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'Willst du noch ein Stück mit mir gehen? Und damit meine ich jetzt nicht hier am Strand entlang. In meinem Leben, in unserem Leben?' Jürgen und Rosalie kümmern sich auch nach der Trennung liebevoll gemeinsam um ihren Sohn Louis und um Juliette, Rosalies Tochter aus einer früheren Beziehung. Beide verbindet nach wie vor eine freundschaftliche Beziehung, die gelegentlich im Schlafzimmer mit schnellem Sex besiegelt wird. Und auch wenn der Alltag einfach und unkompliziert, also fast perfekt erscheint, ist perfekt manchmal nicht genug. In Jürgen brennt die Sehnsucht nach einer ganz normalen Familie und so schlägt er Rosalie vor, gemeinsam mit den Kindern in den Urlaub zu fahren, um einem Neuanfang in der Beziehung eine Chance zu geben. Gut gelaunt und mit Erich, einem guten Freund, als 'Beziehungscoach' im Schlepptau fahren sie nach Cadzand, an die niederländisch-belgische Küste. Als die Nachricht vom Jugendamt eintrifft, dass Juliette, die auf keinen Fall mit in den Urlaub wollte, von der Polizei verhaftet wurde, beginnen für Jürgen und Rosalie turbulente Stunden.
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Seitenzahl: 233
Veröffentlichungsjahr: 2025
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„Willst du noch ein Stück mit mir gehen? Und damit meine ich jetzt nicht hier am Strand entlang. In meinem Leben, in unserem Leben?“
Jürgen und Rosalie kümmern sich auch nach der Trennung liebevoll gemeinsam um ihren Sohn Louis und um Juliette, Rosalies Tochter aus einer früheren Beziehung. Beide verbindet nach wie vor eine freundschaftliche Beziehung, die gelegentlich im Schlafzimmer mit schnellem Sex besiegelt wird.
Und auch wenn der Alltag einfach und unkompliziert, also fast perfekt erscheint, ist perfekt manchmal nicht genug.
In Jürgen brennt die Sehnsucht nach einer ganz normalen Familie und so schlägt er Rosalie vor, gemeinsam mit den Kindern in den Urlaub zu fahren, um einem Neuanfang in der Beziehung eine Chance zu geben.
Gut gelaunt und mit Erich, einem guten Freund, als „Beziehungscoach“ im Schlepptau fahren sie nach Cadzand, an die niederländisch-belgische Küste.
Als die Nachricht vom Jugendamt eintrifft, dass Juliette, die auf keinen Fall mit in den Urlaub wollte, von der Polizei verhaftet wurde, beginnen für Jürgen und Rosalie turbulente Stunden.
„Prolog“
„Zwei Rabauken“
„Schneller Abschied“
„Bierchen geht immer“
„Das Jugendamt“
„1A verkackt“
„Jamaica“
„Nikotinspiegel“
„Bibi und Tina“
„Am Rande …“
„Heidiwitzka“
„Frau Schnibbelskirchen“
„Die Weissglut“
„De Zwin“
„Bummeln, Genießen, Entspannen“
„Der Stachel“
„Ne Mann. Echt nicht.“
„Ein Fluch?“
„Du bleibst hier“
„Volvo und so“
„Perle von Flandern“
„Zeeuwse Babelaar“
„Die Gurke“
„Der Boss“
„Plopsaland“
„Zutritt verboten“
„Das Bälleparadies“
„Törrööö“
„Fahr’ mal runter“
„Die Schnecke“
„Vlissingen“
„Der Hunni“
„Epilog“
Vor zwei Tagen waren Rosalie und Jürgen in ihrem Feriendomizil angekommen, ein schickes Apartment in einer uniformen, klotzartigen Ferienanlage, direkt am Meer – in Cadzand Bad. Dieser Urlaub sollte die beiden wieder einander näherbringen, so zumindest ihr gemeinsamer Gedanke, ihr Wunschdenken. Als Familie, als „Mann und Frau“. Denn schon seit längerer Zeit hatten sie sich auseinandergelebt, ganz offensichtlich –lebten bereits in getrennten Wohnungen. Rosalie mit den Kindern, Jürgen hingegen allein – ohne Familie und ohne familiäre Bindung.
Lediglich an den Wochenenden sahen sie sich, Rosalie brachte ihren gemeinsamen Sohn freitags zur „Feierabendzeit“, der dann zwei Tage bei seinem Vater blieb. „Unter der Woche“ gab es keinen Kontakt, jeder lebte sein Leben und ging „seines Weges“. Manchmal blieb Rosalie noch eine Weile, während Louis, ihr gemeinsamer Sohn, sich dann in „seinem Zimmer“, seinem Zimmer auf Zeit, beschäftigte. Redeten aber nicht wirklich über sich, über Erlebtes – dazu waren sie irgendwie nicht im Stande, zu sehr herrschte „Sprachlosigkeit“ zwischen den beiden.
