Fleur de Lavande (Band 1) - Wie du liebst - Gabriella Santos de Lima - E-Book
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Fleur de Lavande (Band 1) - Wie du liebst E-Book

Gabriella Santos de Lima

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Beschreibung

Fleur the Lavande ist SPIEGEL-Bestseller! »Wie ich Luc liebte, war anders als die Liebe in meinen Büchern. Heftiger. Besser. Echt.« Sommer in Südfrankreich? Klingt perfekt für Viola. Die Bestsellerautorin braucht dringend eine Auszeit. Und Abstand. Von ihrem Ex und ihrer Schwester, die einen Tag nach der Trennung miteinander ins Bett gegangen sind. Doch statt alles hinter sich zu lassen, schüttet Viola ihr Herz am Flughafen einem – vermeintlich – Fremden aus. Lucas Rausch ist Spitzensportler, Erbe des traditionellen Duftimperiums Fleur de Lavande und … der Bruder ihrer besten Freundin. Viola will ihn um jeden Preis auf Abstand halten, doch zwischen Lavendelfeldern und verstohlenen Küssen auf dem offenen Meer spürt sie zum ersten Mal, worüber sie sonst nur in ihren Büchern schreibt … Edle Düfte treffen auf exklusive Orte und Figuren, die so echt sind, dass sich ihre Liebe lebendig anfühlt. - Liebesromanautorin x Sportler in dieser Best-Friend's-Brother-Romance: Viola kennt Luc schon ihr halbes Leben – und genauso lang hat ihre beste Freundin sie vor ihm gewarnt. Mit unseren Lieblingstropes He falls first und Forbidden Love. - Poetischer Schreibstil trifft schonungslos ehrlichen Umgang mit aktuellen Themen: Gabriella Santos de Lima schreibt sensibel und augenöffnend über den (Erfolgs-)Druck durch Social Media und toxische Maskulinität. - Verletzliche Protagonistin mit Identifikationspotential: Die SPIEGEL-Bestsellerautorin teilt ihre Erfahrungen in der Buchwelt mit ihrer Protagonistin und gibt spannende Einblicke hinter die Kulissen. - Everybody Wants Him, He Just Wants Her: Bei Handballprofi Luc ist instant love vorprogrammiert – aber er hat nur Augen für die beste Freundin seiner Schwester. - Eine lavendellila Liebe im Sommer in Südfrankreich: zwischen Old Money Vibes, Lavendel Spritz und verstohlenen Küssen auf dem offenen Meer

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 477

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Liebe Leser*innen,

dieses Buch enthält ein potenziell triggerndes Element. Deshalb findet ihr auf der letzten Seite eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese beinhaltet Spoiler für die gesamte Geschichte!

Wir wünschen euch das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure Gabriella und das Loewe Intense-Team

 

 

 

 

Für alle, die sich eigentlich nur in diefiktiven Männer aus ihren Lieblingsbüchern verliebenund nie in die, die wirklich existieren.

INHALT

Playlist

1Viola#loverstoexesNicht weinen, Winther …

2Viola#whodidthistoyouMein Mund öffnete …

3Viola#switchedseatsInes hat ein …

4Viola#everybodywantshimhejustwantsherSüdfrankreich begrüßte uns …

5Viola#sharedpastDie Fahrt war …

6Viola#foundfamilyMaison Lavande …

7Viola#familysecretsFünfundvierzig Minuten …

8Viola#summerwishesIch kann nicht …

9Viola#latenighttalkingÜber die Jahre …

10Viola#mentalissuesWir verschwiegen unsere …

11Viola#disliketodesperationBist du wirklich …

12Luc#veryhiddensecretMadeleine Schwarz hat …

13Viola#hedriveshercrazyIch kaufte mir …

14Luc#chatsJules Hast du …

15Viola#oppositesattractPlatz fünfhundertzweiunddreißig …

16Viola#messageinapostcardLuc und ich …

17Luc#deepMadeleine Schwarz hat …

18Viola#summerinprovenceUnser Sommer konnte …

19Luc#bathroomsceneIch hätte Nein …

20Viola#boywhoreadsTräume ich oder …

21Luc#brokenheropov: Du bist …

22Viola#darkpastIch konnte Lucs …

23Viola#tension>spiceNein. Laut lachte …

24Viola#stolenglancesEs ist rein …

25Viola#containsswearingMein Ohr piepte …

26Luc#BromanceEine Woche nach …

27Viola#highsocietyNein, das meint …

28Viola#angrykissingEs kostete einen …

29Viola#curvygirlWieso bin ich …

30Luc#fuckIch hatte keine …

31Viola#Am nächsten Morgen …

32Viola#lavenderhazeAls Luc am …

33Viola#everythingchangedAn dem letzten …

34Viola#hefellfirstIch wartete auf …

35Luc#andharderIch war verliebt …

36Viola#summertimeendingKennst du sie …

37Luc#latenighttalking?Viola starrte mich …

38Viola#itwasalwaysyouAls Luc mich …

39Luc#lavendersummerMadeleine Schwarz Ich …

40Viola#containscheatingAm Dienstag brachte …

41Viola#fullcirclemomentDéjà-vu …

42Luc#torturedboyIch hatte keine …

43Viola#thirdactbreakupDu musst das …

44Luc#athleticboyMeine Finger schwebten …

45Viola#characterdevelopmentDer Moment direkt …

46Viola#sisterhoodIch trat ein …

47Luc#toxicmasculinityIch war knapp …

48Luc#characterarcVier Uhr zweiunddreißig …

49Viola#ordinarygirlordinarylifeSo war das …

50Luc#finallybreathingHätte mir jemand …

51Viola#antibiggesturesUnbekannte Nummer Können …

52Luc#justafingertouchIch war immer …

53Viola#notalovestoryjustarealstoryIch wollte nicht …

Danksagung

Triggerwarnung

Playlist

Unsicher – Nina Chuba

Lichterloh – NILS KEPPEL

ballad of a homeschooled girl – Olivia Rodrigo

Zum Ersten Mal Nice – KAFFKIEZ

seven – Taylor Swift

Anfangen Anzufangen – RAUM27

Schlaf gut – Betterov

Du wirst schon sehen – Provinz

Maps – Yeah Yeah Yeahs

SCHLEIERKRAUT – Berq

Home Run – The Man The Myth The Meatslab

Rotwein – ENNIO

Angst – ENNIO

right where you left me – Taylor Swift

Küss mich – Ivo Martin

effortlessly, i feel everything – The Man The Myth The Meatslab

Sommergewitter – RAUM27

Palmen – ENNIO

Casual – Chapell Roan

17 für immer – Provinz

Rimini – ENNIO

Lavender Haze - Acoustic Version – Taylor Swift

Frida – RAUM27

Fliegen – Nina Chuba

Sommer macht melancholisch – Provinz

the grudge – Olivia Rodrigo

ALLES WAR SCHÖN UND NICHTS TAT WEH – Casper

»Offnes Feldund ich kann dich sehenAlle diese Ängste vergehen«

NILS KEPPEL, Lichterloh

Aus

violas

Kopflisten

Wieso es gut ist, dass ichMaximilian Richter nicht mehr date:

1. Hatte nicht mehr als 1,82 in seiner Beschreibung bei Tinder stehen, was meine beste Freundin von Anfang an suspekt fand

2. Verdreht die Augen, wenn jemand, den er als weniger intelligent als sich selbst erachtet, den Mund öffnet

3. Hat ständig die Augen über mich verdreht

4. Rechnet dir nach drei Flaschen Bier ungefragt aus, wie viel Gewinn du in vierzig Jahren angeblich machen wirst, wenn du genau jetzt damit anfängst, monatlich fünfzig Euro zu investieren

5. Hat immer das letzte Wort

6. Hat mich mit meinen Worten nie ernst genommen

7. Hat jeden Artikel renommierter Publizisten gelesen, die behaupten, Liebesromane wären nicht mehr als flache Porno-Bücher mit glitzernden Covern, aber nie eins meiner Bücher

8. Nennt meinen liebsten Account @thegirlnextdoor lächerlich, weil diese Lucy, Tillie und Amanda nichts weiter als reinen Feminismusschwachsinn von sich geben

9. Ist diese Art von Mann, den du begehrenswert findest, obwohl er ein Arschloch ist, von dem du dir aber trotzdem aus unerklärlichen Gründen wünschst, begehrenswert, heiß und gut genug empfunden zu werden

10. Hatte keine dreiundzwanzig Stunden nach unserer Trennung Sex mit meiner älteren Schwester

VIOLA WINTHER, Witches & Exes

        

@violawinther

Leute, ich habe die heftigste Release-Woche überhaupt hinter mir und das verdanke ich nur euch! Ich werde nicht lügen, die letzten Wochen und Monate waren nicht einfach. Privat war so einiges bei mir los und schreib-technisch habe ich mir selbst so viel Druck gemacht, dass jeder Gang zum Computer die Hölle war. Da waren so viele Zweifel und negative Gedanken. Ganz weg sind sie natürlich nicht, aber zu lesen, wie sehr euch der finale Band der Silence-Reihe gefällt, bedeutet mir ALLES Und auch, wenn ich am liebsten den ganzen Tag nur eure Nachrichten beantworten würde, wird es in der nächsten Zeit auf diesem Kanal etwas ruhiger. Ich habe nämlich gestern um zwei Uhr morgens meine Koffer gepackt, weil es heute für mich nach Südfrankreich geht. Gerade sitze ich in der Bahn zum Flughafen, starre aus dem Fenster und sehe mein Leben klischeehaft an mir vorbeiziehen, weil ich in meiner Schulzeit fast jeden Sommer zusammen mit meiner besten Freundin in der Provence verbracht habe. Ganz vielleicht habe ich mich sogar kurz wie Belly aus The SummerI Turned Pretty gefühlt, denn sind unsere Sommer nicht tatsächlich das, was wirklich zählt? An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, wie dankbar ich für jede einzelne Person bin, die meine Bücher liest. Ihr macht mich so glücklich. Wirklich #autorinnenleben #silencereihe

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@julesblickwinkel

I’m waiting for youuuu

@ineskoenigautorin

@lineliestnewadult_

Habe gerade den letzten Teil beendet und komme einfach nicht aufs Ende klar. Bitte sag mir, dass du schon an einem neuen Buch schreibst

Weitere Kommentare anzeigen

1

viola

#loverstoexes

Nicht weinen, Winther.

