Fluch der sieben Seelen - Adalyn Grace - E-Book
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Adalyn Grace

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Beschreibung

»Throne of Glass« trifft auf »Fluch der Karibik« Epische Fantasy voller gutaussehender Piraten und rachsüchtiger Meerjungfrauen von der New-York-Times-Bestsellerautorin Adalyn Grace! Als Prinzessin des Inselkönigreichs Visidia hat Amora Montara ihr ganzes Leben damit verbracht, sich auf ein Ziel vorzubereiten: Sie soll zur obersten Hofmagierin werden. Im restlichen Königreich kann jeder seine Form der Magie wählen. Nur Amora hat keine Wahl. Als Tochter des Königs und zukünftige Thronfolgerin muss sie beweisen, dass sie die ebenso gefährliche wie tödliche Seelenmagie beherrscht. Doch als sie bei einer öffentlichen Zeremonie die Kontrolle über ihre Kräfte verliert und dabei einen Mann tötet, muss Amora aus dem Königreich fliehen. Sie schließt sich dem mysteriösen wie gutaussehenden Piraten Bastian an. Der will sie jedoch nur unter einer Bedingung mitnehmen: Sie soll ihm helfen, seine gestohlene Magie wiederzuerlangen.  Gemeinsam segeln die beiden auf dem magischen Schiff »Keel Haul« durch das Königreich – und entdecken dabei, dass dieses nicht nur Wunder, sondern auch Gefahren in sich birgt: Eine zerstörerische neue Magie ist auf dem Vormarsch und um sie aufzuhalten, muss sich Amora grausamen Ungeheuern und rachsüchtigen Meerjungfrauen stellen. Der Auftakt einer actionreichen Fantasydilogie!

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Karen Gerwig

© 2020 by Adalyn Grace, Inc.

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»All the Stars and Teeth« bei Imprint, New York 2020

© Piper Verlag GmbH, München 2021

Karte: by Dave Stevenson

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Coverabbildung: Guter Punkt, unter Verwendung von Motiven von Getty Images und iStock

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Cover & Impressum

Einleitung

Widmung

Das Königreich Visidia

Karte

1

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Epilog

Danksagung

Es war einmal eine Meerjungfrau, deren größter Schatz war eine wunderschöne Muschel, die sie überallhin mitnahm. Ein Seemann bemerkte ihre Liebe zu der Muschel und stahl sie. Er dachte, er könne die Meerjungfrau glauben machen, dass sie ihren wertvollen Besitz verloren hatte, und wenn er ihr die Muschel dann wiedergab, würde sie sich in ihn verlieben. Doch die Meerjungfrau war schlau und ließ sich nicht von ihm täuschen. Sie tauschte ihre Flosse gegen Beine und ging an Land, um den Seemann zu suchen. Als sie ihn fand, riss sie ihm das Herz heraus, aß es und kehrte mit ihrer Muschel in der Hand ins Meer zurück. Dieses Buch wird von Meerjungfrauen beschützt. Wer es stiehlt, sollte gut auf sein Herz aufpassen.

Für Mom und Dad –

Für eure Liebe, eure fortwährende Unterstützung und weil ihr jedes Mal in der glühenden Sonne gewartet habt, wenn ich euch zu Tausenden von Buchsignierstunden geschleppt habe.

Ohne euch wäre ich nicht hier … im wahrsten Sinn des Wortes.

Für Taylor –

Weil wir es endlich getan haben.

Das Königreich Visidia

ARIDA

Insel der Seelenmagie

Symbol: der Saphir

VALUKA

Insel der Elementemagie

Symbol: der Rubin

MORNUTE

Insel der Verzauberungsmagie

Symbol: der Morganit oder rosa Beryll

CURMANA

Insel der Gedankenmagie

Symbol: der Onyx

KEROST

Insel der Zeitmagie

Symbol: der Amethyst

SUNTOSU

Insel der Erneuerungsmagie

Symbol: der Smaragd

ZUDOH

Insel der Fluchmagie

Symbol: der Opal

1

Dieser Tag ist zum Segeln gemacht.

Die salzig feuchte Meeresluft legt sich auf meine Zunge und ich genieße den Biss. Die Hitze des Spätsommers hat das Meer bezwungen, es schaukelt kaum, als ich an der Steuerbordreling lehne.

Türkisgrünes Wasser bis zum Horizont, voller Doktorfische und Schwärmen von Gelbschwanz-Schnappern, die eilig vor unserem Schiff davonflitzen und sich unter dünnen Schichten Gischt verstecken. Im Morgendunst sehe ich die Umrisse der nebelverhangenen Berge, die Mornute bilden, die nördlichste Insel des Königreichs. Es ist eine der sechs Inseln, die ich noch nicht gesehen habe, aber eines Tages regieren werde.

»Wohin segeln wir?«, frage ich. »Zu den Vulkanen von Valuka? Dem Dschungel von Suntosu?« Das Wetter ist so mild, dass meine Worte bis zum Bug tragen, wo Vater steht und über das Wasser blickt.

Jahre auf See haben seine gebräunte, olivfarbene Haut faltig werden lassen, er sieht dadurch älter aus als seine vierzig Jahre. Die Falten lassen ihn auch ernst erscheinen, was mir gefällt. Aridas Hoher Animant, der König von Visidia, sollte immer ernst aussehen.

»Das Meer ist eine gefährliche Bestie, Amora«, sagt er. »Und du bist zu wertvoll, wir dürfen dich nicht verlieren. Beweise unserem Volk heute Abend deine Stärke, und ich werde wissen, dass du dem Meer trotzen kannst. Konzentriere dich aber erst einmal darauf, dir den Thron zu verdienen.« Er wirft mir aus seinen tiefbraunen Augen einen Blick zu und grinst. »Und auf die Verkündung deiner Verlobung.«

Mein Hals wird eng. Ferrick ist kein schlechter Mann, wenn man davon träumt, mit einem Bekannten aus Kindertagen eine Familie zu gründen. Aber ich bevorzuge meine täglichen Verehrer und ihre Geschenke.

Amabons, Ginnadas und Kleider aus den feinsten Stoffen: alles, um die leicht zu beeindruckende Prinzessin zu umwerben, für die sie mich halten. Die Jungen im Königreich glauben, sie könnten meine Liebe und meinen Titel kaufen, und ich lasse sie in dem Glauben. Nichts kommt den verschwenderischen Kinkerlitzchen gieriger Verehrer gleich, und ich habe nicht vor, ihre Großzügigkeit zu unterbinden.

»Bist du soweit?« Vater sagt es leise, aber fest, gleichzeitig verändert sich etwas in seinem Blick. Er spricht nicht von meiner bevorstehenden Verlobung.

Instinktiv lege ich die Hand an die Ledertasche, die an meiner Hüfte ruht. Die Gegenstände darin klappern, als ich ihre harten Ränder berühre.

»Bin ich«, sage ich, selbst wenn es sich kühner anhört als ich mich fühle. Denn auch wenn ich das einzige Kind des Königs bin, wird mein Volk mir die Krone nicht einfach übergeben und mich aufgrund meines Geburtsrechts regieren lassen. Hier im Königreich Visidia muss ich mich ihnen zuerst beweisen, wenn ich mir den Titel der Erbin verdienen möchte. Und das muss ich tun, indem ich ihnen eine angemessene Demonstration aridischer Magie liefere, der Magie, die nur in den Adern der Familie Montara fließt.

Heute Abend habe ich nur eine Chance, um mich des Titels der Animantin – einer Meisterin der Seelen – würdig zu erweisen. Doch mein Volk wird sich nicht mit einer guten Leistung zufriedengeben. Meine Leute verlangen Exzellenz, und genau die werde ich ihnen bieten. Am Ende des Abends werde ich ihnen beweisen, dass es niemals jemanden geben wird, der besser für den Thron geeignet ist.

Ausgedehnte Berge mit üppig grünen Hängen erstrecken sich vor uns, während das Meer unser Schiff zum Hafen von Arida zieht, meiner Heimatinsel. Die Berghänge sind dicht von biolumineszenten Pflanzen bewachsen, die bei Tag wunderschön aussehen, aber nachts, wenn sie ihre leuchtend lila- und rosafarbenen Blüten im Mondlicht öffnen, schlicht atemberaubend sind.

Es ist überwältigend und doch zieht sich beim Näherkommen ein dicker Knoten aus Bitterkeit in meiner Brust zusammen. Ich versuche, ihn zu ignorieren, aber er sinkt in meine Magengegend wie ein Anker.

Ich liebe Arida, aber bei den Göttern, was würde ich nicht alles geben, um dieses Schiff zu drehen und weiterzusegeln.

Unsere Segel blähen sich, als der Wind uns in Richtung Hafen schiebt, und Vater macht sich für die Landung bereit. Man mag von mir erwarten, dass ich eines Tages das Königreich regiere, dennoch weigert sich Vater, mir etwas so Einfaches beizubringen wie die Duchess zu segeln. Da ich eine der beiden potenziellen Erbinnen der Montaras bin, sagt er mir immer wieder, reisen sei zu gefährlich. Obwohl ich ihn jahrelang angebettelt und ins Feld geführt habe, dass ich in der Lage sein sollte, Segel zu setzen und mein Königreich zu sehen, lässt er mich das Steuer kaum einmal anfassen.

Das heißt aber nur, dass es Zeit wird, mich mehr anzustrengen. Heute ist schließlich mein Geburtstag.

