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Alexander ist eigentlich kein Draufgänger, nur vielleicht etwas unüberlegt. Aber genau deswegen haben ihm die Insel-Löwen die Flaschenpost zu verdanken. Und Felix natürlich, der sie im Dunkeln einpackte und nicht in dem Kanalrohr zurück ließ. Marie ist so etwas wie die Anführerin der Insel-Löwen. Sie ist unerschrocken, natürlich auch im Dunkeln. Ganz im Gegensatz zu Anne. Die ist etwas schüchtern und ein bisschen ängstlich - oder vorsichtig, wie die anderen immer sagen. Alle vier sind zehn Jahre alt und gehen in eine ziemlich normale Schule. Gerade das ist aber das Besondere: gewöhnlich müssen nämlich Kinder wie Felix, die nicht gut sprechen oder nur langsam lernen, aber auch solche wie der geniale Eule, den ihr noch kennenlernen werdet, auf Sonderschulen, oft weit von ihrem Wohnort entfernt. Dort treffen sie keine Kinder wie Marie, Alexander und Anne und können natürlich auch keine Bande mit ihnen bilden. Die Geschichte von den Insel-Löwen, beruht auf vielen wirklichen Begebenheiten: Es gab Zoltan, die Burg und die Schulen. Wenn ihr nachforscht, werdet ihr feststellen, dass sich alles so zugetragen haben könnte, wie es hier zu lesen ist, auch wenn ich nicht für jede Einzelheit garantieren kann. Und sicher würdet ihr Felix und die anderen Insel-Löwen wiedererkennen, falls sie euch begegnen, auch wenn alle vielleicht inzwischen älter geworden sind. Nur der Schrei, mit dem alles begann, ist bereits verklungen ...
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Seitenzahl: 105
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Im Andenken an
Robert
der nur 10 Jahre wurde,
aber immer in unseren Herzen bleiben wird
Dunkelheit
Alter Baum
Flaschenpost
Pergament
Schriften
Eule
Kinnings
Forschung
Zoltan
Ferienlager
Boah
Vorbereitungen
Zählerei
Schatzkammer
Mut
Schatz
Nachwort
„Hilfe! Felix! Hiiiilfe!” schreit Alexander, bis seine Stimme fast versagt.
Der Schmerz in seinem rechten Bein ist so stark, dass ihm die Tränen aus den Augen schießen. Wimmernd tastet er sein Bein ab, fühlt etwas Hartes, Kaltes, dessen eiserne Zähne sich in seinen Unterschenkel bohren. Erkennen kann er in der Dunkelheit nichts.
Allmählich weicht der Schreck aus seinem Kopf. Er überdenkt seine Lage. Immerhin: Die Flasche hat er. Sein Handy funktioniert in diesem Dreckloch nicht. Er ist nicht allein, denn draußen hockt Felix, der sicherheitshalber zurückgeblieben ist. Aber wie kann er ihm sagen, was nun zu tun ist? Er weiß nicht, ob er ihn hört, auch nicht, ob er versteht, was er ihm zuruft.
Seine Hand hat jetzt eine Kette gefunden, an der das Eisen befestigt ist. Er muss in ein Fangeisen getreten sein, in eine Falle, mit der Trapper gewöhnlich Füchse, Biber oder Waschbären fangen, fällt ihm ein. Aber hier am Flusslauf der Oker gibt es keine Trapper und auch keine Biber. Warum hat also hier im Kanalrohr jemand ein Fangeisen ausgelegt?
‚Ratten!‘, schießt es ihm durch den Kopf. Er gerät in Panik und schreit vor lauter Angst so laut auf, dass seine Stimme sich überschlägt.
„Felix! Komm her! Komm her! Bitte! Komm her!”
Verdutzt starrt Felix in das große Kanalrohr, in dem Alexander gebückt verschwunden ist. Eine Weile noch hat er das Matschen von Alexanders Schuhen im Schlamm gehört. Felix denkt, er habe sich vielleicht getäuscht; doch jetzt hört er die Rufe seines Freundes wieder und wieder. Er lauscht in den Eingang des Kanalrohres hinein. Alexander hat gesagt, er solle am Eingang sitzen bleiben. Jetzt ruft er nach ihm, und seine Stimme klingt sonderbar. Felix runzelt die Stirn.
„Ich sitzen, jaaah! Reingehen, nein, nein.”
