Flehende Hände - Jan van Renesse - E-Book

Flehende Hände E-Book

Jan van Renesse

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Beschreibung

Der spielsüchtige Rechtsmediziner Fernando Martínez Salas wagt auf der traumhaften Insel Mallorca einen beruflichen Neuanfang, um seiner großen Liebe, Catalina Ferrer, näher zu sein. Doch statt einer unbeschwerten Zukunft wartet ein Albtraum auf ihn: Ein brutaler Mörder treibt auf der Insel sein Unwesen. Frauen werden vergewaltigt und finden ein grausames Ende mit abgetrennten Händen und einer rätselhaften Nachricht. Polizei und Rechtsmedizin stehen vor einem Rätsel, denn der Mörder scheint ein Phantom und immer einen Schritt voraus zu sein. Mit der Entführung Catalinas wird Fernando unverhofft in die Abgründe des Verbrechens gezogen und ein zermürbender Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Wer steckt hinter dieser schrecklichen Reihe von Verbrechen? Ist der Mörder wirklich ein Phantom, das sich nicht fassen lässt? Die Uhr tickt unbarmherzig, und der Druck wächst, denn mit jeder Stunde schwindet die Hoffnung auf eine Rettung Catalinas. Eine geheimnisvolle WhatsApp-Nachricht und ein Foto Margas, das einen Ausflug mit ihrer Schulklasse zeigt, eröffnet eine neue Spur. Werden Fernando und Carlota es noch rechtzeitig schaffen, das Rätsel zu lösen, bevor es für Catalina zu spät ist?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der spielsüchtige Rechtsmediziner Fernando Martínez Salas wagt auf der traumhaften Insel Mallorca einen beruflichen Neuanfang, um seiner großen Liebe, Catalina Ferrer, näher zu sein.

Doch statt einer unbeschwerten Zukunft wartet ein Albtraum auf ihn: Ein brutaler Mörder treibt auf der Insel sein Unwesen. Frauen werden vergewaltigt und finden ein grausames Ende mit abgetrennten Händen und einer rätselhaften Nachricht.

Polizei und Rechtsmedizin stehen vor einem Rätsel, denn der Mörder scheint ein Phantom und immer einen Schritt voraus zu sein.

Mit der Entführung Catalinas wird Fernando unverhofft in die Abgründe des Verbrechens gezogen und ein zermürbender Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

Wer steckt hinter dieser schrecklichen Reihe von Verbrechen? Ist der Mörder wirklich ein Phantom, das sich nicht fassen lässt?

Die Uhr tickt unbarmherzig, und der Druck wächst, denn mit jeder Stunde schwindet die Hoffnung auf eine Rettung Catalinas.

Eine geheimnisvolle WhatsApp-Nachricht und ein Foto Margas, das einen Ausflug mit ihrer Schulklasse zeigt, eröffnet eine neue Spur.

Werden Fernando und Carlota es noch rechtzeitig schaffen, das Rätsel zu lösen, bevor es für Catalina zu spät ist?

Inhaltsverzeichnis

„Prolog“

„Ankunft“

„Linda“

„Urlaub“

„Schmuckstück“

„Nonne“

„Zucken. Zocken“

„Einfach nur Menschen“

„Käsig“

„Dorfleben“

„Martingale“

„Señorita Diaz“

„Edelstahltisch“

„Team“

„Süssholz“

„Das Übliche“

„Salud“

„Dringlichkeit“

„Hombre“

„Telenovela“

„Stolperstein“

„Betonsäule“

„Mallorquina“

„Teenie“

„Kollegen“

„Schönes“

„Scully und Mulder“

„Carlota Puig“

„Bauchnabel“

„Daddy“

„Catalina Ferrer

„Grosser Schwanz?“

Comisario Principal Angél Bauza

„Fernando Martínez Salas“

„Maria“

„Maus“

„Team“

„Cati und Marga“

„Nuria Gomez“

„Richtige Antwort"

„Naturgebiet“

„Truc mallorquí“

„Darfst du“

„Antworten“

„Caporal“

„Patio“

„Schwitzige Hände“

„Briefumschlag“

„Komplett“

„Die Verlockung"

„Kriminaltechnik“

„s’Albufera"

„Fakten“

„Endesa“

„Augen

„Festsetzen“

„Flehende Hände“

„Epilog“

„Prolog“

Am Horizont konnte Fernando Martínez Salas bereits einige Lichter tanzen sehen. Sich leicht auf und ab bewegen. Aber es waren nicht die Lichter, die tanzten, er war es selbst der sich auf und ab bewegte. Nicht einmal er selbst, sondern die Trasmed-Fähre mit der er von Dénia nach Palma de Mallorca unterwegs war. Etwas mehr als neun Stunden, inklusive Boarding, war er er jetzt auf der Ciudad de Soller. Die Fähre hatte gegen Mitternacht Dénia verlassen. Den Grossteil der Mittelmeer-Überfahrt hatte Fernando an Deck verbracht. Nicht so wie jetzt – an die Reeling gelehnt auf den Horizont blickend, sondern mehr wie ein nasses Handtuch über die Reeling gebeugt in die Wellen kotzend. Dabei hatte die Reise für ihn vielversprechend angefangen. Er war auf dem Weg zu seiner neuen Arbeitsstelle. Und gleichzeitig auch zu seiner Freundin Catalina, die auf Mallorca lebte und arbeitete. Seit nun etwas mehr als achtzehn Monaten führten sie eine „Fernbeziehung“. Wenn er das so nennen konnte. Passten die beiden Worte „Fern“ und „Beziehung“ doch so gar nicht zueinander.

Fernandos Blick ging zurück, zum Heck der Fähre. Aber auch zum hinter ihm in der Dunkelheit liegenden und einige Seemeilen entfernten Dénia. Seinem Heimatort seit mehr als zehn Jahren. Das leichte Schaukeln des Schiffs blieb. Erschien ihm jetzt weniger, weil er keinen Fixpunkt am Horizont ausmachen konnte. So wie seine Augen es wahrnahmen, so fühlte er sich. Wie in einem dunklen Raum, ohne Bezugspunkt. Ohne wirkliche Orientierung. Ohne Anfang. Ohne Ende. Fernandos Blick ging wieder nach vorne, zum Bug der Fähre. Das was er dort sah, die näherkommende Hauptstadt Mallorcas, die grösser werdenden Lichtpunkte – das war sein Anfang. Der Anfang einer neuen Zeit für ihn. Wobei es ja nicht die Hauptstadt Palma war, die näher kam – sondern er kam ihr näher. Auf einem Boot stehend.

Fernando hatte sich für die Fährüberfahrt entschieden – und gegen einen sicherlich erheblich kürzen Flug – weil er Flugangst hatte. Höhenangst generell. Schon wenn er auf einer Leiter oder Aussichtsplattform stand wurde ihm schwindelig, mulmig. Einmal, er hatte sich breitschlagen lassen von seiner Freundin Catalina, mit ihr ein Fahrgeschäft auf der Fira del Ram in Palma zu besteigen, kam seine Phobie direkt und vehement zum Vorschein. Obwohl er sich unzählige Male selbst eingeredet hatte „Alles wird gut, überhaupt kein Problem“ war überhaupt nichts gut. Er verkrallte sich in die chromblitzende Haltestange des Rollercoaster, schrie vor Angst so sehr – schon bevor der Wagen überhaupt losfuhr – dass Catalina wild mit den Armen in der Luft fuchtelnd das Personal des Fahrgeschäfts herbeirief. Kreidebleich hatten sie ihn mit zwei Personen aus der, für ihn misslichen Lage befreit. Sicherlich auch für Catalina ein Erlebnis, eine Erfahrung der besonderen Art. Ihr Freund Fernando war zu einem weinerlichen Haufen Elend mutiert. Zu einem kleinen heulenden und jammerndem Jungen. Er, der in seinem Job in der Rechtsmedizin in Dénia doch bestimmt schon ganz andere Dinge gesehen und erlebt hatte. Sich täglich mit dem Tod zu befassen passte so gar nicht zu dem Gebahren eines Weicheis.

Fernando hätte gut daran getan Catalina über seine Höhenangst vor der Fahrt mit dem Rollercoaster zu berichten. So stand sie neben ihm, alle Blicke waren auf die beiden gerichtet. Sowohl von den Kirmesbesuchern, die bereits zu ihrer wilden Fahrt aufbrachen als auch von den schon in einer neuen Schlange anstehenden Fahrgästen. Ganz zu schweigen von den beiden Typen, die Fernando aus dem Wagen geholfen hatten. Breit grinsend und muskelbepackt. Offensichtlich nicht solche Jammerlappen, dafür aber mit deutlich schlechteren Zähnen als Fernando. Die bei ihrem breiten Grinsen so einige Baustellen im Mundraum erkennen liessen.

Einer der beiden, ein für einen Spanier doch recht grossgewachsener Kerl, konnte sich ein „ 1¡Que culo tienes!“ für Catalina nicht verkneifen. Woraufhin sein Kollege direkt mit „2¡Tú con esas curvas y yo sin frenos!" einstieg. Beide lachten Catalina dreckig an. Fernando hatte von all dem nichts mitbekommen, sass mit kaltem Schweiss auf der Stirn auf einer kleinen hölzernen Bank. War mit seinen schlotternden Knien vollends ausgelastet. Versuchte seine Atmung zu kontrollieren.

Ähnlich war es ihm noch vor kurzem ergangen, als er seinen kompletten Mageninhalt in das Mittelmeer gegöbelt hatte. Bis zum Schluss nur noch Magen- und Gallensaft aus ihm herauskam. Fernando sich dabei fröstelnd an der Reeling festkrallte. Wäre er Angler, hätte er garantiert einen dicken Fang machen können. Das Ausgespieene war sicherlich perfekter Köder für Fische aller Art. Von denen es auch garantiert reichlich hier in dem Gewässer gab. Vermutete er einfach mal, sehen konnte er nichts.