Statt sich ihres Unvermögens klar zu werden, sich auszutauschen, mit Worten, schliefen sie miteinander. Hastig, flüchtig, ungezügelt, völlig unromantisch, schnelle Nummer auf der Couchgarnitur – aber dennoch still und leise – nebenan spielte ein Kind, das am Besten erst gar nicht mitbekam was sie trieben - und es wahrscheinlich auch nicht verstehen würde.
Aller Vernunft zuwider – auf Kopfebene klappte es nicht mehr zwischen den beiden, aber das körperliche Verlangen nacheinander war auf beiden Seiten nicht nur „noch vorhanden“, wollte auch schnellstmöglich befriedigt werden. Mal eben ein bisschen ficken, wortlos. Während des Sex. Vorher. Nachher. Kein Geplänkel. Kein Vorspiel. Keine Zärtlichkeiten. Keine Küsse – nichts – einfach nur „mal eben vögeln“. Die Triebhaftigkeit ausleben. Das funktionierte zwischen beiden noch. Die Anziehungskraft der Körper. Aber bloss nicht reden. Nichts ergründen. Das endete in Streiterei.
Vor ein paar Wochen hatte Jürgen Rosalie den Vorschlag unterbreitet „Wollen wir nicht zusammen in Urlaub fahren, als Familie?“ Damit hatte er wirklich alle mit einbezogen, auch Louis’ Schwester Juliette. Sie war zwar nicht seine leibliche Tochter, was aber nichts, rein gar nichts zu bedeuten hatte. Mittlerweile lebten sie als „Familie“ seit fast 14 Jahren zusammen. Jürgen sprach von Juliette auch nicht selten von „meiner Tochter“, obwohl sie das nicht war. Und auch Juliette, wenn ihr irgendwas gegen den Strich ging, das besonders betonte. „Du hast mir gar nichts zu sagen, du bist nicht mein Vater“. Aber das war wohl normal in ihrem jetzigen Lebensabschnitt als „Pubertier“.
„Glaubst du das ist eine gute Idee? Das bringt etwas für unsere Beziehung? Die doch eigentlich schon gar keine mehr ist?“ äusserte Rosalie ihre Bedenken zum Reisevorschlag. „Was erhoffst du dir daraus? Willst du denn überhaupt noch, dass es mit uns wieder wird?“
Was er sich erhoffte konnte Jürgen nicht konkret beantworten, dass er „wollte, dass es wird“ dafür umso klarer. „Ja, das will ich, das wäre schön, das wünsche ich mir“. Rosalie küsste ihn, nach langer, langer Zeit – richtig und innig. „Dann lass’ es uns versuchen. Aber du arrangierst alles. Wir fahren einfach nur mit. Mit der ganzen Planung will ich nichts zu tun haben“.
Während der darauffolgenden Tage nutzte Jürgen immer wieder die Möglichkeit des Internets um nach einem Angebot zu suchen. Nicht nur dank seiner beruflichen Tätigkeit in einer Werbeagentur hatte er Zugang zu Computer zur Recherche, sein Job bot ihm viel Freiraum – und war überdies extrem gut bezahlt. So gut, dass er sich gleich zwei Autos leisten konnte, beides „dicke Panzer“, Volvo Kombi. Darüber hinaus auch exzellente, geräumige und zuverlässige Reisemobile, die ihrer Namensherkunft „Ich rolle“ absolut gerecht wurden.
Wieder einmal war Wochenende, Rosalie brachte Louis zu Jürgen. Und – oh Wunder – zwischen den beiden, Rosalie und Jürgen, ging es nach der „Kinderübergabe“ nicht um Sex, sondern um den anstehenden gemeinsamen Urlaub.
Einige Orte zur Auswahl konnte er ihr präsentieren, vorschlagen, die von ihm im Büro ausgedruckten Infos auf dem Küchentisch ausbreitend. Allesamt am Meer, in den Niederlanden. „Nicht weit entfernt von unserem Wohnort, also keine langen Fahrtzeiten“.
„Wie findest du die Idee, dass wir mit Freunden zusammenfahren?“ Jürgen sah Rosalie fragend an. „Ja, nicht alleine, also wir allein, sondern noch mit jemand dabei, der uns begleitet. Nicht nur als Urlaubsbegleitung, uns auch in unserer Beziehung helfen kann. Wie wäre es mit deinem Freund Erich?“
Jürgens Begeisterung hielt sich in Grenzen, das liess er aber nicht erkennen. „Meinst du das bringt was?“ Rosalie nickte. „Ja, ein Aussenstehender kann uns helfen, ganz bestimmt. Und ihr seid doch dicke Freunde. Ausserdem kann Louis dann mit Erichs Tochter spielen. Das ist doch auch ganz wichtig“.