Jetzt. Bloß. Nicht. Weinen.

Hinter meinen Augen brannte es trotzdem, als aus den Lautsprechern zum letzten Mal Gäste für einen Flug nach Madrid ausgerufen wurden. Ringsum huschten gestresste Menschen mit dampfenden Pappbechern an mir vorbei, für die sie sicherlich ein Vermögen hier im Gate-Bereich bezahlt hatten. Koffer schepperten über den glatten Fliesenboden, wobei eine Frau in hohen Schuhen und Airline-Uniform ihren Gang beschleunigte. Der Hamburger Flughafen pulsierte vor Bewegung, nur ich stand ganz still. Äußerlich zumindest. In mir drin zitterte und piepte und vibrierte jede meiner Fasern wie ein Flieger kurz vorm Abheben.

Aber ich hob nicht ab.

Jedes meiner Partikelchen stürzte ab, als sein Blick sich in meinen bohrte.

Ich hasste diesen Moment. Max. Und mich, weil ich mich in ihn verguckt hatte, obwohl ich es besser gewusst hatte. Wie lässig er auf seinem Platz am Gate hockte, den Pass mit der Bordkarte in der rechten Hand. Um fünfzehn Uhr vierzig würde er auf einem Fensterplatz in Richtung der Finca losfliegen, die er gemeinsam mit seinen Freunden gemietet hatte. Das wusste ich, weil wir eigentlich geplant hatten, heute gemeinsam dort anzureisen. Zehn Tage Sonne, Strand und Sangria. Zu Hause in meiner Einzimmerwohnung hatte ich mir die spanische Auszeit ausgemalt, aber mich nie in Farbe darin gesehen. Nicht neben Max. Weder in einem Flugzeug oder in dem Fincabett noch in meinem Leben. Das Ticket war nicht mehr zu stornieren gewesen, ich hatte die Kosten und Konsequenzen übernommen. Übernahm sie immer noch, als Max mich weiterhin ansah.

Nicht weinen, Winther.

Jetzt. Bloß. Nicht. Weinen.

Aber wie zur Hölle sollte es hinter meinen Lidern aufhören zu brennen, wenn zwischen Max und mir höchstens fünf Meter und mindestens drei Gefühlsleben lagen, nach allem, was passiert war? Das ging nicht und ich ging nicht weiter, wobei ich mich bloß mehr für meine elendige Passivität hasste.

Je länger er mich mit seinem Blick erdolchte, desto heftiger bereute ich es, dass ich Jules zugestimmt hatte. Dass ich den Flug nach Nizza ausgerechnet für heute gebucht hatte, weil ich so schnell wie möglich im Ferienhaus ihrer Mutter ankommen wollte. Dass ich meiner besten Freundin in einer Sprachnachricht gesagt hatte: »Ja, also, es besteht schon die Möglichkeit, dass ich Max am Flughafen begegne, aber ich nehme den nächstmöglichen Flieger. Ich glaube, du hast recht. Wahrscheinlich brauche ich gerade einfach Abstand von allem. Und das so schnell wie möglich.«

Doch ich hatte keinen Abstand bekommen, sondern Max direkt vor mir. Die gerade Nase, die dunklen, stets leicht verwuschelten Haare. Maximilian Richter sah gut aus und jedem war bewusst, dass er sich dessen selbst bewusst war. Womöglich lag es an der Art, wie er sich gab. So cool, nonchalant und selbstsicher, wie es nur Typen in ihren Zwanzigern waren, die zu Schulzeiten mehrmals täglich von an sich selbst zweifelnden Mädchen auf Social Media gestalkt wurden. Der Grund? Tja, sie waren nicht nur heiß, sondern trugen dieses gewisse Etwas an sich, das dafür sorgte, dass du sie trotzdem wolltest, auch wenn sie sich mit ihren Freunden über andere lustig machten.

Maximilian war diese Art von Typ und er hatte ausgerechnet mich gewollt. Bis ich ihn nicht mehr gewollt hatte. Bis ich das zwischen uns letzte Woche beendet und er keinen Tag später meine eigene Schwester gevögelt hatte, als hätte er mich überall treffen wollen. Hässlich, mit tiefen Wunden, die mich innerlich verbluten ließen, bis nichts mehr von mir übrig war. Als wäre ich ein Nichts. Als fühlte ich mich nicht schon mein ganzes Leben lang so: wie ein Niemand. Nicht unbedingt unsichtbar, dennoch so übersehbar, dass keiner mir zweite Blicke zuwarf. Dafür war ich im realen Leben, fernab von den Welten, die ich mir ausmalte, zu durchschnittlich. Nicht aufregend und hypnotisierend genug. Nicht wie Valerie.

Val.

Es war der Gedanke an meine Schwester, der mir den Rest gab. Heißkalt spürte ich die erste Träne, die mir die Wange hinabsegelte. Mitten am Flughafen, in der Öffentlichkeit und vor Max’ Augen.

Wie furchtbar emotional.

Wie schwach.

Wie peinlich.

Aber das war ich nun mal: furchtbar emotional, schwach und peinlich. Mein Leben war keins meiner eigenen Bücher, in dem die schüchterne Heldin am Ende immer traf, wenn sie zielte. Weil ich das so wollte, das bestimmen konnte und ich mir die Geschichten ausgedacht hatte.

Diesen Part hier hätte ich mir niemals zusammenspinnen können, selbst wenn ich gewollt hätte. Immerhin war Val meine Schwester. Welche Person vögelte schon mit dem Ex ihrer Schwester?

Meine Schwester.

Natürlich meine.

Als ich spürte, wie mir die zweite Träne das Gesicht hinabrann, erwachte ich endlich aus meiner Körperstarre. Ich erkannte noch, wie Max die Lider zu Schlitzen zusammenkniff, bevor ich ihm den Rücken zukehrte.

Durchatmen. Weitergehen, nicht weiterweinen. Max hinter mir lassen. Max vergessen. Val verdrängen. So tun, als wäre alles in bester Ordnung, weil doch – rein logisch betrachtet – meine Welt nicht untergeht, nur weil meine Schwester mich auf die scheußlichste Weise überhaupt verraten hat, nicht wahr?

Wie auf Autopilot setzte ich einen Schritt vor den anderen und kämpfte mich durch die Menschenmassen, bis ich das  Toilettenschild durch meinen Tränenschleier erkannte. Manisch steuerte ich die Waschräume an und wunderte mich nicht einmal darüber, dass es keine Schlange gab. Was für ein Glück, ohne Wartezeit die nächstbeste Toilettenkabinentür aufzureißen, um dann ungestört zusammenbrechen zu können. Leise, heimlich, beinahe stumm, meine absolute Spezialität.

Vielleicht war meine Welt rein logisch betrachtet tatsächlich nicht untergegangen. Aber vielleicht fühlte es sich – rein emotional betrachtet – verflucht noch mal trotzdem so an, als ich mich auf den zugeklappten Klodeckel sinken ließ und das Salz meiner Tränen auf den Lippen schmeckte.

Ich war so wütend auf mich selbst, als ich reflexartig nach dem iPhone in meiner Handtasche kramte. Sofort strahlte mir die Uhrzeit entgegen. Fünfzehn Uhr zwei an dem ersten Montag, nach dem mein letztes Buch erschienen war. Eigentlich sollte ich gerade mit schwitzigen Händen sekündlich meine Mails aktualisieren. Oder mit rasendem Herzen meinen Bildschirm beschwören, damit meine Verlagslektorin mich anrief. Doch ich tat nichts davon, weil es mir plötzlich wichtiger erschien, das grüne WhatsApp-Symbol anzuklicken, als herauszufinden, ob ich mit meinem neuen Buch auf der Bestsellerliste gelandet war.

In der App wurden mir meine offenen Nachrichten angezeigt. Drei von Jules und eine von Ines, meiner einzigen Freundin aus der Buchwelt. Ich öffnete keinen der Chats. Stattdessen zog ich alle Unterhaltungen nach unten, bis der Ordner mit den archivierten erschien. Ihn klickte ich an. Und da war sie dann. Meine Schwester in einem schwarzen schulterfreien Top auf irgendeiner Rooftop-Bar, die ich nie besucht hatte. Lachend, mit ihrem neuen Haar, das voluminös nach hinten fiel und damit ihre hervorstehenden Schlüsselbeine perfekt betonte. Die Aufnahme fing meine Schwester perfekt ein. Blond und wunderschön, strahlend und hypnotisierend, ohne sich eine einzige Millisekunde darum zu bemühen. Sie war alles, was ich nicht war. Mit einem Kloß im Hals tippte ich den Chat an.