Ich schicke meine Sorgen mit den Möwen fort, die um den Hauptmast kreisen, und gehe zu ihm. Vater schürzt die Lippen, als ich lächle; er weiß genau, was ich will.

»Bitte?« Ich lege meine glatte Hand neben seine raue ans Steuerrad. Ich sehne mich nach dem sonnengebräunten Schimmer und den vom Meerwasser rauen Schwielen – den Zeichen eines Reisenden –, die er mit Stolz trägt.

Es bleibt nicht mehr viel Zeit, bevor wir andocken. Das Wasser wird flacher, wütend schlägt es gegen das Schiff, während wir uns Arida nähern. Eine kleine Gruppe von Dienern und königlichen Soldaten erwartet uns auf dem roten Sand, um uns eilig wegzubringen und auf heute Abend vorzubereiten.

»Nein.« Vater macht sich breit, damit ich nicht herankomme.

Ich schlängle mich um ihn herum, sodass er mir in die Augen sehen muss. »Doch. Nur dieses eine Mal?«

Vaters breite Brust erbebt unter einem Seufzer. Er muss spüren, wie unbedingt ich das möchte, denn zum ersten Mal in meinem Leben tritt er zur Seite und bietet mir das Steuer an. Mit der freien Hand umfasse ich sofort das glatte Holz und unterdrücke ein Schaudern, weil es sich so schön anfühlt.

Ganz natürlich. Als wären meine Hände dafür geschaffen.

»Du musst langsam machen«, sagt Vater, aber ich höre nur halb zu. Das Schiff fühlt sich genauso an, wie ich es mir vorgestellt habe: wie ein wildes Tier, das die verheißungsvollen Abenteuer, die das Meer verspricht, in Angriff nehmen und alles unterwegs erobern kann. Es ist stark, furchtlos, aber ich spüre sein Zögern, mir zu gehorchen. Dieses Schiff ist wie mein Volk: Es verlangt den verdienstvollsten Kapitän und wird sich nicht mit weniger zufriedengeben.

Ich kratze mit dem Fingernagel sanft über das Holz und drehe das Steuerrad nur ein kleines bisschen. Als Antwort zittert das Schiff, es prüft mich. Vater bleibt in der Nähe, seine Hände zucken und sind jederzeit bereit zu übernehmen, sollte etwas schiefgehen. Aber dazu werde ich es nicht kommen lassen.

Ich bin Amora Montara, Prinzessin von Visidia und Thronerbin des Hohen Animanten. Es gibt kein Schiff, das ich nicht segeln kann. Es gibt nichts, was ich nicht meistern könnte.

Der Wind dreht mit einer Bö, lässt die Segel unruhig flattern und schiebt das Schiff ein klein wenig nach links. Nicht viel, aber das Schiff fordert mich heraus, und ich bin kein guter Verlierer. Ich umfasse das Steuer fester, um den Kurs zu korrigieren.

Ich muss nicht aufschauen, um zu wissen, dass wir in seichtes Wasser laufen. Ich spüre es am Verhalten des Schiffes, daran, wie sein stetiges, einschläferndes Schaukeln steif und grimmig wird.

»Greif mit der linken Hand fester zu.« Vaters Stimme kommt wie aus weiter Ferne, aber ich tue, was er sagt. Das Schiff knarzt als Antwort.

Ich bin Amora Montara. Wieder bohre ich den Fingernagel in die Duchess, als das Schiff zittert. Die Macht Aridas fließt in mir. Du wirst gehorchen.

Die Duchess ächzt, als wir auf Sand laufen, der Aufprall erschüttert meine Brust. Ich verliere den Halt und versuche mich abzufangen, aber das Steuer ist glitschig von der Gischt des Ozeans, und ich knalle mit dem Gesicht dagegen. Schartiges Holz zerkratzt meine Wange, was das Schiff zum Lachen bringt, während es auf Grund läuft. Ich richte mich auf, streiche mir mit dem Finger über die Haut. Als ich ihn ansehe, ist er blutig.

Das Schiff hat gewonnen und das weiß es. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann mich das letzte Mal etwas zum Bluten gebracht hat.

»Amora!« Vaters Schreck ist seiner Stimme anzuhören. Zorn ballt sich in meinem Bauch zusammen, und ich starre finster auf meine Hände, die mich verraten haben.

Verfluchtes Schiff. Es hätte nur zuhören müssen.

»Bei Catos Klinge, du blutest!«

Heute Abend muss ich perfekt sein. Hässliche Verletzungen, die Schwäche erkennen lassen, haben da keinen Platz.

»Es ist nur ein Kratzer.« Ich schiebe ihn weg. »Mira kann das abdecken.«

Vater steht das schlechte Gewissen ins faltige Gesicht geschrieben. Als ich das sehe, tobt Wut durch meine Adern wie Gift. Es ist nicht sein Fehler, dass ich blute. Es ist nicht sein Fehler, dass ich nicht einmal einem Schiff befehlen kann, auf mich zu hören.

Bevor er noch etwas sagen kann, nehme ich Vaters Arm.

Wir verlassen die Brücke der Duchess und gehen auf Mira zu. Der Sand unter ihren Füßen hat die Farbe von frischem Blut. Sie steht zwischen mehreren steifen Männern und Frauen in leichten Jacken mit roségoldenen Bordüren. Sie trägt eine lockere schwarze Hose und ein passendes Oberteil, das sich um ihre kleine Gestalt bläht und dessen sehr schmale Träger aus Perlen unter ihren Haaren – dichten, fließenden Wellen, so dunkel und seidig glänzend wie Rabenfedern – hervorschimmern. Die Bordüre aus reinem Roségold an ihrer Tracht passt zu dem königlichen Wappen, das sie stolz auf der Brust trägt. Es ist dasselbe, das auch die anderen tragen: das Skelett eines Aals, um eine Krone aus Walknochen geschlungen.

Sie ist zwar kaum älter als ich, aber Miras kluges Gesicht ist durch ständige Sorgen vorzeitig faltig geworden. In ihren fünf Jahren als meine Hofdame hat sie jeden Augenblick genutzt, um Wirbel um mich zu machen, genauso überbehütend wie meine Eltern. Als sie meine Wange sieht, schnappt sie nach Luft und zerrt mich mit sich.

»Ausgerechnet heute!« Sie zieht ein Taschentuch heraus und rubbelt damit über meine Wange. Wilde Missbilligung liegt in ihren zusammengekniffenen blauen Augen, und während ich auf das Urteil warte, runzelt sie die Stirn. »Die Wunde ist frisch, wir können sie also vielleicht abdecken, wenn wir schnell sind. Komm, wir bereiten dich vor.«

Ich werfe einen Blick zu Vater zurück, suche sein aufmunterndes Lächeln. Doch es verkümmert zu einem Stirnrunzeln, als die Funktionäre ihn in geflüsterte Gespräche verwickeln, die nicht für die Ohren unerfahrener Nachfolgerinnen bestimmt sind. Ich mache einen Schritt auf ihn zu, flehe ihn stumm an, sich umzudrehen und meinen Rat zu suchen oder mich zu dem Gespräch zu bitten, doch Mira nimmt mich an der Hand.

»Du weißt, sie werden dir nichts sagen.« Ihre Worte fühlen sich wie Krallen an, auch wenn ihre Stimme sanft ist. »Nicht vor deiner Prüfung.«

Ich schüttle Miras Hand ab, richte meine Aufmerksamkeit ganz auf das Schiff. Sein Holz knarzt lachend, wie es da auf dem Sand ruht und sich über mich lustig macht.

Der Laut geht mir bis ins Mark und ich frage mich: Wenn es mir nicht gelingt, ein einzelnes Schiff zu beherrschen, wie soll ich dann bereit sein, ein ganzes Königreich zu regieren?

2

Ikaener haben den Fackelschein gezaubert, der den überfüllten Pfad unter meinem Balkon in grelle Rosa-, Blau- und Lilatöne taucht.

Hunderte von Visidiern erklimmen die steilen Klippen vom Strand aus bis unter den Palast, wo die Feierlichkeiten beginnen. Manche von ihnen benutzen gepflasterte Wege, während die Abenteuerlustigen sich zwischen dem Regenbogen-Eukalyptus hindurch- und die Serpentinen hinaufschlängeln. Sie sind außer Atem und necken sich gegenseitig, jeder will als Erster oben ankommen. Eine Gruppe curmanische Soldaten wartet am Ufer, um denen zu helfen, die den Aufstieg nicht schaffen oder lieber darauf verzichten. Sie heben Kinder und Familien in die Luft, hoch hinauf auf die nördlichen Klippen, wo die Feierlichkeiten warten. Sie sind erfahren genug in ihrer Levitationsmagie, sodass es ihnen nicht schwerer fällt als das Atmen.

Die gleichmäßigen Trommelschläge sind jetzt eindringlicher als vorhin; jeder Schlag erschüttert meine Knochen, während das hohle Rasseln der anderen Instrumente meinen Brustkorb ausfüllt. In der Luft flimmern Energie und Gelächter, sie ist warm vom Duft reichlich gewürzten Schweinefleischs und gerösteter Honigpflaumen.

Heute Abend sind alle auf den Beinen – Junge und Alte. Wenn es Zeit wird für meine Vorführung, werde ich mich nicht vor den Augen von Visidia verstecken können.