Das hatte er sich anders gedacht. Als er seine Buchung vorgenommen hatte. Zu einem Schnäppchenpreis von knapp Einhundert Euro. Inklusive Kabine und Platz für seinen alten Renault Clio. Eigentlich wollte er nämlich die nächtliche Überfahrt nutzen um ein Schläfchen zu halten. Nur kurz, auf einen Mitternachtssnack in das Bordrestaurant. So sah seine Planung aus. Diesen Snack, das Balearic Menu, hatte er jetzt aber erolgreich, wenn auch unter äusserster körperlicher Anstrengung ins Meer befördert.

„3Atracaremos en Palma en unos treinta minutos. Por favor, tenga cuidado con su equipaje. Siga las instrucciones del personal en la cubierta de vehículos“. Die Lautsprecherdurchsage riss Fernando aus seinen Gedanken.

1 Geiler Arsch

2 Du mit diesen Kurven und ich ohne Bremsen!

3 In etwa dreissig Minuten legen wir in Palma an. Bitte achten Sie auf Ihr Gepäck. Folgen Sie bitte den Anweisungen des Personals auf dem Fahrzeugdeck.

„Ankunft“

Fernando machte sich auf den Weg zu seiner Kabine, wollte sich zumindest noch etwas frisch machen. Eine Dusche gab es nicht, lediglich einen kleinen Waschtisch. Das musste genügen um sich zu waschen, Mundhygiene. Er konnte ja wohl schlecht nach erbrochenem „Balearic Menu“ riechen – oder gar bei einem Begrüssungskuss für Catalina danach schmecken. Jetzt im Licht der Kabine erkannte er auch einige Spritzer Erbrochenes auf seiner Kleidung, die sicherlich der Wind an Deck auf seine Hose geprenkelt hatte. Gut, dass er eine kleine Tasche mit Wechselwäsche mit in die Kabine genommen hatte. Sonst nichts, ausser einer weiteren Tasche mit seinem MacBook Air. Alles andere hatte er in seinem Auto belassen. Aber was hiess schon alles andere? Fernando hatte sowieso nur Kleidung gepackt. Für ein paar Tage. Zwei Wochen wollte er sich geben um definitiv zu entscheiden ob der Job wirklich das bot, was er sich versprach. Dann erst, wenn überhaupt, sein Hab und Gut mit einer Spedition bringen lassen. Nicht viel – eigene Möbel hatte er keine. Er lebte in einem eingerichteten Apartmentkomplex unweit des Krankenhauses, nahe der Ermita de Santa Paula. Bis zu seiner Arbeitsstätte, dem HLA San Carlos war es nicht weit.

Aus seiner Tasche zog er Kleidung hervor, zog sich komplett aus, wusch sich mit einem Waschlappen so gut es ging. Die erneut ertönende Lautsprecherdurchsage „4Estimados viajeros, en quince minutos...“ trieb ihn zur Eile bei der Körperpflege an.

Noch schnell griff sich Fernando die Broschüre über die Ciudad de Soller bevor er die Kabine verliess. Eigentlich wollte er diese nach seinem Besuch des Bordrestaurants als Einschlaflektüre nutzen, war aber nicht dazu gekommen. Wenige Sekunden nachdem er sich auf das Bett abgelegt hatte, nicht einmal dazu kam sein Schuhwerk ausziehen, begann es in seinem Magen zu rumoren. Erst leicht, mit gelegentlichem Aufstossen, dann aber schnell mehr. So, dass er sofort in die Senkrechte kam und beschloss an Deck zu gehen. Um dort ungeniert über Bord zu speien. Schade um das Essen. Lecker war es zwar, jetzt aber, auf umgekehrtem Wege aus seinem Magen überhaupt nicht angenehm.

Erst hatte er verständlicherweise kein Auge für einige Passagiere, die mit ihren Hunden Gassi gingen. Erst nach der ersten Ladung, des ersten Schwalls seines Mageninhalts, bemerkte er, dass in einer Ecke sowas wie eine Rasenfläche – in einer Edelstahlwanne – für die Vierbeiner installiert war. Wo sie dann abkacken konnten. Zu ihnen schauend fragte er sich ob Hunde eigentlich auch Seekrank wurden? Und wenn ja, würden sie dann auch über die Reeling kotzen? Oder einfach wo sie gingen und standen? Und wer machte das Erbrochene dann weg? Von dem, in weisser Uniform gekleidetem Bordpersonal sicherlich keiner.

Vor der schweren Stahltüre zum Fahrzeugdeck standen schon einige Mitreisende, warteten ungeduldig darauf, dass sich die Türe öffnete. Dass sie nicht einfach das Deck stürmten, dafür sorgten eine Handvoll Mitarbeiter der Reederei. Wobei die Warteschlange zum grössten Teil aus Männern bestand, die schon ungeduldig ihre Autoschlüssel in den Händen drehten. Sowieso war zu jedem Fahrzeug ja auch nur eine Person, der Fahrer oder auch einige Fahrerinnen, zugelassen waren. Die restlichen Insassen mussten ganz normal, zu Fuss, die Fähre verlassen.

Noch während Fernando wartete erreichte ihn eine WhatsApp-Nachricht. Am leisen Klingelton für ihn erkennbar. Aus seiner Hosentasche zog er sein Smartphone. Nicht das modernste Modell, aber es funktionierte, machte was es sollte. Man konnte damit telefonieren und Nachrichten versenden. Die Fotos die es machte waren passabel. Klar, nicht zu vergleichen mit seiner Nikon-Fotoausrüstung, aber dafür leicht mitzunehmen - und immer ruckzuck zur Hand. Er entsperrte den Bildschirm – eine Nachricht von Cati. So nannte er liebevoll seine Freundin Catalina. Und so war auch ihre Nummer abgespeichert. „Cati“.

„Ich schaffe es leider nicht am Hafen zu sein, wenn du ankommst. Aber wir sehen uns dann nachher zuhause. Ich habe um 14 Uhr Feierabend“. Darunter viele Smileys. Herzchen. Und dann noch „5Te quiero, cariño“. Kurz darauf machte es wieder „Pling“. Erneut eine WhatsApp von Cati. Diesmal mit einer „ubicación“ einem Standort – samt Anfahrt zu ihrer Finca in der Nähe von Llucmajor, die sie mit einer Freundin bewohnte. In einer Art Wohngemeinschaft. Hier sollte Fernando auch erst einmal bleiben können – bei Cati - bis er sich defintiv entschieden hatte. Wohnraum war nicht nur schwer zu finden auf Mallorca – auch zum Teil einfach unbezahlbar. Von daher hatte er Catis Angebot gerne angenommen. Auch wenn es einiges an Fahrtzeit mit sich brachte. Llucmajor bis zum Universitätskrankenhaus in Palma war eine Ecke.

Zuletzt war er vor ein paar Wochen bei Cati zu Besuch gewesen, wenn er erstmal in der Nähe der Finca war würde er den Rest schon finden – wiedererkennen. Eine richtige Adresse, also einen Strassennamen gab es nicht. Nur sowas wie „Diseminados Var“. Was aber im Prinzip nichts anderes bedeutete wie „Irgendwo auf dem Acker“. Das war in Dénia schon anders. Eindeutige Adresse. Strassenname. Hausnummer. Auf Mallorca schienen die Uhren anders zu gehen. Mehrfach hatte er sich um die Stelle in der Rechtsmedizin beworben. Um Catalina näher zu sein. Mit ihr zusammenleben zu können. Mehrfach Absagen erhalten. Entweder aktuell kein Bedarf oder aber „es fehlt ein Katalanisch-Zertifikat B2“ oder sonst irgendwas. Katalanisch hatte er zwischenzeitlich erlernt. An einer Abendschule. Auch Cati zuliebe. Selbst wenn er es gar nicht gerne hörte, wenn sie das Dialekt sprach. In seinen Ohren hörte sich das „unsexy“ an, schon fast asozial. Die Sprache der einfachen Bauern. Der ungebildeten Unterschicht. Aber das verschwieg er Cati gegenüber. Wollte sie ja nicht kränken. Oder beleidigen.

Für Catalina war die Sprache „mallorquin“ aber unabdingbar. Sie arbeitete im Ajuntament, dem Rathaus von Felanitx. Also da wo die Landbevölkerung, die Bauern waren. Manchmal, wenn zum Beispiel Catalina sich mit ihrer Mitbewohnerin Margalida auf mallorquin unterhielt, hatte Fernando den Eindruck bekommen er sei plötzlich in einem anderen Land. In einem Land, in dem die Bewohner ständig eine heisse Kartoffel im Mund hatten – und zudem noch mindestens eine Flasche Brandy intus. Gar nicht mehr in Spanien. Alles was sowohl Catalina als auch Margalida an Sexappeal versprühten war in dem Moment weggewischt, wenn sie den Mund öffneten und nur noch gurgelnde Geräusche aus ihnen herauskamen. Als hätte man ihnen gerade die Kehle durchgeschnitten. Mit einem stumpfen Messer.

Einer der „Deckhands“ öffnete die schwere Verriegelung der Türe, der Zutritt zum Autodeck wurde geöffnet. Auf dem Deck turnten schon ein paar Figuren herum, die sich als Einweiser betätigten. Bei den notwendigen Wendemanövern Anweisungen gaben. Was mehr als nötig und hilfreich war. Die Autos, zum Teil Wohnmobile und LKW, waren „dicht an dicht“ geparkt. Schnell füllte sich das Parkdeck mit Abgasen, Motoren liefen, selbst wenn man absehbar in den nächsten Minuten gar nicht an der Reihe war, herausgewunken wurde. Aber ein jeder in seiner Blechbüchse bekam von dem Gestank ja nichts mit, man sass ja im Auto.