ValDie Sache mit Max tut mir wirklich leid. Ich wünschte, ich könnte diesen Abend rückgängig machen. Ehrlich, Vi.

Achtzehn Worte, smileylos und mit korrekten Satzzeichen, sogar ein Komma hatte sie vor meinem Namen gesetzt, um zu unterstreichen, wie ernst ihr die Sache war. Schätzungsweise zweihundertmal hatte ich mir diese Nachricht in den letzten sechs Tagen angesehen, aber am Ende waren es nur achtzehn Worte. Viel war da nicht zu analysieren. Doch, klar, es tat ihr leid. Etwa so wie der Tag, an dem sie in einem Wutanfall mein teures Bronzepuder zerbrochen hatte, für das ich mit sechzehn all meine Douglas-Weihnachtsgutscheine zusammengekratzt hatte? Oder tat ihr die Sache mit Max so leid wie damals, als unsere Eltern ihre Drohung wahr gemacht und unseren Heide-Park-Ausflug gecancelt hatten, weil Val sich zum trillionsten Mal in Folge nachts rausgeschlichen hatte, um mit ihren fragwürdigen Freunden gestrecktes Gras zu rauchen? Valerie Winther tat immer alles leid,  Viola Winther war die Leidtragende – das erste und einzige Gesetz in unserer Familie.

Es tut mir so leid. Ehrlich, Vi.

Ich hatte ganz genau vor Augen, wie sie am Morgen danach unangekündigt vor meiner Tür stand. Schluckend und stotternd, Valerie so gar nicht Valerie, sondern wie ich.

Ich … ich muss dir etwas erzählen.

Beim Echo ihrer Worte sammelten sich weitere Tränen in meinen Augen. Wie sie mir gebeichtet hatte, dass sie mit Max geschlafen hatte. Sie, die vor Monaten die Augen verdreht hatte, als ich ihr erzählt hatte, dass ich Max datete. Diesen Idioten?, hatte sie damals nachgehakt, weil sie am selben Campus studiert hatten. Wie es in meinen Ohren zu piepen begonnen hatte, als sie mir letzte Woche erklärt hatte, dass sie auch nicht wüsste, wie das hatte passieren können. Dass sie ihn nicht einmal mochte.

Sie mag ihn nicht mal und hat trotzdem mit ihm geschlafen, wohl wissend, dass es mich verletzen würde.

Das war so typisch für Valerie.

Die Tränen, die mir jetzt über die Wangen liefen, fühlten sich anders an. Heißer. Brennender. Wütender. Instinktiv krampfte ich die Finger um das Handygehäuse, kurz davor, meiner älteren Schwester eine Antwort zu schicken, die ohne korrekte Zeichensetzung, sondern nur aus Großbuchstaben bestanden hätte. In genau diesem Moment klopfte allerdings plötzlich jemand an meine Kabinentür.

»Alles okay da drin?«

Aber es war nicht nur irgendjemand. Es war ein Mann. Ein Typ mitten im Damenklo, der an meine Tür klopfte und mich fragte, ob alles okay sei, während Spülungen betätigt wurden und ich innerlich ein bisschen ertrank.

2

viola

#whodidthistoyou

Mein Mund öffnete sich, ohne dass ein einziges Wort ihn verließ. Damit kannte ich mich schon seit Ewigkeiten aus. In meinem Kopf klopften mir Millionen von Wörtern an die Stirn, aussprechen konnte ich keins davon. Dabei war die Antwort auf die Frage offensichtlich. Natürlich war rein gar nichts okay. Aber wie zum Teufel sollte ich das dieser männlichen Person erklären?

»Es tut mir wirklich leid, wenn die Frage komisch rüberkam«, sagte er, weil ich wiederum nichts sagte. Dabei klang sein Stimmton seltsam und auf eine unterschwellige Art gepresst, so als koste ihn ebenfalls jedes seiner Worte Anstrengung. Nicht weil die Wörter ihm fehlten. Vielleicht, weil er sie am liebsten gar nicht von sich gegeben hätte.

Was für eine Überraschung.

Wahrscheinlich brachte ich diesen Fremden mit meiner furchtbaren Emotionalität in eine schwierige Lage. Immerhin musste ihm aufgefallen sein, wie beschissen es mir ging. Wenn er jetzt nichts tat, würde er sich wie ein Arsch fühlen. Diese Situation war also nicht nur schrecklich für mich, sondern auch für ihn, weil er offensichtlich in meine Privatsphäre eindrang. Und das in den Damenwaschräumen.

»Aber ich habe gerade gesehen, wie du …« Heiser räusperte er sich. »… tränenüberströmt aufs Männerklo gerannt bist?«

Männerklo.

Ich war auf dem Männerklo. Es wäre lustig gewesen, wenn ich nicht so traurig wäre. Natürlich war nicht dieser Typ hier falsch, sondern ich. Instinktiv richtete ich mich auf und blickte nach unten. Auf die Sneaker meines Gesprächspartners. Helle Nikes, dunkle Bluejeans. Ich konnte nicht glauben, dass mir das gerade ernsthaft passierte.

Reiß dich zusammen, Winther. Du sitzt nicht mehr in der sechsten Stunde bei Herrn Köhler.

»D… das habe ich gar nicht bemerkt.«

»Hab ich mir fast gedacht«, sagte er irgendwie so … kühl?

Krampfhaft blinzelte ich gegen die Toilettentür an. Nein, das musste ich mir eingebildet haben. Wieso sollte dieser Fremde kalt klingen, obwohl er mich angesprochen hatte?

Vielleicht, weil er dich nur aus lauwarmem Mitleid angesprochen hat, was er jetzt bereut.

Wahrscheinlich hätte ich mir allein über diese Tatsache den Kopf zerbrechen können. Auf dieselbe hypothetische und völlig wahnsinnige Weise, wie ich mir nachts den Kopf darüber zerbrach, ob die Marketing-Managerin meines Verlags mich hasste, bloß weil sie mir eine kurze Mail auf meine zeilenlange geschickt hatte. Vorausgesetzt, der Fremde hätte nicht gleich weitergesprochen.

»Ist denn alles okay bei dir?«

Da.

Genau da machte ich wieder den seltsamen Unterton in seiner Stimme aus. Kühl, gepresst, ganz leicht genervt. Diese Erkenntnis erinnerte mich daran, dass ich tatsächlich nicht mehr fünfzehn, fürchterlich emotional und unsicher in Herrn Köhlers Deutschstunde saß. Ich war vierundzwanzig, acht Jahre älter und gefühlte drei Leben weiter. Ich konnte für mich einstehen und zwar mit Worten, die meinen Mund verließen.

»Nein«, murmelte ich, leise, doch gerade laut genug. »Nichts ist in Ordnung, weil ich in die Männertoilette gelaufen bin, weil mein beschissener Tränenschleier mir die Sicht genommen hat, weil … weil …«

»Weil was?«, hakte er sofort nach.

Ich zögerte, wohl wissend, dass ich diesem Fremden garantiert nicht verraten würde, dass ich gerade meinem Ex-Freund über den Weg gelaufen war. Max, der einen Tag nach unserer Trennung nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als meine Schwester zu vögeln. Ich wollte die Worte herunterschlucken. Wirklich. Doch dann stolperten sie mir schlicht aus dem Mund und ich dachte an diese Rezension zu meinem Debütroman. Die, in der behauptet wurde, kein normaler Mensch würde sich wie meine Protagonistin Cassandra verhalten. Das Ding war: Manchmal tat auch ich Sachen, die ich eigentlich gar nicht tun wollte. Manchmal passierte mein Leben mit mir darin einfach.

Das hier war so ein Moment.

»Wenn du es so genau wissen willst«, begann ich immer noch viel zu leise. »Ich habe gerade meinen Ex-Freund gesehen, keine gute Begegnung, nachdem ich mich von ihm getrennt und er meine Schwester gevögelt hat.« Hastig erhob ich mich, hielt mich nicht daran auf, mir die Tränen von der Wange zu wischen, und drehte dann das Türschloss auf. »Aber keine Sorge, du musst dazu nichts sagen, ich bin schon …«

Ich wollte weg sagen, bekam allerdings keine Chance dazu. Die Silbe verbrannte mir auf der Zunge, während sein dunkler Blick auf meinen prallte.

Alles in mir schnürte sich zu.

So wie immer.

So wie damals.

So wie jetzt.

Meine körperliche Reaktion musste Teil einer kosmischen Vereinbarung sein. Lucas-Luc Rausch sah dich an und die Welt verschwamm, bis nur noch er scharf gestochen war. Als wollte das Universum, dass man ihn ganz genau betrachtete. Als dürfte man ihn auf gar keinen Fall verpassen, selbst wenn seine lange Liste an Frauen mit gebrochenen Herzen sich wünschte, sie hätten ihn niemals so genau betrachtet. Aber wer konnte es ihnen verübeln? Lucas Rausch war nun mal Lucas Rausch. Ein Mensch wie Valerie, bloß in männlich, von Natur aus blond und mindestens genauso hypnotisierend. Er war Profisportler, Stammspieler, Ligameister. Über 1,82, breite Schultern, schmale Hüften. Wenn er seinen grimmigen Gesichtsausdruck aufsetzte, spannte sich jeder Muskel in seinem Kiefer an und ich verstand, wieso das Internet Liebesromanautorinnen anbettelte, eine Handball-Sports-Romance zu schreiben. Luc war alles, was meine Leserinnen liebten, aber er war nicht fiktiv, sondern echt. Der Hauptgewinn. Ein wahr gewordener Traum für alle, die bei I Can Fix Him (No Really I Can) zu laut mitsangen. Schließlich stellte er viel mehr als starke Männerarme dar und hatte diese geheimnisvolle Ausstrahlung, die ihn angeblich noch interessanter machte und zusätzlich auf mindestens einen familiären Komplex schließen ließ. Einen, mit dem sich sein exzessiver Frauenverschleiß schon irgendwie schönreden ließ. Immerhin waren sie doch so heiß, unsere gebrochenen Helden mit den zerstörten Seelen, die phänomenaler Sex und wahre Liebe heilen konnten. Eigentlich fehlte Luc nur das schiefe Lächeln, dann wäre seine Bad-Boy-Aura perfekt gewesen. Leider war sein Lächeln breit und wunderschön. Alles an ihm begann zu strahlen, so süchtig machend, dass ich jeden Sommer meiner Teenagerzeit damit verbracht hatte, ihn nie länger als eine Millisekunde anzuschauen. Dabei lächelte Luc in meiner Gegenwart sowieso nicht. Die meiste Zeit hatte er mich nicht einmal bemerkt. Dafür war ich ihm immer zu egal gewesen, zu irrelevant und zu nervig. Das schüchterne Anhängsel seiner jüngeren Schwester eben.