»Ist das nicht prächtig?«, fragt Yuriel. »Das ist besser als das Theater da draußen mit den ganzen Moden und Magien. Wir sollten das Königreich öfter so versammeln.« Mein Cousin sitzt auf der Ecke meines Himmelbetts an eine Decke aus Gänsedaunen gelehnt und lässt die Finger über einer Platte voll üppiger Süßspeisen kreisen. Wie er da sitzt, sieht er beinahe selbst wie eine Gans aus. Er achtet darauf, dass nichts, was auch nur wie Schokolade aussieht, in die Nähe der rosa gefärbten Pfauenfedern kommt, aus denen sein exzentrisches Gewand besteht, nimmt aber dennoch große Schlucke aus einem Kristallglas mit pflaumenrotem Wein. Ich ertappe mich dabei, wie ich mich vom verblüffenden Leuchten seiner lavendelfarbenen Augen und seinem hübsch geschwungenen, neonpinken Lidstrich ablenken lasse.

»Wenn ich regiere, versammle ich das Königreich ganz oft zu Feierlichkeiten.« Ich trete vom Balkon zurück und ziehe die Samtvorhänge zu. Es laut auszusprechen, heizt mein Blut auf, macht meine Haut kribbelig in gespannter Erwartung des heutigen Abends.

In nur wenigen Stunden wird endlich alles mir gehören, wofür ich achtzehn Jahre gearbeitet habe.

Mein Titel als Erbin von Visidia. Die Möglichkeit, Segel zu setzen und mein Königreich zu sehen. Das Recht, nicht nur seine Geheimnisse zu erfahren, sondern es zu beherrschen.

»Ich freue mich, dass du zuversichtlich bist«, sagt Yuriel zwischen klebrigen Bissen glasierten Karamellkonfekts. »Ich werde dich später daran erinnern.«

Obwohl Yuriel und ich beide Montaras sind, haben wir nur das Blut in unseren Adern gemeinsam. Mein Cousin hat einen Vater, der blass ist wie Pulverschnee, deshalb ist seine Haut mehrere Schattierungen heller als meine kupferbraune. Und meine Haare sind ein Schopf aus dunklen Locken, während seine, wie alles in seiner Heimatstadt Ikae, extravagant sind. Sie sind vom weißesten Weiß, sogar an den Wurzeln. Wo ich groß gewachsen, kurvig und muskulös bin, ist er weich und zart – ein Paradebeispiel für Ikae.

Der größte Unterschied zwischen uns ist aber, dass Yuriel trotz seines königlichen Erbes keine Seelenmagie lernen kann. Er hat dieses Recht aufgegeben, als er fünf Jahre alt war und versehentlich Verzauberungsmagie benutzte, um Tante Kaleas Haare neongrün zu färben.

Er war zwar noch zu jung, um für seine Entscheidung verantwortlich gemacht zu werden, doch jetzt tragen Tante Kalea und ich die Verpflichtung allein. Wenn ich nicht als geeignete Erbin erachtet werde, wird mein Volk sich Tante Kalea zuwenden, der einzigen Montara, die noch eine Magieform für sich wählen muss.

Doch das wird nicht passieren. Niemand in meiner Familie hat seine Vorführung je verpatzt, und ich habe zu viel Lebenszeit darauf verwendet, um jetzt als Erste zu scheitern.

»Amora?« Mira kommt aus dem angrenzenden Salon. Die Iris ihrer Augen ist weiß verschleiert; so sehen Curmaner aus, wenn sie über Gedanken kommunizieren. »Deine Eltern sind bereit für dich.« Sie blinzelt das Blau in ihre Augen zurück. »Wenn du soweit bist, wird Casem dich zu ihnen begleiten.«

Yuriel wackelt mit den Augenbrauen, und ich wende mich ab, um verstohlen einen letzten Blick auf mich selbst zu werfen. Der Kratzer auf meiner Wange ist unter mehreren Schichten Creme und Puder kaum noch zu sehen. Mein Kreppkleid soll ein Blickfang sein – königsblau mit einem engen, strukturierten Oberteil, das mit feinen Goldkringeln bestickt ist, die meine Kurven betonen und die Wärme meiner kupferfarbenen Haut hervorheben. Es ist überall dort eng, wo ich das mag, und mit meinen dunkelbraunen Locken, die lose im Nacken zusammengebunden sind, entsteht eine tolle Wirkung.

Mira hält mir einen Umhang hin, der aussieht, als wäre er in geschmolzenen Saphiren getränkt und mit Sternenlicht bestäubt worden. Mir stockt der Atem, als sie ihn direkt unter den Schultern an meinem Kleid festhakt. Er funkelt wie die Sonne auf dunklem Wasser, und als ich über den weichen Stoff streiche, bleibt ein Schimmer auf meinen Fingerspitzen zurück.

»Du hast dich wirklich selbst übertroffen«, sage ich zu ihr und erhasche kurz das stolze Lächeln, das sie zu verbergen versucht.

»Ferrick kann sich glücklich schätzen«, sagt sie. »Du siehst wunderschön aus.«

Meine Begeisterung fällt in sich zusammen. So lange, wie es gedauert hat, mich in dieses Kleid zu schnüren, sollte ich ja wohl schön aussehen. Und genauso habe ich mich auch gefühlt, bis Mira Ferrick erwähnt hat.

»Danke«, sage ich knapp und versuche, die Gedanken an meinen baldigen Verlobten von mir zu schieben. »Ich bin bereit, meine Eltern zu sehen.«

»Viel Glück!«, feuert mich Yuriel an, während er sich noch ein Glas Wein eingießt. Ich lasse ihn in meinem Zimmer zurück, meine Stiefel klappern auf dem Marmorboden, als ich Mira zur Tür hinaus folge. Mein Leibwächter Casem wartet entspannt an die Wand gelehnt auf mich.

Als Valukaner kann Casem die Luft um sich herum beeinflussen. Doch Casem zieht Waffen der Magie vor und praktiziert sein Können nicht oft. Er trägt mit Stolz die Uniform der königlichen Leibgarde und der Visidischen Soldaten. Diese Uniform tragen alle, egal von welcher Insel sie stammen: einen eindrucksvollen königsblauen Blazer und einen schimmernden Saphirumhang mit silbernen Stickereien am Saum. Das königliche Wappen, das Aalskelett, funkelt an Casems Umhang, als er sich bei unserem Anblick verneigt, auch wenn seine hellblauen Augen länger auf Mira ruhen als auf mir. Mit seiner sonnengebräunten Haut und den rötlich blonden Haaren ist er wie eine Honigwabe auf zwei Beinen, und ich schwöre, genauso schmilzt er auch jedes Mal, wenn er sie ansieht.

Vielleicht werden sie eines Tages den Mut aufbringen, sich zu küssen und ihrem ewigen Sehnen ein Ende zu setzen.

»Habt ihr beiden vor, die Feier zu genießen?«, frage ich im Gehen und bin dankbar, jemand Nüchternen zum Reden zu haben. »Oder hat mein Vater euch zum Dienst eingeteilt?«

Ihr kurzes Schweigen ist Antwort genug.

»Ich bezweifle, dass ich gebraucht werde.« Casem grinst uns über die Schulter an. »Aber heute Abend über dich zu wachen ist mir eine Ehre. Auch wenn ich zugeben muss … das Schwein auf dem Feuer riecht, als hätten es die Götter zubereitet. Ich hätte nichts dagegen, wenn du ein bisschen was davon beiseiteschaffen könntest …«

»Casem!« Mira schnappt nach Luft, aber der Wächter lacht, und ich muss über seinen Enthusiasmus schmunzeln.

»Ich sage den Küchenbediensteten, sie sollen etwas aufheben«, versichere ich ihm, während wir die Treppe hinaufsteigen. Als wir uns dem Thronsaal nähern, setzt mein Herz ein paar Schläge aus.

Die gigantische Doppeltür ragt drohend vor mir auf und starrt auf mich herab, dass es mir kalt in die Knochen fährt. Vor der Tür zögere ich, hole tief Luft und nehme mir einen Moment Zeit, mich zu sammeln. Achtzehn Jahre und endlich passiert es.

In die Türblätter ist die Karte des Landes geschnitzt, das wir regieren: Das ganze Königreich Visidia breitet sich über die goldenen Flächen aus, eine Ansammlung von Inseln mit Intarsien aus schimmernden Edelsteinen. Arida, die Insel der Seelenmagie und Hauptsitz unseres Königreiches, ist durch einen leuchtenden Saphir dargestellt, der stolz in der Mitte der Karte sitzt.

Meine Haut wird warm, als ich mit dem Finger über meine Heimatinsel streiche und direkt darüber zu Yuriels Zuhause hinauf – Mornute, dargestellt durch einen Morganit. Eine üppige, wohlhabende Insel mit stilvollen Bewohnern, die ihre Verzauberungsmagie benutzen, um an dem einen Tag lila Haare zu haben und am nächsten rosafarbene. Mornute ist nicht nur für seine Magie bekannt, sondern auch für seine üppigen, weinbewachsenen Berghänge. Die Insel der Verzauberung produziert und exportiert den größten Teil des Alkohols von Visidia. Ihr Bier ist zwar köstlich, aber ihren Wein mag ich bei Weitem am liebsten.

Links davon liegt Valuka, Casems und Mutters Heimatinsel. Sie wird durch einen Rubin dargestellt. Hier wird Elementemagie praktiziert. Die Valukaner können zwischen Erde, Feuer, Wasser und Luft wählen, und Mutter hat sich Wasser als ihre Zugehörigkeit ausgesucht.