Nach etwas mhr als zwanzig Minuten fuhr Fernando die Rampe herunter. Wie über ein riesiges Maul eines ebenso riesigen Fisches, der jetzt seine Beute ausspuckte. So in etwa wie er noch vor einiger Zeit das Balearic Menu in die See gespuckt hatte. Die Wartezeit bis er an der Reihe war, bis er eingewiesen wurde – eigentlich müsste es ja heissen „ausgewiesen“ – immerhin verliess er ja jetzt die Fähre – hatte Fernando damit verkürzt auf seinem Handy nach Spielcasino Mallorca und Pferderennbahn Mallorca zu googlen. Sogar eine kleine Wette auf ein ihm völlig unbekanntes Pferd und seinen Jockey hatte er platziert. Bei einem Trot, dem Trabrennen auf dem Hipodrom Son Pardo.

Jetzt hiess es aber erst einmal aus dem Hafengelände heraus zu kommen. Hin zur Avenida de Gabriel Roca, die sich um das gesamte Hafenbecken schlängelte. Nachdem er die Kathedrale zu seiner Linken passierte hatte ging es kurz darauf, bei El Molinar zur Autobahn Richtung Llucmajor. Ma-19 hatte sein Google-Maps-Navi ausgespuckt. Auch direkt mit Kilometerangabe und ungefährer Fahrtzeit. Knapp vierzig Kilometer, knapp dreissig Minuten. Als ungefähren Anhaltspunkt hatte Catalina Fernando in ihrer WhatsApp-Nachricht zusätzlich noch „Finca Son Guardiola“ genannt. Da irgendwo auf dem Acker war die Finca von Catalina und Margalida. Grob. In etwa. Genauer wollte er im Handy nachschauen, wenn er in der Nähe war. Dann einfach dem gesendeten Standort folgen.

Bis zur von Catalina genannten Finca klappte das ganz gut mit Google-Maps, dann verliess aber Fernando das Glück. Etwas verloren stand er auf einem Feldweg, aus dem dann ganz schnell drei Wege wurden. Er hatte angehalten, war an den Seitenrand gefahren, ausgestiegen. Schaute sich ein wenig verloren um. Versuchte Bilder in seine Erinnerung zu rufen. Er war doch schon hier gewesen, sollte also dann doch irgendwie auch zu finden sein. Sein Blick ging zum Ende des Weges, dort konnte er Gebäude erkennen. Das musste es sein. Fernando stieg wieder in seinen Clio ein, fuhr den Weg weiter durch. Bis zum Ende, weiter ging es sowieso nicht. Rollte langsam in eine Hofeinfahrt. Unter seinen Reifen knirschten Kieselsteine, ein Hund kam bellend angelaufen, umrundete seinen Renault. Fernando blieb im Auto sitzen. Bis eine Frau aus dem Wohnhaus kam.

4 Verehrte Reisende, in fünfzehn Minuten …

5 Ich liebe dich mein Schatz

„Linda“

Fernando kurbelte das Seitenfenster herunter. Die Frau sagte irgendwas zu ihm. Fernando zuckte mit der Schulter. Die Frau lächelte. „6¿Puedo ayudarle? ¿Busca a alguien?“ Das verstand Fernando. Das war kein mallorquin. Das war Spanisch. Castellano. Aber auch nicht wirklich, mehr mit einem Akzent durchsetzt. Sie war keine Spanierin. Die Art wie sie sprach verriet Fernando das. Sehr langsam. Sehr hart. Wort für Wort. Und von dem typischem rollenden RR war beinahe nichts zu hören. Der Hund machte weiter Höllenalarm. Auch wenn Fernando ihn jetzt nicht mehr sehen konnte. Von der Lautstärke her musste er direkt vor seiner Fahrertüre stehen. Die Frau hatte sich etwas zu ihm an das geöffnete Seitenfenster herabgebeugt. Fernando schaute direkt gegen ihren Oberkörper. Ihre Brüste. Die in einem stramm sitzenden Shirt verpackt waren. So enganliegend, dass er erkennen konnte, dass sie keinen BH trug.

„Ähm … entschuldigen Sie … Kann ich … Darf ich aussteigen? Wegen dem Hund?“ sprach Fernando durch das Fenster an ihrem Körper vorbei. Die Frau trat einen Schritt zurück, lachte. „Der Hund … Das ist nur ein Ratero. Der macht nur Theater“. Mit einer ausladenden Armbewegung und dem Zusatz „7Linda, a casa“ scheuchte sie den Ratero vom Auto weg. Fernando öffnete die Wagentüre, stellte schon im Aussteigen seine Frage ob sie ihm vielleicht weiterhelfen könne, er suche die Finca seiner Freundin, die müsse hier irgendwo sein. Hielt der Frau seine Frage unterstützend sein Handy mit Google-Maps zur Ansicht entgegen. „Wie heisst denn ihre Freundin? Hier sind ja überall Fincas. Verstreut“.

Fernando schaute in ein freundliches Gesicht. Wache Augen. Sanfte Gesichtszüge. Kastanienbraune Haare, hier und da mit aufhellenden Strähnchen durchzogen, Schulterlang. Sein Gegenüber zu taxieren, zu erfassen, war ja Teil seines Jobs. Nur dass er jetzt nicht, wie bei seiner Arbeit üblich, alles in ein Diktaphon sprach. „Senorita Catalina Ferrer, vielleicht kennen Sie sie ja“. Die Frau hielt ihm ihre Hand entgegen. „Renate Langenberg. Encantado“. Ihre Hand war warm und weich. So wie ihr Gesichtsausdruck. „Oh ja, natürlich. Cati kenne ich. Die wohnt gleich da hinten“ zeigte sie zur rechten Seite. „Sehen Sie die Finca? Allerdings müssen Sie wieder zurückfahren. Bis zur Hauptstrasse. Dann rechts … und den nächsten Weg direkt wieder rechts … dann kommen Sie da hin“.

Renates Handbewegung hatte Fernando mitmachen müssen, Renate hatte seine Hand noch nicht losgelassen. „8Disculpe. Soy Fernando Martínez. Soy el novio de Cati“ stellte Fernando sich vor. Renate lächelte ihn an. „9Usted no. No es necesario. Renate“. Fernando schaute sie jetzt komplett an. Sie musste irgendwas um Ende Vierzig, vielleicht Anfang Fünfzig Jahre alt sein. War für eine Frau, insbesondere für eine Spanierin, grossgewachsen. Wohlproportioniert. Nicht dünn. Nicht dick, Einmeterfünfundsiebzig schätzte Fernando. Sprach in Gedanken für sein internes Erfassungsprotokoll „ 10Más o menos“. Hörte sich denken „Vermutlich Nordeuropäer“. Das machte er automatisch, nicht nur jetzt bei Renate. Menschen einschätzen, kategorisieren. Körperlich. Das gehörte nunmal zu seinem Job. Menschen optisch schnell erfassen.

„Vielen Dank. Dann fahr‘ ich mal rüber“ setzte sich Fernando wieder in seinen Clio. „11Siempre será un placer. Y saluda a Cati de mi parte“ lächelte Renate ihm zu. Von der Terrasse kam Linda, der Ratero, in einem Affenzahn angeschossen, kläffte wie irre.

6 Kann ich helfen? Suchen Sie jemanden?

7 Linda, ins Haus

8 Entschuldigen Sie. Fernando Martinez. Ich bin der Freund von Cati.

9 Nicht Sie. Das ist nicht nötig. Renate.

10 Mehr oder Minder.

11 Immer wieder gerne. Und grüss' Cati von mir.

„Urlaub“

Fernando war bis zur Hauptstrasse zurückgefahren. Naja, Hauptstrasse war eher geprahlt, ein etwas breiterer Weg, aber ebenfalls nicht asphaltiert. Aber vielleicht hatte man auf Mallorca eine andere Vorstellung von „Hauptstrasse“ als er es aus Dénia gewohnt war. Rechts und links säumten grosse Ackerflächen den Weg. Bewachsen mit Mandelbäumen und 12Algarrobas. Dann, nach gefühlt zweihundert Kilometern – weil der Weg in einem solchen miserablen Zustand war, dass Fernando leise darum bat, dass keine Teile von seinem doch schon etwas älteren Renault Clio abfielen – dann endlich die nächste Abzweigung nach rechts. Nach knapp einem Kilometer kam er an zwei Gebäuden vorbei, die seine Erinnerung anregten. Er war auf dem richtigen Weg, hier ging es zu Catalina. „Gleich rechts abbiegen“ sagte ihm sein Kopf. Mehr und mehr kam in Fernando zutage was ihm bekannt vorkam. Spätestens als er den grossen landwirtschaftlichen Betrieb zu seiner Linken erblickte wusste er „Jetzt rechts den Weg rein“.

Genau wie bei Renate knirschten Kieselsteine unter seinen Reifen. Das mussten Catalina und Margalida neu gemacht haben – wohl eher gemacht haben lassen. Das war ihm nicht in Erinnerung. Oder hatte er das einfach vergessen? Vor ihm öffnete sich das Grundstück. Ja, er war angekommen. Die einladende Terrasse war jedenfalls unverändert. So wie er sie im Kopf hatte. Rechts vom Eingang des rustikalen Fincagebäudes stand ein Zitronenbaum, links eine Art Kaktus – oder eine artverwandte Pflanzenart. Hier und da liebevoll arrangierte Dekoelemente. Dass hier Frauen lebten war direkt zu erkennen. Oder zumindest Menschen mit einem feinen Sinn für Schönes.

Und genau wie Renate es geschildert hatte, man konnte zu ihrer Finca herüberschauen, auch wenn man nicht den direkten Zugang zu Renates Grundstück hatte. Luftlinie vielleicht fünfhundert Meter. Getrennt durch ein Feld, auf dem irgendetwas heranwuchs. Vielleicht Getreide. Gefahren war Fernando aber bestimmt drei Kilometer. Wie war das eigentlich, wenn ein „Ortsfremder“ mal hierhin wollte? Oder musste. Vielleicht ein Paketzusteller? Oder im Notfall ein Krankenwagen? Das würde doch keine Sau finden. Oder wie lautet dann die Ortsbeschreibung? „Irgendwo auf dem Acker, elfter Mandelbaum links?“

Neben der Eingangstüre stand in einen grossen Steintopf eine Bougainvillea, die sich an der Fassade emporrankte. In diesem Topf sollte der Haustürschlüssel deponiert sein. Zumindest war das bei Fernandos vorigem Besuchen so. Hoffentlich hatte Cati auch diesmal daran gedacht.