Trotzdem macht er zwei Schritte in das dunkle Rohr hinein und presst seinen Rücken an die kühle Betonwand. Seine Zähne knirschen so laut, dass es ihm selbst bewusst wird. Wieder dringt Alexanders Rufen zu ihm heraus. Felix überlegt.
„Alex drin, hmm“, sagt er zu sich selbst. „Alex ruft, jahah! Ich tomme, ach so.”
Vorsichtig geht er zwei Meter weiter. Er spürt, wie die Nässe in seine Schuhe dringt, als er in den Schlamm tritt. Der Boden ist rutschig. Seine Augen gewöhnen sich allmählich an das Dämmerlicht. „Matsch, ach so“, spricht er mit sich selbst. „Alex ruft, hmm.”
Immer noch mahlen seine Zähne aufeinander.
Minuten vergehen und nichts ist mehr zu hören.
Felix weiß nicht, was er tun soll.
Da hört er erneut Alexanders Rufe.
„Bitte! Bitte! Felix!”
„Ich geh´ rein, ach so“, entschließt sich Felix und geht nun ohne zu zögern mit einer Hand an der Rohrwand weiter und weiter in die Dunkelheit. „Alex, ich tomme!”, ruft Felix seinem Freund zu.
Alexander hört, wie Felix näher kommt. Endlich! Dann spürt er Felix´ Hand.
„Ich bin so froh, dass du da bist!“ stöhnt er. Dann dreht er ihn in die Richtung, aus der beide gekommen sind, und redet mit bebender Stimme auf ihn ein: „Felix, geh zu Marie! In die Hütte. Sag ihr, dass mein Bein kaputt ist. Holt Hilfe! Marie ist in der Hütte! Geh zu Marie! Mein Bein ist kaputt! Verstanden?”
Felix nickt und wiederholt: „Marie gehen. Hütte. Bein kaputt. Holt Hilfe.”
Alexander gibt ihm einen kleinen Schubs und sagt: „Gut. Dann geh los.”
Langsam entfernen sich die Schritte, und das matschende Geräusch verklingt. Alexander ist wieder allein in der Finsternis. Er lehnt sich zurück an die Wand, schließt die Augen und versucht, nicht mehr an Ratten zu denken. Schließlich verliert er das Bewusstsein.
Die Hütte ist für jeden, der nichts von ihr weiß, unauffindbar. Sie befindet sich in der Mitte einer Insel, die auf drei Seiten von den Armen eines Flusses, der Oker, umgeben ist. Hier erreicht man die Insel über eine Brücke. Die vierte Seite der Insel wird durch einen hohen, eisernen Zaun begrenzt, den man durch ein großes Portal passieren kann. An beiden Zugängen halten steinerne Löwen Wache und mustern jeden beim Betreten der Insel eindringlich.
Auf der Insel steht eine uralte Platane und breitet ihre weit ausladenden Äste fast bis zum Springbrunnen hin aus. Innerhalb des mächtigen, hohlen Stammes der Platane befindet sich die Hütte, zu der Felix unterwegs ist. Hier haben die Insel-Löwen Marie, Anne, Felix und Alexander ihr Hauptquartier für ihre Streifzüge an der Oker.
Marie sieht Felix schon, als er durch das eiserne Portal des hohen Zaunes schreitet. Sie ist ziemlich sauer, weil sie sich für drei Uhr verabredet hatten und die Sonne jetzt schon fast im Westen steht. Also hat sie mindestens zwei Stunden in der Hütte gesessen und gewartet. Wenn sie eines hasst, dann solche Unzuverlässigkeit ihrer Löwen.
Aber warum kommt Felix allein? Er darf sonst nur mit einem von ihnen von zu Hause fortgehen, weil seine Eltern Angst haben, dass er sich allein verläuft oder gar unters Auto kommt.
Marie spürt, dass etwas nicht stimmt. Felix hält oft an und scheint mit sich selbst zu sprechen. Das macht er immer dann, wenn er sich auf etwas zu konzentrieren versucht.
Tatsächlich redet Felix wieder leise vor sich hin: „Alex´ Bein kaputt, jaaah! Marie ist in Hütte, ach so! Die Blumen sind schön. Ich rieche.”
Er hockt sich hin und betrachtet die Löwenzahnblüten.
„Ich muss Hilfe holen, oh ja.”
Er sieht einem Schmetterling nach und erblickt in der Ferne die große Platane.