Unterhalb von Valuka liegt eine Insel, die mir fremder ist – Kerost, die Insel der Zeitmagie, dargestellt durch einen Amethyst. Es ist zwar nicht möglich, die Zeit selbst zu beeinflussen, aber wer diese Magie besitzt, kann ändern, wie Körper mit der Zeit interagieren, also andere verlangsamen oder sich selbst beschleunigen. Wir haben hier im Palast Soldaten und Bedienstete von allen Inseln, aber es ist ewig her, seit ich die Ausübung von Zeitmagie gesehen habe. Vater hat mir Geschichten davon erzählt, wie ermüdend diese Magie für ihre Anwender sein kann, weshalb es Visidias am wenigsten praktizierte Magie ist.

Ganz rechts von Arida ist ein dicker Smaragd in die Tür eingebettet, der das Zentrum von Suntosu darstellt, der Insel der Erneuerungsmagie. Oft kommen sachkundige Heiler von dort, um für das Königreich zu arbeiten, und werden dann zu Heilstationen in ganz Visidia entsandt, damit sie sich um die Kranken und Verletzten kümmern. Aber Suntosu ist auch die Heimat von Ferrick, meinem Verlobten. Aus diesem Grund gehe ich schnell über die Insel hinweg; ich möchte nicht darüber nachdenken, dass ich unsere Verlobung bekannt geben muss. Stattdessen fahre ich mit dem Finger nach oben, zu dem Onyx, der Curmana darstellt, wo viele unserer höfischen Bediensteten geboren sind, unter anderem auch Mira. Ich denke an die Curmaner, denen ich vorhin zugesehen habe, wie sie anderen die Klippen hinaufhalfen.

Doch nicht alle sind in der Levitation bewandert. Manche, wie Mira, sind erfahren in der Gedankenkommunikation, sie können direkt in die Gedanken einer anderen Person sprechen, ohne den Mund benutzen zu müssen. Vater hat einige von ihnen eingestellt, um mit den Beratern sämtlicher Inseln zusammenzuarbeiten. Durch ihre Magie kommunizieren wir sehr schnell miteinander. Außerdem ist das eine großartige Quelle für den neuesten Klatsch im Königreich.

Als ich meine Hand gerade wegziehen will, streift mein Daumen ein winziges Loch in der Karte, ganz im Süden von Arida, und ich beuge mich hinunter, um das Loch, das einmal mit einem schönen weißen Opal gefüllt war, näher zu betrachten.

Zudoh. Eine Insel, die auf Fluchmagie spezialisiert ist und die aus dem Königreich ausgeschlossen wurde, als ich ein Kind war. Ich weiß nicht viel über ihre Magie – nur, dass sie zum Schutz verwendet wurde. Die Bewohner konnten Barrieren und Talismane erschaffen, die einen, wenn man sie berührte, seltsame Dinge sehen ließen. Hauptsächlich war die Insel aber für ihre fortschrittliche Infrastruktur und ihr einzigartig bearbeitetes Holz bekannt, das uns zum Bau unserer Häuser und Schiffe diente. Es ist die südlichste Insel, deshalb ist das Klima dort am kältesten. Von den Wintern auf Zudoh heißt es, sie seien rau und Schneestürme wären an der Tagesordnung.

Ich weiß nicht mehr viel von ihrer Verbannung, denn damals war ich erst sieben Jahre alt. Sie ist ein heikles Thema im Königreich, das oft nur flüsternd und hinter geschlossenen Türen besprochen wird. Selbst Vater redet nicht gern darüber. Jedes Mal, wenn ich ihn nach Einzelheiten frage, wendet er sich schnell ab und sagt, Zudoh sei nicht damit einverstanden, wie die Montaras regieren, und das werde immer so sein. Alles was ich darüber hinaus über Zudohs Verbannung weiß, habe ich mir über das Klatschnetzwerk des Königreiches zusammengesammelt.

Ich habe gehört, Zudohs Berater hätten sich während eines Besuchs von Vater auf ihrer Insel gegen ihn gewandt, woraufhin ein Kampf ausbrach, bei dem er ernsthaft verletzt wurde. Ich erinnere mich vage an einen kurzen Zeitraum, in dem Vater eine Pause mit meiner Ausbildung machte und ich ihn nicht sehen durfte. Damals habe ich angenommen, er sei nur beschäftigt; erst Jahre später habe ich die Zusammenhänge begriffen.

Es ist furchtbar ärgerlich, dass von mir erwartet wird, eines Tages das Königreich zu regieren, dass man mich aber gleichzeitig wie ein Kind behandelt, vor dem man fast alles geheim hält »bis ich soweit bin«.

Deshalb freue ich mich mehr als alles andere auf heute Abend. In dem Moment, in dem meine Vorführung vorbei ist und ich offiziell als Erbin des Thrones anerkannt bin, werde ich fordern, alles über mein Königreich zu erfahren, was es zu wissen gibt. Ich werde nicht länger auf Mutmaßungen angewiesen sein. Vater wird mich nicht mehr in Arida vergraben und mir sagen können, ich solle meine Magie üben. Er wird mich mit dem Respekt behandeln müssen, den die zukünftige Königin verdient. Ich mag eine der wenigen möglichen Erbinnen sein, die noch übrig sind, aber ich bin nicht das schwache, zerbrechliche Wesen, für das er mich hält.

»Amora?« Miras Stimme holt mich in die Gegenwart zurück.

Zwei Palastwachen flankieren mich, jeder von ihnen hat eine Hand wartend auf eine der dicken Türklinken gelegt.

Ich hole tief Luft. »Öffnet sie.«

Die Tür geht auf, wodurch ein Luftzug ein paar lose Haarsträhnen aus dem Knoten in meinem Nacken und mir in die Augen weht. Meine Brust wird eng und mein Atem geht schneller. Ich werfe einen Blick zurück zu Casem und Mira, die beide das Knie gebeugt und den Kopf gesenkt haben, dann trete ich ein.

Die Türflügel fallen krachend hinter mir zu.

Im Thronsaal ist kein Licht nötig. Fackel- und Sternenlicht stehlen sich durch die offene Rückwand und fluten den hohen Raum. Wie überall sonst im Palast besteht der Boden aus eindrucksvollem weißem Marmor, doch hier wird er teilweise von einem dicken, saphirblauen Teppich mit goldenen Bordüren bedeckt. An seinem Rand stehen drei Throne aus Perlen und Walknochen auf sechs schwarzen Marmorstufen.

Bald werden es vier Throne sein. Wenn wir erst verheiratet sind, wird Ferrick neben mir sitzen, wenn ich Rat halte.

Meine Hände schwitzen, aber es bleibt keine Zeit, über den unsichtbaren vierten Thron zu grübeln. Meine Eltern stehen vor den beiden vorderen Thronen; hinter ihnen erstreckt sich der offene Panoramabalkon über Arida. Das verzauberte Fackellicht, das von draußen hereinsickert, beleuchtet ihre Profile und macht ihr strahlendes Lächeln zu Miniaturmonden.

»Amora.« Vater ergreift als Erster das Wort. »Du siehst wunderschön aus.« Hinter ihm befindet sich ein Tisch, aber ich kann nicht sehen, was darauf liegt.

Dass es endlich wirklich passiert, verwandelt meine Beine in Stein. Zittrig zwinge ich sie Schritt für Schritt vorwärts. Marmorsäulen ragen hoch neben mir auf – es sind noch vier zwischen meinen Eltern und mir. Ich zähle sie, während ich daran vorbeigehe.

Eins.

Noch eine Stunde, bis ich Visidias Bewohnern beweise, dass ich es verdient habe, ihre Erbin zu sein.

Zwei.

Noch zwei Stunden, bis ich mit einem Mann verlobt bin, den ich nie lieben werde.

Drei.

Noch drei Stunden, bis ich das Kommando gebe, ein Schiff vorzubereiten, mit dem ich morgen Segel setzen kann. Und bis ich verlange, sämtliche Geheimnisse zu erfahren, die das Königreich je vor mir verborgen hat.

Vier.

Jetzt überkommt mich doch die Nervosität und ich beginne zu schwitzen.

Am Fuß der Treppe verneige ich mich und Vater gluckst.

»Komm, Amora«, sagt er. »Komm, setz dich.«

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals und steige zu schnell die Stufen zu meinem Thron hinauf – dem im Hintergrund. Mutter nimmt mich bei den Schultern und dreht mich um.

»Nicht der«, flüstert sie und schiebt mich stattdessen auf den größten Thron zu – der für den Hohen Animant bestimmt ist.

Mein Herz ist ein Monster, das in meinem Brustkorb tobt, als Vater mich beim Arm nimmt und auf seinen Platz setzt.

Von hier aus sieht der Raum riesig aus. Aus diesem Winkel sieht man keine Sterne und keine Fenster mit Blick auf die Insel. Hier bin nur ich und ein leerer Raum, der sich zu groß anfühlt.