Auch wenn Fernando den Schlüssel wie erhofft in dem Pflanzkübel vorfand klopfte er, wie seine Erziehung es vorgab, vor Betreten des Hauses an die Haustür. Er ging davon aus, dass auch Margalida nicht im Haus war, aber wusste man’s? Marga, so nannte Cati ihre Mitbewohnerin Margalida in Kurzform, arbeitete als Lehrerin an der 13 IES Llucmajor, unterrichtete in den Schulfächern „14Geografia i història“ sowie „15Llengua catalana i literatura“ – und heute war Freitag, also ein Schultag – sie würde also garantiert nicht zuhause sein.

Das Bild, der Anblick, der sich Fernando nun bot war ihm gar nicht mehr so präsent. Ein grosser Vorraum öffnete sich vor ihm. Einladend, warm und willkommenheissend eingerichtet. Ein wenig hatte Fernando sogar den Eindruck, dass Cati es speziell für seinen Empfang so eingerichtet hatte, wie in einem Wohnkatalog. Nicht so – so ganz anders – als in seiner Junggesellenbude. Wo alles funktional angeordnet war. Kein Schnick-Schnack, keine Staubfänger. Fernando nutzte sein Apartment genau zu dem Zweck zu dem er es angemietet hatte. Nach Hause kommen, vielleicht was essen, auf der Couch abhängen, lesen, ab ins Bett. Tote richteten sich nicht an feste Arbeitszeiten – von Acht Uhr bis Siebzehn Uhr. Sie starben einfach. Auch abends, nachts – sogar an den Wochenenden. Besuch empfing er selten. Was auch daran lag, dass er im Schichtdienst arbeitete. Ab und an – aber auch nur selten - brachte er eine Frau mit zu sich. Nichts Festes, nichts Ernstes. Er war doch mit Cati zusammen. Nur manchmal eben nicht. Wenn er es gar nicht mehr aushielt. Sein Trieb ihn in Beschlag nahm. Er zur Abwechslung Sex mit einer Frau haben wollte. Nicht nur mit sich selbst. Es sich selbst machte. Während er sich ein Porno-DVD anschaute. Oft sogar dieselbe, mit einer Darstellerin, die ein wenig wie seine Cati aussah. Bis zum Ende hatte er die DVD noch nie angeschaut. Wusste also auch gar nicht ob die Darstellerin am Ende den Installateur, der sie heftigst durchvögelte, auch heiraten würde.

Wie machte Cati das? Wenn sie ähnlich wie er selber Gelüste hatte? In ihrem Fall nach einem Mann? Gefragt hatte er sie bislang nicht danach, ebenso wenig wie sie ihn. Wollte Fernando das überhaupt wissen?

Auf dem Tisch in der Eingangshalle, dem Vorraum, lag ein grosses Blatt. Fernando nahm es in die Hand. Las die handschriftlichen Zeilen. „16Nandito, mi amor“ war das erste was geschrieben stand. Nandito, so nannte Cati ihn mit Kosenamen. Die Verniedlichung von Fernando. Wie es der Spanier sowieso gerne tat. Dinge und Namen zu verniedlichen. Fernando las weiter. „Fühl‘ dich wie zuhause. Ne, gar nicht, sei Zuhause. Bedien‘ dich, nimm was du benötigst. Mach es dir gemütlich. Ich muss bis zwei Uhr arbeiten, bin dann etwa gegen drei Uhr zurück“. Darunter ganz viele Herzchen. Und ein abschliessendes „17Un montón de besos. Cati“.

Fernando setzte sich für einen Moment an den Tisch, packte sein MacBook aus der Laptop-Tasche, las sich erneut die netten Worte Catalinas durch. Dann inspizierte er die Räumlichkeiten. Zuerst die Küche. Kaffee wäre toll. Mehr würde sein Magen nach der Kotzerei auf der Fähre wahrscheinlich auch noch nicht verkraften.

Anders als bei ihm in Dénia – da gab es maximal löslichen Kaffee – glitzerte ihn eine „De Longhi“ Espressomaschine an. Direkt daneben in einer Kunststoffdose die dazu passenden Pads. Ja, das war nicht nur ein Frauenhaushalt, ein sehr gepflegter obendrein – die beiden Frauen standen auf Luxus. Und Sauberkeit. Das war ja wohl klar. Sonnenklar.

Sollte er es überhaupt wagen irgendetwas zu benutzen? Anzufassen? Was wenn er etwas einsaute? Kurzerhand verliess Fernando die Küche, ging auch direkt durch. Aus dem Haus. Pinkelte in ein Gebüsch. „Du musst dich garantiert im Bad hinsetzen“ schüttelte er den letzten Tropfen ins Gebüsch ab.

Sein MacBook war hochgefahren, er suchte nach dem Router für die Internetverbindung. So wie er es von seinem Movistar-Anschluss in Dénia kannte war der WLAN-Code auf der Unterseite des Routers vermerkt. Wenn Cati oder Marga ihn nicht abgeändert hatten. Aber warum sollten sie? Hier war weit und breit keine Seele, die ihr WLAN unbefugt nutzen konnte.

Im Vorbeigehen öffnete Fernando das E-Mail-Programm auf seinen Laptop, ging erneut in die Küche. Machte sich jetzt doch Kaffee. Trotz riesiger Auswahlmöglichkeiten an der De Longhi Maschine entschied Fernando sich einfach für Americano, also einfach Kaffee. Ohne jeglichen Schnick-Schnack wie aufgeschäumte Milch oder sowas.

Die ersten E-Mails hatte Fernando ungelesen gelöscht. Unmengen von Werbung – Spam. Zu „Penisverlängerungen“, „Männergesundheit“ oder „Nette Frauen aus deiner Umgebung warten auf dich“. Ganz kurz stellte er sich vor, wie es in der Wirklichkeit aussehen würde - wenn er jeden Morgen stapelweise Reklame in seinem normalen Briefkasten hätte. Normale Post bekam er so gut wie keine, Rechnungen über Strom oder Telefon – das kam mittlerweile alles digital. Eine Nachricht weckte seine Aufmerksamkeit. Vom Hospital Universitari Son Espases, seinem neuen Arbeitgeber. Eine Carlota Puig schrieb ihm, dass er sich doch am Montag direkt im Hauptgebäude des Krankenhauses – Etage U4 - bei Professor Sergio Perez einfinden möge. Um neun Uhr.

Was Fernando aber am meisten interessierte waren die Nachrichten seines Online-Casino. Wie sein Kontostand da ausschaute. Ob – und was er an Gewinnen einstreichen konnte. Zuletzt hatte er vor seiner Abreise aus Dénia einiges an Geld gesetzt. Fernando setzte auf alles, daher auch sein Interesse am frühen Morgen – noch im Hafen – nach Casino Mallorca und Pferderennbahn bei Google nachzuschauen.

Fernando war Spielsüchtig. Wissentlich. Er selber nannte das aber nett umschrieben anders. Zerstreuung nach dem Stress seiner Arbeit, Zeitvertreib gegen Langeweile, Hoffnung auf hohe Geldsummen – kurzum der Wunsch nach Alltagsflucht und Nervenkitzel. Fernando sollte es natürlich besser wissen – und wusste es auch besser. Trotz seines ziemlichen guten Gehalts blieb ihm wenig Geld am Monatsende, oft genug schon lange vor Monatsende. Deswegen hatte er auch nur ein kleines, bezahlbares Apartment und einen ziemlich abgerockten Renault Clio. Was ihm gerade jetzt, als er sich in Catalinas Zuhause umschaute, deutlich bewusstwurde. Sie hatte alles – alles was sie vielleicht brauchte – und verdiente garantiert erheblich weniger als Verwaltungsangestellte als er. Dennoch hatte sie ein schönes Zuhause. Nicht wie Fernando. Eigentlich hauste er im Vergleich zu Catalina. Das hier, was er sah – das war Wohnen.

Nach einigen Spielrunden an virtuellen Online-Slotmachines des Casino Barcelona begab sich Fernando dann auf die Terrasse. Er spürte die Müdigkeit in seinen Knochen, machte es sich auf einer Liege bequem. Es war Hochsommer. Irgendwas um die dreissig Grad, schätzte Fernando. Da taten sich Mallorca und das Festland wohl nicht grossartig was. July, August und September waren anstrengende Monate. Von den Temperaturen her anstrengend. Hinzu kam für Fernando die Fährüberfahrt. Nicht geschlafen, nur gekotzt.

Fernando schlief dann auch zügig in der Sonne ein, die jetzt schon anständig wärmte. Die absolute Ruhe um ihn - um die Finca herum - trug sicherlich ihren Teil dazu bei. Kein Strassenverkehr, keine lärmenden, spielenden Kinder wie bei ihm in Dénia. Für einen Moment dachte er „Ist ja wie im Urlaub“.