Wirklich überzeugt war Jürgen von dem Vorschlag nicht. Rosalie schob die auf dem Küchentisch ausgebreiteten Ausdrucke zusammen. „Ich muss jetzt los. Aber wenn du willst komme ich heute Abend noch mal vorbei – und wir reden weiter“. Relativ entgeistert sah er sie an. „Wie? Heute Abend?“ „Ja, später. Ich muss jetzt echt los“. Immer noch perplex stammelte er etwas vor sich hin. „Also heisst das, dass du, dass ihr mit mir wegfahrt?“
„Ja, das heisst das. Und wir können nachher weiterreden“. Rosalie sah Jürgen eindringlich an. „Reden. Und das meine ich jetzt auch. Reden, sonst nichts“. Jürgens Herz klopfte schneller. „Sehr gerne. Ich freu’ mich auf deinen Besuch“.
Rosalie ging noch ins Kinderzimmer, verabschiedete sich von Louis. „Ich muss noch ein paar Sachen erledigen. Viel Spass mit Papa, macht was Schönes“. Gab Louis einen Kuss, hielt kurz inne. „Ich komm’ nachher noch mal vorbei, vielleicht können wir dann sogar morgen zusammen frühstücken. Würde dir das gefallen?“ Louis umarmte sie. „Ja Mama“.
Rosalie kam aus der Hocke empor, in die sie gegangen war um mit Louis auf „Augenhöhe“ zu sprechen, sah Jürgen an als er sie zur Haustür begleitete. „Also, bis nachher. Ich weiss nicht genau wann, aber bis nachher“.
Jürgen ging ins Kinderzimmer. Louis lag wieder auf seinem Bett, schmökerte in der neuesten Ausgabe der „Micky Maus“. Das war zu einer Art Ritual geworden. Sowohl für ihn als auch für Jürgen. Bevor er zu ihm kam besorgte Jürgen am Zeitungskiosk die neueste Comic-Ausgabe. „Was wollen wir denn so machen? Hast du einen bestimmten Wunsch?“ Louis sah kurz vom Heftchen auf. „Kann der Stefan kommen?“
Stefan war sein bester Freund, sie verbrachten viel Zeit zusammen, spielten, machten Blödsinn, lachten, bauten sich Szenarien mit „Lego Bionicle“, was Jungs halt so machen im Alter zwischen sechs und acht. Unbeschwert sein eben. „Klar, willst du ihn anrufen?“
Louis wählte Stefans Nummer, wechselte ein paar Worte mit ihm, schaute kurz zu seinem Vater. „Kann er auch hier schlafen?“ Jürgen nickte Louis zu. „Klar“.
Hinter seiner Couchgarnitur hatte Jürgen eine Matratze verstaut, für Besucher, von daher war das überhaupt kein Problem. Und Louis machte es glücklich seinen Freund um sich zu haben, einen Spielkameraden. Zumal in der Gegend, in der Jürgen wohnte meist ältere Menschen lebten, kaum bis gar keine Kinder, nicht in seinem Alter. Und es war schliesslich Wochenende. Keine Schule, einfach nur Freizeit.
Stefan war mit seinem Fahrrad gekommen, er wohnte nicht weit entfernt, im gleichen Stadtteil wie Louis - knapp drei Kilometer entfernt – wo sie auch die gleiche Schule besuchten, im gleichen Sportverein waren. Richtige Freunde eben.
Bis in die frühen Abendstunden drang Gelächter der Jungs aus dem Kinderzimmer, sie hatten ihren Spass.
Nach dem gemeinsamen Abendessen bereitete Jürgen die Schlafstätte für Stefan vor, brachte die Matratze ins Zimmer. Es dauerte naturgemäss noch recht lange bis dann endlich „Ruhe“ bei den Jungs eingekehrt war und sie akustisch signalisierten, dass sie eingeschlafen waren.
„Prima, dann kannst du dir ein Bier aufmachen“ machte Jürgen sich in der Küche zu schaffen. Ein wenig aufräumen und dann vor die Glotze hängen – das schien angebracht. Dabei fielen ihm aber die Papierausdrucke der Urlaubsplanung wieder in die Finger. Hatte er gänzlich verdrängt, vergessen.
Und auch erst als die Haustürklingel Besuch ankündigte fiel ihm der Rest wieder ein. Rosalie hatte doch gesagt, dass sie „später“ nochmals vorbeischauen wolle. In der Küche blickte er auf die Uhr, gleich Mitternacht. Jürgen eilte in den Hausflur, öffnete die Türe, sah ins Treppenhaus. Seine Wohnung lag im „Hochparterre“, so hatte er direkten Blick auf das Treppenhaus.
