisch sah er zu Cathy, die ebenfalls Platz nahm. »Damals hätte ich nicht gedacht, dass du dich mal so rausmachst.«

»Hast du mich denn für hässlich gehalten?« Cathy zog die Augenbrauen hoch und dankte mir mit einem Nicken für ihren Teller.

»Nein, das nicht, aber du warst eben noch ein Kind.«

»Gib nicht so an, David Hanford. Du bist gerade mal zwei Jahre älter als ich. Außerdem ist das zwölf Jahre her. Ich hätte wirklich gedacht, dass du wenigstens zu Marys Beerdigung kommst.« Ein leiser Vorwurf schwang in Cathys Stimme mit. »Ich habe dir doch von ihrem Tod geschrieben.«

»Ja, und dafür danke ich dir. Aber ich hatte gerade in New York zu tun und hätte es zeitlich nicht rechtzeitig geschafft. Ich wäre gern gekommen, um Mary die letzte Ehre zu geben. Du weißt doch, was sie mir bedeutet hat.« David wandte sich mir zu. »Kann ich noch mal was haben? Du kochst gut.«

»Danke.« Ich kam mir ein wenig ausgeschlossen vor als Neuling unter diesen alten Freunden. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass Cathy mehr für David empfand als nur Freundschaft. Aber vielleicht war das auch gut so, denn es würde meinen eventuell aufkeimenden Gefühlen gleich einen Riegel vorschieben. Ich konnte hier schließlich keine Beziehung anfangen, wenn ich in ein paar Wochen wieder nach Hause fuhr. Ich schnaubte unhörbar in mich hinein. Ich kannte David gerade ein paar Stunden und schon spukten mir Wörter wie Beziehung im Kopf herum. Nur gut, dass mich die beiden anderen kaum beachteten und die leichte Röte nicht sahen, die ich auf meinen Wangen fühlte.

»Wie lange bleibst du?«, fragte Cathy gerade.

»Eigentlich wollte ich morgen wieder weiter. Es kommt drauf an, ob ihr mich bittet, zu bleiben.« Mit einem frechen Grinsen, das ihn unglaublich anziehend machte, pendelte Davids Blick zwischen Cathy und mir hin und her.

»Verstehst du was von Strom?«, wollte ich wissen.

»Ich bin kein Elektriker, wenn du das meinst. Aber für den Hausgebrauch reicht es.«

»Ich habe da ein paar Leitungen, die erneuert werden müssten, und einige Steckdosen funktionieren nicht mehr. Du kannst dir noch ein Essen verdienen.«

»Abgemacht. Ich werde mich drum kümmern.«

Ein Telefon läutete. Cathy zog ihr Handy hervor und meldete sich. Sie hörte einen Moment zu, dann stand sie auf. »Ich komme sofort. Führen Sie es herum. Es darf sich auf keinen Fall hinlegen.« Sie steckte ihr Smartphone weg. »Tut mir leid, Freunde, ich muss weg. Ein Pferd mit Kolik. Schafft ihr es auch ohne mich?«

»Kaum. Aber es wird gehen«, sagte David mit sichtlichem Bedauern. »Ich komme morgen mal auf einen Sprung bei dir vorbei.«

Als Cathy gegangen war, schien sich eine unangenehme Stille im Raum auszubreiten. Ich war verlegen.

»Tut mir leid, dass ich nicht gleich erzählt habe, dass ich schon ein paar Mal hier war«, entschuldigte David sich.

»Macht nichts«, wehrte ich ab. »Du hast ja recht mit dem, was du vorhin gesagt hast.« Wir verstummten wieder. Warum war es plötzlich so schwer, ungezwungen miteinander zu reden?

»Was macht denn deine Familie so?«, fragte David. Auch er schien nach Gesprächsstoff zu suchen.

Froh, ein Thema zu haben, erzählte ich bereitwillig von meiner Mutter und Richey, Chris und Marc. David hörte aufmerksam zu, interessierte sich auch für die mageren Details, die ich über meinen leiblichen Vater zu bieten hatte. Ich sprach auch von diesem Haus, das ich geerbt hatte, weil Tante Mary meinen Vater nicht leiden konnte, der als ihr Neffe in der Erbfolge vor mir stand und auch, dass sie Marc ausgeschlossen hatte. Über dessen Neid hatte ich mich anfangs diebisch gefreut, doch seitdem verfolgte Marc mich mit einem Hass, der mich ängstigte. Und das wegen eines Hauses, von dem ich immer noch nicht wusste, was ich in Zukunft mit ihm anfangen sollte.