Jetzt lächelte er auch nicht.

Stattdessen hob er wie in Zeitlupe eine seiner markanten Brauen. »Wie heißt er noch mal?«, fragte er und klang dabei so unberührt, dass mir die Situation noch unangenehmer wurde. Weil mich alles in diesem Augenblick berührte. »Manuel?«

»Max«, brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Er zuckte mit den definierten Sportlerschultern. »Wie auch immer, laut Jules ist er sowieso das größte Arschloch überhaupt. Also schätze ich, dass ich mich nicht für deinen Verlust entschuldigen muss.«

Ich setzte zu einer Antwort an, erinnerte mich allerdings daran, dass wir immer noch in der verfluchten Männertoilette standen, als mir die pinkelnden Toilettenbesucher verwirrte Blicke zuwarfen.

»Wie nobel von dir«, murmelte ich deshalb bloß, bevor ich mich an ihm vorbeischob und darauf achtete, dass keiner meiner Zentimeter einen von seinen berührte.

Ich verließ die Waschräume, ohne zurückzusehen. Weder in Max’ Richtung noch in Lucs. Ganz egal, dass es in meinen Ohren zu piepen begann und mein Hirn samt meinem Herzen zu explodieren drohte. Entschlossen setzte ich einen Fuß vor den anderen, in der Hoffnung, alles ganz poetisch hinter mir lassen zu können.

Genau dann vibrierte mein Handy.

3

viola

#switchedseats

Ineshat ein Foto gesendet

InesPlatz 21!!!!

Herzlichen Glückwunsch

Ich freue mich so für dich omg

Platz 21 ist so krass für einen dritten Band

Ich schaffte es keine fünf Meter weit, weil Ines’ Nachrichten mich erreichten. Zitternd blieb ich neben einem Kiosk stehen und klickte den Screenshot an. Noch bevor ich ihn mir genauer besah, wusste ich, was Sache war.

Platz einundzwanzig.

Silence of Surviving hatte die offizielle Bestsellerliste um einen einzigen Platz verfehlt.

Atmen, Winther.

Jetzt. Bloß. Weiter. Atmen.

Aber ich konnte nicht. Es war zu viel, weil ich nicht gut genug gewesen war. Ganz egal, dass meine innere Stimme mir beruhigend damit zusprach, dass es eine konkurrenzstarke Woche gewesen war und ich mich glücklich schätzen könne, eine derartige Platzierung erreicht zu haben. Sie erinnerte mich sogar daran, dass mein einziger Traum noch vor zwei Jahren darin bestanden hatte, überhaupt in einem großen Publikumsverlag veröffentlichen zu dürfen.

Leider nützten die Worte nichts.

Ich fühlte mich erbärmlich und auf eine gewisse Art, als wäre ich gescheitert, weil der dritte Band meiner Bestseller-Reihe eben kein richtiger Bestseller war. Dennoch ermahnte ich mich zu gleichmäßigen Atemzügen. Immerhin war auch die knappe Verfehlung der SPIEGEL-Bestsellerliste kein Weltuntergang. Nicht relevant im Großen und Ganzen. Womöglich ein kleiner Stolperstein, der etwas in mir offen zurücklassen würde, das allerdings wieder verheilte, nicht wahr? Keine tiefe Wunde, nur eine mickrige Schramme in meiner Laufbahn als Autorin.

InesSchau mal

Ineshat ein Foto gesendet

Wir stehen sogar nebeneinander

Wir kuscheln quasi auf der Bestsellerliste

Die Nachrichten meiner Freundin brachten mein Gedankenkarussell zum Stehen, nur damit es gleich darauf drei Gänge höher weiterraste. Mit einem Kloß im Hals betrachtete ich den zweiten Screenshot, den sie mir innerhalb von Minuten geschickt hatte. Wieder die Bestsellerliste, diesmal mit einem selbst eingefügten Pfeil und einem Herz, das unsere Bücher miteinander verband. Der zweite Teil ihrer aktuellen Romantasy-Reihe war auf dem zwanzigsten Platz gelandet. Ein offizieller Bestseller, der tatsächlich zählte. Und das in der dreizehnten Woche. Kein Wunder, Ines schrieb großartig und verdiente den überdimensionalen Erfolg, den sie mit ihren Büchern erlebte. Genau deshalb riss ich mich zusammen und begann zu tippen.

Omg

Herzlichen Glückwunsch

Du hast es SO SEHR (!!) verdient

Ich freue mich so für dich

Der Satz war nicht gelogen.

Ich freute mich für Ines, obwohl dieser verräterische kleine Teil in mir neidisch war und sich wünschte, der dritte Band der Silence-Reihe hätte es ebenfalls auf die Liste geschafft. Sobald die zwei Häkchen hinter meinen Chatblasen erschienen, setzte Ines zu einer Nachricht an. Allerdings konnte ich ihre Antwort nicht abwarten, weil ich plötzlich dieses Räuspern neben mir mir vernahm.

»A-46.«

Das Herz klopfte wie wild in meiner Brust, als ich Lucs Stimme diesmal sofort erkannte. Verwirrt drehte ich mich zu ihm.

»Das ist unser Gate.« Er hob die Brauen. »Das Boarding läuft sogar schon. Das weißt du, oder?«

Ich schluckte heftig. »Bin so gut wie auf dem Weg.«

Eigentlich hätte Luc darauf nichts erwidern müssen und einfach zum Gate gehen können. Doch wider Erwarten trat er mir einen Schritt näher, während eine Geschäftsfrau mit einem Telefon in der Hand an uns vorbeirauschte.

»Das sieht so ähnlich aus wie dein Buch, oder?«

Erst, als er auf das Schaufenster hinter mir nickte, realisierte ich, wovon er sprach. Ich folgte seinem Blick und erkannte das Romantasy-Highlight des letzten Jahres im Schaufenster. Mit Bestseller-Sticker, garantiert schon in der zehnten Auflage. Dunkles Cover, verschnörkelte Schrift, veredelt mit einer Hochglanzgoldfolie. Kings & Witches, die deutsche Übersetzung eines BookTok-Erfolgs, der weltweit durch die Decke ging. High Fantasy, mit Königen und Hexen und einem Kuss des Verrats, wie in etlichen Kurzvideos angeteasert.

»Du weißt, wie meine Bücher aussehen?«, fragte ich überrascht.

»Warst du etwa noch nie in Jules’ Wohnung? Da haben sie doch einen Ehrenplatz.«

Ehrenplatz.

Wie Luc das Wort aussprach, klang minimal abwertend. Ganz leicht nur, was vermutlich lediglich Menschen auffiel, die auf alles achteten, weil sie es gewohnt waren, nicht sonderlich beachtet zu werden. Was mir auffiel.

Obwohl ich wütend war, widerstand ich dem Drang, die Hände zu Fäusten zu ballen. Dabei war alles in mir fuchsteufelswild, weil ich ahnte, wieso Luc Ehrenplatz so ausgesprochen hatte. Immerhin war die Rede von meinen Büchern. Von Geschichten einer vierundzwanzigjährigen Frau, die immer noch als Mädchen bezeichnet wurde. Mit glitzernden Covern und dramatischen Liebesgeschichten, die sich auf den ersten Blick kaum von anderen unterschieden. Aber eigentlich war Luc nur die erste Schicht Wut. Ich war wütend auf meinen Platz einundzwanzig. Noch wütender auf Max und am wütendsten auf Val. Aber vielleicht entsprach das alles gar nicht der Wahrheit, weil ich mich selbst in der Scheibe gespiegelt erkennen konnte und rein gar nichts an mir wütend aussah. Nur traurig und verängstigt und leicht überfordert. Schade, dass Lucas Rausch das bemerkte, weil er wohl doch ein paar Fünkchen Empathie besaß.

Er nickte auf mein Handy. »Schlechte Nachrichten?«

»W…was?«, brachte ich stotternd hervor.

»Ach komm schon, Viola.«

Viola.