Mit einem grinsenden Gesicht betrat Rosalie den Hauseingang, fahl beleuchtete die Deckenleuchte ihre Gestalt. Mit einem an die Lippen gelegten Finger wollte Jürgen ihr signalisieren leise zu sein – die Kinder schliefen.
„Mit dir habe ich nicht mehr gerechnet“ begrüsste er Rosalie. Erstaunt und irgendwie aufgeregt zugleich. „Komm’ rein“. „Ja, sorry, ist echt spät geworden“. Rosalie warf ihre Jacke über einen Stuhl in der Küche. „Wir haben uns einfach festgequatscht“ erklärte sie ihr spätes, sehr spätes Erscheinen. „Hast du gewartet?“ Wahrheitsgemäss musste Jürgen das verneinen. „Ne, ich hab’ das völlig vergessen“.
Rosalie setzte sich an den Küchentisch, zog Tabak und Zigarettenpapier aus ihrer Handtasche, drehte sich eine Zigarette, zog daran, atmete den inhalierten Rauch wieder aus. „Hast du denn noch Lust mit mir zu reden? Kann ich hier schlafen?“ Damit hatte er jetzt nicht wirklich gerechnet. Weder, dass sie zu so später Stunde noch vorbeikam, auch mit der Frage nach dem Schlafen nicht. „Stefan ist hier bei Louis – und er hat die Gästematratze, also …“.
„Na, dann bei dir im Bett. Und wir reden dann über deine Pläne“. Nicht nur aus Unsicherheit drehte er sich ebenfalls eine Zigarette, so hatte er zumindest etwas um sich dran festzuhalten. „Wir beide in einem Bett? Weißt du wie lange das her ist?“ Ihre Blicke trafen sich. Rosalie drückte ihre Zigarette im Ascher aus. „Oder hast du Angst das was passiert?“ Was meinte sie mit „passiert“? Jürgen griff zu ihrer Hand, die noch immer im Ascher stocherte. „Ich hab’ keine Angst, egal wovor auch immer“.
Was natürlich Blödsinn war, jeder Mensch hat vor irgendetwas Angst, selbst wenn er – oder sie - es nicht zugibt. Sollte er das jetzt sagen? Eher nicht, zumal er wirklich keine Angst hatte, im Moment nicht – und insbesondere nicht, sich mit ihr in ein Bett zu legen. In sein Bett.
„Dann komm’, lass’ uns ins Bett gehen. Bring’ die ganzen Papiere mit, zeig’ mir was du rausgesucht hast“. Rosalie war aufgestanden, um ins Schlafzimmer zu gehen. Naja, Schlafzimmer – das war eine Kombination aus Wohn-und Schlafzimmer, Jürgen hatte lediglich eine kleine Wohnung. Zwei Zimmer, Küche, Diele, Bad. Und eines der Zimmer war Louis’ Zimmer. Und sein eigenes Bett war eine so genannte Schlafcouch.
Nur noch mit einem Slip bekleidet huschte Rosalie an ihm vorbei, Richtung Badezimmer. Durch die angelehnte Badezimmertür hörte er wie sie in die Porzellanschüssel pinkelte, dann den Wasserstrahl aus dem Wasserhahn am Waschbecken. „Brauchst du ein frisches Handtuch?“ rief er, besser gesagt, flüsterte er durch den Türspalt, ohne das Bad zu betreten. „Nein, ist doch alles da. Machst du uns das Bett zurecht?“
Jürgen schob den Couchtisch beiseite, schaltete den Fernseher aus und arrangierte die Couch zu einem Bett um. „Frische Bettwäsche“ schoss es ihm durch den Kopf und bemerkte, während er Bettlaken und Bettzeug aus dem Schrank kramte, wie sehr aufgeregt er war. Fast so als würde zum ersten Male eine Frau in sein Bett kommen. Dabei war es doch ganz und gar nicht so. Hunderte von Nächten hatte er mit Rosalie gemeinsam im Bett verbracht. Nur eben die letzten Wochen nicht. Und auch hatte er mit allem gerechnet, nur nicht, dass sie sich gleich gemeinsam „ablegten“.