Unterdessen hatten wir den Tisch abgeräumt und begonnen, das Geschirr zu spülen. Was ich in diesem Haus wirklich vermisste, war eine Spülmaschine, doch es hatte keinen Sinn, für meinen Aufenthalt eine anzuschaffen. »Und was machst du so?«, erkundigte ich mich, während ich die fettige Pfanne schrubbte. »Beruflich, meine ich.«

»Ach, eigentlich nichts Bestimmtes. Meistens bin ich unterwegs.«

»Aber du musst doch einen Job haben?«

David wich meinem fragenden Blick aus und konzentrierte sich auf die Teller, die er abtrocknete. »Warum? Ich komme ganz gut zurecht. Ein paar Gelegenheitsarbeiten hier, Rasen mähen da, es lebt sich ganz gut, wenn man auf Achse ist.«

»Das glaube ich nicht.« Es störte mich, dass David keine Lust auf eine geregelte Arbeit zu haben schien. In meiner Familie hatte sich jeder um einen guten Beruf bemüht, für mich gehörte das einfach dazu. Meine Vorstellung von David sah auch einen ordentlichen Job vor. Doch er schien sich nicht an meine Vorstellungen zu halten.

»Und was tust du, wenn du zu alt zum Herumreisen bist?«

»Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist.«

Ich war enttäuscht. Ich hatte Vertrauen zu David gefasst und ihn als verantwortungsbewusst eingeschätzt, doch das schien er nicht zu sein.

»Schlimm?«, fragte er mich mit einem kleinen Lächeln.

»Nein«, log ich. »Es geht mich auch nichts an. Woher kommst du?«

»Aus Tucson. Meine Mutter wohnt da in einem Seniorenheim. Ich habe sie gerade mal wieder besucht. Es geht ihr nicht besonders gut.«

»Ist sie krank?«

Ich konnte förmlich sehen, wie sich Davids Miene verschloss. »Lass uns ein anderes Mal darüber reden, ja? Ich bin müde.« Er hängte das Geschirrtuch an den Haken und verabschiedete sich. »Ich schaue morgen Vormittag mal nach deinen Steckdosen. Gute Nacht.«

Schon war er verschwunden. Ich konnte kaum seinen Gruß erwidern. Mit gemischten Gefühlen sah ich auf die Tür, die er hinter sich geschlossen hatte. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Wir hatten uns doch ganz gut unterhalten, erst bei der Frage nach seiner Mutter war er so abweisend geworden. Stirnrunzelnd ging ich nach oben. David beherrschte meine Gedanken schon mehr, als ich zugeben wollte.

Obwohl ich müde war, konnte ich lange nicht einschlafen. Immer wieder spukte mir David im Kopf herum. Dieser Mann hatte mich beeindruckt. Ich wusste so wenig von ihm und wollte doch alles erfahren. Er schien so offen und ehrlich zu sein und hatte doch etwas Rätselhaftes an sich. Aber vielleicht bildete ich mir das nur ein.

Als ich endlich in einen leichten Schlaf fiel, hatte ich einen verworrenen Traum. Chris umarmte mich und versuchte, mich zu küssen. Ich wehrte ihn ab. »Lass das, spinnst du denn?«, protestierte ich, doch er drückte mich nur noch fester gegen seine Brust. Als ich ihn von mir wegstieß, begann er sich zu verändern. Seine Haare wurden länger, unordentlicher und etwas dunkler, die blauen Augen rauchgrau, das Gesicht kantiger und aus dem Nichts wuchs ihm plötzlich ein Dreitagebart. »Gefalle ich dir so besser?«, fragte er mich lächelnd.

Mit klopfendem Herzen fuhr ich hoch. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich beruhigt hatte. Was für ein seltsamer Traum. Chris hatte sich in David verwandelt. Dabei sahen sich die beiden Männer nicht mal ähnlich. David war kompakter und derber als Chris, der trotz seiner Größe nicht besonders kräftig wirkte. Davids Hände waren das Zupacken gewohnt und die Schwielen, die ich bei seinem Händedruck gefühlt hatte, kamen wohl von den verschiedenen Gelegenheitsarbeiten, von denen er mir erzählt hatte. Chris sah man seine Kraft nicht an. Seine Hände waren schmal und feingliedrig, wie geschaffen für einen Arzt.