Ich mochte es nicht, wenn er meinen Namen sagte. Jetzt nicht, damals nicht. Die drei Silben klangen aus Lucs Mund nicht unbedingt anders, aber Luc war intensiv, und wenn er mich dabei mit seinem dunklen Blick ansah, war ich beinahe versucht, ganz klischeehaft zuzugeben, dass es etwas mit mir machte, wenn er meinen Namen aussprach. Nicht weil ich insgeheim schon seit Ewigkeiten in ihn verliebt gewesen wäre und mir vorm Einschlafen gelegentlich vorgestellt hätte, wie er sich in einem Sommer nachts in mein Gästezimmer geschlichen und mir gestanden hätte, dass ich ihn wahnsinnig auf die beste Weise machte. Wahrscheinlich lag dieses Gefühl schlicht an der Tatsache, dass Lucas Rausch heiß und hypnotisierend war. Eine leider faszinierende Kombination, die dazu führte, dass ich mich in seiner Gegenwart stets etwas zu eingeschüchtert fühlte.

»Du hast dein Handy so angestarrt wie ich den Bildschirm, wenn ich mir bei der Analyse die Videoaufnahmen von einem Spiel ansehe, das meine Mannschaft haushoch verloren hat«, sagte er.

Ich wollte fragen, ob dieses Verlieren überhaupt noch vorkam. Immerhin war Luc jetzt bei einem Spitzenverein, mit dem er vor der Sommerpause sogar die Meisterschaft gewonnen hatte. Doch er sprach schon weiter.

»Hat sich der gute Manuel etwa gleich nach eurem Meet Cute am Gate gemeldet?«

Instinktiv presste ich die Lippen aufeinander. »Hör auf damit.«

»Bitte was?«

»Ach, komm schon, Luc«, sagte ich jetzt, nicht ganz so cool und lässig wie er. »Du musst nicht so tun, als wärst du der Alpha-Charakter in einer Liebesgeschichte, der seine männliche Dominanz beweisen muss, indem er die Namen von anderen Typen ständig versehentlich verwechselt.«

Sobald ich verstummte, kniff er die Lider zu bedrohlichen Schlitzen zusammen. Anschließend blähte er die Nasenflügel auf, während sogar dieser Muskel in seinem Kiefer angespannt zuckte. Er war wie ein Sturm, der nicht Flugzeuge vom Abheben abhalten, sondern nur mich ein bisschen zerschmettern würde. So wie damals. Der letzte Sommer, der vorletzte Tag. Das spürte ich, noch bevor das erste Wort seinen Mund verließ.

»Ich bitte dich.« Gefühllos lachte er auf. »Eher lande ich auf dem Mond, anstatt den Alpha-Charakter in einem von deinen kitschigen Liebesromanen zu spielen.«

Ich zuckte zusammen und verfluchte mich gleich darauf selbst, weil ich nicht wollte, dass Luc mir ansah, was seine Worte mit mir machten. Außerdem hatte ich keine Ahnung, was ich darauf erwidern sollte. Danke für die Info, die gar nicht nötig gewesen wäre, weil ich die Love-Interests in meinen Büchern sowieso nie mit klischeehaften Arschlöchern besetze? Wohl eher nicht. Mein Mund öffnete sich trotzdem, da erstarrten wir plötzlich. Mit aufgerissenen Augen lauschte ich der blechern-verzerrten Stimme aus den Lautsprechern.

»Herr Lucas Rausch und Frau Viola Winther werden zum Ausgang A-46 gebeten. Herr Lucas Rausch und Frau Viola Winther, bitte. Dies ist der Last Call.«

»Scheiße«, murmelte Luc. »Das Gate ist ganz am Ende.«

Mit zusammengepressten Lippen setzte er sich in Bewegung, was ich ihm nicht verübeln konnte. Immerhin war unsere Verspätung meine Schuld.

»Sorry«, sagte ich leise, was er vielleicht überhörte oder absichtlich ignorierte. Sicher war ich mir nur darüber, dass wir in zügigem Tempo unser Gate ansteuerten, vorbei am allgegenwärtigen Flughafentrubel, und es gerade noch rechtzeitig an den Schalter schafften.

»Da kommen Sie aber wirklich auf den allerletzten Drücker«, kommentierte die uniformierte Angestellte und schenkte uns ein professionelles Flughafenlächeln, dessen Freundlichkeit nicht mit ihrer Aussage harmonierte. »Dreißig Sekunden später und ich hätte den Flug geschlossen.«

Ich entschuldigte mich, während ich mein Ticket scannen ließ. Luc sagte nichts und passierte stattdessen nur die Metallschranke. In der Flugzeugkabine begrüßte uns die Kabinenchefin mit einem noch strahlenderen Flughafenlächeln, ehe sie über die Lautsprecher »Boarding completed« verkündete. Ich ignorierte die offenen Nachrichten von Ines, als ich mein Handydisplay entsperrte, um mich zum gefühlt dreihundertsten Mal über meine Sitzplatznummer zu versichern. Anschließend schob ich den Henkel meiner Tasche nach oben, während ich hinter Luc herging. Und er plötzlich inmitten der Business-Class stehen blieb, um eine der oberen Gepäckablagen zu öffnen.

Natürlich.

Natürlich hatte er einen Platz mit freiem Mittelsitz und Gratis-Champagner, umgeben von Côte-d’Azur-Menschen, die mit Sonnenbrillen und edlen Markentaschen vor sich hin schlummerten. Immerhin war Luc nicht nur Spitzensportler, sondern auch Sohn von Aline Durand. Geschäftsführerin des französischen Familienunternehmens Fleur de Lavande, weltweit bekannt für seine exklusiven Lavendeldüfte in Form von luxuriösen Wellnessprodukten.

Mir blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls stehen zu bleiben und zu beobachten, wie Luc seinen Rucksack in der Ablage verstaute, nachdem er seine AirPods Max und das Tablet daraus hervorgekramt hatte. Mit den elektronischen Geräten ließ er sich in eine Reihe fallen, die er nur für sich zu haben schien.

»Guten Flug«, sagte er.

»Guten Flug«, erwiderte ich kaum hörbar, bevor ich mich wieder in Bewegung setzte und mir dabei wünschte, ich könne mich von allem und nicht bloß Luc entfernen.

Dabei war dieser Abstand zu ihm nur in Maßen besser. Schließlich spürte ich die musternden Blicke der anderen Passagiere auf mir, als ich zuletzt einstieg. Hastig beschleunigte ich mein Schritttempo und hielt mich, angekommen in meiner Reihe, nicht einmal damit auf, meine Tasche oben zu verstauen.

»Entschuldigung«, flüsterte ich der rothaarigen Frau auf dem Gangsitz zu, die sofort verstand.

Umständlich erhob sie sich, ehe ich mich dankend noch umständlicher in die enge Sitzreihe quetschte und der Typ am Fenster dabei ein Stückchen weiter an die Wand rutschte. Und gerade dann, dann, als ich meine Tasche so unter mir verstaute, dass ich meine Beine zumindest drei mickrige Zentimeter ausstrecken konnte, und mich endlich anschnallte, bereit für den Start, den Abflug und meine Auszeit, knisterte es in der Leitung.

»Meine Damen und Herren, hier spricht Ihr Pilot. Mein Name ist Fabian Schneider und ich begrüße Sie recht herzlich an Bord unserer Airbusses A320. Aufgrund des hohen Flughafenverkehrs haben wir eine Starterlaubnis für in dreißig Minuten bekommen. Sobald ich weitere Informationen habe, werde ich mich bei Ihnen melden. Wir hoffen, Sie genießen die Zeit bei uns an Bord.«

Krampfhaft blinzelte ich vor mich hin, während sich die Fluggäste ringsum seufzend wieder ihren Handys widmeten. Mein Sitznachbar hielt sich das iPhone unvermittelt an die Lippen und begann flüsternd, eine Sprachnachricht aufzunehmen. Ich wollte ihm seine Privatsphäre geben und nicht hinhören, aber sein Ellbogen berührte meinen und alles hier war zu eng und zu viel und zu warm. Oder fühlte es sich bloß in mir so an? Eng, zu viel und viel zu warm, aber nicht warm-warm, sondern wütend-warm. Automatisch begann es wieder, in meinen Ohren zu piepen. Oder tat es das immer noch? Ich wusste es nicht.

Ablenkung.

Ich konnte hier nicht einfach so sitzen. Ich brauchte dringend etwas zu tun, also beugte ich mich nach unten, auf der Suche nach meinem eigenen Handy in der Tasche. Ich würde mich zusammenreißen, Jules schreiben und anschließend meinen Lieblingspodcast anmachen. Mein Hirn weder mit leeren Glückshormonen auf Social Media zudröhnen noch Vals Stories anklicken, um zu sehen, wie sehr sie ihr Superleben genoss, nachdem sie meins mal wieder in Scherben zersplittert hatte. Und erst recht nicht würde ich in Selbstmitleid versinken, indem ich die Bestseller-Liste aufrief und mich fragte, ob mein Nicht-wirklich-Bestseller Konsequenzen für meine weitere Karriere haben würde. Denn das würde er nicht, richtig? Immerhin war meine neue Romantasy-Idee schon von meiner Lektorin abgesegnet und ich wartete nur noch auf den Vertrag. Allerdings kam ich gar nicht erst so weit, Jules zu schreiben. Mit einem Mal lehnte sich nämlich meine rechte Sitznachbarin näher in meine Richtung.

»Ich will Ihnen wirklich nicht zu nahe treten«, flüsterte sie. »Aber Sie haben da was.«

Meine Brauen kräuselten sich, bevor sie in den Schritt meiner weißen Leinenhose nickte. Dort, wo sich ein blutroter Fleck ausgebreitet hatte. Krampfhaft blinzelnd starrte ich ihm entgegen.

Nicht. Weinen. Winther.

Jetzt. Bloß. Nicht. Weinen.