Rosalie hatte sich bereits unter das Plumeau gelegt, aus der Küche hatte er die „Reiseunterlagen“ geholt, reichte sie ihr an, begann sich auch zu entkleiden. T-Shirt und Unterhose behielt er an, stieg etwas unbeholfen zu ihr ins Bett. Auf dem Rücken liegend, die Papierblätter in die Höhe haltend, schmunzelte Rosalie ihn an. „Hast aber doch Angst, oder? Angst vor mir?“
„Nein“. Es war auch keine Angst, er war einfach unsicher, ob der Situation. Rosalie fasste nach seinem Arm, legte ihn um ihre Schulter. „Nimm mich mal in den Arm, ich beisse nicht“. Jürgen sah sie an, jetzt erst recht unsicher. „Dann erzähl’ mal, was du dir ausgedacht hast. Und hast du dir das mit Erich noch mal überlegt? Dass der mitkommt? Wie findest du die Idee?“
Nein, das hatte er nicht überlegt. Nicht einmal drüber nachgedacht. Hatte sich der Sinn für ihn auch noch nicht erschlossen. „Wieso sollte Louis allein sein? Wir sind doch auch da. Und Juliette auch. Also wieso allein?“ Rosalie fächerte die Papiere auf, hielt sie ihm entgegen. „Was ist denn deine Wahl? Was würdest du denn aussuchen?“ Mit leicht benetzten Fingerspitzen blätterte Jürgen durch die Ausdrucke, zog einen davon hervor. „Das hier, das gefällt mir“.
Eine modern aussehende Apartmentanlage in Cadzand-Bad, unmittelbar am Meer, am Strand, gelegen. Das gewählte Apartment hatte 3 Schlafzimmer, Küche, Badezimmer, Wohnzimmer und 2 Balkone. „Ein Zimmer für uns“ lächelte er Rosalie an. „Eines für Louis und eines für Juliette“.
Das ausgewählte „Elternschlafzimmer“ war sogar mit eigenem Badezimmer, samt Badewanne und Dusche ausgestatt. Dass Juliette mit ihren 15 Jahren nicht mehr mit ihrem „kleinen Bruder“ in einem Zimmer sein wollte war verständlich. Jürgen glaubte also, an alles gedacht zu haben.
Rosalie zog das Papier aus seiner Hand. „Sieht gut aus. Allerdings kommt Juliette nicht mit“. Mit grossen Augen sah er sie an. „Wie? Kommt nicht mit?“ „Nein, sie hat keinen Bock mit ihren Eltern in Urlaub zu fahren. Das war bei mir in dem Alter nicht anders. Bei dir doch bestimmt auch nicht, oder?“ „Wie jetzt mit ihren Eltern? Ich bin doch gar nicht ihr Vater. Das schmiert sie mir doch nur zu gerne aufs Brot“.
Rosalie liess den Papierbogen auf ihren Oberkörper sinken. „Ja, das sagt sie – meint das aber nicht wirklich. Wir sind jetzt 13 Jahre zusammen, logisch, dass du sowas wie ihr Vater bist. Ihren leiblichen Vater hat sie vielleicht in der Zeit zweimal gesehen, du warst immer da. Immer. Sie ist jetzt halt ein Teenager, und die sind dann eben so. Wie wir auch waren. Oder?“
Damit hatte Rosalie natürlich Recht, bei Jürgen war es als Teenager sicherlich auch nicht anders. Vielleicht sogar noch krasser. Denn im Grunde war Juliette immer noch das „liebe Mädchen“, wie er es von Anbeginn an kennengelernt hatte. „Dann kannst du doch erst recht Erich fragen ob er mitkommen mag, ein Zimmer ist doch dann frei“.
Während wir redeten waren sich unsere Körper immer nähergekommen, tauschten die Wärme aus. Aus erst flüchtigen Berührungen wurde bewusstes – und gewolltes – Streicheln. Mehr aber auch nicht. „Und … wirst du mal mit Erich sprechen? Ihn fragen? Und wann willst du denn überhaupt fahren?“
Der zweite Teil der Fragestellung war einfach zu beantworten. „In 14 Tagen fangen die Herbstferien an, das geht ja sowieso nur dann, wenn die Kinder keine Schule haben“.
Bei Jürgen war es relativ egal, er konnte kurzfristig frei bekommen, sein Arbeitgeber war unkompliziert und generös. Was er sehr an ihm schätzte – aber nicht nur das.
Rosalie küsste ihn. „Schlafen wir jetzt? Oder …?“ „Ja, lass’ uns schlafen, es ist spät. Morgen warten zwei Rabauken, die bespasst werden wollen, auf mich“. Mit einer Hand griff er an Rosalies Brüste, grinste sie an. „Und damit meine ich nicht die hier“. Deutete mit der Hand zur Wand, Richtung Kinderzimmer. „Sondern die Jungs drüben“. Rosalie hielt seine Hand fest. Auf ihrer Brust. „Hast du ewig nicht gemacht. Mich so angefasst. Haben wir ewig nicht gemacht. So nebeneinander zu liegen“. Ganz kurz strich sie Jürgen durch die Haare. „Ist schon merkwürdig wie sich unser Zusammenleben verändert hat“.