12 Johannisbrot

13 Institut d‘Educació Secundària

14 Geografie und Geschichte

15 Katalanische Sprache und Literatur

16 Nandito, mein Geliebter

17 Ganz viele Küsse. Cati.

„Schmuckstück“

Das Motorengeräusch eines einfahrenden Autos und die unter seinen Reifen knirrschenden Kieselsteine weckten Fernando aus seinem Nickerchen. Oder träumte er? Vor ihm fuhr ein kleiner roter Sportfiltzer über den Hof. Am Steuer erkannte er nur ein buntes Kopftuch. Und eine Hand in einem hellbraunen Lederhandschuh, die ihm zuwinkte. Erst als die Person aus dem Wagen stieg, und da auch erst als sie das Kopftuch abstriff, erkannte er seine Freundin Catalina. Freudig strahlend kam sie auf ihn zu. Sie trug ein luftiges, leichtes, kurzes Sommerkleidchen, das im Takt ihres Laufschritts mitschwang. Ebenso wie ihre Brüste, die sich bei jedem Schritt von links nach rechts bewegten. Fernando drückte sich aus der Liege empor, empfing Cati mit offenen Armen. „18Cati, cariño. Ahí estás. Te he echado mucho de menos. Déjame abrazarte. Déjame besarte“. Cati drückte sich an ihn, beinahe in ihn hinein. „Und ich erst. Mein Schatz. Hallo. Willkommen auf Mallorca“. Ihre leichte, dünne Jacke, die sie über einer Schulter hielt, warf sie auf die Liege. „Komm‘, wir gehen eine Runde schwimmen. Ich brauch‘ eine Abkühlung“ war sie schon auf dem Weg um das Haus herum. „Komm‘, ab in den Pool“. Fernando folgte ihr, sah ihr zu wie sie sich schon im Gehen entkleidete. Direkt in den kreisrunden Aufstellpool auf der Rückseite des Hauses eintauchte. „Na komm‘, komm‘ ins Wasser. Das ist erfrischend“ lächelte sie Fernando an.

Mit zwei oder drei Schwimmzügen war sie bei ihm, schlang ihre Arme um seinen Hals. „Nandito, mi amor“. Mehr sagte sie nicht. Küsste ihn heiss und innig. Zog sich an Fernando hoch. Drückte sich fest an ihn. Küsste sein Gesicht ab. „Wie lange haben wir uns jetzt nicht gesehen? Du hast mir so gefehlt“. Fernando liess seine Hände ihren Rücken hinabgleiten. Bis an ihren Po. „Sechs Wochen, drei Tage, zehn Stunden, zwanzig Minuten …“. Fernando hob seinen linken Arm aus dem Wasser, schaute auf seine TAG-Heuer Armbanduhr. „Und siebzehn Sekunden. Jetzt achtzehn“. Cati presste ihren Körper an seinen. „19Abrázame. Tócame. Fóllame. Aquí. Ahora“. Fernando hob sie an den Pobacken an, drehte sich mit ihr, drückte sie gegen den Poolrand. Das Wasser schwappte unter ihren Bewegungen über den Rand. Gegenseitig hauchten sie sich ihre Begierde entgegen.

Cati liess sich an ihm herabgleiten. Lächelte Fernando an. „Das ging jetzt aber flott. Hattest du jetzt die ganze Zeit keinen Sex? Du bist ja direkt gekommen“. Fernando drückte sie an sich. „Sechs Wochen, drei Tage, zehn Stunden, zwanzig Minuten … vielleicht jetzt einundzwanzig Minuten“. Cati schwamm von ihm fort. „Ich mach‘ uns Kaffee. Und du erzählst mir alles. Alles. Komm‘, mein Schatz“ streckte sie am Poolrand wartend ihre Hand nach Fernando aus.

Mit einer Hand hatte Cati ihr Kleidchen vom Boden aufgehoben, ging beschwingt ins Haus. Direkt durch in die Küche. „Café solo? Cortado? Carajillo? Con leche?“ lugte ihr Kopf kurz um den Türrahmen. Fernando hatte am Tisch schnell sein Notebook zugeklappt. Noch immer stand die Webseite des Online-Casino auf. „Willst du dich nicht abtrocknen? Dir nichts anziehen?“ ging Fernando zu Cati in die Küche. Cati schmunzelte ihn an. „Wozu? Wir sind doch alleine. Ausserdem … hier kommt so schnell keiner hin. Ausser Marga gleich. Und die weiss wie ich aussehe“. Cati liess ihren Blick an Fernando herunterschweifen. „Und du? Willst du dich anziehen? Umziehen? Wir können ja gleich, wenn Marga kommt, mit ihr was essen gehen. In Llucmajor. Im Mandolino. Ein kleines mallorquinisches Bistro“.

Als Cati mit den beiden „Cafe con leche“ an den Tisch trat bemerkte Fernando wie ihr an den Schenkelinnenseiten ein wenig Sekret in einem kleinen Rinnsal hinunterlief. Sekret und Sperma. Fernando verspürte den Drang Cati anzufassen. „Nachher, mein Schatz. Dann aber richtig“ hielt Cati seine Hand fest. „Erst erzählen, dann Essen. Dann ins Bett. Hast du dich schon umgeschaut? Alles gefunden?“ Hatte Fernando nicht. „Nein, ich habe mich ziemlich direkt hingelegt. Ich war echt geschafft“.

Fernando zeigte zur Haustüre. „Hast du ein neues Auto? Ist das dein Auto? Der Flitzer?“ Cati setzte sich seitlich auf seinen Schoss, legte ihre Arme um seinen Hals. „Ja, mein Sommerauto. Nicht neu, aber neu gekauft. Mein altes habe ich dafür verkauft“. Ihr „altes“ Auto kannte Fernando. Ein Dacia irgendwas. „Was ist das für ein Modell? Dein neues Auto?“ Cati gab ihm einen Kuss. „Ein Fiat 124 Spider. Cabrio. Zweisitzer. Ein richtiges Schmuckstück“. Fernando erwiderte ihren Kuss. „Passt zu dir. Du bist auch ein richtiges Schmuckstück“.

Cati hatte mit ihrem Hinterteil ein paar Mal über Fernandos Unterleib geschubbert. Ihn angrinsend fragte sie „Vielleicht willst du ja mal duschen gehen? Der ganze Saft ist jetzt auf dir. Hast du schon ausgepackt? Ich zeig‘ dir mal mein Zimmer. Dein Zimmer. Unser Zimmer. Du bleibst doch hier, oder? Oder was hast du vor? Du bleibst doch erst einmal hier, oder? Bei mir“. Auch wenn das zuweilen immer eine geballte Informationsladung von Cati für ihn war – Fernando mochte ihre quirrlige Art. Schnell reden war eh normal für Spanier – und Spanierinnen. Aber das was Cati machte gefiel ihm. Fragen zu stellen und sie sich gleichzeitig selbst zu beantworten. Feststellungen machte. „20Con mucho gusto, cariño. Nada me gustaría más“.

Catalina erhob sich von seinem Schoss, zog ihn an der Hand aus dem Stuhl. „Dann komm‘, dann zeige ich dir mal dein Zuhause“.

18 Cati mein Schatz. Da bist du ja. Ich habe dich so sehr vermisst. Lass' dich umarmen. Lass' dich küssen.

19 Halt mich fest. Berühre mich. Fick‘ mich. Hier. Jetzt.

20 Nur zu gerne, mein Schatz. Nichts lieber als das.

„Nonne“

Im Flur blieb sie kurz stehen, drehte sich zu Fernando um. „Dann hol‘ doch auch gleich deine Sachen. Die sind sicher noch in deinem Auto? Marga kommt bestimmt auch gleich. Dann kannst du dich direkt ankleiden nach dem Duschen. Oder willst du nackt bleiben?“ Cati kam einen Schritt auf Fernando zu, der sich auf den Weg nach draussen gemacht hatte. Um seine Taschen aus dem Auto zu holen. Gab ihm einen Klapps auf den Hintern. „Also mich stört das nicht. Von mir aus kannst du so bleiben“.

Fernando verschlug es ein wenig sie Sprache als er Catis Zimmer betrat. Direkt liess er die Taschen aus seinen Händen zu Boden fallen. „Mein Gott, ist das schön. Hast du renoviert? Beim letzten Mal sah alles noch ganz anders aus“. Statt der weissen Wände, die er kannte, an die er sich erinnerte, war jetzt alles in einem zarten Pfirsichton gehalten. „Gefällt dir? Dein Zimmer?“ lehnte Cati sich an ihn. „Das ist microcemento. Sowas wie stucco veneciano. Hat uns ein Maler gemacht. Bei Marga auch. Nur in einer anderen Farbe“.

Fernando liess seine Handfläche über eine Wand gleiten. „Voll edel. War doch bestimmt teuer, oder?“ Cati grinste ihn breit an. „Geht so. Wir beide … also Marga und ich … wir haben beide mit dem Typen geschlafen, da hat er uns das für den halben Preis gemacht“. Fernandos Augen weiteten sich. Waas? Echt?“ Cati lachte. „Quatsch Mann, das war Spass. Glaubst du echt wir würden sowas machen?“ Fernando nahm sie in den Arm. „Könnte doch sein. Was weiss ich denn. Du hast mich doch eben gefragt ob ich sechs Wochen keinen Sex hatte. Was ist denn mit dir?“ Cati drückte sich an ihn. „Ich auch nicht. Komm‘ pack‘ deine Sachen aus. Richte dich ein. War nur ein Scherz. 21Mi casa es su casa“. Auf Zehenspitzen reckte sie sich zu ihm hoch, küsste Fernando. „22Y mi corazón es tuyo“.

Cati öffnete den Kleiderschrank für Fernando, nahm sich einige Kleidungsstücke heraus. „Dann zieh‘ ich mich auch mal an, oder?“ Fernando streichelte sanft über ihren Hintern. „Von mir aus kannst du so bleiben“. Gab ihr einen Kuss in die Halsbeuge. „23¿Sabes qué, cariño? Eres preciosa“.