»Brauchen Sie einen Tampon?«, fragte sie mitfühlend. »Wenn ja, ich habe noch einen in meiner Tasche.«

»N…nein, danke, schon gut.« Ich zwang das zittrigste Lächeln aller Zeiten auf meine Lippen, während ich die Henkel meiner Tasche umfasste. »Könnten Sie vielleicht nur noch mal aufstehen und mich zur Toilette durchlassen?«

»Natürlich«, erwiderte sie sofort mit einem warmen Lächeln, ehe ich hastig meine übergroße Bluse auszog und sie mir um die Hüften band, weil ich ahnte, dass es von hinten noch schlimmer aussehen musste.

Die Flugzeugluft war so kalt, dass sich schlagartig Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitete. Ich stand auf, bevor ich mich viel zu nackt fühlte und deshalb die Arme vor der Brust verschränkte, als würde das irgendetwas besser machen. Kurz darauf passierte ich Lucs Sitzreihe und meinte zu registrieren, wie er aufsah, doch ich begegnete seinem Blick absichtlich nicht. Schnell überbrückte ich die letzten Meter zur Toilette und schloss mich ein.

Das Licht im Innern war schrecklich grell und ehrlich. Mein Blick war leer, meine Augen tot. Meine Haut war blass, obwohl ich heute Morgen den cremigen Bronzer benutzt hatte, auf den das halbe Internet schwor. Ich sah erbärmlich aus mit der um die Hüfte gebundenen Bluse. Nicht wie eine erfolgreiche Vollzeitautorin, die ihre Deadlines genauso ernst nahm wie ihre zwölfschrittige Hautpflegeroutine. Mein Spiegelbild fragte mich zu Recht, was zur Hölle passiert war, und ich hatte keine Antwort darauf.

Ich konnte nicht mehr.

Alles war zu viel.

Und jetzt blutete ich auch noch, vier verschissene Tage zu früh, aber eigentlich verblutete ich seit sechs Tagen, ohne dass mich eine Fremde höflich und respektvoll darauf hingewiesen hatte.

Diese Erkenntnis flutete meinen gesamten Körper, während ich mich fragte, wie viele Menschen schon heimlich in dieser Flugzeugtoilette zusammengebrochen waren. Mit Heimweh oder Herzschmerz und dem Wissen, ihre Liebsten monatelang nicht mehr wiederzusehen. Wie viele sich mit einem Mal unsicher waren, ob die Entscheidung für das Auslandsjahr tatsächlich die richtige gewesen war, wenn die Möglichkeit bestand, sich zwischen immer wechselnden Zimmernachbarn in Australien und Gelegenheitsjobs auf Eukalyptusplantagen einsam zu fühlen. Hastig wischte ich mir eine Träne weg und erlaubte mir keine neue.

Aushalten, Winther. Einfach. Aushalten.

Aber der Ratschlag meiner inneren Stimme war beschissen, weil ich ständig alles aushielt, während der Schmerz nur weiter anhielt und das Piepen in meinen Ohren sich vervielfachte. So wie immer, wenn mir alles zu viel wurde. Mein Stresstinnitus, wie meine Ärztin das Piepen bezeichnet hatte, weil es keine andere Erklärung für dieses schrille und willkürliche Piepen in mir gab. Jetzt blieb mir nichts anderes übrig, als in meiner Handtasche nach den Notfalltampons zu kramen. Keine drei Augenblicke später wusch ich mir die blutigen Finger über dem Waschbecken, ehe ich die verwischte schwarze Schminke an meinem Wimpernkranz korrigierte. Da registrierte ich Stimmen auf der anderen Seite der Tür. Ich beeilte mich und quetschte mich anschließend aus der Kabine.

»Wurde aber auch Zeit«, murmelte der stämmige Mann, wobei er sich fluchend in den winzigen Raum zwängte und die Tür mit einem lauten Klick schloss.

»Ist bei Ihnen alles okay?«, fragte mich die Flugbegleiterin, die in der vorderen Bordküche stand.

Sie musterte mich besorgt, woraufhin ich mich unwillkürlich fragte, wie viele verweinte Gesichter sie schon in ihrer Karriere gesehen haben musste.

»Alles bestens«, log ich, so, wie ich es immer tat.

Auf dem Weg zurück zu meinem Platz konnte ich Lucs dunklen Blick auf mir nun definitiv nicht mehr bestreiten. Ich schenkte ihm ein knappes Nicken, ehe ich die Economy Class betrat. Dort saß ich gerade wieder auf meinem Platz und wollte den Podcast von @thegirlnextdoor einstellen, als dieselbe Flugbegleiterin von eben durch den Gang huschte. Ausgerechnet in meiner Reihe blieb sie stehen.

»Frau Winther, richtig?«, fragte sie, während sie mich mit ihren viel zu freundlich strahlendroten Lippen anlächelte.

»J...ja?«

»Sie haben ein Upgrade erhalten und können sich nun gerne auf 3C setzen.«

3C.

Verwirrt blinzelte ich sie an, denn ich wusste, wer auf 3A hockte. »Ich glaube, da muss ein Fehler vorliegen.«

»Nein, das ist richtig so.« Ihr Lächeln wurde noch breiter. »Haben Sie nur die Tasche unter Ihrem Sitz oder noch weiteres Gepäck in den oberen Ablagen?«

»Nur, ähm, nur das«, sagte ich zögerlich.

»Prima, dann können Sie gerne in Ruhe zu Ihrem Platz gehen.«

Ich schüttelte fragend den Kopf, doch sie war bereits in Richtung der hinteren Bordküche verschwunden. Verwundert nahm ich meine Tasche, bevor ich mich dreimal hintereinander bei der rothaarigen Frau entschuldigte.

»Tut mir wirklich leid«, sagte ich schuldbewusst, weil sie ein weiteres Mal meinetwegen aufstehen musste.

Die Frau winkte ab. »Einen schönen Flug.«

Aber der Flug würde niemals schön werden können. Nicht, wenn ich kurze Zeit später zurück in die Businessclass marschierte, mein Bauch plötzlich krampfte, mir kalt war und ich wie angewurzelt vor Lucs Reihe verharrte, unschlüssig, wie ich ihm sagen sollte, dass ich nicht verstehen konnte, wieso zur Hölle er mir ein Upgrade gekauft hatte, wenn er mich noch genauso wenig wie damals ausstehen konnte.

Sobald er mich bemerkte, nahm er die AirPods Max wie in Zeitlupe von den Ohren. Ich hasste es, dass bei Luc alles so intensiv war, dass jede körperliche Regung wie in Zeitlupe passierte.

»Wieso hast du mir ein Upgrade gekauft?«, flüsterte ich.

Er hob die dichten Brauen. »Du könntest auch einfach Danke sagen.«

»Das wäre nicht nötig gewesen«, beharrte ich.

»Ja, ja, ich weiß schon, neben mir zu sitzen, gleicht für dich fast der Todesstrafe. Wenn du wieder auf deinen Mittelsitz willst, nur zu.« Abwehrend hob er die Hände. »Ich wollte dir bloß helfen.«

»Wobei helfen?«

Er zögerte. Schüttelte leicht den Kopf. Dann seufzte er tief. »Man sieht dir einfach an, dass du einen Scheißtag hast, okay?«

Es war nicht fair, dass er seine Stimme senkte. Dass er leise und so ernst klang, dass es mir die Kehle zuschnürte, weil er genau das sah, was ich vor wenigen Minuten im Spiegel selbst gesehen hatte.

Bebend atmete ich durch, bevor ich ein erbärmliches »Danke« herauspresste und mich auf meinen neuen Platz niederließ. Ich spürte, dass Luc sich gleich von mir abwenden wollte, im letzten Moment allerdings mit seinem Blick an meinen nackten Armen hängen blieb.

»Ist dir nicht kalt?«, fragte er sofort.

»Nein«, log ich.

»Viola, du hast Gänsehaut auf deinen Armen.« Irritiert runzelte er die Stirn. »Wieso ziehst du deine Bluse nicht an?«

Ich schwieg, weil mir keine geeignete Ausrede einfiel.

Früher war ich besser darin gewesen. Während der Schulzeit hatte ich mir alles einfallen lassen, um die ersten fünfzehn Minuten nicht im Klassenraum sitzen zu müssen, aus Angst, ich würde dazu aufgerufen werden, meine Hausaufgaben vorzulesen. Und so jegliche Aufmerksamkeit auf mir zu spüren. Kopfschmerzen, Übelkeit, Unterleibkrämpfe. Nichts war mir zu peinlich gewesen, womit ich mir eine Runde um den Pausenhof bei meinen Lehrern erbetteln konnte. Unglücklicherweise passte jetzt keiner dieser Gründe.

»Wenn du es genau wissen willst: Ich habe gerade meine Tage bekommen, ohne es zu bemerken«, sagte ich leise, weil ich zu erschöpft zum Weiterlügen war. »Ich brauche meine Bluse gerade da, wo sie ist.«

Kurz erwiderte er nichts und ich rechnete schon mit gar keiner Antwort, da fasste er sich plötzlich an den Saum seines Hoodies. Innerhalb von Sekunden zog er ihn sich über die hellen Haarsträhnen, bevor er ihn mir reichte. Sein Bizeps spannte dabei gegen die weißen Shirt-Ärmel. Aus den Augenwinkeln erkannte ich das Tattoo, das er mit achtzehn noch nicht gehabt hatte. Drei Worte auf der Innenseite seines Trizeps. Zu klein, um sie genau erkennen zu können, ohne zu starren.