»Eines Tages, wenn die Götter meine Seele holen oder die Insel mich nicht mehr für fähig hält zu regieren, wirst du hier sitzen. Du wirst dieses Königreich regieren, wie es die Götter bei deiner Erschaffung für dich vorgesehen haben.« Vaters Stimme klingt weit entfernt; mein Herzschlag hämmert laut in meinen Ohren, lauter als seine Worte. »Ich kenne deine Magie, deine Kontrolle und deine Kraft. In den vergangenen achtzehn Jahren habe ich sie jeden Tag in dir wachsen sehen, und ich könnte nicht stolzer sein. Die Macht von Arida ist stark in deinem Blut, und doch hast du sie bezwungen. Jetzt ist es Zeit, das unserem Volk zu beweisen. Zeig ihnen, dass sie ihr Vertrauen auf dich setzen können, wenn meine Zeit zu Ende ist.« Vater greift hinter sich und nimmt zwei wundervolle, elegante Epauletten vom Tisch.

Die dekorativen Schulterstücke sind erschreckend hoch und mit dicken Edelsteinen besetzt, mit denen die verschiedenen Inseln von Visidia dargestellt sind und die gezackte, gefährliche Spitzen bilden. Damit kann ich mir sicher selbst in die Wange schneiden, wenn ich mich zu schnell drehe.

Mein Verlangen nach diesen Schulterspangen nimmt zu, bis ich fast ersticke. Mir war bis zu diesem Moment nie klar, wie kalt und leicht meine Schultern sind.

»Amora, schwörst du, diese dir von den Göttern angebotene Stellung anzunehmen, indem du deine Magie mit Ehrlichkeit und gerechtem Urteilsvermögen einsetzt?«, fragt er, während er mir das erste Schulterstück ansteckt.

»Das tue ich.« Ich umfasse die Armlehnen des Sessels, um mich zu beruhigen.

»Schwörst du, die Gesetze der Seelenmagie in dem Wissen hochzuhalten, dass es jedes Mal mit Endgültigkeit sein muss, wenn du sie einsetzt?« Vater steckt mir die zweite Epaulette an.

»Das tue ich.«

Er tritt einen Schritt zurück, um mich zu betrachten. »Und am wichtigsten: Erklärst du deinen festen Willen, das Volk von Visidia zu schützen, indem du diese Magie dein ganzes Leben lang aufrecht erhältst? Auch im Wissen um die Konsequenzen?«

Ich sehe Vater fest an, das Kinn hoch erhoben. »Das tue ich.«

In seinen strahlenden Augen spiegelt sich das Fackellicht. »Dann möge hier deine Ausbildung enden. Mögest du bis Sonnenaufgang Animantin sein. Du hast meinen Segen.«

Die Edelsteine streifen meinen Hals und meine Ohren und ich bekomme Gänsehaut. Als ich schaudere, drückt Mutter meinen Arm, ihre Anwesenheit beruhigt mich.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Liebling. Wir sind stolz auf dich.« Mutters schöne, braune Haut schimmert so strahlend wie die Uferklippen bei Sonnenaufgang. Der warme Bernsteinton ist fast gleich wie der meiner Haut. Ihre ausgebürsteten, kastanienbraunen Locken wallen unter ihrer eleganten Krone – eine Reihe von funkelnden Muscheln und Korallen mit Intarsien aus zarten Saphiren, zwischen die mehrere getrocknete Seesterne eingearbeitet sind. Sie passt zu ihrem königsblauen Kleid, das weit geschnitten und scheinbar einfach gehalten ist, das aber detailreich gewebt wurde. Rubinrote Stickereien säumen ihren Umhang und weisen sie als von Valuka stammend aus. Ihr Mieder ist außerdem mit einer Handvoll winziger Diamanten bestäubt. Was wirklich strahlt, ist ihr Schmuck – dicke Ohrringe mit Perlen und Diamanten, funkelnde Rubine und Saphire, die sich um ihren Hals fächern und den Ausschnitt ihres Kleides schmücken, dazu schmale Ringe, die ihre Finger schimmern lassen, wenn sie sich bewegt.

Das Licht fällt auf etwas an ihrer anderen Hand, sodass es aufleuchtet. Als sie bemerkt, dass ich hinsehe, lächelt sie und öffnet ihre Hand.

»Die hat deiner Großmutter gehört«, sagt sie und lässt eine Halskette zwischen ihren Fingerspitzen baumeln. Die Kette ist aus purem Gold. In der Mitte hängt ein schwerer Saphir, darunter schaukeln Tränen aus Diamanten. So etwas Schönes habe ich selten gesehen. »Sie hat sie mir anvertraut, als du noch ein Kind warst. Dieser Schmuck ist der zukünftigen Königin von Visidia würdig.«

Ehe ich es mir versehe, hat sie mir die Kette umgelegt. Mutter küsst meine Schläfe, aber meine Eltern sind noch nicht fertig.

Als Vater eine Krone hinter dem Thron hervorzieht, vergesse ich zu atmen.

Die riesige Kopfbedeckung besteht aus Walknochen und ist mit Elfenbein überzogen. Sechzehn Knochensäulen stehen vom Sockel nach oben ab und winden sich mindestens anderthalb Fuß in die Luft. Sie sind spitz wie Eiszapfen, zum Durchbohren von Gegenständen geeignet, und werden nur durch die üppigen weißen und blauen Blumen abgemildert, die Mutter hinter mein Ohr steckt und durch die Knochen webt.

Wenn ich eines an diesem Abend sicher weiß, dann, dass ich dafür bestimmt bin, diese Krone zu tragen.

Sobald ich mich an diesem Abend zeige, wird es außer Frage stehen, ob ich dazu ausersehen bin, Visidias zukünftige Hohe Animantin zu werden, sollte irgendwann Vaters Zeit gekommen sein. Wenn mein Volk mich heute Abend sieht, werden alle es wissen, genau wie ich.

Ich stehe auf und umarme erst Mutter, dann Vater. Beide drücken mich fest, achten aber darauf, mir nicht die Krone vom Kopf zu streifen oder sich die Wangen an meinen scharfen Schulterspangen zu verletzen.

»Zeig ihnen eine grandiose Vorstellung da draußen!« Mutter rückt die Blumen in meinem Haar zurecht und mustert mich noch einmal prüfend, bevor sie mit einem Lächeln ihre Zustimmung ausdrückt.

»Zeig unserem Volk, dass die Macht der Montaras stark ist«, sagt Vater.

»Ich werde noch mehr tun.« Ich streiche mit dem Finger an meiner Krone entlang, mit jeder Sekunde kann ich leichter atmen und meine Muskeln entspannen sich. »Ich werde ihnen zeigen, dass ich stark bin.«

Mit dem angenehmen Gewicht der Tasche an meiner Hüfte bin ich bereit.

Vater versetzt mir einen leichten Klaps gegen die Schulter, nur einen, und bietet Mutter seine Hand an.

Es ist Zeit.

3

Die Köpfe aller Versammelten wenden sich uns zu, als Casem mich aus dem Palast ins Gewühl der Feierlichkeiten eskortiert. Schwere Weinreben mit leuchtend rosa Blüten dazwischen hängen von den Klippen, streifen meine Schultern und versuchen, sich um meine Krone zu schlängeln, während wir den Berghang erklimmen, hinauf zu dem Ort, wo ich später an diesem Abend meine Zeremonie durchführen werde.

Casem manövriert mich durch ein Meer von Zuschauern, das sich für uns teilt. Er lässt mich nicht lange an einem Platz verweilen. Unterwegs atmet er tief durch die Nase und seufzt: »Bei Catos Blut, ich wünschte, an meinen Geburtstagen würde es auch so gut riechen.«

Entlang des Bergpfads haben Dutzende von Verkäufern ihre Stände aufgebaut. Sie bieten alles an, was ich mir hätte vorstellen können – und noch mehr: gebratenes Schweinefleisch, klebrig-feuchte Honigkuchen, gehaltvollen Bananenpudding und Süßigkeiten aus Ikae, rohen Fisch und gezuckerte Mangoscheiben, Hähnchen, Früchte, alles. Es gibt sogar Stände, an denen Spielzeugkronen und -säbel verkauft werden, auf denen klobige saphirblaue Steine angebracht sind.

Ein königlicher Leibwächter versucht, zwei Frauen aus Arida, die bei den Weinfässern stehen und ausgelassen lachen, zu den Essensständen zu scheuchen. Eine der Frauen wehrt die Hand des Wächters mit einem erneuten Lachen ab, das beinahe ansteckend ist. Hinter ihnen erleuchten rosafarbene und blaue Fackeln die Nacht, ihr Schimmern verrät die Verzauberungsmagie von Mornute. Sie beleuchten sowohl Künstler als auch Bürger, die zum Schlag der Trommeln tanzen und singen, fröhlich und unbekümmert. Weinseliges Gelächter perlt durch die Luft und legt sich über die Musik. Unten am Strand kommen andere immer noch mit ihren Schiffen an, nehmen sich etwas zu essen und begrüßen einander fröhlich, bevor sie den Aufstieg beginnen.

»Da ist die Prinzessin!« Das gezischte Flüstern eines valukanischen Mädchens zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Mit offenem Mund starrt sie meine Krone an, und den Umstehenden geht es nicht anders. Sie bestaunen meinen Schmuck, bis ihnen wieder einfällt, wer sie sind und sie sich verneigen.

Vor ihnen halte ich den Kopf hoch erhoben, trotz des Gewichts meiner Krone, und die Schultern gerade, auch wenn sich die Spangen gegen mich wehren. Ein Teil von mir wünscht sich zwar, er könnte die Förmlichkeiten beiseitewischen, aber die Wahrheit ist: Ich lechze danach. Mein Volk respektvoll verneigt zu sehen, strafft meine Schultern, während meine Brust vor Stolz schwillt.