Frisch geduscht, nur mit einem Handtuch um die Hüfte gebunden kam Fernando zurück, kleidete sich an. Fast nahtlos tauschte Catalina mit ihm, ging ebenfalls duschen. Für einen Moment legte Fernando sich auf Catis Bett. Sog tief ihren Geruch aus der Bettwäsche auf. „Schon komisch irgendwie …“ schmunzelte er in sich hinein „… Gestern war ich noch in Dénia. Jetzt bei meinem Schatz. Hier soll ich … werde ich also die nächsten Tage verbringen“. Seine Augen wanderten die pastelligen Wände ab. Echt, das sah absolut edel aus. „Könnte ich auch haben … wenn ich nicht meine ganze Kohle verzocken würde“ kam es Fernando in den Sinn. Das war aber leichter gesagt als getan. Er konnte irgendwie nichts dagegen tun, musste einfach zocken. So wie jeder andere Süchtige auch Probleme hatte seine Sucht zu bekämpfen. Er wollte … muste sich aber zurücknehmen. Zumindest wenn Cati in seiner Nähe war. Sie sollte davon nichts wissen. Oder mitbekommen. Erst seit etwa einem Jahr hatte sich die Sucht bei ihm so langsam eingeschlichen. Nachdem er Cati kennengelernt hatte. Hatte bei ihren Videocalls, sei es über WhatsApp oder Skype aber nie mit ihr darüber geredet. Da standen andere Themen im Vordergrund. Zumeist Liebesbekundungen. Würde Cati gar einen solchen Typen wollen? Der seine gesamten Einkünfte sinnlos und unwiderbringlich auf den Kopf haute?

„24Hola, bones tardes“ klang es aus dem Vorraum. Kurz darauf lugte Margas Gesicht um den Türrahmen zu Catis Zimmer. Direkt von einem „25Uep! Com anam?“ aus ihrem freundlich strahlenden Gesicht. Fernando schaute sie an. Fragend. Marga lachte. „Ach ja, ein Spanier“. Kam auf Fernando zu, umarmte ihn mit Küsschen links, Küsschen rechts. „¿Qué tal, hombre?“ Sie richtete sich auf. „Wie war deine Anreise? Alles gut verlaufen?“ Marga hatte eine ähnlich bezaubernde Ausstrahlung wie Cati. Freundlich. Offenherzig. Einfach gutgelaunt. Freundlich schon allein deswegen, weil sie Fernando ihr Haus anbot. „Wo ist Cati? Wo ist denn dein Schatz?“ Fernando erhob sich von Catis Bett. „Unter der Dusche“. Nahm Marga noch einmal in den Arm. „Lass‘ dich mal knuddeln. Danke, dass ich bei euch bleiben kann“. Marga winkte ab. „Pfff. Kein Problem. Catis Freunde sind auch meine Freunde. Und bei dir sowieso. Catis Freund ist auch mein Freund“.

Fernando und Marga kannten sich im Prinzip nur flüchtig. Hatten sich vielleicht zwei- oder dreimal gesehen. Bei Besuchen hier auf Mallorca. Die anderen Besuche, die anderen Treffen zwischen Cati und Fernando waren in Dénia. Cati nahm das Flugzeug. Von Palma nach Valencia. Sie bekam zudem auch den so genannten „Residentenrabatt“. Als Bewohnerin der Balearen bekam sie satte 75% Nachlass auf den Nettoflugpreis für alle Flüge zwischen den Inseln und dem Festland. Von dort holte Fernando sie dann ab. Eine knappe Stunde Autofahrt von Dénia aus. Das ging fix. Fixer als mit der Fähre. Sie hatte ja nicht Fernandos Problem der Flugangst. Meist verbanden sie Catis Besuche direkt mit Ausflügen. In das valencianische Umland. Oder auch mal runter bis Alicante. Oder gar Murcia. Nahmen sich ein Zimmer in einer Pension. Allemal besser als Fernandos kleines Apartment.

Frisch geduscht betrat Cati ihr Zimmer. Unbekleidet. Ein Handtuch um ihre Haare gewickelt. Ungeniert. Umarmte Marga, küsste sie zur Begrüssung auf die Wangen. „26Hola guapa“. Von dem Stuhl, auf dem sie vor dem Duschen ihre Wäsche abgelegt hatte, griff Cati die Kleidungstücke. „Wir wollen etwas essen gehen. Im Mandolino. Magst du mitkommen?“ schaute sie zu Marga während sie erst in ihren Slip, dann in eine Jeans stieg. Marga lächelte. „Wenn ihr mich mitnehmt. Wenn ich nicht störe“. Cati schaute kurz zu Fernando. „Nandito?“ Hob dabei fragend leicht den Kopf an. „Nein, gar nicht. Ich freu‘ mich. Gerne“ zwinkerte Fernando ihr zu.

Marga drehte sich im Türrahmen. „Dann zieh’ ich mich aber auch noch um. Und ein bisschen Schminken. Aufbrezeln. Wenn wir ausgehen“. Im Gehen fügte sie noch „Dauert auch nicht lange. Geht ganz schnell“ hinzu.

Fernando hatte schon eine ganze Weile draussen, im Hof, auf die beiden Frauen gewartet. Sich in der Zeit Catalinas Sportflitzer etwas genauer angeschaut. Eigentlich mehr bewundert als angeschaut. Um den Wagen herumgehend war es fast so als würde Fernando wie bei seiner ersten Sichtung in der Pathologie seine Gedanken in sein Diktaphon sprechen. Die Karosserie des Fiat 124 Spider befand sich in einem außergewöhnlich gepflegten Zustand. Ein fast neuwertiger Wagen, mit einer beeindruckenden Farbkombination. Die rote Lackierung in ausgezeichnetem Zustand, ein dezenter weisser Streifen entlang der Seite des Autos verlieh den Kurven des 124er einen zusätzlichen Hauch von Spaß. Makellos, mit schönen Chromdetails und eleganten Felgen. Das Finish des Spiders regte Fernandos Phantasie an, nicht zuletzt wegen der roten Lederpolsterung. So wie er vorhin Catalina hatte vorbeifahren sehen, mit Kopftuch und Lederhandschuhen. Anders hätte Gina Lollobrigida in dem Wagen und einem italienischen Film auch nicht aussehen – wirken können. Das elegante Lenkrad mit Holzrand sowie die roten Türverkleidungen und Polsterungen bildeten ein unglaublich elegantes Ensemble. Fast zärtlich glitten Fernandos Finger über die Konturen des Blechkleids.

„Gefällt dir, oder? So wie du das Auto streichelst“ war Cati an ihn herangetreten. Fernando drehte sich zu ihr um. „Ja. Passt zu dir. Der Wagen ist atemberaubend schön. So wie du“. Fernando zog Cati in seine Arme. „Nur deine Kurven sind noch verlockender“. Er gab Catalina einen Kuss auf die Stirn. „27Mi cielo“. Seine Hände glitten von ihrer Schulter an ihrem Oberkörper herunter, an den Hüften, bis zu ihren Pobacken. „28Cati, cosita linda“.

Die dann doch etwas längere Wartezeit auf Margalida hatte sich gelohnt. Optisch gelohnt. Für Fernando in jedem Fall. Genau wie sie es gesagt hatte, hatte sie sich anständig „aufgebrezelt“. Automatisch, berufsbedingt, sprach Fernando gedanklich in sein Diktiergerät. Wie er es bei jedem Fall tat den er zu bearbeiten hatte. „Etwa Einmeterfünfundsechzig gross, sportliche Figur, dunkle Haare, nicht tiefschwarz, Schulterlang …“ Fernando schmunzelte. Über sich selber. Personen zu taxieren war mehr als eine Angewohnheit. Im Vergleich zu Cati, die wirklich tiefschwarze Haare hatte, ebenfalls Schulterlang, waren Margas Haare mehr Richtung Braun. Aber auch nicht braun, mit einem Stich ins Schwarze. Sie trug eine kurze, sehr knapp sitzende Jeans. So knapp, dass die Rundungen ihrer Pobacken hervorlugten. „29Joder, qué culazo tan bueno“ hörte er sich denken. Dazu trug Marga ein nicht minder knappsitzendes Top. Cremefarben. „Mittelgrosse, feste Brüste“ diktierte Fernando weiter in sein Diktaphon in seinem Kopf. Ganz anders als noch vorhin, als Marga von ihrem Job kam. Da war sie in einen Hosenanzug gekleidet. Haare streng zusammengebunden. Jetzt schien alles an ihr zu sagen „Hier bin ich“. Geschminkt, knalliger Lippenstift. Getuschte Wimpern. Sein Blick wechselte von Marga zu Cati. Die er ja schon vorhin, als sie sich in ihrem Zimmer angekleidet hatte, aufmerksam betrachtet hatte. Sie hatte wirklich tiefschwarzes Haar, eine echte Spanierin. Etwa so gross wie Marga, vielleicht ein paar Zentimeter mehr. Etwas mehr rundlicher Körperbau – im Vergleich zu Marga. Strammer Hintern, stramme Brüste. Ein wenig mehr Oberweite als Marga.

Cati war die Frau, die ihn direkt angezogen hatte, auf die er direkt aufmerksam geworden war. Als sie sich kennengelernt hatte. Auf der Feria de abril in Sevilla. Das war jetzt gut eineinhalb Jahre her. Damals trug sie ein hellblaues Kleid mit Rüschen an Armen und Rocksaum. Das Bild hatte sich in Fernandos Kopf eingebrannt. Die Figur die sie hatte. Sie war mit einer Flamenco-Tanztruppe dort. Naturlich, die Figur hatte sie immer noch. Sicherlich auch wegen des Tanzens. Das war ihr Hobby, ihre Passion, ihre Leidenschaft. Und das Feuer das sie beim Tanzen versprühte durfte Fernando auch bei ihrer ersten gemeinsamen Nacht erleben. Cati hatte ihn weggeballert. Und sich wohl auch von ihm direkt angezogen gefühlt. Altersmässig passte das auch, sie waren gleichaltrig, dreiunddreissig jetzt. Marga war auch in etwa in dem Alter. Geschätzt. Das sah man in ihrem Gesicht.

„Dann fahren wir ja wohl nicht mit deinem Sportwagen“ ging Margalida Cati anschauend auf ihr Auto zu, das neben Fernandos Renault Clio geparkt stand. Zeigte auf ihren Mini Cooper Countryman. „Oder mit deiner …“. Marga lachte. „30… Lo siento … Cacharro“.