Luc räusperte sich. »Du kannst meinen Pulli anziehen.«

Sofort schüttelte ich den Kopf. »Nein, auf gar keinen Fall.«

»Hast du etwa Angst, dass du gegen mich allergisch bist?«

»Ha, ha.«

»Im Ernst.« Er schaute mich an, ehrlich und so tief, dass ich für einen winzigen Moment verstand, wieso die meisten Menschen gar nicht aufhören konnten, ihn zu betrachten. »Du kannst ihn wirklich nehmen.«

»Erst das Upgrade, jetzt dein Pullover«, witzelte ich. »Sicher, dass du kein Alpha-Charakter in einem meiner kitschigen Liebesromane sein willst?«

Ich hatte die Stimmung zwischen uns auflockern wollen, weil Lucs Intensität nicht auszuhalten war. Trotzdem verdunkelte sich sein Gesicht innerhalb von Sekunden. Dabei war sein Blick nun ernst anstelle von ehrlich. Auf eine gewisse Art so verschlossen, als wäre alles an ihm zu für mich.

»Ich lasse den Pullover hier liegen.« Er legte den schwarzen Hoodie auf dem freien Mittelsitz ab. »Wenn du ihn anziehen willst, zieh ihn an. Wenn nicht, dann nicht.«

Womöglich fror Luc genauso sehr wie ich, als der Airbus gute zwanzig Minuten später die erste Wolkendecke durchbrach und wir beide Gänsehaut an unseren nackten Armen hatten.

4

viola

#everybodywantshimhejustwantsher

Südfrankreich begrüßte uns mit einem wolkenverhangenen Himmel, während der Flieger mit einer dreißigminütigen Verspätung auf die Landebahn des Flughafens Nizza Côte d’Azur krachte. Keiner der Passagiere verfiel in Jubel. Stattdessen blickte der Großteil keine Viertelstunde später grimmig auf das Gepäckband, das sich für gefühlte drei Ewigkeiten nicht bewegte.

Im Ankunftsbereich vermischten sich die vielen Gespräche und genervtes Stöhnen zu einem Rauschen. An den Wänden hingen Panoramaaussichten berühmter Promenaden und der friedlichen Felder der Provence. Von Nizza, Monaco und Cannes. Türkisblaues Meer, fliederfarbene Felder, ein Lebensgefühl von Luxus und Freiheit. Auf dem Weg durch den Gate-Bereich hatte ich sogar eine Fleur de Lavande-Boutique neben einem Geschäft für Luxusbademode entdeckt. Die Frauen ringsum trugen dieselbe Kleidung wie ich, sahen mir dabei jedoch nie ähnlich. Weite Stoffe, helles Leinen, teure Marken, große Brillen. Sie strahlten eine elegante Selbstsicherheit aus, während mich allein die Präsenz des älteren Bruders meiner besten Freundin einschüchterte.

Ich wünschte, ich hätte nicht bemerkt, wie viele Blicke an Luc haften blieben. Als wäre er eine Besonderheit in seiner schlichten Jeans und dem einfachen Shirt. Aber ich konnte nicht anders. Ich konnte es nicht nicht bemerken, wenn ich keinen halben Meter neben ihm stand. Er war wie ein Magnet, der alle anzog. Tatsächlich wie Val, obwohl ich eigentlich gar nicht an sie denken wollte. Val, mit der ich mir nichts teilte außer einen Nachnamen, ein Zimmer und die Gesichtsstruktur unserer Mutter. Val trug außergewöhnliche Vintage-Oberteile aus den 2000ern, ich setzte auf den beigefarbenen Pullover von ZARA, den mindestens drei andere Frauen in der Bahn trugen. Val hatte die Haare von dunkelbraun zu platinblond gefärbt, erhielt Anfragen von begehrten Oberstufenschülern auf ihrem privaten Profil und alle zweiten Blicke von Fremden auf der Straße. Sie war mit dreizehn in ihrer ersten Beziehung gewesen und hatte während der Schulzeit eigentlich nie nicht einen Freund gehabt. Bei mir war das Gegenteil der Fall gewesen. Selbst wenn ich mich in jemanden verguckt hatte, war daraus nie etwas geworden. Die Textnachrichten oder die Fragen nach einem nächsten Treffen hatten irgendwann aufgehört. Meinen ersten Freund hatte ich mit siebzehn gehabt. Die Beziehung hatte drei Monate angehalten, bevor Florian sich einen Tag vor seiner Abschlussfahrt von mir getrennt hatte. Mein Herzschmerz war genauso groß gewesen wie die Entschlossenheit, mich von nun an ausschließlich an die Männer in meinen Büchern zu halten. Als Studentin hatte ich es dann trotzdem alle paar Monate frustriert mit Online-Dating versucht, ohne dass mehr daraus geworden wäre. Kurz: Ich war immer diejenige gewesen, die sich nicht nur heimlich und neidisch in unserem geteilten Kinderzimmer gefragt hatte, was Val so anders machte als ich, wo sie richtiger und ich falsch war.

Nun blieb mir nichts anderes übrig, als mich selbst zu umarmen, schweigend neben Luc vor dem stillstehenden Gepäckband wartend. Ich verkniff es mir, nach dem Handy in meiner Tasche zu kramen. Anders als Luc, der auf seinen Bildschirm starrte, während alle ihn anstarrten.

»Finally«, murmelte eine Frau vor uns, als sich das Band mit einem Piepen in Bewegung setzte.

Das Geräusch brachte selbst Luc dazu, von seinem Handy aufzuschauen und es in seine Hosentasche zu schieben. Einfarbige Schalenkoffer rollten an uns vorbei, bevor er sich einen der ersten mit Businessclass-Label schnappte. Anschließend drehte er sich nach mir um.

»Wie sieht deiner aus?«

Ein Teil in mir war versucht, ihm zu erklären, dass er nicht auf mich warten müsse und schon gehen könne. Allerdings wusste der weisere Teil in mir, wie lächerlich diese Erwiderung gewesen wäre. Immerhin würden wir zusammen abgeholt werden, um die knapp zwei Stunden durch die Provence zu brettern.

»Silber«, murmelte ich deshalb. »Mit einem New-York-Sticker.«

»Von der Reise mit Jules?«, fragte er zumindest fast interessiert.

Ich nickte. »Letztes Jahr war sie.«

»Die Fotos, die sie dort gemacht hat, sind richtig krass geworden.«

»Alle Fotos von Jules sind krass.«

»Touché. Wenn unsere Mutter nicht total den Verstand verloren hat, überlässt sie ihr endlich diese dämliche Kampagne.«

Jules hatte gerade ihr Bachelorstudium beendet und wollte nun endlich in das Familienunternehmen einsteigen. Die Kampagne für den neuen Fleur de Lavande-Launch wäre die ideale Möglichkeit.

»Als gäbe es einen anderen Grund dafür, wieso sie sonst nach vier Jahren wieder einen Sommer hier verbringt«, fügte Luc leise hinzu.

Nach allem, was passiert ist.

Das sagte er nicht, aber ich konnte die Worte in seinem leicht zitternden Stimmton hören. So als wäre Lucas Rausch gar nicht so hart und kalt und unverwundbar, wie alle dachten. Ein Bad Boy mit einem Riss in der Fassade, was ihn genau richtig verletzlich und damit noch begehrenswerter machte.

Ich schluckte heftig, weil er mich einen kurzen Moment lang bloß mit hochgezogenen Brauen ansah. Alles an ihm war so heftig auf eine körperliche Weise, dass selbst gehobene Brauen mich aus dem Konzept brachten.

Als gäbe es einen anderen Grund dafür, wieso sie sonst nach vier Jahren wieder einen Sommer hier verbringt.

Seine Stimme echote in mir nach, während ich mich fragte, wieso er sich ebenfalls in den Flieger gesetzt hatte, wenn er doch eine genauso komplizierte Beziehung zu seiner Mutter hegte wie beide seiner Schwestern. Wie Jules. Und Maggie, die jüngste der Rausch-Geschwister, die auch dieses Jahr definitiv nicht einfliegen würde. Selbst für die Fleur de Lavande-Sommerparty Ende August nicht, die Aline laut Jules so wichtig war. Die Zeiten, in denen Aline darauf hatte bestehen können, dass ihre Kinder die gesamten Sommerferien bei ihr in Südfrankreich verbrachten, waren vorbei.

Daran dachte ich, als Luc sich wortlos dem Rollband zuwandte und Ausschau nach meinem Koffer hielt, der viel zu lange auf sich warten ließ. Und während erst die Gepäckstücke von dem Band und dann die Menschen aus dem Ankunftsbereich verschwanden, dachte ich an dieses Tolstoi-Zitat, das besagte, dass alle glücklichen Familien sich ähnelten, alle unglücklichen Familien jedoch auf eine ganz eigene unglückliche Weise unglücklich waren.

Knapp zwanzig Minuten später rollten wir unser Gepäck endlich durch die Schiebetüren in Richtung Ausgang, vorbei an den vielen Menschen, die die Straßenbahn in Richtung Stadt ansteuerten, und den Touristen, die dabei verzweifelten, ein Ticket zu kaufen, weil sie keine Karte besaßen, die sie aufladen konnten.

»Monsieur Lucas!«, rief plötzlich dieser ältere Mann, der vor einem schwarzen SUV wartete. »Wie schön, Sie endlich wiederzusehen«, ergänzte er auf Deutsch mit französischem Akzent.