Mein ganzes Leben habe ich trainiert, um diese Leute zu beschützen, und jetzt werden sie meine Fähigkeiten endlich sehen.

Während ich mich durch die Menge bewege, treten die meisten Visidier nervös zur Seite, werfen verstohlene und bewundernde Blicke auf meine Krone und meine Schulterspangen, während andere herbeistürzen und mir die Hände zum Gruß entgegenstrecken. Einige Gesichter kenne ich, aber es haben sich auch Hunderte Fremde in meiner Heimat versammelt, um zu sehen, wie ihre Prinzessin sich den Titel als Hohe Animantin und Thronerbin sichert. Sie tragen die Farben ihrer Heimatinseln und bilden damit ein Meer aus Farbschattierungen und Modestilen.

Wie Yuriel haben sich die Bürger von Mornute mit Federn geschmückt – das ist dort der aktuelle Modetrend. Eine Frau hat ihr Kleid so verzaubert, dass es aussieht wie eine einzige Schwanenfeder, mit einem hauchdünnen, glänzenden Oberteil, das sich an der Taille bläht und sich um sie aufzuplustern scheint. Der Mann neben ihr trägt leuchtend blaues Make-up, das sich wie Flügel unter seinen ebenso blauen Augen zu den Seiten schwingt. Er hat einen pfirsichfarbenen Umhang mit Schulterpolstern aus Federn, die sich vom Hals aus auffächern. Bei jedem seiner Schritte schimmert das flüchtige Bild eines fliegenden Flamingos auf.

Die Kinder aus Valuka sind einfacher gekleidet, sie tragen lose Tücher und schöne Röcke oder Leinenhosen – leichte Kleidung, in der sie sich frei bewegen können. Sie spielen mit einer der Fackeln herum, stehlen ihre Flamme und werfen sie hin und her. Ein kleines, blondes Mädchen verliert die Kontrolle über die Flamme und sengt sich den Saum seines rubinroten Tuches an. Seine Mutter bekommt es mit und gibt dem Mädchen einen Klaps auf die Hand. Sie scheucht die Kinder von der Fackel weg und entzündet sie mit einer Handbewegung neu.

Überall um mich herum geschieht so viel Magie, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe, und ich lechze danach. Eine Frau mit tief violettbrauner Haut und einem sanften Gesicht, das von wolkigen Locken umrahmt wird, legt einen Smaragdumhang von Suntosa an und nutzt ihre Magie, um das valukanische Kind zu heilen, das mit dem Feuer hantiert hat. Hinter ihr trägt ein Mann von Curmana in einem schwarzen Gewand in beiden Händen volle Teller mit Essen zu seiner Familie und lässt dabei zwei Gläser Wein neben sich schweben.

Inmitten dieser Menge drängen sich Kinder und ihre Eltern zusammen, um ein Puppentheater zu sehen, eine von Dutzenden verschiedenen Straßenvorstellungen, die heute Abend stattfinden werden.

»Verehrtes Publikum!«, ruft eine Stimme dramatisch hinter der Schaubude.

»Hereinspaziert!«, antwortet eine Gruppe Kinder mit weit aufgerissenen Augen automatisch.

Der Erzähler fährt erst nach ihrer Antwort fort. »Kommt herbei und hört die Geschichte der großen Montaras – Eroberer der Magie und Beschützer des Königreiches!«

Eltern nehmen Kinder auf ihren Schoß, und ich frage mich, ob sie diese Vorstellung genauso wunderbar übertrieben finden wie ich.

Als der dunkle Samtvorhang der Schaubude hochgezogen wird, damit die Vorführung beginnen kann, halte ich Casem am Ärmel fest und ziehe ihn in den Schatten, um zuzusehen.

»Ernsthaft?«, fragt er seufzend, als ich ihm bedeute zu schweigen.

»Es war einmal«, flüstert der Erzähler, »ein bösartiges Monster, das Arida mit seiner Magie zerstören wollte.« Lichter flackern in der Bude auf, und einer der Schauspieler hebt ruckartig die Hand – darüber hat er eine einfach gemachte Puppe gezogen, die ein Monster darstellen soll. »Diese Bestie war bösartig und wollte alle verderben, die über mehrere Magien verfügten. Damals, müsst ihr wissen, ahnte niemand, wie gefährlich das war. Die Leute strapazierten ihre Körper, was zum langsamen, schmerzhaften Tod führte, wenn die Magie sie aufzehrte.

Magie macht Menschen gierig«, fährt er fort. »Je mehr jemand davon hat, desto mehr will er haben. Das Monster nutzte diese Gier aus, indem es anderen anbot, seine Magie zu lernen – die mächtigste Magie, die die Welt je gesehen hatte, behauptete das Monster. Die Leute ergriffen gierig die Gelegenheit und ahnten nicht, was das Monster wirklich von ihnen wollte: ihre Seelen!«

Im Publikum schnappen einige nach Luft, doch neben mir unterdrückt Casem ein Lachen. Ich stoße ihm den Ellbogen in die Seite, damit er aufhört, bevor uns jemand bemerkt.

Für Casem und die Zuschauer ist das einfach eine von vielen alten Geschichten aus unserer Vergangenheit, mit denen wir aufgewachsen sind. Für mich ist es mein Blut. Meine Herkunft.

»… diese Magie war ein gefährliches, tückisches Ding«, fährt der Erzähler fort. »Heute nennen wir sie Seelenmagie. Sie band sich nacheinander an all die gierigen Seelen derer, die mehrere Magien einsetzten, und tötete sie! Doch selbst als die Hälfte der Bevölkerung von Arida umgekommen war, war das Monster nicht zufrieden. Weil sein Hunger wuchs, wollte es die Zerstörung ausdehnen.«

Das Monster jagt ein paar schreiende Puppen auf der winzigen Bühne herum, bevor es sie verschlingt. Casem presst die Lippen fest zusammen und versucht, sein Grinsen zu unterdrücken. Diesmal lasse ich es ihm durchgehen.

»Als alle Hoffnung verloren schien«, geht die Geschichte weiter, »stellte sich einer gegen das Monster – Cato Montara!«

Eine königlich aussehende Puppe meines Vorfahrs springt auf die Bühne und bekommt von Kindern wie Erwachsenen Applaus. Viele von ihnen recken Nachbildungen von Catos Messer in die Luft und jubeln.

»Cato hatte die Monarchie noch nicht eingeführt; er war nur ein bescheidener Mann ohne Magie und wollte das Volk beschützen, das er liebte. Er ging einen Handel mit dem Monster ein – wenn es ihm gelänge, alle zu überzeugen, dass sie für immer nur eine Magie nutzten, dann müsste das Monster seine Magie Cato geben und Arida in Ruhe lassen. Das Monster lachte Cato ins Gesicht und willigte ein, denn es glaubte, die Leute seien zu gierig und würden solche Bedingungen nicht akzeptieren. Es rechnete nicht damit, dass Cato andere überzeugen konnte, nur noch eine Magieform zu benutzen – und doch schaffte er es.

Cato bezwang das Monster dann mit nichts weiter als einem einfachen Messer, und wegen ihrer Vereinbarung war die Magie des Monsters für immer an die Erbfolge der Montaras gebunden!« Kinder schnappen vor Ehrfurcht nach Luft und sehen ihre Spielzeugmesser an.

Die Stimme des Erzählers schwillt dramatisch an. »Aber würden wir wieder so weitermachen wie damals, könnte das Monster eines Tages zurückkehren. Um unser Volk also zu schützen, damit es sich nie verleiten lässt, verschiedene Magieformen einzusetzen, bestimmte Cato, dass jeder sich jeweils eine von ihm ausgeübte Art Magie aussuchen, und auf der Insel leben sollte, die diese Magie jetzt vertrat. Er blieb auf Arida, zusammen mit denjenigen, die er von jeder Insel als seine Berater wählte, und schuf das Königreich. König Cato machte Visidia zu dem, was es jetzt ist, aber« – hier senkt der Erzähler warnend die Stimme – »wir sind nicht allein dafür verantwortlich, das Monster fernzuhalten. Die Montaras beschützen uns und sorgen dafür, dass es in ihrem Blut weggesperrt bleibt. Sollte es sich je von den Montaras befreien können, wird es an ganz Visidia Rache üben. Es wird jede einzelne unserer Seelen zerstören.«

Die Kinder rutschen unruhig auf ihren Sitzen herum, und die Stimme des Erzählers wird genau im richtigen Moment wieder leiser. »Aber keine Angst, solange wir unseren Schwur, nur eine Magie zu praktizieren, nicht brechen, und solange wir einen fähigen Animanten haben, der stark genug ist, die Macht des Monsters zu bewahren und seine Magie zu beherrschen, wird Visidia für immer in Sicherheit sein.«

Stolz wärmt meine Haut und sprenkelt sie mit Gänsehaut. Es ist eine tolle Aufführung, die perfekte Einleitung für die Vorstellung, die ich gleich bieten werde. Ich bin so davon in Beschlag genommen, dass ich erschrocken zusammenfahre, als ein Junge aus dem Publikum ruft: »Wenn die Magie so gefährlich ist, warum praktizieren die Montaras sie dann noch?« Er handelt sich ein scharfes Pssst! von einer Frau ein, von der ich annehme, dass sie seine Mutter ist, aber ein paar andere kichern leise.