Catalina hatte sich neben Margalida auf den Beifahrersitz niedergelassen. Das betörende Parfum der beiden strömte Fernando in die Nase. Sie hatten sich scheinbar vorgenommen um die Wette zu riechen. Eine jede anders. Marga nach Narzissen und Rosen. Catis Duft kannte Fernando nicht nur, hatte auch mitbekommen wie sie ihn „angelegt“ hatte. In ihrem Zimmer. „Opium von Yves Saint Laurant“ war Catis Duft.

Marga drehte den Zündschlüssel. „Mandolino hast du gesagt, war richtig, oder?“ schaute sie dabei kurz zu Cati herüber. Cati nickte. Drehte mit ihrer rechten Hand ganz leicht den Rückspiegel, schaute zu Fernando. „Dann wollen wir uns mal einen schönen Abend machen. 31Bienvenidos a Mallorca“.

Den Weg über, nach Llucmajor rein, versuchte Fernando sich einige Punkte mehr zu merken, einzuprägen, als die wenigen die ihm bislang bekannt waren. Schaute immer wieder, den Kopf nach links und rechts drehend, aus den Seitenfenstern. Erst als er nach vorne schaute registrierte er, dass Cati ihn die ganze Zeit über wohl schon angeschaut hatte – im Schminkspiegel ihrer Sonnenblende. Sie lächelte ihn an. „Ich freu‘ mich so, dass du gekommen bist. Dass du endlich hier bist. Dass es endlich geklappt hat mit deiner Stelle“. Marga stubbste sie mit dem Ellenbogen am Arm an. Schmunzelte sie an. „Du wirst dich bestimmt noch öfters freuen … jetzt … die kommenden Tage … wenn er kommt“. Cati lachte laut und kurz auf. „Oh ja. Ganz bestimmt sogar. Öfters“.

Die Bar, das Restaurant, das Mandolino schien sowas wie das Stammlokal der beiden zu sein. Zumindest wurden sie so vom Inhaber begrüsst. Mit Wangenküssen. Cati stellte ihn Fernando mit „32Este es Jaime, el propietario. Y también el mejor cocinero. De especialidades mallorquinas“ vor. Fernando reichte ihm die Hand, befüllte zugleich sein Gedankendiktaphon. „Ein kleiner schmuddeliger Typ. Fettige Haare, dicke Wurstfinger“.

Jaime führte sie an einen Tisch. „Drei Personen? Oder kommt noch jemand?“ zog er nacheinander die Stühle vom Tisch ab, bat sie Platz zu nehmen. Pries auch direkt „Heute gibt es Geschmortes Kaninchen. Sehr zu empfehlen“ an. „33Conejo al cebolla“ fügte er hinzu bevor er verschwand. Marga orderte direkt eine Flasche „Priorat“ bei Jaime. Die ein anderer Kellner brachte. Auf den Tisch stellte. Zwar geöffnet – sonst aber nichts. Fernando kannte das anders. Dass die Servicekraft zumindest den Wein in Gläser für die Gäste einfüllte. Das war hier – auf Mallorca vielleicht anders. Rustikaler. Wie das Mandolino generell. Schlichte Einrichtung. Dunkle Möbel. Alte Möbel. Ledigich der Bereich hinter dem Bartresen war optisch freundlich gehalten. Ähnlich Catis Zimmer in einem Pfirsich-Ton. Auch die gleiche, oder zumindest ähnliche Oberflächentechnik. Leicht marmoriert. Fernando griff zu Catis Hand, schmunzelte sie an. „Ist das der Typ dem ihr zwei es gemacht habt? Für den halben Renovierungspreis?“ Cati verzog ihre Mundwinkel von einem Ohr zum anderen. „Mann, das war ein Scherz. Und wenn … wäre das schlimm? Wenn du nicht da warst … Ne, haben wir nicht. Aber wir … Marga und ich sind auch keine Nonnen. Du etwa? Hast du dich nicht vergnügt? In Dénia?“

Fernando hielt immer noch Catis Hand. „Ne, ich bin keine Nonne“. Cati musste lachen. „Siehst du, dann passt das doch. Jetzt wo du endlich hier bist … bei mir … werde ich zwar nicht zur Nonne … aber zu deiner Partnerin. Du … und kein anderer. Musst du jetzt einfach glauben“.

Marga hatte inzwischen die Weingläser gefüllt, hob ihr Glas hoch. „Hast du das Cati echt geglaubt? Meinst du wir machen das für Geld mit dem? Also bitte Herr Doktor“.

21 Mein Haus ist dein Haus.

22 Und mein Herz gehört dir.

23 Weisst du was, mein Schatz? Du bist wunderschön.

24 Hallo, Guten Tag.

25 Hallo, wie geht’s?

26 Hallo Schönheit.

27 Mein Himmel

28 Cati, du hübsches Ding.

29 Meine Fresse, was für ein geiler kleiner Knackarsch.

30 Entschuldige … Schrottkarre.

31 Herzlich willkommen auf Mallorca.

32 Das ist Jaime, der Inhaber. Und auch gleichzeitig der beste Koch. Für mallorquinische Spezialitäten.

33 Kaninchen mit Zwiebeln

„Zucken. Zocken“

Fernando prostete mit den beiden an. Schaute dann zu Marga. „Ich bin kein Herr Doktor“. Marga nippte an ihrem Wein. „Aber du arbeitest doch im Hospital. Sogar an der Uniklinik. Das ist doch bestimmt voll spannend. Ist das so wie im Fernsehen? Bei CSI Miami? Dass du Morde aufklärst? Und mit den ganzen Assistenzhasen? Ist das auch so … wie im Fernsehen? Dass der Doktor die jungen Dinger vernascht? Reihenweise“. Fernando musste grinsen. Cati schlug Marga leicht auf den Unterarm. „Das hat dich nicht zu interessieren. Das mit den Hasen. Und wenn … dann wird Nando das schon erzählen … wenn er möchte. Muss er aber nicht. Ich will das auch gar nicht wissen. Willst du mal erzählen welche Hasen du schon alles vernascht hast? Jetzt gibt es nur noch einen Hasen zu vernaschen. Das bin ich“.

Fernando stellte sein Weinglas auf dem Tisch ab. „Naja, Doktor. Irgendwie Ja und Nein. Klar, ich habe Medizin studiert. Zehn Semester. Dann noch mal vier Jahre Weiterbildung zum Rechtsmediziner. Aber so wie das im TV gezeigt wird ist das absolut nicht. Auch nicht mit den Hasen“. Fernando lächelte Cati an. „Du … das stimmt … du bist mein Hase. Mein einziger. Der Beste. Die Beste“. Cati nickte Marga zu. „Siehste, da hörst du es“.

Während des Essens erzählte Fernando mehr. Zu seinem Beruf. Der ihn faszinierte, wie die beiden Frauen sehr schnell feststellen mussten. Bei Jaime hatte Cati eine Auswahl mallorquinischer Leckereien geordert. Frito mallorquin, Ensalada de Garbanzas, Tumbet, Paelle Ciega und und und. Auch das von Jaime angepriesene Conejo. Es gab für jeden alles – und vor Allem reichlich. Zur freien Bedienung. Cati hatte weiteren Wein dazu bestellt. Diesmal einen mallorquinischen Tropfen. Von einer Bodega aus Felanitx. „Die Winzerin kenne ich persönlich“ goss Cati den Tropfen in die Gläser. „Ich kenne ja jeden … Naja, fast jeden in Felanitx. Die kommen doch wegen irgendwas immer zu uns ins Rathaus“.

Stunden hatten sie im Mandolino verbracht. Erst als Jaime noch nach 34Postre fragte winkten die Frauen dankend ab. Marga lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Ich nicht. Stört es, wenn ich meine Hose ein Stück öffne? Den Knopf? Ich platze gleich“. Cati lachte. „Ich sowieso nicht. Ich krieg‘ meinen Nachtisch nachher. Wenn wir zuhause sind. Aber dann mit Nachschlag. Von meinem Hasen. Von Nando“. Sie fasste an Fernandos Handgelenk. Fernando lächelte ihr zu. „Kriegst du“.

Ausgiebig hatte Fernando erzählt. Erst ein wenig allgemein. Wohl für Marga. Um ihre Neugier zu befriedigen. Dass das mit den Assistenzhasen eben gar nicht so sei. „Klar, ich … also wir Rechtsmediziner sehen viele nackte Menschen. Auch Frauen. Aber die sind dann alle tot. Und alle unterschiedlich. Dünn. Dick. Gross. Klein. Grosse Brüste. Kleine Brüste. Keine Brüste …“. Fernando lachte. „Männer“. Schaute Marga an. „Kleine Pimmel. Grosse Pimmel. Normale Pimmel. Alles. Da ist einfach alles dabei“. Marga rutschte ihren Stuhl an den Tisch heran. „Was sind denn normale Pimmel? Wie lang ist denn so ein normaler Pimmel?“ Cati lachte laut. „Du bist echt eine. Als würde sich Fernando jetzt ausgerechnet für Pimmel interessieren“. Marga zuckte mit den Schultern. „Könnte doch sein“.