Ich brauchte einige Sekunden, um ihn wiederzukennen. Die Haare waren grauer und das Gesicht etwas eingefallener, aber bei dem Mann handelte es sich definitiv um Pierre, der jeden meiner Sommer in Moustiers-Sainte-Marie für die gelegentliche Instandhaltung des Ferienhauses der Familie Durand verantwortlich gewesen war. Er klang noch genauso gut gelaunt wie damals. Pierre war jemand, dem man das Lächeln im Stimmton anhörte, selbst wenn seine Mundwinkel sich nicht nach oben zogen.

»Pierre«, sagte Luc in dieser deutsch-französischen Aussprache, für die Jules sich so schämte. »Freut mich auch.«

»Ich soll Ihnen von Ihrer Mutter ausrichten, dass sie es sehr bedauert, Sie nicht selbst abholen zu können. Ihr ist etwas …«

»… dazwischengekommen«, vollendete Luc mit einem charmanten Augenzwinkern. »Habe ich mir fast gedacht.«

»Genauso schlau wie damals.«

»Sie verwechseln mich mit Jules. Sie ist das schlaue Köpfchen von uns dreien.«

»Ah, Madame Jules freut sich schon seit letzter Woche auf Ihre Ankunft.« Mit einem Mal landete sein Blick auf mir. »Und am allermeisten natürlich auf Ihre, Madame Viola. Wie schön, auch Sie wiederzusehen.«

Ich bedankte mich mit einem ehrlichen Lächeln, bevor Pierre unser Gepäck einlud und wir anschließend in den dunklen Wagen stiegen. Luc vorne, ich hinten. Sobald Pierre den Motor startete, bereute ich meine Sitzwahl allerdings. Ich hockte schräg hinter Luc. Statt aus dem Fenster neben mir zu sehen, linste ich nach vorn. Auf Lucs Hände mit dem Smartphone dazwischen, das genau in diesem Moment mit einer neuer Nachricht vibrierte. Sofort schaute ich weg, doch war nicht schnell genug.

Das gesendete Bild war nicht nur irgendein Bild.

Es zeigte eine gesichtslose Frau. Aufgenommen in einem scharfen Winkel von oben, mit dem der schnörkelige Schriftzug unter ihren Schlüsselbeinen und den Brüsten perfekt eingefangen worden war. Ihre Brüste, die aus einem Spitzen-BH hervorquollen. Heiß, sexy, verführerisch. So intim, dass ich mir fast sicher war, Luc hatte all ihre nackte Haut gerade nicht zum ersten Mal betrachtet.

»Und?«, fragte Pierre. »Wie war der Flug?«

Erst als Luc sich tief räusperte, traute ich mich wieder, nach vorn zu schauen. Gerade steckte er das Handy zurück in die Hosentasche und versuchte sich an Small Talk mit Pierre, der davon sprach, dass die graue Wolkendecke morgen schon verschwunden sein würde. Mit Lucs Stimme im Ohr blickte ich nach draußen, mitten ins graue Südfrankreich, und dachte erneut an die Sätze, mit denen Liebesromane so oft runtergemacht wurden.

Zu klischeehaft. So vorhersehbar. Niemand verhält sich so.

Dabei war alles, worüber ich schrieb, wahr, selbst wenn ich neue Welten erfand. Menschen verhielten sich vorhersehbar und klischeehaft. Der gut aussehende Typ wurde mit halben Nacktfotos überhäuft. Das Buchmädchen stolperte von einer Tragödie in die nächste und brach heimlich in einer Flugzeugtoilette zusammen. Ganz normaler Alltag, ein bisschen willkürlich und vielleicht sogar dramatisch, doch im Großen und Ganzen nicht wirklich nennenswert.

Oder?

»Eigentlich läuft alles gut«, hörte ich Luc in genau dem Moment sagen. »Danke der Nachfrage.«

Womöglich hätte ich mich in einem anderen Universum gefragt, ob die Urheberin des Unterwäsche-Selfies Lucs Freundin war, aber in diesem wusste ich, dass sich alles änderte, ohne dass sich wirklich etwas änderte.

Menschen am allerwenigsten.

Und Lucas Rausch schon gar nicht.

5

viola

#sharedpast

Die Fahrt war seltsam ohne Jules.

Alle Straßen und Orte, an denen wir vorbeikamen, waren mir bekannt. Das Pulsierende Nizza und schimmernde Mittelmeer, die Touristen am Kiessteinstrand und noch mehr von ihnen an der Promenade des Anglais. Die Villen und Palmen zogen an mir vorbei, während ich mich daran erinnerte, wie Jules und ich stets Pläne auf der zweistündigen Fahrt in die Provence geschmiedet hatten.

Wir hatten uns immer neu erfinden und unsere Haut sechs Wochen lang am Pool verbrennen wollen, um unser Klassenzimmer im September mit einem strahlenden Teint zu betreten, in der Hoffnung, dieses Schuljahr würde endlich unser Jahr sein. Unser Valerie-Jahr, so hatte ich es gedanklich bezeichnet, in dem Köpfe sich permanent nach uns umdrehten und jeder wusste, dass wir existierten. Dass wir tatsächlich da waren, weil wir so vielleicht endlich das Gefühl einer echten Daseinsberechtigung hätten.

Wir hatten leben und wirklich etwas erleben wollen. Morgens eine Runde laufen gehen und mindestens fünf Kilo abnehmen, um als veränderte Personen nach Deutschland zurückzukehren. Wir hatten uns auf die wildesten Partys schleichen und die ganz großen Liebesgeschichten erleben wollen. Wir hatten uns starke Schultern und Vespawind in den Haaren ausgemalt, eine dramatische Trennung am Sommerende und alles verzehrenden Herzschmerz im Flugzeug, der uns gezeigt hätte, wie lebendig wir uns in diesem einen Sommer gefühlt hatten.

Das alles war so natürlich nie passiert, allerdings war das gemeinsame Träumen in der knallenden Augusthitze sowieso das Beste daran gewesen. Nur Jules, ich und der unendliche Sommer, in dem alles so unendlich möglich erschienen war.

Grüne Straßenschilder zogen nun an meinen Augen vorbei, während mich die Befürchtung beschlich, dass dieses Jahr anders werden würde. Immerhin waren wir nicht mehr sechzehn. Heute wollten wir daran glauben, dass unser Aussehen das Uninteressanteste an uns war, auch wenn wir manchmal daran scheiterten. Heute waren wir acht Jahre älter und ganze Lebenszeiten an den unerreichbaren Schönheitsidealen zerbrochen.

Dünn und gleichzeitig kurvig.Natürlich schön sein und sich nicht zukleistern, allerdings ausreichend Make-up auftragen, damit man nicht gefragt wird, was denn heute los sei und ob es einem gut gehe, weil man ja irgendwie so blass und krank aussehe. Hunderte von Minuten und Geld für die perfekte Hautpflegeroutine investieren, aber, Gott, bitte nicht die ganze Zeit so fokussiert auf das eigene Aussehen sein.

Als Frau konnte man nie gewinnen. Und als Mädchen hatte ich mich deshalb ständig selbst verloren. Gefühlt mein ganzes Leben hatte ich mich innerlich zerrissen, um äußerlich so makellos wie möglich auszusehen. Mittlerweile war es mir (die meiste Zeit) wichtiger, alte Denkweisen zu durchbrechen, als den Schwung in meinen Wimpern den ganzen Tag über beizubehalten. Ich wollte kein Glow-up über den Sommer, bloß um zurück zu Hause unwichtige Leute beeindrucken zu können und im Club endlich von betrunkenen Typen mit einem billigen Spruch angemacht zu werden. Und das war doch eine Besserung, nicht wahr?

Diesen Sommer wollte ich, wenn ich es genau nahm, eigentlich nur überleben.

Daran dachte ich, als wir das Hinterland erreichten und durch das geöffnete Fenster der Duft von Pinien und Lavendel in meine Nase drang. Mein persönlicher Geruch nach Sommer und Sechzehnsein. Wir passierten Grasse und die vielen anderen kleinen Dörfer, in denen die Fahrer auf Bustouren ihre Touristen für zwanzig Minuten herausschmissen.

Ich zwang mich dazu, nach draußen zu sehen und wirklich hier zu sein, ohne auf meinem Handy zu tippen und mich zu fragen, wieso meine Agentin mir nicht wenigstens zu Platz einundzwanzig gratulierte. Selbst wenn es mich in den Fingern juckte und ich mich seltsam leer fühlte, weil ich meine Sozialen Medien nicht ständig aktualisierte. Als müsste ich zu jeder Zeit wissen, wer gerade was über meine Bücher sagte. Eine Berufskrankheit, wie Ines feststellte, wann immer ich diese Gedanken mit ihr teilte.

Die anderen sind alle noch VIEL schlimmer als wir. Glaub mir.

Natürlich glaubte ich ihr, immerhin war sie meine einzige Freundin in der Buchwelt. Die einzige Person, der ich in diesem pastellfarbenen Haifischbecken mit harmlos aussehenden Glitzerwellen vertraute. Dieses, von dem man nicht wissen konnte, welch tiefe Tiefen es wirklich verbarg, wenn man noch nicht selbst darin geschwommen – und untergegangen – war.

Nach knapp eineinhalb Stunden erreichten wir die Verdonschlucht. Beim Anblick der Provence-Alpes schnürte mein Brustkorb sich instinktiv zu. Je stärker wir uns dem See näherten, desto schmaler und kurviger wurden die Straßen. Wohnmobilfahrer hupten, bevor sie sich in die Kurven kurbelten, während sich die Sonne ein klitzekleines Stückchen durch die Wolken kämpfte. Ein gutes Zeichen,