„Alter Baum, ach ja! Marie ist in alter Baum.”
Langsam läuft er weiter, fasst wie immer dem Wächter-Löwen ins Maul, geht an der Fontäne vorbei und erreicht schließlich die Hütte, vor der Marie schon auf ihn wartet.
„Wo bleibt ihr denn?” ruft Marie Felix zu.
„Hallo, Marie!” antwortet Felix und winkt ihr zu. Felix hat in diesem Augenblick hinter Marie Anne entdeckt und begrüßt sie winkend: „Hallo, Anne!”
Marie blickt sich um und sieht Anne über den Trampelpfad vom Schildkrötenbaum nahe der Brücke herauf kommen.
Als die drei beisammen sind, berichtet Felix, dass Alexanders Bein kaputt ist und er in der schwarzen Röhre steckt. Die beiden Mädchen verstehen zunächst nicht, was Felix meint; schließlich fällt Marie ein, dass sie einmal mit ihrem Floß einen Seitenarm der Oker befahren haben, der am alten Amtsgericht in einem großen Kanalisationsrohr verschwindet.
„Anne”, sagt Marie sehr bestimmend, „Du suchst eine Telefonzelle und rufst die Feuerwehr an. Sie soll zur Okerbrücke am Gaußberg kommen. Dort wartest du auf sie und führst sie zu uns. Ich gehe mit Felix hinunter zum Rohr und versuche, Alexander herauszuholen. Nun los, worauf wartest du noch?”
Sie streckt Anne und Felix ihren Arm mit der Handfläche nach oben entgegen und beide schlagen ein. Dann eilen sie ihren Zielen entgegen.
„Ist es hier?” fragt Marie, als sie an dem großen Kanalrohr ankommen. Nach der Beschreibung von Felix müsste es der Ort sein, an dem Alexander den Unfall hatte. Sie blickt zum Himmel. Immerhin wird es noch nicht dunkel. Soll sie allein hineingehen? Soll sie Felix mitnehmen? Sollen sie lieber Hilfe abwarten? Was, wenn jede Minute zählt? Sie beißt sich auf die Unterlippe und überlegt kurz, was schief gehen kann bei dem, was sie nun tun müssen. Manche Fehler macht man nur einmal…
Doch Felix nickt nur und stapft schon durch den Schlamm in den aufgerissenen, schwarzen Schlund des Kanalisationsrohres hinein.
Langsam folgt Marie und flüstert mehr zu sich selbst als zu Felix: „Verdammt, hier gibt´s doch Ratten! Es kann mir doch kein Armleuchter erzählen, dass es hier keine Rattenbiester gibt! Oh, Mann.” Und lauter fragt sie: „Felix, bist du sicher, dass es hier ist?”
Doch schon muss sie sich beeilen, um ihn noch einzuholen. Er ist kaum noch zu sehen. Das Klitschen und Quatschen an ihren Füßen ekelt sie nicht besonders; höchstens, dass der Schlamm sich warm anfühlt. „Mist, Mist, Rattenmist”, murmelt sie. Auf Tuchfühlung mit Felix stolpert sie weiter und rumst mit ihrem Kopf an Felix´ Kopf. Der hat plötzlich angehalten.
„Was ist denn? Sind wir schon da?”
„Alex´ Bein kaputt. Daliegt”, antwortet Felix.
Marie holt aus ihrer Tasche die Streichhölzer, die ein Insel-Löwe immer dabei hat, und entzündet eines.
„Und bitte, Felix, diesmal nicht auspusten”, bittet sie ihn flehentlich.
In seinen Augen spiegelt sich der Schein der Flamme. Sie blicken sich um. Alexander liegt im Flackerschein. Er ist dreckbesudelt, das Bein blutverschmiert. Mit einem Zisch verlischt die Flamme und sie stehen in der Dunkelheit. Ist da am Rande des Lichtkegels nicht etwas davongehuscht? Marie hastet, zittert, ratscht das nächste Streichholz an. Der Schatten rettet sich an der Rohrwand entlang ins Dunkel.
„Verdammt, ich hab´s gewusst, ich hab´s gewusst.” Sie schreit so laut, dass der Hall durch den Raum dröhnt, bis er den Weg nach draußen findet. Sie reißt sich zusammen und untersucht im Licht des nächsten Streichholzes Alexanders Bein.