So neutral als möglich, auch wenig emotional hatte Fernando seine Arbeit den beiden geschildert. „CSI oder Body of Proof – das ist alles Fernsehen. Sieht aber in Wirklichkeit ein wenig anders aus“. Rechtsmediziner müssten schon über ein hohes Maß an medizinischem Sachverstand verfügen, würden in der Regel zu jedem Opfer ein umfangreiches Gutachten erstellen. „Also auch viel Papierkram“. Und auch andere Aufgaben würden dazu gehören - Leichen müssten Blut-, Haar- und Speichelproben entnommen werden, die dann später im Labor untersucht würden. „Die wenigsten Toten haben ja einen Ausweis dabei. Insbesondere Opfer von Verbrechen. Da wär‘ der Täter ja schön blöd“ versuchte Fernando mit kleinen Witzeleien das Thema etwas zu entspannen. „Der Beruf des Rechtsmediziners ist nichts für schwache Nerven. Das sage ich euch. Eine gesunde und stabile Psyche ist in der Arbeit mit dem Tod eine wichtige Eigenschaft. Außerdem solltest du ein paar Eigenschaften schon mitbringen. Analysekompetenz, Belastbarkeit in Stresssituationen, Flexibilität, Teamfähigkeit, Fingerspitzengefühl und Genauigkeit, Resistenz gegen Ekel und Schocksituationen“. Fernando schmunzelte die beiden an. „Das kommt aber von selbst. Wisst ihr wie oft ich mir anfangs die Seele aus dem Leib gekotzt habe“. Fernando griff zu Catis Hand. „Du kannst dir gar nicht vorstellen was der Mensch für ein Schwein ist. Manche jedenfalls. Was die mit anderen Menschen machen. Das ist dann unser Job. Das herauszufinden. Und die dann einer gerechten Strafe zuführen“.

Fernando setzte sich aufrecht. „Nur manchmal … zum Beispiel bei Kindern … da würde ich … auch meine Kollegen … denen am Liebsten das Gleiche antun. Verstehst du?“ Cati befreite sich aus seinem Handgriff. „Lass‘ uns bitte zahlen. Und verschwinden. Ich muss gleich kotzen. Nur vom Zuhören. Dass du das kannst. Machen kannst. Pass‘ bloss auf, dass du nicht irgendwann einen bleibenden Schaden behältst. Im Kopf. Dieses ganze Elend. Dieser ganze menschliche Dreck“. Cati hob ihren Arm in die Luft. „35Jaime, la cuenta porfa“.

Eine ganze Weile war die Stimmung während der Rückfahrt eher gedämpft, ein wenig bedrückend. Marga fand ihre Sprache als Erste zurück. „Wie ist das eigentlich, wenn jemand zu euch … wie heisst das überhaupt? Leichenhalle? … Zu euch in die Leichenhalle kommt den du kennst. Stell‘ dir mal vor Cati oder ich zum Beispiel“. Ruckartig drehte Cat ihren Kopf zu ihr. „Ja spinnst du jetzt komplett. Wieso soll Nando

sich das vorstellen?“ Fernando legte beiden die Hand auf eine Schulter. „Also es heisst Pathologie. Oder Rechtsmedizin. Und wenn jemand Opfer ist … der kommt ja nicht … ist ja kein Arzttermin … mit Wartezimmer und so … wenn man jemanden kennen sollte … zufällig … Familie oder Freunde … dann übernimmt das natürlich ein unbeteiligter Kollege. Oder Kollegin“. Cati drehte ihren Kopf ganz zu Fernando. „Es gibt auch Frauen, die so einen Job machen?“

Marga schaute in den Rückspiegel zu Fernando. „Was verdienst du eigentlich? Wird das anständig bezahlt?“ Fernando drückte leicht mit der Hand ihr Schulterblatt. „Knapp 7000 Euro. Brutto. Pro Monat“. Cati atmete tief ein. „Sooo viel? Das wusste ich ja gar nicht“. Marga stubbste sie mit dem Ellenbogen an. „Hast du dir echt ‘ne gute Partie geangelt. 36El señor medico.

Vor der Finca parkte Marga kurz ein, liess aber den Motor laufen. Schaute zu Cati, dann zu Fernando. „37Guapos, pasad una buena tarde y una buena noche. Yo me voy a Arenal a bailar. Quizá también haya algo bueno para mí“. Marga beugte sich zu Cati herüber, gab ihr einen Kuss auf den Mund. „Lass‘ dich mal schön … na sagen wir nett ausgedrückt … verarzten. Du weißt was ich meine, oder?“ Cati strich Marga durch die Haare. „Du willst echt noch nach Arenal?“ Marga rutschte sich auf dem Fahrersitz wieder in Position. „Sicher. Wie lange habt ihr euch nicht gesehen? Doch Wochen. Da habt ihr doch bestimmt Nachholbedarf“. Sie öffnete über Cati hinweg greifend die Beifahrertür. „Und jetzt raus. Ab ins Körbchen“.

Cati kam ziemlich direkt zu ihrem Anliegen – Nachtisch. War ratzfatz entkleidet, kuschelte sich ins Bett. Beide Arme streckte sie nach Fernando aus. „Komm‘ zu mir. Aber jetzt nicht so eine schnelle Nummer … wie im Pool“. Fernando errötete ein wenig. „Sorry … war, weil ich dich so lange nicht gesehen … gespürt habe“. Cati lächelte ihn an. „Kein Problem. Überhaupt keins. Du zeigst mir jetzt einfach, dass du auch anders kannst. Weiss ich doch“. Fernando strich seine Kleidung ab, krabbelte zu Cati ins Bett. Kuschelte sich an sie. Ihre Hände … ihre Münder fanden schnell zum Bestimmungsort. Dem Körper ihres Partners. „„Willst du dich der Versuchung hingeben?“, flüsterte Cati in Fernandos Ohr. Sie selbst schwebte schon „irgendwo“, fühlte sich geborgen. Wärme umgab sie, glatter, seidiger Stoff umhüllte und liebkoste ihre Haut. Fernando küsste sie zärtlich und innig. „Versuchung? Klingt verheißungsvoll“.

Lange unterhielten sie sich, leise – fast flüsternd – obwohl sie alleine waren, sonst niemand im Haus war. Marga hatte ihnen doch eine sturmfreie Bude geboten. Um sich auszutoben. Nur hatte Marga das anders formuliert. Cati erzählte von ihrem Job, von dem was bei ihr in den letzten Wochen war. Fernando hatte sich ja im Restaurant ausgiebig ausgelassen. Von seinem Job erzählt. Cati hauchte beinahe ihre Stellenbeschreibung in Fernandos Ohr, der jetzt auf ihrem Brustkorb seinen Kopf abgelegt hatte. Das Streichen von Catis Hand durch Fernandos Kurzhaarschnitt fühlte sich angenehm für ihn an. Wobei Kurzhaar wirklich zutraf. Sehr kurz, fast Glatze. Auf vielleicht einen Millimeter Länge schor Fernando sein Haar mit einem Elektrorasierer sein Haar regelmässig selbst.

Die Knospen von Catis Brüsten reagierten auf den Seidenstoff ihrer Bettwäsche und auf Fernandos Hände, die den Stoff zwischen Handfläche und Catis Körper hauchte. Ihr Schoss pochte. Feuchtigkeit sammelte sich zwischen ihren Schenkeln. Fernandos andere Hand, die auf ihrem Bauch lag, schob sich nach unten. Zu ihrem Venushügel. Seine warmen Finger sendeten winzige Impulse unter ihre Haut. Cati stöhnte leise. Als Fernandos Finger anfingen, ihre Haut dort unten zu streicheln, spürte sie, wie überempfindlich und empfangsbereit sie war.

Cati öffnete ihren Mund für einen Kuss. Im nächsten Moment spürte sie, wie Fernando in sie eindrang. Sie schien noch mehr zu schweben, während Fernando sie so dermassen vögelte, als wäre es überlebenswichtig, sie ganz und gar auszufüllen. Sie konnte nicht genug von ihm bekommen.

Cati hauchte ihre Lust in Fernandos Schulter. Bedachte ihn mit liebkosenden Worten. Spürte, dass sie „jeden Moment“ ihren Höhepunkt erreichen würde. „Nandito, mi amor. Hör‘ nicht auf. Bleib‘ in mir“. Eine gefühlte Ewigkeit, eine wohlige Ewigkeit blieb Fernando in ihr. Bei ihr. Selbst als Cati schon eingeschlafen war. Glücklich. Befriedigt. Ihn vor dem Einschlafen mit tausenden von Küssen übersät hatte.

Vorsichtig, darauf bedacht Cati nicht aufzuwecken, stahl Fernando sich aus dem Bett. Deckte Cati zu. Schlich auf Zehenspitzen gehend aus dem Schlafzimmer. In den grossen Gemeinschaftsraum. Er hatte schon lange die dünne Linie zwischen absoluter Übermüdung und totaler Aufgedrehtheit überschritten. War jetzt beinahe 72 Stunden wach. Das Phänomen konnte er sich sogar medizinisch erklären, er hatte das ja studiert. Sein Körper war zwar matt, sehnte sich nach Schlaf, dennoch kam er nicht so recht zur Ruhe. Das lag am Dopamin das sein Hirn ausschüttete. So als sei er auf Droge. War er ja auch – nur ohne Drogen zu sich genommen zu haben. Hinzu kam sicherlich das Glücksgefühl das er mit Cati gerade erlebt hatte und teilen durfte.

Keine dreissig Sekunden nach dem Aufklappen seines MacBook waren alle Programme und Browserfenster, die er zuvor angeschaut hatte, hochgefahren. So ganz anders als bei den Computern, die sie im Institut in Dénia nutzen. Windows-Rechner. Da konnte man in der Zwischenzeit getrost beim benachbarten Eroski-Supermarkt noch etwas einkaufen gehen. Und Institut nannten sie intern ihren Arbeitsplatz. Nicht Pathologie. Irgendwie war es ja auch ein Institut. Ein Forschungsinstitut. Sie forschten ja auch. Nach Todesursachen.

Ruleta Automática – das war Fernandos Ding, seine Leidenschaft. Aber auch sein Verhängnis. Garantiert würde er irgendwann, wenn seine räumliche Beziehung zu Cati enger wurde, erklären müssen warum er finanziell immer klamm war. Was eigentlich nicht sein konnte – vor einigen Stunden hatte er ihr erzählt, dass er 7000 Euro monatlich verdiene. Was sollte er ihr erzählen? Wenn sie nachfragte, warum er eigentlich nichts besass? Keine Möbel, keine Einrichtung, nur ein paar Klamotten, einen abgeranzten Renault Clio.