Wohlig warm und vertraut aneinander gekuschelt erwachte Jürgen neben Rosalie, schaute zunächst ungläubig zu ihr herüber. Registrierte aber schnell, dass das was er sah und spürte sehr real ist. Er verliess das warme Bett, ging in die Küche, bereitete das Frühstück vor. Aus dem Kinderzimmer hörte er bereits Geplapper, Louis und Stefan waren also auch schon wach.
Wenig später kamen sie auch aus dem Zimmer, setzten sich an den Küchentisch. „Corn-Flakes?“ Unbeantwortet stellte er zwei kleine Schüsseln parat. Als Louis aus Jürgens Schlafzimmer, das jetzt ja „Tageszeitenmässig“ wieder zum Wohnzimmer geworden war Geräusche vernahm drehte er sich auf dem Stuhl um. „Mama?“ Schnell sprang er auf, fiel Rosalie - also seiner Mama - um den Hals.
Wessen Freude jetzt grösser war – die von Louis seine Mutter zu begrüssen, Rosalies – ihren Sohn in den Arm zu nehmen oder Jürgens – beide glücklich zu sehen, war nicht auszumachen. Nach langer Zeit hatte sich dieses kleine Familienglück, dieses „vereint sein“ urplötzlich eingestellt. Stefan schaute etwas „irritiert“ zu Rosalie. „Hast du auch hier geschlafen?“
Rosalie richtete sich im Bett auf, wollte aufstehen. Mit einem Schritt ging Jürgen auf sie zu, zeigte auf ihre nackten Brüste. „Zieh’ dir erst was an bevor du zu uns kommst“.
„Bonjour mon petit puce“ begrüsste Rosalie Louis innig umarmend erneut als sie in die Küche kam. Sie sprach selbstverständlich „immer wieder mal“ französisch mit ihm, sie waren ja auch „Franzosen“. Louis automatisch, hatte er doch eine französische Mutter.
Nach einem schnellen Kaffee machte sich Rosalie auf den Heimweg. „Juliette wartet bestimmt schon“. Gab erst Louis einen Kuss, dann Jürgen. „Wird das jetzt zur Angewohnheit? Das mit der Küsserei?“ Rosalie schaute ihn an. „Wenn du möchtest. Ich dachte du möchtest, dass wir uns wieder näherkommen. Oder warum der geplante Urlaub?“ Ohne seine Antwort abzuwarten verliess sie die Wohnung, drehte sich zuvor aber an der Haustür nochmals um. „Und sprich mit Erich, okay?“
Das würde er am Abend in Angriff nehmen wollen, Erich anrufen, ihn einladen. Sowas bespricht man ja nicht mal eben am Telefon. Und zuerst galt seine ganze Aufmerksamkeit seinem Sohn. Die beiden, Louis und Stefan hatten auch schon Pläne gemacht, von denen sie erzählten, wollten mit dem Fahrrad in einen Park, um dort zu klettern, zu toben.
„Bevor wir aufbrechen sollten wir aber deine Eltern anrufen, oder?“ Fragend sah Jürgen Stefan an. „Kannst du das machen?“ erwiderte er, war schon gedanklich unterwegs zum Abenteuer-Spielplatz. Und garantiert versprach er sich ein besseres Feedback seiner Eltern, wenn Jürgen fragen würde.
Doris, seine Mutter war am anderen Ende der Leitung. Jürgen erklärte ihr Vorhaben, und dass Stefan noch gerne bleiben würde, ob das in Ordnung sei? Und dann noch ein wenig Smalltalk, was man halt so redet.
Die Jungs waren zwar befreundet, Jürgen hingegen weder mit Doris noch mit Harald, seinem Vater. Mehr als ein kurzes, flüchtiges Gespräch war da nicht, dafür waren sie auch nicht nur zu unterschiedlich, auch waren beide deutlich älter als Jürgen und hatten sicherlich auch ganz andere Interessen und Ansichten.
Das merkte Jürgen immer, wenn Stefan zu Besuch bei Louis war, er genoss es irgendwie, dass Jürgen „nicht so streng“ war und mehr zuliess, ihn mehr gewähren liess. Klar, Grenzen gab es schon, aber eben andere als bei ihm zuhause. Aber es stand Jürgen nicht zu, diese in Frage zu stellen. Erst recht nicht diese ihm - Stefan gegenüber in Misskredit zu bringen. Andersherum war es bestimmt genauso. Harald und Doris dachten sich garantiert auch ihren Teil zu Jürgen. Ob Gutes oder Schlechtes sei dahingestellt.
Doris gab ihre Zustimmung. „Aber heute abend muss Stefan nach Hause kommen“. Jürgen verprach ihr, ihn persönlich abzuliefern, was sie freundlich aufnahm.