Der Erzähler ist auf diese Frage vorbereitet. Seine Stimme ist neckisch und geschmeidig wie Sirup. »Ganz so einfach ist es nicht. Magie ist etwas Eigenartiges, mein Junge; sie verschwindet nicht einfach, wenn man sie unbeachtet lässt. Und aridische Magie ist besonders gefährlich, denn das Monster, das den Montaras diese Magie gab, kämpft pausenlos um die Kontrolle über die Seele ihres Nutzers. Die Magie muss genutzt und verbraucht werden, sonst gärt sie und wächst, bis das Monster stark genug wird, um die Kontrolle zu übernehmen.

Als König Cato es in der Blutlinie der Montaras einschloss«, fährt der Erzähler fort, »machte er es zur Aufgabe seiner Familie, das Monster zu beherrschen und in Schach zu halten. Das ist die Aufgabe derer, die den Titel des Animanten bekommen – des Meisters der Seelen. Das ist der Grund, warum wir heute Abend hier versammelt sind: um zu sehen, wie Prinzessin Amora ihre Stellung als Erbin von Visidia festigt, indem sie sich fähig erweist, Animantin zu werden. Möge sie eines Tages so gut regieren wie ihr Vater, König Audric.«

Nervosität breitet sich in meiner Brust aus. Ich nehme Casems Arm, um ihn fortzuziehen, bevor uns jemand bemerkt, aber ein Schnauben aus der Menge hält mich auf.

»Na klar, weil wir ja unbedingt noch einen faulen Herrscher brauchen.«

Meine Hand rutscht von Casems Arm ab.

Ein frivoler Sopran reagiert mit einem Lachen. »Faul? Bitte, du plapperst wie ein ahnungsloser Kaven-Unterstützer. Die Inseln florieren.«

»Vielleicht floriert deine Insel. Aber Valuka hat kaum jemand besucht, seit die heißen Quellen ausgetrocknet sind. Ganz zu schweigen von Kerost, das sich kaum noch über Wasser hält.«

Mehrere Palastwachen stehen in der Nähe, ihre Augen blitzen vor Neugier. Sie machen aber keine Anstalten, die Verleumdungen zu unterbinden.

Weil ich hinter ihnen stehe, bemerken mich die Zuschauer nicht, bis ich nach vorne trete, um mich zu erkennen zu geben. »Entschuldigung?« Stille erstickt die Gespräche, als sich die Gesichter eines nach dem anderen erschrocken zu mir umdrehen. Die Wachen stehen mit einem Mal stramm. »Welchen faulen Herrscher meinst du?«

Sie starren meine Krone an. Und die Schulterspangen. Aber in ihren Augen fehlt die Ehrfurcht, die ich vorhin bemerkt habe. An ihrer Stelle ist da jetzt Furcht.

»Wir sollten weitergehen.« Casem nimmt mich am Arm und zieht mich vom Publikum weg. Ich gebe nach.

»Was hat die Frau gemeint?« Mein Blut heizt sich auf, meine Ohren und mein Hals brennen vor Ärger. »Wer ist Kaven? Was meinten sie damit, dass Kerost sich kaum noch über Wasser halten kann?«

Casem winkt ab. »Darüber würde ich mir keine Sorgen machen. Sie hat eindeutig keine Ahnung, wovon sie redet.«

»Aber es sah aus, als hätten sie Angst vor mir. Und die Palastwachen standen nur so da!«

Er legt die Stirn in Falten. »Amora, du trägst eine Krone aus Knochen und Messer als Schulterpolster. Missdeute ihren Respekt nicht als Angst. Und was erwartest du von den Wachen? Auch Narren dürfen frei sprechen.«

Die Worte beruhigen mich allerdings nicht; da ist noch mehr. »Ich sollte mit meinem Vater reden.«

Casem presst die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. »Du solltest dich entspannen. Wenn du dich vor der Zeremonie zu sehr aufregst, wird deine Magie ganz aufgepeitscht …«

»Das steht nicht zur Diskussion!«, schnauze ich ihn an. »Ich muss mit ihm sprechen. Zwing mich nicht, gegen dich zu kämpfen, Casem.«

Casems Blick geht zu meiner Tasche, dann zu dem Dolch an meiner Seite. Ich habe, seit ich ein Kind war, mit Casem trainiert, und mit seinem Vater, dem Waffenmeister unserer Soldaten. Mutter und Vater haben darauf bestanden, dass ich lerne, mich selbst zu schützen, deshalb ist Casem schon seit Jahren mein Trainingspartner. Aber er bevorzugt den Bogen, und ich kann an einer Hand abzählen, wie oft er mich mit einem Schwert besiegt hat.

»Also gut«, schnaubt er und beruhigt sich selbst, indem er tief durchatmet. »Aber der König wird nicht glücklich sein.«

Wir treffen Vater nahe am Gipfel des Berges, wo er in einem abgeschiedenen Bereich am Rand des Gartens verweilt, umringt von Beratern aus ganz Visidia. Einige der Berater halten Getränke in den Händen, aber sie sind alles andere als heiter. Als ich mich an den Wächtern vorbeidränge, sehe ich, dass ihre Körper angespannt und ihre Gesichter ernst sind.

Casems Vater, Olin Liley, ist unter ihnen, er trägt einen tadellosen saphirblauen Blazer mit goldener Bordüre. Der königliche Ratgeber von Arida richtet sich auf, als sich sein Sohn nähert, und verengt die Augen. Ich kann nur ahnen, dass das eine Warnung sein soll.

Casem hatte recht – Vater sieht nicht glücklich aus. Doch vor ihm steht ein junger Mann, der noch zorniger aussieht.

Der Berater ist jünger als die anderen, höchstens Anfang zwanzig. Sein Gewand ist teuer: eine fein geschneiderte Kniehose in weichem Kaki, ein faltenloses Leinenhemd und Lederstiefel fast bis zu den Knien. Sein Gehrock hat den leuchtenden Farbton eines Rubins, und als seine Manschettenknöpfe das Licht einfangen, sehe ich, dass sie mit dem königlichen Wappen geprägt sind. Die Bordüre an seinem Mantel ist aus leuchtendem Gold – also ist er ein königlicher Abgesandter aus Valuka.

»Wir müssen einen Weg finden, das zu unterbinden«, bringt er mit verkniffenem Gesicht vor, als wäre er gehörig gereizt. »Bitte hört mir einfach zu, ja? Jeder kann von Kerost denken, was er möchte, aber Kaven wird nicht ruhen, bis er …«

»Kaven kann nur reden.« Vaters barsche Zurückweisung reizt den Valukaner nur noch mehr. Doch bevor er noch etwas sagen kann, legt Olin Vater die Hand auf die Schulter.

»Wir haben Gesellschaft, Euer Majestät.« Er zeigt mit dem Kinn in meine Richtung. Vater dreht sich um und zieht überrascht die Brauen hoch.

»Wer ist Kaven?«, frage ich. Die Berater sind plötzlich sehr aufmerksam, als ich vortrete. Sie sehen Vater an, dessen grimmiger Gesichtsausdruck von seiner Krone noch verzehnfacht wird. Sie ist nicht so hoch wie meine, aber sie ist unglaublich – ein mit Elfenbein besetztes Skelett eines Valuna-Aals. Das ist eine sagenumwobene Tiefseekreatur, ein zehn Fuß langes Tier mit messerscharfen Zähnen – jeder so lang wie mein Zeigefinger –, den unsere Vorfahren der Legende nach vor einem knappen Jahrhundert bekämpft haben. Sein Maul ist so groß, dass Vaters Gesicht hineinpasst. Der Oberkiefer wölbt sich um seinen Kopf, und die untere Hälfte sitzt unter Vaters Kinn, als würde der Aal ihn fressen. Die juwelenbesetzte Wirbelsäule zieht sich über Vaters Rücken und biegt sich an seinem Steißbein nach oben.

Ich frage mich, ob ich mit meiner Krone nur halb so furchteinflößend aussehe wie er mit seiner.

»Ihr solltet nicht hier sein, Eure Hoheit«, antwortet Olin. »Ihr solltet in den Gärten sein und Euch auf Eure Vorführung vorbereiten.« Er richtet seine Aufmerksamkeit auf Casem, der sich hinter mir kleiner macht.

»Und das werde ich tun, wenn mir endlich jemand sagt, was los ist.« Ich schaue an ihm vorbei zu dem valukanischen Berater, der jetzt hoch aufgerichtet hinter Vater steht. Er hat etwas über Kerost gesagt, und als ich nacheinander die Vertreter ansehe, die ihn umringen, sehe ich eine besondere Farbe nicht: Amethyst.

»Wo sind die Kers?« Meine Brust wird eng, als Vater sein gelassener Gesichtsausdruck entgleitet. Je mehr ich mich umsehe, desto bestürzender ist ihre Abwesenheit. Es fehlt nicht nur ein Gesandter von Kerost. In der ganzen Aufregung des Abends habe ich nicht bemerkt, dass eine ganze, von meinem Volk bewohnte Insel fehlt. »Geht es ihnen gut?«

»Es geht ihnen bestens«, antwortet Vater im selben Moment, als der valukanische Berater sagt: »Sie revoltieren gegen Visidia.«

Vater stöhnt und wirft dem Valukaner einen finsteren Blick zu. Der junge Mann erwidert seinen Blick wütend, während die umstehenden Berater unbehaglich von einem Bein aufs andere treten.