„Was machst du denn da?“, schreit sie Felix nervös an. Statt ihr zu helfen, stochert der im Dreck und packt irgendetwas in seinen Rucksack. Sie drückt ihm ein Streichholz in die Hand. Während Felix das Hölzchen hält, fasst sich Marie ein Herz, greift mutig die beiden Zahnreihen der Schlagfalle und drückt sie auseinander. Schon wieder im Dunkeln zieht Felix Alexanders Bein aus der Falle. Alexander stöhnt leise. Die beiden Retter hören die Falle gierig ins Leere schnappen, als Marie die Zähne loslässt.
Was sollen sie nun tun? Alles andere ist besser, als hier Streichholz um Streichholz anzuzünden und auf die Ratten zu warten. Marie erklärt Felix, dass sie jeder einen Arm von Alexander auf die Schulter nehmen müssen, um ihn Stück für Stück nach draußen zu ziehen. Inzwischen hat Anne sicher schon die Feuerwehr alarmiert und wird mit ihr draußen eingetroffen sein.
Sie brauchen alle ihre Kräfte, um Alexander hochzuziehen, und setzen sich keuchend und schwankend in Bewegung.
Noch bevor sie das Ende des Kanalrohres erreichen, kommt ihnen ein Polizist gebückt entgegen und hilft ihnen nach draußen. Dort hat Anne nervös auf den Krankenwagen gewartet. Der Polizist nimmt Alexander auf den Arm und übergibt ihn an die Rettungssanitäter. Sie legen ihn auf eine Trage, schnallen ihn fest und schieben ihn hinten in den Krankenwagen. Mit Blaulicht geht es ab in Richtung Krankenhaus.
Die übrigen Insel-Löwen säubern sich gegenseitig notdürftig. Nur den Geruch werden sie nicht los… Dann rennen sie zur Haltestelle der Straßenbahn und folgen ihrem Freund so schnell es geht.
Bereits in der Straßenbahn rufen sie die Eltern an und schildern ihnen, was passiert ist. Im Krankenhaus angekommen, treffen sie mit Anne zusammen. Sie müssen über zwei Stunden warten, bis sie endlich zu Alexander ins Zimmer gelassen werden.
„Mensch, Alex, du hast riesiges Glück gehabt, dass Felix Marie gefunden hat und beide dich aus dem Dreckloch herausgeholt haben”, sagt Anne.
Sie hat sich auf die Kante des Krankenbettes gesetzt, in dem Alexander liegt. Sein verletztes Bein ist mit Verbänden umwickelt. In seinem Arm steckt eine Kanüle, über die er durch einen Schlauch aus einer Glasflasche mit einer klaren Flüssigkeit versorgt wird.
„Klare Kloßbrühe”, grinst er.
„Hör´ bloß auf zu lachen”, fährt Anne ernst fort. „Du hast gegen unsere Regeln verstoßen und bist nur gerettet worden, weil wir anderen uns an sie gehalten haben.”
„Es tut mir leid”, erwidert Alexander leise. „Ich danke euch, dass ihr mich da rausgeholt habt. Aber es war nur Pech, ehrlich. Ich wollte kurz mal rein und etwas nachsehen. Dann waren meine Streichhölzer verbraucht, ich stand im Dunkeln, und in dem Moment – peng – hörte ich schon die Engel singen.”
Felix nimmt Alexander in den Arm, gibt ihm einen Kuss auf die Wange und fragt: „Alles klar?” Alexander nickt und wehrt sich gegen die Tränen, die ihm plötzlich in den Augen aufsteigen.
Marie setzt sich zu den dreien auf das Bett und legt Alexander die Hand auf die Schultern. Sie sagt: „Hört zu, ihr drei. Wir alle haben diese Prüfung bestanden. Du, Alexander, hast in der Not auf deine Freunde vertraut. Du, Felix, hast deinen Freund nicht im Stich gelassen und ihn mutig aus dem Rattenloch geholt. Du, Anne, hast einen kühlen Kopf bewahrt, als dir zunächst die Feuerwehr nicht glaubte. Du bist gerannt, bis du den Polizisten gefunden hast, der dann den Krankenwagen alarmierte. Und ich konnte Felix helfen. Wir werden später noch in der Hütte beraten, ob Alexander leichtfertig war und uns alle in Gefahr gebracht hat. Denn das darf ein Insel-Löwe nicht.”
Marie endet streng und alle schweigen lange.