Die Jungs tobten sich auf dem Spielplatz richtig aus, erst am späten Nachmittag ging es auf den Rückweg. Da Jürgen versprochen hatte Stefan nach Hause zu bringen machten „die Männer“ noch einen Abstecher zu McDonald’s um dort ein paar Burger zu verdrücken. Sehr zur Freude der Rabauken. Insbesondere Louis freute sich auf Fleisch. Zuhause, also bei Rosalie, gab es kein Fleisch – nicht mehr, seit längerem. Sie war zu einer Vegetarierin „konvertiert“. Das war auch so ziemlich das Erste was beide Kinder fragten, sowohl Louis als als auch Juliette, wenn sie zu Besuch kamen. „Kannst du Frikadellen machen?“
Nur zu gerne kam Jürgen ihrem Wunsch nach. Hatte auch zu jedem Wochenende „vorsorglich“ Hackfleisch auf seinem Einkaufszettel stehen. Dass Rosalie kein Fleisch mehr ass konnte er „irgendwie“ verstehen. Dass aber die Kinder automatisch mitziehen mussten weniger. Und – ob man es glauben mag oder nicht – auch das war Bestandteil ihrer auseinanderdriftenden Weltanschauung, die ja irgendwie schlussendlich zum „Auseinderleben“ geführt hatte. Sie waren einfach keine „Einheit“ mehr. Nun denn, es war wie es war.
Zwangsläufig musste Jürgen sich aber selbst fragen was es denn genau war, dass ihn zu Rosalie zurückfinden lassen wollte. Das Frikadellen-Problem konnte es nicht sein. Was war es also?
Wieder zuhause angekommen kümmerte Jürgen sich ein wenig um die Wohnung, räumte die Matratze aus Louis’ Zimmer, verwandelte sein Bett wieder in eine Couchgarnitur, um sich dann darauf für einen Film mit Louis niederzulassen. Es wurde ein Video, Star Wars, das Louis zu gerne sah, auch wenn er es wahrscheinlich schon mitsprechen konnte, so oft hatten sie das schon angeschaut.
Zwischendurch rief Jürgen bei Erich an. Wollte ihm aber nicht die ganze Story erzählen, sondern bat ihn um ein persönliches Treffen. „Ich muss am Montag sowieso in der Stadt etwas erledigen, ich komm’ dann zu dir ins Büro. Ist das okay? Passt das?“ schlug Erich vor. Das war recht, so konnten die beiden in ruhiger Umgebung das gewünschte Thema besprechen.
War es denn wirklich ein von Jürgen gewünschtes Thema? Oder mehr ein ihm aufgetragenes Thema? Wie auch immer, am Ende zählte eines für ihn, er wollte in Urlaub fahren. Mit Rosalie, mit den Kindern. Versuchen zu kitten, was eventuell zu kitten war. Auch wenn nach jetzigem Stand es nur ein Kind war, das andere - das Pubertier - wollte ja nicht mitkommen. Sollte er vielleicht nochmals mit Juliette sprechen? Versuchen sie umzustimmen?
Dieser Gedanke war aber sehr schnell wieder weggefegt, das war eigentlich müssig, brauchte er sich doch nur an seine eigene Teenagerzeit erinnern. Da ging doch auch alles an Erwachsenengesprächen zu einem Ohr rein und zum anderen direkt wieder raus. „Und wer nicht will, der hat schon“.
Wie jeden Montagmorgen brachte Jürgen Louis zur Schule, unser Wochenende war zu Ende. Dann direkt weiter ins Büro. Am frühen Nachmittag kam, wie versprochen, Erich ins Büro. Bei einem Kaffee erzählte Jürgen ausführlich von dem was er auf dem Herzen hatte. Vom geplanten Urlaub. Dass er Rosalie erneut „erobern“ wollte. Sich nach ihr sehnte. Mit ihr wieder „zusammen sein“, zusammenleben wolle. Und dass sie, Rosalie, vorgeschlagen hatte ihn, Erich als „Beziehungsberater“ mitzunehmen. „Was? Ausgerechnet ich? Was soll ich dir raten? Du weisst doch bestimmt mehr als ich?“
Grundsätzlich lag Erich damit nicht falsch, immerhin war Jürgen mehr als 10 Jahre älter als er. Allerdings schätzte er ihn sehr, als Freund, als Kumpel, als Vertrauten. Und Rosalie wusste darum. Deshalb drängte sie auch darauf, dass es ausgerechnet Erich sein sollte, der eventuell hilft wieder einen Weg zu finden. Ein Weg zueinander.
„Das kann ich dir nicht beantworten. Nicht jetzt. Ich muss erstmal fragen ob ich frei, Urlaub bekomme. Und ausserdem muss ich auch mit meiner Freundin reden. Hören was sie dazu sagt“.