Ich schüttelte den Kopf und versuchte zu ergründen, warum David mich so beeindruckte. Lag es an seinem Äußeren? Ich hatte schon schönere Männer gesehen, die mich völlig kalt ließen. Lag es an seiner Art, dem schiefen Lächeln, bei dem die oberen Zähne zu sehen waren, oder einfach nur daran, dass er zur Stelle gewesen war, als ich Hilfe benötigt hatte? Ich wusste nur, dass dieser Mann mir gefiel und ich ihn gern näher kennenlernen wollte. Doch Cathy schien ebenfalls ein Interesse an ihm zu haben. Es war für mich ausgeschlossen, meiner Freundin in die Quere zu kommen. Und doch. Als ich mich in der nächsten Stunde verzweifelt bemühte, Schlaf zu finden, stand ständig Davids lächelndes Gesicht vor meinem inneren Auge.

6

Es war schon nach zehn Uhr, als ich mich zum Frühstück setzte. Übernächtigt, wie ich war, hatte ich keinen großen Hunger und rührte nur nachdenklich in meinem Tee herum.

»Guten Morgen, Jessica. Ausgeschlafen?«

Die muntere Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Unvermittelt begann mein Herz schneller zu klopfen. Ich kaschierte es mit einem Lächeln.

»Morgen, David. Setz dich. Du hast hoffentlich besser geschlafen als ich.«

»Es ging.« David gähnte demonstrativ, als er sich einen Stuhl nahm.

»Magst du Frühstück? Ich könnte dir schnell etwas richten.«

»Nein danke, ich habe schon bei Cathy gegessen.«

»Ach so.« Ich war erstaunt, dass mir diese kurze Mitteilung einen Stich versetzte. Was hatte ich denn erwartet? Dass er lieber mit mir frühstücken würde?

»Du magst Cathy wohl sehr?«, fragte ich ihn nebenbei und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie brennend mich seine Antwort interessierte.

»Mhm, ja, ich mochte sie schon immer. Sie war nie so zickig wie andere Mädchen in dem Alter.« David runzelte die Stirn. »Es ist nicht fair, dass sie solche Probleme hat.«

»Cathy hat Probleme?« Ich war erschrocken. »Was ist denn los?«

»Ihre Praxis geht nicht mehr so gut.«

»Ja, das hat sie mir erzählt. Ich hatte allerdings nicht den Eindruck, dass es wirklich kritisch ist.«

»Noch nicht. Aber ihr laufen immer mehr Kunden davon. Hat sie dir von dieser neuen Tierklinik mit den modernen Geräten und dem ganzen Ärztestab erzählt? Da kann Cathy nicht mithalten.«

»Sie hat es erwähnt, aber eher am Rande.« Ich erinnerte mich, dass ich vor Müdigkeit kaum zugehört hatte, was Cathy mir am Vortag erzählt hatte. Vielleicht hatte sie mir ihre Nöte anvertrauen wollen und ich hatte vom Thema abgelenkt. Betroffen dachte ich daran, wie ich ihr ins Wort gefallen war.

David schien von meinem Gewissenskonflikt nichts zu bemerken. »Cathy hat schon eine Stelle als Assistentin in dieser Klinik angeboten bekommen«, fuhr er fort. »Aber das wäre für sie ein Abstieg. Natürlich würde sie am liebsten selbständig bleiben. Doch in Sedona gibt es keine Zukunft mehr für sie. Ihre Eltern haben ihr vorgeschlagen, zu ihnen zu ziehen.« David zog die Augenbrauen hoch, als er sah, dass ich keine Ahnung hatte, wovon er sprach. »Sie leben inzwischen irgendwo im Mittelwesten«, erklärte er mir. »Cathy würde sie sehr gerne öfter sehen, aber dort müsste sie wieder ganz von vorn anfangen. Außerdem gehört das Haus jetzt ihr und sie möchte es ungern aufgeben.« David zuckte mit den Schultern. »Irgendwann in der nächsten Zeit muss sie sich entscheiden, und das gefällt ihr gar nicht. Deswegen schiebt sie es immer weiter hinaus.« Abrupt wechselte er das Thema. »Habe ich mich gestern eigentlich für das Essen bedankt?«

»Nein, du bist ziemlich schnell verschwunden.« Es war nicht als Vorwurf gedacht, aber ich konnte mir die Worte nicht verkneifen.

»Tut mir leid. Habe ich dich damit gekränkt?«

Ich überging die Frage. »Du sprichst nicht gern über deine Familie, oder?«, fragte ich stattdessen.

»Ich habe nur meine Mutter.«

»Und dein Verhältnis zu ihr ist nicht besonders gut. Oder täusche ich mich?«

Davids Miene verzog sich schmerzlich. »Ich rede wirklich nicht gern darüber, Jessica. Lass mir Zeit. Irgendwann erzähle ich es dir.«

»Irgendwann?«, wiederholte ich fragend. »Ich dachte, du willst heute schon wieder weiter?«