»Ich will Euch helfen«, drängt der Berater. »Ihr könnt mich wenigstens anhören …«

»Ihr seid alle entlassen.« Die Wut in Vaters dröhnender Stimme lässt den Berater zurückzucken. Er öffnet den Mund, als wollte er protestieren, kneift ihn aber zusammen, als seine haselnussbraunen Augen meinen begegnen. Ich versuche, nicht zurückzustarren, während Vater sagt: »Ich würde gern allein mit meiner Tochter sprechen.«

Olin und die anderen Berater verneigen sich, bevor sie dem valukanischen Jungen einen Klaps auf die Schulter geben, damit er sich in Bewegung setzt. »Also gut! Aber sagt nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt!« Er knurrt etwas vor sich hin, während sich die anderen Berater für seine Unwissenheit entschuldigen und den Valukaner fortbugsieren.

Schließlich ist nur noch Casem übrig, der sich entschuldigt und sich einige Fuß entfernt, sodass er außer Hörweite ist.

»Seltsam, dass ich ihn vorher noch nie getroffen habe«, sage ich zu Vater. »Ich hätte schwören können, ich kenne alle Berater.«

Vater knurrt. »Lord Bargas war anscheinend zu krank für die Reise und hat stattdessen seinen Sohn geschickt. Charmanter Junge. Ist hier reingestürmt und verlangte ein Treffen, als wäre er selbst der König.«

Vaters offenkundiger Ärger über den Valukaner bringt mich gegen meinen Willen zum Lachen. Das löst die Spannung in seinen Schultern und klärt ein klein wenig die Luft zwischen uns.

»Mir war nicht bewusst, dass Lord Bargas einen Sohn hat«, sage ich, auch wenn der Berater zweifellos wie der Sohn des führenden Vertreters von Valuka aussah: weiche, braune Haut, ein starkes, eckiges Kinn und eine fast unangenehm gerade Nase. Er war auch ähnlich gebaut wie der Baron. Ein bisschen gedrungen, mit breiten, muskulösen Schultern und Armen, die etwas zu lang waren für den Rest seines Körpers, dazu der großspurige Blick eines Mannes mit Vermögen zum Herzeigen. »Was meinte er, als er sagte, die Kers revoltieren?«

»Niemand revoltiert. Die Kers wollen nur ihren Standpunkt klarmachen; das ist nichts, worüber du dir Sorgen machen musst.«

»Dann sag mir, wogegen sie protestieren«, erwidere ich, was ein Zucken von Vaters Kiefermuskeln auslöst. »Irgendetwas muss es ja sein, wenn sie versuchen, ihren Standpunkt klarzumachen.«

»Bei Catos Klinge, du bist stur wie dein alter Herr.« Er tritt vor, und man kann unmöglich sagen, ob es Zorn ist, der seine Augen leuchten lässt. Ich wappne mich, um zu widersprechen, doch er lässt die Hand direkt vor meiner Krone auf meinen Kopf sinken, und das Feuer in mir erlöscht zischend.

»Sie wollen etwas, das ich ihnen nicht geben kann.« Vaters Stimme schwächt sich ab: von dem mächtigen Bariton, den er gegenüber den Beratern eingesetzt hat, zu der sanften, ruhigen Stimme, die er zu Hause benutzt. »Kerost wurde schon immer von wilden Stürmen heimgesucht. Deshalb setzen wir dort Gruppen von Valukanern mit einer Verbundenheit zum Wasser ein, die helfen sollen, die Fluten zu besänftigen und die Stürme davon abzuhalten, die Insel zu zerstören. Aber die Kers sind nicht gern abhängig. Vor ein paar Jahreszeiten fing es an, dass mich Berichte erreichten, es gäbe Kers, die Valukaner bestochen hätten, damit sie sie ausbildeten. Sie wollten, dass ihnen die Valukaner zeigten, wie man das Wasser kontrolliert.«

Seine Worte rauben mir den Atem. »Sie wollten mehrere Magieformen lernen? Aber das ist Selbstmord!«

Vater knurrt und lässt die Hand von meinem Kopf gleiten. »Wenn genug Leute mehrere Magieformen praktizieren, versagt unsere Kontrolle über das Monster irgendwann. Seelen würden vernichtet, und die Bestie könnte ungezügelt wüten. Deshalb musste ich die Valukaner von Kerost abziehen: Damit die Bewohner gar nicht erst in Versuchung kamen. Leider wurden sie in der letzten Jahreszeit früh Opfer eines bösen Sturms. Und ohne die Hilfe der Valukaner zerstörte er einen Teil ihrer Insel.«

Es ist, als würden mir tausend Egel das Blut aus den Adern saugen, mir wird ganz kalt und schwindelig.

»Was ist mit den Suntosern?«, dränge ich. »Hast du wenigstens Heiler dort gelassen, damit sie ihnen helfen?«

»Die musste ich ebenfalls abziehen«, sagt er, und ich bin froh, als ich sehe, dass wenigstens ein Anflug von Scham seine Wangen rötet. »Es war nur für so lange gedacht, bis sie einverstanden sind, auf das Erlernen verschiedener Magieformen zu verzichten. Doch dann brach der Sturm herein und der Zeitpunkt war … unglücklich.«

Wie konnte er das vor mir verheimlichen? Und nicht nur er, sondern auch Mira. Sie ist so nah an allen Neuigkeiten des Königreichs dran, sie muss es gewusst haben.

Ich soll die Herrscherin dieses Königreichs werden, und ich gedenke, eine großartige Herrscherin zu werden. Aber wie soll ich Visidia schützen, wenn ich nicht einmal weiß, was in meinem Reich passiert?

»Ich musste sichergehen, dass du konzentriert bleibst«, sagt Vater, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Denk daran, Amora, bis du oder Yuriel Kinder habt, bist du nur eine von zwei möglichen Thronerbinnen, die noch übrig sind. Im Moment ist das Wichtigste, was du für dieses Königreich tun kannst, dass du deine Sache heute Abend gut machst und diesen Titel für dich beanspruchst.«

Ich kneife die Augen zu, während die Frustration in mir anschwillt, und versuche, sie so weit zu unterdrücken, dass ich die Lage klar sehen kann.

Ich weiß, dieser Abend ist wichtig. Und es ist nur zu verständlich, dass die Kers wütend sind. Aber wenn Vater es ihnen durchgehen ließe, mehrere Magieformen zu praktizieren, wäre Catos Übereinkunft mit dem Monster ungültig und das Königreich würde fallen.

Ohne die Hilfe der Valukaner werden aber in jedem Fall die Häuser der Kers zerstört. Das können wir auch nicht zulassen.

»Wir müssen einen anderen Weg finden, ihnen zu helfen«, sage ich. »Wir können ihnen begreiflich machen, wie gefährlich das Praktizieren verschiedener Magieformen ist, aber wir müssen ihnen auch stärkere Materialien für ihre Bauten geben und ihnen bei der Instandsetzung helfen. Wir dürfen ihnen ihren einzigen Schutz nicht wegnehmen.«

Er legt mir die Hand auf die Schulter. »Und das habe ich auch nicht vor. Doch als König von Visidia muss ich unser ganzes Volk beschützen. Die Valukaner dort zu lassen, wäre das Todesurteil für unser Königreich gewesen. Aber vertrau darauf, dass wir eine Lösung finden, Amora. Vertrau darauf, dass ich das regle.«

Natürlich will ich darauf vertrauen, dass Vater alles in Ordnung bringt, aber ich verstehe nicht, warum er nicht schon auf Kerost ist und ihnen beim Wiederaufbau hilft. Wenn der Sturm in der letzten Jahreszeit gewütet hat, warum stehen wir dann immer noch herum und versuchen, eine Lösung zu finden?

»Und wie passt Kaven da hinein?« Mit jeder Sekunde schwirrt mir der Kopf mehr. Warum war ich die ganze Zeit so ahnungslos? Wie konnten sie das alles vor mir geheimhalten?

Vater seufzt lang und entnervt, er wünscht sich eindeutig ein Ende der Diskussion. »Das ist einer, der nicht mit allen Entscheidungen einverstanden ist, die ich getroffen habe«, antwortet er ausdruckslos. »Aber niemand kann mit allem einverstanden sein, was ich tue, oder? Er stellt keine Bedrohung für uns dar. Jetzt bring deine Gedanken zur Ruhe. Einen Abend lang wird alles noch gut sein.«

Ich denke an den wütenden Gesichtsausdruck des Valukaners zurück und bin mir nicht sicher, ob ich ihm seine Einschätzung glaube. Ich möchte Vater am liebsten widersprechen und ihm sagen, dass ich es verdient habe, mehr zu wissen. Doch als ich den Mund aufmache, kommt Tante Kalea grinsend den Hügel heraufgekraxelt. Meine Tante wartet nicht auf die Erlaubnis, sich zu nähern oder kommt auch nur auf die Idee, sie könnte uns bei etwas Wichtigem unterbrechen. Sorglos und nur knapp meinen Schulterspangen ausweichend, schlingt sie mit einem herzlichen Lachen die Arme um mich.

»Oh, mein schönes Mädchen! Was für ein Anblick!« Sie tritt zurück und versetzt Vater einen leichten Klaps auf die Schulter. »Wie hat es ein Trampel wie du bloß geschafft, so eine strahlende Frau großzuziehen, Audric? Sie ist umwerfend!«

Vater lacht. »Den Liebreiz hat sie allein von Keira. Ich fürchte, von mir hat sie nur ihre Sturheit.«