Erich arbeitete zu der Zeit in der Messebaufirma seines Bruders, da sollten doch ein paar Tage Urlaub leicht zu bekommen sein. „Und überhaupt, wie soll ich dahin kommen? Ich habe kein Auto, das weißt du doch“.
Das vermeintliche Problem war schnell vom Tisch. „Du kannst den Volvo nehmen. Den, den Rosalie sonst fährt“.
Am Computer zeigte Jürgen Erich das Ferienobjekt, das er am frühen Morgen bereits reserviert hatte. Von seiner Seite, nach dem Gespräch mit Rosalie, war das jetzt beschlossene Sache. Auch Louis hatte er bereits gestern davon erzählt. „Wir fahren in Urlaub. Mama, du und ich“.
Erich selbst war relativ schnell von dem Gedanken begeistert, mit dem Anreiz, dass Jürgen anbot auch für Spritgeld und alles weitere aufzukommen, versuchte so die Idee schmackhafter für ihn zu machen. „Ich muss erst mit meinem Bruder reden. Dann noch mit meiner Freundin. Und auch mit meiner Tochter. Du verstehst? Ich würde schon wollen. Nach Holland – immer“.
Wenige Tage später rief Erich an. „Geht klar, wir kommen mit. Also Lotta und ich“. Einen kleinen Einwand hatte er noch, nämlich dass er „nachkommen“ müsse, weil er erst zu Wochenmitte frei bekäme. „Vorher geht echt nicht, es ist gerade eine Messe, da braucht mein Bruder jeden Mann“.
Das freute mich zu hören. Also nicht, dass er erst später kommen könne, sondern generell mit nach Holland fahre. Das wollte Jürgen natürlich Rosalie zügig wissen lassen, bat Erich doch am Freitagabend zum Essen zu kommen, dann könnte man weiteres persönlich besprechen. Freitagabend deswegen, weil Rosalie dann sowieso Louis zu Jürgen brachte – und er versuchen könnte auch sie zum Essen einzuladen. Ein klein wenig in der Hoffnung sie zu einer erneuten Übernachtung zu überreden. Es hatte ihm nämlich sehr gefallen, dass sie beim letzten Mal über Nacht geblieben war. Sie reden konnten - statt wie sonst – nur eine schnelle Nummer schieben, und Rosalie dann schweigend wieder verschwand. Sich mit ihr zu unterhalten, von ihr geküsst zu werden, hatte etwas gänzlich anderes, etwas Vertrautes, ausserhalb der Triebhaftigkeit. Echte Nähe. Nicht nur Unterleiber, die sich berührten.
Schon tagsüber an diesem Freitag war Jürgen schon sehr aufgeregt in der Delikatessen-Abteilung der Galeria Kaufhof um einige Leckereien zu kaufen. Musste sich aber von einer Fachverkäuferin beraten lassen. Für Erich und ihn selbst war das eine einfache Sache. Hauptsache Fleisch, da war nicht viel falsch zu machen. Aber was kochst du für eine Vegetarierin? Und einfach nur ein paar Salatblätter auf einen Teller drappieren, damit würde er garantiert nicht punkten.
Der Abend war gelungen, in mehrfacher Hinsicht. Gemeinsam essen, anständig Bier und Wein dazu - wie eine Familie, die einen guten Freund zu Gast hat. So war es ja auch, Erich war ein guter Freund. Mit der Familie war es zwar noch nicht so ganz, aber der Weg schien eingeschlagen zu sein.
Zu vorgerückter Stunde brachte Rosalie Louis zu Bett, stand dann noch eine Weile unschlüssig bei Erich und Jürgen am Küchentisch. Er musste handeln, agieren. „Bleibst du? Über Nacht? Bei mir?“ Rosalie zog ihren Stuhl heran. „Ja, aber nur weil du gefragt hast. Sonst wäre ich jetzt gegangen“.
Rosalie hob ihr Glas, prostete allen zu. „Und heute ist die Matratze ja auch frei“ schmunzelte Jürgen. Erich sah ihn an, dann Rosalie. „Ihr schlaft nicht in einem Bett?“ „Nein, schon länger nicht mehr, das weisst du doch“ war Jürgens Antwort. Rosalie fasste seinen Unterarm. „Letzte Woche schon. Und das war auch ganz schön“. Sie lächelte.
„Wollen wir dann noch etwas trinken?“ Mit dieser Frage lockerte Erich die leichte Anspannung, die sich gerade aufzubauen drohte, ein wenig auf. „Auch gerne etwas mehr“ antwortete Jürgen ihm, während er aus dem Kühlschrank kaltes Bier herausnahm. Erich war einer der wenigen, mit denen er immer – und vor allem immer gerne etwas, etwas mehr trank. Das brauchte auch nicht zwingend einen besonderen Anlass. „Bierchen geht immer“.
